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Title: Mazedonien : Erlebnisse und Beobachtungen eines Naturforschers im Gefolge des deutschen Heeres
Author: Doflein, Franz
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Mazedonien : Erlebnisse und Beobachtungen eines Naturforschers im Gefolge des deutschen Heeres" ***


Anmerkungen zur Transkription

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes. Folgende
Zeichen sind für die verschiedene Schriftformen benutzt:

  _gesperrt gedruckter Text_
  =fett gedruckter Text=
  +kursiv gedruckter Text+



[Illustration: KIRCHE IM KLOSTER NERESI BEI ÜSKÜB.]



                              MAZEDONIEN

                     ERLEBNISSE UND BEOBACHTUNGEN
                         EINES NATURFORSCHERS
                    IM GEFOLGE DES DEUTSCHEN HEERES

                                  VON

                           DR. FRANZ DOFLEIN
        o. ö. PROFESSOR DER ZOOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BRESLAU

                      MIT 279 ABBILDUNGEN IM TEXT
                UND 4 FARBIGEN UND 12 SCHWARZEN TAFELN

                            [Illustration]

                                 JENA
                       VERLAG VON GUSTAV FISCHER
                                 1921



ALLE RECHTE VORBEHALTEN



                DEN MANNSCHAFTEN, ÄRZTEN UND OFFIZIEREN
                       DES MAZEDONISCHEN HEERES
                               GEWIDMET



VORWORT


Wie nach meiner amerikanischen und ostasiatischen Reise, war es
nach meinem Aufenthalt in Mazedonien in den Jahren 1917 und 1918
mir ein seelisches Bedürfnis das, was ich dort erlebt und erfahren
hatte, in einem Werk zusammenzufassen. Vielleicht ist es mehr eine
künstlerische Neigung, welche sich in dem Drang ausspricht, einem
großen, nachhaltigen Erlebnis eine Form zu geben; dem Gelehrten,
dem Naturforscher hätte es näher gelegen, die Bearbeitung aller
Forschungsresultate abzuwarten, um nach einer Reihe von Jahren die
Gesamtergebnisse zusammengefaßt vorzulegen.

Überlegungen zweierlei Art waren es, welche mich veranlaßten, kurz nach
meiner Heimkehr an die Ausarbeitung und Darstellung von Mazedonien
heranzutreten. Zunächst, wie bei meiner „Ostasienfahrt‟ der Wunsch,
noch unter dem frischen Eindruck meiner Erlebnisse die geeignetste Form
der Darstellung zu finden. Während noch die Buntheit der Landschaften,
die Bewegtheit der Vorgänge ungealtert in meinem Bewußtsein hafteten,
sollten sie Gestaltung finden.

Dazu kam die Verpflichtung gegenüber den einstigen Angehörigen der
mazedonischen Armee, die mir draußen soviel geholfen hatten, ihnen ein
zusammenfassendes Bild des Landes zu geben, in welchem sie Jahre ihres
Lebens in treuer Pflichterfüllung verbracht hatten, in militärischem
Dienst, als Ärzte und Beamte. Es gibt keine solche Darstellung
in deutscher Sprache; es ist doch eine merkwürdige Tatsache, daß
Mazedonien in Europa vor dem Kriege zu den unbekanntesten Teilen der
Erde gehörte, und daß es keine zusammenfassende Schilderung dieses
Landes gab. Ich habe das Bewußtsein, durch mein Buch ein Stück von
Europa, welches bisher nur einem kleinen Kreis von Spezialisten mehr
oder minder bekannt war, vor den Augen einer größeren Öffentlichkeit zu
entschleiern.

Was die Resultate der Forschungen anlangt, so ist an ihnen während
des Krieges eine größere Anzahl von Fachleuten in den verschiedensten
Wissenszweigen beteiligt gewesen. Deren Veröffentlichung wird sich auf
Jahrzehnte erstrecken. Das konnte und wollte ich nicht abwarten. Die
zoologischen Ergebnisse konnten sich dank der Mitarbeit zahlreicher
Fachmänner soweit sichten lassen, daß ein Überblick über sie in meinem
Buch gegeben werden konnte. Auch von den botanischen Forschungen
stand mir alles, was für meine Darstellung wesentlich war, durch das
kollegiale Entgegenkommen von Prof. _Bornmüller_ zur Verfügung. So war
ich in der Lage, in einem Naturforscherbuch ein Bild des Landes, einen
Umriß der Probleme, die dem Biologen das Zentrum der Balkanhalbinsel
bietet, zu entwerfen.

Dabei bin ich einer ganzen Reihe von Mitarbeitern zu Dank verpflichtet.
Diejenigen, welche draußen mitwirkten, sind in den einzelnen Kapiteln
genannt, so auch die verschiedenen Gelehrten, welche mitgebrachtes
Material schon so weit bearbeiteten, daß die Resultate angeführt werden
konnten.

Für die Durchführung der Expeditionen bin ich außer der Heeresleitung,
deren Entgegenkommen an vielen Stellen des Buches hervorgehoben ist,
dem badischen Kultusministerium und der Bayerischen Akademie der
Wissenschaften für Zuweisung von Geldmitteln zu Dank verpflichtet,
welche einige der Gebirgsexpeditionen ermöglichten. Ersterem habe ich
ferner die Großzügigkeit bei der Urlaubsgewährung zu danken.

Der reiche Bilderschmuck des Buches besteht meist aus von mir
selbst gefertigten photographischen Aufnahmen von Landschaften und
Naturgegenständen. Dazu kommen vier farbige Bilder nach meinen
Aquarellen. Eine Anzahl Photographien verdanke ich den Kameraden beim
Mazedonischen Heer Dr. _Laser_, Dr. _Burmester_, Dr. _Nachtsheim_,
Prof. _Müller_, Dr. _Gripp_, Dr. _Hansen_, Dr. _Frischholz_. Ihnen
allen sei an dieser Stelle gedankt. Manche nicht im Text genau nach
Urheber bezeichnete Bilder rühren von Soldaten her, deren Namen ich
nicht weiß, oder haben andere mir unbekannte Urheber. Das sind aber
nur einige wenige. Die Tierbilder sind von den Frls. _Gottschalk_,
_Schönfeld_ und _Limprecht_, die meisten von dem Maler _P. Rose_
angefertigt.

Meinem Verleger Dr. _Gustav Fischer_ bin ich für sein Entgegenkommen
bei der Ausstattung des Werkes, die heutzutage etwas ganz Besonderes
darstellt, sehr zu Dank verpflichtet.

  _Breslau_, im November 1920.



INHALTSVERZEICHNIS.


                                                 Seite

  Erstes Kapitel: Im Wardartal. Frühling in Mazedonien               1

  Zweites Kapitel: Kaluckova und das Forscherhaus                    10

  Drittes Kapitel: Die Ebene von Hudova                              26

  Viertes Kapitel: Mravinca und sein Feldlazaret. Mazedonische
  Schildkröten und Fische                                            42

  Fünftes Kapitel: Die Plaguša Planina                               57

  Sechstes Kapitel: Das Nikolatal                                    78

  Siebentes Kapitel: Fahrt ins Gebiet der Mala Rupa                  96

  Achtes Kapitel: Regenwürmer und Ackererde in Mazedonien            119

  Neuntes Kapitel: Das geliebte Veles                                130

  Zehntes Kapitel: Am Doiransee                                      141

  Elftes Kapitel: Die mazedonischen Ameisen und ihre Bauten          158

  Zwölftes Kapitel: Die Schluchten des Balkan                        182

  Dreizehntes Kapitel: Im Hain Mamre. Strumiza. Belasiza Planina. Gewgeli
                                                                     198

  Vierzehntes Kapitel: Die Expedition in den Schardakh               116

  Fünfzehntes Kapitel: Die Bevölkerung Mazedoniens                   245

  Sechzehntes Kapitel: Üsküb als Standquartier                       256

  Siebzehntes Kapitel: Die Bulgaren in Mazedonien                    270

  Achtzehntes Kapitel: Der Tschifflik von Bardovce                   284

  Neunzehntes Kapitel: Beobachtungen an mazedonischen Spinnen        301

  Zwanzigstes Kapitel: Das Chrombergwerk von Radusche                319

  Einundzwanzigstes Kapitel: Der Katlanovosee                        324

  Zweiundzwanzigstes Kapitel: Besuch bei den Albanern                335

  Dreiundzwanzigstes Kapitel: Der Wodno, die Treskaschlucht und das
  Kloster Markova                                                    341

  Vierundzwanzigstes Kapitel: Neresi (Über die Kirchen, Klöster und
  Feste der Mazedonier)                                              354

  Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bienen Mazedoniens                     369

  Sechsundzwanzigstes Kapitel: Die Erforschung der Golesniza Planina 380

  Siebenundzwanzigstes Kapitel: Stip und das Ovče Polje              421

  Achtundzwanzigstes Kapitel: Klima und Seuchen in Mazedonien        431

  Neunundzwanzigstes Kapitel: Prilep und seine Pässe (Babuna und
  Pletwarpaß)                                                        448

  Dreißigstes Kapitel: Ameisenlöwen                                  473

  Einunddreißigstes Kapitel: Krusevo als Aromunenstadt               484

  Zweiunddreißigstes Kapitel: Gopes                                  492

  Dreiunddreißigstes Kapitel: Sommer in Mazedonien                   502

  Vierunddreißigstes Kapitel: Der Peristeri. Die mazedonischen Alpen 516

  Fünfunddreißigstes Kapitel: Am Prespasee                           530

  Sechsunddreißigstes Kapitel: Ritt über den Tomoros                 536

  Siebenunddreißigstes Kapitel: Die Wirbeltiere Mazedoniens          543

  Achtunddreißigstes Kapitel: Ochrida                                554

  Neununddreißigstes Kapitel: Der Ochridasee                         566

  Vierzigstes Kapitel: Ende des Feldzuges und der Forschungarbeiten in
  Mazedonien                                                         586

  Anmerkungen zu den Kapiteln                                        580



ERSTES KAPITEL

IM WARDARTAL.

FRÜHLING IN MAZEDONIEN.


In den ersten Tagen des Monats Mai 1917 trug mich der Balkanzug
südwärts durch das Moravatal Mazedonien entgegen und damit nahte für
mich die Erfüllung eines Herzenswunsches. Ich durfte meine eigene
Wissenschaft, meine Arbeitskraft in den Dienst meines Vaterlandes
stellen! Als Naturforscher wurde ich von der deutschen Heeresgruppe
nach Mazedonien gerufen, um dort ihre Zwecke durch Forschungen in
meinen Arbeitsgebieten zu fördern.

Ein kurzer Aufenthalt in _Nisch_, der alten Hauptstadt Serbiens, führte
mich in die Kreise der Etappeninspektion XI ein, deren Kommandeur,
Generalleutnant _von Krane_ mich als frischer Soldat mit starkem
Interesse und vollem Verständnis für meine Absichten empfing. In seinem
Stab traf ich mit Generaloberarzt Ludolf _Brauer_, dem beratenden
inneren Kliniker der Heeresgruppe, dem Direktor des Eppendorfer
Krankenhauses in Hamburg, zusammen. Er war der Geschäftsführer der
neu begründeten Mazedonischen Landeskundlichen Kommission beim
Oberkommando Scholtz; ich war als eines der ersten Mitglieder auf dem
Kriegsschauplatz erschienen und beriet sofort die Organisation unserer
Kommission mit ihm. Ich erfuhr, daß ich in voller Freiheit meine Pläne
durchführen könne und daß mir nur der Wunsch ausgesprochen würde,
ich möge mich durch Forschungen auf zoologischem Gebiet auch an der
Bekämpfung der für unser Heer so gefährlichen Seuchen beteiligen.

Ich beschloß, sofort an die Arbeit zu gehen, über Üsküb ins südliche
Wardartal zu reisen und mir dort in der für meine Forschungen
geeignetsten Gegend als Gast des deutschen Heeres ein Standquartier
auszusuchen. Überall, wo ich mit Heeresstellen in Berührung kam, fühlte
ich Verständnis und Entgegenkommen heraus, und machte mich mutig auf
den Weg.

Schon von Nordserbien aus war es deutsche Militär-Eisenbahn, der
ich mit meiner wissenschaftlichen Ausrüstung anvertraut war. Die
Militär-Eisenbahn-Direktion 7 mit ihrem so pünktlichen und sicheren
Verkehr habe ich bei den Reisen der nächsten zwei Jahre bis zum
traurigen Abschied von Mazedonien stets gesegnet. Aber jetzt bei der
Ausreise südwärts schien nicht alles von vornherein sicher und glatt
vor sich gehen zu sollen. Serbische Banden waren tags vorher bei
_Ristowac_ aufgetaucht, gut bewaffnet und von serbischen Offizieren
geführt. Sie hatten die Eisenbahnbrücke zerstört und es hatte an der
Eisenbahnstation ein regelrechtes Gefecht stattgefunden, welches von
dem alten, begeisterten deutschen Bahnhofskommandanten siegreich
geführt worden war. Die Serben hatten 20 Mann und einen Offizier
von ihren etwa 300 Mann tot am Platze gelassen, während auf unserer
Seite auch 11 Bulgaren und 5 Deutsche gefallen waren. So wurde mir
denn gleich zum Bewußtsein gebracht, daß meine Tätigkeit auf einem
Kriegsschauplatz sich vollziehen sollte.

Als ich in _Ristowac_ ankam, war die Brücke schon wiederhergestellt,
wir konnten glatt durchfahren. In den Bergen brannten mehrere Dörfer
als Folgeerscheinung einer bulgarischen Strafexpedition, bei der ein
ganzes Armeekorps gegen die ziemlich zahlreichen serbischen Banden
aufgestellt war. Es war eine von unseren Gegnern von Saloniki aus
eingeleitete Aufstandsbewegung größeren Stils, welche zeitweise sogar
_Nisch_ bedrohte, von den Bulgaren aber blutig unterdrückt wurde. Im
Eisenbahnzug hörte ich von den deutschen Offizieren schon mancherlei
Bemerkungen über die grausame Kriegführung der Bulgaren.

Die Reise ging aber durch die Ereignisse unbehindert weiter. Ich kam
auch im Angesicht der reizvollen Landschaft nicht dazu, mich über die
militärischen und politischen Angelegenheiten weiter zu unterrichten.
Die Bahn fährt das Moravatal hinauf. Der Fluß führte damals reichlich
durch Regengüsse gelbbraun gefärbtes Wasser. In vielen Windungen laufen
Fluß und Bahn durch ein sehr reizvolles Tal, dessen Wände von Bergen
mittlerer Höhe gebildet sind. Die ausgedehnten Buchenwälder standen in
sommerlicher Pracht; die Felder waren gut bepflanzt, das Getreide schon
hoch, Weißdorn blühte, die Obstbäume waren schon abgewelkt, in Sümpfen
standen gelbe Schwertlilien. Im ganzen erinnerte die Landschaft an
sommerliches Mitteldeutschland, etwa an Thüringer Flußtäler.

Der Fluß wurde kleiner, die Landschaft immer sommerlicher, höhere
Bergketten traten im Süden auf, zum Teil noch mit Schnee bedeckt.
Schließlich verließ die Bahn das Moravatal, überschritt die
Wasserscheide und trat in der Nähe von _Kumanovo_ in das mazedonische
Gebiet ein, was sich in dem ganzen Charakter der Landschaft kundgab.
Die Berge waren zurückgetreten, eine weite Ebene breitete sich aus.
Wald fehlte hier, während die Felder schon einen vorgeschrittenen
Zustand aufwiesen, Gerste und Roggen standen mit fertigen Ähren,
einzelne blühende Mohnfelder verrieten den südlicheren Charakter des
Landes.

Weite Getreideäcker, Obsthaine und Dörfer mit Lehmhütten füllten die
Ebene, die der Zug durchfuhr, um die Stadt _Üsküb_, slawisch _Skopje_
genannt, zu erreichen. Bei der Einfahrt überraschte der _Wardar_ als
breiter Fluß, Minarets, Moscheen und die hochragende Zitadelle gaben
der Stadt ein orientalisches Gepräge. Das malerische Bild der Gebäude
wurde sehr gehoben durch die Menge stattlicher Pappeln, die sich hinter
den Häusermassen erhoben; rings um die Stadt ziehen sich Ketten von
schöngeformten Gebirgen, von denen einige jetzt Mitte Mai noch tief
beschneit waren. Vor ihnen dehnt sich eine hügelige Ebene voll reicher
Pflanzungen aus.

Von dem bunten orientalischen Leben Üskübs, von dem ich in einem
späteren Kapitel erzählen werde, riß ich mich bald los, um zu meinem
Standquartier zu gelangen, in welchem ich mich für mehrere Wochen
niederlassen wollte. Zu diesem Zweck reiste ich wardarabwärts mit der
Bahn nach Süden. Diese bleibt immer nahe am _Wardar_, so daß man bei
der Fahrt einen guten Überblick über dessen Lauf gewinnt. Sie führt
zuerst durch das weite _Becken von Üsküb_, in welches der Wardar
von Westen eintritt, nachdem seine Wassermasse durch den Zufluß der
_Treska_ ganz erheblich vermehrt wurde. Etwa bei _Selenikovo_ tritt
der Fluß in die Enge von _Veles_, die sich bis _Krivolac_ hinzieht.
Hier fließt der Wardar durch eine wechselvolle Landschaft mit vielen
malerischen Schönheiten. Prachtvolle enge Schluchten mit steilen
Felswänden wechseln mit breiteren Talstellen, in denen ein oft üppiger
Baumwuchs absticht von der Öde und Kahlheit, die sonst für den vom
Norden kommenden Reisenden das auffallendste Merkmal Mazedoniens zu
sein scheint. Im Westen sieht man hohe Berge aufragen, auch diese
(jetzt Mitte Mai) noch tief im Schnee. Damals schon faßte mich die
Sehnsucht, diese wie Alpen sich darstellenden Gebirge zu erforschen,
ein Wunsch, den das nächste Jahr mir erfüllen sollte. Auch die
eigenartige Pflanzenwelt der Talwände lockte schon bei der Durchreise
zum Aussteigen. Ich werde von ihr später mancherlei zu erzählen haben.

Kurz vor _Veles_ erweitert sich das Tal und gestattet wieder Ausblicke
westwärts auf die Gebirge, über welche die Pässe gegen _Prilep_
und _Monastir_ führen. Schon dicht bei der Stadt _Veles_ wird das
Flußbett des Wardar wieder fast zur engen Klamm. Die Stadt klettert in
malerischer Schönheit die Felsenhänge hinan; enge Gassen münden in die
Seitenschluchten, Minarets erheben sich über die roten Ziegeldächer
der untereinander sehr gleichartigen Häuser, in Felsspalten erscheinen
weiße Klöster eingebaut. Von all diesen Steinmassen der Berge und
Häuser strahlt pralle Hitze ins Tal und läßt auf den kahlen Felsen
keine Pflanzenwelt aufkommen. Im Fluß drehen sich schlanke Räder,
welche Wasser zur Bewässerung der Felder in die Höhe schöpfen.

Bis _Krivolac_, wo die Bulgaren den Franzosen im Jahre 1916 eine
ordentliche Niederlage beigebracht haben, fährt der Zug vielfach an
kahlen Bergen entlang, die einen öden, menschenleeren Eindruck machen.
_Gradsko_, das riesige Lager mit seinen Magazinen, Baracken und Zelten,
von Staubwolken verdüstert, machte keinen freundlichen Eindruck.

Am Bahndamm sah man schon in Serbien, wie jetzt an der ganzen Strecke
bulgarische Soldaten als Bahnbewachung. Kleine elende Häuschen aus
Lehm und Stroh waren von Stacheldraht und seichten Gräben umgeben, die
gegen einen Bandenüberfall wohl nur ein mäßiger Schutz gewesen wären.
Die bulgarischen Landsturmsoldaten in ihren zerrissenen, schmutzigen
Uniformen waren zunächst nicht geeignet, einen günstigen Eindruck von
ihrem Volke zu erwecken.

Südlich von _Krivolac_ durchläuft die Eisenbahn mit dem Wardar ein
weites Becken, welches von einem Kranze kahler Berge eingeschlossen
ist. Nur in weiter Ferne sieht man im Südwesten die schönen Formen
schneebedeckter Berge hervorragen. Die näher liegenden Berge zeigen an
ihren Hängen alle Zeichen einer weitgehenden Erosion. Steile Abstürze
mit den scharfen Schatten der vom Regenwasser gerissenen Schluchten
strahlten im Scheine der Nachmittagssonne in den stärksten Farben:
ziegelrote, orangegelbe und violette neben braunen und weißen Hängen.
Ein geradezu phantastisches Bild: bizarre Formen und eigenartige grelle
Farben. Das waren ganz ungewohnte Landschaftsbilder, die mich an
Gegenden erinnerten, wie ich sie in Mexiko und am Roten Meer gesehen
hatte.

Vor den Bergen dehnte sich eine gutbebaute Ebene aus, deren
Gerstenfelder schon leise gelblich zu schimmern begannen; die
zahlreichen Mohnpflanzungen waren im Verblühen, an manchen Stellen
waren die Kapseln schon gut entwickelt.

Zug und Landstraße gingen direkt auf steile hohe Felsenwände zu;
das tat auch der Wardar, der sich in diese Felsen eine steilwandige
mächtige Schlucht gegraben hat. Es ist _Demir-Kapu_, das Eiserne Tor
von Mazedonien. Durch gelbrote Wände hat der Fluß sich gearbeitet, die
so steil aus seinem Wasser aufragen, daß Straße und Bahn nur durch
Tunnels hier an ihm vorbeigeführt werden können. Wir werden diese
eigenartige, grandiose Landschaft des Wardardurchbruchs später noch
genauer kennen lernen.

[Illustration: Abb. 1. Blick von den Felsen von Demir-Kapu über die
Steppe von Krivolac.]

Einige hundert Meter ist diese Flußwildnis lang; hinter ihr treten die
Berge nicht stark zurück und zeigen immer noch schöne wildzerissene
Steilwände. Täler münden von beiden Seiten ein, die zum Teil in schön
bewaldete Mittelgebirge führen. Hier durfte ich als Naturforscher
interessante Beobachtungen erwarten. Aber schnell führte mich der
Zug jetzt an diesen Tälern vorbei, an Dörfern, die im Schatten von
Obstbäumen und Pappeln friedlich lagen, an mächtigen Schotterbänken
entlang, welche die Bäche aus den Seitentälern zum Wardar geschwemmt
hatten und die von der Wucht der in diesem Gebiet herrschenden
Naturkräfte zeugten.

[Illustration: Abb. 2. Demir-Kapu, Eisernes Tor Mazedoniens.
Wardardurchbruch von Norden.]

In der Ferne sah man das Tal in eine weite Ebene ausmünden, die im
Süden sich wieder zu einem Bergpaß schloß. Es war die Ebene von
_Hudova_, die mich jetzt für einige Monate beherbergen sollte. Wir
liefen in den Bahnhof von _Hudova_ ein den ein ungeheures Barackenlager
umgab. Dies war das letzte große Etappenlager vor der Front gegen
Saloniki. Etwa 100 km von Hudova aus gegen Süden und Südosten
erstreckt sich noch das Wardartal, bis der Fluß westlich Saloniki
ins Ägäische Meer mündet. An die Ebene von Hudova schließt sich
noch ein Schluchtgebiet des Wardar an, hier von weniger stattlichen
Bergen eingeschlossen. In Friedenszeiten wäre die Bahn bis Saloniki
durchgelaufen. Jetzt fand sie in _Miletkovo_ ihren Abschluß; etwas
weiter flußabwärts lagen _Negorci_ und _Gewgeli_; etwa 15 Kilometer
südlich dieser Stadt verlief die feindliche Front, welche meiner
Forschungsarbeit eine durchaus nicht natürliche Grenze setzte.

An jenem Maiabend stieg ich aber in _Hudova_ aus dem Zug; Wagen mit
Soldaten holten mich und mein Gepäck ab. Nach wenigen Minuten rollten
sie durch mächtige Staubwolken ein Stück südwärts, um dann nach Osten
scharf um die Ecke zu biegen, der östlichen Talwand entgegen. Den Staub
von Hudova sollte ich in dem nahenden Sommer noch zur Genüge kennen
lernen. Jetzt kamen wir bald an den Baracken der Etappenmagazine, an
einer Feldwetterwache, einer Feldbäckerei und Fliegerlagern vorbei
gegen eines der östlich in die Bergwand eindringenden Tälchen.

[Illustration: Abb. 3. Wardar oberhalb Hudova.]

Vor uns dehnten sich im Tal von Hudova vor allem große
Maulbeerpflanzungen aus; zwischen den Bäumen war Getreide gepflanzt.
Die Maulbeeren waren zum Teil noch in Blüte. Unser Weg führte zwischen
blühenden Rosen-, Brombeer- und Weißdornhecken und war so eng, die
Hecken so dicht und üppig, daß bei der flotten Fahrt Zweige und Blüten
den Pferden und mir ins Gesicht schlugen. Vom Wegrand dufteten die
mannigfaltigsten Blüten, umsummt von einer Menge von Insekten. Vögel
vieler Arten machten auf sie Jagd. Aus den dichten Gebüschen begann der
Gesang zahlreicher Nachtigallen sich zu erheben, während allmählich
der Abendsonnenschein sich durch das Tal ergoß und fern hinter mir
auf dem Wardarfluß sich spiegelte. Noch weiter westlich grenzte ein in
zarten Farben verschwimmendes Hochgebirge, dessen Gipfel noch breite
Schneefelder trugen, in schönen dachsteinähnlichen Formen die Ferne ab.

[Illustration: Abb. 4. Blick nordwärts über den Wardar von der
Kaiser-Wilhelms-Brücke bei Miletkovo. Hochwasser.]

Vor mir im Osten, allmählich sich immer stattlicher erhebend, ragte ein
eigenartig herbes Gebirge empor. Eine Bergkette von harten Umrißlinien,
mit scharfen Kanten, die von den Gipfeln zu Tale liefen, von zahllosen
Schluchten durchfurcht, steinig und dürr, baumlos, nur von Buschwerk
an den Flanken bedeckt, so schien es, während ich im Abendschein
mich ihm näherte, immer höher vor mir aufzusteigen. Die Beleuchtung
ließ es fast wie Alpenberge erscheinen, obwohl es nicht viel über
1000 m sich erhob. Es war die _Plaguša Planina_, in deren Schutz ich
nun mein Standquartier aufschlagen wollte. Auf deren Gipfeln und in
ihren Schluchten wartete manches Erlebnis, manche wissenschaftliche
Entdeckung auf mich.

Über dem weiten Geröll- und Sandbett eines ausgetrockneten
Schluchtbaches rollte nun unser Wagen in das Tälchen ein, in dessen
Südflanke in einer Mulde das Dorf _Kaluckova_ lag.

[Illustration: Abb. 5. Blick südlich von der Kaiserwilhelmsbrücke bei
Miletkovo. Gegen Gewgeli. Flußbett voll Geröll.]



ZWEITES KAPITEL

KALUCKOVA UND DAS FORSCHERHAUS


Aus der Entfernung sah das Dörfchen Kaluckova malerisch und einladend
aus. Eine größere Anzahl steinerner Häuser, die einen weiß getüncht,
die andern aus dunkelen, rauh behauenen Felsstücken erbaut, lagen am
Hügelrand. Die meisten Häuser waren am Südhang gelegen und kletterten
ein gut Stück bergan und in die drei Schluchten hinein, die sich im
Dorfe vereinigten. Vor dem Ort breitete sich ein breites Schotterfeld
aus, weiße und gelbliche, abgerollte Steine, dazwischen viel Sand und
Schlamm, das Ergebnis der Arbeit der drei Schluchtbäche, welche an den
Abhängen der Plaguša Planina ihre Quellen hatten. Über diese breite,
helle Talsohle, die jetzt ganz trocken lag, führte ein schmaler Steg
zu einer kleinen Häusergruppe am Westhang des Tälchens. Vor diesen
Häusern erhob sich eine riesenhafte, alte Platane, das Wahrzeichen von
_Kaluckova_; sie war mehrere Meter dick, maß etwa 9 m im Umfang, war
ausgehöhlt und breitete ihre Äste über einen großen Platz aus, den sie
beschattete (Abb. 7). Hinter ihr ragte eine weiße Moschee mit einem
Minaret in die Höhe, seitwärts von ihr stand ein helles, mehrstöckiges
Haus, ehemals die Schule des Ortes; ihr schlossen sich noch einige
wohlerhaltene Häuser und vor allem der einzige Bauernhof, der noch
vollkommen erhalten war, an. Dies war eine Gruppe von Häusern, steil
den Berg hinaufgebaut, ganz in Mauern eingeschlossen, wie eine Festung.
Tomatenfelder und kleine Äcker schlossen am Talhang die bewohnte Region
ab.

[Illustration: Abb. 6. Kaluckova mit Plaguša Planina in erhaltenem
Zustand 1916.]

Schaute man sich die Häuser auf der südlichen Talseite genauer
an, so bemerkte man, daß die meisten von ihnen Ruinen waren. Sie
hatten keine Dächer, Türen und Fenster waren herausgerissen und die
Wände zerbröckelten. Ein trauriges Ergebnis des Krieges, wie es
alle die Dörfer ringsum betroffen hatte. Es waren aber nicht etwa
Kampfzerstörungen, die an diesen Dörfern vorübergegangen waren. Im
Herbst 1916 waren die damals längst von unseren und den bulgarischen
Truppen besetzten Dörfer noch gut instand gewesen (Abb. 6), wenn auch
von den meisten Einwohnern verlassen. Im Winter hatten die Häuser
als Holzquelle gedient. Vor allem die bulgarischen Soldaten der
benachbarten Lager hatten sich die Dachbalken, die Fensterrahmen, die
Türen als Brennmaterial geholt und auch unsere Soldaten hatten sich an
diesen Zerstörungen beteiligt. In dem holzarmen Lande war während des
kalten Winters nichts anders übrig geblieben, als sich hier in der Nähe
der Front große Mengen von Soldaten ansammelten, die kochen und warm
haben wollten.

So bot denn das Dorf mit seinen halb- und ganz zerstörten Häusern einen
traurigen Anblick dar. Trotzdem mußte es wieder bezogen werden; als ein
Seuchenlazarett an dieser Front notwendig wurde, hielt man diesen Ort,
der nicht weit der Bahn und Hauptstraßen lag, für besonders geeignet,
da in seiner Nähe kein stehendes Gewässer sei. Man hielt es daher für
malariafrei. Das stellte sich später als ein schwerer Irrtum heraus,
gab mir aber zu besonderen Forschungen Anlaß, von denen in einem
späteren Kapitel die Rede sein wird.

Als ich in _Kaluckova_ ankam, hatte man erst gerade begonnen, das
Lazarett auszubauen. Einige Baracken waren in dem Maulbeerhain am
Nordhang des Tals aufgestellt, die Moschee, das Schulhaus und was
sonst von Bauten noch brauchbar war, mit Krankenbetten belegt. Nur
für die Ärzte, die Pflegeschwestern und die Sanitätsmannschaften war
die Unterkunft zunächst sehr mangelhaft. Allmählich wurden aber die
Ruinen wieder ausgebaut und so eine Anzahl erträglicher Quartiere
eingerichtet, wobei andere der zerfallenen Häuser das Baumaterial
lieferten und dabei fast vollständig vom Erdboden verschwanden. So
waren ein Schwesternhaus, ein Ärztekasino im Haus des Chefarztes,
Ärztequartiere, Räume für Mannschaften, Ställe für Pferde, Lager für
Vorräte errichtet worden. Dazu kamen eine Apothekenbaracke und ein ganz
brauchbares Laboratorium für Seuchenuntersuchungen.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 7. Die alte Dorfplatane von
Kaluckova im Winter.]

Als ich am Abend des 19. Mai in Kaluckova eintraf, wurde ich in
freundlicher Weise von dem Chefarzt des Seuchenlazaretts, _Stabsarzt
Halter_ empfangen. Vorläufig wurde ich mit mehreren Ärzten in einem
größeren Schlafraum untergebracht. Bald aber wurde auch für mich ein
Haus am Bergende des Dorfes auf luftiger Höhe ausgebaut, dessen Garten
ein stattliches Portal mit der stolzen Inschrift „_Forscherhaus_‟
erhielt (Abb. 8). Dazu wurde die Hälfte des Laboratoriums mir zur
Verfügung gestellt, so daß ich sofort meine Instrumente auspacken und
mich zur Arbeit vorbereiten konnte. Eine sehr brauchbare transportable
Laboratoriumseinrichtung, das sogenannte Münchner Feldlaboratorium,
wurde mir vom Kollegen Brauer, der es von den Beringwerken erhalten
hatte, in großzügiger Weise zur Verfügung gestellt; so hatte ich
bald ausgezeichnete Arbeitsbedingungen und konnte mich sofort an die
Erforschung der Gegend machen, auf die ich äußerst gespannt war. Der
verständnisvollen Unterstützung, die mir Stabsarzt Halter gewährte,
werde ich stets dankbar gedenken. Nun ging eine schöne, eindrucksreiche
Zeit in _Kaluckova_ und seiner Umgebung für mich an.

[Illustration: Abb. 8. Mein Wohnhaus in Kaluckova.]

Im stillen _Forscherhaus_ habe ich manche ruhige Nacht, aber auch
manche unruhige verbracht, zum Glück aber in den Monaten meines
Aufenthalts nur einen Tag krank gelegen; in meinem einfachen Zimmer, am
Haus und im Garten manche interessante Beobachtung gemacht.

In meinem Zimmer bauten Spinnen ihre Netze; von einer von ihnen habe
ich im 19. Kapitel berichtet; nicht selten flatterten junge Vögel zu
mir herein. Weidende Rinder brachen in meinen Garten ein, in dem ich
vergebens nach Regenwürmern grub. Ameisen bauten im und um das Haus
ihre Nester. In der Lehmwand hatten Bienen ihre Nester gebaut, solitäre
Bienen aus den Gattungen +Anthophora+ und +Halictus+. Deren Bauten
wurden von den metallisch roten und grünen prachtvollen _Goldwespen_,
+Chrysididen+, umschwärmt, welche ihre parasitische Nachkommenschaft in
die Nester zu den Larven einzuschmuggeln trachteten. Die _Dorfschwalbe_
(+Hirundo rustica boissonneauti+ Temm.) baute und brütete unter meinem
Dach, Sperlinge und Goldammern besuchten meinen Hof.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 9. Das Doktorhaus in Kaluckova
mit dem Granatapfelbaum.]

Manche Nacht hörte ich die _Malariamücken_ um mein Moskitonetz summen,
während die kleinen _Pappataccimücken_ durch dessen Maschen zu mir
eindrangen und Nacht mit ihren schmerzhaften Stichen schlaflos machten.
Dann war es wie eine Erlösung, wenn der Kraftwagen der Flieger aus dem
Wardartal vor dem Haus anbrauste und die frischen jungen Männer mich
mitten in der Nacht zu einem ihrer improvisierten Feste abholten.

An einen Haus- und Nachtgast denke ich mit besonderer Sympathie zurück.
Es war der einzige Geckonide, eine kleine Eidechse, der im Wardartal
vorkam, als südlicher Gast hier eingedrungen. +Gymnodactylus kotschyi+
Stud. hieß das kleine braungraue Tier, das sich in meinem Zimmer
eingenistet hatte und mir da das Ungeziefer wegfing. Tagsüber hielt
mein Tekkotekko sich verborgen. Nachts aber, sobald ich das Licht
gelöscht hatte, begab er sich auf die Wanderung an Wänden und Decke
meines Zimmers. Seine Zehen waren für das Laufen an glatten Wänden
nicht ganz geschickt ausgestattet und so plumpste er manchmal mit
lautem Knall auf den Zementboden des Zimmers herunter. Sein leiser,
glockenartig tönender Ruf schallte traulich aus den Zimmerecken zu mir.
So ließ ich das harmlose Tier leben solange ich das Zimmer bewohnte.

[Illustration: Abb. 10. Mein Standquartier Kaluckova. Im Hintergrund
Marianska Planina und Mala Rupa.

(Nach Aquarell des Verfassers. Abendstimmung Juli 1917.)]

Es war eine ganz seltsame Landschaft, die mich hier umgab, eine
Landschaft, wie ich sie noch nicht kennen gelernt hatte. Um den Grund
des Baches und seiner Zuflüsse stiegen nach allen Seiten steile Hügel
an. Sie reihten sich meist in Ketten den Bachschluchten entlang an,
selbst durch Nebenschluchten voneinander getrennt. So war es ein
schwieriges Klettergelände, wollte man seitlich der Schluchten ins
Gebirge hinauf. Jeder Hügel überragte seinen Nachbarn in der Kette
und war von ihm durch eine tiefe Schlucht getrennt. Und alle diese
Hügel sind auf ihrem Rücken von kurzem Buschwerk bedeckt, das meist
in Gruppen vereinigt ist, die jeweils durch schmälere und breitere
Rasenstrecken voneinander getrennt sind. So waren in dieser Jahreszeit
die Hügel ganz grün, der meist hellgrüne Rasen gefleckt mit den
dunkelgrünen Büschen. Dazwischen stachen höchst auffällig und grell
das Gestein und die Gerölle der Abstürze und der Schluchtenränder mit
ihrer rotgelben und dunkelroten Färbung ab. Und in all den Schluchten
rauschte und rieselte in dieser Jahreszeit reichliches Wasser, doch
immerhin nur soviel, daß es im Schotterbett des Unterlaufs der Bäche
vollkommen versickerte.

Hügel über Hügel reihte sich bergan, bis in etwa 500 bis 600 m Höhe
breitere Rücken und Halden sich anschlossen, die schließlich noch
durch tiefe Täler von den steilen Felsabstürzen des Plaguša-Gebirges
getrennt waren. Letzteres zog sich von Nord nach Süd als eine Kette von
schroffen Spitzen dem Wardartal parallel. Im grellen Mittagslicht war
das ganze Gebirge durch zahllose, gradlinig begrenzte Schattenflecke
gegliedert. Grau und kahl überragte es die grünen Hügel des Vorlandes
und einige höhere Zwischenberge, von denen einer von unseren Soldaten,
da er aus dem dürren Lande so auffallend hervorstach, als der
_Grünberg_ bezeichnet wurde.

In diesem Gebiet habe ich in den nächsten Monaten und im Frühling 1918
eine Menge von interessanten Beobachtungen an Pflanzen und Tieren
gemacht. Es erwies sich als ein biologisches Eldorado und die Wahl des
Standquartiers als sehr geeignet.

Die Pflanzenwelt Mazedoniens stellte in ihrem Gesamteindruck wohl für
die meisten Deutschen eine große Überraschung dar. Der Deutsche ist
gewohnt, wenn er von seiner Heimat südwärts reist, in eine Landschaft
von mediterranem Typus etwa in Südtirol, in Oberitalien oder in
Südfrankreich zu gelangen. Er erwartet Pinien und Zypressen, sucht
Lorbeer und Myrthen, Orangen- und Zitronenbäume.

Nichts davon bekommt man im eigentlichen Mazedonien zu sehen. Die
typische Mittelmeerflora mit ihren malerischen Bäumen, mit der
Pflanzenwelt der Macchien ist auf dem Balkan nur in Meeresnähe
vertreten, also in Dalmatien, in Griechenland und an der thrakischen
Küste. Die mazedonische Landschaft sieht ganz anders aus; ihr fehlen
jene, ebenso wie Ölbäume, Erdbeersträucher und alle anderen Pflanzen,
welche der italienischen Landschaft ihren besonderen Reiz verleihen. Wo
die Bodenfeuchtigkeit genügt, werden sie durch Pappeln, Ulmen, Eichen
ersetzt, Weiden und Erlen, Ahorn, Hainbuchen erinnern mehr an deutsche
Gaue.

Auf den trockenen Hügeln, also im Wardartal von Üsküb bis Gewgeli, bei
Prilep, Monastir, an den Seen herrscht Buschvegetation vor; manchmal
finden sich dichte, fast undurchdringliche Massen, sehr häufig sind
lockere Bestände: Gruppen von Büschen sind getrennt durch Flächen,
welche mit Gras und Kräutern bedeckt oder ganz vegetationslos sind. Und
die _Büsche_ sind meist klein und niedrig, rundlich geformt. An vielen
erkennt man bekannte Blätter, wie Brombeeren, Weißdorn, andere muten
fremdartig an, wie der stachliche Judendorn (+Patiurus aculeatus+ Lam.)
(Abb. 11) und die Stacheleiche (+Quercus coccifera+ L.). Andere sind
wir gewohnt als Bäume zu sehen, so weichblätterige Eichen, Feldahorn,
Hainbuchen. Dazwischen kommen in manchen Lagen Wachholderbüsche vor.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 11. Judendorn (+Paliurus
aculeatus+ Lam.) bei Kaluckova.]

Gerade im Frühling war die Fülle der Pflanzen und Tiere auf den Hügeln
unermeßlich. Die dunklen Büsche bestanden in der ganzen Gegend fast
ausschließlich aus einem dichten Gestrüpp mit harten, stachelichen,
glänzenden Blättern. Zunächst glaubte man etwas Ähnliches vor sich zu
haben, wie die Stechpalme des heimischen Schwarzwaldes. Sah man genauer
zu, so fand man eigenartige Blütenträubchen, manchmal jetzt noch
vertrocknet am Busch Früchte, die genau wie unsere Eicheln aussahen,
Körbchen und Eicheln lagen zum Teil noch vom Herbst am Boden herum und
später im Jahr waren die Büsche reichlich mit Eicheln bedeckt. Es war
also eine Eiche, die man wohl die _Stacheleiche_ nennen darf (+Quercus
coccifera+ L.), ein Gewächs, das keiner vergessen wird, der einmal in
diesem Gebiet gelebt hat (Abb. 12 und 16).

[Illustration: Dr. _Frischholz_ phot. Abb. 12. Bebuschte Hügel
(hauptsächlich +Quercus coccifera+) in der glühenden Sommersonne
Mazedoniens (bei Gradec).]

Jetzt im Frühling sah der Strauch, aus der Nähe betrachtet, sehr
reizvoll aus. Die neuen Zweige waren mit hellgrünen, am Rande rötlich
schimmernden, zarten Blättern bedeckt. Deren Stacheln waren noch weich,
so daß man ruhig mit vollen Händen hineingreifen konnte. Allerdings
mußte man dabei im Gebiet der jungen Sprosse bleiben; griff man in
die alten hinein, so zerstach man sich an deren scharfen Stacheln die
Finger abscheulich.

Zwischen den Büschen stieg ich die steilen Hügel aufwärts, bald am
Steilrand einer Schlucht, bald über eine scharfe Felsenkante, dann
wieder auf blütenreichem Wiesenpolster; wo Fußpfade und Herdenspuren
verfolgbar waren, zogen sie sich vielfach geschlängelt durch das
Stacheleichengestrüpp.

Mit den _Stacheleichen_ bildeten andere stacheliche, dornige Sträucher
die Gebüsche; alle hatten harte, glatte oder dickwollige Blätter.
Diese ausdauernden Sträucher waren durch allerhand Schutzmittel
gegen tierische Feinde geschützt. Sie alle besaßen Stacheln, Dornen,
Behaarung, zum Teil auch lederige Blätter. Trotz dieses Schutzes
zeigten sie besonders an dem jungen Zuwachs Anzeichen von Benagung
durch Weidetiere. Diese sind hier im Lande die grimmigsten Feinde der
ausdauernden Pflanzen. Vor allem die so viel gezüchteten Ziegen mit
ihrer unersättlichen Gefräßigkeit lassen keinen Baumwuchs, kein höheres
Buschwerk aufkommen, es sei denn die Pflanze durch gute Waffen gegen
die Zudringlichkeit des Tieres geschützt. Was sie vor Tieren schützt
ist vielfach gleichzeitig Schutz vor Austrocknung. Denn viele Feinde
bedrohen auf den mazedonischen Hügeln die Pflanzenwelt, und unter
ihnen ist neben den Ziegen die Trockenheit der Sommermonate wohl der
gefährlichste.

[Illustration: Abb. 13. Hügel bei Kaluckova im Frühling.]

Jetzt schon im Mai war die Erde auf den Hügeln von außerordentlicher
Härte und Trockenheit; riß man einen Grasbüschel aus, so war die an
seinen Wurzeln hängende Masse schon leicht staubig und sehr steinreich.
Es war erstaunlich, daß trotzdem eine solche Fülle von Pflanzen
im Hügelgelände wuchsen und blühten. Sie mußten besonders gegen
Austrocknung geschützt sein; die große Mehrzahl von ihnen waren zudem
ganz kurzlebige einjährige Pflanzen.

[Illustration: Abb. 14. Buschvegetation der Hügel bei Kaluckova.
Sommersanfang.]

Viele der Hügelblumen dufteten stark und an den windstillen
Maimorgen war die Luft von köstlichen Gerüchen erfüllt, in denen
eine mannigfaltige Insektenwelt schwirrte und summte. _Thymian_
und _Kamillen_ bildeten an vielen Stellen große Beete und Polster
zwischen Steinen und Gebüsch. Sehr auffallend war eine rosa-gefärbte,
großblütige Cistrose. Strohblumen, Labkräuter, Lichtnelken, Goldklee
mischten ihren Duft mit jenen. Verschiedene Kleearten, weiß und
rotblühend, waren von zahlreichen Bienen umsummt. Das waren meist
solitäre Bienen, welche in der Nähe im Boden bauten. An einzelnen
Stellen fand sich ein rundes Loch neben dem anderen im lehmigen Boden;
da flogen die Bienen unablässig ein und aus.

Der Artenreichtum der auf den Hügeln jetzt gerade blühenden
Pflanzenwelt war außerordentlich groß. Sie bildeten einen bunten
Blütenteppich von wunderbarer Pracht. Von einzelnen der Pflanzen fanden
sich an einzelnen Stellen große Bestände. So leuchteten an einem Abhang
große Flecken einer gelben Schafgarbe, neben ihnen war die Halde mit
einer roten Wicke bedeckt. Über diesen Blumen schaukelten im Morgenwind
die Ähren eines großen Zittergrases, die mindestens dreimal so groß
waren, als bei unseren deutschen Arten. Die großen herzförmigen Ähren
ließen ein leißes Rascheln ertönen, wenn der Wind sie bewegte. Zarte
Lichter wurden von ihrer matten, silberigen Oberfläche gespiegelt.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 15. Diptam (+Dictamnus albus+ L.
var. +macedonicus+ Borb.).]

Als ich die Hügel wieder hinabstieg, blieb mir Zeit, einige Pflanzen
genauer zu betrachten, denen ich beim Anstieg bei der Fülle der
Erscheinungen weniger Beachtung geschenkt hatte. Zarte phantastische
Blumen von rotvioletter Farbe bildeten prachtvolle Sträuße, die
einen betäubenden aromatischen Geruch ausströmten. Es war der Diptam
(+Dictamnus albus+ L. var. +macedonicus+ Borb.) (Abb. 15), bei uns in
Deutschland eine große Seltenheit an klimatisch bevorzugten Stellen.
Hier standen die Büsche in üppiger Fülle; die großen Sträuße, die
man von ihnen ins Quartier mitnahm, wurden durch die Stärke ihres
Geruchs bald unangenehm. Versuche auch bei dieser Form, wie es sonst
beschrieben wurde, das ausgespritzte ätherische Öl zu entzünden,
mißlangen mir bei der hier vorkommenden Art.

Einen eigenartig phantastischen Anblick bot eine Pflanze dar, die
unten an den Hügelhängen in großer Menge vorkam. Es war ein riesiger
Aronsstab, dessen purpurbraune Blüte in einem Strauß hellgrüner
Blätter steckte. Die Pflanze ragte meist über einen Meter hoch aus
Stacheleichenbüschen hervor, wie das nebenstehende Bild zeigt (Abb.
16). Eigenartig leuchtete der gelbgrüne Stempel auf dem tiefbraunen
Grunde des Becherinnern. Ein unangenehmer Aasgeruch entstieg dem Kelch,
in dem kleine Fliegen in Menge sich sammelten, um da die Befruchtung zu
vermitteln.

Wo man über die Hänge schaute, überall sah man die mächtigen
Pflanzen mit ihren Knospen und offenen Blüten emporragen. Fast nie
aber standen sie frei zwischen den Büschen, sondern die meisten
von ihnen ragten aus stachelichen Büschen hervor, meist aus denen
der Stacheleichen. Offenbar waren nur diejenigen Individuen dieser
Pflanzenart (+Dracunculus vulgaris+ Schott.) von den weidenden Tieren
verschont geblieben, welche innerhalb von Stachelsträuchern ausgekeimt
waren. Es mutete direkt wie ein Symbioseverhältnis zwischen den zwei
Pflanzen an, wenn man stets die zartblättrigen Aronsstäbe aus den
stachelichen Gebüschen herausschauen sah. Auch sonst habe ich nicht
selten in Mazedonien zarte Pflanzen in solcher Weise Schutz im Gehege
stachelicher Sträucher suchen sehen.

Über den Blumen schwebten zahlreiche Schmetterlinge, vor allem
Bläulinge, Weißlinge und Scheckenfalter. Die Arten waren den deutschen
Formen sehr ähnlich, doch ließen sich stets gewisse Unterschiede
erkennen. Ganz außerordentlich zahlreich flogen hier die Bienenarten.
Auf den Blüten versammelten sich Käfer, Blattwanzen, Schlupfwespen,
Fliegen verschiedener Arten.

[Illustration: Abb. 16. Aronsstab im Schutz der Stacheleiche
(+Dracunculus vulgaris+ Schott. in +Quercus coccifera+ L.).]

Zwischen den Pflanzen waren kahle Stellen, bedeckt mit Steinen, Erde,
Sand und Geröll. Dort war alles von einem eigenartigen Tierleben
erfüllt. Außer Bienen hatten im Lehm zahlreiche Raubwespen ihre Bauten.
Ameisen arbeiteten eifrig an ihren Erdbauten und es war auffällig
zu beobachten, daß so viele ihrer Arten in der Erde bauten; um die
Ausgänge ihrer Nester fand sich bei einer ganzen Anzahl nicht näher
untereinander verwandter Arten jeweils ein Ringwall von Bauschutt.
Steinchen und Sandkörner waren aus der Tiefe herausgeholt und um
den Nestausgang angehäuft. Man konnte das gleiche bei Arten von
+Messor+, +Tetramorium+ und +Cataglyphis+ beobachten. Offenbar
herrschte bei allen rege Bautätigkeit, denn überall sah man sie aus
den Nestern herauskommen und auf ihren Straßen wandern, die schwarzen
Körnersammler, die gelben Rasenameisen und merkwürdig bunt gefärbte, in
merkwürdiger Haltung sehr flink umherhuschende Cataglyphisarbeiter.

Wo in einer Mulde etwas Sand und Staub zusammengeblasen oder
angeschwemmt war, da hatten in dem lockeren Material _Ameisenlöwen_
ihre Trichter gebaut. Es waren weite, tiefe Trichter, an deren Grund
schon entwickelte große Larven saßen, die emsig Ameisen fingen. Wie
ich später feststellen konnte, waren es besondere, von den unserigen
abweichende Arten.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb 17. Fruchtstände von +Dracunculus
vulgaris+ Schott. Der eine normal, der andere abnorm verdoppelt. Im
Gebüsch von +Quercus coccifera+ L.]

Durch die Büsche strichen Buchfinken und Ammern. Würger saßen auf den
höchsten Zweigen. Eine Turteltaube stieg vor mir auf, während zwei
große Falken durch die Luft strichen.

Die Mittagssonne zitterte schon über der weiten Ebene bis zum Wardar,
als ich zu meinem Quartier wieder abstieg. Bald hatte ich an steilen
Felsen zu klettern, bald konnte ich eine Strecke über trockenen Rasen
zwischen den Büschen wandern. Vor mir breitete sich das Tal aus, in
welches weite Schuttdeltas der Bäche sich erstreckten, und wo zwischen
den Maulbeerhainen die Zelte und Baracken unserer Truppen hervorlugten.
Aus der Gegend des Doiransees hörte man Geschützfeuer. Zwei feindliche
Flieger schwebten zu meinen Häupten und erkundeten unsere Stellungen.

[Illustration: Dr. _Frischholz_ phot. Abb. 18. Sommerliche Schlucht
bei Gradec.]



DRITTES KAPITEL

DIE EBENE VON HUDOVA


Zwischen den Vorbergen der _Plaguša Planina_ und dem _Wardar_ dehnt
sich eine weite, fruchtbare Ebene aus. Sie ist offensichtlich
Schwemmland des Wardar, seiner Nebenflüsse und der Bäche, die ihm von
den Randbergen zuströmen. Vollkommen flach erstreckt sie sich auf eine
Länge von 10 km und eine Breite von 6-8 km. Ihre Längenerstreckung
geht in der Hauptsache von Nordwesten nach Südosten, so wie der Wardar
fließt, der sie südwestlich begrenzt. Jenseits, westlich des Flusses
begleitet ihn in kurzem Abstand ein reichgegliedertes Hügelland, hinter
welchem die bewaldete _Marianska Planina_ bis 1500 m ansteigt. Hinter
dieser Kette folgt ein malerischer Gebirgsstock, die _Mala Rupa_ und
_Dudica_, die über 2200 m emporsteigen, und noch im Juni auf der Nord-
und Ostseite mit Schnee bedeckt sind. Im Norden und Osten zieht sich
die _Plaguša Planina_ mit ihren stark verarbeiteten und zerschnittenen
Felsenhöhen von etwa 1000 m in sehr charakteristischer Umrißlinie
gegen _Valandova_ hin; zu diesem Städtchen senkt sich das Gebirge,
unterbrochen von einer Reihe allmählich niedrigerer Gipfel hinab. Auf
einem der letzten dieser Gipfel erhebt sich als weithin sichtbare
Landmarke die Ruine einer Türkenburg. Der letzte Gipfel der Kette ragt
als charakteristischer Vorsprung in die Hudovaebene hinein, wegen
seiner eigentümlichen Form hieß er bei unseren Truppen die Muhnase.
Angeblich sollte er diesen Namen der Ähnlichkeit mit der Nase des
Generals der Mu. (Munitionskolonnen) verdanken.

Am Hang der Plaguša Planina zieht sich eine Reihe von Dörfern
hin, _Kaluckova_ mit dem Seuchenlazarett, _Kalkova_ mit einem
Pferdelazarett, _Ahranli, Terzeli, Veseli, Piravo_ mit einem
Offizierserholungsheim. Alle liegen sie in Nischen des Gebirges,
beziehen ihr Wasser aus tief eingeschnittenen, hoch zum Gebirge
hinaufreichenden Schluchten. So sind sie meist malerisch von
Baumgruppen eingehüllt, unter denen schlanke Pappeln besonders weithin
sichtbar sind. Aber alle, am wenigsten noch _Piravo_, hatten stark vom
Krieg gelitten und die weithin schimmernden Häuser, welche die Dörfer
so reizvoll und anziehend erscheinen ließen, waren meist Ruinen wie in
Kaluckova.

Die ganze Ebene stand im späten Frühling in grüner Pracht, die aber
nur ein schwacher Abglanz von ihrem Zustand im Frieden sein konnte;
denn viele der Pflanzungen lagen jetzt brach und waren verwildert.
Vom Rand der Hügel bis weit in die Ebene hinein zogen sich stattliche
_Weingärten_, die reichlich Knospen und aufgehende Blüten trugen.
Obgleich an vielen Stellen Spuren von Reblausbefall bemerkbar waren,
brachten die Reben im Herbste reichen Ertrag, der in dem herrenlosen
Gebiet den bulgarischen und deutschen Truppen sehr zugute kam. In
der Ebene selbst nehmen Pflanzungen von _Maulbeerbäumen_ den größten
Raum ein. In geraden Reihen durchzogen die Bäume weite Flächen; man
sah ihnen noch die frühere, regelmäßige Beschneidung an. Meist war
der Stamm in 1½ m Höhe beschnitten und strahlte ähnlich wie unsere
Kopfweide von einer keulenförmigen Anschwellung in dieser Höhe einen
Büschel von langen Ruten aus. Einzelne der Bäume trugen jetzt schon
reife Beeren, die süß und saftig waren und bei den heißen Wanderungen
über die Ebene eine angenehme Erquickung boten.

[Illustration: Abb. 19. Ebene von Hudova und erste Hügel mit
Buschvegetation im Hochsommer.]

In der zweiten Maihälfte war es schon recht heiß geworden; am
Nachmittag waren regelmäßig schon 22-27° C im Schatten zu messen,
also Temperaturen, bei denen unsere Schulkinder zuhause schon
„Hitzferien‟ gehabt hätten. Ein wunderbarer blauer Himmel wölbte sich
über der Ebene, meist am Nachmittag von großen weißen Wolkenballen
durchsegelt, welche mächtige Schatten auf die umgebenden Berge warfen.
Seufzend wanderte mein tüchtiger Bursche an meiner Seite, ein braver
Bergwerksarbeiter vom Niederrhein namens _Saddeler_. Das war die
erste Hilfe, die mir die Armee zugewiesen hatte. Er versorgte mich
gut und faßte sofort Interesse für meine Tätigkeit, wanderte flott
und eifrig mit mir durch das Land, wenn auch für seine Bergmannsaugen
das Sonnenlicht Mazedoniens eine neue Gewöhnung erforderte. Ich
erinnere mich gern an den tüchtigen Mann, der nach einigen Wochen zur
Bergwerksarbeit heimgerufen wurde und mir von dort noch öfter Nachricht
schickte.

Als ich die Ebene von Hudova durchstreifte, begleitete mich Saddeler
zum ersten Mal und war fleißig mit mir auf der Jagd nach Insekten.
Stundenlang konnte man durch die Maulbeerpflanzungen wandern, behindert
nur manchmal durch die verwilderten Hecken. Hier war es einsam und
die fleißigen Arbeiter fehlten, die sonst im Dienste des Seidenbaues
emsig tätig gewesen waren. Im unteren Wardartal war ein Zentrum der
_Seidenkultur_ des Balkans gewesen. Die Maulbeerbäume lieferten das
Laub als Futter für die Raupen des Seidenspinners und wurden von der
hier im Gebiet schon stark mit Griechen vermischten Bevölkerung fleißig
gepflegt. Die Dörfer am Rande der Ebene, so besonders _Piravo_, lebten
vom Seidenbau und in vereinzelten Häusern konnte man jetzt auch im
Kriege noch die Hürden mit Raupen bei der Fütterung und mit den Puppen
in ihren Kokons in den Händen der Leute sehen. Aber im großen und
ganzen ruhte der Seidenbau und die großen weißen Häuser von _Gewgeli_,
dem Zentrum des Seidenhandels, die man von den Höhen aus fern am
Wardar im Süden schimmern sah, waren zerschossen und die ganze Stadt
verödet. Zwischen den Maulbeerbäumen der Ebene von Hudova weideten
große Herden von Ziegen, Rindern und Pferden, die jetzt am Boden noch
reichlich Futter fanden. Später im Jahr jedoch, wenn Gras und Kräuter
verdorrt waren, da sah man die Weidetiere an den Maulbeerbäumen sich
das letzte Grün holen. Es war ein bizarrer Anblick, wenn magere Rinder
und Ziegen, selbst Pferde mit den Vorderbeinen in die Bäume stiegen
und von den obersten Zweigen die Blätter abrupften.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 20. Frühlingswiese mit
Granatapfelbusch bei Kaluckova.]

Teils unter den Maulbeerbäumen, teils zwischen ihnen dehnten sich
prachtvolle Felder von _Roggen, Weizen, Gerste_ und _Hafer_ aus, welche
im Jahre 1918 durch die Arbeit unserer Truppen gewaltig zugenommen
hatten. Der sandige Schwemmboden des Hudovatals trug reiche Frucht,
wenn er gut bearbeitet wurde. Dabei war in vielen Gewannen künstliche
Bewässerung notwendig. In der Ausnützung der Schluchtbäche, der
Nebenflüsse des Wardar und dieses Flusses selber haben unsere Soldaten
viel von den Bulgaren gelernt, welche auf diesem Gebiet ausgezeichnete
Fachleute sind.

Manche Teile der Ebene glichen einem reichen Garten; da rankten an
den Maulbeerbäumen die Reben hinauf und zwischen ihnen waren Tomaten,
Zwiebeln, Bohnen angepflanzt. Die Reben wurden hier im Gebiet
hauptsächlich zur _Rosinenerzeugung_ gezogen. Wie ein Mittelpunkt des
Seidenhandels, so war _Gewgeli_ auch eine Stätte des _Rosinenhandels_
gewesen. Der Wein blühte hier zwischen dem 15. Mai und 1. Juni; die
Trauben reiften von Ende Juli an und hielten sich bis tief in den
Herbst hinein. Die Bevölkerung des Tals hatte unter den relativ
ruhigen Verhältnissen während unserer Besetzung den Anbau immer mehr
aufgenommen. So sah man oft Männer, Frauen und Kinder schon in der
ersten Morgenfrühe und bis spät in die Nacht auf den Feldern arbeiten.

[Illustration: Abb. 21. Blühendes Mohnfeld. Mitte Mai bei Valandova
1918.]

Besonders auffallend war für unsere deutschen Augen der Anbau von
zwei Ackerpflanzen, von _Mohn_ und _Baumwolle_, die hauptsächlich im
südöstlichen Teil der Ebene, gegen _Piravo_ und _Valandova_ hin, viel
gepflanzt wurden. Die blühenden _Mohnfelder_ gehörten in der ersten
Maihälfte zu den köstlichsten landschaftlichen Reizen dieser Gegend
(Abb. 21). Unter den zartgrünen, von Weinlaub umrankten Maulbeerbäumen
dehnten sich weithin die Felder mit den stattlichen, über 1 m hohen
Mohnpflanzen aus, deren weiße und violette gefüllte Blüten sich
gravitätisch im leichten Winde wiegten. Wie schimmerten die Felder
silberig mit ihrem milchiggrünen Laub, wie bunt und heiter hoben sie
sich von den dunklen Bäumen, die sie umrahmten, und von dem zarten
Blau der fernen Berge ab. Welch zarte Abtönung der Farbe zeigten die
Blütenblätter mit ihren welligen Rändern.

[Illustration: Abb. 22. Mohnfeld mit vielen Kapseln. Bei Valandova Ende
Mai.]

Ende Mai war der _Mohn_ verblüht und jeder Stengel trug wie ein
gekröntes Haupt die dicke grüne Kapsel (Abb. 22), welche nun von den
fleißigen Bauern, die vorher an den Mohnfeldern durch Hacken und
Unkrautbekämpfen schon reichlich Arbeit geleistet hatten, „geringelt‟
wurden. Das ist eine mühsame Arbeit, die sehr sorgfältig ausgeführt
werden muß. Jede Kapsel bekommt einen wagerechten Ringschnitt, der
nicht ganz herumgeführt wird. Meist werden mehrere Schnitte gemacht.
Aus der Wunde fließt ein milchiger Saft hervor, der harzig gerinnt,
meist nach einem Tage abgenommen und zu Klumpen zusammengeballt wird.
Diese werden dann zu einer Art Kuchen zusammengeknetet und stellen
eines der wichtigsten Landesprodukte dar. Aus ihnen werden _Opium_,
_Morphium, Morphin_ und all die wichtigen Arzneimittel hergestellt, die
von diesen Substanzen abgeleitet sind. Es war für unsere Kriegsführung
von der größten Bedeutung, daß wir ein Opiumland in der Hand hatten. So
gefährlich dies Produkt der schönen Pflanze als Gift und Genußmittel
ist, so segensreich hat es sich bei Hunderttausenden von Verwundeten
als Mittel zur Narkose und Schmerzlinderung erwiesen. Das Rohprodukt
wurde nach Deutschland geschafft und in dessen chemischen Fabriken
weiterverarbeitet.

Die Fruchtkapseln, welche das Opium geliefert haben, sind noch
imstande, Samen zu reifen. So sieht man denn im Juni die Felder gelb
und braun werden. Schüttelt man die Kapseln, so rasselt es, als seien
Schrotkörner darin. Die kleinen, schwarzen Samen werden geerntet
und aus ihnen ein sehr gutes _Öl_ gewonnen, von dem manche Flasche
von unseren Soldaten zur Erleichterung der Fettnot nach Deutschland
geschickt wurde. So stellt die Mohnpflanze mit ihrer doppelten Ernte
ein sehr wichtiges, kostbares Landesprodukt Mazedoniens dar. In der
Menge der Produktion wird Mazedonien allerdings von Kleinasien, Indien
und China bei weitem übertroffen.

Nicht so wichtig, aber immerhin ein interessantes Erzeugnis der
fruchtbaren Erde Mazedoniens ist die _Baumwolle_. Sie wird hier im
Lande in einer einjährigen, krautigen Form gezogen. Im Frühjahr
erinnert eine Pflanzung fast an ein Kartoffelfeld, später im Herbst,
wenn die Kapseln platzen und der dicke Wattebausch aus den Spalten
quillt, dann sieht sie ganz eigenartig und ungewohnt aus, allerdings
nicht so schön als in den Tropen; denn im trockenen Land Mazedonien
pflegt im Spätsommer alles zu verstauben.

Vor allem im Jahre 1917 gab es zwischen den Feldern noch viele
brachliegende Strecken. Da blühten bunte Blumen und um sie wimmelte
eine reiche Insektenwelt. Große Büsche von roten Wicken und grelle
Flecken einer gelben Wolfsmilchart waren neben Brombeer- und
Weißdornbüschen die häufigsten Pflanzen. _Bockkäfer_ und schwarze
_Blattwespen_ saßen in dichten Scharen auf der Wolfsmilch. Um die
Weißdornbüsche flatterten _Schmetterlinge_ in großen Scharen, die
vollkommen unseren einheimischen Formen glichen. Da herrschte,
entsprechend seiner Futterpflanze, der _Heckenweißling_ (+Aporia
crataegi+ L.) vor, von dem ganze weiße Wolken die Hecken umschwebten.
Fast ebenso häufig waren die _gelbe Acht_ (+Colias croceus+ Foure)
und der _Distelfalter_. Letzterer (+Vanessa cardui+ L.) ist in dem
distelreichen Lande Mazedonien geradezu der Charakterschmetterling.
Überall findet man ihn, auf Feldern und Wiesen, an den Flußufern,
in den Schluchten, im Gebirge. Hier in der Ebene war er massenhaft
vorhanden. In großen Mengen flog auch der Grasfalter +Pararge Megaera+
L.

Auf Brachfeldern wuchsen in üppiger Pracht _Kornblumen_ und _roter
Mohn_, die man hier im Lande oft schon im April blühen sieht. Mit
ihnen kommen Doldenpflanzen reichlich vor. Das war der Tummelplatz
vieler _Blattwespen_ und _Schlupfwespen_. _Bienen_ sammelten den
Blütenstaub des Mohns oder schnitten dessen rote Blumenblätter. An
den Wegen sah man sie ihre Löcher im Boden bauen. Auch andere Formen
von Solitären flogen hier (Abb. 22 b). Über ihren Baustätten strichen
in brummendem Flug Hummelfliegen aus der Familie der _Bombyliden_.
In raschem Zickzackflug flogen braungraue _Wollschweber_ (+Bombylius
fuliginosus+ Wd. und +punctatus+ Fb.) um die Blüten, mit ihrem
langen Rüssel in diese hineinlangend, während _Trauerschweber_ mit
düster gefärbten Flügeln über den lehmigen Pfaden hinflogen, die
Bienenlöcher aufsuchend, in denen sie ihre Eier an den Bienenlarven
ablegen (Anthraxarten, +A. fenestrata+ Fabr., +A. polyptermes+ Mg.
und andere). Diese Fliegengattungen schmarotzen im Larvenzustand an
Schmetterlingsraupen und vor allem an Bienenlarven. Zwischen den
Büschen huschte eine wenig scheue, große, gutfliegende Heuschreckenart
umher. Auf den Blüten tummelte sich ein reiches Leben von Käfern und
Blattwanzen. Zwischen den Gräsern liefen langbeinige Weberknechte in
großen Scharen umher. Es waren dies +Zachus crista+ Brüll., eine große
Art mit weißem Strich über dem Rücken und hell geringelten Beinen,
sonst ganz schwarz, und eine kleinere hellere Form +Metaphalangium
propinquum+ (_Lucas_). Es freute mich, diese Tiere zu erbeuten, denn
der Spinnenkenner Dr. Roewer hatte vor der Ausreise mich wissen lassen,
daß keine einzige Art von Weberknechten bisher aus Mazedonien bekannt
sei.

[Illustration: Abb. 22 b. +Halropa tarsata+ Spm. Solitäre Biene.]

Im Weißdorn und den Heckenrosen jagten die Würger nach Insekten,
_rotrückige_ (+Lanius collurio collurio+ L.) und _rotköpfige_ (+Lanius
senator senator+ L.) und der große _Schwarzstirnwürger_ (+Lanius minor+
Gm.). Grasmücken sangen im dichten Gebüsch; häufig waren mit ihnen die
Nachtigallen. Ganze Schwärme von Sperlingen balgten sich mit Gold- und
Grauammern herum. Hier im Süden Mazedoniens trat Ende Mai in Menge ein
prachtvoller Vertreter der Ammern, die goldfarbene _Kappenammer_ mit
ihrer dunklen Sammetmütze auf (+Emberiza melanocephala+ Scop.).

Drei Arten von Spatzen traf ich in Mazedonien an, den gemeinen
_Haussperling_ (+Passer domesticus domesticus+ L.), der häufig große,
wie Webervogelbauten aussehende Gemeinschaftsnester baute. Noch
häufiger war der _Feldsperling_ (+P. montanus montanus+ L.), der vor
allem die Dörfer bewohnte. Der _Steinsperling_ jedoch (+Petronia
petronia macrorrhynchus+ Brehm) war viel seltener und fand sich vor
allem in den großen Felsenschluchten.

Die _Nachtigall_ im Wardartal ist +Luscinia megarhynchus+ Br.

_Grasmücken_ gab es eine ganze Anzahl Arten. Wir konnten in der
Umgebung von Kaluckova die _Mönchsgrasmücke_ (+Sylvia atricapilla
atricapilla+ L.), die _Dorngrasmücke_ (+S. communis communis+ Lath.),
die _Zaungrasmücke_ (+S. carruca carucca+ L.) und die _Bartgrasmücke_
(+S. cantillaus albistriata+ Brehm) nachweisen. Von Ammern herrschten
vor die _Zirlammer_ (+Emberiza cirlus+ L.) und die _Zippammer_
(+Emberiza cia cia+ L.).

Auf den Wegen, am Pferdemist, war eine muntere Tätigkeit der
_Pillendreher_ im Gange. Zwei Arten waren es hauptsächlich, die man
hier oft nebeneinander fand. Die eine Form war, wie ich im nächsten
Jahr feststellte, schon früh im April bei der Arbeit; das war +Sisyphus
Schaefferi+ L., der Pillenwälzer, von dem oft Hunderte sich an einem
Kuhfladen zu schaffen machten. Erst viel später im Jahre kam der große
heilige Pillendreher (+Ateuchus sacer+ L.) und mit ihm +Scarabaeus
piles+ Illig, dieses Charaktertier der Mittelmeerländer aus seinem
Erdloch hervor. Überall waren sie in Mengen auf den sandigen Straßen,
auf denen die Herden der Pferde ihren Kot hatten fallen lassen. Da sah
man viele der glänzend schwarzen Käfer ihre großen Pillen aus Pferdekot
die Straße entlang seitwärts auf die Wiese rollen und da in ein nicht
sehr tiefes Erdloch hineinschaffen.

In der heißen Mittagssonne war ein lebhaftes Treiben um die Kothaufen
am Wege. Die kleinen +Sisyphus+ ließen sich leicht vertreiben, flogen
dann auf und schwirrten mit Gesumme ab, um bald wiederzukehren und
den ganzen Kothaufen wieder mit ihren Leibern zu bedecken. Die
_großen Pillendreher_ waren schwerer in Bewegung zu bringen. Aber
auch sie kamen oft brummend und summend weither angeflogen, setzten
sich an einem Kothaufen nieder und fingen bald an, mit Kopfschild und
Vorderbeinen den Kot zusammenzuschaufeln. Sie schafften ihn unter ihren
Körper, ballten ihn zusammen und rundeten ihn unter steter Arbeit der
zwei hinteren Beinpaare zu einer immer glatter werdenden Kugel ab.
Diese rollten sie dann in emsiger Arbeit über den Weg, am liebsten an
den Hang des Hügels zwischen die Wiesenpflanzen. Dort gruben sie Löcher
in die Erde, in welche sie ihre Kugel schafften, um unter dem Boden
in schützender Höhle mit aller Ruhe ihre Beute zu verzehren. Verdient
war diese Ruhe wohl, denn welche Arbeit hatten die seltsamen Tiere
beim Heranrollen ihrer Mistkugel geleistet, die ihnen oft den Hügel
wieder heruntergerollt war, um dort in die Hände eines Mitbewerbers
zu fallen, wenn es einem solchen nicht vorher schon gelungen war, sie
ihm in scheinbar gemeinsamer Wälzarbeit zu entwenden. Die Bereitung
der eigenartigen Brutnahrungsbirne aus Kot, welche der französische
Entomologe _Fabre_ beschrieben hat, in deren Nische der Käfer sein Ei
ablegt, konnte ich nie beobachten; allerdings hielten mich davon die
vielen anderen Tiere mit ihren Problemen ab, die ich studieren wollte.

Tiere, welche man im Frühsommer im ganzen Gebiet häufig antraf, welche
auf blühenden Pflanzen und auf Bäumen saßen, die man leicht von Büschen
herunterschütteln konnte, waren die bunten _Baum-_ und _Blattwanzen_.
Viele von ihnen waren auch ganz seltsam gestaltet.

Sie gaben zu manchen Beobachtungen Anlaß, und so will ich einiges von
ihnen berichten. Ich verdanke die Bestimmungen Herrn Dr. _Schumacher_.
Die Formen sind vielfach tiergeographisch sehr interessant, indem sie
wie in anderen Gruppen die Zusammensetzung der mazedonischen Fauna aus
südlichen, nördlichen und östlichen Elementen erkennen lassen.

Von _Schildwanzen_ ist eine Form zu erwähnen, welche auf den auf S. 189
Abb. 100 abgebildeten _Echium_stauden häufig vorkam. Es ist ein großes
braunes Tier mit weißen Punkten an der Oberseite übersät. Bei Berührung
läßt es sich sofort fallen und verschwindet vollkommen zwischen den
braunen verwelkten Wurzelblättern der Stauden, welche die gleichen
weißen Punkte zeigen. Der wissenschaftliche Name der Art ist +Psacacta
exanthematica+ Scop.

Ein interessanter Fund war +Leprosomatessa (Leprosoma) carinata+ Mont.,
eine flache sandfarbene Art, ein ausgesprochenes _Steppentier_, das
bisher außer in der Walachei und im Banat noch nirgends gefunden worden
war. Auf Disteln und Flockenblumen fand sich eine _Blumenwanze_ mit
stark vortretenden Seitenecken des Vorderrückens und fünf geschwungenen
erhabenen Leisten auf der Oberseite (+Ancyrosoma leucogramma+ Gmel.).
In geradezu überwältigenden Mengen lebte auf Kirschbäumen und
Pflaumenhecken +Apodiphus amygdali+ Germ., eine vorderasiatische Art.
An Mengen wetteiferte mit ihr auf Disteln +Carpocoris purpureipennis+
Deg. und die Beerenwanze +Dolycoris baccarum+ L.

Bemerkenswert war das Vorkommen von +Nezara+-Arten, welche in den
Tropen und Subtropen weit verbreitet sind, so +N. viridula+ L.
und +N. (Acrosternum) heegeri+ Fieb., welch letztere z. B. aus
Deutsch-Ostafrika bekannt ist.

Ein wichtiger Fund bei Kaluckova war +Opisthotaenia fulvipes+ Reut.,
die neu war für den europäischen Kontinent und nur aus Kaukasien und
Kleinasien bekannt war.

Habe ich schon oben Formen von Wanzen erwähnt, welche ihrer Umgebung
auffallend ähnlich sind, so möchte ich ihnen noch eine Form hinzufügen,
+Phyllomorpha laciniata+ Vill., eine _Blattwanze_, deren Gestalt
durch Fortsätze am Rand und deren graubraune Färbung sie einem
verschlissenen, verdorrten Blatt ähnlich machte.

An dieser Stelle will ich noch zwei Fälle auffallender Ähnlichkeit
von Insekten mit Tieren und Blumen erwähnen, die ich in Mazedonien
beobachtete. Die eine betrifft einen Käfer aus der Gattung +Necydalis+,
den ich auf der Plaguša Planina fing, und welcher einer Wespe mit
dünner Taille in Farben und Formen ganz außerordentlich ähnlich sah
(Abb. 22 c).

Noch merkwürdiger war eine Beobachtung am Wardar oberhalb _Demirkapu_.
Dort wuchs an lichten Stellen im Weidengebüsch eine stark behaarte
Pflanze mit leuchtend violetten Blüten (+Anchusa hybrida+ Tenn.).

[Illustration: Abb. 22 c. +Necydalis panzeri+ Herold. Wespenähnlicher
Käfer.]

Auf dieser Pflanze fingen wir eine ganze Anzahl kleiner Schmetterlinge,
tagfliegende Eulen (+Janthina friwaldszkyi+ Dup.), welche in Größe und
Ton und Charakter der Farbe aufs täuschendste den Blüten der Pflanze
glichen. Sie setzten sich stets nach kurzem Flug auf die Pflanze in die
Region der Blütenstände, fast stets auf die violetten Blüten selber
(Abb. 22 d).

Ich bin geneigt, die offenbare Anlockung durch die Blütenfarbe in
ähnlicher Weise zu deuten, wie ich sie schon früher bei anderen Tieren
in einem allgemeineren Zusammenhang zu erklären suchte. Ich vermute,
daß die kleinen Schmetterlinge beim Flug zu den Blüten die Farbe
aufsuchen, welche ihr eigener Körper trägt und daß dies der Vereinigung
der Geschlechter dient. An anderer Stelle dieses Buches erwähne ich,
daß auch andere Schmetterlinge durch den Duft von Blüten angelockt
werden, ohne dort Nahrung zu suchen, nur um in beiden Geschlechtern
sich dort zur Begattung zu treffen. Und dort erwähne ich auch, daß die
+Pappatacci+-Männchen dem Geruch des Menschen nachfliegen, obwohl sie
sein Blut nicht saugen. Sie tun dies nur, um dort ihre Weibchen zu
finden, die allnächtlich, um Blut zu saugen, die Menschen aufsuchen.

[Illustration: Abb. 22 d. +Janthinea friwaldszkyi+ Dup. Blaue Blumen
befliegende Tageule.]

Im Süden begrenzt die Ebene von _Hudova_ eine Kette hoher Hügel,
welche von kurzem Buschwerk bewachsen und von vielen tiefen Schluchten
durchzogen sind. Die Hügelkette zieht sich ziemlich gerade von Osten
nach Westen, bis sie gegenüber von _Miletkovo_ mit einem steilen
Absturz am Wardar abbricht. Ihr entlang zieht, etwa 1-2 Kilometer
nördlich von ihr, ein kleiner Nebenfluß durch die Ebene, der sich auch
gegenüber _Miletkovo_ mit dem Wardar vereinigt; es ist der unweit
_Dedeli_ beim _Hain Mamre_ in einem mächtigen Quell entspringende
_Kozludere_, der nach Aufnahme einer Reihe von Süd und hauptsächlich
von Norden ihm zufließender Nebenbäche als _Bojimiadere_ sich in den
Wardar ergießt. In der Umgebung seiner Mündung ist die Ebene fruchtbar.
Dickichte von Weiden und Erlen umrahmen schöne Durchblicke auf die
das Tal umgebenden Gebirge. Einzelne riesengroße, uralte Bäume, vom
Talwind alle nach einer Seite gebeugt, waren ganz eigenartige und
seltene Erscheinungen in diesem Lande. Es waren teils Eichen, teils
Rüster. Ich habe oft ihre charaktervollen Formen bewundert, wenn ich am
späten Nachmittag durch die Ebene dem Abendhimmel entgegen wanderte.
Solche Glut und Farbenpracht des Sonnenuntergangs wie in diesem Winkel
des Tals bei _Mravinca_, habe ich in meinem Leben nicht oft genossen,
obwohl das Schicksal mich nicht selten an schönste Stellen der Erde
geführt hat. Mein Ziel bei diesen Wanderungen war neben dem Genuß der
schönen Landschaft zoologische Beobachtung. Ich wollte feststellen,
welchen Vogelarten die alten Riesen als Schlafbäume dienten. Wo ein
großer Baum in Mazedonien aufragt, wird er von Vögeln als Nachtquartier
aufgesucht und je einsamer so ein Baum steht, um so eigenartigere
Gäste kann man auf ihm vermuten. Steht er am Rande einer Stadt oder in
einem Dorf, so ist man in Mazedonien sicher, jeden Abend hunderte, ja
tausende von _Dohlen_ in ihm einbrausen zu hören. Der Himmel verdunkelt
sich, wenn sie in Scharen ankommen und ihr kreischendes Geschrei
die Luft erfüllt. Meist begleiten sie, ebenfalls in großer Anzahl,
_Saatkrähen_ und _Nebelkrähen_, die nicht weniger geräuschvoll sind.

Die Rabenvögel Mazedoniens, welche wir in dieser Gegend feststellten,
gehörten zu folgenden Formen: Die _Dohle_ (+Coloeus monedula
soemmeringi+ [Fisch.]), die _Saatkrähe_ (+Corvus frugilegus frugilegus+
L.), die _Nebelkrähe_ (+Corvus cornix pallescens+ Mad.).

Ist die Gegend etwas einsamer, steht der alte Baum etwa nur neben
einem stillen Gehöft, so dient er auch edleren Gästen als nächtliche
Ruhestätte. Dann sammeln sich wohl auf seinen höchsten Ästen Bussarde,
Habichte, Falken der verschiedenen Arten. Meist hält aber dann jeder
einzelne seinen Ast für sich allein besetzt und jagt einen verspäteten
Ankömmling erbarmungslos davon. Auf den Baumriesen in der Ebene des
Wardar konnte man im Anfang der Besetzung durch die verbündeten Heere
oft mächtige Nachtgäste aufbäumen sehen. Da saßen in ihren Kronen die
häufigen _Kaiseradler_ und gelegentlich einmal ein _Steinadler_; vor
allem aber seltsam und eindrucksvoll waren die großen _Geier_, von
denen _Mönchsgeier_ und _Gänsegeier_ nicht selten in der Dämmerung
in den höchsten Ästen sich niederließen. Es war ein phantastischer
Anblick, wenn durch die mächtigen Körper der riesigen Vögel bizarr
verändert der Umriß des Baumes gegen den bernsteingelben Abendhimmel
sich abhob. Wie Bildsäulen standen die Geierkörper in dem schimmernden
Glanz. Von Zeit zu Zeit erhoben sie sich von ihren Sitzen und
entfalteten ihre mächtigen Flügel, deren gespreizte Schwungfedern
als dunkle Silhouetten sich von der goldenen Fläche einzeln abhoben.
Senkten sie sich dann wieder auf die Kronen der Bäume nieder, so
schienen sie auf die Hälfte der früheren Größe zusammenzuschrumpfen,
wenn sie ihre Flügel zusammenfalteten und den langen mageren Hals
einzogen.

Je länger der Krieg dauerte, je öfter von Soldaten und Offizieren
auf die großen Vögel gejagt wurde, um so seltener kamen sie in
die Wardarebene. Umso schwerer war es, an die freistehenden Bäume
anzuschleichen, um sie zu beobachten und zu erlegen. Da nützten die
wohlmeinenden Befehle unserer obersten Heeresleitung nicht viel,
durch welche der Abschuß der großen Vögel im Interesse des Schutzes
der „Naturdenkmäler‟ immer wieder unseren Truppen verboten wurde. Die
Offiziere verhinderten zwar vielfach ihre Mannschaften am Abschuß der
Adler und Geier; aber sie selber und die Ärzte der Lazarette konnten
oft dem Jagdeifer nicht widerstehen und schlichen sich abends an die
Schlafbäume heran, von denen mancher stolze Adler und stattliche Geier
heruntergeschossen wurde. Und alle Schonung durch das deutsche Heer
konnte nicht viel nützen, denn gedankenlos wurde von den Bulgaren, in
deren Interesse wir sie schonen wollten, alles was auffallend war,
weggeknallt.

So waren denn schon im Sommer 1917 die meisten Schlafbäume verlassen;
später waren viele von diesen stolzen, schönen Produkten jahrhunderte
langen Wachstums der Holznot der Truppen zum Opfer gefallen. _Geier_
und _Adler_ kamen nunmehr selten ins Tal. Aber immer noch konnte man
täglich mehrere Paare der mächtigen Tiere, fast immer Männchen und
Weibchen gemeinsam, die weite Ebene überfliegen sehen, wenn sie von
einem Gebirge zum anderen flogen, in welchem sie ihre Schlupfwinkel
hatten, wo sie brüteten und vor Nachstellungen sicher waren. Die
Erinnerung an manche mazedonische Landschaft ist mir unzertrennbar
verknüpft mit dem Flugbild der stetig und rasch mächtige Weiten
durchfliegenden Raubvögel, die in wenigen Stunden von Griechenland
bis nördlich der Donau reisten, Kleinasien, die Dardanellen und
Albanien besuchten und über all den Kriegsschauplätzen majestätisch
hinschwebten, auf denen die Heere der Welt verteilt waren. Dann und
wann senkten sie sich nieder, um aus den Armeeschlächtereien, aus den
Abfallplätzen der Truppenlager, an Heerstraßen oder auf Schlachtfeldern
sich ihre Beute zu holen, ein Geschäft, an das in diesem Teil der
Welt seit Jahrtausenden jede Generation der Aasvögel sich wieder hatte
gewöhnen können.

[Illustration: Abb. 23. Haus mit Storchennest in Piravo.]

In dem feuchteren Teil der Ebene, gegen _Mravinca_ zu, sah man oft
große Herden von _Störchen_ durch Sumpf und Felder stelzen. Zwanzig
bis dreißig waren ihrer häufig und manchmal mochten es selbst ihrer
Hunderte sein, die man in einem Abschnitt der Ebene beieinander sah.
Es war ein reizvoller Anblick, wenn die großen, schwarz-weißen Vögel
mit ihren roten Beinen durch das hohe Gras und Schilf der sumpfigen
Strecken stolzierten, bald tief geduckt am Boden suchten, bald den
roten Schnabel hoch in die Luft warfen. Dann und wann ging ein
mächtiges Klappern vieler Schnäbel los. Das war die Zeit, wenn sie
ihre Jungen aus den Nestern hinausführten, und sie lehrten, ihre Beute
zu finden und zu fangen. Rings um die Ebene fanden sich auf Bäumen
und auf den Dächern der Häuser viele Storchennester. Nicht nur im
Sumpf zwischen Binsen, Schwertlilien und anderen Sumpfpflanzen wateten
die Störche umher, auch auf den trockenen Feldern wetteiferten sie
an Farbenpracht mit den Kornblumen, dem wilden, roten Mohn und den
Kamillenflächen. Dort waren sie eifrig hinter Eidechsen und vor allem
Heuschrecken her, die mit dem fortschreitenden Sommer heranwuchsen und
allmählich eine sehr lohnende Beute darboten.

So viel _Frösche_ die Störche auch fingen, man hatte doch den Eindruck,
daß es deren nicht weniger wurden, wenn man nachts durch die Ebene
wanderte. Wenn der Vollmond sein Licht durch die Büsche schickte
und die fernen Felsengrate der Gebirge silbern aufleuchteten, dann
schallte über die Ebene das gewaltige Konzert der Frösche. Ungeheuer
viel von diesen Tieren mußte es hier geben, denn es klang wie ein
gewaltiges Riesenorchester, was da aus dem Sumpfe erscholl. Die
Stimme des häufigsten mazedonischen Frosches klingt anders als die
unserer Frösche, obwohl die _Rana ridibunida_ Pall., der mächtig
große Frosch dieses Landes, unserem Teichfrosch sehr nahe steht.
Aber sein gewaltiges, sonores Lachen und Meckern, das ihm den Namen
des _Lachfrosches_ gebracht hat, ist eine eigenartige, volltönende
Melodie, die in stiller, einsamer Nacht einen großen Eindruck macht.
Mein getreuer Mitarbeiter und Begleiter, der tüchtige Herpetologe
Prof. _Lorenz Müller_, stand seinen Lieblingen und Opfern so nahe,
daß er wundervoll und täuschend ihre Stimmen nachmachen konnte. Hatte
er unsere Gesellschaft durch sein Gequake in heiterste Stimmung
versetzt, so konnten wir alle nicht mehr anders, als mit freundlichen
Erinnerungen des mazedonischen Lachfrosches gedenken.

Einen Vogel, der in der Ebene von Hudova durch sein massenhaftes
Auftreten einen besonderen Eindruck machte, möchte ich nicht vergessen.
Es ist das der _Truthahn_, der auf dem Balkan sehr viel als Haustier
gezüchtet wird. Während man ihn bei uns meist nur in einzelnen Paaren
im Bauernhof zu sehen pflegt, wird er hier im Süden in großen Herden
auf die Weide getrieben. 400-500 Truthähne und Truthennen mit ihren
Kücken wanderten oft durch die Büsche und Maulbeerhaine. In langen
Reihen liefen sie hintereinander und wenige Kinder genügten, um sie
zusammen zu halten, auf die Weide hinaus und sicher in die Dörfer nach
Hause zu treiben, wo sie mit den Hühnern auf den Bäumen übernachteten.
Ein buntes, malerisches Bild war solch eine Putenherde, wenn sie,
geleitet von den farbig gekleideten Mazedonierkindern durch das
blühende Unkraut, die Kornblumen und den Mohn, geschäftig, den Schnabel
am Boden, dahinliefen. Mancher solche Truthahn, um teures Geld gekauft,
wanderte mit dem Urlauber in das hungernde Deutschland.



VIERTES KAPITEL

MRAVINCA UND SEIN FELDLAZARETT.

MAZEDONISCHE SCHILDKRÖTEN UND FISCHE.


Wie viele schöne Erinnerungen, menschliche und wissenschaftliche
Eindrücke weckt mir der Name _Mravinca_. Von Kaluckova waren es etwa
zwei Stunden Wagenfahrt über die Ebene südlich nach Mravinca. Von
weitem schon, gleich nach der Ausfahrt, sah man über die ganze Ebene
hinweg das weiße Schwesternhaus blinken, das hoch am Hügel gelegen,
einer kleinen Kapelle glich. Dahinter erhoben sich die rosagrauen
Hügel, dürr und unscheinbar, verbranntes, ödes Gelände, das aus der
Ferne keine Reize versprach. Kam man näher, so sah man die tiefen
Schatten der Schluchten das Gelände zerlegen, davor jetzt Anfang Juni
noch grüne Wiesen und Gemüsegärten; hie und da blinkte Wasser des
Flüßchens und von Bewässerungskanälen auf, getrennt und beschattet
von Gruppen von Weiden, grüne Streifen in der Landschaft mit ihrer
Einfassung durch Schilf, Binsen und Schwertlilien bildend. Vor dem
Steilabfall des Hügelrandes führte die Landstraße von _Valandova_ nach
_Miletkovo_ zwischen den Bauten des Feldlazaretts 358 hindurch, oft bei
starkem Verkehr die ganze Gegend mit Staub überschüttend.

Ritt man näher heran, so hatte man zunächst den Eindruck eines großen
Zeltlagers. Talwärts von der Landstraße breiteten sich etwa ein Dutzend
große braune Segelstoffzelte aus, an denen die deutschen Fahnen lustig
im Winde flatterten. Die Krankenzelte waren meist für Verwundete
bestimmt; denn das Feldlazarett 358 war ein chirurgisches Spital.

Auf den ersten Anblick schien die Anlage höchst ungeeignet als
Lazarett. Man dachte, der Staub der Landstraße müsse das Leben dort
unleidlich gestalten und die Heilung der Wunden gefährden. Auch
schien die Hitze in dem offenen, baumlosen, schattenfreien Gelände
wohl unerträglich zu sein und in den geschlossenen Zelten mußte sie
wohl noch gesteigert sein. Aber bei genauerem Zusehen erwies sich
das Lazarett als sehr geschickt angelegt. Schatten war im Gebiet
nirgends zu haben. Staubentwicklung war hier im feuchtesten Winkel
der Hudovaebene immerhin geringer als sonstwo, die Zufahrtsstraßen
waren sehr günstig, um den An- und Abtransport der Verwundeten zu
beschleunigen.

Zudem waren die Zelte, in denen Kranke lagen, alle mit
Berieselungsanlagen versehen, welche eine gewisse Abkühlung
ermöglichten. Ein großer Wasserturm, der zu diesem Zweck errichtet war,
verriet, daß genügend Wasser vorhanden sein mußte. Dazu kam die Lage
des Lagers am Ausgang einer Schlucht, welche abends mit dem Talwind
regelmäßig Kühlung brachte.

Ferner war das Lazarett mit den Jahren der Besetzung des Landes
immer stabiler geworden. Es war immer mehr zum Musterlazarett des
Kriegsschauplatzes geworden. Für mich und meine Leute war es bei der
gastlichen Aufnahme, die wir dort stets fanden, nach anstrengenden
Märschen und schwerer Arbeit ein richtiges körperliches und geistiges
Erholungsheim. Der Chef, _Stabsarzt_ Dr. _Weyer_, eine frische,
tatkräftige Persönlichkeit, empfing mich, nachdem ich ihm meinen
ersten Besuch gemacht hatte, stets fröhlich und gastfrei. In seinem
Lazarett hielt er auf strenge Ordnung und Sauberkeit. Und er hatte alle
Möglichkeiten ausgenützt, um sein Lazarett zu vervollkommnen. Viele
glückliche Operationen hatten ihn in freundschaftliche Beziehungen zu
bulgarischen Truppen gebracht, die ihm in der Folge durch Lieferung
von Steinen und anderem Baumaterial sein Lazarett verbessern halfen.
So habe ich im Verlauf meiner Besuche in _Mravinca_ dort zwei lange,
luftige Steinhäuser entstehen sehen, in denen die Verwundeten im Sommer
kühler, im Winter wärmer lagen, als in den Zelten. So war denn auch zum
Schluß ein stattliches, steinernes Operationshaus gebaut worden, das
sterile Räume enthielt und viel sicherer zu operieren gestattete, als
das alte Operationszelt.

Nicht minder gut war für die Mannschaft und das Pflege- und
Sanitätspersonal des Feldlazaretts gesorgt. Eine besondere Wohltat
war ein schönes zementiertes Schwimmbassin, in dem ein Dutzend Männer
schwimmen und sich im Wasser tummeln konnten. In ihm habe ich manche
erquickende Stunde mit den jungen Fliegeroffizieren von _Hudova_
verbracht; denn Badegäste aus der ganzen Nachbarschaft kamen fast jeden
Tag dort an.

Diese wurden auch oft im Lazarett bewirtet und gastlich beherbergt,
wie das mir ja nicht selten widerfuhr. Jenseits der Landstraße war am
Abhang der Hügel eine ganze Reihe von „Unterständen‟ eingebaut, kleine
Hütten mit steilen Dächern, am Felsen angelehnt oder zum Teil in ihn
eingefügt. In jedem dieser malerischen, sauberen Häuschen war je einer
der Beamten des Lazaretts wohnhaft und jeder hatte es im Laufe der Zeit
behaglich ausgestattet und je nach seiner Individualität künstlerisch
eingerichtet. Da wohnten der Oberapotheker, die jüngeren Ärzte,
die Inspektoren, der Röntgeningenieur. Ganz oben über den anderen
Bauten in luftiger Höhe am Berg, erhob sich das weiße Schwesternhaus,
das wir schon aus der Ferne erblickt hatten, bewohnt von vier ganz
vorzüglichen, sympathischen Operations- und Verwaltungsschwestern. Hoch
über den Männern hausten diese einträchtig in dem sauberen, zierlich
ausgeschmückten Heim. Es war immer ein fast formeller, feierlicher
Besuch, den man in dem feinen Häuschen abstattete. Die vier, nicht
ganz jungen, sehr gut zusammen eingearbeiteten, getreuen Schwestern
mit ihrer unermüdlichen, aufopfernden Tätigkeit für ihre Verwundeten
werde ich nicht so leicht aus dem Gedächtnis verlieren. Ich lernte das
Lazarett genau kennen, habe manche Pflege, manche Operation mit erlebt,
Sanitätsschule, tägliche Prüfung der Mannschafts- und Krankenkost
mitgemacht. Und noch dazu manche schöne, fröhliche Stunde dort erlebt.

Während Mittags die Männer und die Schwestern gesondert rasch zwischen
der Arbeit ihre Mahlzeit zu sich nahmen, versammelte man sich abends
nach getaner Arbeit gemeinsam in den Kasinos. Im letzten Jahre gab
es ein Sommer- und Winterkasino. Ersteres war das interessantere,
letzteres das künstlerisch bessere.

Das Sommerkasino war ein ganz kunstloser Käfig; es war aus einem
dünnen Gestell aus Balken und Latten gebaut, mit einem festen,
dachpappegedeckten Holzdach überwölbt, seine Außenwände bestanden
aber nur aus Drahtgaze, so daß es aussah, als sei es durchsichtig. So
konnte man bei Tag und was noch wichtiger war im helldurchleuchteten
Drahthaus nachts verweilen, ohne von den Malariamücken gefährdet zu
sein. Im kühlen Windzug, der von den Bergen kam -- das Kasino lag am
Ausgang der Schlucht --, konnte man in der heißesten Zeit des Jahres
dort tafeln und sich bis tief in die Nacht der getanen Arbeit und
seines Lebens freuen. Da saß ich oft an dem großen kreisrunden Tisch
mit den tüchtigen, freundlichen und fröhlichen Menschen, Männern
und Frauen, die hier drei Jahre lang im Dienste des Heeres und des
Vaterlandes gemeinsam verdienstvolle Arbeit geleistet haben. Da wurde
erzählt, diskutiert und debattiert. Man erfuhr viel von Landessitten,
von medizinischer Arbeit, von der Natur des Landes und sprach viel von
zukünftigen Absichten in der Heimat im Frieden; denn damals war noch
frische, zuversichtliche Stimmung und jedermann dachte an ein starkes,
tüchtiges, sicheres Vaterland nach dem Kriege. Da wurde auch manchmal
gesungen und mit allerhand Aufführungen ein Fest gefeiert. Jedermann
hatte Interesse für meine Arbeit, beobachtete und sammelte mit mir, und
jedesmal, wenn ich in längeren Zwischenräumen wieder als Gast eintraf,
hatte man mir interessante Funde von Tieren, Nestern und Bauten
aufgehoben. So ist es verständlich, daß ich mit meinen ganzen dort
so gut aufgehobenen Leuten niederen und höheren Ranges immer wieder
gern in _Mravinca_ einkehrte und einige Tage Ruhe und Erfrischung
suchte. Nach starker, ermüdender Arbeit konnte man hier unter fleißigen
Arbeitsmenschen eine schöne Erholung und Anregung finden. _Mravinca_
nannte ich daher, solange ich in Mazedonien war, mein seelisches
Erholungsheim.

Und manche stille beschauliche Stunde habe ich dort auf der Veranda
des schönen hochgelegenen Hauses des Chefarztes zugebracht, das er
mit verfeinertem Geschmack und einfachen Mitteln der widerspenstigen
Natur des Landes abgezwungen hatte. Im Liegestuhl ausgestreckt, nach
kühlendem Bad im Schwimmbassin, wartete ich im sinkenden Tag die Zeit
ab, zu der all die fleißigen Frauen und Männer mit ihrer Tagesarbeit
fertig waren und die Hände zum leckeren Mahle ausstrecken konnten.
Da sank dann mir gegenüber die heiße Sonne Mazedoniens allmählich
gegen den Rand der Ebene hinab. Links von mir blinkten vom Wardar
rote Strahlen zurück, noch über ihm hinaus leuchteten die Berge der
_Marianska Planina_ und die schönen, schlanken Gipfel der _Mala Rupa_
in glänzenden Farben auf, daß man meinen konnte, sie beständen aus
einer purpurnen und violetten, glühenden Masse. Zur Rechten zog sich
die Kette der _Plaguša Planina_ hin, in fahlerem Licht und dennoch mit
tiefen Schattenflecken. Gerade mir gegenüber sperrten das Nordende des
Tals Ketten von gezackten Felsenbergen, eine hinter der anderen, in den
verschiedensten zarten Abtönungen von Blau sich voneinander abhebend.
Märchenlandschaften mußten in jenen mattleuchtenden Tälern verborgen
sein, aus denen feine Nebel aufstiegen und zu den flammenden Wolken
wanderten, die sich wie viel gewaltigere Gebirge über jene zarten
blauen Berge türmten. Wie vom herrischen Pinsel eines großen Meisters
gemalt, war das Gewölbe des Himmels hoch hinauf mit leuchtenden gelben,
flammendroten, tiefblauen, grauvioletten, rotbraunen und grünlichen
Wolken behängt. Das häufte sich übereinander, bäumte sich auf und
zerfloß am obersten Rande in ein ätherisch klares sanftes Blau, das
bis zu mir herüber sich wölbte, während über meinem Ruhesitz der erste
Stern sein mildes Licht aufstrahlen ließ. Unten in der verdunkelnden,
kühl blauenden Ebene, auf der die Schatten der Berge und Wolken
sich allmählich immer mehr vorwärtsschoben, tauchte plötzlich eine
Staubwolke rotgelb im letzten Scheine der Sonnenscheibe auf. Der helle
Hauch erlosch in dem Augenblick, als die Sonne oben zwischen den fernen
Schneebergen und den Felsenmassen von _Demir Kapu_ fast im Norden
versank. Kühle blaue Töne, zarte Nebelstreifen wanderten weiter den
östlichen Bergen zu, über denen im grünblauen, stillen Himmelszelt
zartrosa gefärbte, kleinste Wölkchen schwebten.

[Illustration: ♂ ♀ Abb. 24. +Satyrus fatua+ Freg.]

[Illustration: Abb. 25. Hummelfliege (+Collostoma fascipenne+ Sch.)
Kaluckova.]

Das waren stille, friedliche Ruheabende in _Mravinca_ vor
arbeitsreichen Forschungstagen, zu denen jedesmal der frühe Morgen
des zweiten Tages nach der Ankunft rief. Dann ging es meist zuerst
aufwärts in die dürren Hügel hinter dem Feldlazarett durch steile
Schluchten an dem halb verfallenen Dorf _Mravinca_ vorbei, wo fleißige
Bauern schon in der Morgenfrühe bei der Arbeit waren. Ein römischer
Sarkophag nahe bei dem Dorf hielt mich kurze Zeit auf, ehe ich auf
die Hochebene stieg, wohin mich die Interessen des Naturforschers
mächtig lockten. Dort breitete sich eine wellige Fläche aus, mit
trockenem kurzem Gras bedeckt, in die mit scharfen Kanten aus der
Fläche geschnitten, tiefe, steile Schluchten sich senkten. Deren
Ränder waren auf beiden Seiten etwa gleich hoch. Man sah in ihre
Tiefe erst hinab, wenn man dicht am Steilrand stand. Die Wände waren
so steil, die Brüche schienen so frisch, daß man glauben konnte,
sie seien von Menschenhand am Tag vorher gegraben. Es war ein ganz
anderer Typus von Schluchten, als ich sie aus dem Felsengebirge in
einem der nächsten Kapitel beschreiben werde. Hier sah man, wie die
Schluchten entstanden und wuchsen. Man konnte sie von ganz kleinen
ersten Anfängen, von zentimetergroßen Vertiefungen bis zur Entwicklung
zu hundert Meter tiefen, gewaltigen Schluchten verfolgen. Die größte
dieser Schluchten hatte bei unseren Soldaten in der Gegend den Namen
der _Fuchsschlucht_ nach irgend einem Jagderlebnis erhalten. Auf
der trockenen Hochfläche sah man nach verschiedenen Richtungen die
Schluchten laufen, die alle am oberen Ende noch im Wachsen begriffen
waren und an denen immerfort noch Verzweigungen entstanden. Am unteren
Ende, gegen den Wardar hin, riß das Hochwasser nach starken Regengüssen
große Massen der lehmigen Erdmassen von den Wänden ab, und schwemmte
die fein sich verteilende Masse zum Fluß. So entstand am Wardar eine
breite Sandschicht, die deltaähnlich in den Fluß sich erstreckte.
Wenn unten Masse weggeschwemmt worden war, stürzte immerfort Masse im
oberen Teil der Schlucht nach. Das erfolgte bald an der einen, bald an
der anderen Seite der Schlucht. Dieses Nachstürzen war eine spätere
Folge der Hochwassertätigkeit und erfolgte in Zeiten, in denen sehr
wenig oder gar kein Wasser in der Schlucht floß. Während das Erdreich
austrocknete, entstanden Sprünge im Boden und große Stücke lösten sich
los und kollerten den Abhang hinunter. Dadurch wurden die Zustände am
oberen Rand wieder verändert, neue Sprünge entstanden, neue Blöcke
lösten sich ab und stürzten in die Schluchttiefe. Dort füllten sie das
Bachbett auf, sperrten auch oft den Wasserlauf.

Die steilen Schluchtwände, rotgelb gefärbt, bestanden meist aus ganz
gleichmäßiger feiner Substanz; sie sahen fast wie Lehm oder Löß aus.
Die Schichten, aus denen die Schluchten gegraben waren, entstammten
offenbar den höheren Hügeln und Bergen, aus denen das Wasser sie
hinabgeschwemmt und in gleichmäßiger Verteilung an ihrer jetzigen
Stätte abgelagert hatte. Hie und da ragten aus der feinkörnigen Masse
größere und kleinere weiße Gesteinsbrocken heraus.

[Illustration: Abb. 26. Unterer Teil der Fuchsschlucht bei Mravinca.]

[Illustration: Abb. 27. Hummelfliege +Exoprosopa vespertilio+ Wd. Nat.
Gr.]

Die Wände der Schluchten dienten einer Menge von Tieren zum Nestbau.
Außer den Bauten vieler _Bienen_ und _Wespen_ waren zahlreiche
_Vogelnester_ in die Lehmwände eingebohrt. An manchen Stellen sah man
ein großes, dunkles Loch neben dem andern an der sonnenbestrahlten,
gelben Schluchtwand. Die Vögel, welche hier in den Löchern brüteten,
waren für die Augen des Nordländers auffällige, seltsame Formen.
Es waren die farbigsten Vögel Mazedoniens, die hier hausten. Die
_Blaurake_ und der _Bienenfresser_ flogen um die Schlucht und letztere
vor allem tauchten immer wieder zu den Nestlöchern herunter, dabei
ihre eigenartigen Zickzackflüge ausführend. Auch _Wiedehopf_ und
_Kappenammer_ trugen zur Buntheit in der Vogelwelt bei. Daß alle
diese Formen als Zugvögel meist erst im Mai im Wardartal auftreten, ist
unten im 37. Kapitel besprochen.

[Illustration: WARDAREBENE BEI MRAVINCA. Im Hintergrund Plagusa
Planina.]

Jede Wanderung durch die Fuchsschlucht brachte neue Beobachtungen
und neue Funde. Um den Bach flogen viele Libellen und machten auf
Fliegen, Schmetterlinge, Eintagsfliegen eifrig Jagd. Unter den
Zweiflüglern spielten wieder die +Bombyliden+ eine große Rolle.
Zwei charakteristische Formen sind (Abb. 25 u. 27) abgebildet. Die
Schmetterlinge, Heuschrecken, Käfer und Ameisen entsprachen meist den
Formen, die bei Kaluckova und Hudova vorkommen. Aber auch unter ihnen
fanden sich manche Besonderheiten.

Am Schluchtbach war ein dichtes Buschwerk von Brombeerbüschen,
Schlehdorn, Stacheleichen entwickelt, zwischen denen Sumpfpflanzen
verschiedener Art, vor allem viel Wasserminze wuchs. Ende Juni 1917
waren diese Büsche von vielen Hunderttausenden einer Käferart bedeckt
(+Anomala solida+ Er.), welche alles kahlfraßen. Man hätte leicht
Eimer voll von diesem Käfer sammeln können. Auf den Minzen fanden sich
zahlreich die schönen metallisch glänzenden +Chrysomela menthastri+
Suff. Nicht selten war ein Spanner +Larentia corollaria+ H.-S.

Am Ausgang der Schlucht gegen den Wardar waren die Hänge mit reichlich
Geröll bedeckt. Hier waren die Fundorte für eine Anzahl südliche und
Steppenformen, wie die großen Gliederspinnen (+Galeodes graecus+ C. L.
Koch), verschiedene Arten von Skorpionen und riesige Tausendfüßler.

Unten am Wardar selbst und in dem sumpfigen Teil der Ebene, wo der
Koslodere in den Strom einmündete, war ein üppiges Gelände von alten
Weidenbäumen bestanden. Es waren richtige kleine Weidenwälder. Der Bach
durchfloß die Fläche in verschiedenen Windungen, an seinem Ufer wuchsen
Schilf, Röhricht, Schwertlilien und viele Wasserpflanzen.

Das war auch ein Gebiet, in welchem zahllose Libellen umherflogen;
neben den stahlblauen Wasserjungfern schwebten trägeren Fluges die
zarten blauschwarzen, grünschwarzen und goldgelben Arten von +Lestes+,
+Agrion+ und +Gomphus+, zwischen ihnen sausten gewalttätig die
großen roten, grauen, braunen, zum Teil schwarzgefleckten Formen von
+Libellula+ und +Aeschna+. Gerade die letzteren waren schwer zu fangen,
und es war eine Freude, waren sie endlich mit metallischem Klirren im
Insektennetz gelandet.

Es war schön, im Frühsommer auf den blumenreichen Wiesen stundenlang
beobachtend zu verweilen, wenn die großen Wolkenmassen am Himmel
schwebten und ihre Schatten auf die weite Ebene und das jenseits sich
erhebende Gebirge der Plaguša Planina warfen. Da entstanden Bilder von
größtem malerischen Reiz, die mir unvergeßlich geblieben sind.

Es konnte aber auch glühend heiß sein; einmal hatte ich den Eifer im
Verfolgen der Libellen zu weit getrieben; mehrere Stunden lang hatte
ich am schattenlosen Ufer die flinken Tiere verfolgt und war mit
reicher Beute heimgekehrt. Nachts überfiel mich aber hohes Fieber und
allerhand unangenehme körperliche Erscheinungen zeigten mir, daß ich
einen Sonnenstich erlitten hatte, von dem ich mich aber in zwei Tagen
wieder erholte.

Der Kosloderebach beherbergte in seinem Wasser eine Sumpfschildkröte,
die wir -- so eifrig mein Begleiter, Professor _Lorenz Müller_, sich
auch nach den Reptilien umschaute -- nur hier fanden; sie kommt auch
am Doiransee vor. Es ist die _kaspische Sumpfschildkröte_ (+Clemmys
caspica virulata+ Val.). Sie kommt offenbar nördlich der Hudovaebene in
Mazedonien nicht vor.

Ich nehme Anlaß, bei dieser Gelegenheit einiges von den übrigen
mazedonischen _Schildkröten_ zu berichten. Sehr häufig war im
ganzen Land in allen möglichen stehenden Gewässern die gewöhnliche
_europäische Sumpfschildkröte_ (+Emys orbicularis+ L.). In allen
Teichen und Tümpeln, in Bächen, Straßengräben, Reisfeldern tauchten die
plumpen schwarzen Tiere gelegentlich auf.

Außer diesen zwei Wasserschildkröten kommen in Mazedonien zwei
Landschildkröten, damit also im Land im ganzen vier Schildkrötenarten
vor. Diese Landschildkröten waren in den meisten Gegenden des
Flachlandes von Mazedonien so häufig, daß man sie nicht übersehen
konnte. Mit ihren langsamen, watschelnden Bewegungen, mit dem Gepolter,
mit dem sie durch eine steinige Schlucht oder durch ein dichtes
Gebüsch hindurchrumpelten, verrieten sie sich auf weite Entfernung
und besonders die deutschen Soldaten schenkten ihnen eine weitgehende
Beachtung. In vielen Lagern und Quartieren wurden sie lebend gehalten
und ich übertreibe nicht, wenn ich erzähle, daß viele Tausende von
ihnen als Heimatpakete nach Deutschland geschickt wurden oder mit
Urlaubern heimreisten.

Die possierlichen, anspruchslosen Tiere, welche eine Panzerlänge
von 30-40 cm erreichen, ihren Kopf, Schwanz und Füße in den Panzer
zurückziehen können und so lange zappeln müssen, um sich wieder
aufzurichten, wenn man sie auf den Rücken legte, haben unseren Soldaten
manche Stunde vertrieben. Auch haben diese sich nicht selten eine
Schildkrötensuppe aus ihnen gekocht. Ob von den vielen heimgebrachten
mazedonischen Schildkröten wohl noch eine oder die andere in
Deutschland lebt?

Die beiden mazedonischen Arten von Landschildkröten sind +Testudo
graeca+ (L.) und +T. ibera+ Pall. Beide mit ihrem schwarz und
gelb oder schwarz und dunkelgrün gefleckten Panzer sehen einander
sehr ähnlich und werden vom Laien auch nicht unterschieden. Die
griechische Schildkröte ist in ihrer Verbreitung hauptsächlich auf die
Balkanhalbinsel und Süditalien beschränkt, während die andere Art auch
in ganz Nordafrika und Westasien verbreitet ist.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 28. Landschildkröte (+Testudo
ibera+ Pall.) in den Felsen bei Valandova.]

Beide Arten waren in der ganzen Hudovaebene und den angrenzenden
Hügeln und Gebirgen auch bei Mravinca sehr häufig. Wir fingen sie
oft, beobachteten sie viel im Sommer, wie die Männchen die Weibchen
verfolgten und unter eigenartigem Grunzen und Anstoßen mit den Panzern
zur Begattung schritten. Auch ihre Gelege fand ich öfter, mit den
hartschaligen Eiern von einem Längsdurchmesser von 3-3½ cm. Oft lagen
die Eier vereinzelt im Gras und zwischen den Büschen. In Mazedonien
lernte ich verstehen, warum die Japaner die Schildkröte als Symbol der
Geilheit betrachten. Hier waren die Männchen vom Frühsommer bis in
den Spätherbst hinter den Weibchen her und in allen Teilen des Landes
konnten ihre Kopulationsgeräusche bei Tag und Nacht aus Büschen und
Gräben hervortönen.

In den Weiden am Wasser gab es auch manche besonderen Insekten. So
war ein auffallender Rüsselkäfer +Chlorophanus axinus+ Fabr. Auch kam
im Sommer 1917 in der ganzen Gegend der große Bockkäfer +Cerambyx
scopolii+ Füssl. vor. Das war ein höchst auffälliges Tier mit seinen
langen gebogenen Fühlern, wenn er, diese weit vorstreckend und die
Beine abspreizend im heißen Sonnenschein hoch über den Büschen durch
die Luft flog. Dann machte er einen ganz unwahrscheinlich großen
Eindruck. Ich beobachtete ihn zwischen dem 10. und 20. Juni an vielen
Orten Südmazedoniens, außer bei Mravinca bei Kaluckova, Hudova,
Davidovo, auf der Fahrt nach der Malarupa bei Negorci und Koinsko,
im Nikolatal. Da er in Fühlergestalt und Fühlerlänge in beiden
Geschlechtern sehr zu variieren schien, so sammelte ich eine größere
Anzahl von Exemplaren, die einmal genauer untersucht werden sollen.

Von Käferbeobachtungen aus der Gegend von Mravinca möchte ich noch
die _Dorcadion_arten erwähnen, Formen mannigfaltiger, schön gefärbter
Bockkäfer, die meist unter Steinen saßen und von denen wir im Sommer
nur Spuren in Gestalt von Flügeldecken und ihren knotigen, gebogenen
Hörnern fanden. Ihnen und anderen Tieren zuliebe kehrte ich einmal im
frühen Frühling 1918 nach Mravinca zurück, wo ich schöne Exemplare
dieser _Erdböcke_ fand, so +Nosodorcadion bilineatum+ Gam. und
+Dorcadion lineatocolle+ Kraatz. Von dieser in Südeuropa und den
asiatischen Steppen in vielen Arten vertretenen Familie fand ich in
Mazedonien noch manche schönen, interessanten Formen der Gattung, so
auf dem Wodno +Dorcadion equestre+ Laxm., einen samtschwarzen Käfer mit
weißen Längsstreifen auf dem Brustschild und großen weißen Flecken auf
der Mitte der Flügeldecken. Eine zart silbergraue Art mit schwarzen
Flecken, auf der Golesniza Planina in 2000 m Höhe gefunden, ist wohl
noch nicht beschrieben.

Mit dem Aufenthalt in Mravinca sind auch Erinnerungen an _Fischfang_
verknüpft. Zu solchen Zwecken mußte man sich mit Fischern oder mit
Pionieren in Verbindung setzen. Fischer als einheimische Bevölkerung
fand man wohl an den Seen und am Wardar, aber sehr wenig; zumal in
den besetzten Gegenden fehlten der Bevölkerung Boote vollkommen. Auch
ich hatte keine geeigneten Geräte für den Fang größerer Fische bei
mir. Somit war hier am unteren Wardar der Pionier mit seinen Booten
die notwendige Stütze. Und außerdem mußte zu dem grausamen und dem
Naturforscher sehr unsympathischen Hilfsmittel der Handgranaten und
anderen Sprengmitteln gegriffen werden.

[Illustration: Abb. 29. Bockkäfer mit sehr variabler Ausbildung der
Fühler. Nat. Gr. (+Cerambyx scopolii+ Füssl.)]

In den Schluchtbächen, in kleinen Flüssen hatten wir öfter mit
primitiven Mitteln, so in den Schluchtbächen bei _Kaluckova_ und im
_Nikolatal_ kleine _Barben_ (+Barbus plebejus+ Val.) erbeutet. Ähnlich
war in den Bächen der Hudovaebene, so bei _Miletkovo_ aus einem Bach
der Steinpeitzger (+Cobitis taenia+ L.) und eine ähnliche Form +Cobitis
elongata+ H. u. Kn. gefangen worden. In den größeren Nebenbächen und im
Wardar selbst standen mir aber befreundete bulgarische oder deutsche
Pioniere zur Seite.

Bei Miletkovo wurde einmal mit bulgarischen Pionieren, oberhalb Hudova
mit bayerischen Pionieren bei Gradeč der Wardar befahren. In der Nähe
von Miletkovo konnten vom Land aus die Sprengmittel in einen an seiner
Mündung stark erweiterten kleinen Nebenfluß des Wardar geworfen werden,
was reiche Ausbeute brachte, so zahlreiche Exemplare eines südlichen
Verwandten unserer Nase (+Chondrostoma genei+ Bon.), eines schönen
glänzenden Fisches mit grüngrauem Rücken, schwarzgefleckten silberigen
Seiten und orangegelb gesäumten Flossen. An der gleichen Stelle wurden
die altbekannten Elritzen (+Phoxinus laevis+ Ag.) erbeutet, im Wardar
selbst +Cottus ferrugineus+ H. u. K., ein Verwandter unserer Groppe.

Reicher und vor allem nahrhafter war die Ausbeute im Wardar selbst,
die unter sachgemäßer Leitung des Pionierhauptmanns _Frischholz_
erzielt wurde. Dieser, ein Fachzoologe, früherer Schüler des
Münchener zoologischen Instituts, in seiner Zivilstellung
Fischereisachverständiger des bayerischen Ministeriums, befehligte das
bayerische Pionierlager in Hudova. Mit einem seiner Boote fuhren wir
auf den rauschenden, brausenden Wardar bei Gradeč hinaus. Wir suchten
die stillen, tiefen Stellen unterhalb der Schnellen auf und warfen da
ausrangierte Handgranaten ab. Wenn eine davon noch losging, gab es
im Wasser eine starke Detonation, ein Springbrunnen von 10-20 m Höhe
sprang in die Höhe. Aus der Tiefe wurden gelähmte Fische emporgerissen
und nun hieß es mit dem Boot gut manöverieren, wollte man die auf der
Seite treibenden Fische mit dem großen Handnetz erfassen, ehe sie die
wilde Strömung über Stromschnellen und kleine Fälle hinabtrieb, an
Stellen, wo das Boot entweder gar nicht oder nur unter großer Gefahr
nachfolgen konnte. Das waren aufregende Stunden, in wilder Bewegung und
toller Lust mit den strammen bayerischen Pionieren, die einst auf der
auch nicht viel zahmeren Isar ihre Künste geübt hatten.

[Illustration: Abb. 30. Riesenwelse aus dem Wardar. (+Silurus glanis+
L.) Soldatenaufnahme.]

Die Ausbeute war dem entsprechend. Wir bekamen einen Eindruck von dem
Reichtum an Fischen, den die mazedonischen Flüsse bis zur Zeit vor dem
Krieg beherbergt haben müssen. Wir holten vor allem Karpfen und Barben
heraus. Die _Karpfen_ (+Cyprinus carpio+ L.) waren Riesen, wie man sie
in Mitteleuropa jedenfalls im freien Wasser niemals zu sehen bekommt.
Sie maßen im Durchschnitt 1-1½ m in der Länge, hatten einen mächtigen
Umfang und wogen dementsprechend 10-20 kg. Auch die _Barben_ (+Barbus
plebejus+ Val.) waren mächtige Tiere, bis zu einem Meter lang und auch
6-12 kg. schwer. Es war eine Freude für das ganze Pionierlager in
Hudova und noch dazu für das Lazarett Kaluckova, als wir mit unserer
Ausbeute heimkamen.

Nicht minder große _Welse_ (+Silurus glanis+ L.) beherbergte der
Wardar; da waren die mächtigsten Vertreter im Winter vorher gefangen
worden, von Soldaten, welche mir Photographien von ihnen brachten,
die hier wiedergegeben sind. Über 220 Pfd. wogen die über 2 m langen
Kolosse, welche an Mächtigkeit nur selten von den Riesenwelsen der
oberbayerischen Seen erreicht werden, die gelegentlich als uralte
Greise aus den Tiefen des Chiemsees, Königssees, Starnbergersees mit
der Grundangel heraufgeholt werden.

Nicht so mächtig waren die Salmoniden des Wardar; die _Lachse_, die wir
erbeuteten, waren viel kleiner (+Salmo dentex+ Hek.).

Daß in den mazedonischen Flüssen solche Riesenfische überhaupt in
größeren Mengen vorkommen konnten, erklärt sich wohl durch die
primitive Art der Fischerei, welche seit Jahrhunderten dort betrieben
wurde. War ein Fisch einmal über eine gewisse Größe erwachsen, so
entging er leicht den Nachstellungen der Landesbewohner, welche nur mit
kleinen Netzen, Angeln und Spießen fischten.

Die Kriegszeit werden aber nicht viele dieser Riesen überlebt haben,
denn die Truppen beider Fronten und besonders rücksichtslos unsere
Bundesgenossen, die Bulgaren, haben diese Raubfischerei ohne alle
Zukunftsgedanken betrieben, diese Raubwirtschaft, die wir auf allen
Gebieten als eine besondere Eigentümlichkeit der Balkanvölker kennen
lernen werden. Als Wardarfische wären als von uns beobachtete Formen
noch an dieser Stelle zu erwähnen: +Cottus ferrugineus+ H. u. K.,
+Chondrostoma genei+ Bor., +Alburnus alborella+ H. u. K., die südliche
_Laube_, +A. scaranzoides+ H. u. K. und +Abramis melanops+ Heck., der
mit unserem Brachsen verwandte _Seerüstling_, der als ein ins Süßwasser
übergegangener Meeresfisch betrachtet wird.

Von allen Süßwasserfischen meiner Ausbeute ist nur +Alburnus
scaranzoides+ H. u. K. als Sonderform des Balkangebiets zu bezeichnen;
er ist aus Montenegro, Albanien und „Rumelien‟ bekannt. Alle anderen
Arten sind in Küstenflüssen der Adria und des östlichen Mittelmeers,
zum Teil in dem Gesamtgebiet von Süd- und Südosteuropa gefunden worden.

Sonst kam ich in Mazedonien nur am _Ochridasee_ zur Beobachtung von
zahlreicheren Fischarten. Sie sind im 39. Kapitel geschildert, wie die
vereinzelten einzelnen Formen entsprechend den Orten, an denen sie
gefunden wurden.



FÜNFTES KAPITEL

DIE PLAGUŠA PLANINA


Die Berge, welche sich dicht hinter _Kaluckova_ erheben und als Kette
parallel dem Wardartal von Norden nach Süden ziehen, haben den Namen
der _Plaguša Planina_, wohl von dem türkischen Dorf _Plauš_, welches
im Nordteil der Kette gelegen ist. Zu diesem Dorf führt der Saumpfad,
welcher durch _Kaluckova_ und seine Schlucht bergan steigt. Etwas
weiter südlich führt ein besser ausgebauter Weg über einen Paß der
Plaguša Planina nach _Strumiza_. In Friedenszeiten war Hudova die
Eisenbahnstation für die Stadt Strumiza, zu der man mit Pferd oder
Maultier von dort etwa 20 km zurückzulegen hatte. Über das Gebirge zog
vor dem Krieg die neue Grenze zwischen Serbien und Bulgarien hin. Jetzt
war das keine Grenze mehr und der Verkehr in den Bergen viel geringer,
als in der Zeit, in welcher ein blühender Schmuggelhandel auf den jetzt
vielfach zerfallenen Pfaden sich abspielte. Immerhin kam noch jede
Woche eine Kamelkarawane, welche Militärgut von Strumiza zur Bahn nach
Hudova brachte, auf Hin- und Rückweg durch Hudova; von dort ging der
Weg über Kalkova auf den Hauptpaßsteig.

[Illustration: Abb. 31. Plaguša Planina in ganzer Ausdehnung, vor ihr
der Grünberg. Aufgenommen vom Fliegerlager.]

Bei Tag war es im Sommer ein heißer anstrengender Weg, an den Wänden
der Schlucht entlang sich nach _Plauš_ hinaufzuarbeiten, wo erst
die schlimmste Steigung anfing, wollte man die Kammhöhe von 1100 m
erreichen.

So brach ich denn bei den häufigeren Besteigungen des Gebirges
regelmäßig vor Tagesanbruch auf, um womöglich, wenn die heißen Stunden
des Tages kamen, schon auf der Kammhöhe zu sein. Der Weg führte
zunächst durch die altbekannte Schluchtregion auf die ersten Höhen.
Von dort genoß ich oft bei Sonnenaufgang den wundervollen Blick ins
allmählich aufleuchtende Wardartal, während die ersten Strahlen die
Schneehänge der Mala Rupa fern im Westen vergoldeten.

In der Höhe von 700-800 m nimmt der Anbau zu; man merkt, daß man
sich einer menschlichen Ansiedlung nähert. Hier sind den steilen
Hängen durch fleißige Arbeit Felder und Gärten abgewonnen, die in
Friedenszeiten wohl sicher viel besser bepflanzt waren. An den Halden
ziehen sich Weingärten hin, hie und da steht grüner Roggen auf einem
steinigen Acker spärlich gewachsen, dazwischen sind Beete mit Bohnen
bepflanzt. Es war der 22. Mai, an welchem ich zum erstenmal hier
hinaufstieg; so waren die Obstbäume schon verblüht und kleine grüne
Kirschen und Mirabellen hingen an den Zweigen.

Eine Quelle, überschattet von alten Weiden, verführte zu einer kurzen
Rast. In der Nähe wimmelten auf dem Boden viele Aaskäfer. In den
Büschen höre ich den _Kuckuck_ rufen, der in dieser Gegend jetzt im Mai
überall häufig ist. Was aber den Aufenthalt an der Quelle besonders
verlockend machte, war der Gesang zahlreicher _Nachtigallen_, die jetzt
am frühen Morgen noch eifrig schlugen. Ihr Gesang war außerordentlich
klangvoll und schön.

Auch sonst war die _Vogelwelt_ hier im bebauten Gebiet sehr reich. In
den Gärten und auf den Wegen flogen _Haubenlerchen_ und _Feldlerchen_
vor uns auf. Der _Bergsperling_ (+Passer montanus montanus+ L.) war in
Mengen da. Mit prasselndem Flug stiegen _Turteltauben_ auf und flogen
dicht über den Büschen davon (+Steptopelia turtur turtur+ L.). In den
Dickichten huschten zahlreiche Zaungrasmücken umher (+Sylvia curruca
curruca+ L.).

Beim Weitersteigen umgingen wir eine Bergkuppe; jenseits von ihr sahen
wir vor uns, malerisch sich aufbauend das Dorf _Plauš_. In drei Teilen,
bedingt durch drei Einschnitte im Gelände, zogen sich die Häuser
bergauf in die Schluchten hinein. Im obersten Teil ragte ein weißes
Minaret aus einer Gruppe von Bäumen empor und verriet uns, daß wir uns
einem türkischen Städtchen näherten. Aus der Ferne machte der Ort einen
reizvollen, einladenden Eindruck.

Aber wir waren ihm nur in der Luftlinie nahe; als wir die Bergkuppe
umgangen hatten, sahen wir zwischen uns und dem Städtchen eine tiefe
Schlucht klaffen. Es war eine Fortsetzung der einen Stadtschlucht,
durch welche wir später in den Ort eintraten. Zunächst lief aber
unser Pfad nahe an Abgründen entlang, die etwa 200 m tief sich neben
uns öffneten. Die Schlucht war eng, kaum 300 m breit; ihre beiden
Wände stürzten steil in die Tiefe, zu dem rauschenden Bach hinab, der
reichlich schäumendes Wasser über mächtige Felsblöcke wälzte. Beide
Wände waren kahl und schroff, kaum bewachsen; damals dachte ich, es sei
unmöglich zum Bach hinabzugelangen. Später bin ich hinabgestiegen und
konnte in der Tiefe am Bach manches interessante Tier beobachten.

Heute lag der Grund der Schlucht noch im tiefen Schatten, kühle Luft
wehte zu uns herauf, denen es vom Aufstieg schon recht heiß geworden
war. Wo die Schlucht gegen den Ort verlief, wuchsen im Grund stattliche
Bäume, deren Kronen unter uns im Schatten der Schluchtwand standen.
Es waren Platanen, Eschen, Ebereschen, Eichen, welche nahe dem Ort
eine ganze Wildnis von Brennesseln und Disteln umgab, mit allen jenen
Pflanzen, welche die Abfälle einer menschlichen Siedelung bedecken.

[Illustration: Abb. 32. Schlucht bei Plauš.]

Auf einer kleinen gewölbten Brücke überschritten wir die Schlucht
und kletterten am jenseitigen Rand aufwärts zu den Häusern. Vorher
warfen wir von dem Brückchen noch einen Blick die Schlucht hinab.
Es war die echte _Balkanschlucht_. Oberhalb des Orts und der Brücke
begann sie als seichte Vertiefung im gewölbten Hang des Berges,
von dem aus noch mehrere ähnliche Schluchtanfänge ausgingen. Eine
kurze Strecke unterhalb der Brücke stürzte ein Wasserfall eine Stufe
hinab, vor welcher die Wände der Schlucht etwas weiter zurücktraten.
Unten tobte das Wasser zwischen den donnernden Steinklötzen, die
übereinander kugelten und sich aneinander und an den Wänden des
Bachbettes rieben. So bekam man ein Bild von den Kräften, die wohl in
wenigen Jahrhunderten die jetzige Sohle der Schlucht aus dem Felsen
herausgearbeitet hatten. Weit reichte der Blick nicht; denn die
Schlucht machte in ihrer Fortsetzung eine starke Wendung nach rechts,
so daß die Seitenwand sich wie eine Kulisse vorschob. Hinter ihr ragte
eine weitere Steilwand in die Höhe; so glaubte man in einen Kessel
hineinzublicken. Im Vordergrund erhoben sich stattliche Laubbäume, die
von den weißen Kalkfelsen sich scharf abhoben; über dem Schluchtbecken
tauchten ferne blaue Berge auf. Es war ein schönes Bild, welches sich
da vor uns aufbaute.

Weniger erfreuliche Eindrücke traten uns entgegen, als wir die steilen
Gassen des Städtchens durchkletterten. Was uns aus der Ferne so anmutig
erschienen war, bot uns jetzt das Bild der Zerstörung. Die meisten
Häuser waren Ruinen, dachlos mit halbeingestürzten Mauern. Einsam war
es in den Straßen, leer gähnten die Fensterhöhlen, kaum ein Haus hatte
noch eine Türe. Hohe Mauern, meist nur stückweise erhalten, hatten
einst Höfe und Gärten umschlossen, in denen jetzt nur Unkraut und
verwilderte Sträucher wucherten. Nur hie und da stand noch ein Obstbaum
aufrecht, in der Schlucht erhoben sich einige stattliche Pappeln. Von
hohen Bäumen war die Moschee umstanden, welche in einem etwas besser
erhaltenen Teil des Städtchens sich befand.

Bei jedem meiner Besuche in _Plauš_ fielen mir die verödeten Gassen,
der Zerfall und die Zerstörung mehr auf; jedesmal waren wieder einige
Häuser zerstört, wieder einige Bäume gefällt. Beides war auf das
Bedürfnis nach Brennholz zurückzuführen. Verlumpte Kinder liefen
herum, verschleierte Frauen flüchteten in die Häuser. Daß ich so wenig
Männern begegnete, hatte wohl zum Teil seinen Grund darin, daß sie
draußen auf den Feldern bei der Arbeit waren. Aber selbst an einem
Feiertag, als ich sie in der Moschee versammelt fand, war es nur eine
kleine Zahl.

Die Zerstörung des Ortes rührte wohl in der Hauptsache aus dem
Balkankrieg her, wo Bulgaren und Serben hier gekämpft hatten. Und
später fanden wir in der Gegend auch Gräben aus dem gegenwärtigen Krieg.

Der Aufenthalt in dem Orte hatte nichts anziehendes und so habe ich
mich niemals in ihm länger als eine Stunde aufgehalten. Der gegebene
Rastplatz war der Garten der Moschee, wo man im Schatten der Bäume
ruhen konnte und ein laufender Brunnen uns den Durst löschte; er war,
wie stets, wo Türken wohnen, gut gehalten und sorgfältig gebaut.

[Illustration: Abb. 33. Dorf Plauš von oben gesehen.]

Die Moschee war ein schmuckloses, viereckiges Gebäude, niedrig mit
schwach geneigtem Dach, kleiner Türe, mit wenig kleinen scheibenlosen
Fenstern. Es war aus Hausteinen mit eingelegten roten Ziegellagen
gebaut; das Dach war mit Rundziegeln gedeckt, wie die meisten Häuser
des Ortes. Von den roten Ziegeln der Flächen des Daches, stachen
hellgelbe Randziegel freundlich ab. Das Innere der Moschee bestand aus
einer Halle mit nacktem Tennenboden, von einigen Balken war das Dach
gestützt. Schmutzig und schmucklos war der ganze Raum, nicht einmal
ein Teppich war da und die zum Gebet versammelten Männer waren ebenso
schmutzig und verlumpt wie ihre Ortschaft. Nach der Zahl, Anlage
und Größe der Häuser muß aber Plauš in nicht zu ferner Vorzeit ein
blühendes, wohlhabendes Städtchen gewesen sein.

Der Anstieg, der von dem Orte weiter hinauf zum Kamme der _Plaguša
Planina_ führte, war steil und ging über einen kahlen von Wasserrinnen
verarbeiteten Rücken zu einem Paß hinauf. Ganz oben in fast 1000 m Höhe
war ein Türke mit seinem primitiven Pflug beim Pflügen eines Ackers
beschäftigt, den ich im Herbst mit reifem Korn bestanden wiedersah.

[Illustration: Abb. 34. Eichen im Waldtal der Plaguša Planina (+Quercus
conferta+ W. K.).]

Von der Paßhöhe, von der der Pfad nach _Strumiza_ hinüberführte, führte
eine Talschlucht nordwestwärts, welche mit einem stattlichen Buchenwald
an der Südseite, am Nordhang mit einem lichten Eichenhain bedeckt war.
Dieses Waldtal habe ich während der beiden Jahre meines Aufenthalts
in Mazedonien mehrere Male besucht. Es gehörte wie die ganze _Plaguša
Planina_ zu jenen Gebieten, welche ich planmäßig zu allen Jahreszeiten
zu besuchen pflegte, um den Wechsel der Fauna und Flora zu beobachten.

Bei diesem Besuch genoß ich mehr das frische Grün des Buchenwalds
und seinen lichten Schatten, als daß ich eine reichliche Ausbeute
erzielt hätte. Diese stellte sich erst ein, als ich noch etwa 200 m
höher gestiegen, in die Gipfelregion des Gebirges gelangte. Beim
Anstieg kamen wir durch Buchengebüsch, dichte Bestände von Hainbuchen
und Ebereschen, zwischen denen als mir neue Pflanzen ein kleines
dunkelblaues Vergißmeinnicht und schöne Glockenblumen standen. Eine
der auffallenden Pflanzen dieses Gebietes war die wilde _Pfingstrose_
(+Paeonia decora+ Anders), deren rote Blüten zwar kleiner waren, als
diejenigen der Kulturrassen unserer Gärten, aber doch einen schönen
stattlichen Eindruck machten.

Als wir uns dem ersten Gipfel näherten, bot sich uns ein wundervolles,
farbenprächtiges Bild dar. Eine blumenreiche Wiese war in der
Gipfelregion von einem dichten Gebüsch von _Weißdorn_ bedeckt. Alle
diese Büsche waren in voller Blüte und die weißen Blumensträuße,
umrahmt von dem sattgrünen Laub, hoben sich scharf und klar von dem
tiefblauen Himmel ab. Es war ein wolkenloser Tag und wir genossen die
Sonnenwärme, die uns hier bestrahlte. Als wir vor Tagesanbruch um
4 Uhr im Tal abmarschierten, froren wir bei 9° C in unseren dünnen
Sommeruniformen; bis 9 Uhr war in 800 m Höhe die Temperatur schon auf
16° C gestiegen. Hier oben maß ich im Schatten mit dem geschwungenen
Thermometer 26° C.

Um die Blüten des Weißdorns flogen zahlreiche weiße Schmetterlinge,
eine Art der Gattung +Mnemosyne+, Verwandte des Apollofalters umher.
Auf den Blättern saßen metallisch glänzende Käfer aus der Gruppe
unseres _Rosenkäfers_ (+Cetonia aurata+, var. +viridiventris+ Reit.).
Bienen und bunte Fliegen umsummten die Blüten.

[Illustration: Abb. 35. Große Raubfliege (+Pogonosoma maroccanum+
Fabr.) +a+ von oben, +b+ von der Seite.]

Bei diesem ersten Ausflug in die Berge war ich noch nicht genügend für
die Sammeltätigkeit ausgerüstet, da mein Gepäck in Kaluckova noch
nicht angelangt war. Um so mehr konnte ich die Schönheit der Landschaft
genießen und mich in der mir ganz neuen Gegend orientieren.

Der erste Gipfel, den ich erstiegen hatte, erlaubte einen weiten
Überblick nach Osten, Norden und Westen. Im Süden war die nähere
Umgebung durch die Fortsetzung der Bergkette, aus der sich noch eine
Reihe von Gipfeln erhob, teilweise verdeckt.

Nach Norden setzte sich das von mir bestiegene Gebirge noch in
eine Gruppe niedriger Gipfel fort, zwischen denen die Täler tief
eingeschnitten waren. Seine Fortsetzung fand es in den Ketten, welche
gegen den Wardar bis Demir-Kapu sich hinzogen. An den Abhängen der
Berge und in den grünen Winkeln der Täler sah man kleine, türkische
Ortschaften eingeschmiegt, als solche zum Teil an den Minarets zu
erkennen. Nach der Karte erkannte ich Arazli Menekli, Kara Eliasli, und
Baceli-Cesme. Nach Süden sah man der Westkante des Gebirges entlang,
welche in schroffen Felswänden mehrere hundert Meter fast senkrecht zum
Wardartal abfiel. Über die vor mir liegenden Gipfel hinweg sah ich in
der Klarheit des schönen Maitages die Berge der Doiranfront mit allen
Einzelheiten vor mir liegen. Eine Menge von Ortschaften konnte man
erkennen, ja es waren unsere Stellungen und diejenigen der Feinde dort
deutlich zu sehen.

Fern hinter diesem Gebiet blitzten der Spiegel des _Doiransees_ und des
_Ardzansees_ auf. Zwischen ihnen ragt ein kegelförmiger Berg auf, der
_Dub_, eine vielumkämpfte Vorstellung unserer Truppen, welche einen
vollen Einblick in die feindlichen Stellungen im südlichen Wardartal
erlaubte. Dort schwebten zwei Fesselballons am Himmel und kaum waren
sie sichtbar geworden, als drüben eine heftige feindliche Beschießung
losging. Von den Granateinschlägen an einer Straße entlang, stiegen
mächtige schwarze Rauchwolken auf.

Über den Seen und den vorderen Bergen hinweg sah ich im blauen Dunst
der Ferne einen hohen Doppelgipfel; es war der _Olymp_, der Götterberg
des alten Hellas, der dort herüberschaute.

Ich überblickte das weite Tal des _Wardar_, wie es sich aus der Enge
bei _Hudova_ öffnete, darüber die mir schon lieb gewordenen Umrisse
der _Marianska Planina_ und der _Mala Rupa_. Durch die grüne Ebene von
Hudova floß der breite Strom, zum Teil in Arme zerspalten, zu einem
neuen Engpaß, in welchem er bei _Miletkovo_ eintrat, um weit nach
Süden bis gegen _Gewgeli_ sichtbar zu bleiben.

Quer von _Miletkovo_ herüber sah man eine Hügelkette an _Mravinca_
vorbei gegen _Dedeli_ ziehen und von dort konnte das Auge rückwärts
wandernd die Reihe der Dörfer am Fuß der Plaguša Planina verfolgen, vom
südlichsten _Piravo_ über _Verceli, Aranli, Terzeli_ und _Kalkova_ nach
_Kaluckova_.

Da ich für die nächsten Tage mir eine neue Besteigung des
Plaguša-Gebirges vorgenommen hatte, so nahm ich jetzt den Abstieg
hinter dem Grünberg nach _Kalkova_, wo ein deutsches Pferdelazarett
untergebracht war. Als ich die Region von ungefähr 500 m Höhe erreicht
hatte, traf ich dort in der Nachmittagssonne ein reiches Insektenleben.
Vor allem häufig waren zwei Arten von _Ameisenlöwen_, darunter die
zierliche Form mit den bandförmigen Hinterflügeln (+Nemoptera sinuata+
Oliv.). Schmetterlinge flogen um die Blüten, auch zahlreiche Bienen und
Fliegen. Auf letztere jagten zwei Libellenarten. Auf den Pflanzen und
am Boden gab es zahlreiche Käferarten, so Mistkäfer, unter denen die
_Pillendreher_ besonders auffielen.

Die gleichen Tiere, in noch vermehrter Menge, konnte ich in derselben
Region beobachten, als ich am 27. Mai, am Pfingstsonntag, den gleichen
Weg, aber mit weiterem Ziel zurücklegte. Geradezu erstaunlich war die
Menge von _Mistkäfern_, welche auf dem Pfad und an den Hängen herum
wimmelten. Sicher ein Anzeichen dafür, daß auf dem jetzt so einsamen
Pfädchen der Verkehr früher viel stärker war.

Als ich in der Gipfelregion ankam, wehte hier ein kalter Wind. Große
Wolken trieben am Himmel und versprachen weniger gutes Wetter als beim
letzten Aufstieg. Am ersten Gipfel flogen wieder die _Mnemosynen_,
d. h. bei der Kälte flogen sie nur in den kurzen Augenblicken des
Sonnenscheins. Sonst saßen sie starr auf den Büschen und ließen sich
leicht mit der Hand fangen.

Aber die Kälte konnte den Insektenreichtum dieser Region nicht
vollkommen unterdrücken. Sowie die Sonne herauskam, erhoben sich die
Schmetterlinge aus ihren Schlupfwinkeln und gaukelten um die Blüten.
Dabei fiel auf, welch kräftige Farben hier in dieser Region die meisten
Arten aufwiesen. In die Augen fallend war vor allem das leuchtende Blau
der Bläulinge.

Auch andere Insekten waren reichlich vorhanden. _Hummeln_ und _Bienen_
lockten durch ihr Summen die Aufmerksamkeit aller meiner Begleiter
auf sich. _Cetonien_ und andere Blumenkäfer ließen sich leicht von
den Sträuchern herunterschütteln. Kleine Bockkäfer waren häufig,
so +Leptura erratica+ Dalm. und +L. fulva de Geer+, wie die bunte
+Strangalia septempunctata+ Fabr. und die dunkle +L. melanura+ L.
Auffallend viele _Spanner_ und _Motten_ flogen umher.

Auf dem Pfad und an seinen Rändern liefen Tigerlaufkäfer (+Cicindela
campestris+ L.) herum und überall waren die kreisrunden Löcher im
Boden zu sehen, in denen ihre Larven auf Beute lauerten. Auf den
Wiesenpflanzen saßen kleine Zikaden mit schwarzrot gefleckten Flügeln
(+Triecphora mactata+ Germ.), eine Schaumzikade. Grillengezirpe ertönte
von allen Seiten, als eine zeitlang die Sonne wärmer schien.

Das Umwälzen der Steine brachte reiche Ausbeute. Viele Käfer, besonders
Laufkäfer saßen unter ihnen. Durch seine krepierenden Bomben aus Sekret
der Afterdrüsen fiel der _Bombardierkäfer_ +Brachinus immaculicornis+
Dej. besonders auf. Ganze Scharen von schwarzen und braunen Juliden,
jenen walzenförmigen, sich einrollenden Tausendfüßlern, traf ich unter
den Steinen an oder fing sie, als sie offen auf den Wegen krochen
(+Brachyjulus unilineatus hercules+ Verh.). Fand ich aber einen jener
großen, flachen, flinken Tausendfüßler aus der Gattung +Scolopendra+,
so saß das Raubtier sicher einsam und ungesellig unter seinem Stein.
Jedesmal gab es eine aufregende Jagd, bis das Tier mit der Pinzette
gefaßt, der schmerzliche und unter Umständen gefährliche Biß vermieden,
und trotz aller Gewandtheit und schnellen Bewegungen die Beute im
Sammelglas saß.

Unter Steinen fand sich hier, wie auch in der Ebene, sehr häufig eine
_Wolfsspinne_ (+Lycosa amentata+ [Clerk]), eine der Formen, welche kein
Netz bauen und ihre Spinndrüsen außer zur Anfertigung der Eierkokons
nur zum Umspinnen der Beute verwenden. Auch dieses stattliche Tier war
infolge der Schnelligkeit seiner Bewegungen nicht leicht zu fangen.

Merkwürdig ist die Tatsache, daß ich hier oben, das einzige Mal in
Mazedonien die bei uns häufigste _Hausspinne_ (+Tegenaria domestica+
[Clerck]) im Freien bei etwa 1000 m Höhe fand, wo sie ihr Netz unter
einem Strauch gebaut hatte. In Häusern habe ich diese Spinne und ihr
charakteristisches Netz in Mazedonien nie beobachtet, was wohl nicht
nur ein Zufall ist.

Eine Merkwürdigkeit der Region waren die zahlreichen Löcher im Boden,
welche der Bautätigkeit von Insekten ihre Entstehung verdankten. Außer
den _Cicindelenlarven_ hatten Ameisen und Bienen solche gebaut. Die
Löcher dieser beiden Insektenformen unterschieden sich aber sehr von
denjenigen der Käferlarven und der Spinnen, die auch nicht selten
waren, durch einen kraterähnlichen Wall aus beim Bau ausgeworfenen
Erdteilchen, welche in regelmäßigem Kreis das Loch umgaben. Auffallend
war oft die gänzlich von der Erde der Oberfläche abweichende rötliche,
schwärzliche oder gelbe Farbe, welche dieser aus größerer Tiefe
stammende, auch vielfach noch feuchte Bauschutt besaß.

Die Ameise, welche hier häufig aus solchen Kraternestern kam und die
Öffnungen eifrig umschwärmte, war eine Form, die auch unten in der
Ebene infolge ihrer Lebhaftigkeit und eigenartigen Körperhaltung
kaum übersehen werden konnte. Es war eine große Ameise, in Größe und
Gestalt unseren Waldameisen ähnlich sehend, mit rotem Kopf, roter Brust
und braunem Hinterleib. Das Tier schoß, wenn es erregt war, mit sehr
raschen Bewegungen im Zickzack hin und her und hielt dabei den Kopf und
die Vorderbeine steil in die Höhe. Es ist die Art +Cataglyphis bicolor+
F. var. +orientalis+ For., deren Arbeiter sich außerhalb des Nestes so
auffallend benehmen.

Hier oben fing ich auch zum erstenmal Exemplare der großen schwarzen,
bronzeglänzenden, flügellosen _Heuschrecke_ +Callimenus oniscus+
Charp.; diese habe ich später im Nikolatal genauer beobachtet und will
daher im Kapitel über jenes Tal näheres über sie berichten und sie dort
abbilden.

Unterdessen war trotz des fortschreitenden Tages der Wind kälter
geworden. Die Bewölkung nahm zu. Indem sie sich von Zeit zu Zeit
in irgendeiner Himmelsrichtung öffnete, ergaben sich engumrahmte
Fernblicke von großer Klarheit und von phantastischer Schönheit.
Bald konnten wir nach Westen durch ein Wolkenloch tief ins Wardartal
hineinsehen, bald wurde es im Osten klar. Dann blickten wir über den
sanfteren Osthang der Plaguša Planina in das Tal von _Strumiza_, dessen
Sohle und Hänge gut angebaut schienen; wohl abgeteilte Äcker und Felder
deuteten auf ertragreichen Ackerbau.

Einmal, als die Wolken sich verteilten, öffnete sich der Vorhang vor
einem Prospekt von zauberhafter Schönheit. Es zeigte sich, auf den
Gipfeln noch schneebedeckt, vor uns im Südosten das Belasizagebirge
mit seinen einfachen, großen Formen. Weit in der Ferne im Osten ragten
aber schimmernde, eis- und schneebekleidete Zinnen in gewaltige Höhen
empor. Wir konnten uns kaum entscheiden, daß es das Rhodogegebirge sein
müßte, als die Wolken sich wieder schlossen und das vorgezauberte Bild
entschwand.

Es war 11 Uhr vormittags; wir hatten unsern Marsch über den Kamm
fortgesetzt, einige der Gipfel erstiegen und waren durch dichtes
Buschwerk gekrochen. Nun nahm die Bewölkung zu, an alle Gebirgsketten
hingen sich schwarze Gewitterwolken, die schließlich auch die unserige
einhüllten. Hagel und Regen prasselten los und hatten rasch unsere
dünnen Uniformen durchweicht. Wir suchten Schutz unter den Büschen,
indem wir uns auf den Boden hockten. Bald aber kam der Regen durch und
wir waren froh auf einen alten Unterstand zu stoßen.

In diesen krochen wir hinein, erlebten aber hier nicht allzuviel
Freude. Das Gewitter umtobte uns, grelle Blitze zuckten durch die um
uns jagenden Wolken, fast im gleichen Niveau, in dem unsere Höhle lag.
Schwere Donnerschläge, den Blitz begleitend, erschütterten den Boden.
Erde und Steinchen rieselten herunter und schließlich ergossen sich
Ströme von Schlamm und Wasser auf uns von oben herab.

Uns schien es richtiger, diesen etwas bedenklichen Aufenthalt zu
verlassen und lieber etwas mehr Nässe zu riskieren. Der ganze Bergkamm
war hier von alten Schützengräben, von Befestigungen und Unterständen
durchzogen. Überall lagen französische und serbische Patronenhülsen und
Rahmen umher. Jeden Augenblick wühlte der Fuß Kugeln aus dem Boden.
Hier mußte einmal ein scharfer Kampf getobt haben.

Ein trockenes Plätzchen fand sich aber nicht. Wir suchten Deckung an
einer Felsenwand. Tief unter uns im Abgrund brodelte der Nebel und
eiskalt fegte der Wind um die Ecken.

Doch ebenso plötzlich wie das Unwetter gekommen war, klarte es wieder
auf. Die Sonne brach durch, die Wolken verzogen sich und schmolzen
vor ihrer Glut dahin. Nach einer halben Stunde war das Gebirge wieder
vollkommen frei, das Gewitter verzog sich nach Nordwesten und in
strahlender Klarheit lag das Land vor uns. Nur um ferne Berge hingen
Wolkenmassen. Wir kletterten noch ein Stück an den Felsengraten weiter,
suchten uns ein gedecktes Plätzchen in den schon trocknenden Felsen.
Es war 1 Uhr geworden, so daß es geeignet schien, den Proviant
auszupacken und während der Mahlzeit die Kleider in der Sonne zu
trocknen. Und richtig, zwischen 2 und 3 Uhr waren wir wieder vollkommen
trocken und konnten mutig unseren Marsch fortsetzen, der uns noch
über die letzten Gipfel der Plaguša-Kette in das Tal bei _Dedeli_
hinunterführen sollte.

[Illustration: Abb. 36. Fernblick vom Westhang der Plaguša Planina.
Blick nach Süden. Richtung Doiransee.]

Unsere Rast war an günstiger Stelle erfolgt. Wir waren in dem
felsigsten, romantischsten Teil des Gebirges. Es war etwas südlich
des Passes von _Kalkova_ nach _Strumiza_. Uns zur Seite stürzte der
Felsen fast senkrecht in die Tiefe; an seine Wand schloß sich unten
eine mächtige Schutthalde an. Im allgemeinen war die Farbe des Felsens
weißlich grau; er bestand in der Hauptsache aus Kalk; eine ganze große
Bergwand war aus Marmorplatten aufgebaut. Hie und da fand man in
Spalten und zerbrochenen Geröllstücken Drusen mit Kalkspatkristallen.
An manchen Stellen traten auch rötliche Färbungen der Felsen auf. Die
Verwitterungsprodukte des Felsens, Erde und Sand, waren an den meisten
Stellen rotgelb. Der Regen hatte manche Tiere mobil gemacht. So fand
ich hier oben, zum ersten Mal im mazedonischen Gebirge _Regenwürmer_,
welche offenbar der eindringende Regen aus ihren Schlupfwinkeln
getrieben hatte. Das gab Anlaß, an mehreren Stellen Löcher zu graben,
um nach weiteren Exemplaren zu suchen. Auch hier in den Bergen war
das Graben in der harten, steinigen Erde sehr schwer. Der Regen war
nur wenige Zentimeter tief eingedrungen, der Humus ganz dünn und in
geringer Tiefe noch vollkommen trocken. Wir fanden weder Regenwürmer
noch irgend ein anderes Tier im Boden.

Dagegen fand ich an den benäßten Pflanzen in größerer Anzahl
_Schnecken_ von verschiedenen Arten der Gattungen +Helix+, +Buliminus+
und +Clausilia+. Eine ganze Anzahl Tiere waren in der feuchten
Luft beweglich und krochen auf Steinen und Pflanzen umher; bei den
verschiedenen Arten waren es Individuen von verschiedener Größe. Am
Boden lagen viele leere, gebleichte Schalen umher.

Auch die _Vögel_ waren nach dem Regen im hellen Sonnenschein recht
munter geworden. Hier oben war ein Vogel sehr häufig, der einen
schönen, dem der Drosseln ähnlichen Gesang hören ließ. Er war aber
kleiner als eine Drossel, hatte einen blaugrauen Kopf, roten Bauch und
roten Schwanz; die Flügeldecken stachen durch ihr dunkles Schwarz stark
von diesen Farben ab. Es war der _Steinrötel_ oder die _Steindrossel_
(+Monticola saxatilis+ L.), ein Vogel, den ich später noch oft in den
mazedonischen Gebirgen beobachtete. Hier war er erst vor kurzem vom Zug
heimgekehrt. Wir sahen ihn auch seinen eigenartigen Balzflug ausführen.
Auch +Saxicola rubetra+ (L.) kam hier oben vor. Raubvögel flogen nicht
selten über den Bergkamm dahin, unter denen wir Adler und Geier,
Bussarde und Falken erkannten, ohne daß wir die Arten genau feststellen
konnten, außer bei den häufigen _Rötelfalken_.

So hatten wir reichlich Beobachtungen gemacht und Tiere gesammelt,
während wir im Kammgebiet südwärts weiter wanderten. Allmählich,
nachdem der Weg uns auf und ab über eine Reihe felsiger Gipfel geführt
hatte, sahen wir von einer Spitze aus den Kamm sich langsam zum Tal
senken. Er blieb dabei ein scharfer Grat, der sich noch mehrmals zu
Spitzen erhob.

Hier oben gab es noch stattliche Bestände von Stacheleichensträuchern;
wie die Wolle eines Schafes sieht auf den Photographien dieser Bestand
vielfach aus. Hier oben beobachtete ich den seltenen Fall, daß eine
Stacheleiche (+Quercus coccifera+ L.) zu einem stattlichen Baum mit
einem knorrigen Stamm von fast 50 cm Durchmesser erwachsen war (Abb.
37). Er stand auf einer blumigen Wiese als vollkommener Eigenbrödler
ganz allein, dahinter ein Gipfel, der noch vollkommen mit niederen
Büschen der gleichen Art bedeckt war. Was mögen es wohl für Bedingungen
gewesen sein, welche es diesem Individuum der Art erlaubten, zu einem
stattlichen Baum zu werden? Sind es wirklich die Ziegen, welche auch
bei dieser Pflanze im Frühjahr die zarten, frischen Triebe abfressen
und so im niederen Wuchs erhalten. Und sollte dies eine Individuum
einmal einen Trieb so lang entwickelt haben, daß er hoch über den
Bereich der gefräßigen Ziegenmäuler ragte und hart und stachlig wurde,
ehe sie ihn vertilgt hatten? Noch einige Male sah ich ältere Bäume von
+Quercus coccifera+, die bewiesen, daß auch diese Eiche die Fähigkeit
hat, zum stattlichen Baum zu werden.

[Illustration: Abb. 37. Hoher Baum der Stacheleiche (+Quercus
coccifera+ L.) in der Bergregion der Plaguša Planina auf blumiger
Wiese, dahinter das übliche Gebüsch der gleichen Eiche.]

Auf dem Felsen wuchsen hier schon jene wollblättrigen Pflanzen, die mir
später in den Hochgebirgen begegneten. In der Plaguša Planina waren
es Kompositen der Gattung +Hieracium+ vor allem +H. pannosum+ Gris.,
die nebenan abgebildet sind, wie sie wie weiße Plüschgebilde sich vom
Felsgestein abheben.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 38. Felsen in der Plaguša Planina
bewachsen mit wollblättrigen Kompositen (+Hieracium pannosum+ Gris.).]

Der Abstieg wurde zur beschwerlichen Felsenkletterei, als wir nun an
einem alten türkischen Turm vorbei den Kamm verfolgten. Der Turm, kaum
ruiniert, ragte stattlich empor und bot einen schönen Blick auf die
reizende Stadt, welche unter uns lag, der Ort mit dem wohllautenden
Namen _Valandova_. Der ganze Kamm, besonders alle Spitzen trugen Spuren
türkischen Mauerwerkes; der Zugang aus dem Gebirge in die Stadt,
und damit einer der Pässe nach _Strumiza_ muß früher stark befestigt
gewesen sein.

_Valandova_ ist ein stattlicher Ort, wenig zerstört, mit vielen
Häusern, deren rote Dächer fast ganz in grüne Bäume eingehüllt sind.
Die Kuppel einer Moschee, ein Minarett, eine christliche Kirche
ragten über die kleinen Häuser empor. Auch die ganze Talebene um
den Ort war in saftiges Grün getaucht, Maienpracht war dort noch
über Wiesen und Felder gebreitet. Wundervoll leuchteten zwischen den
Maulbeerpflanzungen die weißen und violetten Flächen der blühenden
Mohnfelder heraus.

Über Valandova hinaus dehnte sich das Tal weit gegen die _Belasiza
Planina_ aus. Vor uns, jenseits Valandova, lagen die Lazarette von
_Rabrovo_ mit ihren vielen Zelten und Baracken. Jenseits des Tales
mündete die Kleinbahn von Hudova in dem Lager von _Dedeli_. Zwischen
der Endstation der Bahn und dem schattigen „_Hain Mamre_‟ stieg im
Zickzack die steile Straße zum _Furkapaß_ hinauf, welche an die
Doiranfront führte. Staubwolken, welche von ihr aufwirbelten, zeigten
den starken Kolonnenverkehr an, der der wichtigen Doiranfront galt.

Beim Hinuntermarsch nach Valandova galt es wie immer in Mazedonien,
auf weiten Bogen die Schluchten zu umgehen, welche auch hier von
allen Seiten tief in den Berghang einschnitten. Nur so konnte man ein
ermüdendes Auf- und Abklettern an den Schluchtwänden vermeiden; wir
hätten 6-8 Schluchten durchklettern müssen, um auf geradem Weg ins Tal
zu gelangen, hätten wir nicht ihre oberen Enden geschickt umgangen.

Über der Stadt hoben sich von der dürren Felsenwand des Berges zwei
scharf umrissene, dunkle Flecken ab. Es waren dies zwei Haine alter
Platanen. Dem einen von ihnen strebten wir zu, denn einer meiner
Begleiter, Dr. _Laser_, kannte den köstlichen Quell, der in seinem
Schatten entspringt. Der Abend nahte, wir waren 14 Stunden auf den
Beinen, die Feldflaschen waren leer, Durst und Müdigkeit bei uns allen
groß; zudem hatte die Sonne am Nachmittag, je tiefer wir hinabstiegen,
immer mehr ihre mazedonische Sommerkraft entfaltet.

Die Gegend von _Dedeli_ und _Valandova_ ist durch ihre starken Quellen
berühmt. In friedlichen Zeiten muß dies Gebiet ein fruchtbares Land
fast ohne gleichen gewesen sein, und muß es in Zukunft wieder werden.
_Valandova_ war für die Versorgung der Truppen in der Gegend der
wichtigste Markt. Hier konnte man vielerlei Gemüse einkaufen, Bohnen,
Erbsen, Tomaten, Lauch, Zwiebeln und Kohl gediehen üppig auf den gut
bewässerten Feldern und in den Gärten.

Der Sommer brachte alle _Melonenarten_, jetzt gerade reiften die
Kirschen, Pfirsich, Aprikosen-, Äpfel- und Birnbäume hatten reichlich
Früchte angesetzt. Zwischen den Getreidefeldern waren weite Strecken
mit Mohn bepflanzt und die unendlichen Maulbeerhaine verrieten,
daß dieser Teil des Wardartales, vor allem Valandova und Piravo in
Friedenszeiten ein Zentrum der Zucht des Seidenspinners waren, von dem
die Fabriken im nicht fernen _Gewgeli_ einen großen Teil ihres Bedarfs
bezogen. Jetzt noch sah man in einzelnen Häusern die hier ziemlich
primitive Kultur des Seidenwurmes betreiben. Im Tal gab es sogar einige
mit Baumwollstauden bepflanzte Gebiete, eine der wenigen Stellen in
Europa, wo dies wichtige Gewächs, der Reichtum der Südstaaten von
Nordamerika und von Ägypten, gezogen wird.

[Illustration: Abb. 39. Der heilige Hain bei Valandova.]

Während wir uns von diesen Dingen erzählten, erquickte uns der Schatten
des Platanenhains und vor allem die mächtige Wasserader, welche aus
dieser Quelle des Reichtums der Gegend floß. Eine Gruppe von 4-5
riesigen uralten Platanen war an einen senkrecht abfallenden grauen
Felsen angelehnt, aus welchem eine Quelle über einen Meter breit einen
Wasserstrahl aus seinem Innern herausschoß, der sofort als stattlicher
Bach sich in die Schlucht stürzte, die er sich selbst im Laufe der
Jahrhunderte gegraben hatte.

Als wir herannahten, erschien uns der Hain mit seiner rauschenden
Quelle wahrhaft wie ein segenbringendes Heiligtum. Seit die Wolken sich
oben im Gebirge zerteilt hatten, hatte kein Schatten uns mehr berührt.
Schwarz standen die Kronen der Bäume über der glühenden Landschaft,
als wir den Berg, meist stark mit unserer wissenschaftlichen Ausbeute
belastet, hinabkeuchten. Schwarz erschienen die knorrigen, meterdicken
Stämme der Platanen; fast war es, als träten wir in ein dunkles, kühles
Gewölbe ein, als wir den Rand des Schattens erreichten.

[Illustration: Abb. 40. Blick aus dem heiligen Hain bei Valandova auf
Dedeli und den Furkapaß.]

Er brachte uns bald Kühlung und Erfrischung, dieser _heilige Hain_
mit seiner Quelle. Bald erholten sich die Augen von der Blendung des
Sonnenlichtes und man begann die Schönheit des Ortes ganz aufzunehmen.
Graugrün erschienen jetzt die Stämme der Bäume, wie mächtige Säulen
das Blättergewölbe stützend, das sich über uns zusammenfügte. Auf den
gelbgrauen Felsen kletterten Ziegen. Am kaum entstandenen Bach wuschen
Frauen im klaren Wasser.

Und vor uns öffnete sich ein lieblicher Blick über das Tal und die
fernen Berge, wie von einem köstlichen Rahmen umschlossen durch die
Stämme der Platanen und die zierlichen Formen ihrer im Abendhimmel
schwebenden Blätter.

Der Quellbach stürzte bald brausend in die Schlucht, die wir verfolgen
mußten, um in die Stadt zu gelangen. Kaum geboren, mußte der Bach schon
die erste Mühle treiben und so deren noch eine ganze Reihe, ehe er
unten im Tal, zwischen den Häusern der Stadt seine ganze Burschenkraft
verloren hatte und träg über dem Geröll dahinschlich.

[Illustration: Abb. 41. Mühle unterhalb des heiligen Hains bei
Valandova.]

Die Mühlen waren kleine, dunkle Steinhäuser, meist ohne Fenster; durch
die enge Türe sah man direkt in die Mahlstube hinein, wo der Mühlstein
wagerecht sich drehte, so wie unten auch das Mühlrad wagerecht lag und
mit seinen Schaufeln das seitlich zufließende Wasser nach Art einer
Turbine auffing.

Alte türkische Männer mit vermehlten Haaren und Bärten, umgeben von
Knaben, besorgten die geringe Arbeit in den primitiven Mühlen.
Es waren malerische Bilder, welche die Mühlen, zum Teil von
Schlingpflanzen überwachsen, mit ihren hölzernen, halbvermoderten
Zuleitungsröhren, hohlen Baumstämmen, eingeschmiegt in der Wand der
Schlucht darboten. Grell beschien sie noch die Abendsonne, dunkle
Schatten fielen von ihren Wänden auf die Hänge der Schlucht. Das Wasser
toste und brauste durch Röhren, Kanäle, an den Rädern vorbei, der Tiefe
der Schlucht zu, die wir betraten, um unter einer alten, überwachsenen
Brücke den Ort zu erreichen.

[Illustration: Abb. 42. Die Müller und das Innere ihrer Mühle mit dem
wagrecht laufenden Mühlstein und dem Getreidetrichter.]

Dort herrschte auf den Straßen das geräuschvolle Leben der deutschen
Soldaten. Zahlreiche Kolonnen waren hier einquartiert. Vor der
Marketenderei und einer Feldbuchhandlung stauten sich die Mannschaften.
Aus den Höfen tönte das Lachen und Singen türkischer Kinder.
Abendfrieden und goldener Sonnenschein lagen über dem Städtchen, als
wir unseren Wagen, der uns vor der Moschee erwartete, bestiegen.

In der kühlen Abendluft fuhren wir durch das Wardartal nordwärts
„heim‟, wie man schon zu sagen begann. „Heim‟ zu den Briefen aus der
richtigen Heimat, die ich an diesem Abend noch vorfand, als ich voll
von den Eindrücken des reichen Tages im Standquartier wieder eintraf.



SECHSTES KAPITEL

DAS NIKOLATAL


Am Morgen des 1. Juni brauste ein Kraftwagen vor der Türe meines
Laboratoriums an und mit ähnlichem Gebrause drang ein kleiner,
ältlicher, lebhafter Mann in mein Zimmer ein. Er stellte sich als
Hauptmann _Jungmann_ vor: er habe gehört, ein Naturforscher sei hier
angelangt, das interessiere ihn brennend, ob er mir etwas nützen könne,
er sei begeisterter Naturfreund. Hier im Lande könne und müsse etwas
geschehen.

Dieser Mann hat in der Folge mir und der Erforschung von Mazedonien
viel genützt. Mit seinem impulsiven Temperament brachte er Dinge zur
Erfüllung, an welchen andere sich lange herumquälten; um ihn herrschte
stets Bewegung und Leben. Er war Nürnberger Fabrikant, tat hier im
fernen Land seinen Kriegsdienst als Hauptmann und Kommandeur eines
Arbeiterbataillons und suchte seine Zeit durch Vertiefung in die
Kenntnis des Landes und durch hilfreiche Unterstützung aller Forscher
nutzbar anzuwenden. Ich habe viel von ihm gehabt und werde in diesem
Buch seinen Namen oft zu erwähnen haben.

Am 1. Juni lud er mich sofort in sein Auto und fuhr mich am Wardar
entlang in ein schönes Tal, in dem es viele Käfer und andere Insekten
gäbe, wo ein richtiger Wald vorhanden sei und eine unendliche
Blütenfülle prange und dufte. Er hatte mir nicht zu viel versprochen;
das _Nikolatal_ erwies sich als eine zoologische Fundgrube. Es wurde
eine der Stätten, welche ich in allen Jahreszeiten regelmäßig besuchte,
und in welchem ich eine Reihe interessanter Beobachtungen machen durfte.

Jetzt fuhr er mich in flottem Tempo den Wardar aufwärts, an dessen
rechtem Ufer auf der Straße, welche er im Jahre vorher mit seinem
Bataillon gebaut hatte. Hohe mit Buschwald bewachsene Berge faßten das
malerische Tal ein, in welchem der hochgeschwollene Wardar seine gelben
Fluten majestätisch daher wälzte. Die Wände des Tales zeigten die
charakteristischen Erosionswirkungen; zahlreiche Seitentäler führten
brausende Bäche zum Fluß. Die Hügel waren von Buschwald bewachsen,
aus dem jetzt in der schönsten Zeit des Jahres viele bunte Blumen
herausleuchteten.

Stattliche Pappeln standen hie und da am Ufer, alte knorrige Weiden
und Platanen beugten ihre Äste über das Wasser. Die Straße stieg
bald steil über dem Fluß empor, um dann sich wieder fast zu seinem
Spiegel zu senken. Eine Bucht in der Talwand öffnete sich nach
rechts, durch einen seichten, an der Mündung verbreiterten Bach
bogen wir in das _Nikolatal_ ein. Es war zur Zeit ein wasserreiches,
grünes, reich bewachsenes Tal. Längs der Talsohle standen zahlreiche
mächtige Platanen; aber ihre weißgrauen Stämme waren zumeist grausam
verstümmelt. Hier hatten die bulgarischen Soldaten auf der Holzsuche
bös gehaust. Die großen Äste waren meist abgesägt und die uralten
Stämme standen traurig da, hohl und vielfach im Innern ausgebrannt.
Fledermäuse flatterten auf, wenn wir an die Stämme klopften.

[Illustration: Abb. 43. Aussicht ins Wardartal von Nikola gegen Gradec.]

Steil stiegen zu beiden Seiten die dicht bewachsenen Berghänge hinan,
von Schluchten zerrissen, in der Höhe zum Teil von Felsen überragt.
Große Eichen und Eschen bildeten einen beträchtlichen Teil des
Bestandes. An freieren Stellen erhoben sich viele meterhohe Sträucher
von _Buchsbaum_. Trotz der intensiven Ausbeutung durch Deutsche und
Bulgaren dehnten sich noch üppige Baumbestände die Hänge hinan. Wo die
Stämme schwer wegzuschaffen waren, da hatten die Bäume sich erhalten.
Und wirklich, wie der Hauptmann mir versichert hatte, eine reiche
Tierwelt belebte das Tal, kaum berührt von menschlicher Kultur.

Schon der kurze Ausflug dieses Tages brachte eine Anzahl interessante
Beobachtungen. Und schon am 12. Juni wiederholte ich den Besuch
im Nikolatal, diesmal gut ausgerüstet und auf längeren Aufenthalt
vorbereitet. Ein schwerer, bremsenloser Bauernwagen fuhr uns die
Wardarstraße zum Taleingang. Die Fahrt war nicht so gefahrlos, wie
neulich die Beförderung im Auto. Auch war sie zeitraubender. Denn ich
mit meinen vier Begleitern mußten uns jedesmal, wenn es bergab ging,
mit allen Kräften an den Hinterteil des bremsenlosen Wagens hängen,
damit er uns nicht mit den Pferden in den Wardar rutschte.

Aber schließlich kamen wir gut in das _Nikolatal_ und fuhren dort
aufwärts bis zu einer frischen Quelle mit kalkhaltigem Wasser, auf
welche mich beim ersten Besuch schon Hauptmann _Jungmann_ aufmerksam
gemacht hatte. Hier wurden die Pferde ausgespannt und auf die Weide
geführt, einer der Burschen erhielt den Auftrag die Zelte aufzuschlagen
und das Lager zu bewachen, während ich mit zwei Begleitern mich
aufmachte, um die Berge und die Fortsetzung des Tales zu durchforschen.

Auf den Karten ist südlich vom Ausgang des Tales ein Kloster Sv.
_Nikola_ verzeichnet, welches wir schon beim ersten Besuch vergeblich
gesucht hatten. Auch diesmal fanden wir keinen Stein von ihm. Aber
als Anzeichen früherer stärkerer Besiedlung des Tales durfte ich wohl
die zahlreichen Nußbäume deuten, die in großen Mengen an den Hängen
wuchsen. Allerdings die mächtigsten und prachtvollsten unter ihnen
hatte Hauptmann _Jungmann_ auf dem Gewissen, dessen Bataillon sie für
die deutschen Gewehrfabriken gefällt hatte. Nicht minder als diese,
deuteten auf frühere menschliche Bewohner die vielen Reben, welche
über die Bäume und Büsche rankten und hier ein verwildertes Dasein
führten. Es ist ja wohl noch fraglich, ob der edle Wein auf dem Balkan
ursprünglich als Wildpflanze vorkommt.

Zunächst wollte ich die Wälder besuchen; denn solche hatte ich bis
dahin außer im Gebirge in größeren Höhen noch nicht in Mazedonien
angetroffen. Es war keine leichte Arbeit hier zu ihnen zu gelangen.
Der Abhang war mit kantigem Geröll bedeckt, in welchem das Klettern
sehr mühsam war. Dazwischen war ein dichtes Dorngebüsch aufgeschossen,
durch welches man nur mit viel Zeit und Arbeit hindurchdringen konnte.
Brombeeren und Himbeeren, auch Schlehdorn standen zwischen Judendorn
und einer Menge anderer stachlicher Sträucher.

So war ich schon schweißbedeckt und ermüdet, als ich an den Rand
des Waldes gelangte. Der war nun nicht sehr reizvoll. Der Boden
war trocken, steinig und entbehrte fast ganz des Wachstums von
Niederholz oder Kräutern. Knorrige Wurzeln durchzogen nach allen
Seiten die Furchen und Spalten, von denen er stark zerklüftet war.
Umso eigenartiger war die Zusammensetzung des Gehölzes. Neben schönen
hochstämmigen Eichen bestand er am unteren Rand aus _Haselnußbäumen_.
Es waren wirkliche starke Bäume mit knorrigen Stämmen und starken
Ästen. Sie hatten dieselbe streifige, braune Rinde und hatten ganz
ähnliche Nüsse angesetzt wie unsere Haselsträucher. Es war der
türkische Haselbaum (+Corylus colurna+ L.). Weiter nach oben zog sich
ein stattlicher Wald von _Silberlinden_ hin. Die Silberlinde ist
ein sehr charakteristischer Waldbaum des Balkans (+Tilia tomentosa+
Monsch). Hier oben konnten wir eine lange Strecke in ihrem Schatten
wandern; aber auch hier war es kein behagliches Gehen, sondern mehr ein
Klettern.

[Illustration: Abb. 44. +Melanargia larissa vic. taurica.+]

Reizvoller bot sich der Wald der _Silberlinden_ aus der Ferne dar. Am
Nachmittag sahen wir ihn von den Nordbergen über das Tal im Schein der
tieferstehenden Sonne zu uns herüberblinken. Besonders schön erschien
er mir, wenn der Wind über die Lindenkronen strich und nun Licht- und
Schattenwellen über die Oberfläche des Waldes hinzogen und den feinen
Silberglanz der Blätter aufblinken ließen.

Am Kamm der Berge war der dichte Wald von Waldwiesen unterbrochen;
goldener Sonnenschein lag auf diesen Lichtungen, die sich immer wieder
im Dickicht verloren. Auf ihnen wuchsen Salbei (+Salvia sclarea+ L.),
eine Form mit violetten Hochblättern und sonstige Lippenblütler, Wicken
und andere farbige Blumen, welche zahlreiche Insekten anlockten. Hier
flog in großen Mengen ein schwarz-weißer Schmetterling, verwandt mit
unserem Dambrett aus der Gattung +Melanargia+ (+Melanargia larissa+,
ähnlich der kleinen asiatischen +taurica+). Viele Bienen summten
umher, Fliegen und Käfer gab es in Mengen, von letzteren hauptsächlich
Bockkäfer und große silbergraue Rüsselkäfer. Unter ersteren war
+Argalia punctata+ L., ein silberiger Käfer mit dunklen Flecken,
+Agapanthia cynare+ Germ., ein olivgrüner Bock mit gestreifter Brust
und weiß-schwarz geringelten Fühlern besonders auffällig, ferner
der große graue +Morimus funereus+ Muls. mit seinen vier schwarzen
Flügelflecken. Auch ein großer Hirschkäfer (+Lucanus cervus turcicus+
Sturm) fand sich hier.

[Illustration: Abb. 45. Bockkäfer +Argalia punctata+ L. Kaluckova. Nat.
Gr.

Abb. 46. +Morimus funereus+ Muls. Tomeros. Nat. Gr.

Abb. 47. +Agapanthia cynare+ Germ. Nikolatal. Nat. Gr.]

Hauptmann _Jungmann_ hatte uns allerhand von _Rehen_ und
_Wildschweinen_ versprochen, die wir hier oben antreffen sollten. Wir
fanden tatsächlich ein Suhlbett, wo Säue gewühlt hatten und auch auf
einen Rehwechsel stießen wir. So müssen damals tatsächlich solche
jagdbaren Tiere im Gebiet vorhanden gewesen sein. In jenen Tagen war
ich für eine Jagd nicht ausgerüstet und verfolgte andere Absichten.
Als ich im nächsten Jahre (Juni 1918) mit waidgerechten Freunden
eine richtige Jagdexpedition in das Nikolatal unternahm, war es zu
spät. Das Wild war durch zielloses Jagen von Bulgaren und anderen
Soldaten vergrämt und wohl auch erlegt. Im Jahre 1918 konnte ich im
ganzen Gebiete weder Wechsel noch Losung einer Wildart entdecken. Von
Säugetieren traf ich bei allen Besuchen im Nikolatal nur Mäuse und
Fledermäuse an.

Durch den Wald huschten _Schwarzamseln_, verschiedene _Ammern_
waren zu bemerken, _Nußhäher_ flogen vor unseren Schritten auf,
auch _Buchfinken_ waren nicht selten. Raubvögel, die hier in den
Wardarfelsen sehr viel horsten, zogen oft ihre Kreise über uns, in
einigen erkannten wir mit Sicherheit Adler. Ja, wohl zu einem solchen
gehörte ein Horst, den wir am Südhang, an einem unersteigbaren Felsen
befliegen sahen. Bussarde waren nicht selten, ein solcher durch Abschuß
als _Mäusebussard_ erwiesen.

Besonders eigenartig war ein Tier, welches ich hier auf der Südseite in
großer Anzahl antraf. Es war ein großes grillenähnlich aussehendes Tier
von etwa 6-8 cm Länge, so groß wirkend wie eine Maus. Es stellte sich
später als eine eigenartige _Heuschreckenart_ heraus. Zwei einander
sehr ähnliche Arten kamen im Lande vor; sie gehören zu zwei Gattungen
und führen die wissenschaftlichen Namen +Callimenus oniscus+ Charp.
und +Dinarchus dasypus+ Illig. Beide wären geeignete Vorbilder für
einen Kunstgewerbler vom Talent und den Neigungen eines Japaners. Sie
sehen schon im Leben aus, als wären sie aus Bronze gebildet. Beide
Gattungen gleichen sich sehr mit ihrem kantigen Brustschild und ihren
langen dünnen Fühlern. Meist sind sie schwarz oder dunkelbraun gefärbt,
manchmal ist ein grünlicher Ton auf ihrer Oberfläche ausgebreitet.
Stets glänzen sie eigenartig metallisch.

[Illustration: Abb. 48. Große Bronzeheuschrecke (+Dinarchus dasypus+
Illig). Männchen (unten) und Weibchen (oben).]

Beide Arten hüpfen trotz ihrer langen Hinterbeine nicht, sondern
sind außerordentlich träg in ihren Bewegungen. Bei der einen von
ihnen dient eine auch sonst bei Insekten häufige Eigentümlichkeit
als wirksame Verteidigungswaffe. Faßt man diese Heuschrecken an, so
lassen sie an verschiedenen Gelenken ihres Körpers eine gelbe, klebrige
Flüssigkeit in solcher Masse austreten, daß einem die ganzen Hände
damit verschmiert werden, und daß sie in großen Tropfen über diese und
von ihnen hinabfließt. Diese Flüssigkeit ist ihr Blut, welches durch
Poren austritt und auf Feinde eine abwehrende, vielleicht auch ätzende
Wirkung hat. Es wird angegeben, daß diese Ausscheidung nur bei der
Gattung +Callimenus+ vorkommt, nicht bei +Dinarchus+ und zwar bei jener
aus den Zwischenräumen zwischen dem ersten und zweiten Dorsalsegment
des Abdomens. Ich glaube sie bei allen Individuen der Arten, die
ich fing, beobachtet zu haben und zwar an verschiedenen Stellen
des Körpers. Doch achtete ich in Mazedonien nicht genügend auf die
Verschiedenheit der zwei Arten, die ich erst in der Heimat feststellte.

Beim Abstieg vom Nordkamm geriet ich mit meinen Begleitern wieder in
dichtes Dorngebüsch, durch welches wir uns nur mit dem Seitengewehr
einen Pfad hauen konnten. So verirrten wir uns und kamen erst nach
vielen Stunden erschöpft bei den Zelten an, wo schon die Kochtöpfe über
dem Lagerfeuer dampften.

Für die Nachmittagsstunden war nicht viel Kraft übrig; so wurden an
diesem Tage keine Berge mehr bestiegen, sondern der Bach und seine
Ufer untersucht. Plätschernd floß das Gewässer über die Steine, hie
und da einen breiten, tiefen Tümpel bildend, wo etwa ein vom Hang
herabgerollter Felsblock oder ein gebrochener Baumstamm es gestaut
hatte. Solche Tümpel bildeten höchst geeignete Badewannen, in denen
jeder von uns nachmittags ein erfrischendes Bad nahm.

Das durfte aber erst geschehen, nachdem der Bach sorgfältig auf seine
Tierwelt untersucht war. Sand und Steine bedeckten seinen Grund,
das Wasser war von durchsichtiger Klarheit. So sah man zwischen
den Steinen kleine Fische lebhaft herumschießen, welche sich als
jugendliche Individuen derselben Barbenart herausstellten, die ich
später in riesigen Exemplaren im Wardar fing. Hier in den kleinen
Bächen hielten sich also vor allem die Jugendstadien auf, die großen
Barben hätten in diesen kleinen Gewässern gar nicht Platz.

Unter Holzstücken und Steinen fanden sich zahlreiche _Flußkrebse_
in allen Größenstadien, von kleinen einjährigen bis zu großen
ausgewachsenen Exemplaren. Es waren zwei Arten hier im Bach vertreten,
+Astacus fluviatilis+ L. und +A. torrentium+ Schrank.

Auf dem Wasserspiegel im Schatten der Bäume schwirrten stahlblau
schimmernde Taumelkäfer im Kreis herum. Sie gehörten zwei Arten an
(+Aulonogyrus concinnus+ Klug und +Gyrinus caspius+ Mén.). Wasserläufer
schossen von Ufer zu Ufer auf der Oberfläche der Tümpel. Unten am Boden
lagen die Larven der Libellenarten, welche blau, rot, grün gefärbt, in
vielen Formen unter den Bäumen, im Röhricht umherhuschten. Vor allem an
Stellen, wo der Bach sein Kiesbett in viele Arme geteilt durchströmte,
wo Binsen, kleine Weidenbüsche und Minzen wuchsen, waren viele Arten
von Libellen versammelt, welche auf all die kleineren Insekten jagten,
die über den Blüten der Sumpfpflanzen gaukelten.

Trotz der Feuchtigkeit und des reichen Pflanzenwuchses fiel mir bei
jedem Besuch des Nikolatales wieder die Armut der _Schnecken_fauna auf.
Zwar eine Art mit dunkler, schwarzbrauner Schale, von der Größe unserer
+Helix pomatia+ L. kam in vielen Individuen vor. Aber sonst fanden sich
nur wenig Schneckenarten in geringer Individuenzahl. Jene große braune
Art fanden wir auch an jenem Abend in größerer Anzahl in der Nähe des
Baches.

Über all diesen Beobachtungen sank die Nacht herab. Meine Leute
versammelten sich am Lagerfeuer, während das Abendrot am Himmel
verglomm. Als es dunkel wurde, das Feuer zusammensickerte, zogen wir
uns alle müde in unsere kleinen Zelte zurück. Mein Bursche hatte mir
Gräser und Blüten unter meine Decke gesammelt, so daß ich recht wohlig
auf dem Sandbett eines ausgetrockneten Baches mich ausstreckte, ermüdet
von dem anstrengenden, früh begonnenen Tag.

Ehe ich mich niederlegte, beugte ich mich noch einmal aus dem Zelt
heraus und blickte aufwärts, wo über dem tiefschattenden Gewölbe der
Platanen die Sterne in klarer Pracht aufblitzten. Nun begann es auch
auf der Erde zu gleißen und zu blinken. Hunderte von Leuchtkäfern
hatten mit ihrem Lichtspiel begonnen; im Gras saßen die Weibchen
und antworteten mit ihrem Lichtsignal auf den Lichtblitz eines
vorüberfliegenden Männchens. Es war eine Art, welche abwechselnd ihr
Licht erscheinen und wieder verschwinden ließ. Es war äußerst reizvoll,
das Frage- und Antwortspiel der einzelnen Paare zu beobachten, welche
sich allmählich zueinander blinkten und unsere Soldaten fingen sofort
an, die Tiere mit unseren Blinkern zu vergleichen.

Rasch ging es noch einmal zum Zelt heraus, um eine Anzahl
Belegexemplare der Art, es war +Luciola lusitanica+ Charp., zu sichern.
Es war wohl der Mühe wert gewesen, das Zelt noch einmal zu verlassen,
denn es zeigte sich, daß das Geblinke der Leuchtkäfer in Büschen und
Bäumen an der ganzen Talwand und rings um den Bach sich tausendfach
wiederholte. Unendliche Mengen der Tierchen waren in dieser Nacht
unterwegs; unter den Wölbungen der Bäume verbreitete ihr Licht einen
zarten geheimnisvollen Schimmer und an der Talwand wiederholten sie die
Sternbilder, welche am Himmelsdom strahlender zu glänzen schienen, als
je.

Trotz aller Müdigkeit war es ein schwerer Entschluß sich ins Zelt
zurückzuziehen. Während die Augen langsam zufielen, ertönte über der
Zeltbahn, aus allen Bäumen und Büschen der Umgebung das klangvolle Lied
der Nachtigallen, deren es große Mengen im Nikolatal gab. Mit ihren
schönen Stimmen vereinigte sich das Orchester der zahllosen Frösche,
die feinen Glockentöne der Unken am ganzen Bach entlang. Während ich
einschlief, störte mich das feine Summen der Schnaken nicht, die ich
am nächsten Morgen als +Culex+ und +Anopheles+, also als harmlose
Stechmücken und Malariaüberträger erkannte. Aber hier in menschenloser
Gegend konnten wir die Stiche von ihnen beiden als harmlos betrachten.

Lange, ehe die Sonnenstrahlen ins Tal hineinlangten, waren wir am
nächsten Morgen wieder marschbereit. Heute galt es den Nordhängen des
Nikolatales, welche schon von unten her ein besonders malerisches
Bild darboten. Ich stieg durch ein flaches Nebental hinan, in welchem
zwischen den hohen Buchsbaumstauden schöne, weiße Lilien (+Lilium
candidum+ L.) standen. Ihr süßer Duft wurde vom Morgenwind talwärts
uns entgegen getragen. Meine Soldaten sprachen sofort von Engels- und
Madonnenhänden, in welche diese frommen Blumen gehörten und beschlossen
sofort am Abend den Schwestern unseres Lazaretts einen großen Strauß
mitzubringen, was auch geschah.

Auch in dem Naturforscher weckten die steifen, sanften Blüten
Erinnerungen an Bilder alter Meister. Und doch konnte ich nicht
übersehen, daß in ihren Kelchen vielfach Käfer einer eigenartigen roten
Form saßen, welche durch irgend etwas sich zu den Lilien angezogen
fühlten. Es war +Lilioceris lilii+ Scop.

Durch einen feinen, von hellen Felstrümmern besäten Rasen ging die
Kletterei aufwärts, bis die Steigung sanfter wurde und sich wie auf den
Wiesen eines Parkes auffallend schön geformte, dunkelbelaubte Bäume vor
mir erhoben.

[Illustration: Abb. 49. Vegetationsbild aus dem Nicolatal (+Quercus
lanuginosa+ Lam.).]

Wieder fanden sich hier _Buchsbäume, Eichen, Eschen_ und _Hainbuchen_,
teils einzeln stehend, teils in Gruppen miteinander vereinigt. Was sie
aber alle auszeichnete, waren die gedrungenen Formen ihrer Stämme,
die schönen Umrisse ihrer Kronen. Besonders trat unter ihnen der
_Feldahorn_ (+Acer campestre+ L.) mit seinen zierlichen Blättern
hervor. Die Formen aller dieser Bäume entzückten mich durch ihre
malerische Schönheit. Man hätte sich hinsetzen und eine der Gruppen
nach der anderen malen können; jede hätte ein eigenartiges, reizvolles
Bild ergeben auf dem blumenbedeckten Rasen mit den weißen Felsen
dahinter, über dem sich ein dunkelblauer Himmel, von großen weißen
Wolken durchschwebt, ausspannte.

Es waren _Wetterbäume_, die hier in trockenem Fels unter dem Einfluß
regelmäßiger Windströmungen langsam durch viele Jahrzehnte gewachsen
waren, bedächtig Zweig neben Zweig setzend, aber so bei jeder Ast-
und Stammverdickung jeden Millimeter ihrer Umgebung abringend. So
glichen sie jenen japanischen Zwergbäumchen, welche unter dem Zwang des
Menschen ähnliche Formen aber noch viel geringere Dimensionen annehmen.
Neben dem Feldahorn waren die Eichen und Hainbuchen (+Carpinus
duinensis+ Scop.) besonders schön gewachsen. Letztere und der Feldahorn
waren mit reifenden Früchten dicht bedeckt.

Um die Gebüsche und unter den Kronen der Bäume dehnte sich ein fast
haideähnliches Pflanzenpolster aus. Da blühten dunkelrote Skabiosen
(+Knautia macedonica+ Grieseb.), weiße und gelbe Schafgarben, große und
kleinblütige Johanniskräuter (+Hypericum olympicum+ L.), viele Gräser
waren in Blüte. Das Seltsame der Landschaft wurde noch stark betont
durch eine Anzahl Knabenkräuter mit hohen dunkelrot und braungefärbten
Blütenrispen, deren Blüten sich in eine lange, schmale Unterlippe
fortsetzten. Phantastisch wiegten diese eigenartigen Blüten sich im
leichten Bergwind. Es war eine Art der Gattung +Himantoglossum+ (+H.
caprinum+ (M.B.)).

Weiter oben wurde die Wiese wieder üppiger, dort stand auch der
_Sanddorn_ (+Hippophae rhamnoides+ L.) in mächtigen Büschen, die zum
Teil baumartig aufgewachsen waren. Als eigenartiger Befund ließen sich
kleine Bäumchen des _Lebensbaumes_ (+Thuia orientalis+ L.) nachweisen,
die wohl von der alten Besiedelung herrührten.

Vor allem war aber hier die Wiese reich an bunten, duftenden Blüten.
Eine farbenprächtige Kronenwicke (+Coronilla varia+ L.), zahlreiche
verschiedenfarbige Wicken, Tragantharten, eine kleine rosablühende und
eine große Winde mit mächtigen, weißen Trichtern, viele Lippenblütler,
eine Anzahl Doldenpflanzen bildeten mit ihren gelben, roten, blauen und
violetten Blumen einen farbenreichen Teppich. Bemerkenswert war viel
Hafer, der wild zwischen den anderen Gräsern stand und gerade blühte.

Zwischen den Felsblöcken ragten stattliche Königskerzen (+Verbascum
pulverulentum+ MB.) empor, die meist erst gerade zu blühen anfingen;
neben ihnen erhoben sich üppige Disteln mit weißen und roten Blüten,
welche nach Art von Kompaßpflanzen ihre Blätter senkrecht aufgerichtet
hielten, so daß ihre Oberflächen alle in einer Ebene, der Ebene des
Meridians, lagen. Somit standen die Kanten der Blätter nach Osten und
Westen, die Flächen nach Süden und Norden. Wie _Stahl_ bei unserem
gewöhnlichen Lattich (+Lactuca scariola+) gezeigt hat, wird durch diese
Stellung der Blätter bei Pflanzen in sonnigem Klima und besonders auf
trockenem Standort ein geringerer Wasserverlust durch Transpiration
und eine Milderung der Schädigung durch zu intensives Sonnenlicht
herbeigeführt. Es ist nicht verwunderlich, daß in einem Lande mit so
sonnigem trockenen Sommer, wie ihn Mazedonien hat, zahlreiche solche
Kompaßpflanzen vorkommen, die ich denn auch an vielen anderen Orten
beobachtete. Die Hauptarten waren +Carduus leiophyllus+ Petr. und
+Silybum marianum+ L.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 50. +Cirzium sp.+ bei Kaluckova.]

Schon nach dem Anblick von unten hatte ich hier oben eine reiche
Insektenwelt erwartet. Ich wurde nicht enttäuscht. Als erster Fund
trat uns ein großer schwarzer Schmetterling mit weißen Flecken
entgegen, der hier auf dem Nordkamm ebenso dominierte, wie drüben auf
dem Südkamm gestern das Dambrett. Schon an seinem schönen stolzen
Flug erkannte ich ihn als einen +Satyrus+ (+S. circe+ Fab., dort auch
+S. anthelea amalthea+ Friw.). Männchen und Weibchen flogen in großer
Zahl hintereinander her, wirbelten sich hoch in die Luft, um dann
tief hinabtauchend in das Gras, selbst zwischen die Halme zu fliegen.
Oft konnte man die Tiere sich begatten sehen. Es war wohl großer
Hochzeitstag. Die Weibchen sah man immer wieder tief ins Gras fliegen,
um da als echte Grasfalter die Eier abzulegen. Von Schmetterlingen
waren hier auch _Hesperiden_ sehr häufig, so +Hesperia orbifer+ Hub.
und +H. cinare+ Rbr. und +H. malvoides+ Elw. und Edw.

Nicht unerwähnt soll ein damals erbeuteter _Perlmutterfalter_ der Art
+Argynnis niobe+ L. sein, der durch seine riesenhafte Größe auffiel und
an asiatische Formen erinnert. Er dürfte wohl eine neue Form sein.

In diesen Wochen, Mitte Juni, machte es mir immer wieder einen starken
Eindruck, wie jeweils eine Insektenart in großer Individuenzahl
einige Tage stark vorherrschte, um dann nach wenig Tagen fast ganz
zu verschwinden. Libellen, Ameisenlöwen, Käfer, einige Fliegenarten
und vor allem Tagschmetterlinge sind solche Eintagstiere. Ihr Leben,
ohnehin kurz angesetzt, wird in der Tropenglut mazedonischer Sommertage
rasch aufgezehrt. Indem in einem Jahre die meisten Individuen in
denselben Tagen zur Eiablage schritten, gelangen ihre Nachkommen zur
gleichen Zeit zum Ausschlüpfen, so daß dies periodische Erscheinen
besonders auffällig wird.

Eine besondere Freude machte meinem Insektensammler _Rangnow_ der Fang
einer ganzen Anzahl von _Sesien_, jenen eigenartigen Schmetterlingen
mit glasartig durchsichtigen Flügeln, die wir auf den Doldenpflanzen
fanden; hier gab es auch eine Form mit undurchsichtigen Flügeln
(+Microsphecia myrmosaeformis+ H. S.). Libellen, zahlreiche solitäre
Bienen, Blatt- und Schlupfwespen und Fliegenarten brachten reiche
Ausbeute. Auch Käfer, besonders Vertreter der prachtvoll metallisch
glänzenden Rosenkäfer (+Cetonia aeruginosa+ Drury), die brummend durch
die Luft flogen, vermehrten die Ausbeute.

Einen besonders interessanten Beitrag zum Problem der Eintagsinsekten
brachten hier die _Ameisenlöwen_. Mit ihnen werden wir uns in einem
besonderen Kapitel beschäftigen. Hier sei nur hervorgehoben, daß wir
diesmal vom Nikolatal vier Arten dieser eigenartigen Tiere mitbrachten.
Wie Zwischenformen zwischen Libellen und Schmetterlingen erscheinen
sie mit ihren genetzten aber doch buntgefärbten Flügeln, wenn sie
langsamen Fluges über die Blumen gaukeln. In großen Mengen trat die
Form mit den bandförmigen Hinterflügeln auf (+Nemoptera sinuata+
Oliv.), welche auf der _Plaguša Planina_ vor einigen Tagen aufgetreten
war, in wenigen Exemplaren dagegen, zum Teil ganz frisch ausgeschlüpft,
flatterten langsamen Fluges die auffallend großen _Planares_ mit ihren
braungefleckten Flügeln umher, nicht häufig waren Vertreter einer
dritten Form echter Ameisenlöwen, während ein _Ascalaphus_, ein schön
schwarz-gelb geflecktes Tier, häufiger vorkam.

[Illustration: Abb. 51. Buschwald und Talbildung im Nikolatal.]

Sehr auffallende _Schildwanzen_ fanden sich auf den Doldenblüten; es
waren lebhaft rot und schwarz gebänderte Tiere der Arten +Graphosoma
semipunctatum+ F. und +italicum+ Müll. Vor allem fiel aber die
größte Landwanze Europas +Mustha spinulosa+ auf, die in Scharen an
den Baumstämmen herumlief. Es ist ein vorderasiatisches Tier, das im
Balkan, vor allem in dessen Osten vorkommt.

Rot und schwarz gezeichnet waren auch _Langwanzen_ der Arten
+Spilostethus saxatilis+ Scop., +pandurus+ Scop. und +equestris+ L.,
welche auch in großer Anzahl auf dem Schwalbenwurz sich aufhielten.
Auf den _Salbei_arten der Felshalden fand sich +Calocoris cinctipes+
Costa, ein typisch mediterranes Tier. Auf verschiedenen Pflanzen jagden
auf Blattläuse schwarz- und rotgewürfelte Krautwanzen +Doraeocoris+
Schach., eine Art von ähnlicher Verbreitung wie die vorige.

Ein Tier, dessen Stich sehr unangenehm war, fand sich wie bei Kaluckova
und in der Plaguša Planina auch hier im Nikolatal, die große, bunte
Raubwanze +Rhinocoris iracunda+ Poda; sie schwärmte an Büschen und
blühenden Pflanzen im Sonnenschein umher und verführte gelegentlich zum
Fang mit der Hand, was sich empfindlich bestrafte.

Auch sogenannte _Leuchtzikaden_ gab es im Nikolatal, jene Tiere mit
fast schnabelförmig verlängertem Vorderkopf, bei denen man früher in
diesem ein Leuchtorgan suchte, welches aber nie nachgewiesen wurde, da
es gar nicht existiert. Trotzdem haben die Tiere den Namen Leuchtzirpen
behalten. Sie sind deswegen nicht weniger interessant mit ihrer
Wachsproduktion am Hinterende, welche bei manchen exotischen Arten ganz
enorm ist. Im Nikolatal kamen zwei flink springende Arten mit grün
geäderten Flügeln vor (+Dictyophora europaea+ L.), der europäische
Laternenträger und +Chanithus longirostris+ Walck.

Unter diesen Fängen und Beobachtungen waren wir am Kamm angelangt,
wo ein frischer Wind blies und wir mit Behagen uns unter einem Baum
niederließen, um den Ausblick zu genießen, der vor allem nach Norden
sich reizvoll vor uns öffnete. Wir blickten in die Felsenberge gegen
_Demir Kapu_; dicht vor uns öffnete sich ein weites zirkusähnliches
Tal, am jenseitigen Rand von einem weißen, rosa angehauchten Kalkgrat
abgeschlossen. Die _Wardarschlucht_, nach Norden sich verengend, lag
tief unter uns. Nach Süden konnten wir den Fluß in vielen Windungen
durch das felsige Land verfolgen, das dürr und kahl aussah, bis auf
die Talmulde bei _Gradeč_, von wo das angebaute und Gartenland grün
herüberschimmerte.

Nach kurzer Rast stiegen wir diesmal vorsichtiger auf wohlüberlegten
Pfaden rasch zur Talsohle ab. Dann wurde gegessen, die Zelte abgebaut,
der Wagen beladen und bespannt, worauf die Heimreise nach Kaluckova
angetreten wurde. Im Nikolatal war die Umgebung des Baches, im Tal des
Wardars, dessen Ufer umflogen von vielen Hunderten von _Libellen_,
welche in diesen Tagen wesentlich zum Charakter der Landschaft
beitrugen.

[Illustration: WARDAR OBERHALB DEMIRKAPU.]

Am Abend, beim Übergang über den Wardar bei Hudova, spiegelte der Fluß
einen unvergeßlich schönen Sonnenuntergang wieder, in welchem die
Felsenberge der Schlucht wie flüssiges Metall glühten, das sich über
den Spiegel des Wassers zu ergießen schien, blaue und grüne Schatten in
den Wogen erzeugend.

Am 31. Juli erfolgte ein weiterer Besuch des Nikolatales. Wie im
Wardartal, so trat uns auch in den engen Tälchen die Macht der
verdorrenden Sommersonne Mazedoniens augenfällig entgegen. Sie hatte
uns schon auf dem Weg überfallen. Kaum hatten wir die Wardarbrücke bei
Hudova passiert, so brach unser leichter, von den Fliegern geliehener
Wagen zusammen. Ein Hinterrad zerkrachte hoch oben am Steilufer des
Wardar und es fehlte nicht viel, daß Wagen, Pferde und Menschen in die
brausende Flut hinuntergekollert wären. Jedenfalls mußten wir den Wagen
zurückschicken; da ich aber den Plan nicht aufgeben wollte, so galt es
auf der Landstraße zu marschieren, was bei den deutschen Soldaten in
Mazedonien nicht sehr beliebt war. Mit frischem Marschgesang war die
staubige Strecke bald überwunden.

Zu meinem Erstaunen fand ich aber den Bach des Nikolatales in seinem
Unterlauf schon vollkommen ausgetrocknet. An den Hängen des Tales war
es fast schon so verdorrt und verstaubt, wie draußen bei Hudova. Alle
die blühenden Frühlings- und Frühsommerpflanzen waren verschwunden.
Kaum einige verdorrte Stengel zeugten noch von der Lilienpracht;
nichts mehr war von Orchideen, von Salbei oder Fingerhut zu sehen.
Die Bäume waren verstaubt und von den an ihnen kletternden Weinreben
hingen schwere Trauben herab. Hie und da ragte eine schon oben
früchtetragende, am unteren Teil des Stieles noch kümmerlich blühende
Königskerze, eine mit dicken Schöpfen beladene Distel, empor.

Im trockenen Teil des Baches waren die Steine mit einer kalkigen, aus
dem verdunsteten Wasser ausgesickerten Masse überzogen. Die _Krebse_
und die _Barben_ befanden sich an feuchten Stellen oder unter dem Boden
im Sommerschlaf. Hie und da lag auch von beiden Formen ein totes,
vertrocknetes Exemplar, da wo es das zurückweichende oder verdunstende
Wasser zurückgelassen hatte. Nur die Büsche und Bäume zeigten noch
Grün, ebenso der weite Flächen bedeckende Adlerfarn, der jetzt mit
seinem dunkelen Grün vielmehr auffiel, als zwischen der Üppigkeit des
Juni. Das Insektenleben war viel geringer geworden, die Vögel still. An
ihrer Stelle hatte das Konzert der Heuschrecken zugenommen. Von glühend
von der Sonne bestrahlten Büschen erscholl der schrille Gesang von
Zikaden (+Cicada plebeja+ Scop., +Tettigia orni+ L. u. A.).

Die Vögel waren viel stiller als im Frühling und Frühsommer und nur
in den Morgen- und Abendstunden lebhafter. Amseln, Ammern, Finken und
Nußhäher wurden beobachtet.

Von Schmetterlingen flogen noch reichlich Segelfalter in zweiter
Generation, viele Bläulinge und Weißlinge. Sonst waren Insekten im
allgemeinen spärlicher. In größeren Mengen waren sie noch am Bach
versammelt. Im Schatten der Bäume und vor allem im dichten Gebüsch, wo
noch Minze und Doldenpflanzen blühten, da hatten Schmetterlinge, viele
Dipteren, besonders Syrphiden, Stratiomyiden, Anthomyiden Schatten und
Kühle, aber auch die wenigen noch blühenden Pflanzen aufgesucht. Auch
Bienen, solitäre Formen in zweiter Generation, Hummeln, von Wespen
verschiedene Arten, darunter die großen Scoliaarten, waren noch da. Vor
allem war aber hier der Tummelplatz vieler Libellen in einer ganzen
Anzahl von Arten. Die Wasserrhynchoten, Wasserwanzen und Wasserläufer
waren jetzt alle geflügelt und bei der Fortpflanzung.

Besonders auffällig waren jetzt die _Reptilien_ von denen +Lacerta
muralis+ Laur. und +viridis+ Laur. viel beobachtet, +Coluber
leopardinus+ Bon., die _Leopardnatter_ und +Tropidonotus tesselatus+
Laur., die _Würfelnatter_ in mehreren Exemplaren gefangen wurden.
Auch Schildkröten, die zwei verschiedenen Arten von Landschildkröten,
begegneten uns.

Von späteren Besuchen der Gegend sei einer im Herbst erwähnt, Anfang
Oktober, zu einer Zeit, in welcher der ganze Boden von duftenden
+Cyclamen+ (Alpenveilchen) (+C. neapolitanum+ Ten.) bedeckt war.
Noch schöner und auffälliger waren die großen Flächen, welche dicht
mit den leuchtend bläulichrosa gefärbten Sträußen der mazedonischen
Herbstzeitlose (+Colchicum byzantinum+ Ker. Gawl.) überzogen waren.
Viele Kräuter und Sträucher, selbst die großen Disteln, hatten unter
dem Einfluß der ersten Herbstregen neue Triebe gebildet und bereiteten
einen kurzen Ersatzfrühling nach der Dürre des Sommers vor. Zu dieser
Zeit ist im Wardartal das Phänomen des Herbstzuges der nördlichen Vögel
oft prachtvoll zu beobachten.

Der schöne Spätherbst mit reichlichen Regengüssen kann bis in den
Dezember hinein dauern, ehe der mazedonische Winter mit Eis und Schnee
einzieht. Zu dieser Zeit kam ich nur am Ausgang des Nikolatales vorbei.
Die Hänge lagen voll Schnee, der Bach hatte eine leichte Eisdecke. Mit
einem alten Kolkraben balgte sich eine Schar Dohlen, Elstern und Krähen
um das Aas eines gefallenen Tieres und bildeten so eine malerische
Silhouette auf dem weißen Hintergrund der Straße zum unvergeßlichen
Nikolatal.



SIEBENTES KAPITEL

FAHRT INS GEBIET DER MALA RUPA.


Von meinem Standquartier _Kaluckova_ aus hatte ich oft meine Blicke
sehnsüchtig nach den blauen Bergen schweifen lassen, die westlich
über dem Wardar in weiter Ferne zart und duftig aufragten. Vor allem
im Monat Mai boten ihre schneebedeckten Gipfel einen eigenartigen
Kontrast zur farbigen Üppigkeit des Vordergrundes dar. Grün leuchtete
die Wardarebene vor den Hügeln, die Kaluckova umgaben, die Bäume
blühten, bunte Blumen bedeckten die Wiesen. Jenseits des Wardar
erhoben sich bebuschte Hügel, die allmählich in höhere bewaldete
Berge übergingen, welche von der Bevölkerung als _Marianska Planina_
bezeichnet wurden. Mehrere Ketten zogen hintereinander, immer höher
aufsteigend und entwickelten vor allem in der Zeit des Sonnenuntergangs
alle Abstufungen blauer und violetter Töne. Hinter ihnen erhoben sich
in phantastischer Klarheit die höchsten, schön geformten Pyramiden
der Schneeberge mit ihren weißen Flanken und dem strahlenden Blau der
Schatten ihrer Schluchten.

Der Schnee war schon bis auf kleine Reste weggeschmolzen, als es
endlich gelang, die Fahrt ins Gebirge zu unternehmen. Auf der Karte war
der Gebirgsstock als _Dudica_ bezeichnet und von unseren Truppen wurde
besonders die Berggruppe der _Mala Rupa_ oft genannt, auf der sich
Stellungen befanden. Allerhand merkwürdiges wurde von diesen Bergen
berichtet und so waren meine Erwartungen aufs höchste gespannt.

Bei den bescheidenen Hilfsmitteln, welche mir damals in den ersten
Monaten meines mazedonischen Aufenthaltes zur Verfügung standen,
konnte keine größere Expedition geplant werden. Ich mußte sehen, wie
ich mit meinen beiden Begleitern, Prof. _Müller_ und Sammler _Rangnow_
irgendwie an die Berge herankam. Das Weitere würde sich dann schon
finden.

Da bot die Freundschaft des Fliegerhauptmanns _Arndt_ eine besonders
günstige Möglichkeit. Er stellte mir für einige Tage seinen Kraftwagen
mit den Fahrern zur Verfügung und so konnte ich mir vornehmen, in
einem halben Tag nach dem Dorf _Koinsko_ zu gelangen, welches am Fuße
der _Mala Rupa_ liegt. Dort hielt sich in militärischer Dienststellung
um jene Zeit Prof. _Leonhard Schultze-Jena_ auf, der bekannte Geograph,
der mir bei meinen Plänen behilflich sein wollte.

[Illustration: Abb. 52. Kartenskizze von Südostmazedonien. Südliches
Wardartal, Ebene von Hudova, Doiransee.]

Manches kam anders als ich gedacht hatte. Um ½ 4 Uhr nachmittags, am
17. Juli 1917, fuhren wir nach manchen Verzögerungen im Auto in flottem
Tempo von Kaluckova ab. Wir bogen südwärts ins Wardartal ein; kaum
hatten wir einige Kilometer zurückgelegt, als mit lautem Knall ein
Reif platzte; die erste Panne! Nach kurzem Aufenthalt ging die Fahrt
weiter. Die zweite Panne kam im Wardartal bei _Smokwiza_, die dritte
und ernsthafteste im _Mühlbachtal_ bei _Negorci_.

Immerhin gingen die Aufenthalte nicht ungenützt vorbei. Wir fuhren
zuerst durch die Hudovaebene auf dem linken Wardarufer, kamen dicht
bei dem Lazarett Mravinca vorbei und überschritten auf der Kaiser
Wilhelmsbrücke bei Miletkovo den Wardar. Dann ging es in gutem Tempo
am rechten Wardarufer über Smokwiza bis Negorci, wo wir das Tal
verließen und westwärts einbogen, dem Gebirge entgegen. Wie hatte
sich in den letzten Wochen das Wardartal verändert! Vom Frühlingsgrün
war nichts mehr zu entdecken. Alles war verbrannt und verdorrt von
der Sonnenglut. Wo vor wenigen Wochen zwischen den Stecheichen- und
Judendornsträuchern die bunte Pracht der Blüten prangte, da gab es
jetzt nur feinen gelben oder grauen Staub. Kaum fand sich hie und da
noch eine Spur von verdorrtem Gras. Am traurigsten sah es natürlich
in der unmittelbaren Nachbarschaft der belebten Landstraße aus, auf
der hier zur Front nachts und frühmorgens viele Kolonnen verkehrten,
wo Truppen marschierten und der Nachschub vorgebracht wurde. Denn in
diesem Teil des Wardartales bis südlich zur Front bei Gewgeli verkehrte
die Bahn nicht, da die ganze Strecke unter dem Feuer der weittragenden
Geschütze des Feindes stand. So fuhr nur ein Schienenautomobil nachts
südwärts, um wichtige Transporte zu vermitteln. Längs der Straße war
alles, Steine, Felsen, Büsche, Häuser, alles, alles von feinem Staub
eingepudert und keine andere Farbe als fahles Grau war zu sehen, noch
dazu verschleiert durch die Staubwolken, die jeder Mensch, jedes
Fahrzeug, jedes Tier, das sich auf der Straße bewegte, aufwirbelte.

Daß die Straße vom Feinde eingesehen wurde und beschossen werden
konnte, machte unsere Autopannen nicht allzu behaglich. Immerhin kamen
wir gut durch und benutzten den unfreiwilligen Aufenthalt uns jeweils
in der Gegend umzusehen. Von der Staubwüste längs der Straße stach die
Umgebung der Dörfer freundlich ab, besonders da, wo durch Schöpfräder
Wasser aus dem Wardar zugeleitet oder den vom Gebirge dem Fluß
zustrebenden Bächen zur Bewässerung der Gärten und Felder entnommen
wurde. Obstbäume beschatteten die Häuser; in den Gärten grünte das
Gemüse, Tomaten prangten und wetteiferten mit den an den Fenstern
hängenden Bündeln von Paprikaschoten in grellstem Rot, Maisfelder waren
in voller Üppigkeit, während die anderen Getreide alle schon geerntet
waren. Weite Melonenfelder mit den grünen, gelben, roten mächtigen
Früchten brachten einen ganz eigenartigen Charakter in die Landschaft.
Wie seltsam mußte sich das Leben der wenigen Landeseinwohner in dieser
Gegend abspielen in den halbzerstörten Dörfern. Sie hatten unter dem
Donner der Geschütze gepflügt und gesät, nun kam auch in diesem Jahre
die Ernte, ohne daß der Krieg aufgehört hatte.

Wir fanden trotz des Staubes, besonders am Ufer kleiner Bäche, noch
reichlich tierisches Leben. Über dem Wasser schwirrten große Schwärme
von Libellen, Bienen und Hummeln kamen zum Trinken und besuchten die
Blüten der am Wasser noch gedeihenden Pflanzen. Eidechsen lauerten auf
den Steinen auf Beute.

Besonders reich war das Tierleben am Ort unseres letzten Unglücks,
das wir mit unserem Auto hatten. Als wir dicht hinter den Stellungen
durch das von unseren Soldaten so benannte _Mühlbachtal_ fuhren,
brach das Auto vollkommen zusammen. Es stand in der grellen Sonne auf
einer Stelle der Straße, die, wie die Granattrichter in der Umgebung
verrieten, nicht selten beschossen wurde. Während die Fahrer sich
quälten, das Fahrzeug wieder in Gang zu bringen, flüchteten wir, die
nichts dabei nützen konnten, aus der immer noch glühenden Sonne in den
Schatten des einzigen Baumes der Gegend. Es war eine Weide, die von
einem kleinen Weidengebüsch umgeben, am Bach sich erhob, neben einer
Brücke.

Die Gegend war recht eigenartig. Das ziemlich breite Tal zog an einer
Hügelkette entlang, auf welcher die Stellungen unserer Truppen und der
Bulgaren eingebaut waren. Unten am Rand der Hügel, dicht am Bach waren
teils in den Berg eingefügt, teils an ihm angelehnt die Quartiere der
Truppen, die Ställe der Pferde, die Magazine für Proviant und Munition.
Im Bach, an erweiterten Stellen, badeten deutsche Soldaten, etwas
weiter oben waren Pferde in der Schwemme.

Der Abend sank herab und das Auto war noch nicht wieder heil; ja es war
klar, daß es so schnell nicht zu flicken war. Wir mußten nach einer
Stelle suchen, von der wir telefonisch um Hilfe rufen, und wo wir die
Nacht verbringen konnten. Eine solche war bald gefunden. Nicht weit
von der Brücke sahen wir Bauten, welche auf eine deutsche Abteilung
schließen ließen, während sonst alles ringsumher sehr bulgarisch aussah.

An den Hängen der Hügelreihe waren tatsächlich die rückwärtigen
Stellungen unserer Front eingebaut. Zwischen den Bauten sah man
überall Stollen und Unterstände, ein Zeichen, daß man hier vor
Beschießung nicht vollkommen sicher war. Alle größeren Bauten waren
sehr geschickt dem Gelände eingeschmiegt. So sah man ganz oben am
Berg, an dessen Rückwand ein villenähnliches Holzhaus, wie wir später
erfuhren, die Wohnung des bulgarischen Artilleriekommandeurs.

Wir suchten die deutsche Stellung auf; es war eine Abteilung
schwerer Artillerie, deren Offiziere uns sehr freundlich aufnahmen,
bewirteten und beherbergten. Unter anregenden Gesprächen verlief der
Abend, nachdem telefonisch mir die Nachsendung eines zweiten Autos
zugesichert worden war. Es traf noch nachts ein; aber wir mußten den
Morgen abwarten, um die Fahrt auf der sehr kühn angelegten, nicht auf
Kraftwagenverkehr berechneten Bergstraße riskieren zu können.

Frühmorgens ging es los. Es war die Straße nach _Huma_, die wir
zunächst verfolgten. Sie führte zuerst noch durch das Bachtal, dessen
felsiger Südhang weithin noch von den Quartieren bulgarischer Truppen
eingenommen war. Es ist eine eigenartige Erinnerung, die ich an diese
Fahrt dicht hinter der Front mitgenommen habe. Wie war die ganze
Landschaft verändert durch die Bauten des Heeres. Seit 16 Monaten war
in jener Zeit die Front in dieser Gegend nicht verschoben worden. So
blieb es auch noch ein ganzes Jahr. Wie wurde in dieser Zeit die ganze
Erde der Hügel von unseren Truppen durchwühlt; ich wurde unwillkürlich
zu einem Vergleich mit den unterirdischen Nestern der Ameisen gedrängt,
welche in Massen die gleichen Hänge besiedelten. Überall hatten die
Soldaten Felder bestellt, Gärten mit Blumen und Gemüsen bepflanzt,
Bewässerungsgräben gezogen. Welche Massen von Brettern und Balken waren
in das holzarme Land gebracht worden, um all die Bauten aufzuführen.
Es war, als sei ein Volk von lauter Männern im Lande eingewandert, das
hier für alle Zeiten zu bleiben glaubte.

Der Weg, eine schmale Straße, auf der das Ausweichen nicht leicht war,
führte den klaren Bach entlang, dessen Wasser über Felsen brauste, bald
größere, bald kleinere Tümpel bildend, die in ihrem hellen Grün seltsam
vom gelbroten Felsen abstachen. Durch tiefe Schluchten mit steilen
Felswänden strömten Seitenbäche dem Humabach zu. Das waren wieder die
typischen Balkanschluchten, mit ihren malerischen Wirkungen von Licht
und Schatten, mit der jetzt im Hochsommer noch üppigen Pflanzenwelt in
ihren schattigen Gründen.

Die Straße fing an in Riesenwindungen die Berge hinanzuklimmen, um
scharfe Kurven fauchte das Auto bergauf. Von der Straße, die allmählich
von dem Wardartal mit weniger als 100 m Meereshöhe auf über 800 m
hinanstieg, eröffneten sich reizvolle Blicke auf ein welliges Bergland
und tief eingeschnittene Täler, die alle noch von einer schön grünen
Vegetation überzogen waren. Von der Paßhöhe sausten wir auf einer nicht
minder halsbrecherischen Straße neben tiefen Abgründen durch oft ganz
knappe Kurven wieder bergab. Der Blick nach Südwesten, das war die
Hauptrichtung unserer Fahrt, nachdem wir die Hauptstraße nach _Huma_
verlassen und die Nebenstraße nach _Koinsko_ eingeschlagen hatten,
wurde immer reizvoller.

[Illustration: _Burmester_ phot. Abb. 53. Gesamtansicht des Mala
Rupagebirges aus der Gegend zwischen Huma und Koinsko.]

Nun tauchten die hellen Felszacken der Mala Rupagruppe auf; die
bläulich-weißen Felsmassen hoben sich prachtvoll von den dunklen
Flächen der Wälder ab, die wir da oben ahnen durften. Eine gedrängte
Gruppe von hohen Gipfeln, die 2000 bis 2400 m erreichen, baute sich
immer mächtiger vor uns auf. Es waren große, scharfe Bergformen von
schönen Umrissen, die im Charakter an Voralpen, zum Teil in den
Felsenbildungen an Jura erinnerten. Der feine blaue Duft, der die
Berge einhüllte, gab einen wirkungsvollen Gegensatz zu dem grünen
Vordergrund, durch den unser Wagen sich bewegte.

Je näher wir kamen, umso höher schienen die Berge zu werden, umso
deutlicher wurden die hellen Felsen, die sie aufbauten. Man erkannte
pyramidenförmige Bergspitzen, die sich immer klarer von ihren
Nachbarn abhoben, sah schimmernde Felsenbänder von großer wagerechter
Ausdehnung, Felsenabstürze und Klüfte. All das war schön gegliedert
durch dunklere Flächen, die sich später in den oberen Zonen als
grasbedeckte Matten, in der Mitte als hochstämmige Laubwälder
herausstellten.

Wir blieben dauernd in einer beträchtlichen Höhenlage zwischen 600 und
800 m, _Koinsko_, unser Ziel liegt etwa 600 m hoch. So sahen wir auf
unserem Weg die Charakterpflanzen der Ebene mehr und mehr verschwinden.
Judendorn (+Paliurus+) und Stacheleiche wurden immer spärlicher, an
ihre Stelle traten Wachholder, Hainbuchen und weichblätterige Eichen.
Hier zeigten sich Spuren eines reichen Insektenlebens. Große Bockkäfer
(+Cerambyx scopolii+ Füssl.) flogen durch die Luft, die von dem Getöse
der Zikaden und Heuschrecken erfüllt war.

Wir näherten uns _Koinsko_, das reizvoll in einem Talkessel liegt,
dessen baumreiche Fluren von einem starken Bach durchflossen sind.
Einen wunderbaren Rahmen um das Tal bilden die hohen Berge, die es auf
drei Seiten umschließen. Nun mehrten sich Getreidefelder und Gärten
mit Obstbäumen. Die Ernte war hier, in 600 m Meereshöhe noch in vollem
Gange, die Haferfelder standen noch halbgrün. Das Städtchen war in Grün
gebettet, von dem sich die dunklen Dächer malerisch abhoben.

Es war nicht leicht mit dem großen Personenwagen in die engen Straßen
des Ortes einzufahren. Der Eindruck des Städtchens war höchst reizvoll.
Die Häuser sind aus Steinen gebaut mit viel Holzwerk, die Dächer
mit Schindeln gedeckt, Veranden und andere Vorbauten aus Balken und
Brettern, vom Alter gebeugt, gaben eigenartige farbige Bilder. So
wanden wir uns durch enge Gassen und Durchschlüpfe, die überall von
Reben umrankt und überdacht waren. Reben gab es überall. Sie zogen sich
laubenähnlich an Querbalken rankend über Höfe und Gassen und überzogen
die Wände der Häuser. Während wir durch die Höfe wanderten, hingen
schwere Trauben, allerdings noch nicht reif, überall über unseren
Köpfen herunter. So hat der Ort einen ganz eigenartigen Reiz, erinnert
etwa an oberitalienische Dörfer.

Noch am gleichen Nachmittag begannen wir die nähere Umgebung des
Ortes zu erkunden. _Koinsko_ liegt am Berghang, so daß man eine
Strecke steil zum Bach hinabsteigen muß. Wie genossen wir nach der
Sommerglut des Wardartales die frische Luft, die hier die Nähe des
Gebirges verkündete. Der wasserreiche Bach, der über Felsen und
Steine dahinrauschte, war von dichtem Weidengebüsch umgeben. Dieses
durchstreiften wir und fanden hier eine reiche Insektenwelt. Kleine
Fliegen umschwirrten uns in Menge, das Goldauge (+Chrysopa+) kam häufig
vor, zahllose Hymenopteren, vor allem Hummeln, besuchten die Blüten der
Brombeersträucher, der Königskerzen, von allerhand Lippenblütlern, die
hier einen reichen Flor bildeten.

[Illustration: Prof. _Schultze_-Jena, phot. Abb. 54. Bauernhaus mit
Rebenlauben in Koinsko.]

Durch Erlengebüsch stieg ich am Bachufer hinauf, kam durch eine Fläche,
die mit hohem Adlerfarn bedeckt war, dieser weltweit verbreiteten
Pflanze, und gelangte nach kurzem Steigen in einen Hain stattlicher
Bäume. Es waren große, hohe Buchen, deren silbergraue Stämme uns
freundlich anheimelten. Welcher Gegensatz gegen die Gluthölle der
Wardarebene.

Am Rande des Buchenhains standen wieder Erlen und Weiden,
weichblätterige Eichenbüsche und prachtvolle, alte Nußbäume. Daneben
erstreckte sich eine frische grüne Wiese mit vielen blühenden Pflanzen,
salbeiähnlichen Lippenblütlern, einem Tausendgüldenkraut (+Erythraea
centaureum+ Pers.), Hornkräutern (+Stellaria holostea+ L.) u. dgl. Von
Riedgräsern eingefaßt breitete sich am Rand des Gebüsches ein kleiner
Sumpf aus. Der Frosch, den wir dort fanden, war +Rana agilis+ Thom.
Hier oben flogen viele Libellen, Hummeln und bunte Fliegen, Syrphiden
und Stratiomyiden (+Rhynchomyia impavida+ Rossi und +R. speciosa+ Lw.);
von Schmetterlingen schöne Vertreter der Gattung +Coenonympha+ (+C.
arcania+ H. S.).

An dem trockneren Hang standen hohe Disteln mit roten Blüten,
Königskerzen mit ihren duftenden gelben Blütenständen ragten hoch
empor; der Sanddorn war in mächtigen, baumähnlichen Sträuchern
reichlich vertreten.

Vor allem schön und malerisch stellten sich aber mächtige Buchen dar,
welche von Reben umschlungen und überwachsen waren. Wie wunderbar
umrahmten ihre Ranken und die grauen Stämme der Buchen die Ausblicke
auf die im Glanz der Nachmittagssonne liegenden Berge.

Der Bach kam durch eine tiefeingeschnittene Talschlucht von den Bergen
herab. Seine felsigen Ufer trugen ebenfalls prachtvolle Buchen, die
hier schon einen schattigen Wald bildeten. Am Bachufer mündete eine
Mineralquelle aus, wie sie in Mazedonien so häufig sind. Das Wasser,
welches Kohlensäure und Eisen und etwas Schwefel enthält, schmeckt
recht erfrischend. Im Wald tummelte sich eine reiche Vogelwelt. Mit
Vergnügen begrüßten wir unsere einheimischen Formen _Buchfink_ und
_Amsel, Kleiber, Meisen_ und den stattlichen _Pirol_.

Ein erfrischendes Bad im kühlen Wasser des Bachs schloß den
Nachmittagsspaziergang ab. Den Abend verbrachten wir im Kreise
der deutschen Offiziere; nachts teilte ich das Quartier mit Prof.
_Schultze-Jena_. Obwohl der Abmarsch auf 4 Uhr früh angesetzt war,
verplauderten wir in alten Erinnerungen bei einer guten Flasche
Burgunder, die sein Vater, der altberühmte Jenenser Gynäkologe ihm
ins Feld gesandt hatte, fast die ganze Nacht und lauschten auf das
beständige leise Rauschen, welches von den vielen tausenden von
Holzwürmern (Käferlarven) erzeugt wurde, die ihre Gänge durch das
Holzwerk des Hauses fraßen. Ein solches Massenvorkommen von Holzwürmern
in einem bewohnten Hause war mir noch nie begegnet und man mußte sich
wirklich fragen, wie lange Dach und Fußböden dieses Hauses noch halten
könnten, wenn die Tiere unablässig an seinen Stützen nagten.

[Illustration: Abb. 55. Buchenwald auf der Mala Rupa. Im Hintergrund
Kalkberge.]

Nach kurzem, tiefem Schlaf fuhr uns im Dunkeln das Auto zum
geeignetsten Anstieg, den wir noch in der Dämmerung begannen. Als die
Sonne aufging, waren wir schon in schönem Buchenwald. Wir stiegen
einen Kamm entlang, an Batterien vorbei, passierten einen Sumpf, in
welchem schöne rote Orchideen blühten. Der Buchenwald war hier noch
licht, von Waldwiesen unterbrochen, welche mit Salvien, Königskerzen,
Brombeersträuchern und Disteln bestanden waren. An den Blüten fingen
wir Lepturen und andere Bockkäfer, Hummeln, Bienen und Schmetterlinge.
Weiter oben wurde der Wald so dicht, daß es sich köstlich in seinem
kühlen Schatten wanderte. Zudem war der Waldboden mit unzähligen
reifen süßen Walderdbeeren bedeckt. Diese fand ich noch oft in den
mazedonischen Bergwäldern. Indem man sie schmauste, fühlte man sich in
die Heimatswälder versetzt, von denen sich der von uns durchwanderte
Forst in nichts unterschied.

In etwa 1000 m Meereshöhe gelangten wir an eine offene feuchte Stelle,
wo sich ein schöner Birkenbestand befand. Wie schön hoben sich die
zierlichen weißen Stämme und die zarten hellgrünen Blätter der Birken
(+Betula pubescens+ L.) von dem blauen Himmel ab, an dem große weiße
Wolken dahinzogen. Welch köstliche Durchblicke eröffneten sich zwischen
den Zweigen auf die schroffen Felsen, denen wir jetzt immer näher
kamen. Die weißen Bänder, welche die Matten durchzogen, bestanden aus
Kalk, der oft Formen annahm, die an Jura erinnerten. Vielfach war er
geschichtet und in Platten gebrochen. Doch stießen wir im Gebirge auch
auf Gneis und Granit.

[Illustration: Abb. 56. Bergheuschrecke beim Balzflug. (+Stenobothrus
miniatus+ Charp.) (Mala Rupa, Kobeliza, Peristeri).]

Weiter oben, zwischen 1000 und 1500 m wird der Buchenwald immer dichter
und hochstämmiger: oft glich er einem großen Saal voller Säulen, in
seinem Schatten flimmerten allerorts die Sonnenflecken. Hier beginnen
zwischen dem Wald sich Wiesenflächen einzuschalten, auf denen einzelne
Buckel ganz von einem zarten, niederliegenden, bläulich schimmernden
_Wachholder_ bedeckt sind, der von dem feinen, grünen Gras dunkel sich
abhebt (+Juniperus nana+ Willd.).

In dieser Region fand sich in Massen eine kleine _Schnarrheuschrecke_,
deren Musik die Luft erfüllte. Die kleine, etwa 5 cm lange Heuschrecke
(+Stenobothrus miniatus+ Charp.) zeigte eine merkwürdige Gewohnheit,
die man sonst bei Heuschrecken nicht beobachtet. Das Tierchen hat
schwarze Flügeldecken, rote Beine und roten Leib. Diese traten
leuchtend hervor, wenn das Tier mit ausgebreiteten Flügeldecken sich
etwa 1 m hoch laut schnurrend in die Luft erhob, da anders als andere
Heuschrecken einige Sekunden schwirrend schwebte, um dann langsam auf
den Boden zu sinken und zu schweigen. Es ist eine Art von _Balzflug_,
welchen das Tierchen ausführt. Ich habe die Art auch sonst in den
mazedonischen Gebirgen beobachtet, stets aber nur in größeren Höhen,
von 1200-1800 m.

[Illustration: Abb. 57. Mala Rupa. Alpenmatte in fast 2000 m. Blick
gegen die Porta. Juni 1917.]

Noch etwas weiter oben breitet sich auf den Wiesenflächen, die in
ihrer reichen, äußerst mannigfaltigen Pflanzenwelt einen heideartigen
Charakter annehmen, eine zarte, sehr reizende Erika aus. Mit ihren
rosenroten Blüten und ihrem feinen Duft war sie ein köstlicher Schmuck
dieser Halden (+Bruckenthalia spiculifolia+ Salisb).

Je höher ich kam, desto schöner wurden die Buchenwälder, die hohen
Bäume bildeten ein dichtes Blätterdach, das tiefen Schatten auf
den in dieser Region unbewachsenen, von braunen Blättern bedeckten
Waldboden warf. Um so reicher war die Vegetation an den Waldrändern,
die entzückende Blicke auf die Felsgipfel der Berge gewährten.
Hier gingen die Buchen in Buschwerk über, zwischen denen einzelne
Birken und stattliche Edeltannen sich erhoben. Der Tannenduft rief
Heimatserinnerungen wach. Zwischen dem niederen Wachholder blühten hier
die Gräser und standen stolz und steif die dunkelroten Blüten einer
Form des _Türkenbunds_ (+Lilium martagon+ L.).

Im Buchenwald fanden wir auf der Rinde der Stämme stattliche
graue _Bockkäfer_. Ein kurzer Anstieg durch den Wald brachte uns
in etwa 1700 m Höhe zu einer kleinen Hütte, der Bergstation der
Vermessungsabteilung 7. Wir fanden hier gastliche Aufnahme und
Nachtquartier. Die Abteilung hatte hier wichtige Aufgaben zu erfüllen.
Zunächst wurde die kartographische Aufnahme dieses wichtigen
Frontgebietes durchgeführt.

Die Männer, die hier oben in primitivster Weise hausten, leisteten eine
auch für die Wissenschaft wichtige Arbeit. Die Kartenaufnahme erfolgte
mit den von dem Jenenser _Pulfrich_ erfundenen photogrammetrischen
Methoden. Die Arbeit wurde in der Hauptsache ausgeführt von einem Dr.
_Burmester_, einem Assistenten Prof. _Finsterwalders_ in München, in
dem ich einen Münchner Bekannten fand. Ihm stand dabei zur Seite ein
junger Mann, namens _Pulfrich_, ein Sohn jenes Gelehrten, der hier mit
den Methoden seines Vaters als Soldat dem Vaterland diente.

Außerdem traf ich dort oben zwei Marinesoldaten, welche mit einem
riesigen Zeiss'schen Doppelfernrohr den Hafen von Saloniki überwachten.
Sie konnten den wachsenden oder ruhenden Verkehr in diesem für unsere
Feinde so wichtigen Hafen kontrollieren. Eine 4 m lange photographische
Kamera mit sehr lichtstarkem Objektiv diente dazu, genaue Fernaufnahmen
des Hafens mit den ankernden Schiffen zu machen. Besondere Listen der
englischen Kriegs- und Handelsschiffe ermöglichten, deren Art und
Namen festzustellen und so wichtige Schlüsse auf die Vorgänge in der
Hafenstadt und an der feindlichen Front zu ziehen.

Selten allerdings lag Saloniki und das Meer so klar in der Ferne,
daß gute Aufnahmen gelingen konnten. Auch während unseres kurzen
Aufenthaltes hier oben bekamen wir die Stadt und den Hafen nicht klar
zu sehen. Immerhin wurde uns ein Blick auf das blaue Ägäische Meer
zuteil und am nächsten Morgen kam auch der Olymp auf kurze Zeit aus dem
Dunst der Ferne heraus.

Wir waren ja hier ganz nahe der Grenze Griechenlands. Jenseits des
Berges, von oben nicht zu sehen, lag die kleine griechische Stadt
_Nonte_. Klar und deutlich erkannte man aber von unserem Aussichtspunkt
die weißen großen Gebäude in der Stadt _Gewgeli_. Die Stadt sah ganz
wohlerhalten aus; aber tatsächlich war sie sehr zerstört und von ihren
Bewohnern verlassen, wie ich bei einem späteren Besuch beobachten
konnte.

War auch die Ferne nicht so klar, als ich es erhofft hatte, der schöne
Blick in die näher gelegenen Täler und Berge entschädigte mich in
vollkommenster Weise. Es war eine Landschaft von großer Schönheit, die
sich um das Gebirge ausbreitete.

Rückwärts lag unten im Tal _Koinsko_, im Grün so verborgen, daß es
schwer war, die Häuser und Dächer mit dem Fernglas aufzufinden. Zum
Ort hin zog sich ein Taleinschnitt, aus dem die in vielen Windungen
verlaufende Straße nach _Huma_ hervorkam, die man als helles Band
weithin verfolgen konnte. Unter uns lag ein schmales tiefes Tal, durch
welches man deutlich die Schützengräben unserer und der feindlichen
Front in kurzem Abstand voneinander hinziehen sah. Sie stiegen vom
Südhang unseres Berges hinunter ins Tal, durchquerten dieses, um
jenseits sich wieder an ein Gebirge anzulehnen, das ostwärts gegen den
Wardar verlief. Diese niedrigen Berge waren kahl und vegetationslos,
ganz anders als die üppige Natur, aus der ich hinunterblickte.
Sie glichen mehr den Bergzügen, die wir auf dem Weg nach Koinsko
durchfahren hatten.

Direkt unter uns lag, noch in unseren Linien, ein kleines,
wohlerhaltenes Städtchen, _Borislaw_. Davor in der Ebene sah man
mehr der feindlichen Front genähert, die Gebäude eines Klosters,
Sv. _Archangeli_. Von diesem erzählten unsere Soldaten eine
nette Geschichte. Der Abt dieses Klosters, dessen Lage ja dazu
herausforderte, spionierte für den Feind. Man war ihm auf die Spur
gekommen und so ritten eines schönen Morgens einige von unseren Ulanen
hinüber und „holten ihn ab‟. Sie sollen ihn ohne allzugroße Sanftheit
aus dem Bett geholt haben.

Während wir die Gegend überblickten, begannen die feindlichen Batterien
unsere Gräben tief unten im Tal zu beschießen. Man sah die Einschläge
der Granaten, die hohen Rauch- und Staubwolken in der stillen Luft
senkrecht aufsteigen. Deutlich sahen wir die bulgarischen Soldaten
rückwärts sich verziehen. Sie verließen die Gräben und zogen sich in
die Unterstände zurück.

[Illustration: Dr. _Burmester_ phot. Abb. 58. Fernsicht von Mala Rupa
Ball.]

Wir sahen bald, daß die Beschießung keinen großen Erfolg hatte und
so wandten wir uns beruhigt unserer Arbeit zu. Wir waren rasch
gestiegen, so daß wir noch einige Vormittagsstunden zum Sammeln und
zu Beobachtungen vor uns hatten. Diese konnten wir gut ausnützen. In
leichter Steigung führte uns ein Pfad durch den stattlichen Buchenwald,
der etwa die obere Waldgrenze darstellte. Wir durchwanderten einige
Schluchten, in denen Bäche abwärts flossen. In einer dieser Schluchten
wurde später der _gefleckte Salamander_ (+Salamandra maculosa+ L.)
beobachtet, der scheinbar in Mazedonien meist in Höhen von über 1000 m
vorkommt.

Über dem Wald zogen sich weiße Kalkfelsen hin, jenseits von denen grüne
Matten begannen. Es war ein herrliches, farbenprächtiges Bild, das wir
durch die grauen Stämme der Buchen und ihr helles Laub eingerahmt vor
uns sahen, wenn wir die Blicke bergauf richteten. Und über all dieser
irdischen Pracht wölbte sich ein leuchtend blauer Himmel in dem Glanz
und der Tiefe des Hochgebirgshimmels. Große weiße Wolken, sich ballend,
aufblähend und verschwimmend schwebten am Gewölbe des Himmels, als
seien es zarte Wollflocken, die langsam und majestätisch von Osten nach
Westen wanderten.

Vom Waldrand erstreckte sich eine Schlucht bergab, die ein Bach
durchfloß; unten, einige hundert Meter unter mir, zog sich ein weißes
Band von Schotter und Gesteinstrümmern durch eine reiche Pflanzenwelt.
Kurz oberhalb des Waldes weitete sich die Schlucht zu einer breiten
Mulde aus. Dort war eine üppige Vegetation aufgewachsen, so hoch,
daß sie mir unter die Schultern reichte. Es standen hier zahlreiche
Brennesseln, Disteln in Blüte, weiße Umbelliferen, stattliche
Königskerzen, dazwischen Wachholder- und Brombeersträucher.

Die Mulde war nach oben abgeschlossen durch ein weißes Felsenband, das
aus würfel- und plattenförmigen Kalkmassen gebildet war. Hier, in den
Spalten zwischen den Steinen und auf all den kleinen Balustraden, die
sie bildeten, leuchtete und duftete es von einer Menge von Pflanzen
von Hochgebirgscharakter. Es war fast, als wäre da künstlich ein
Alpengarten angelegt; die ganze Farbenpracht alpiner Blumen war hier
auf engem Raum zusammengedrängt. Dunkelblaue Glockenblumen bildeten
dichte Polster neben roten und weißen Nelken (+Dianthus silvestris+
Walb.) und Lichtnelken, Steinbrech in mehreren Arten, Fettkraut,
+Sempervivum batens+ Gris., farbige Stiefmütterchen (+Viola orphanites+
Boas), Vergißmeinnicht, alles war da dicht beieinander gewachsen und
bildete Rasen und Polster zwischen den Steinen.

Über den Blüten summte und bewegte sich eine reiche Insektenwelt.
Hummeln brummten von Blume zu Blume, Bienen der verschiedensten Arten
wetteiferten mit ihnen und über allem zogen edle Falter ihre Kreise.
Ich hatte sicher erwartet in diesem Gebiet und in dieser Jahreszeit
einen Schmetterling aus der schönen Gruppe der _Apollofalter_
anzutreffen. Wir waren gespannt, ihn hier zu finden und kaum waren wir
eine Viertelstunde im Gebiet, so erscholl der triumphierende Ruf von
Prof. _Müller_: „Da ist er schon!‟

[Illustration: Abb. 59. +Parnassius Apollo+. Form von der Mala Rupa.]

In stolzem Flug über allen anderen Insekten zog der große, weiße
Schmetterling seine Kreise. Bald waren einige Exemplare gefangen und
voll Freude betrachteten wir die schönen Tiere mit den schwarz-roten
Augenflecken. Es war nicht leicht in dem gefährlichen Gelände die
raschen Falter zu erhaschen. Kaum gesehen, schwangen sie sich in
hohem Bogen über die Felswand empor und entflatterten über den
grünen Matten. Außerdem waren es ihrer nicht viele; die Flugzeit
hatte offenbar erst gerade begonnen, was sich auch darin aussprach,
daß die Männchen weit über die Weibchen überwogen. Bald hatten wir
sechs Männchen, aber nur ein Weibchen gefangen. Das hatte aber alle
Geschicklichkeit und Gewandtheit erfordert, in dem steinigen Gebiet
mit der dichten Vegetation und den vielen tiefen Löchern, die sie
verdeckte, nicht Arm und Bein zu brechen. In Beachtung der Flugart
großer Schmetterlinge, die gewöhnlich in großen Kreisen ein ziemlich
umgrenztes Gebiet abfliegen, verteilten wir drei Männer uns auf
Felsenband, Mulde und Waldrand, und so gelang es nach einiger Zeit,
vor allem durch die Anstrengungen des gewandten _Rangnow_, eine
befriedigende Ausbeute zu erzielen. Über den _Apollos_ vergaßen
wir aber die anderen Insekten nicht, die hier in der warmen Sonne
sich tummelten. Von Schmetterlingen gab es zahlreiche _Bläulinge_,
_Perlmutterfalter_, unter diesen +Argynnis pales balcanica+ Rbl., und
vor allem dunkle _Erebien_ mit schönen blauen Augenflecken auf den
Flügeln. In der Schlucht, die wir die „Apolloschlucht‟ benannten,
fanden sich, vor allem auf den Doldenpflanzen, viele schöne Käfer.
Wie Edelsteine blinkten Chrysomeliden, bunt gefleckte Trichia (+T.
fasciata+ L.) und Bockkäferarten wimmelten auf den Dolden mit vielen
Bienen, Hummeln, auffallend gefärbten Fliegen, eigenartigen Spinnen
usw. Die prachtvollen Chrysomeliden waren die schön metallisch
rot-grün-blaugestreiften +Orina variabilis+ Wsc. var. +balcanica+,
+Cryptococcus aureolus ab. coerulescens+ Schil und +Cryptocephalus
aureolus+ Suffr.

Am Waldrand fanden sich unter Steinen Skorpione und seltsame
Tausendfüßler. Wir hatten schon reiche Beute eingeheimst, als wir zur
Hütte zurückkehrten, um dort im Schatten die heißesten Stunden zu
verbringen.

[Illustration: Dr. _Burmester_ phot. Abb. 60. Felsenkessel zwischen
Mala Rupa und Asantčasma.]

Wir lebten aus unseren Rucksäcken, denn hier an der Front waren
Offiziere und Soldaten meist so knapp verpflegt, daß Gäste nicht
allzuwillkommen waren. Das machte einen eigenartigen Eindruck, daß die
wichtigsten Bestandteile des Heeres, die Front, so viel weniger gut
versorgt wurden, als die fette Etappe. Mit gutem Hunger verzehrten
wir das Stück Speck zu unserem Kommißbrot, das wir mitgebracht hatten
und stillten unseren gewaltigen Durst an dem köstlichen Wasser der
Bergquelle.

Zum Ausruhen gab es mittags nicht viel Zeit; wir mußten die kurze
Frist, die uns gewährt war, nach Möglichkeit ausnützen. So begaben
wir uns bald an den Aufstieg zur Gipfelregion des Mala Rupa-Gebirges.
Zwischen Felsen und über blumenreiche Matten ging der Weg steil
aufwärts. Die Matten bedeckte ein hohes, sehr feines, dunkelgrünes
Gras, das vielfach von den Truppen gemäht wurde und ein zartes,
blaugrünes Heu lieferte.

Zwischen dem Gras gab es eine Menge verschiedenartiger blühender
Pflanzen. Sehr häufig war ein kleinblütiger weißer Klee; dazwischen
standen grellrote Nelken und eine rotblühende Lichtnelke mit weißlichen
Blättern. Blaue Flecken wurden von zahlreichen Glockenblumen gebildet,
Thymian erfüllte die Luft mit seinem starken Dufte. Zwischen den
Steinen war ein kleines Hornkraut mit zarten weißen Blüten sehr häufig.
Sauerampfer und viele Doldenpflanzen standen an den feuchteren Stellen.

Über den Matten gaukelten _Schmetterlinge_, vor allem glänzend
gefärbte Bläulinge und eine tiefschwarze _Erebia_ mit leuchtend blauen
Augenflecken. Es war dies +Erebia melas herzegowinensis+ Schar. Eine
zweite Erebia der Höhenzone bilde ich nebenan ab; es ist dies +Erebia
tyndarus balcanicus+ Rbl.

Im allgemeinen war die Fauna der Gipfelregion nicht sehr reich.
Das hing wohl auch mit der Tageszeit zusammen. Es war schon später
Nachmittag; am Morgen hätten wir nach den späteren Erfahrungen an
Berggipfeln reichere Beute gemacht. Über die grünen Matten kamen wir in
1860 m zu einem ersten Gipfel, der als Mala Rupa-Ball bezeichnet war
(Abb. 58). Von da kletterten wir noch einige hundert Meter aufwärts und
erreichten wohl auf der nächsten Kuppe eine Höhe von etwa 2100 m.

[Illustration: Abb. 61. +Erebia tyndarus balcanicus+ Rbl. Mala Rupa.
Nat. Gr.]

Von oben hatten wir einen weiten Überblick über das Gebirge mit seinen
zahlreichen steilen Gipfeln und seinen weißschimmernden Berghalden.
Vor allen Dingen schön war der Blick auf die mittleren Höhen, wo
die dunklen Laubwälder einen wundervollen Kontrast zu den hell
aufleuchtenden Felsen bildeten. Im Glanze der Nachmittagssonne waren
die Gipfel alle klar und deutlich zu übersehen. Der stattliche höchste
Gipfel wurde als _Porta_, ein zweiter _Kičikaia_ benannt. Ein spitzer
Kegelberg führte den Namen _Drena_, daneben der Gipfel _Asančasma_. Von
der _Iberiza_ zog sich ein langer Kamm talwärts, der einen scharfen
Schatten auf die Matten warf. Nach Norden sahen wir ins Tal hinab und
zu den Bergen, die ich immer von Kaluckova bewundert hatte und die ich
jetzt von der anderen Seite vor mir sah. Gegen Sermenli zu erstreckte
sich als langer Rücken der _Zweiohrenberg_ (Abb. 62) und hinter ihm,
von hier aus klein und unscheinbar, die _Marianska Planina_.

Wundervoll und eindrucksreich war der Blick in die weite Ebene nördlich
von _Saloniki_, über welche hinaus das Meer aufblinkte. In der Ebene
erhob sich der _Gandač_, eine steile Bergmasse mit feindlichen
Stellungen. Vor uns fielen die steilen Halden in tiefe Schluchten ab,
Matten dehnten sich weit bis zu den großen Wäldern hin. Hier und da
stieg in der Ferne der Rauch von Lagerfeuern auf.

[Illustration: Abb. 62. Wiese an der Baumgrenze. Mala Rupa. Im
Hintergrund Zweiohrenberg.]

Wir durften nicht lange oben verweilen, wollten wir vor der Nacht im
unbekannten Gelände die Hütte erreichen. Beim Abstieg konnte ich der
reichen Flora der unteren Matten noch etwas Aufmerksamkeit schenken;
deren Pflanzenreichtum war noch viel größer als der der höheren
Zone. Hier war sehr auffallend ein leuchtend gelber _Goldklee_;
neben dem gleichen _Thymus_, der oben häufig war, stand hier eine
zweite, auffallend großblütige Form mit dem gleichen starken Geruch.
Ein _Stiefmütterchen_, ähnlich +Viola tricolor+ (+Viola orphanites+
Boas), bildete große Rasen, ebenso die unten schon beobachtete Erika;
an geschützten Orten standen höher wachsende Pflanzen, welche
stark an Frühlingsblumen der Heimat erinnerten. Da glaubte ich den
kriechenden _Günsel_ (+Ajuga genevensis+ L.) und den _Gundermann_
(+Glechoma hirsuta+ Uk.) zu erkennen, ein weißes _Galium_ (+Galium
mollugo+ L.) blühte in großen Garben, eine _Schafgarbe_, vollkommen der
unserigen gleich in den Blüten und den feinverteilten Blättern und die
tatsächlich die gleiche war. Dazwischen merkte ich mir von auffallenden
Pflanzen _Taubenkropf_ (+Silene venosa+ Asch.), eine _weiße
Kornblume_ (+Cyanea mollugo+ L.), eine Pflanze, die genau wie roter
_Bienensaug_ (+Lamium striatum+ L. S.) aussah. Büsche von blühendem
_Ginster_ (+Cytisus+) zauberten goldene Flecke in die Landschaft.
Viele gelbblühende _Kompositen_ mit Wollblättern standen zwischen den
Steinen, vor allem fiel mir ein großblütiges Habichtskraut auf, dessen
Blattrosetten aussahen, als beständen sie aus weißem Samt (+Hieracium
pannosum+ Gris.). Besonders in der Erinnerung geblieben sind mir kleine
Sträucher einer süßduftenden, dunkelroten Wildrose (+Rosa orientalis+).

Ich hatte vollkommen den Eindruck einer Bergmatte in den bayerischen
Alpen, wie sie im Frühsommer ihre volle Pracht, ihren überquellenden
Reichtum entfaltet. Beim Abstieg mischten sich immer mehr die mächtigen
Stauden von Disteln und Königskerzen in die Alpenflora.

Im Abendschein langte ich in der Nähe der Hütte an. Ein kurzes
Gewitter hatte heftigen Blitz und Donner losgelassen, aber nur wenige
Regentropfen bis zur Erde hinabgesandt, wo sie auf Steinen und Pflanzen
sofort verdunsteten. Wunderbare große Wolken segelten über die Berge
der Ebene entgegen. Sie fingen auf ihren gewaltigen Wölbungen die roten
und gelben Strahlen der scheidenden Sonne auf, die auch die Felsen rot
aufleuchten ließen.

Die Nacht fand uns mit den Soldaten in der Hütte versammelt. Es war
nicht leicht mit den 11 Schlafgenossen in dem engen Raum, auf harten
Brettern, den Rucksack unter dem Kopf Schlaf zu finden, der noch dazu
durch das Schnarchen mancher Kameraden erheblich gestört wurde.

Immerhin erfrischt erhoben wir uns mit der Sonne, um die wenigen
Stunden, die uns in der Berghöhe vergönnt blieben, nach Kräften
auszunützen. Als wir auf die Wiesen hinaustraten, waren alle Pflanzen
vom Tau stark benetzt. Wir eilten noch einmal zur Apolloschlucht, um
die Sammlungen dort zu ergänzen. Wir fanden dort noch nicht gesammelte
Insekten, darunter schwarze Käfer aus der Verwandtschaft von +Leptura+.

Unsere Arbeit wurde etwas dadurch gestört, daß über uns ein Geschwader
feindlicher Flieger erschien. Das war mir, der ich damals noch
Freiburger Universitätsprofessor war, nichts Ungewohntes. Immerhin
hatte ich es noch nicht allzuoft in freier Natur, fern jeder Deckung
erlebt. Sechs französische Flieger erschienen über uns und wurden
heftig beschossen, so daß die Sprengstücke um uns niederprasselten.
Bald erschien ein einzelnes deutsches Kampfflugzeug, worauf die Feinde
sich verzogen.

Wir konnten unsere Arbeit ungestört fortsetzen, bis die vorgeschrittene
Zeit uns zwang, den Abstieg anzutreten. Wir durchwanderten etwa
dieselbe Gegend wie am vorigen Morgen. Als wir wieder in die Tiefe
kamen, machte mir die Gegend einen reizloseren, verstaubteren und
verdorrteren Eindruck als sie im Halbdunkel des Frühmorgen am Tag
vorher mir erschienen war. Es war schon Gluthitze der Mittagszeit
eingetreten als wir unser Auto erreichten. In flotter Fahrt ging
es zurück nach Koinsko, wo wir mit den Offizieren ein für uns
verspätetes Mittagsmahl einnahmen. Nach herzlichem Abschied von Prof.
_Schultze_-Jena traten wir die Fahrt rückwärts ins Wardartal auf
demselben Weg an, den wir zur Hinfahrt benützt hatten.

Während wir wieder durch das Tiefland fuhren, ertönte hier überall
aus den Büschen das berauschte Liebeslied der Zikaden lauter als je.
Welch schöne, starke Eindrücke hatte der kurze Aufenthalt im Gebirge
mir gebracht. Die Kontraste zwischen Ebene und Bergeshöhe, mir aus der
Heimat, vor allem den bayerischen Alpen, so wohl vertraut, waren mir
hier noch ausgesprochener entgegengetreten. Hier im Gebirge entsprach
die Natur vollkommen in Pflanzen- und Tierwelt derjenigen im Flachland
des gemäßigten Mitteleuropa. Auf der Breite des südlichsten Italien
genügte Gebirgshöhe von 1000-2000 Metern, um die Natur der Heimat
herbeizuzaubern. Ja, das Klima erinnerte sogar an Vorgebirge der
Heimat. So hatten wir die Tannen auf der Mala Rupa jetzt im Juli im
Schmuck der hellgrünen Triebspitzen angetroffen, ein Stadium, das im
Schwarzwald schon seit einigen Wochen vorbei sein mußte.

Neben den Bäumen, also Weißtanne, Buche, Birke und den Blüten
der Mattenregion hatte vor allem die Vogelwelt beigetragen, den
heimatlichen Eindruck zu verstärken. Buchfink, Kleiber, Sumpfmeise
schienen sich kaum von den heimischen Formen zu unterscheiden. Amsel
und Drossel sangen die altbekannten Lieder, Pirol und Häher belebten
die Baumkronen des schattigen Buchenwaldes, in dem wir die Erdbeeren
gepflückt hatten. Von dem Vorkommen von Hirsch und Reh hatten wir
gesicherte Nachricht bekommen, vom Hirsch sogar eine Haut erworben. Von
Schlangen hatten wir _Äskulapschlange_ und _glatte Natter_ beobachtet,
von Eidechsen allerdings die südlichen Arten +Lacerta viridis+ und
+muralis+, von Fröschen die uns so vertraute +Rana ridibunda+ und dazu
+R. agilis+. Die zahlreichen Adler und Geier, die Falken und Bussarde,
Kolkraben und Felsenhühner, die wir auftrieben, paßten besser in das
Land, in dem wir nun lebten.

Zufrieden, in der kurzen Zeit so viel Interessantes erlebt und
beobachtet zu haben, kehrte ich in mein Standquartier Kaluckova zurück
mit dem festen Vorsatz, die mazedonischen Gebirge öfter zu besuchen und
zu durchforschen. Daß dieser Vorsatz Erfüllung fand, werden weitere
Kapitel dieses Buches zeigen.



ACHTES KAPITEL

REGENWÜRMER UND ACKERERDE IN MAZEDONIEN


Regenwürmer sind Tiere, welche keine großen Wanderungen ausführen
können; auch ihre Eier und Entwicklungsstadien sind nicht zu weiter
Verbreitung geeignet. So werden sie auch niemals weithin durch andere
Tiere verschleppt, was bei manchen Tierarten eine wichtige Form
passiver Wanderungen darstellt. Erst im Zeitalter des Welthandels
wurden sie mit Pflanzen auf dem Weg über Baumpflanzungen, Ackerbetrieb,
Gärtnereien in einer unnatürlichen Weise verbreitet, indem sie mit
den heimatlichen Pflanzen in fremde Gegenden verpflanzt, sich dort
weiterentwickelten und einbürgerten. Auf diese Weise wurden wohl
schon seit den Zeiten des römischen Weltreiches Regenwürmer weithin
verschleppt. _Michaelsen_, wohl der beste Kenner dieser Tiergruppe und
ihrer Verbreitung, ist sogar der Meinung, daß die Verschleppung schon
in prähistorischer Zeit begann.

In weniger kultivierten Ländern müssen aber Regenwürmer einen sehr
seßhaften Bestandteil der Fauna darstellen. Aus ihrem Vorkommen kann
man vielfach wichtige tiergeographische Schlüsse ziehen. So hatte ich
mir denn bei der Ausreise nach Mazedonien gleich vorgenommen, dort
aufmerksam auf die vorkommenden Regenwurmarten zu achten.

Sogleich bei Beginn meiner Forschungen suchte ich nach Regenwürmern,
zunächst in der Nachbarschaft von _Kaluckova_, dann im _Wardartal_,
später auf allen Reisen in den Gebirgen, den fruchtbaren Tälern und
Ebenen, kurz überall, wohin ich kam. Bald merkte ich, daß jedenfalls im
Sommer Regenwürmer in Mazedonien etwas außerordentlich seltenes sein
mußten.

Es dauerte längere Zeit, bis ich die ersten Vertreter dieser bei uns
in Deutschland so häufigen Tiere fand. Das lag zunächst sicher an den
besonderen Verhältnissen des südlichen Wardartales, in dem ich damals
mein Standquartier hatte. Dort in den felsigen Hügeln war es wohl von
vornherein vergebliche Mühe nach Regenwürmern zu suchen. Dazu war
der Boden, soweit er nicht aus Felsen und grobem Gerölle bestand, im
Sommer zu hart und ausgetrocknet, als daß diese Feuchtigkeit liebenden
Tiere hier hätten existieren können. Manche Grabungen, die ich zu
verschiedenen Zwecken, z. B. bei der Untersuchung von Ameisenbauten
in den Hügeln durchführen ließ, zeigten mir, wie hart und trocken der
Boden bis tief hinab war. Nur an wenigen Stellen konnte man 1-1½ m in
die Tiefe graben, ohne auf gewachsenen Felsen zu stoßen. Meist lag
dieser schon unter einer Erdkrume von wenig Zentimetern Dicke. Auch in
den Gärten und in den Maulbeerpflanzungen nahe bei Kaluckova wurden
mehrfach tiefe Löcher gegraben, ohne daß ich jemals auf einen Regenwurm
stieß. Nur in unmittelbarer Nachbarschaft von Wasser gelang es hie und
da solche aufzufinden, so an den Nebenflüssen des _Wardar_, in den
Schluchten der _Plaguša Planina_ und vor allem hoch oben in den Bergen.

Eines Tages, im August 1917, entdeckte ich Regenwürmer in großer Zahl
unter dem Wasserfaß des Lazaretts, also dicht bei meinem Quartier. In
der durchnäßten Erde hatten sich hier die Tiere massenhaft angesammelt.
Der Fund war aber nicht allzu interessant, da die Art sich als die
kosmopolitische Form +Helodrilus (Allobophora) caliginosus+ Sav.
herausstellte, welche in ganz Europa sehr gemein ist, aber auch in
Asien, Afrika, Nord- und Südamerika, Australien, also in der ganzen
Welt verbreitet ist. Es handelt sich offenbar um eine europäische Form,
die allmählich durch den Menschen in die anderen Erdteile verschleppt
wurde. Die gleiche Art fand ich dann noch öfter, aber immer an feuchten
Stellen, so bei _Dedeli_ und in den Rasenpolstern der Schluchten bei
_Kaluckova_. Merkwürdiger als diese Funde war das Vorkommen in dem
Wasser eines Quellbaches an der _Kobeliza_ im Schardakh in der Höhe von
etwa 2000 m. Dieses Vorkommen könnte darauf hindeuten, daß die Art doch
seit jeher in Mazedonien einheimisch ist. Eine Verschleppung in die
Bergeinsamkeit ist kaum anzunehmen.

Andere, wahrscheinlich verschleppte Formen, welche ich in Mazedonien
fand, waren die amphibische +Eiseniella tetraedra+ (+typica+) Sav.,
welche in der Schlucht bei _Plauš_ in der _Plaguša Planina_, in der
_Topolkaschlucht_ unter Steinen, bei _Rabrovo_ und schließlich im
_Nikolatal_ in einem faulenden Baum am Bachufer vorkam; +Eisenia
rosea+ (Sav.), am Wodno, in der Gipfelregion bei 1000 m Höhe, im
Schlamm am Rand eines Gewässers, ist sogar eine der nachweislich
verschleppten Arten; +Octalasium lacteum+ (Örley) von der _Plaguša
Planina_ ist offenbar auch eine nicht ursprünglich einheimische Form,
welche auch sonst in Mitteleuropa vorkommt, in Ungarn, Südrußland und
Rumänien schon beobachtet worden ist, aber auch schon in Spanien, auf
den Azoren, in Algier, Nord- und Südamerika gefunden wurde.

Eine Form, deren natürliches Verbreitungsgebiet offenbar Mazedonien
umfaßt, ist wohl +Lumbricus rubellus+ Hoffmstr., die weit in Europa
verbreitet ist. Sie ist neu für Mazedonien, während +Eisenia rosea+
var. +macedonica+ (Rosa), welche am _Pepelaksee_ in der _Golesniza
Planina_ in 2000 m Meereshöhe gefunden wurde, wahrscheinlich eine
typisch mazedonische Form ist. Zum ersten Male in Mazedonien fand ich
an verschiedenen Stellen +Helodrilus (Dendrobaena) byblicus+ (Rosa),
der bisher nur in Syrien und Palästina und in Kreta beobachtet worden
war. Ich fand ihn in einem Schluchtbach hinter _Kaluckova_ in einem
Moospolster, im Bach des _Nikolatales_ und merkwürdigerweise auch in
einem Quellbach auf der _Kobeliza_ in 2000 m Meereshöhe. Schließlich
entdeckte ich noch +Helodrilus caliginosus trapezoides+ (Ant. Deg.), in
einem austrocknenden Tümpel bei _Strumiza_ und bei _Dedeli_; diese Form
war bisher aus dem Mittelmeergebiet und Nordamerika bekannt.

Dazu enthielt meine Sammlung noch drei neue Arten. +Criodrilus
macedonicus+ Ude, welche dem +Criodrilus lacuum+ nahe steht, wurde in
Wiesenbächen südlich von Valandova gefunden. Dazu kommen +Helodrilus
(Allobophora) dofleini+ Ude aus der Gegend von Üsküb, aus der
Gipfelregion des Wodno und von einem Hügel beim Spital und +Helodrilus
(Eophila) bellicosus+ Ude von einem Nebenfluß des Wardar bei Miletkovo.

Diese 12 Arten sind kein sehr beträchtliches Ergebnis in einem Land
wie Mazedonien, wenn man bedenkt, daß in dem Band des Tierreiches, den
_Michaelsen_ 1900 veröffentlicht, für die ganze Erde mehrere Hundert
(870) Arten beschrieben sind. Immerhin sind fast alle genannten Arten
neu für Mazedonien. Aus diesem Land sind überhaupt nur ganz wenig
+Oligochäten+ bekannt. Auch die +Limicolen+, die wasserbewohnenden
Formen, sind selten. Ich fand vielfach eine Form in den Schluchtbächen,
in Bergseen, Gräben und Kanälen. Es war wohl sicher immer der
kosmopolitische +Tubifex tubifex+ L.

Unter den Regenwürmern ist sicher eine ganze Anzahl typisch
verschleppter Formen; dabei ist aber zu bedenken, daß Mazedonien zu
jenem Gebiet endemischer Formen gehört, das sich von Portugal, Spanien
und Südfrankreich, die Alpen bis Kleinasien, Persien und ostwärts bis
Japan erstreckt.

Daß bisher aus Mazedonien so selten Vertreter dieser Gruppe beschrieben
wurden, und daß ich so wenig Regenwürmer gerade in diesem Lande
auffinden konnte, obwohl ich auf ihr Vorkommen besonders achtete,
konnte kein Zufall sein. Das hing sicher mit dem heißen und trockenen
Sommer und mit der Bodenbeschaffenheit zusammen.

_Darwin_ hat ein sehr interessantes Buch über die Regenwürmer verfaßt,
welches den Titel führt: _Die Bildung der Ackererde durch die
Tätigkeit der Würmer_. In diesem Buch schildert er die Lebensweise
der Regenwürmer und die früher nicht geahnte Wirkung, welche diese
Tiere auf die Gestaltung der Erdoberfläche haben. Er zeigte, wie sie
den Erdboden bearbeiten, indem sie beim Bau ihrer unterirdischen
Gänge Erde durch ihren Darm hindurchgehen lassen und immer wieder
Massen aus tiefen Schichten in die Höhe tragen und in ihren Kothaufen
an der Oberfläche ablagern. So durchwühlen sie den Boden, verlagern
seine Bestandteile und lockern seine Zusammensetzung. Auch in anderer
Beziehung wirken sie mechanisch auf seine Bestandteile ein, indem in
ihrem Kaumagen Steinchen aneinandergerieben, geglättet und verkleinert
werden.

Sogar auf die chemische Zusammensetzung des Bodens haben die
Regenwürmer einen starken Einfluß, einmal indem sie Blätter und
sonstige Pflanzenteile, welche ihnen zur Nahrung dienen, in ihrem
Darm chemisch verändern, dann aber auch indem sie alle möglichen
anorganischen und organischen Bestandteile des Bodens verarbeiten.
So sind ihre eigenartigen Kothäufchen ein guter Dünger für die
oberflächlichen Schichten des Erdbodens, denen so immerfort neue Stoffe
zugetragen werden.

Sie bewirken, wo sie in großer Menge vorkommen, eine beständige
Umarbeitung des Bodens bis in eine beträchtliche Tiefe. Sie sind
die Hauptursache der Bildung der schwarzen Erde, welche besonders
feinkörnig und fruchtbar ist, wo sie von vielen Regenwürmern ständig
durchwühlt wird.

Tatsächlich sind es in England und in Deutschland, wo fast gleichzeitig
mit _Darwin Hensen_ ähnliche Untersuchungen durchgeführt hat,
erstaunliche Mengen von Würmern, welche in Gartenerde, in Ackerboden,
in den Wäldern ihre unterirdische Arbeit leisten. _Hensen_ wies nach,
daß in einem Hektar Gartenland sich 133000 Regenwürmer fanden, deren
Gesamtmasse fast 10 Zentner wiegt. Etwa die Hälfte davon finden sich
nach _Darwin_ in Ackerland, auf Heiden und im Wald. Die Erdmasse,
welche diese Tiere in einem Jahr an die Oberfläche befördern, erreicht
nach den Untersuchungen dieser Forscher und ihrer Mitarbeiter im Jahr
auf den Morgen 8-20 Tonnen, so daß in 10 Jahren eine Schicht von 1-5 cm
Dicke über die alte Oberfläche geschichtet werden kann.

Das sind gewaltige Leistungen und es ist nicht verwunderlich, wenn
_Darwin_ nachweisen konnte, daß durch diese Arbeit der Regenwürmer
Steine und andere Gegenstände langsam im Boden versinken, indem die
Regenwürmer den Boden unter ihnen wegfressen, ihn aber nur an ihren
Rändern an der Oberfläche ablagern können. So führte _Darwin_ das
Einsinken antiker Straßenpflaster, von Mosaikfußböden und Häuserteilen
auf die Tätigkeit der Regenwürmer zurück.

Daß eine solche intensive Arbeit der Regenwürmer in Ländern unserer
Breiten tatsächlich eine große Bedeutung hat, ist in Europa und Amerika
vielfach beobachtet worden. _Darwin_ selbst betonte, daß bei der
weiten Verbreitung der Regenwürmer, welche auf der ganzen Erde, von
den polaren Gegenden bis zum Äquator, in den höchsten Gebirgen und auf
den einsamsten ozeanischen Inseln vorkommen, sie wohl eine ähnliche
Einwirkung auf den Erdboden in allen feuchten, selbst mäßig feuchten
Gegenden haben müßten.

Er selbst sammelte Erfahrungen anderer aus den Tropen, von der
Riviera und aus anderen Gegenden. Ich konnte früher mich in Italien,
Südfrankreich, in Istrien und in den Tropen an vielen Stellen von dem
reichlichen Vorkommen von Regenwürmern und von ihrer Arbeit überzeugen.

_Darwin_ selbst muß aber vermutet haben, daß in trockenen Ländern
die Verhältnisse ganz anders liegen müssen; denn in seinem Buch
äußert er sein Erstaunen darüber, daß ihm aus einem so trockenen
Land wie _Neu-Südwales_ in Australien von massenhaftem Vorkommen von
Regenwürmern berichtet wurde.

Er bringt aber keine positiven Angaben über das Vorkommen von
Regenwürmern in ganz trockenen Gebieten und auch seither sind darüber
keine Beobachtungen gemacht worden, die mir bekannt geworden wären.
Sicherlich gibt es in den Wüsten keine Regenwürmer, aber wo Oasen
entstehen können, da muß es auch Regenwürmer geben.

Daß es im Sommer schwer war, in Mazedonien Regenwürmer zu beobachten,
wird man nach den Schilderungen von sommerlicher Hitze und Dürre,
die ich in anderen Kapiteln gegeben habe, verstehen. Der Boden der
oberflächlichen Schichten erhitzt sich in Mazedonien während des Tages
im Sommer zu Temperaturen, welche nicht nur Regenwürmern, sondern auch
anderen Tieren den Aufenthalt in ihm unmöglich machen. Temperaturen
von 60-70° C sind in den Monaten Juli bis September im Boden nicht
selten zu messen. In der verstaubten und vertrockneten Oberfläche
des Landes waren in den Sommermonaten keine Regenwürmer zu erwarten.
Diese Tiere sind ja außerordentlich empfindlich gegen trockene Hitze.
Ich habe nicht selten in Deutschland Regenwürmer, welche auf eine
verstaubte Landstraße geraten waren, elend umkommen gesehen. Immerhin
habe ich auch in den Sommermonaten in Mazedonien nach ihnen gesucht,
aber niemals im Tiefland fern vom Wasser Spuren von ihnen gefunden. Ich
habe viele dichte Gebüsche, deren Boden ziemlich schattig war, manche
Wälder, Parkanlagen und Friedhöfe untersucht, aber nie jene Mengen von
Kothäufchen der Würmer gefunden, welche man in unserem Lande jederzeit
an solchen Orten finden würde.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 63. Schafherde bei Kaluckova.]

Es lag also nahe, anzunehmen, daß die Regenwürmer, wie manche andere
Tiere Mazedoniens, von denen in einem anderen Kapitel die Rede ist,
eine Sommerruhe halten. Schon _Darwin_ gibt an, daß die riesenhaften
Exkrementhaufen indischer Würmer, die er beschreibt und abbildet, in
jenem Tropenland nur während der Regenzeit ausgeworfen werden. So
mußte ich denn vermuten, daß auch in Mazedonien die Regenwürmer während
der großen Hitze in der Tiefe der Erde einem Sommerschlaf verfallen
sind.

Daß sie etwa tief unten im Boden ihr normales Leben fortsetzen könnten,
ist in einem Land wie Mazedonien an den meisten Orten ausgeschlossen.
In Tiefen von mehr als 50 cm finden sie hier keine Nahrung. Eine
richtige Humusschicht gibt es in diesem Lande nur in den Flußtälern, in
den bewässerten Ebenen, in den Wäldern und auf den Matten der Gebirge.
Sonst deckt überall nur eine ganz dünne lockere Erdschicht die felsige
Unterlage, welche das Land überzieht. Und dieser dünne Überzug entbehrt
vielfach vollkommen oder fast vollkommen der organischen Bestandteile,
welche die „schwarze Erde‟ anderer Gebiete zu den Kornkammern der Welt
gemacht hat.

Das Grundwasser liegt in den Gebieten, die ich genauer kennen lernte,
meist so tief, daß es weit unter dem Boden sich findet, in welchem
Regenwürmer leben und sich ernähren könnten.

Ich habe während meines Aufenthaltes in Mazedonien jede Gelegenheit
benutzt, welche mich über das Vorkommen der gesuchten Tiere hätte
unterrichten können. Wenn im Frühling oder Herbst Äcker gepflügt, wenn
die Fundamentgrube für ein Haus ausgegraben, von unseren Soldaten
Schützengräben oder Unterstände ausgehoben, Bäume oder Sträucher
gepflanzt wurden, untersuchte ich die Löcher und die ausgehobene Erde
und fand trotz aller Bemühungen fast niemals Würmer. Nur in direkter
Berührung mit Wasser kamen sie vor.

Während diese Fragen mich beschäftigten, wurde in _Üsküb_ ein großes
Experiment durchgeführt, welches meinen Zwecken vorzüglich entgegenkam
und in mancher Beziehung so interessant ist, daß es sich lohnt, an
dieser Stelle davon zu erzählen.

Während die Bulgaren glaubten, Mazedonien, das Land, das ihre Väter
besaßen, durch unsere gemeinsamen kriegerischen Erfolge dauernd in
Besitz behalten zu können, arbeiteten sie in Mazedonien in mancher
Hinsicht für die Zukunft. So kamen sie auch auf die Idee, die Umgebung
der Stadt _Üsküb_ wieder mit Bäumen zu schmücken, um dieser schön
gelegenen Stadt eine sympathische Umgebung, den Bewohnern Erquickung
in schattigen Anlagen zu verschaffen. Und so wurde sehr idealistisch
für eine Bepflanzung, speziell des Zitadellenhügels, auf dem ich mein
Standquartier damals hatte, agitiert. Die Sache fand Anklang, die
Stadtverwaltung von Üsküb wandte große Mittel auf, um Tausende von
Bäumen als Alleen an den Landstraßen, als Haine auf Hügeln, als Wälder
an den Abhängen des Berges anzupflanzen. Und es übernahmen Vereine und
Schulklassen die Verpflichtung, einzelne Lose zu bepflanzen und zu
pflegen. Die Sache wurde mit großem Schwung und Idealismus unternommen;
Schulklassen zogen mit bulgarischen Fähnchen aus, um kleine Bäumchen zu
pflanzen, ganze Bataillone von rumänischen Kriegsgefangenen hoben tiefe
Gruben aus, um viele Tausende von Bäumen einzusetzen.

Alle diese Gräben und Gruben boten mir Gelegenheit, nach den gesuchten
Würmern zu forschen. Aber, obwohl es feuchter Frühling und Frühsommer
war, ich bekam bei dieser Gelegenheit keinen einzigen Regenwurm in
die Hand. Auch sonst ging die Sache traurig aus. Die ganze große
Unternehmung war offenbar ohne fachmännische Beratung unternommen. Man
hatte Tannen aus dem Gebirge ins Wardartal gepflanzt und nicht auf
Bodenart und Bewässerung weder bei diesen, noch bei den Obstbäumen,
Pappeln usw. geachtet, die man wahllos an den Berghang gepflanzt
hatte. In den ersten Wochen wurden dann und wann die Bäumchen von
opferwilligen Schulkindern begossen. Aber als die große Sommerhitze
kam, als Menschen und Pflanzen dursteten, da schmolz auch Wille
und Idealismus bei diesen Orientalen, die die Üsküber trotz allem
sind, dahin und ein Bäumchen nach dem andern verdorrte. Jetzt ist
das Land wieder serbisch; die Zigeunerstadt hat wohl die letzten
verdorrten Bäumchen im kalten Winter verheizt und die letzte Spur des
aufflackernden Idealismus in Mazedonien ist wohl längst verwischt und
verschwunden. So war denn all die große Arbeit nutzlos geschehen und
keiner der Beteiligten mag je erfahren, daß einem Naturforscher dadurch
ein großer Dienst erwiesen wurde.

Bei dieser Gelegenheit konnte ich an vielen Stellen die geringe Dicke
des fruchtbaren Bodens messen, sie erreichte selten mehr als 5-10 cm.
Darunter kamen sofort Steine und Detritus von Gestein, welches Würmer
nicht ernähren konnte. Löcher und Höhlen gab es zwar genug im Erdboden;
sie waren aber meist das Werk von _Ameisen_, welche in Mazedonien bei
der Umarbeitung des Bodens sicher viel mehr leisten als die Regenwürmer.

Selbst starke Regengüsse in jenen Wochen zauberten keine Würmer
aus dem sterilen Boden hervor. So ist denn wohl sicher anzunehmen,
daß Mazedonien im Flachland und in den Hügelgebieten ein sehr
_regenwurmarmes Land_ ist. Die Waldarmut des Landes ist sicher die
Ursache dieser Erscheinung. Mit dem Wald schwand die Humusbedeckung der
Hügel und Täler, wie wir in einem anderen Kapitel besprechen werden.

Nur wo genug Wasser vorhanden ist, um den Boden feucht zu erhalten,
gedeihen in diesem Lande Regenwürmer. So fand ich sie nicht selten
an Brunnen und Zisternen, auf gut bewässerten Feldern und Wiesen, an
Wasserleitungen, an und in Bächen, an Ufern von Seen und Flüssen.
Am Wardar bei Hudova z. B. war der Überschwemmungsstrand des Wardar
weithin von den Spuren und Löchern einer Wurmart wie mit Zeichnungen
bedeckt.

In den hohen Bergen und dort auch in den Wäldern fand ich stets
Vertreter dieser im Land sonst so seltenen Tiere.

Daß sie trockene Zeiten im Boden verborgen in einem Zustand
herabgesetzten Stoffwechsels verbringen müssen, auch an manchen
Stellen, an denen man sie sonst vermißt und nicht einmal durch ihre
Spuren nachweisen kann, bewiesen mir mehrere Fälle, in denen ich
Würmer -- meist in den Bergen -- nach kurzen heftigen Regengüssen frei
herumkriechen sah, wohl durch das Wasser aus ihrem Versteck vertrieben.
Die kurze Zeit, welche seit dem Regenfall vergangen war, verriet in
jedem Fall, daß die Verstecke der Würmer nicht tief im Boden gewesen
sein konnten.

Auch habe ich nicht selten nach heftigem, oft tagelangem Sommerregen
die Erde aufgegraben, um festzustellen, wie tief das Wasser in eine
sehr feste, zusammengetrocknete Erde eindringen kann. Ich stieß in den
meisten Fällen schon in der Tiefe von 2-3 cm auf vollkommen trockenen
Boden.

In einem solchen Land muß der Einfluß der Regenwürmer auf
Bodenbeschaffenheit, Pflanzenwuchs und Ackerbau sehr gering sein. Die
Ackererde in weiten Gebieten von Mazedonien hat nichts von dem großen
Einfluß der Regenwürmer auf ihre Beschaffenheit zu verspüren, den wir
seit den Forschungen von _Hensen_ und _Darwin_ für unsere Gegenden sehr
hoch einzuschätzen wissen.

Die von mir beobachteten Verhältnisse haben mich viel beschäftigt und
mich veranlaßt, mir Vorstellungen über die Abhängigkeit des Ackerbaues
von der Bodenbeschaffenheit in einem Land vom Charakter Mazedoniens
zu bilden. Was ist das ein ganz anderer Anblick, wenn bei uns der
Pflug dezimetertief in den Ackerboden sich einwühlt, als wenn der
mazedonische Bauer mit dem kurzen Eisenhaken seines urweltlichen,
primitiven Pflugs den Boden nur oberflächlich ankratzt. Was ist das gar
für ein Unterschied gegenüber den Ackerböden in Rumänien, wo ich einmal
von Bukarest aus einen Ausflug mit einem Agrikulturbotaniker machte, um
dort den äußersten Kontrast zu den mazedonischen Verhältnissen kennen
zu lernen. In einem Krongut im Gebiet der „schwarzen Erde‟ maßen wir
in einem Acker eine Decke von fruchtbarem Boden von einer Dicke von
1,10 m. Was ist das für ein Unterschied gegen die 3-5 cm in Mazedonien.
Und wie war dort an Farbe und Geruch der Erde der Gehalt an organischer
Materie zu erkennen, wie war der Boden in seiner Feinkörnigkeit und
Luftigkeit Zeuge von der Arbeit der Regenwürmer.

Wie ist es aber möglich, daß auf dem scheinbar so sterilen Boden
Mazedoniens trotzdem schöne große Ernten zustande kamen, daß im
Frühsommer oft die Landschaft dort von Gersten-, Roggen- und
Weizenfeldern bedeckt, den Eindruck paradisischer Fruchtbarkeit erweckt?

Offenbar beruht in Mazedonien die Fruchtbarkeit auf einer ganz anderen
Grundlage als in feuchteren Gegenden. Auf dem felsigen Boden bildet
sich jeweils in einigen Jahren eine Schicht von verwittertem Gestein,
an dessen Verarbeitung Sonne und Regen, Eis und Schnee, Wind und Sturm
beteiligt sind. Diese Schicht bildet eine Erde, die einige wenige
Ernten gestattet, wenn Wasser genug geboten ist, wenn also der Acker
in Flußnähe liegt oder sonstwie künstlich bewässert werden kann. Fast
wie in einer Nährlösung gedeihen auf solchen Feldern die Pflanzen.
Bald sind diese Äcker aber erschöpft und sie müssen wieder Jahre brach
liegen, bis wieder neue Verwitterungskrume gebildet ist. Ohne Dünger
können solche Äcker nur kurze Zeit tragen. Drum sah man in Mazedonien
oft halbkahle, erschöpfte Felder.

Die flache Ackerkrume ist auch die Ursache, welche die Dürre in diesem
Land für die Ernte so gefährlich macht. Kann ein Acker nicht bewässert
werden, so geht in einem heißen, trockenen Sommer die Ernte mit
Sicherheit zugrunde.

Tatsächlich muß es genügen, einen solchen Ackerboden mit dem Pflug nur
gerade anzukratzen, damit man den Samen in ihn betten kann. Dazu genügt
der Pflug des Altertums. Pflügte man tiefer, so wühlte man nur Steine
und sterile Massen auf, welche noch nicht verwittert waren, noch nicht
so weit aufgeschlossen waren, daß sie dem Getreide Nährstoffe bieten
konnten.

So haben unsere Truppen, auch gute Landwirte und Ansiedler in
Mazedonien im Anfang Mißernten erzielt, als sie hochmütig lächelnd die
primitive Bearbeitungsweise der mazedonischen Bauern verachteten und
tief, oft gar mit Dampfpflügen den Boden aufwühlten. Die fruchtbare,
dünne oberste Schicht wurde dabei in die Tiefe versenkt, das
Felsengestein und seine Trümmer wurden emporgeholt. Ohne starke Düngung
konnte solch ein Feld nichts tragen, ohne einige Jahre den Mächten der
Atmosphäre ausgesetzt gewesen zu sein.

Da wäre jahrelange Arbeit des Menschen, oder noch viel längere
Tätigkeit der Regenwürmer nötig gewesen, um aus einer Steinwüste
fruchtbare Felder hervorzuzaubern.



NEUNTES KAPITEL

DAS GELIEBTE VELES


Wie verhaßt war Veles bei vielen in unserer Armee, welche dort längere
Zeit hatten liegen müssen und wie sehr geliebt war es von anderen,
welche mit für die Schönheit geöffneten Augen diese malerischste Stadt
Mazedoniens nur als Gäste besucht hatten. _Koprülü_, die Brückenstadt,
war der türkische Name dieser Stadt, deren Häuser steil an beiden
Ufern des Wardar die Berge hoch hinauf bedeckten. Es war wohl eine
Plage, in der glühenden Hitze eines Sommertages oder auch in einer
schwülen dunklen Nacht die engen, steilen Gassen mit ihrem Pflaster,
das aus Kanonenkugeln zusammengesetzt zu sein schien, emporzuklettern.
Eng schlossen die Häuser zusammen, ein schmaler Streifen dunkelblauen
Himmels strahlte von oben herab, grell eingefaßt von den blendenden
Mauern. Aus den Fenstern neigten sich Blütenbüsche und die
unvermeidlichen Paprikaschoten herab. Einige hundert Meter über dem
Fluß war man hinaufgestiegen, bis man in einer der obersten Straßen bei
seinem Quartier anlangte.

Oben aber öffneten sich Ausblicke von überraschender Schönheit; hier
hatte man den türkischen Orient mit seinen grellen Kontrasten, mit
allem seinem Reiz für die Phantasie des Nordländers vor sich. Ein
steiler Weg führte zur alten hölzernen Brücke hinunter, über welche
ein starker Verkehr zwischen beiden Ufern wechselte. Neben der Brücke
erhoben sich hoch über den Fluten des Wardar stattliche Gebäude, welche
zum Teil mit einigen Stockwerken auf schiefen Streben über den Fluß
hinausragten. Diese vorgebauten Häuserteile faßten Nischen mit Veranden
zwischen sich, welche ebenso lauschig aussahen, wie Säulengalerien
unter dem Dach dahinter gelegener Häuser. Die schön geschnitzte,
dichte Holzvergitterung der Fenster verriet, daß es sich um Haremliks
handelte. Die eingesperrten Frauen hatten hier wenigstens einen schönen
Blick auf den Fluß und sein Tal vor sich.

In allen Teilen der Stadt ragten Minarets empor und auch während meiner
Besuche hörte man abends regelmäßig von ihren Galerien den Gesang der
Muezzins. In den Straßen von Veles sah man viele Männer in Turban und
Fez, die Frauen, meist schwarz gekleidet, gingen verschleiert. So war
der starke türkische Einschlag in der Bevölkerung unverkennbar. Aber in
den ärmeren Vierteln gab es nicht wenig Bulgaren und wohl auch Serben;
die letzteren bekannten sich aber nur in den seltensten Fällen zu ihrer
Nation.

Das eine Mal wohnte ich auf dem linken Wardarufer hoch am Berg; mein
Quartier war in einem Block von Häusern, welche ganz eng zusammengebaut
waren und sich freie Luft nur auf vorgebauten Holzveranden und Balkonen
gesichert hatten, von denen man einen weiten Überblick über Stadt und
Flußtal hatte. Das tröstete einen über die düsteren, fensterlosen
Stuben, in denen die Möbel kaum Platz hatten. Viele staubige Vorhänge,
Divans im Staatszimmer und Einrichtungsgegenstände deuteten auf
türkische Herkunft, obwohl die Quartiergeber bulgarisch sprachen.

[Illustration: Abb. 64. Veles, Ostufer des Wardar mit Haremshäusern.]

Die Zimmer waren stets reich an Ungeziefer; ein wanzenfreies Quartier
galt für eine große Auszeichnung vom Quartieramt. Schließlich sah man
sich hier, wie überall in Mazedonien, genötigt, wanzenfreie Soldaten-
und Offiziersheime und Verpflegungsanstalten zu schaffen. Dann war
man allerdings in weniger romantischer Umgebung; aber auf solche legte
der Durchschnittssoldat weniger Wert. Auch unter den Offizieren zeigte
sich erstaunlich wenig Anpassungsfähigkeit an Fremdes und ein Kleben an
Traditionellem, welches es manchem unmöglich machte, die Vorteile und
Besonderheiten des Aufenthalts im fremden Land in der richtigen Weise
auszunützen.

[Illustration: Abb. 65. Veles und der Wardar vom Kloster Sveti
Panteleimon.]

Daß Veles seinen alten Bestand an slavischen, christlichen Bewohnern
hatte, bewiesen schon die stattlichen Kirchen und Klöster, die im Süden
der Stadt meist hoch am Berg lagen. Auf dem Ostufer ragte, von Bäumen
umgeben, weiß leuchtend aus der grünen Umgebung _Sveti Spas_ mit einem
serbischen Friedhof, gegenüber, malerisch in die Felsen eingebaut,
das große bulgarische Kloster _Sveti Panteleimon_. Von dessen
Terrasse aus hatte man durch Bäume hindurch einen prachtvollen Blick
auf das Häusermeer der Stadt, das sich eigentümlich in alle Falten
und Schluchten der Berge einfügte, so daß man kaum merkte, wo Stadt
aufhörte und Felsen anfingen. Das hatte zum Teil seinen Grund darin,
daß die Bausteine den Felsen entstammten, an die sich die Häuser
anlehnten. So waren es vornehmlich die dunkelroten Ziegeldächer,
welche den Umriß der Stadt hervorhoben.

[Illustration: VELES MIT ALTER WARDARBRÜCKE.]

So dürr und verstaubt die Stadt mit ihren engen Gassen, ihren
ausgetrockneten Bächen im Sommer aussah, so waren dennoch die
stattlichen Bäume bei den Klöstern nicht die einzigen im Stadtbild
von Veles. Wo der Boden es hergab, wurde an Bäumen erhalten, was
gewachsen war. An den Stadtausgängen standen mächtige Pappeln, Brunnen
waren von Eschen und Platanen beschattet und halfen die reizvollsten
Straßenbilder herstellen.

Eine riesige alte Platane am rechten Wardarufer wird jedem Besucher der
Stadt in Erinnerung geblieben sein; sie beschattete den Treffpunkt der
Lastwagen. Dort waren immer die Töpfereien zum Verkauf ausgestellt,
welche ein wichtiges Erzeugnis von Veles und seiner Umgebung waren.
Besonders wichtig unter ihnen waren die roten, porösen Tonkrüge, welche
als Wassergefäße dienten. Der durch ihre Wand durchgeschwitzte feuchte
Überzug ihrer Außenseite hielt im heißen Sommer das Wasser in ihrem
Innern durch Verdunstungsabkühlung frisch. Sowie der Sommer nahte,
tauchten in Mazedonien diese Tonkrüge in Mengen auf und brachten einen
neuen Farbton in das Straßenbild und eine Erinnerung an die Tropen.

Die alte Platane ist uns Zoologen in guter Erinnerung geblieben durch
einen mächtigen _Uhu_, der sich eines Abends auf ihr niederließ und
nach aufregender Jagd erlegt wurde. Es war die typische Form, welche
jetzt in der Wissenschaft den tönenden Namen +Bubo bubo bubo+ L. führt.

In früheren Zeiten war ein Produkt des Gewerbefleißes von Veles das
rote _Safianleder_, aus dem die türkischen Pantoffeln und feinen
Schuhchen der Haremsdamen angefertigt wurden. Man sieht noch die
Gerbereien, in denen das dünne Leder gegerbt wurde, wenn auch in ihnen
während des Krieges kaum Leder und kaum Betrieb war. Ging man über die
alte Brücke und am trocken liegenden Bach die Schlucht hinauf, gegen
den Berg am Ostufer des Flusses, so kam man vor einigen hohen Pappeln
zu Häusern, um welche herum die Gerbereibetriebe lagen. Auf der einen
Seite war die _Weißgerberei_, auf der anderen die _Rotgerberei_, welch
letztere hier noch weniger wohlriechend war, als in unseren Städten.
Eigenartig waren die Einrichtungen der Weißgerberei. Eine Anzahl ovaler
Steinbottiche standen am Rand der Straße, halb im Boden eingegraben
(Abb. 66); dieser war wie sie an dieser Seite vom Alaun schneeweiß,
während die übelriechende Region der Lohgerberei rotbraun gefärbt war.
Hier war also einst viel von dem feinen roten Leder erst weißgegerbt
worden, ehe es in anderen Teilen der Stadt gefärbt und zu den zarten
Schuhen umgearbeitet wurde, die bestimmt waren, feine Frauenfüße zu
umkleiden.

[Illustration: Abb. 66. Anlagen der Weißgerberei in Veles.]

Die Gegend um Veles war, soweit Berg und Felsen dies gestatteten,
gut angebaut. Dazu half das Wardarwasser. Zu beiden Seiten der Stadt
erweiterte sich das enge Schluchttal des Flusses zu kleinen Ebenen,
welche zum Teil in Flußtäler übergingen. Hier waren üppige Felder, die
alles trugen, was sonst in Mazedonien gedieh, an manchen Stellen sogar
Reisanbau gestatteten. Ein äußerst malerisches Bild boten die hohen,
schlanken Schöpfräder, die am Ufer aufgestellt, mit kleinen Bechern
beim Eintauchen Wasser aus dem Wardar bis zum obersten Punkt, den ihr
Umfang erreichte, heraufhoben, um dort das Wasser in schief zum Lande
geneigte Rinnen zu gießen, die es an Gräben weitergaben. Diese wiederum
führten das befruchtende Wasser in die Gärten und Felder (Abb. 67).

Die meisten Bäche und Flüsse traten in der Nähe Veles nicht durch
weite Täler an den Wardar heran, sondern hatten vorher eine Bergkette
zu durchbrechen, was sie in gewaltigen Schluchten taten. Zwei
Flüßchen, welche kurz unterhalb Veles mündeten, waren durch ihre
Durchbruchsschluchten berühmt, die _Topolka_ und die _Babuna_. Am
südlichen Ende der Stadt mündete die kleinere Topolka, ein im Frühling
und Herbst starker Bach. Die Babuna war ein Flüßchen, das hoch aus dem
Gebirge kam, entsprechend wasserreicher war, und demgemäß auch eine
gewaltigere Arbeit an den Felsen geleistet hatte.

Beide Schluchten boten für Naturforscher viel Interessantes und
wurden daher von mir und meinen Mitarbeitern zu wiederholten Malen
besucht. Jedesmal nahmen wir große Natureindrücke und interessante
wissenschaftliche Beobachtungen mit.

Die _Topolkaschlucht_ ist von beiden Enden zugänglich. Wir wollen
sie von ihrem oberen Ende verfolgen, das man von der Straße nach
Prilep über den Babunapaß durch eine kurze Wanderung erreichen kann.
Im späten Frühling war die Topolka ein schöner tiefer Bach, dessen
rasch dahineilendes Wasser schon oberhalb der Schlucht Mühlen trieb.
Die Mühlen bei Veles hatten alle Turbinenräder, an dessen senkrechten
Achsen sich oben der Mühlstein drehte. Übermäßig sauber ging es in
diesen Mühlen nicht zu und manchem deutschen Soldaten und seinen
Angehörigen zuhause haben im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne
geknirscht, wenn sie in dem dunklen Brot aus mazedonischem Mehl auf
die Steinchen stießen, die vielleicht schon beim Dreschen zwischen die
Körner geraten waren und seither sich eher vermehrt hatten.

[Illustration: Prof. _Müller_ phot. Abb. 67. Wasserschöpfrad am Wardar
bei Veles.]

Kaum war man von oben in die Schlucht eingetreten, als man erstaunt
in fast geschlossenem Raum sich umblickte. Hinter einem ragte ein
mächtiger Kalkfelsen wie ein Denkmal mehrere hundert Meter hoch empor.
Geröllhalden, von spärlicher Pflanzenwelt bewachsen, zeigten, wie das
Wasser gearbeitet hatte, um diese Felsen zu modellieren. Schwer war es
gewesen, einen Pfad durch die Schlucht zu schaffen. Aber als Zugang
zu den 6-8 Mühlen, die in ihr liegen, war er nach allen Zerstörungen
durch Hochwasser immer wieder erhalten worden. Wir freuten uns, auf
ihm bald dicht an dunkelgrünen Becken tiefen, gurgelnden Wassers dicht
entlang zu gehen, bald über hundert Meter emporklimmen zu müssen,
um einen brausenden Fall zu umgehen, der weiß-schäumenden Gischt
über rotgelbe Felsen in die Tiefe schleuderte. Die wechselnden, bald
grellroten und gelben, braunen und weißen Färbungen der Kalkwände,
zwischen denen blaugraue Hänge folgten, gaben der Schlucht einen
eigenen Reiz, der mich nie vergessen ließ, daß ich in Mazedonien war.
Wie seltsam waren die Gegensätze zwischen einem grellbeleuchteten
Felsen, dessen fast wie Metall schimmernden Flanken in unendlichen
Zwischentönen flimmerten und dem blauvioletten Schatten eines
senkrechten Absturzes, der, ihn einrahmend, in klares, grünes Wasser
sich senkte. Und dessen Oberfläche wieder war reich gegliedert durch
die Schaumkronen der Wellen und die vielfachen Reflexe des Himmels auf
seinem Spiegel. Und nun gar aus dem Wasser leuchteten die vielfachen
Farben der Gesteinstrümmer auf, gebrochen und noch vervielfältigt und
mitgenommen durch das strömende Wasser, das in verschiedenen Tiefen
über ihnen dahinging.

Wie oft zogen wir hier aus dem Wasser eine der dunkelen _Nattern_
(+Tropidonotus natrix persa+ Pall.), oder die _Würfelnatter_ (+T.
tesselatus+ Laur.), die hier so häufig auf die kleinen Fische jagten,
welche im ruhigerem Wasser bei den Mühlen oft in Scharen von Hunderten
standen.

In vielen Windungen zog sich die Schlucht zum Wardar, ein prachtvolles
Bild von großartiger Romantik nach dem anderen bietend, bis sie
sich zum Flußtal öffnete, wo gegenüber auf grünem Rasen von Bäumen
beschattet das Kloster _Sveti Spas_, einen friedlichen Gegensatz zu der
wilden Felseneinsamkeit bildete; das leise Strömen des Wardar wirkte
wie tiefes Schweigen nach dem tollen Brausen und Tosen des Wassers in
der Schlucht.

Fast noch großartiger waren die Verhältnisse der _Babuna_schlucht,
welche einige Kilometer südlich von Veles den Wardar erreichte. Sie
mußte ich jedesmal von unten durchwandern; denn den oberen Teil bildete
eine Klamm, welche man nur bei niederstem Wasserstand durchwaten
konnte; ein Weg führte nicht hindurch, da die Felswände senkrecht
zum Fluß abfielen. Gerade dort war die eigenartigste Landschaft des
Gebietes. 300-400 m stiegen die Felswände fast senkrecht in die Höhe,
unten nur von mäßigen Geröllhalden begleitet, welche der Fluß bei
Hochwasser stets überflutete.

[Illustration: OBERES ENDE DER TOPOLKOSCHLUCHT BEI VELES.]

Auf dem Weg zur Babunamündung kam man am Wardar entlang wandernd an
einer kleinen Kapellenruine vorbei, welche im Fluß auf einem vom Wasser
umrauschten Felsen stand. Sie bot ein höchst malerisches Bild, mit
ihren rötlichen Mauern, besonders im Sommer, wenn sie mit ihrem Felsen
von dem grünen Wasser der Wardar umschlossen war.

[Illustration: Abb. 68. Mühle in der Topolkaschlucht bei Veles.]

Zoologisch war der obere Teil der Babunaschlucht besonders interessant.
Ehe man die hohen Felsen erreichte, durchwanderte man einen Kessel,
der fast ringsum abgeschlossen, durch Kalkberge von der Sommersonne
zu einer Höllenglut erhitzt werden konnte. Legte man die Hand an
die Felsenwand, so zog man sie erschrocken zurück und glaubte sie
verbrannt zu haben. In diesem heißen Gebiet fanden sich unter den
Steinen zahlreiche Skorpione und riesige Tausendfüßler. Die Skorpione
waren +Euscorpius carpathicus+ L. und +Buthus occitanus Amoreux+. Hier
fingen wir die Giftschlange +Vipera ammodytes+ (L.), die Sandotter,
hier lagen auf den Felsen große grüne Eidechsen mit blauen Bäuchen
(+Lacerta major+ Blgr.), und die flinken Mauereidechsen (+Lacerta
muralis muralis+ Laur.) huschten zu Dutzenden umher, auf der Jagd
nach der Insektenwelt, die in dem zur Zeit fast pflanzenlosen Gebiet
unerklärlich reich erschien. Ein besonders interessanter Fang war dort
eine Fliege aus der Familie der Bombyliden, die abgebildete +Bombylius
analis+ Eb. mit ihrem schneeweißen Hinterende, das vom tiefschwarzen
Körper eigenartig absticht. Sehr geplagt wurde man von Bremsen,
besonders dem +Tabanus ater+ Rossi.

[Illustration: Abb. 69 Hummelfliege. +Bombylius analis+ Fb.
(Babunaschlucht).]

In ganz unglaublichen Mengen kam ein kleiner Käfer mit eigenartiger
orangegelber Behaarung (+Amphicoma vulpes+ Fabr.) vor. Von
_Schmetterlingen_ fielen bei den verschiedenen Besuchen +Euchloë groni+
H. S., ein Verwandter unseres _Aurorafalters_ auf, dessen Männchen am
Vorderflügel orange-, am Hinterflügel hellgelb gefärbt ist, während
das Weibchen schwarzweiß ist. Übrigens flog dort auch der gewöhnliche
Aurorafalter +Euchloë cardamines+ L. Von _Bläulingen_ gab es +Lycaena
cyllarus+, von _Perlmutterfaltern_ +Argynnis pandora+ Schiff und von
den dickköpfigen Hesperiden +Allopea lineola+ Ochs.

Das Überraschendste war aber der Vogelreichtum in den Felswänden;
Löcher im Gestein boten reiche Nistgelegenheit, welche vor allem von
Felsentauben (+Columba livia livia+ Gm.) ausgenützt wurden. Diese
Stammmutter unserer Haustauben brütete dort in Dutzenden von Paaren.
Ein Schuß trieb Hunderte der Vögel auf, welche einen solchen Schwarm
bildeten, daß sie einen deutlichen Schatten auf den Talboden warfen,
als sie erschreckt aufflogen. Weiter oben hatte der Schuß stattlichere
Gäste zur Erscheinung gebracht. Ein Paar _Gänsegeier_, dazu mehrere
_Kaiseradler_ kreisten um die Felsen und die Annahme, daß auch diese da
oben brüteten, lag nahe.

Beim Rückmarsch durch das Tal konnte man die in ganz Mazedonien
in steinigen Gebieten häufigen _Felsenkleiber_ (+Sitta neumayeri
neumayeri+ Michah.) beobachten. Mit seinem blaugrauen Rücken und
der weißlichen, rostrot überhauchten Brust ist dieser unruhig
auf den Felsen herumlaufende Vogel eine belebende Erscheinung in
den Felsenwüsten. Noch eigenartiger ist der _Alpenmauerläufer_
(+Tichodroma muraria+ L.), der mit den hochroten Fahnen seiner
Flügelfedern, dem sonst aschgrauen, zerstreut braun-, schwarz- und
weißgefleckten Gefieder und seinem eigenartigen Flügelschlag, wenn er
an der Felsenwand flattert, einen ganz fremdartigen Eindruck macht.

Weiter unten gegen den Wardar, wo das Tal breiter wird, traten
noch _Rostschwalben_ und der am Wasser über die Steine huschende
_Wasserstar_ hinzu.

[Illustration: Abb. 70. Pappelhain am Wardar. Im Hintergrund Veles und
seine Felsenberge.]

Müde von der Felsenkletterei kehrte man gern in das gastliche Lager des
Hauptmanns _Jungmann_ zurück, welches einen weiteren Anziehungspunkt
in Veles bedeutete. Draußen, oberhalb der Stadt am Wardar befand sich
ein großes Etappenlager als Basis für die Babunastraße. Dort hatte der
Hauptmann eine kleine Hütte, in der man gastliche Aufnahme fand. Vor
dieser Hütte war ein behaglicher Platz zum Sitzen, von dem aus man
einen ganz eigenartigen, besonderen Blick auf die Stadt Veles genoß.

Vorn wälzte der Wardar an einem solchen Abend seine hochgeschwellten,
trüben Fluten dahin. Von dem gelben Wasser hob sich jenseits ein Wald
von Pappeln, Erlen und alten Ulmen ab. Es war eine Wildnis, die sich
da längs des Flusses ausdehnte. Vor dem Dunkel der Bäume hoben sich
zierlich die hohen Wasserschöpfräder ab. Als es zu dämmern begann,
bildete der Baumbestand eine fein umrissene dunkele Silhouette vor den
Häusermassen der Stadt, die im Glanz der Abendsonne aufglühten. Klar
und scharf standen dahinter die kahlen, dürren Berge mit ihrer schönen
Umrißlinie. An ihren Flanken sah man die Stadt sich hinschmiegen.
Tiefe Schatten fielen auf die Wände der Schluchten, ihre von Wind und
Wetter verarbeiteten Formen traten in wundervoller Klarheit hervor. Von
Süden zog eine Gewitterwolke heran, die den hellen Himmel allmählich
verdunkelte. Die Stadt selbst glühte immer mehr auf in den Strahlen der
scheidenden Sonne, welche unter der Wolkenbank sie erreichten. Einzelne
Fenster sandten feurige Blitze herüber. Die aus den Wolken fallenden
Regentropfen, welche in ihrer Spärlichkeit den dürstenden Boden nicht
erreichten, genügten doch, um einen strahlenden Regenbogen zu erzeugen,
der sich wie ein festlicher Schmuck in hohem Bogen über die leuchtende
Stadt und die dämmernden Berge schwang. In diesem köstlichen Rahmen
steigt wie eine Traumvision noch manchmal das Bild der Stadt Veles in
meiner Erinnerung auf.

[Illustration: VELES VOM RECHTEN WARDARUFER.]



ZEHNTES KAPITEL

AM DOIRANSEE


Vom _Doiransee_ wurde beim mazedonischen Heer viel erzählt. An seinen
Ufern wurde im Frühjahr 1917 hart gekämpft. Sein blauer Spiegel sei
wundersam von der braungelben Landschaft eingerahmt; reizvoll spiegle
sich die weiße Stadt _Doiran_ in seinem Wasser. So faßte mich denn
Sehnsucht, den schönen See zu sehen. Auch für den Naturforscher mußte
er Interessantes versprechen. Ein großer See im Binnenland, der kaum
erforscht war, mußte eine eigenartige Tierwelt beherbergen.

Ich plante eine Expedition zum See, stieß aber sogleich auf viele
Schwierigkeiten. Es war ja Krieg, und wie bei den anderen großen
mazedonischen Seen, so ging auch hier die Front mitten durch den
See. Die Ufer wurden viel beschossen und jedes Schiff, welches sich
hinauswagte, wurde mit Schrapnells und Granaten bedeckt. Aber so gut
unsere Soldaten es am See jetzt seit Jahren aushielten, so gut mußte es
für den Naturforscher möglich sein, dort seine Arbeit zu tun.

Der Plan wurde ausgearbeitet und fand bei den militärischen Behörden
Verständnis und tatkräftige Unterstützung. Da bei Tag jedes Boot von
den gut eingeschossenen englischen Batterien unter Feuer genommen
wurde, konnte ein Versuch nur nachts unternommen werden. Militärische
Hilfe war notwendig, alle deutschen und bulgarischen Posten und
Batterien mußten verständigt werden, damit nicht das Feuer unserer
Truppen sich auf uns richtete.

Unsere Fahrt war in allen Einzelheiten aufs sorgfältigste vorbereitet
und alles klappte prachtvoll. Am Abend des 8. Juli 1917 kam es zum
ersten Besuche des Doiransees. Zwei Tage vorher waren meine Netze,
Planktonapparate, Thermometer und sonstigen Instrumente aus Deutschland
angekommen. Gute Hilfe leisteten mir wissenschaftliche Kollegen,
welche als Offiziere bei den deutschen Truppen der 1. Bulgarischen
Armee standen. Einer von ihnen, einer meiner alten Schüler, Hauptmann
_Frischholz_, befehligte einen Pionierpark im Wardartal. Von ihm
hatte ich schon manche Hilfe erfahren. Er begleitete mich auf der
Doiranfahrt und übernahm die militärische Führung. Angeschlossen hatte
sich noch der Münchener Geologe Dr. _Leuchs_, der als Kriegsgeologe im
Gebiet tätig war.

Abends nahm uns am Bahnhof in _Dedeli_ ein Auto des A.O.K. auf und
brachte uns rasch über den _Furkapaß_ durch das Tal von _Cerniste_
in die Nähe des Sees. Ein rotgoldener Abendhimmel überstrahlte das
westlich vom See gelegene Gebiet des _Dub_ und der angrenzenden Berge,
als wir uns in ihrem Schatten dem See näherten. Vorsichtig mußten
wir die im Schußbereich der feindlichen Artillerie liegende Straße
benützen. Vorsicht hieß rasch fahren und etwas riskieren. Es dunkelte
schon, als ein Reiter uns empfing und uns durch die Granattrichter die
Straße entlang soweit geleitete, als Fahren möglich und erlaubt war.
Der Spiegel des Sees blinkte auf, als wir aus dem Wagen stiegen, um
zu Fuß in einer Wanderung von wenig Kilometern das Boot zu erreichen.
Viel konnte man hier vom See nicht erkennen. Denn das ganze Nordufer
und ein großer Teil des Westufers sind flach; ein breiter Schilfgürtel
faßt hier den See ein. Der Abendwind rauschte in den Binsen, leise
plätscherten die Wellen, während wir bei steigender Dunkelheit nach dem
Boot suchten. Es lag versteckt im Schilf nahe bei der Stadt Doiran.

Schon war es vollkommen dunkel, als wir den auf uns wartenden
Pionierponton fanden; in der Finsternis leiteten uns das leise Rasseln
der Ketten und die Stöße der Ruder am metallenen Rumpf des Bootes.
Deutsche Pioniere nahmen uns auf und ruderten langsam seewärts. Es war
nicht einfach, in der dunklen Nacht durch den mehrere hundert Meter
breiten Schilfwald den Weg zu finden. Aber unsere Soldaten -- sie waren
meist von Beruf Fischer und Seeleute -- kannten sich im Gebiet gut aus
und brachten uns bald aufs freie Wasser hinaus.

Dunkelheit umfing uns, als wir aus dem krachenden Schilf auf die
Fläche des Sees hinausglitten. Leise mußten die Ruder eingetaucht
werden; denn weit tönte der Schall über das Wasser. Wir machten unsere
Apparate bereit, brachten die Seile und Schnüre in Ordnung. Hauptmann
_Frischholz_ warnte vor Benutzung der Taschenlaternen, um den Feind
nicht auf uns aufmerksam zu machen. Am dunklen Himmel strahlten die
Sterne stark und schön in der warmen Julinacht; manche warfen einen
blinkenden Streifen über die Wellen. Drüben am feindlichen Ufer
blitzten Lichter auf, roter Rauch von Lagerfeuern stieg in die Höhe.
Leise fuhr unser Boot über dem schwarzen, leise gurgelnden Wasser. Es
war eine eigenartige Empfindung, so einsam, fern von allen Menschen,
als Einzige auf dem dunklen See zu treiben.

Wir hatten nicht Zeit uns lange Stimmungen hinzugeben. Wir mußten
rasch unsere Arbeiten erledigen, um nicht das Leben deutscher Soldaten
zwecklos zu gefährden. Unsere Thermometer wurden in verschiedene Tiefen
gesenkt, die Temperaturen gemessen. Währenddessen wurde gelotet und
unsere Planktonnetze schwebten im klaren Wasser. Unter dem Kommando
_Frischholz'_ bewegte sich das Boot gewandt und zweckentsprechend. In
kurzer Zeit konnte ich alle gewünschten Untersuchungen durchführen.
In den Glasgefäßen hatte sich wohl eine vielgestaltige Welt von
Planktontieren angesammelt, die wir nur ahnten, noch nicht feststellen
konnten. Denn der Hauptmann gestattete nur sekundenlange Lichtblitze
aus den Taschenlampen zum Ablesen der Uhren, zur Überwachung der
Apparate, der Netze, der Seile und Drähte.

Unter langsamen Ruderschlägen hatte das Boot mehrere Kreise in der
Mitte des Sees gefahren. Währenddessen hatten wir die vorgenommenen
Untersuchungen erledigt und der Hauptmann mahnte in seiner großen
Gewissenhaftigkeit zur Rückkehr zum Ufer.

Mittlerweile waren die Berge am jenseitigen östlichen Ufer allmählich
deutlicher geworden. Ein zarter goldner Schein begann am Himmel hinter
ihnen emporzusteigen und ließ ihre Umrisse scharf hervortreten. Der
Mond nahte hinter ihnen und mußte bald seine Strahlen über die Fläche
des Sees werfen.

Wir wandten uns zum Ufer und die Pioniere zogen die Riemen kräftig
an. Mit dumpfem Gerumpel drehte sich das Boot. Hatte dies Geräusch zu
stark über den See geschallt oder war doch vorher unser Lichtblinken
beobachtet worden, plötzlich blitzten die beiden englischen
Scheinwerfer am jenseitigen Ufer auf und warfen breite Lichtbahnen über
den See. Einige Schüsse krachten, Maschinengewehrfeuer weckte das Echo
der Berge.

Dann war es wieder dunkel. Die Pioniere legten sich fest in die Ruder,
unser schweres Boot rollte gurgelnd über den Wellen und bald strich
es prasselnd durch einzelne Schilfgruppen, die vor dem eigentlichen
Schilfwald aufragten. Wir suchten in der Dunkelheit lange nach den
Gassen, die den Schiffern vertraut waren. Es war nicht leicht, in
der Nacht in der gleichmäßigen Schilfwand die richtige Einfahrt
aufzufinden. Schließlich fuhren wir in eine Gasse ein und hielten
aufs Ufer zu. Bald schloß sich aber der Weg, wir gerieten in dichtes
Schilf, das rauschend und knisternd vor unserem Boot sich bog und
brach und sich schließlich so verfilzte, daß unser Boot umklammert
und festgehalten wurde. Wir steckten fest im Schilf und es kostete
starke Arbeit bis wir uns wieder freigemacht hatten. Nun fuhren wir
weiter durch das dicke Schilf, in dem es keinen Durchblick und keinen
Überblick gab. Hoch ragten die Schilfhalme, etwa 3 m lang, über unsere
Köpfe, selbst wenn wir uns auf Kisten und Eimer stellten und hoch
emporreckten. Wir kamen durch mehrere offene Stellen im Schilf, die wie
stille Weiher aussahen. Sie waren aber selbst wieder vom Schilfwald
umgeben, in den wir immer wieder eindrangen, um noch mehrmals hängen zu
bleiben. Plötzlich saßen wir auf einer Sandbank fest.

Um uns immer das eintönige Rascheln des Schilfes, das Säuseln des
Nachtwindes in seinen Halmen. Es wurde etwas unheimlich in der dunklen
Nacht in dieser Wirrnis der Pflanzen. Hatten wir auch nicht die
Richtung verloren, gerieten wir nicht in das Gebiet der Engländer?

Mit kräftigem Entschluß befahl schließlich der Hauptmann wieder aus dem
Schilfwald herauszurudern. Wir kamen durch, bohrten uns bis an seinen
Rand zum offenen Wasser und ruderten nun am Schilf entlang bis zu einer
neuen Straße, die durch einen verfallenen Pfahlbau gekennzeichnet,
unsere Schiffer zu einem bekannten Landungsplatz führte. Wir waren
etwas weiter nach Norden, also weg von den Engländern ans Land gekommen.

Wir kletterten am Ufer hinauf; vorsichtig luden wir Instrumente
und Netze sowie die Gläser mit der kostbaren Ausbeute aus. Wir
standen im tiefen Dunkel, in für uns alle unbekanntem Land, als das
Rauschen im Schilf wieder anhob und uns verriet, daß unsere getreue
Schiffmannschaft ohne Abschied, ohne unseren Dank abzuwarten, in der
Nacht verschwunden war.

Wir fanden aber bald die uns bekannte, am See entlang laufende
Landstraße, die uns orientierte. Nun hätten wir in mehrstündigem
Marsch zu Quartieren gelangen können, um dort den Rest der Nacht zu
verbringen. Ich hatte aber die Absicht, den nächsten Tag noch am Ufer
des Doriansees zu verbringen und weitere Untersuchungen zu machen.
So stiegen wir seitlich vom See einen Hügel hinan, um in einiger
Entfernung von der Straße uns zwischen Büschen ein Nachtlager zu
suchen. Wir hatten außer unseren Apparaten keinerlei Gepäck bei uns. In
der lauen Julinacht konnten wir ohne Scheu am Boden im Gras schlafen.
Wir wanderten aber einige hundert Meter über die Straße bergauf, weil
wir wußten, daß jene nachts regelmäßig mit schwerem Geschütz beschossen
wurde, da sie die einzige Etappenverbindung für unsere Truppen in der
Doiranstellung darstellte.

Unterhalb _Kara Oglular_ fanden wir eine mit Büschen der Stacheleiche
bedeckte Mulde, die wir uns als Nachtquartier erwählten. Kaum waren wir
angelangt, so wurden beim Schein der Taschenlampen die Planktonfänge
geprüft, die nötigen Konservierungen vorgenommen und der mitgebrachte
Proviant verzehrt.

In den Gläsern fand sich ein Gewimmel von durchsichtigen glitzernden
Planktontieren. Beim unsicheren Licht der Taschenlampen konnte man
gerade noch erkennen, daß +Copepoden+ und +Daphniden+ im Wasser
schwirrten, ja ich glaubte schon, einen größeren Planktonkrebs zu
sehen, der sich dann später tatsächlich als eine interessante Form, als
eine Verwandte der +Leptodora+ des Bodensees erweisen ließ.

Müde legten wir uns dann am Boden nieder, um einige Stunden zu
schlafen. Leuchtkäfer leuchteten zwischen den Gräsern und schwirrten
durch die Luft, als wir in Gruben uns schmiegten, um uns vor dem
aufkommenden Seewind zu decken. Wir kamen aber nicht zum Schlafen, denn
wir wurden alsbald von Mückenschwärmen umsummt, die sich in Massen auf
unsere Gesichter und Hände niederließen. Das mußte uns beunruhigen,
denn wir alle wußten, daß die Ufer des Doiransees zu den schlimmsten
Malariagegenden des Kriegsschauplatzes gehörten. Natürlich glaubten
wir, von den gefährlichen Malariamücken, den +Anopheles+, umschwärmt zu
sein.

Am Morgen konnte ich feststellen, daß unsere Sorge umsonst war. Denn
ich fand, als es hell wurde, daß die dichten Mückenschwärme von einer
harmlosen nicht stechenden _Federmücke_ aus der Gattung +Chironomus+
gebildet wurden. Ihre Larven erfüllten in Massen das Uferwasser des
Doiransees und selbst im nachts gefischten Plankton aus der Mitte des
Sees waren sie zahlreich vertreten.

Wir nahmen nun alle pflichtgemäß unsere bis dahin unter den starken
Eindrücken vergessene Chinindosis und bewegten uns etwas weiter
bergauf. Und das hatten wir nicht zu bereuen; mittlerweile war der
Mond aufgegangen und beleuchtete den See und die umgebenden Berge mit
seinem silbernen Licht. Er kam spät herauf, da er im Abnehmen begriffen
war. Dem hatten wir unsere ungestörte Kreuzfahrt im Dunkeln zu
verdanken. Jetzt aber genoß ich mit meinen Begleitern das wundervolle
Landschaftsbild, welches das Licht des Mondes vor unseren Augen
enthüllte.

Von unserem Standpunkt hatten wir den ganzen ovalen See vor uns
ausgebreitet; nur zur Rechten verdeckten die Berge die Stadt _Doiran_
und einen Teil des Südendes des Strandes. Auf dem leichtbewegten
Spiegel des Sees blinkelten die Silberreflexe des Mondes, eine breite
Bahn von den Feinden zu uns herüberziehend. Die schöngeformten Berge
jenseits waren von einem feinen blauen Licht durchleuchtet; leichte
Nebel hoben sich über dem sumpfigen Nordrande des Sees.

Am Abhang liegend, freuten wir uns des schönen Bildes; aber Ruhe
zum Schlafen bekamen wir nicht. Mit dem steigenden Mond hatte sich
auch eine starke Beschießung mit schweren Kalibern von feindlichen
Geschützen erhoben, welche der Seestraße galt. Wir waren ganz froh,
daß wir unsere Schlafgruben, von den Mücken verjagt, im Stich gelassen
hatten, denn im Mondschein erkannten wir sie als Granattrichter von
früheren Beschießungen, sahen auch nahe die spärlichen Reste eines
zusammengeschossenen Dorfes.

Bald nahmen die deutschen schweren Batterien das Duell auf und hoch
über uns brummten und schwirrten die schweren Granaten herüber und
hinüber, während wir in Ruhe den schimmernden See bewunderten.

So kamen wir kaum zum Schlaf und setzten uns im dämmernden Morgen gegen
4 Uhr in Bewegung, um den Nordrand des Sees zu umwandern. Dabei waren
wir immer noch von dichten Schwärmen der Federmücken umgeben, die auf
unsere Uniformen niederfielen, in die Ärmel und den Hals rutschten und
uns unangenehm belästigten. Viele Millionen der Tiere schwirrten in der
Luft, und mehr noch schwammen als Larven und Puppen im Wasser des Sees.

Es war ein dunstiger Morgen, während wir durch ein flaches Buschland
wanderten, hinter welchem niedere stark zerrissene, dürre Hügel
emporstiegen; als wir weiter nach Osten am Nordrand des Sees
hinwanderten, stiegen im Norden blaue Berge vor uns auf, die wenig
charakteristischen Gipfel der Belasiza Planina. Wir liefen soweit nach
Osten, bis wir in einem tiefeingeschnittenen Tal, das ostwärts zog,
die Gräben bei dem Ort _Brest_ erkannten. Hier reichte die feindliche
Front weit nach Norden, während sie am Westufer des Sees nur dessen
südlichen Rand erreichte. Da sahen wir wirklich weißleuchtend die Stadt
_Doiran_ am Strand sich erheben und im blauen Wasser des Sees sich
spiegeln. Man konnte meinen, große Paläste und zierliche Villen dort
stehen zu sehen. Leider aber wußten wir, daß die Stadt ganz zerschossen
und von der Bevölkerung verlassen war. Eine reizvolle und malerische
Stadt muß es einst gewesen sein; das beweisen die Photographien aus
der Stadt, die ich von befreundeter Seite erhielt. Nördlich der Stadt
fallen Felsenufer steil zum See ab, während sonst die Ufer am ganzen
See ziemlich flach sind.

[Illustration: Abb. 71. Doiransee aus der Artilleriestellung in der
Belasiza Planina.]

In den ersten Morgenstunden, solange Dunst und Nebel die Fernsicht
behinderten, durchstreifte ich mit dem Insektensammler _Rangnow_ die
Fläche, die sich zwischen dem See und den Hügeln ausdehnt. Es ist ein
dürres Gelände, zum Teil Schwemmland und ist von einem kleinen Bach
durchströmt, der in den Doiransee mündet. Die Umgebung war enttäuschend
kahl und reizlos. Fast nur Stacheleichen und der gefürchtete Judendorn
bildeten Buschgruppen, die zerstreut auf dem gelben zerissenen Boden
wuchsen. Dazwischen ragten mächtige Disteln mit purpurroten Blüten
empor. Niederes Brombeergestrüpp hinderte überall das Weiterkommen.
Größere Bäume, meist Ulmen, erhoben sich nur am Bachufer und vereinzelt
in dem Sumpf, der an den See grenzte. Es waren dies auffallend
stattliche alte Baumriesen.

Eigenartig wirkte der breite saftgrüne Sumpfstreifen vor dem leuchtend
blauen See; die beiden grellen Farbflecken waren harmonisch verbunden
durch den grauen Schilf, der zwischen ihnen sich weit in den Sumpf
erstreckte; am äußeren Rand vermischten sich graugrün und blau, indem
der Schilfbestand wie eine feine Tüpfelung sich im blauen Wasser
auflöste. Man konnte durch den Schilf nicht ans Wasser gelangen und
unsere schönen Pläne, im See ein erfrischendes Bad zu nehmen, konnten
nicht zur Ausführung kommen.

Die Sonne stieg höher, die Ferne wurde klarer. Hauptmann _Frischholz_
wünschte, daß wir uns nicht mehr am Seeufer zeigten, da erfahrungsgemäß
selbst kleine Menschengruppen Beschießung auf sich zogen. Ich war gerne
bereit auf die Hügel zu steigen, da das Seeufer wenig zoologische
Ausbeute versprach. Am Bach hatte ich große Flüge von Libellen
beobachtet, die auch über dem Schilf flogen und eifrig die Federmücken
fingen. Heuschrecken in verschiedenen Larvenstadien hüpften im
Sumpfgras.

Als wir den Hügeln zuwanderten, bemerkte ich hunderte von Schnecken,
Vertreter einer Helix-Art, welche in gedeckeltem Zustand an den dürren
Gräsern hingen, schon im Sommerschlaf versenkt. Wir marschierten in
glühender Hitze vom See weg, setzten uns am Hügelrand in den Schatten
eines einsamen Baumes und ließen uns von unserem Geologen erzählen, was
er sich von der Entstehung dieses Seebeckens dachte.

Der See lag blinkend in der glühenden Mittagssonne vor uns. Tiefblaue
Streifen wechselten mit breiten, wie Quecksilber schimmernden Bändern.
Besonders im Süden zeigten die Berge einen rötlichen Schimmer.

Herr Dr. _Leuchs_ war der Meinung, der Doiransee sei früher viel größer
gewesen; er vermutete einen früheren Abfluß nach Osten über das flache
Tal bei _Brest_ und eine Verbindung mit der Struma. Diese Verbindung
sei später gesperrt worden, indem Gerölle von der Belasiza Planina das
Tal auffüllten. Der See habe einen neuen Abfluß nach Süden gewonnen,
der jetzt bei dem Bahnhof Doiran austritt und eine Verbindung mit dem
Ardzansee herstellt. Er meinte, der See sei früher ein viel größeres
Becken gewesen, habe sich weit in das Tal von Cerniste gegen Nordwesten
erstreckt und sei wohl, den südlichen Seen vergleichbar, eine Lagune,
wenn nicht ein Meeresabschnitt gewesen.

Unsere zoologischen Beobachtungen an der Seefauna ergaben keine Belege
für eine solche Annahme einstigen Zusammenhangs mit dem Meere.

Wir mußten nachmittags die Gegend des Sees verlassen, um den Treffpunkt
zu erreichen, an welchem das Auto uns abends wieder abholen sollte. Es
war ein glühend heißer Tag geworden und der Marsch, bei welchem wir die
Instrumente und Netze tragen mußten, war sehr anstrengend. Es war einer
der Tage, an denen die Schattentemperatur auf 40° C stieg.

[Illustration: Flieger-Abt. 34 phot. Abb. 72. Blick aus der Stadt
Doiran auf den See.]

Während wir am Nordrande des Sees entlang marschierten, begann eine
starke Beschießung der Stadt Doiran und unserer südlich von hier
sich hinziehenden Stellungen. Dort lagen bulgarische Truppen der I.
Armee, welche sich sehr gut schlugen und deren tapfere Verteidigung
der Doiranfront immer sehr anerkannt wurde. Schweres Geschütz der
Engländer begann ein regelmäßiges Feuer auf die Stadt Doiran und die
Stellungen. Mächtige Rauchsäulen stiegen in regelmäßigen Abständen auf
und verrieten die Einschlagstellen. Bei der geringen Entfernung -- der
Nord-Süd-Durchmesser des Sees mißt 8 km -- konnte man die Beschießung
gut über den See hinweg verfolgen.

Wir sahen die weiße Stadt über dem dunkelblauen Wasser aufragen, den
gelbgrauen Berg hinansteigend, seinen Falten angeschmiegt. Wir konnten
in die Straßen hineinblicken, erkannten am Strand große Lagerhäuser,
grüne Baumgruppen dahinter und aus dem Gewirre der Mauern tauchten zwei
Minarets und der Turm einer christlichen Kirche auf. Was wir aber aus
der Ferne nicht sehen konnten, waren die fürchterlichen Zerstörungen
des Krieges, welche die Stadt, die uns so wohlerhalten schien, zu einem
Trümmerhaufen machten.

[Illustration: Abb. 73. Hügel bei Cerniste mit typischen
Erosionsschluchten.]

Granate auf Granate fiel ein; es war ein großer Tag am Doiransee.
Rauch- und Staubsäulen fuhren hoch in die Lüfte und hielten sich bei
der mittäglichen Windstille lange in der Höhe, so daß man den Zug der
Schützengräben und Verhaue aus ihnen entnehmen konnte.

Während dieses Schlachtgetöses marschierten wir schwitzend und seufzend
mit unseren Lasten durch die Gluthitze des Julitages am Nordrand des
Sees entlang. Unsern Marsch richteten wir, wenn es irgendwie möglich
war, auf einen der wenigen Bäume, die in der kahlen Landschaft noch
aufragten. In dem kargen Schatten dieser Bäume rasteten wir mehrmals.
Wir kamen durch die geringen Reste eines ehemaligen Ortes _Hasanli_,
der einer Bewegung der Front einmal zum Opfer gefallen war. Wie ein
Fabrikschornstein ragte der Rest eines Minarets aus dem Trümmerhaufen
empor. Einige Kilometer weiter fanden wir den letzten Schattenbaum auf
dieser Strecke und lagerten unter ihm und wollten dort ruhen bis gegen
Abend, da wir nicht mehr allzuweit vom Treffpunkt für das Auto entfernt
waren. Wir hatten uns vom See entfernt, Hügel hatten sich zwischen uns
und ihn gelegt. Dreieckig abgeschnitten sahen wir seine blaue Fläche
aus dem dürren, gelbbraunen Lande aufleuchten.

Zur Ruhe sollten wir aber im Schatten des Baumes nicht kommen.
Fliegergeschwader erschienen in der Luft und kämpften miteinander.
Abwehrbatterien feuerten von verschiedenen Bergsätteln. Der blaue
Himmel war mit zahllosen Schrapnellwölkchen gefleckt. Es war ein großer
Kampftag in Mazedonien.

Die schweren Geschütze begannen ein Duell. Die Engländer schossen
mit ihren Langrohren über den ganzen See hinüber. Heulend flogen die
schweren Granaten hoch oben durch die Bläue des Himmels über Wasser
und Berge und schlugen uns gegenüber an den Hängen des Kala Tepe
(608 m) und des Dub (695 m) ein. Diese kahlen Berge trugen deutsche und
bulgarische Stellungen. Wir konnten von unserem Rastplatz von hinten in
sie hineinsehen.

Von dort antwortete eine unserer schweren Batterien, welche im
Steilfeuer mächtige Granaten über den See zu den Engländern warfen.
Auf diese Batterien hatten es offenbar die Engländer abgesehen. Immer
wieder strichen ihre Flieger über sie hin. Immer wieder suchten die
Einschläge der Granaten sie ab. Für uns war es ein behagliches Gefühl
zu beobachten, wie die Engländer immer um einige hundert Meter zu kurz
schossen.

Ich achtete aber bald nicht mehr auf diesen Kampf der Menschen; ich
hörte bald das Schießen der Kanonen nicht mehr vor einem anderen Getön,
das die Luft erfüllte und sie in eigentümlicher Weise erschütterte. Das
Brausen und Summen rührte von einer riesigen Menge von Zikaden her,
welche heute ihren Hochzeitstag hatten. Es war eine große, silbergraue
Zikadenart (+Cicada plebeja+ Scop.), von denen viele Tausende an diesem
heißen Julitag um den Doiransee versammelt waren. In allen Büschen,
an allen Pfählen und Stämmen saßen sie und ließen ihren eigenartigen
Gesang erschallen. Schon in den Tropen, in Japan, in Italien hatte
ich den Gesang der Zikaden genossen und bestaunt. In der Tropennacht
mischte sich die Stimme der Zikaden mit mancherlei anderen Tönen,
dort auch zu einer eigenartigen und höchst reizvollen Symphonie ihren
Beitrag liefernd.

[Illustration: Abb. 74 +a+-+d+. +Cicada plebeja+ Scop. Große graue
Zikade. +a+ von oben, +b+ von der Seite, +c+ Larve, +d+ Nymphenhaut,
aus der das fertige Insekt durch den Rückenschlitz ausgeschlüpft ist.
Verkl. ⅗.]

Aber so wie hier im heißen Sonnenlicht des mazedonischen Nachmittags
hatte der Zikadengesang niemals auf mich gewirkt. Hier wetteiferte
er nur mit dem Getöse der Geschütze. Und er siegte über ihn. Wie ein
gewaltiger Orgelton quoll das Unisono von tausenden von Zikadenpaaren
in die heiße zitternde Luft, hob sich in die Höhe und flog in Wellen
mir ins Ohr.

Der Gesang der Einzelzikade ist ein grelles Titititititi; oft klingt
es wie das Trillern einer Zugführerpfeife. Es gibt aber unendliche
Nüancen der Tonhöhe, des Tempos, der Stärke. So entsteht ein polyphones
Gebrause, wie von einem mächtigen modernen Orchester, wirkt auf den
Menschen ein und erregt seine Nerven. Das Zirpen der einzelnen Zikade
mag grell und unschön klingen. Hier im ungeheuer großen Chor vereinigte
es sich zu einem Brausen wie Orgelklang, das schön und eigenartig
musikalisch wirkte. Es mag sein, daß der rasche Wechsel sehr wenig
voneinander verschiedener Töne, die in unendlicher Mannigfaltigkeit auf
das Gehörorgan einbrausen, eine ähnliche Wirkung ausübt, wie im großen
modernen Orchester.

Mag das sein wie es will; mag dies Tongewimmel auf den einen Menschen
so wirken, auf den anderen anders, die Wirkung auf die Zikaden selbst,
die das Konzert erzeugten, war ganz einheitlich. Es war das Liebesfest,
der Hochzeitstag der Zikaden; es waren ihre Saturnalien, darum das
tolle Gebrause. Sie störte an diesem Tag auch der Donner der Kanonen
nicht. So lange die heiße Luft des Julitages sie umhauchte, so lange
sangen sie im großen Chor.

Auf all den Büschen und Bäumen der Gegend saßen Dutzende von Paaren,
vor allem gern auf der heißen Rinde der in der Gegend so seltenen
Ulmen und Eschen. Da sah man sie meist dem Ast dicht angedrückt, die
glatten, glasigen, glänzenden Flügel wie ein Dach über den Rücken
gefaltet. Ihre großen Augen glänzten in vielen Farben, während das
heiße Licht der Sonne sie bestrahlte. Ihr Körper war in einem heftigen
Zittern begriffen, die Teile des Leibes bewegten sich gegeneinander,
als atmeten sie heftig. Männchen und Weibchen fliegen zueinander und
vereinigen sich in Copula, wenn der Chorgesang sie so gereizt hat, der
Spannungszustand des Körpers so gestiegen ist, daß sie bereit sind zur
Begattung.

Bald trennen sich die Gatten wieder. Das Männchen versteckt sich zum
frühen Tod, während das Weibchen noch eine Weile zu leben hat, bis es
seine Eier abgelegt und versorgt hat.

Das Hochzeitsfest dauert für die Art nur wenige Tage, wie für das
einzelne Individuum nur wenige Stunden. Einige Tage nach dem 8. Juli
wurden die Zikaden selten. Nur während der heißesten Sommertage ließen
sie ihren Chorgesang ertönen. Früher und später im Jahre hört man nur
einzelne Tiere, meist jedes von seinem Baum sein Trillern entsenden.

Das Weibchen legt seine Eier an den Wurzeln von Pflanzen, so von
Eschen und anderen Bäumen ab. Die entstehende Larve saugt sich mit
ihrem Rüssel an der Wurzel fest und nährt sich von deren Saft. So lebt
sie mehrere Jahre unter der Erde, um dann im letzten Larvenstadium
emporzusteigen und das fertige Insekt aus sich hervorgehen zu lassen.
Dabei reißt die derbe Larvenhaut in einem Längsspalt in der Rückenmitte
auf; das fertige Insekt schlüpft in ganz weichem, verletzlichen Zustand
aus diesem Schlitz heraus und bleibt auf der Larvenhaut oder in deren
Nähe sitzen, bis seine Oberfläche verhärtet ist. Dann breitet es seine
Flügel aus, schwirrt in den Sonnenschein an den nächsten Baum und
beginnt sein Lied zu singen. Nach dem langen Larvendasein unter der
Erde lebt es eine kurze Zeit in Licht und Sonne, um nach Begattung und
Eiablage eines raschen Todes zu sterben.

Ich beobachtete die grauschimmernden Zikaden den ganzen Nachmittag, bis
der Abend herabsank. Als kühle Luft vom See herüberwehte, verstummten
sie, das Konzert war zu Ende.

Erst jetzt achtete ich darauf, daß das Geschützfeuer auch ein Ende
gefunden hatte. Tiefe Stille herrschte in der Natur, als der Abend kam.
Wir wanderten in der Dämmerung die kurze Strecke zu der Wegkreuzung,
wo der Wagen auf uns wartete, der in schneller Fahrt mich zu meinem
Standquartier zurückbrachte.

Es war kein endgültiger Abschied vom Doiransee. Im Mai des Jahres 1918
wurde eine zweite nächtliche Forschungsfahrt auf dem See unternommen,
die mit ähnlichem Erfolg endete.

Schöner als von seinen Ufern aus erscheint der Doiransee von den ihn
umgebenden Gebirgen aus gesehen. Von den Bergen des Furkapasses, vom
Dub und gar von der _Belasiza Planina_ aus gewährt er manch äußerst
reizvollen Anblick.

Welch schönes malerisches Bild bot er von den Gipfeln des Gebirges aus
dar, wenn man etwa aus den Buchenwäldern der Visoka Čuka, umrahmt von
Baumzweigen, tief unter sich den blauen See schimmern sah, umgeben von
den zahlreichen Ketten der ihn umgrenzenden Gebirge, und den Blick
schweifen ließ in Fernen, wo das Ägäische Meer aufleuchtete, wo die
Berge der Chalkidike und der ferne Olymp blau schimmerten und die
Gedanken in weite Fernen verführten.

Über unsere Forschungen am _Doiransee_, bei denen mich im Jahre 1918
Dr. _Nachtsheim_ unterstützte, kann vorläufig folgendes berichtet
werden. Der See ist, nächst dem Kaltanowosee, der kleinste der von mir
untersuchten mazedonischen Seen. Er liegt auch viel tiefer als die
anderen, nämlich 148 m über dem Meer. Er umfaßt ein Areal von nur 42,6
qkm. Seine größte Tiefe ist 9,9 m, also nur fast 10 m. Man versteht
daher die weitgehende Verschlammung seiner Ufer und den breiten
Schilfrand, der ihn umgibt.

Wie bei dem allerdings beträchtlich tieferen Prespasee ist auch sein
_Plankton_ reich an _pflanzlichen_ Bestandteilen. Bei dem Fang im Juli
1917 fanden sich zahllose _Blaualgen_ in den Oberflächenschichten,
auch reichlich _Ceratien_, Chrysomonadinen und andere pflanzliche
Organismen. Ähnlich pflanzenreich waren auch die Fänge im Mai 1918.
Diese enthielten dazu zahlreiche Daphniden (+Daphnia cucullata+)
und Copepoden, kleine Cyklopiden (+Cyclops strenuus+). In diesen
Frühlingsfängen kamen junge _Flohkrebse_ (+Gammariden+) in beschränkter
Zahl vor. In 8 und 10 m Tiefe, also dicht über dem Boden, fanden
sich auffallend viele +Nauplius+-Stadien von Copepoden. Das Netz muß
hier fast auf dem Boden geschleift sein; in ihm hatten sich einige
_Muschelkrebse_ (+Ostracoden+) und eine Anzahl _Wassermilben_ gefangen.

[Illustration: Abb. 75. Blick von der Visoka Čuka auf den Doiransee.]

In den Julifängen fällt besonders eine stattliche +Cladocere+, eine
Art der Gattung +Leptodora+, auf. Dieses schöne durchsichtige Tier,
aus unseren süddeutschen Seen bekannt und von _Weismann_ vor vielen
Jahren im Bodensee genau studiert, kommt in vielen Varietäten und
Arten in süd- und osteuropäischen Seen vor. In den Julifängen war
die Art des Doiransees sehr reichlich in Männchen und Weibchen,
jugendlichen und erwachsenen Exemplaren vertreten, viel reichlicher
als in den Maifängen des Jahres 1918. Der Höhepunkt der Entwicklung
scheint also im Hochsommer zu liegen. Im Juli war auch der Reichtum an
_Rädertierchen_ (+Asplanchniden+) bemerkenswert, sowie das Vorkommen
einer +Bosmina-Art+, einer Daphnide, die beide im Mai fehlten. Selbst
weit draußen im See schwammen zwischen den zarten Planktontieren die
plumperen Larven der Federmücken.

Im Doiransee kommt auch der _Flußkrebs_ (+Astacus fluviatilis+ L.) vor,
und zwar erreicht er dort eine beträchtliche Größe. Die Doirankrebse
waren in der Armee sehr berühmt und beliebt.

Leider war es mir unmöglich, Fische aus dem Doiransee zu erhalten. Nur
kleine Fischlarven waren in den Planktonfängen enthalten.

Außer den früher erwähnten _Insekten_ möchte ich aus der _Schilfregion_
des Doiransees den Reichtum an schönen, auffallend gefärbten
+Stratiomyiden+, den _Waffenfliegen_, erwähnen, welche in verschiedenen
Arten vertreten waren, so +Lasiopa tenuirostris+ Lw., +Rhynchomyia
impavida+ Rossi, +Rh. speciosa+ Lw., +Stratiomyia erythrocera+ Egger
und +Str. chamaeleon+ L. -- Unangenehm machte sich an dem heißen
Julitag die _Bremse_ +Tabanus umbrinus+ Mg. bemerkbar.

Von Käfern fand ich als auffallende Form an den Baumstämmen einen
kleinen braunen, goldglänzenden _Borkenkäfer_ (+Capnosa tenebriosa+
Fal.). Im Juli kamen wir für die _Rohrkäfer_ (+Donacien+) zu spät und
bei dem Besuch im Mai konnten wir nur nachts uns am See aufhalten.

[Illustration: Abb. 76. +Leptodora+ sp. Großer durchsichtiger
Planktonkrebs aus Doiran- und Prespasee. Vergr. 10.]

Von Spinnen fing ich +Oxyopes ramosus+ Panz., +Thanatus arenarius+
Thor., +Epeira redii+ Leop., +E. patagiata+ Clerck, +Agalena
labyrinthica+ Clerck und +Pythonissa exornata+ C. L. Koch.

Wie schon die Gegend von Mravinca und Dedeli, so trug die Umgebung
des Doiransees in ihrer Tierwelt einen _südlichen_ Charakter. Es
wäre zu wünschen gewesen, daß wir mehr Gelegenheit zu Arbeit und
längerem Aufenthalt in diesem Gebiet gehabt hätten. Immerhin wurden
unsere Forschungen ergänzt durch die Sammlungen, welche Prof.
_Burgeff_, Botaniker an der Münchener Universität, der als Soldat
längere Zeit an der Doiranfront stand, dort anlegte. Unter ihnen sind
die _Reptilien_ besonders interessant, so die _Wasserschildkröte_
(+Clemmys caspica rivulata+ Val.); der kleine _Gecko_, dessen Wohnen in
meinem Schlafzimmer ich im zweiten Kapitel beschrieb (+Gymnodactylus
kotchyi+ Stud.) ist auch eine ausgesprochen südliche Form. Östliche
und südliche Beziehungen zeigt eine mit den Riesenschlangen verwandte
kleine Schlange (+Eryx jaculus+ L.), die _Sandschlange_. Ein ähnlich
interessanter Fund war +Typhlops vermicularis+ Merr., die im Boden
lebende _Blindschlange_. Auch der seltsame _Scheltopusik_ (+Ophisaurus
apus+ Pall.), wie die Blindschleiche einer Schlange gleichend und doch
so ganz anders plump gebaut als diese, erscheint als fremdartiges
Element in diesem Land, das in seinem Charakter eine so starke
Durchmischung südlicher und nördlicher, östlicher und westlicher
Bestandteile zeigt.

Die Doiranseegegend bildet offenbar in vielen Beziehungen einen
Übergang zu dem südlichsten Teil der Balkanhalbinsel. Hier geht die
Landschaft allmählich über ins flache Land bei Saloniki. Hier zeigt
sich schon der beginnende Einfluß des Meeres und damit eine Annäherung
an die Verhältnisse Griechenlands und an die adriatische Küste des
Balkans.



ELFTES KAPITEL

DIE MAZEDONISCHEN AMEISEN UND IHRE BAUTEN


Auch die Ameisen sind in Mazedonien Tiere, welche man nicht übersehen
kann. Sie kommen in allen Teilen des Landes in großen Mengen vor. So
konnte ich während der 2 Jahre meiner Forschung in diesem Lande 36
Arten und Unterarten auffinden, wie aus den Bestimmungen von Herrn _H.
Viehmayer_ in Dresden, der meiner Sammlungen sich freundlich angenommen
hat, hervorgeht. Diese von mir aufgefundene Zahl von Arten ist nicht
allzugroß, es gibt ihrer in Mazedonien sicher noch mehr. Aber da ich
meine Forschungen nicht speziell auf Ameisen beschränkte, so ist es
immerhin eine beträchtliche Zahl.

Mit ihrer Bautätigkeit bearbeiteten die Ameisen den Boden in einer ganz
erstaunlichen Weise, und wir werden später sehen, daß sie gerade in
Mazedonien damit eine besondere Rolle spielen, ganz zum Unterschied von
anderen Ländern, wo andere Tierarten die Hauptarbeit an der Umarbeitung
des Bodens leisten.

Wie bei der übrigen Tierwelt und bei der Pflanzenwelt zeigt sich in
der Ameisenfauna Mazedoniens eine Mischung von Arten, welche teils
südlichen und östlichen Charakter haben, teils nordischen Arten
entsprechen. Vor allem im Süden des Landes und im Tiefland treten die
südlichen Arten von Ameisen hervor. Sie fallen dem Deutschen vor allen
Dingen auf, weil sie in Aussehen und Lebensverhältnissen von unseren
Ameisen abweichen. Ganz besonders machte sich in den heißen Teilen
Mazedoniens eine Ameisengattung bemerkbar, die Gattung +Messor+, welche
in ganzen Armeen beobachtet werden konnte, und deren Nester sehr häufig
waren. In der gleichen Gegend kamen kleine gelbe Ameisen vor, bei denen
neben den winzigen Arbeitern sogenannte Soldaten mit mächtig dicken
Köpfen herumliefen. Es ist dies die Gattung +Pheidole+, die einzige
europäische Ameise mit echten Soldaten. Außerdem gab es Vertreter der
Gattungen +Cataglyphis+ und +Cremastogaster+, welche durch ihre große
Lebhaftigkeit auffielen. Alles das sind _südliche_ Ameisenformen, die
in Steppen und Wüsten vorkommen und zum Teil bis Nordafrika verbreitet
sind.

Ganz andere Ameisen leben im Gebirge. Kam man in die Wälder in Höhen
von 1500-2000 m, so stieß man auf Ameisenarten, welche unseren
einheimischen außerordentlich ähnlich waren und sich auch als die
nämlichen herausstellten. Es waren dies Arten der Gattung +Formica+;
diese fand ich niemals in Höhen von weniger als 1500 m. Dort gab es
auch die +Formicina+-Arten, die man früher als +Lasius+ bezeichnete,
und die Holzameisen aus der Gattung +Camponotus+. Die beiden letzteren
Gattungen fand man auch im Flachland, allerdings dort nicht so häufig
als in den Bergen, während die +Formica+-Arten in Mazedonien mir unten
niemals begegneten.

Es ist zu verstehen, daß ich die meisten Ameisenarten in der Umgebung
derjenigen Orte fand, welche längere Zeit mein Standquartier waren.
So fand ich in der Gegend von _Kaluckova_ 14, bei _Üsküb_ 12 und bei
_Dedeli_ ebenfalls 12 Ameisenarten.

In _Mazedonien_ ist wie überhaupt in Südeuropa diejenige Form die
typische _Hausameise_, welche man bei uns die Rasenameise nennt
(+Tetramorium caespitum+ L.). Diese kleine braune Ameise drang viel in
die Quartiere ein, sie war im ganzen Land bis 1600 m Höhe verbreitet
und konnte sehr lästig werden. So war sie es besonders für den
Naturforscher, dem sie gelegentlich seine genadelten Insekten und die
schon verpackten Schätze überfiel und auffraß, so daß nur wenige Beine
und Flügel übrig blieben. Mit Naphthalin konnte man sie schnell und
sicher vertreiben. Es tötet sie rasch und sein Geruch hält sie von den
Sammlungen ab.

In den Maulbeerpflanzungen um _Kaluckova_ gab es viele Holzameisen aus
der Gattung +Camponotus+. Vor allen Dingen in alten Bäumen hatten sie
vielfach ihre Gänge genagt. In solchen lebten auch Ameisenarten, welche
in den hohlen Stämmen feingegitterte Nester aus einer Kartonmasse
gebaut hatten. Sie ließen sich als die Arten +Liometopum microcephalum+
Panz. und +Cremastogaster scutellaris schmidti+ Mayr. bestimmen.

Noch mehr Ameisen gab es aber auf den bebuschten Hügeln in der ganzen
Gegend um _Kaluckova_. Da herrschten die +Messor+-Arten vor. Deren
Löcher waren überall zu sehen und ihre Straßen durchzogen die ganze
Gegend. Von ihrer Lebensweise werden wir später ausführlich hören.

Großes Interesse erregt durch ihre Bewegungen eine große schwarz und
rot gefärbte Ameise. Wie die +Messor+-Arten kam sie aus Bodenlöchern
und jagte in der ganzen Gegend nach Insekten. Kam man dieser Ameise
nahe, so hob sie den rotgefärbten Kopf und den Brustteil nebst den
Vorderbeinen hoch in die Höhe, sperrte die Kiefer weit auseinander und
war bereit, sofort zuzubeißen. Mit einer seltsamen Hast rannte sie in
dieser Stellung hin und her und packte an, was ihr in den Weg kam. Es
war +Cataglyphis bicolor+ F. var. +orientalis+ For. Sie gleicht in
ihren bizarren Bewegungen und in ihrer eifrigen Jagd auf allerhand
Insekten den zahlreichen Formen ihrer Gattung, welche in den Wüsten
Nordafrikas leben.

Reiche Ausbeute an fliegenden Geschlechtstieren von Ameisen lieferte
das hellbeleuchtete Kasino des Lazaretts _Kaluckova_ an den schönen
warmen Sommerabenden. Da flogen manche Formen an, deren Nester ich
nicht in der Umgebung gefunden hatte. Der Aufenthalt in _Üsküb_ und
bei _Dedeli_, sowie die Reisen in die Gebirge Mazedoniens brachten mir
eine ganze Menge von Ameisenarten, von denen ich aber hier nicht weiter
sprechen will.

Ameisen bekam ich also während meines Aufenthaltes in Mazedonien in
Menge zu sehen. Aber etwas vermißte ich in den ersten Monaten meines
Aufenthaltes in diesem interessanten Lande, was wir bei uns gewöhnt
sind, mit Ameisen und Ameisenleben stets verbunden zu denken. Ich bekam
keinen einzigen _Ameisenhaufen_ zu sehen. Als mir das aufgefallen war,
begann ich aufmerksam darauf zu achten, und ich merkte bald, daß hier
alle Ameisen, die nicht etwa wie die Holzameisen in Bäumen bauen,
sich unter die Erde zurückgezogen hatten. Viele von ihnen hausten
unter Steinen. Unter diesen begannen ihre Gänge, die in den Boden
hineinführten, auch hatten sie vielfach in dem Hohlraum, der sich etwa
unter dem Stein befand, Wände errichtet, so daß Kammern und Gänge
entstanden waren. So fand ich die Arten von +Tetramorium+, +Pheidole+,
+Cataglyphis+, +Plagiolepis+, +Solenopsis+, +Tapinoma+, +Myrmica+ und
+Cremastogaster+ entweder immer oder gelegentlich unter Steinen; sogar
eine Art von +Formica+ und zwei solche von +Camponotus+ fand ich im
Boden unter Steinen hausend.

Was sonst von Ameisen in der Gegend lebte, lebte auch im Boden, wenn
auch nicht unter Steinen. Die Löcher dieser anderen Arten traten
aber frei an die Oberfläche und waren im Frühjahr von eigenartigen
_Ringwällen_ umgeben. Diese Ringwälle bestanden aus dem _Bauschutt_,
der bei dem Ausgraben der Gänge aus der Erde herausgeschafft worden
war. Solche Nester bezeichnet man als _Kraternester_, weil der Ringwall
sich wie der Krater eines Vulkans zu dem Ausgangsloch des Ameisennestes
herabsenkt. Die Kraternester waren charakteristisch für eine ganze
Anzahl Ameisenarten in den Hügeln bei _Kaluckova_. Es waren dies vor
allem die dort vorkommenden drei Arten der Gattung +Messor+. Ich
will gleich ihre Namen nennen und ihr Aussehen kurz beschreiben. Die
häufigste Form war +Messor barbarus meridionalis+ E. André, eine sehr
dunkelgefärbte Art; ihr Kopf und fast der ganze übrige Teil des Körpers
sind schwarz. Nur der Brustteil, die Knötchen und die Gelenke der Beine
zeigen hellbraune Färbung. Die zweite Form +Messor oertzeni+ For. var.
+amphigea+ For. ist auch nicht selten, sie fällt durch einen rotbraunen
Kopf und Vorderkörper auf, auch ihre Beine haben dieselbe Färbung,
während der Hinterleib schwarz ist. Etwas weniger häufig war eine
dritte Form +Messor barbarus structor+ Lar. var. +mutica+ Nyl.; sie war
ähnlich gefärbt wie die erste, fast noch dunkler am ganzen Körper mit
helleren Beinenden.

[Illustration: Abb. 77. +Messor barbarus meridionalis.+
Geschlechtstiere und alle Arbeiterformen um die Nestkrater sich
bewegend.]

Außer bei diesen drei Arten fand ich ähnliche _Kraternester_ bei
+Tetramorium caespitum+ L., +Cataglyphis bicolor+ F. var. +orientalis+
For. und einer gelben +Formicina+-Art. Es war eine sehr auffällige
Beobachtung, daß hier alle Ameisen, die nicht in Bäumen hausten, in der
Erde wohnten, und daß keine einzige einen _Ameisenhaufen_ baute.

[Illustration: Abb. 78. Ringwälle (Kraternester) von +Messor barbarus
meridionalis+ E. André, bei Üsküb.]

Den ersten _Ameisenhaufen_ entdeckte ich, als ich Expeditionen in
die Hochgebirge Mazedoniens unternahm. Da fand ich im August 1917 im
_Schardakh_, also im albanischen Grenzgebirge, in der Gipfelregion der
_Kobeliza_, von etwa 1800 m Meereshöhe ab, regelrechte Ameisenhaufen,
wie wir sie in unseren Wäldern zu sehen gewohnt sind. Das waren die
großen, aus Tannennadeln, Holzstückchen, Erde und allerhand anderem
Material aufgebauten Haufen, welche man als die _gemischten Nester_
der Ameisen zu bezeichnen pflegt. Von da an achtete ich bei allen
meinen Gebirgsfahrten auf die Ameisenhaufen und fand solche in allen
Gebirgen, und zwar jeweils in der Waldregion und niemals in Höhen von
unter 1500 m. Eine richtige Entwicklung von Ameisenhaufen war stets
erst bei etwa 1800 m Meereshöhe zu beobachten. Als ich diese Haufen
untersuchte, fand ich in ihnen die typischen deutschen Waldameisen aus
der Gattung +Formica+, dieselben Arten, welche ich in den Bayrischen
Alpen und im Schwarzwald viel gesehen hatte. Es waren Nester von
+Formica (Rhaphi-formica) sanguinea+ Latr., +Formica rufa+ L., +Formica
(Serviformica) fusca+ L., +F. exsecta+ Nyl. und Varietäten von ihnen.

Diese Beobachtungen machten mir manches klar. Mit den Wäldern hatten
diese Waldameisen sich in die Berge zurückgezogen. Ich habe nie einen
Vertreter einer +Formica+-Art im Flachlande Mazedoniens gefunden. Eine
einfache Überlegung zeigt, daß hügelbauende Formen in dem trocknen,
heißen Tiefland Mazedoniens gar nicht existieren könnten; in der Hitze
des Sommers würde das ganze Material des Haufens in Kürze ausgetrocknet
und würde von den lokalen Winden nach allen Seiten zerstreut.

Nun fielen mir die feinen Beobachtungen wieder ein, welche _Forel_
an den Ameisenhaufen der schweizer Ameisen gemacht hat, und die
interessanten Erwägungen, die er an seine Beobachtungen anknüpfte.
Unsere mitteleuropäischen Ameisen brauchen ihre Haufen, darum kann man
auf jeder Wiese, an jedem Ackerrand die um Gras und Kräuter aufgebauten
Erdkuppeln und in jedem Wald die aus gemischtem Material errichteten
kleinen und großen Haufen finden. Sie alle stellen für die Ameisen
_Wärmesammler_ dar. In den Erdkuppeln sind es die Sonnenstrahlen,
welche den verschiedenen Kammern eine verschiedene Wärme zuführen. In
den Haufen der Waldameise wird eine ganz andere Wärmequelle ausgenützt;
es ist die _Gärungswärme_, welche in dem feuchten Pflanzenmaterial
dieser Haufen ähnlich wie in zu feucht eingetragenem Heu sich
entwickelt. Man weiß ja, daß durch Bakteriengärung im Heu gelegentlich
eine solche Hitze hervorgerufen wird, daß Selbstentzündung dadurch
bewirkt wird. Ähnliche Gärungserscheinungen erzeugen im Ameisenhaufen
Temperaturen, welche oft bis zu 10° C über der Lufttemperatur in der
Umgebung erreichen. Ich habe mich selbst durch Messungen von dieser
Temperaturerhöhung überzeugt. Diese im Haufen entstehenden, in dessen
verschiedenen Zonen verschiedenen Temperaturen, zugleich mit der
verschiedenen Feuchtigkeit seiner Schichten nützen die Ameisen bei
der Pflege ihrer Entwicklungsstadien aus. Sie heben die Eier in den
feuchtesten Regionen, die Larven in den mittleren, die Puppen in den
heißesten und trockensten Räumen ihres Haufens auf. Und je nach der
Entwicklungsstufe werden die Stadien in die geeigneten Räume gebracht.

Es leuchtete mir ein, daß solche Wärmesammler in dem heißen Klima
Mazedoniens unnötig waren und bei der Trockenheit des Sommers gar
nicht bestehen konnten; und so war es wohl zu verstehen, daß sie
in Mazedonien nur in den regenreicheren Gebirgszonen mit milderem
Sommerklima vorkamen.

[Illustration: Abb. 79. Nestausgänge, Abfallhaufen und Straßenbau bei
+Messor barbarus meridionalis+ E. André. Kaluckova August 1917.]

So war es denn eine große Überraschung für mich, als ich im Sommer
1917 in dem mir so gut bekannten Gelände der Umgebung von _Kaluckova_
Haufen von Pflanzenteilen bemerkte, welche insofern an Ameisenhaufen
erinnerten, als viele Ameisen sich daran zu schaffen machten. Ich
erkannte sofort in diesen die in der Gegend häufigsten Ameisen, die
+Messor+-Arten. Eine Untersuchung der Haufen zeigte mir, daß es sich
nicht um bewohnte Bauten der Ameisen handelte. Sie bestanden aus
allerhand locker angehäuften Pflanzenteilen und ich konnte sehen, daß
die Ameisen noch an der Vergrößerung der Haufen arbeiteten. Es war
eine stark belebte Straße, welche zu dem Haufen führte, und sie kam
direkt vom Ausgang eines Nestes her. Wie oft hatte ich in den letzten
Wochen gerade diese Ameisen beobachtet, welche in Zügen von vielen
Tausenden auf ihren wohlgebahnten Straßen emsig hin und her liefen.
Diese Züge bestanden aus ganz verschieden großen Tieren, offenbar
verschiedenen Formen der gleichen Art. Die einen davon waren auffallend
groß und hatten als auffallendstes Merkmal dicke Köpfe mit mächtigen
Kiefern. Die kleinsten waren kaum ein Drittel so groß wie sie, hatten
viel kleinere Mundgliedmaßen. Und zwischen ihnen liefen Individuen,
die in Größe und Gestalt alle Übergangsformen zwischen diesen Extremen
darstellten. Wie schon längst bekannt ist, sind die +Messor+-Arten
Ameisen mit unvollständigem Dimorphismus. Die _Dickköpfe_ sehen aus wie
die Soldaten, welche bei den Ameisenarten mit vollkommenem Dimorphismus
als besondere Formen vorkommen. Hier auf den Straßen sah man sie sich
aber genau wie gewöhnliche Arbeiter benehmen. Sie trugen und schleppten
Pflanzenteile aus dem Nestloch auf den Haufen und dabei wurden sie von
ihren Kameraden aller Größen mit demselben Eifer unterstützt. Wie in
Größe und Gestalt keine scharfen Gegensätze sich zeigten, so waren auch
Funktionen und Leistungen bei allen Individuen annähernd die gleichen.

[Illustration: Abb. 80. Besonders großer Abfallhaufen bei +Messor
barbarus meridionalis+ E. André. Kaluckova 26. Aug. 1917.]

Mit Freuden sah ich, daß ich _Körnerameisen_ vor mir hatte, eine
Art jener Körnersammler, die schon seit dem Altertum die Phantasie
der Völker beschäftigt haben. Ich beschloß sofort diesen Tieren
besondere Aufmerksamkeit zu schenken und ihre Lebensweise möglichst
genau zu untersuchen auf die Gefahr hin, daß ich nur längst bekannte
Beobachtungen bestätigen könnte. Im Verlauf meiner Forschungen konnte
ich auch manche Dinge feststellen, die noch unbekannt waren.

Während der Jahre 1917 und 18 habe ich ihr Leben während aller
Jahreszeiten verfolgt. Im Winter allerdings waren sie verschwunden und
hielten ihren _Winterschlaf_ unter der Erde. Ich konnte feststellen,
daß der Boden in den Tiefen, in denen sie lebten, gefroren war; die
ganzen Ameisenvölker befanden sich in den kalten Wintermonaten Dezember
und Januar in einem Zustand der _Winterstarre_. Diese hielt durchaus
nicht den ganzen Winter hindurch gleichmäßig an, sondern sowie wärmeres
Wetter eintrat, sobald die Sonne heiß auf die von ihnen bewohnten
Hänge schien, wagten die Ameisen sich heraus. Aber es war Zufall,
wenn man sie dann bemerkte; denn während des Winters sah man keine
Spur von ihren Bauten, Wind und Regen hatten die Eingänge der Nester
zugeschwemmt. Auf der Spitalwiese in _Üsküb_, unter deren Boden sich
eine Menge von Nester befanden, war im Winter keine Spur von diesen zu
bemerken. Die ganze Oberfläche bestand je nach der Witterung aus Staub
oder Schlamm. Mehrere Wochen lang war die Wiese sogar mit einer hohen
Schneeschicht bedeckt.

Aber schon Anfang Februar konnte ich beobachten, daß an einem sonnigen
Hügel bei _Üsküb_ an einigen Stellen die Körnerameisen den Eingang
ihres Nestes wieder geöffnet hatten. In diesem in Mazedonien meist
noch sehr winterlichen Monat trugen sie bereits Schutt aus ihrem Nest
heraus, häuften ihn um den Ausgang an, glätteten diesen und begannen
ihre Ausflüge in die nächste Umgebung. Da setzte ein gewaltiger
Wetterrückschlag ein, die Ameisen wurden in ihre Bauten zurückgetrieben
und ruhten noch einmal fast 2 Monate unter 20 cm tiefem Schnee. Anfang
April kam endlich ihr Leben von neuem in Gang. Das galt im Jahre
1918 für das nördliche Mazedonien. Im Süden, also bei _Dedeli_ und
_Gewgeli_, waren sie schon einige Wochen früher munter.

[Illustration: Abb. 81. Geflügelte Königin mit verschiedenen
Arbeiterformen im Fieldenest (+Messor barbarus meridionalis+ E. André).]

Gerade grünte das Gras wieder auf der Spitalwiese, die Krokusblüten
waren schon beim Welken, da kamen die ersten Arbeiter der Körnerameisen
aus dem Boden. Durch feine Spalten wühlten sie sich empor und begannen
sofort ihren Körper zu putzen. Vorsichtig und langsam liefen sie in der
Nähe des Nestausgangs umher, schlüpften aber bald wieder in die Tiefe.
Nach kurzer Zeit war aber schon viel Bewegung um den Nestausgang.
Dieser hatte schon etwa 1 cm Durchmesser und man konnte von ihm aus in
den Gang hineinsehen, welcher fast senkrecht aus der Tiefe emporführte.
An seinen Wänden stiegen nun Mengen von Ameisen empor und jede von
ihnen trug Erdkrümchen und kleine Steinchen zwischen ihren Kiefern.
Kaum waren sie oben, als sie mit einem eigentümlichen Nicken ihre Last
abwarfen, sofort Kehrt machten, um wieder in die Tiefe zu steigen und
bald mit neuer Last zurückzukehren. Dadurch entstand sehr bald um den
Ausgang des Nestes ein _Ringwall_ aus diesem Bauschutt, den die Tiere
aus ihrem Nest ausräumten. Offenbar hatten sie angefangen die Gänge und
Kammern zu reparieren und vielleicht auch schon Neubauten auszuführen.
Es war ein ganz eigenartiger Anblick, wie auf der ganzen Wiese und
im Lande ringsumher auf allen Hügeln diese Ringwälle zu Hunderten
und Tausenden auftraten. Es waren trockene Tage und die Erde an der
Oberfläche schon hart und staubig. Unten mußte sie aber noch feucht
sein, und so hoben sich denn alle diese Ringwälle mit lebhafter Farbe
von der Bodenoberfläche ab; bald waren sie rot, bald leuchtend gelb,
bald schwarz oder braun, je nach dem Charakter des Untergrunds. Ich
habe schon oben erwähnt, daß nicht nur die +Messor+-Arten, sondern auch
verschiedene andere mazedonische Ameisen solche _Kraternester_ bauen.

Je nach dem Feuchtigkeitsgrad und der Gesteinszusammensetzung waren die
Ringwälle flacher und niedriger oder steiler und höher. Bei _Dedeli_
sah ich im Mai 1918 Wälle, die mit steilen Wänden eine Höhe von 3-4 cm
erreichten und dabei einen ganz kleinen Kreis umschlossen.

Bei trockenem und windigem Wetter wurden sie oft schon nach kurzer Zeit
weggeblasen, bei Regen weggeschwemmt, wobei nicht selten der Eingang
des Nestes verstopft wurde und den Ameisen neue Arbeit erwuchs. Selten
buken die Erdteilchen fester zusammen, so daß geradezu Mäuerchen
entstanden, welche dann etwas dauerhafter waren. Das war besonders bei
lehmigem Untergrund der Fall. Trotzdem glaube ich nicht, daß mit diesen
Ringwällen ständige Bauten beabsichtigt sind, die einen besonderen
Zweck verfolgen. Das wurde von einem Beobachter (_Diehl_) vermutet,
als er sah, daß bei Nestern von +Messor arenarius+ halbkreisförmige
Wälle die Regel waren, welche mit ihrer geschlossenen Seite nach der
häufigsten Windrichtung gerichtet waren. Solche einseitigen Wälle habe
ich auch an manchen Stellen beobachtet; es war dies aber nur dann der
Fall, wenn der Gang zur Öffnung des Nestes aus dem Boden schief an
die Oberfläche stieg. Dann entstanden besonders am Abhang von Hügeln
einseitige Teilwälle, welche wie die Schutthalden eines Bergwerkes
aussahen.

Erinnern wir uns an die Art, wie die am Ringwall bauenden Ameisen ihre
Sandkörner oder Erdklümpchen jedesmal gerade an der Stelle abwerfen,
vor der sie aufrecht aus dem Nestloch hervortreten, so verstehen wir,
daß sie, am Boden des schiefen Aufgangs laufend, die Körner stets nach
einer Seite abwerfen mußten. In den senkrechten Gängen dagegen hatten
sie beim Klettern alle Seiten des Ganges zur Verfügung, alle waren für
sie gleich steil und gleich mühsam zu ersteigen; und so warfen sie eben
ihre Last nach allen Richtungen ab. So werden wohl in dem einen Fall
die vollen Kreise, im anderen Fall die Halbkreise entstehen. Später
habe ich in dem Buche von _Passarge_ über die Kalahariwüste gelesen,
daß dieser Forscher in diesem ähnlichen Klima eine entsprechende
Bautätigkeit bei den dort lebenden Ameisen beobachtete und zu derselben
Annahme über die Entstehung der verschiedenen Wälle kam. Noch dazu
erhielt ich eine unerwartete Bestätigung durch meinen Assistenten Dr.
_Koehler_, als er aus ägyptischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte.
Er und seine Kameraden hatten dort oft genug Gelegenheit, durch den
Stacheldraht ihres Gefangenenlagers die Ameisen zu beobachten, wie
sie vorn am Nestloch ihr Klümpchen zusammengeklebten Sandes von sich
warfen, wenn sie im Nestgang schief aufsteigend etwa in der Mitte des
Lochs herauskamen. Oft bogen sie schief zur Seite und warfen ihre Last
seitlich ab, so daß auf diese Weise der halbmondförmige Wall entstand.

Wenn die Ringwälle im Frühjahr in _Mazedonien_ in so großen Mengen
auftreten und so rasch wachsen, dann herrscht in den Nestern regste
Bautätigkeit. Es werden Kammern gebaut, Verbindungsgänge angelegt und
alles für die große Fortpflanzungszeit im Sommer vorbereitet.

[Illustration: Abb. 82. Geschlechtstiere von +Messor barbarus structor+
Latr. oben ♀, unten ♂. (Verg. 3 mal.)]

Anfang April 1918 erlebte ich den _Hochzeitstag_ der +Messor+-Völker
in Nordmazedonien. Da gab es viel Leben um die Ringwälle herum; in
allen Nestern herrschte große Erregung. An einem Tage (am 10. April)
frühmorgens sah ich aus zahlreichen Kratern in der Nähe meines
Quartiers in _Üsküb_ geflügelte Ameisen hervorkommen, und zwar waren
es gleichzeitig die mächtigen dickleibigen Weibchen und die viel
kleineren, schlankeren Männchen. Im hellen Sonnenschein des frühen
Morgens begann der _Hochzeitsflug_, welcher die Tiere nicht sehr weit
führte. Bei diesen Arten gibt es keine weite Hochzeitsreise auf einen
Berggipfel oder zu sonst einem hochragenden Gegenstand, wie sie bei
vielen unserer Ameisen die Regel ist. Hier findet die Begattung ganz
in der Nähe des Nestes statt. Die Geschlechtstiere finden und begatten
sich in der Luft. So sinken sie denn bald nicht weit von ihrem Nest
wieder zum Boden nieder. Da sah man in den nächsten Stunden viele der
Männchen sterbend am Boden liegen; denn nach dem Begattungsakt ist ihr
kurzes Leben in Freiheit, Licht und Sonne beendet.

Die Weibchen dagegen verlieren am Boden, manchmal sogar noch während
des Niederschwebens ihre Flügel; man sieht sie am Boden oft schon
flügellos anlangen oder dort mit einem oder gar noch beiden Flügeln
herumlaufen, um sie dann bald zu verlieren.

Nun ist die Königin befruchtet und bereit, einen neuen Staat zu
gründen. Nach meinen Beobachtungen ist es möglich, daß befruchtete
Königinnen bei den Körnerameisen wieder zu ihrem eigenen Volk
zurückkehren oder bei einem fremden Volk aufgenommen werden. Ich
sah wenigstens am Hochzeitstage selbst flügellose Königinnen in
Nesteingänge eindringen, ohne daß die Insassen sie abwehrten oder
irgendwie feindlich behandelten.

[Illustration: Abb. 83. Kleines Nest mit Erstlingskammer von +Messor
barbarus meridionalis+.]

Meine Beobachtungen, die ich an Königinnen in künstlichen Nestern
machte, lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß bei den Körnerameisen
etwas Derartiges möglich ist. Ich erzielte bei keiner isolierten
Königin eine selbständige Staatengründung, wohl aber nahm diese
einen hoffnungsvollen Anfang, wenn ich eine Königin mit mehreren
Arbeitern eines fremden Volkes zusammen einsperrte. Vereinigte ich
mehrere Königinnen ohne Arbeiterhilfe, so nahm die Fortpflanzung
keinen regelrechten Fortgang und es kam nicht zu einer rechtzeitigen
Entwicklung hilfreicher Arbeiter, um die Entstehung des Staates zu
sichern. Dieser Mißerfolg dürfte aber nach späteren Erfahrungen an
deutschen Ameisenarten darauf zurückzuführen sein, daß ich zu große
Nester anwandte. Die Vorräte an Reservesubstanzen im Körper der
+Messor+-Königinnen lassen doch annehmen, daß auch diese fähig sind,
allein einen neuen Staat zu gründen.

Ist das große Hochzeitsfest vorbei, so findet man in den Bauten der
Körnerameisen nur mehr befruchtete Weibchen und alle verschiedenen
Formen von Arbeitern. Männchen und geflügelte Weibchen sind dann nicht
mehr da und fehlen bis zum Ende des Sommers, wo sie wenigstens als
Puppen wieder auftreten.

[Illustration: Abb. 84. Nest von kleinem Volk von +Messor barbarus
meridionalis+.]

Vom April an beginnt die Zeit intensiver Vermehrung im Bau der
Körnerameisen. Eifrig wird für die Versorgung der hungrigen Larven
vorgesorgt, die im Neste entstehen sollen. Schon in den ersten Tagen
nach der Öffnung des Nestes haben die Arbeiter begonnen von ihren
Ausflügen allerhand mitzubringen; und zwar waren das stets entweder
getötete Insekten und andere Tiere, oder es waren Pflanzenteile. Die
Körnerameisen sind äußerst räuberische Tiere; sie lieben Fleischkost
sehr und wenn sie ein Tier überwältigen können, so benützen sie es als
bevorzugte Nahrung. Im Frühling in Mazedonien fehlt es ihnen nicht an
Beute; bis in den Sommer hinein gibt es genug Insekten von einer Größe
und von Körperkräften, welche sie überwinden können. So finden sie denn
für sich selbst den Tisch reichlich gedeckt.

[Illustration: Abb. 85. Plan eines großen Baues von +Messor barbarus
meridionalis+.]

Trotzdem sieht man sie schon in den ersten Frühlingstagen ihrem
eigentümlichen _Sammelinstinkt_ folgen. Sie schleppen allerhand Dinge
in ihren Bau hinein. Es war höchst erstaunlich zu beobachten, wie sie
an frisch aufgeblühten Graspflänzchen am Halm hinaufkletterten und
oben Blüten und unreife Samen abpflückten und geschäftig zum Neste
schleppten. Auch Teile der Grasblätter und Grashalme, die sie vorher
zerschnitten hatten, trugen sie zum Nest. Ja hier und da sah man
einen Arbeiter sich mit einem halbverfaulten vorjährigen Samen oder
irgendeinem anderen unbrauchbaren Gegenstand sich abquälen.

[Illustration: Abb. 86. Schema eines Nestes von +Messor barbarus
meridionalis+ mit mehreren senkrechten Ausgangsröhren und großen
Vorratskammern.]

[Illustration: Abb. 87. Freie Stelle am Nestausgang. Darunter
Abfallhaufen. Nest von +Messor barbarus meridionalis+ E. André.
Kaluckova 26. Aug. 1917.]

Allmählich, wie das Frühjahr fortschritt, verblühten immer mehr
einjährige Pflanzen und trugen Samen. Nun ging die große Erntezeit
für die Ameisen los. In der ganzen Umgebung des Nestes wurden
wohlgebahnte Straßen angelegt, in ihnen waren die Pflanzen ausgerodet
und um alle Hindernisse gingen sie im Bogen herum. Bei dem Straßenbau
waren Arbeiter aller Größen beteiligt. Immerhin waren es vor allem
die Mittelgroßen, welche bei dieser Arbeit vorherrschten. Auf den
Straßen entfaltete sich nun bald ein lebhaftes Treiben. In großen
Zügen wanderten die Ameisen vom frühen Morgen an in die Umgebung
hinaus und bald schon begegneten ihnen schwer beladene Nestgenossen,
welche Beute eintrugen. An alle Pflanzen der Umgebung machten sie sich
heran, pflückten die Samen, die Schoten, die Ähren und Blütenstände
ab und warfen sie auf die Erde herunter. Und unten warteten schon
andere +Messor+-Arbeiter aller Größen, zerschnitten die Pflanzenteile,
beluden sich mit ihnen und wanderten zum Nest zurück. Oft sah man einen
kleinen Arbeiter sich mit einer ganzen Grasähre abschleppen, andere
trugen Schoten, Kapseln, Doldenteile und die verschiedensten Sorten
von Früchten. Je heißer der Tag wurde, desto schneller und eifriger
ging die Arbeit vor sich und im Frühsommer sah man sie in den heißen
Mittagsstunden die Straßen entlang geradezu hasten. Hier und da
schleppten Gruppen von Ameisen einen langen Grashalm; dabei wie bei dem
ganzen Erntegeschäft waren Tiere aller Größenordnungen beteiligt. Schon
frühere Beobachter haben festgestellt, daß die Körnerameisen die Samen
aller in der Umgebung wachsenden Pflanzen eintragen, und daß man nicht
selten 30-40 Arten von Pflanzensamen im Neste nachweisen kann.

[Illustration: Abb. 88. Ringförmiger Abfallhaufen um den Nestausgang
eines Nestes von +Messor barbarus meridionalis+ E. André. Kaluckova 26.
Aug. 1917.]

Hat man am frühen Morgen zu beobachten angefangen, so sieht man nach
einiger Zeit das Bild sich ändern. Nun sind auch die aus dem Nest
kommenden Ameisen schwer beladen, aber sie haben keinen so weiten
Weg als die mit der Ernte einziehenden. Sie legen ihre Last in der
Entfernung von 50 cm bis höchstens einem Meter vom Nesteingang ab. Und
ebenso schnell wie beim Bauen der Ringwälle kehren sie um, nachdem sie,
was sie trugen, schnell abgeworfen haben und rennen zum Nest zurück,
um neue Last zu holen. Was sie hinausschleppen, das ist _Abfall_; die
leeren Schalen, Schoten, Kapseln der vorher eingetragenen Samen, es
sind die Grannen und Spelzen von den Grasähren, dazu kommt allerhand
Unnützes, was sie mitgenommen hatten. Denn es kommt häufig vor, daß die
Körnerameisen im Eifer alle möglichen Dinge in ihr Nest tragen, die
sie dort nicht brauchen können. So hat man in anderen Ländern gesehen,
daß sie Beine und Flügel von Käfern, Schneckenschalen, Kuhmist in
die Nester schleppen; und ich habe ja oben schon beschrieben, daß
sie im Frühjahr auch unreife Samen, selbst Blütenteile, Blattstücke
u. dgl. eintragen. Es sind das wohl psychologisch sehr interessante
Schwankungen und Irrungen des Sammelinstinkts.

Die Sortierung des Unnützen von dem Wichtigen findet erst im Nest
statt; was unbrauchbar und irrtümlich eingetragen war, wird in den
Kammern aussortiert und aus dem Nest wieder beseitigt.

Nun wußte ich also, was die vermeintlichen _Ameisenhaufen_ waren, die
mich ursprünglich so überrascht hatten. Es waren die _Abfallhaufen_
der Körnerameisen; diese erreichten oft eine Höhe von 30, 50 selbst
80 cm Höhe, sie waren ein Zeichen der Arbeitsleistung, die von den
Insassen eines Nestes vollbracht worden war. Die Pflanzenteile
trocknen auf den Abfallhaufen sehr bald aus, und werden dann wie
feingeschnittes Heu leicht vom Wind fortgeblasen. Die Haufen sind kein
wesentlicher Bestandteil der Bautätigkeit der Ameisen, sie entstehen
und vergehen, ohne daß die Ameisen sich weiter um sie kümmern. Diese
laufen ja nur auf der Oberfläche herum und kaum jemals dringt eine
von ihnen freiwillig in das Innere des Haufens ein. Meistens liegen
die Abfallmassen in der Nähe des Nestes; liegt dieses am Abhang, dann
befinden sie sich abwärts von ihm. Während der eifrigsten Arbeitszeit
entsteht auch manchmal ein _Ringwall_ aus den Abfallmassen, ähnlich
wie bei den Erdbauten, auch da kommt es vor, daß ein solcher Wall
halbmondförmig ausfällt, wenn das Nest am Abhang liegt und die Tiere
unmittelbar neben dem Loch den Abfall abwerfen. Dann müssen sie
allerdings später wieder aufräumen, um ihre Straßen frei zu bekommen.

Um festzustellen, was die Ameisen im Nest mit dem Resultat ihrer
Sammeltätigkeit anfingen, mußte ein Nest aufgegraben werden. Das
geschah unter meiner Aufsicht viele Male zu den verschiedenen
Jahreszeiten, um die verschiedenen Geschehnisse im Nest verfolgen zu
können. Es war keine einfache Arbeit, besonders im Sommer, in die
ausgetrocknete harte mazedonische Erde einzudringen. Mit Hacke und
Schaufel hatte man zu arbeiten, obwohl die Nester nicht sehr tief im
Boden lagen, 1-1½ m erstreckten sich die Gänge und Kammern in die
Tiefe. Von der Ausgangsöffnung ging ein ungefähr 2 cm weiter Gang etwa
30 cm fast senkrecht hinunter. Seine Wände waren schön geglättet; er
hatte einen meist kreisförmigen Querschnitt, von ihm gingen kleinere
Seitengänge ab. Diese führten in gewölbte Kammern, die vielfach einen
auffallend ebenen, glatten Boden hatten. Je nach der Jahreszeit
und je nach dem Volksreichtum des Nestes waren mehr oder weniger
Kammern aufzudecken. Bei jungen Völkern war es oft nur eine einzige
oder 4-5, bei starken Völkern fand ich 30-40 Kammern. Die Härte und
Undurchdringlichkeit der Erde für Wasser ermöglicht es den Tieren ohne
Gefahr der Überflutung ihre Nester so oberflächlich anzulegen. Nach
tagelangem Regen fand ich das Wasser oft kaum 3 cm tief in den Boden
eingedrungen.

[Illustration: Abb. 89. Vorratskammern und Gänge im Nest von +Messor
barbarus meridionalis+ E. André. Kaluckova August 1917.]

In Nestern, welche ich im Hochsommer aufgrub, fand ich die obersten
Kammern alle vollgestopft mit frisch eingebrachtem Rohmaterial.
Es waren dies Ähren, Schoten, Samenkapseln, Doldenstücke vieler
Pflanzenarten. Hier hatte ich also das Stockwerk der _Scheunen_
erreicht, in denen zunächst alles abgelagert wurde, was draußen
eingesammelt worden war. Während noch eifrig hereingeschleppt wurde,
war eine ganze Schar von Ameisen beim Putzen des Getreides tätig. Hier
wurde also sozusagen _gedroschen_. Es war ein entzückender Anblick, den
Tieren zuzusehen, wie sie die Körner aus den Ähren herausnahmen, wie
sie die Schalen abschälten, die Kapseln öffneten und die sauberen Samen
aus den Schoten herausholten. Diese Arbeit wurde mit ihren Kiefern
ausgeführt. Mit diesen zerknackten sie die Schalen, bogen und brachen
Teile ab, griffen die Samen und legten sie zur Seite.

[Illustration: Abb. 90. Nestkammern von +Messor barbarus meridionalis+
E. André. Kaluckova August 1917.]

In den Scheunen waren wieder Arbeiter aller Größen tätig. Allerdings
überwogen etwas die kleinen und kleinsten Typen; letztere waren es
vor allem, welche die sauber geputzten Körner aus den Scheunen in die
tiefer gelegenen _Getreidespeicher_ schleppten. Unterdessen war ein
Menge anderer Arbeiter schon dabei, die Abfallstücke durch die Gänge
aufwärts, aus dem Nest heraus und auf den Abfallhaufen zu schaffen.

Dabei war es nun sehr merkwürdig, daß hier im Innern des Nestes
zwischen Nützlichem und Unnützen sehr gut unterschieden wurde. Unreife
Samen, Blumenblätter, Schneckenschalen, Stücke von Insektenkörpern
wurden ausgesondert und auf den Abfallhaufen getragen. Hier fand also
eine viel feinere Unterscheidung statt, als draußen unter dem Einfluß
des Sammelinstinkts.

Hatten die Ameisen in der Nähe ein geeignetes Erntefeld mit
einheitlichem Wachstum gefunden, so fanden sich oft in den Kammern
sauber aussortiert die Samen nur einer Pflanze. So entdeckte ich z.
B. einmal Wickensamen, ein andermal Grassamen in fast allen Kammern
eines Nestes als einziges Ernteresultat. Und vor allem konnten andere
Beobachter eine solche Einheitlichkeit der Vorräte feststellen, wenn
das Ameisennest in der Nähe eines Getreidefeldes sich befand. Dann
waren oft große Massen von Weizen-, Gerste- oder Roggenkörnern schön
reinlich in den Kammern aufgeschichtet.

[Illustration: Abb. 91. Zukleben des Glasdeckels eines Fieldenestes mit
Drüsensekretstreifen.]

Diese eigentümlichen Gewohnheiten der Körnerameisen kannten schon
die Völker, welche im Altertum um das Mittelmeer herum wohnten.
Nicht nur spricht _Salomo_ in seinen Psalmen von den Ameisen, welche
in die Scheunen sammeln, sondern es gibt sogar jüdische Gesetze,
welche bestimmten, wer der rechtmäßige Eigentümer der von den Ameisen
gesammelten Getreidevorräte ist.

[Illustration: Abb. 92. Verschiedene Arbeiterformen von +Messor
barbarus+ E. André im Fieldenest.]

In vielen Fällen konnte ich mich überzeugen, daß die Körner in den
Vorratskammern ganz trocken lagen, und daß sie trotz monatelangen
Liegens nicht zum Keimen gekommen waren. Es war auffallend, daß die
Kammern, in denen die Körner lagen, mit einer eigentümlichen hellgrauen
Masse gleichsam auszementiert waren. Später konnte ich in künstlichen
Nestern feststellen (Abb. 91), daß diese eine schwer benetzbare
wachsähnlich aussehende Substanz ist, welche wahrscheinlich aus den
Analdrüsen der Ameisen stammt. Sie schmierten diese auf die Glasdeckel
der künstlichen Nester, in welchen ich sie hielt, offenbar dabei einem
besonderen Instinkt folgend. Diese Abdichtung der Kammerwände spielt
wohl eine nicht unwesentliche Rolle bei der Verhütung der Keimung der
Samen. Im Lauf des Sommers nahmen die Vorräte in den +Messor+-Nestern
immer mehr zu. Von Woche zu Woche füllten sich die Kammern mit sauber
geputzten Körnern und allmählich wurden die Scheunen leerer und rückten
immer mehr zu Speichern auf. Aber noch lange in den Herbst hinein wurde
noch gesammelt; immerhin hatte der Eifer der Sammler in dieser Zeit
etwas nachgelassen. Am stärksten war die Sammeltätigkeit im Frühsommer,
als die meisten Samen reiften. Interessant war die Beobachtung, daß
während der größten Hitze, im Juli und August, die Körnerameisen die
gleiche Mittagspause machten wie alle Tiere und Menschen im Lande.
In den heißesten Stunden des Tages waren ihre Straßen leer. Dafür
arbeiteten sie wie die mazedonischen Bauern vom frühesten Morgen bis
tief in den Abend hinein, ja in hellen Mondnächten oft bis gegen den
frühen Morgen.

Wir haben oben festgestellt, daß der Hochzeitsflug der Körnerameisen
im April stattfindet. Es muß wohl auch die Zeit sein, in welcher die
alten Königinnen eifrig beim Eierlegen sind. Denn im Juli finden sich
in den +Messor+-Nestern in großen Mengen Larven aller Stadien und auch
schon Puppen. Später im Sommer findet man auch die großen Puppen der
Geschlechtsformen.

[Illustration: Abb. 93. Drei Königinnen mit Arbeitern im Fieldenest.
+Messor barbarus meridionalis+ E. André. Mittlerer Arbeiter füttert
Königin. Üsküb Zitadellenberg. Phot. 12. April 1918.]

In der zweiten Hälfte des Sommers wurden die Nester immer volkreicher.
Dann wimmelt es in Mazedonien geradezu von den Körnerameisen. Offenbar
muß in dieser Zeit für die Larven und das vermehrte Volk im Neste Platz
geschaffen werden, denn nicht selten sieht man dann frische Ringwälle
um die Nestausgänge sich bilden. Zu dieser Zeit sind im Innern neue
Kammern gebaut worden. Die Larven und Eier finden sich in der Regel in
den untersten Kammern, hier und da bemerkte ich in solchen auch geringe
Spuren von Bodenfeuchtigkeit.

Die Zeit, in welcher viele Larven gefüttert werden müssen, ist offenbar
diejenige, in welcher die Samenvorräte zur Verwendung kommen. Wir
haben ja oben gesehen, daß die +Messor+-Arbeiter selbst gern und viel
Insekten fressen. Die +Messor+-Arten sind nahe verwandt mit Ameisen,
welche sich fast ausschließlich von Insekten ernähren. Aber offenbar
reicht mit dem fortschreitenden Sommer und der zunehmenden Zahl der
Erwachsenen und Jugendstadien im Nest die Menge der Insekten in der
Umgebung nicht aus; und so ist jetzt die Zeit, wo, vor allem für die
Larvenernährung, auf die Samenvorräte zurückgegriffen wird. Manche
Samen können die Ameisen wohl ohne weiteres benagen und nach den
Untersuchungen von _Emery_ ist festgesellt, daß sie im Samen den
eiweißreichsten Teil, nämlich den Embryo, bevorzugen. Offenbar reichen
sie solche Bestandteile der Samen in zerbissenem Zustand mit Speichel
vermischt auch ihren Larven als Nahrung.

Aber noch mehr leisten sie, um die Samen richtig verwerten zu können.
Wenn im Sommer Regengüsse fallen, dann sieht man die Körnerameisen
eine sehr merkwürdige Tätigkeit ausführen. Jetzt schleppen sie von
ihren Körnervorräten aus dem Nest heraus und legen die Körner in den
Regen. Ich habe dies in Mazedonien vielfach beobachten können. In den
warmen Stunden nach dem Regen keimen die Samen sehr bald und werden
wieder in das Nest hineingetragen. Das kleine Stückchen, welches
herausgekeimt ist, stellt offenbar eine weiche, gut, besonders für
die Larven verwertbare Nahrung dar. Sind Keime zu weit entwickelt, so
werden sie entweder von vornherein draußen gelassen, oder wenn sie ins
Nest getragen worden sind, drinnen als ungeeignet aussortiert und auf
den Abfallhaufen geschafft, wo sie bald vertrocknen. So benützen die
mazedonischen Körnerameisen ihre Vorräte zu der Zeit, wo sie sie am
nötigsten brauchen. Es sind nicht etwa Wintervorräte bei ihnen, sondern
im wesentlichen Reserven für die dürrste und insektenärmste Zeit des
Jahres. Anders verhält es sich bei den Körnerameisen in Südfrankreich,
die offenbar für den dort milden Winter sammeln und für die Formen der
Wüste Nordafrikas, deren knappste Zeit offenbar der heiße, trockene
Wüstensommer ist.

Der italienische Forscher _Emery_ hat gezeigt, daß die Körnerameisen
sogar Makkaroni gern fressen und als Futter für ihre Larven verwenden.
So sind sie denn tatsächlich in einem gewissen Teil des Jahres
Vegetarianer und finden in den Samen eine für ihre Ernährung wichtige
Kohlehydratquelle. Auch ich konnte in Mazedonien bestätigen, daß die
+Messor+-Arten niemals Blattläuse aufsuchten oder in ihre Nester
schleppten. Diese Zuckerquelle, welche sonst bei Ameisen so beliebt
ist, benützten in nächster Nachbarschaft der +Messor+-Nester andere
Ameisenarten auch in Mazedonien in ausgiebiger Weise. Jene aber rührten
die Blattläuse nicht an.

Sowohl in Mazedonien als auch in der Heimat hielt ich _Körnerameisen_
in künstlichen sog. Fieldenestern und konnte an ihnen eine ganze
Reihe interessanter Beobachtungen machen, welche zum Teil die
Feststellungen im Freien bestätigten, zum Teil neues lehrten. Wie
merkwürdig und eigenartig sind doch die Instinkte dieser Tiere
ausgebildet. Wie energisch äußert sich bei ihnen der Sammeltrieb
und führt sie zur Anlage von Scheunen und Getreidekammern. Aber wie
merkwürdig schwankend zeigt sich dieser Instinkt im Freien bei der
Unterscheidung des Nützlichen und Nutzlosen. Wie sicher ist er dagegen
bei der Aussortierung der gesammelten Vorräte, wenn diese im Nest sich
befinden. Was mögen da für Gesetzmäßigkeiten vorliegen, wie mag die
ganze eigenartige Biologie dieser Formen zu erklären sein? Sie bieten
sicher noch interessante Probleme, die manchen Forscher locken dürften.

Das gleiche gilt auch für die gelben Ameisen der Art +Pheidole
pallidula+ Nyl., die ich vor allem im südlichen Wardartal und im Gebiet
des Doiransees fand. Das ist jene oben erwähnte einzige europäische
Ameisenart mit echten Soldaten. Auch diese habe ich viel im Freien
beobachtet und in künstlichen Nestern gehalten.

Dabei zeigte sich, daß bei ihnen die Soldaten viel einseitiger in ihren
körperlichen Leistungen und in ihren Fähigkeiten sind als die Dickköpfe
der +Messor+-Arten.

[Illustration: Abb. 94. Soldat von +Pheidole pallidula+ von Arbeiter
gefüttert.]

Die +Pheidole+-Soldaten sind viel unbeholfener bei der eigenen
Ernährung als ihre Arbeiter, von denen sie sich oft füttern lassen.
Sie nehmen auch kaum an den Bauarbeiten im Staat und an dem Eintragen
der Nahrung teil. Ein Volk, welches nur aus Soldaten besteht, deren
Arbeiter verloren gegangen sind, stirbt bald aus; denn erstere
beteiligen sich nicht an der Pflege der Königin und an der Aufzucht der
Larven. Allerdings bei der Verteidigung des Staats und seiner Insassen
zeigen sie sich besonders energisch.

Zu welchen interessanten Vergleichen mit dem Menschenleben fordern
diese eigenartigen sozialen Tiere heraus.



ZWÖLFTES KAPITEL

DIE SCHLUCHTEN DES BALKAN


Wie anders muß Mazedonien in den Zeiten vor der _griechischen_ Kultur
ausgesehen haben, als es heute sich darstellt. Es ist früher, soweit
wir unterrichtet sind, ein waldbedecktes Land gewesen mit ganz anderem
Klima. Auch die Oberflächengestaltung muß sehr abweichend gewesen sein,
als _thrakische_ Stämme das Land bewohnten. Die Berge hatten noch
kaum ihre zerrissenen Formen, die Nacktheit der Landschaft trat nicht
so schroff hervor, das Land muß viel weniger farbig gewesen sein und
vor allem die Menge von Schluchten muß gefehlt haben, welche jetzt so
charakteristisch für die Landschaft Mazedoniens sind.

Wie auch sonst in den Mittelmeerländern ist an der
Oberflächengestaltung des Landes, wie sie uns heute entgegentritt, vor
allem die Raubwirtschaft schuld, welche seine Bewohner mit dem Wald
getrieben haben. Waldwirtschaft und Waldschonung sind Errungenschaften
der neuesten Zeit. Zwar in Deutschland zeigen sich Ansätze dazu schon
seit dem Mittelalter; Ehrfurcht vor und Pflege von Bäumen war den
Germanen frühe Gewöhnung. Aber erst seit etwa zwei Jahrhunderten hat
sich Schritt für Schritt eine geordnete Forstwirtschaft auch bei
uns entwickelt. Daß gerade in Mazedonien mit dem Wald so barbarisch
gehaust wurde, so daß er jetzt in diesem Land nur noch da existiert,
wo die Menschen nicht an ihn heran können, ist zum Teil auch durch die
Geschichte dieses Teils von Europa bedingt.

Bei den ungeordneten Zuständen, welche seit Jahrhunderten auf dem
Balkan herrschten, dachte niemand daran, für die Zukunft vorzusorgen.
Die unterworfenen Völker hatten keine Veranlassung, Naturschätze für
die künftigen Generationen ihrer Beherrscher zu erhalten. Und die
Türken gar mit ihrem Fatalismus waren schwer zu weitausschauenden
Plänen zu haben. So kam in diesem Land, wo die durch den Ruin der
Wälder erzeugten Schäden jedem vor Augen standen, niemand darauf,
über die Zusammenhänge nachzudenken und an Maßregeln zur Abhilfe
heranzutreten.

Sicher fanden die Byzantiner schon ein sehr entwaldetes Gebiet vor,
und die Waldbestände, welche sie den Türken hinterließen, mögen in den
Niederungen auch nicht mehr beträchtlich gewesen sein. Nun begann sich
wohl der Raubbau auch auf die Gebirge auszudehnen und das Bild sich
auch im Innern der Balkanhalbinsel auszubreiten, welches wohl schon die
antiken Völker fast im ganzen Mittelmeergebiet hinterlassen hatten.

Nur wo das Klima mitwirkte, kam der Wald nicht wieder auf; im zentralen
Balkan, wurde er nie ganz vernichtet. Die geologischen Verhältnisse
mögen auch vielfach dazu beigetragen haben, seine Neuentstehung zu
erschweren. Und vor allem waren es die _weidenden Haustiere_, welche
durch Abfressen von jungen Baumindividuen, durch Benagen der frischen
Sprosse die Baumarten entweder ausrotteten oder, wenn sie einigermaßen
widerstandsfähig waren, zum _Zwergwuchs_ zwangen. Noch jetzt kann man
die verderbliche Wirkung der ungestört weidenden _Ziegen_ -- diese sind
es vor allem, welche als Waldfeinde in Frage kommen -- überall in den
Mittelmeerländern beobachten.

Heute findet man in Mazedonien nur mehr im Gebirge ausgedehntere
Laub- und Nadelwälder. Auf meinen Gebirgsreisen habe ich solche
kennen gelernt und in den entsprechenden Kapiteln geschildert. Die
Balkankriege und gar noch der Weltkrieg haben eine weitere empfindliche
Lücke in den Baumbestand des Balkan geschlagen. Bei Freund und Feind
war für Bauten zu militärischen Zwecken und zum Heizen im Winter ein
ganz enormer Verbrauch unvermeidlich, dessen Folgen einem überall
in traurigen Bildern entgegentraten. Noch 1917 hatte ich manche
Baumgruppen und riesenhafte Exemplare von Ulmen, Eichen, Kastanien,
Pappeln bewundert, die im nächsten Jahre schon verschwunden waren. Die
Truppen mußten ja doch kochen und heizen; Import von Holz konnte nicht
im nötigen Maßstab durchgeführt werden und die Kohlen waren noch viel
schwerer heranzubringen.

Schon im Jahre 1917 fiel mir auf, daß Wälder in Höhen unter
1200-1500 m selbst im Gebirge nur da erhalten waren, wo der Mensch
keine Zufahrtsstraßen hatte, um größere Massen von Holz an die
Verbrauchsstätten zu bringen. War auch nur ein Saumpfad vorhanden
und anlegbar, der für Maultiere gangbar war, so hatte sicher in
jedem kleinen Waldbestand mindestens der Köhler sein Zerstörungswerk
begonnen. Der rauchende Meiler zeigte an, wo und wie der Wald gemordet
wurde.

Auch hatte ich oft Gelegenheit, zu beobachten, daß keines der
Balkanvölker Talent und Neigung hat, den Wald zu pflegen und an die
Zukunft zu denken. Ich habe an anderen Stellen geschildert, wie die
gefällten Bäume ganz unvollkommen ausgenützt und rücksichtslos zerstört
wurden. Alle die einander hassenden Völker und Rassen kamen nie auf den
Gedanken, daß noch einer nach ihnen kommen könne, der etwas von dem
Wald haben wollte, und daß sie ihm das gönnen würden.

[Illustration: Abb. 95. Nordende der Plaguša Planina. Davor der
Grünberg.]

Sobald große Strecken entwaldet waren, konnten die Kräfte der _Erosion_
ihre Arbeit beginnen und anfangen, die Berge zu zerstören. Ein Weg zu
diesem Ende ist die Bildung von Schluchten. Wo der Waldboden nicht
zwischen den Wurzeln der Bäume festgehalten wird, da saugt er das
Wasser nicht fest und tief in sich hinein; wo nicht der Schatten der
Bäume den Boden vor den ausdörrenden Strahlen der Sonne bewahrt, können
keine dauerhaften Quellen sich ansammeln.

Überall in Mazedonien sehen wir heutzutage an jedem Berg, an jedem
Hügel die zerstörenden Kräfte der Atmosphäre tätig. Nach jedem starken
Regenguß entstehen neue Rinnsale an den Abhängen. Das Wasser, vom
harten, schon steinig gewordenen Boden nicht aufgesaugt, sammelt
sich an dessen Oberfläche schnell in Massen an, welche tosend zu
Tale stürzend, den Boden aufwühlen und die spärliche Erdkrume mit
sich reißen. So sieht man nach jedem Gewitterregen des Sommers,
nach den schweren Güssen des Herbstes in Mazedonien hunderte und
tausende von jugendlichen Schluchten sich bilden, deren weitere
Entwicklungsgeschichte man überall an früher entstandenen verfolgen
kann.

Je weiter das Wasser zu Tal fließt, um so mehr wird es, um so
gewaltiger wird seine Kraft. Viele kleine Rinnsale vereinigen sich zu
einem Wildbach, dieser schließlich zu einem Flüßchen, dessen Wasser
schon große Steine, ja Felsenmassen loslösen und auf seinem Weg zu
Tal reißen kann. Mächtige Halden bilden sich auf diese Weise an den
Abhängen der Berge.

Im Winter gefriert das in die Spalten eingedrungene Wasser und es
beginnt die Arbeit des Frostes und des Tauwetters. Die Regengüsse
des neuen Jahres finden neue Beute. Die herabgeschwemmten Felsblöcke
zerschlagen die Felsen, über welche sie rollen, und schleifen sie und
sich gegeneinander ab. So sind es immer kleinere Steine, die unten im
Tal anlangen, um so kleiner, je länger der Weg ist, den sie vom Berg
zurücklegen müssen, je größer die Gewalt des Wassers ist, das sie
mitriß.

[Illustration: Abb. 96. Schluchtende einer Felsenschlucht bei Negorci
mit geröllreichem Bach.]

Die Schlucht wird von Jahr zu Jahr tiefer; ihre Wände können
schließlich steil 100 m und höher hinansteigen und die ganze tiefe
Schlucht ist das Werk von vielhundertjähriger Arbeit des Wassers
und der Steine. Überall in Mazedonien sieht man Schluchten in allen
Entwicklungsstadien: ganz junge, die noch sehr harmlos aussehen,
mittlere Stadien, welche schon tiefe Falten ins Antlitz des Berges
gerissen haben, ältere, welche das Gebirge durchbrochen haben und
Ströme zu Tal wälzen. Und den traurigsten Eindruck machen die ganz
alten, welche ihre Felsblöcke schon zu Kieseln, zu Sand, ja zu feinem
Schlamm zermahlen haben, den sie in das Tal über die fruchtbaren Felder
schwemmen, so daß vom Ausgang der Schlucht eine lange Zunge von Geröll
in die Ebene sich hinausstreckt, welche an das Delta eines Flusses
erinnert. Sie ist ja gleichen Ursprungs mit einem solchen; ihr Wasser
hat aber die Zerstörung und den Aufbau auf einer Strecke ausgeführt,
welche es in Minuten, höchstens einer halben Stunde durchbrauste,
während der Nil in stiller Arbeit hunderte Kilometer zurücklegte,
überall auf seinem Weg Segen austeilend.

[Illustration: Abb. 97. Schlucht mit Wasserfall bei Davidoro.]

Solche Schluchten habe ich während meines Aufenthalts in Mazedonien
hunderte durchwandert. Bald dienten sie zum Anstieg ins Gebirge, bald
mußte man, an der Flanke des Berges entlang wandernd, in ein Dutzend
Schluchten an einer Seite hinab, an der anderen Seite hinaufsteigen, um
seinen Weg zu finden, wollte man nicht den ganzen Berg umgehen.

_Kaluckova_ liegt, wie ich früher schon schilderte, am Ausgang einer
solchen Schlucht, die mir Anlaß gab, manche Beobachtung über das Wesen
der Schluchten, ihre Pflanzen- und Tierwelt zu machen. Ging man in die
Schlucht hinein, so wanderte man zunächst auf dem weichen Sandboden
eines Tälchens, in welches drei Schluchten einmündeten. Deren Boden
war von grobem Gerölle bedeckt. Weiter oben kam man in eine immer
enger werdende Schlucht, deren Boden aus anstehendem Felsen bestand.
Auf ihm lagen größere und kleinere Felsblöcke herum. Durch diese wurde
das Wasser des Baches oft zu kleineren und größeren Tümpeln gestaut.
Dazwischen fanden sich Talmulden von verschiedenem Umfang, wo der Bach
langsam floß und sich Gerölle, Sand oder Schlamm angesammelt hatte.
Hier war oft eine reiche Pflanzenwelt entwickelt. Gräser, Riedgräser
und Binsen, manchmal auch Kolbenschilf, bildeten da einen üppigen
Rasen, zwischen dem Minzen, Doldenpflanzen, Glockenblumen blühten.
Allerhand Pflanzen, welche draußen auf dem Hügel schon längst verdorrt
waren, führten hier noch ein fröhliches Leben bis in den Juli und
August hinein. Da blühten noch Orchideen, Wicken, Salbei, Königskerzen
und viele andere.

[Illustration: Abb. 98. Einblick in das System der dem Wardar
zufließenden Bäche in der Hudovaebene von der Höhe der Plaguša Planina.]

In den Mulden zwischen den Hügeln wuchsen Kräuter heran, welche
durch beträchtliche Größenverhältnisse auffielen. Es waren dies
mächtige Exemplare von _Königskerzen, Disteln_ (Abb. 99) und dem
_Natternkopf_. Besonders letzterer übertraf an Größe die bei uns
einheimische Art ganz gewaltig. Die blauen Blütenstände, von Bienen und
Hummeln umsummt, waren hier noch größer und in ihrem Blütenreichtum
wirkungsvoller als die Exemplare an den Hügelhängen von Kaluckova und
in den Maulbeerhainen bei Hudova. Die hier vorkommende Art war +Echium
italicum+ L. (Abb. 100).

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 99. +Cirsium candelabrum+ Gris.
Hohe Distel bei Kaluckova.]

Sie waren von vielen Schmetterlingen, Bienen, Fliegen besucht. Von der
Tierwelt werden wir noch mehr zu berichten haben. Von Pflanzen fanden
sich vielfach die gleichen stachlichen und dornigen Büsche, wie oben
auf dem Hügel. Hier wuchsen vor allem Brombeersträucher, die einem
nicht selten das Vorwärtskommen sehr erschwerten. Noch mehr war man
aber beim Aufstieg behindert, wenn von einer Felsenstufe ein Wasserfall
herabbrauste (Abb. 97). Oft mußte man eine weite Umgehungskletterei
durchführen, wollte man seine Absicht durchsetzen, die ganze Schlucht
kennen zu lernen. Oberhalb und unterhalb solcher Wasserfälle war das
Wasser nicht selten zu stattlichen Gumpen angesammelt, deren grünes
Wasser zum Bade verlockte. Oft habe ich mit meinen Gefährten die
Gelegenheit ausgenützt und nach anstrengender Kletterei in einer
solchen Naturbadewanne Erfrischung gesucht.

War man gegen den oberen Schluß der Schlucht vorgedrungen, so
wurde sie oft immer flacher; man war an manchen Zweigschluchten
vorbeigekommen, welche dem Schluchtbach Wasser zugeführt hatten. So war
er selbst immer dünner und schwächer geworden, bis er schließlich in
einer Mulde in einem Grasbüschel zwischen Sand verschwand. Damit hatte
man seine Quelle vor den Augen.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 100. Großer, blaublühender
Natternkopf (+Echium italicum+ L.).]

Im Laufe des Jahres ging mancherlei in den Schluchten vor sich. Im
Winter hingen manchmal die Felsen voll Eiszapfen und ihr Grund wurde
gelegentlich voll Schnee geweht. Aber vor allem in der Gegend von
_Kaluckova_ hielt das nicht lange an. Viel unangenehmer waren die
anhaltenden schweren Regengüsse des Spätherbstes und Winters; dann
sammelte sich in den Schluchten oft in wenigen Stunden eine solche
Wassermasse an, daß sie plötzlich durch das Schluchtende in das Dorf
einbrach und das Tal in einen See voll schlammigen Wassers verwandelte.
Dann war Not in Kaluckova (Abb. 101). Da kamen die Stege zur Geltung,
auf denen man laufen mußte, wollte man von einer Talseite auf die
andere. Oft wurden die locker gebauten Brücken auch weggerissen und
es erforderte Heldenmut, wollte der Arzt von den Häusern am Hügel zu
seinen Kranken, die in Baracken an der anderen Talseite lagen.

Meist verlief sich das Wasser in wenig Stunden und von dem stolzen
gewalttätigen Fluß war nur ein dünner Wasserfaden übrig. Schlamm
und Geröll hatte er aber in Massen hinterlassen, welche alle Wege
verschüttet und in Gärten und eventuell auch an den Häusern Schaden
getan hatten.

Der Bach in der Kaluckovaschlucht erreichte nur in solchen großen
Momenten das Tal, aber auch dann wohl niemals den Wardar. Vorher war
sein Wasser längst in den Geröllmassen versickert. Das ist ganz typisch
für solche mazedonischen Schluchtbäche. Im Frühjahr beginnt der Bach
schon seinen Rückzug bergauf, der nur nach einem starken Regen eine
Unterbrechung erfährt. Immer weiter muß man hinaufsteigen, will man
an fließendes Wasser gelangen. Nach der Trockenzeit des August und
September sind manche Schluchten in ihrem ganzen Verlauf trocken.

[Illustration: Dr. _Laser_ phot. Abb. 101. Kaluckovabach nach starkem
Regen.]

Dieser Prozeß verläuft ganz regelmäßig so, daß jeweils im Unterlauf in
den Gruben und Vertiefungen größere oder kleinere Tümpel zurückbleiben,
die allmählich eintrocknen, so daß man auch ihnen immer höher hinauf
nachsteigen muß.

Das tut der Naturforscher gern und oft; denn in den Schluchten ist
der Zufluchtsort für eine mannigfaltige Tierwelt, welche schon zu
gewöhnlicher Zeit dort Schlupfwinkel und Höhlen leichter und mehr
findet, als draußen auf dem kahlen Hügel. Dazu ist es hier auch
im heißen Sommer immer feucht und kühl und wie die Pflanzen, so
flüchten sich auch viele Tiere aus dem grellen Sonnenbrand in den
kühlen Schatten der Schluchten. Wie ich das schon vom Buchenwald auf
der Plaguša Planina beschrieb, so stellen auch die Schluchten einen
Zufluchtsort für viele Tiere dar.

Man treibt beim Klettern in den Schluchten nicht nur Ratten und Mäuse,
sondern auch Marder, Füchse, Dachse und den großen mazedonischen Hasen
auf. Ratternd fliegen Steinhühner (+Alectoruis graeca graeca+ Meicen.)
vor unseren Schritten davon. Ammern, Nachtigallen, allerhand kleine
Vögel beleben die Büsche der Schluchten. Schlangen und Eidechsen
sind an den Schluchtwänden häufig. Nicht selten halten sich hier die
Landschildkröten +Testudo graeca+ L. und +T. ibera+ Pall. auf.

Viele Tiere kommen an die Tümpel zum Trinken. Das kann man vor allem
in den frühen Morgenstunden und gegen Abend beobachten. Für manche
Insekten, so für Schmetterlinge, mag auch die Windstille in der Tiefe
der Schluchten verlockend sein.

Vor allen Dingen interessant ist aber die Tierwelt des Baches, welche
hauptsächlich seine Becken und Tümpel bewohnt. An ihr ist manche
interessante Beobachtung zu machen, und es hatte einen großen Reiz, sie
im Verlauf eines Jahres zu verfolgen. Darum gehörten die Schluchten bei
Kaluckova zu den Gegenden, welche ich in Abständen regelmäßig während
aller Jahreszeiten besuchte, um die Schicksale ihrer Tierwelt zu
verfolgen.

Im Winter zur wirklich kalten Zeit war sie nicht allzu reich.
Die Wassertiere wurden gar zu leicht mit den Wasserstürzen nach
Regengüssen hinabgerissen und kamen um, irgendwo auf Sand und Geröll
vom abfließenden Wasser zurückgelassen. So kamen denn _Fische_ in den
Schluchtbächen selten vor und dann nur in den großen Gumpen, die nicht
ganz ausgeschwemmt werden konnten. Selten fand ich da einmal kleine
Barben (+Barbus plebejus+ Val.); in der Kaluckovaschlucht habe ich
allerdings niemals Fische gesehen.

Um so zahlreicher waren die _Amphibien_ vertreten, von denen mehrere
Formen in den Schluchten lebten und in den Tümpeln laichten.

Der kleine graue Frosch (L) +Rana graeca+ Blgr. mit seinem
braungefleckten, hellen Bauch war schon früh beim Laichen. Auch
der _große Frosch_ Mazedoniens (+Rana ridibunda+ Pall.) legte im
Schluchtbach seine Eier ab, aber erst im Mai, während der erstere dann
schon in stattlichen Larven vertreten war. Noch später war die sehr
häufige _Unke_ (+Bombinator pachypus+ Blgr.) mit der Fortpflanzung
dran; sie laichte erst im Juli. Noch Mitte Juli fand ich Unken bei
Kaluckova beim Eierlegen.

Ganz außerordentlich reich war in den Schluchten die _Insektenwelt_.
Sie bestand zum Teil aus Formen, welche hier die Blüten aufsuchten,
während draußen auf den Hügeln alles schon verdorrt war. So schwebten
zahlreiche Schmetterlinge über den Stellen der Schlucht, wo die oben
gekennzeichnete üppige Vegetation sich entwickelt hatte. Hier war es
vor allem, daß man, wie in der Nähe der Dörfer, die gewöhnlichsten
deutschen Schmetterlinge antraf, den großen und kleinen _Fuchs_,
das _Tagpfauenauge_, das _weiße C_, dazu die _Weißlinge_; unter den
4-5 mitteleuropäischen Arten allerdings manchmal etwas Besonderes,
so +Pieris manni+ Mayr.; daß der _Distelfalter_, der häufigste
Tagschmetterling Mazedoniens, nicht fehlte, braucht kaum betont
zu werden. Von vielen Formen sah man im Verlauf des Sommers zwei
_Generationen_, die als Frühlings- und Sommergeneration nach Farbe und
Größe zu unterscheiden waren, so z. B. von +Colias croceus+ Faure, der
dort fliegenden Form der _goldenen Acht_.

Von den drei Arten von _Scheckenfaltern_ (+Melitaea phoebe+. +M.
trivia+ und +M. didyma+) war das Vorkommen des letzteren besonders
interessant, da er hier in der südlichen Form flog, während im
Gebirge bei Gopes die nördliche Form lebte. Außerdem ist die Tatsache
bemerkenswert, daß von +Melitaea trivia+ und +didyma+ die zweite
Generation auffallend klein ist. Unter den _Augenfaltern_ der Gattung
+Satyrus+ fiel +S. statilinus+ Hafn. auf, noch mehr +S. fatua+ Frg.,
die erst vor kurzem in Europa aufgefunden wurde (Abb. 24, S. 46).
Von den zahlreichen _Bläulingen_ hebe ich +Cyaniris argiolus+ L.
hervor. Im Hochsommer drangen um die Blumen die Taubenschwänzchen
(+Macroglossa croatica+) und die auch bei uns so häufige +Macroglossa
stellatarum+. Beide flogen im Herbst massenhaft in die Häuser. Ich habe
hier etwas mehr von Schmetterlingen berichtet, da sie auf interessante
Gesetzmäßigkeiten der Tiergeographie aufmerksam machen.

Auch an _Käfern_ waren die Schluchten sehr reich. Schöne _Böcke_ saßen
auf den Doldenpflanzen, so der metallischglänzende _Moschusbock_
(+Aromia moschata+ L.), die kleine, rotschwarz gefleckte +Leptura
cordigera+ Finly, die zierlichen _Widderböcke_ (+Clytus ornatus+ Hbst.,
+Cl. rhamni+ Germ., +Cl. floralis+ Pall.). Von den großen Bockkäfern
waren besonders auffallend +Aulacopus sericollis+ Motsch und +Prionus
persicus+ Recht. Ein eigenartig gelblich behaarter Käfer mit weißen
Flecken, der massenhaft vorkam, nennt sich +Epicometes hirtella+ L.
Auch hier wie überall am Wasser gab es die schönen, wie Edelsteine
glänzenden Blattkäfer (+Chrysomeliden+). Dazu +Melosoma populi+ (L.)
+Clythra elata+ Fabr. und +Cl. traphaxides+ Pall. Von Rüsselkäfern
möchte ich nur die rotfleckigen +Rhynchita hungarica+ Hel. und den
schimmerden +Rhynchites auratus+ Les. erwähnen. An den Kräutern fand
sich im Mai vielfach ein speichelähnlicher Schaum, wie er bei uns
als „Kuckucksspeichel‟ bekannt ist; auch hier fand sich in ihm die
Larve einer Zikade aus der Gruppe der Schaumzikaden, ähnlich unserer
+Aphrophora spumaria+ L.

Damit gebe ich nur eine kleine Auslese aus der Insektenwelt der
Balkanschluchten. Schwebfliegen, solitäre Bienen, bunte Wanzen,
Heuschrecken wären noch anzuführen. Eine große Rolle spielten
die Libellen, deren es zahlreiche Arten gab. Ganze Schwärme von
Eintagsfliegen tauchten gelegentlich auf.

Sehr reich und charakteristisch war die niedere Tierwelt im Wasser.
Auf den stillen Tümpeln blinkten die Taumelkäfer, ihre raschen Kreise
ziehend. Zwischen ihnen bewegten sich langbeinige Wasserläufer und
flinke Rückenschwimmer. Unter dem Wasser war das Leben nicht weniger
reich. Da schwammen allerhand Wasserkäfer, große und kleine, Verwandte
unseres Gelbrands, auch Kolbenwasserkäfer, und jagten auf allerhand
Beute. Auch die war reichlich vorhanden, nicht nur in Kaulquappen,
sondern auch in den Larven von Insekten, deren fertige Zustände über
dem Bach in der Luft flogen. Larven von Libellen und Eintagsfliegen,
solche der Köcherfliegen gab es in Menge. Von letzteren hatte eine Form
Gehäuse aus kleinen Steinen gebaut, welche am Grund mit der Öffnung
bachaufwärts angeklebt waren. An den Steinen festgewachsen oder in
großen grünen Algenpolstern fanden sich die eigentümlichen Larven der
_Kriebelmücken_ (+Simuliiden+) und solche von +Chironomiden+.

Für mich erwies sich als besonders interessant, daß in dem fließenden
Wasser der Schluchtbäche sich Larven einer der _Malariamücken_ fanden;
bisher hatte man angenommen, daß diese niemals in fließendem Wasser
vorkommen. Ich fand aber hier in Mengen die Larven von +Anopheles
superpictus+ Gr.; auch sonst gab es in den Schluchtbächen reichlich
Stechmückenlarven von +Culex+ und +Anopheles+-Arten, diese allerdings
nur in den Tümpeln mit stehendem Wasser. Über diese und ihre Bedeutung
für den Menschen ist näheres in einem späteren Kapitel über Klima und
Seuchen zu finden (Kap. 28).

Ein Bewohner der Schluchten im südlichen Mazedonien erregte mein
besonderes Interesse, und so will ich über dies Tier einiges
berichten. Es war eine _Süßwasserkrabbe_, die den Namen +Potamon
fluviatilis+ var. +edule+ Latr. führt; in der älteren Literatur war
sie +Telphusa fluviatilis+ benannt. Dieser Taschenkrebs kam in vielen
Exemplaren von sehr verschiedener Größe, vor allem in den tieferen
Tümpeln der Schluchtbäche vor. Selten fand ich ihn im selben Bach mit
_Flußkrebsen_; doch kommt so etwas gelegentlich vor.

Im Anfang des Jahres traf ich nur große und mittelgroße Individuen an;
diese mußten 2-4 Jahre alt sein. Ihr schildförmiger Rücken maß an der
breitesten Stelle 5 cm. Die Grundfarbe des Körpers war ein fahles Gelb,
welches durch rotbraune Flecken in den meisten Regionen des Körpers
überdeckt war.

Auffallend war das Überwiegen der Männchen; auf ein Weibchen mit
breitem Hinterleib kamen jedesmal mehrere Männchen, die leicht an ihrem
schmalen, dreieckigen Hinterleib zu erkennen waren. Ende Mai waren
bei den Weibchen die Eier in den Eierstöcken noch nicht zur vollen
Größe herangewachsen. Anfang Juni sah man Männchen und Weibchen sich
aneinander klammern. Da fand offenbar die Begattung statt. Am 20. Juli
fand ich ein Weibchen mit einigen Eiern am Hinterleib, andere mit etwa
100 Eiern. In diesen Tagen waren auch solche mit den verschiedensten
Entwicklungsstadien der Jungen zu finden.

[Illustration: Abb. 102. Süßwasserkrabbe (+Potamon fluriatilis+ var.
+edule+ Latr.) von oben gesehen. Nat. Gr.]

Bei den Weibchen mit reichlich Eiern steht der breite Hinterleib
vom Körper ab und der Zwischenraum ist durch stark verbreiterte
Hinterleibsfüße ausgefüllt. So ist eine umfangreiche Bruthöhle
gebildet. Die etwa 2 mm im Durchmesser erreichenden Eier hängen in ihr
an Haaren der Abdominalfüße. In der Bruthöhle unter dem Körper machen
die jungen Süßwasserkrabben ihre ganze Entwicklung bis zum fertigen
kleinen Tier durch.

Ich hielt eine ganze Anzahl der Krabben in Eimern im Laboratorium, um
sie zu beobachten. Wie im Freien saßen sie auch hier gern im dunkelsten
Winkel ihres Behälters. In den Tümpeln hielten sie sich besonders unter
überhängenden Steinen auf, wobei sie stets sich mit dem Hinterrand
ihres Panzers anlehnten. Es scheint dies auf einer thigmotaktischen
Reizbarkeit zu beruhen; in den Gefäßen, in denen ich sie hielt, saßen
sie immer am Boden und drückten sich an die Wand; waren viele in einem
Eimer, so saßen sie im Kreis herum, mit dem Vorderrande und den Scheren
nach innen gerichtet, was ein sehr possierlicher Anblick war.

Eigenartig sehen diese Tiere aus, wenn sie mit ihren 10 Beinen sich
bewegen. Das vorderste Beinpaar trägt die Scheren, welche breit
und kräftig sind und sehr schmerzhaft kneifen können. Sie sind die
Verteidigungswaffen der Taschenkrebse. Sie stützen sich nur selten bei
Bewegungen auf sie. Meist strecken sie sie vor sich. Naht irgendwie
eine Gefahr, so nehmen die Tiere eine Bereitschaftsstellung ein, bei
der sie die vier hinteren Beinpaare spreizen, den Körper nach vorn
aufrichten und die Scheren nach vorn und in die Höhe recken und öffnen.
Kommt man ihnen näher, so kneifen sie heftig zu. Mit den Scheren fassen
sie auch ihre Nahrung und führen sie zum Munde. Allen möglichen Tieren
in ihrem Wohngebiet sind sie gefährlich. Oft sah ich sie Insektenlarven
fressen. Auch tote Tiere nehmen sie gern an und an die Leichen ihrer
Kameraden machten sie sich ohne weiteres. In der Freiheit sah man sie
blitzschnell im Seitwärtsgang auf dem Boden des Wassers herumhuschen.
Gelegentlich liefen sie auch auf den Felsen auf dem Trocknen.

Beim Seitwärtslaufen heben sie die vorausgehende Schere hoch und setzen
die Beine der beiden Seiten gleichzeitig vor, wobei ganz regelmäßig
das zweite Bein mit der Bewegung anfängt, dann das dritte, vierte und
fünfte in der Reihenfolge sich anschließen. Im Wasser sind sie bei
ihrer Flinkheit gar nicht leicht zu fangen, gern schlüpfen sie in
Spalten und Löcher, in denen sie sich fest an die Wände anschmiegen.

Wenn die Jungen aus den Eihüllen ausgekrochen sind, hängen sie noch
lange am Hinterleib der Mutter. Sie wachsen zu Ebenbildern ihrer Eltern
heran, sind aber zunächst noch wenig pigmentiert und sehen dann ganz
hell, blaßgelb aus. Allmählich werden sie dunkler und lösen sich dann
von den Hinterleibsfüßen der Mutter los und laufen auf deren ganzen
Körper umher. Anfangs haben sie aber die Neigung, immer wieder in den
Schutz der Bruthöhle zurückzukehren. Da klammern sie sich mit den
Hinterbeinen am Körper der Mutter und aneinander fest.

Nimmt man sie im hellgelben Zustand aus der Bruthöhle heraus und setzt
sie zur Beobachtung in eine Glasschale, so nehmen sie gleich schon
Nahrung an; auch gehen sie prompt zur Bereitschaftsstellung über,
kneifen mit den Scheren und benehmen sich wie Erwachsene.

Diese kleinen Tiere wurden allmählich dunkler, die Pigmentierung fand
also auch im Versuchsgefäß statt. Fressen tun sie, was von Tierkörpern
man ihnen anbietet; auch ihre eigenen toten Brüder.

Draußen in den Schluchten wimmelte es zu dieser Zeit von der kleinen
Krabbenbrut. Im Hochsommer verschwanden Alte und Junge, auch im Winter
konnte ich sie nicht auffinden. In diesen ungüstigen Zeiten sind sie
wohl in einem Ruhezustand in Spalten der Felsen oder unter Steinen.

Von niederen Tieren fand ich in den Schluchttümpeln Strudelwürmer
(+Planarien+) von interessantem Bau und Blutegel. Im Boden der kleinen
Wiesen und Rasen die seltenen Regenwürmer. Über die _Planarien_
berichtet mir Dr. _Steinmann_, der ihre Bearbeitung übernommen
hat, daß bei der Ausbeute sich eine ganze Anzahl der merkwürdigen
_polypharyngealen_ Strudelwürmer befindet, der Formen mit mehreren
Mundöffnungen und Schlünden. Man rechnet sie meist zu der Art +Planaria
montenegrina+ Mrazek. Deren Vorkommen in Mazedonien wäre damit
festgestellt. Doch glaubt Dr. _Steinmann_, daß es sich bei diesen
südlichen Formen um Varitäten der +Planaria alpina+ handelt. Diese und
wahrscheinlich neue Arten aus meiner Ausbeute sollen in der definitiven
Bearbeitung zur Darstellung kommen.

Bemerkenswert ist die Beobachtung, daß ich diese polypharyngealen
Planarien in Mineralquellen fand, so in dem Bach, welcher im Bereich
des Lazaretts Rabrovo entsprang, dicht hinter der Quelle. Das Wasser
dieses Baches enthielt Kohlensäure, Eisen und wohl etwas Schwefel und
zeigte während des ganzen Jahres eine konstante Temperatur von 20° C.

So stellen die Balkanschluchten biologisch eine eigenartige
Lebensgemeinschaft von Pflanzen- und Tierarten dar, deren Verkettung
miteinander und Abhängigkeit voneinander eine eingehendere Untersuchung
verdiente.

Steigt man aus dem Schatten der Schlucht an den Abhang des Berges
hinauf, in dessen Flanke sie sich eingewühlt hat, so überblickt man
rings in der Landschaft die Wirkungen der Kräfte, welche die Entstehung
der Schluchten bedingten. Überall kahle, zerrissene Hügel und Berge,
waldlos und steinig. Typisch und charakteristisch sind die welligen
Hänge von fast einander parallel verlaufenden Schluchten modelliert,
Lehrbuchbilder der Erosionswirkung. Unwillkürlich steigt einem der
Gedanke auf: Wie ganz anders würde der Balkan aussehen, existierten
die Schluchten nicht und mit ihnen die Bedingungen, welche ihr Werden
verschuldeten.

[Illustration: Abb. 103. Süßwasserkrabbe (+Potamon fluviatilis+ var.
+edule+ Latr.). Weibchen mit Jungen unter dem Hinterleib und auf dem
Rücken.]



DREIZEHNTES KAPITEL

IM HAIN MAMRE

STRUMIZA. BELASIZA PLANINA. GEWGELI.


Nicht weit von Dedeli, dem Endpunkt der von unseren Truppen gebauten
Seitenstrecke der Wardarbahn, lag in einem schönen Hain aus Ulmen und
Eichen das Oberkommando der I. Bulgarischen Armee. Im Heere nannte man
dies Wäldchen den _Hain Mamre_; wie dieser Name entstanden ist, war
nicht herauszubringen. Zum Oberkommando gehörte der deutsche Führer
der Spezialwaffen, Generalleutnant _Posseldt_. Dieser hatte mich bei
Gelegenheit eines Ausflugs, den ich mit den Kollegen beim Hochschulkurs
in Üsküb zu ihm gemacht hatte, eingeladen, meine Arbeitsstätte für
einige Zeit bei ihm aufzuschlagen.

So war ich Ende April 1918 im Hain Mamre eingezogen, wo ein reizendes
Quartier für mich bereit stand; meine Hilfskräfte waren bei einer
benachbarten Abteilung untergebracht. Es war eine ergebnisreiche,
schöne Zeit, die ich in den nächsten 5 Wochen dort verbrachte.

Der Hain Mamre stellte im baumarmen Südmazedonien eine richtige Oase
dar. In dem kühlen Schatten der uralten Bäume war auch im Sommer gut
arbeiten. Auch die Umgebung hatte ihre Reize; wenige Kilometer vom
Hain talaufwärts entsprang der Kosludere als kräftiger Bach einer
Felsenwand. Sein Wasser verhalf dem ganzen Tal zu einer reichen
Vegetation und ermöglichte einen gute Ernten bringenden Anbau. Ein Bild
von diesem reichen schönen Tal gab ich schon im fünften Kapitel.

Was den Aufenthalt im Hain Mamre für mich so erfolgreich und genußreich
machte, war vor allem die Persönlichkeit des Generals _Posseldt_.
Unter den ehrwürdigen Bäumen des Hains dehnte sich ein Dorf von
Baracken aus; nein, eher einer Villenvorstadt könnte man das Bild
vergleichen, das die kleinen, in geschmackvollen Verhältnissen gebauten
Häuschen darboten, welche die Wohnungen und Kasinos für Offiziere,
Schreibstuben, Zeichensäle, Kartenräume, photographische Abteilungen,
Werkstätten, Küchen usw. des Armeeoberkommandos beherbergten. Alles
stand im gehörigen Abstand voneinander, so daß dazwischen Raum blieb
für allmählich im Laufe der Zeit entstandene wohlgepflegte Rasenflächen
und Blumenbeete. Manche der Häuser glichen kleinen Villen in einer
Sommerfrische.

[Illustration: Vermessung 7 phot. Abb. 104. Hain Mamre im Sommer.]

Im Hain sah es zu allen Zeiten nett und behaglich aus; im Sommer war
der Aufenthalt in ihm direkt eine Erholung. Aber auch im Winter, wenn
die Bäume im Schneegewand oder von Rauhreif bedeckt prangten, waren
die gut geheizten Baracken ein angenehmer Aufenthalt. Es gereicht
dem Armeeoberkommando zur Ehre, daß die schönen alten Bäume in
unbeschädigtem Zustand beim Rückzug zurückgelassen wurden und so auch
in Zukunft eine einzigartige Erscheinung in Südmazedonien bleiben
können.

Im Schatten der Bäume lagen die Häuschen zerstreut; im allgemeinen
hausten die Deutschen in der nördlichen, die Bulgaren in der südlichen
Hälfte. Die Wirtschaftsräume lagen am Rande. Zwischen den Offizieren
und Mannschaften beider Völker herrschte meist ein gutes Verhältnis.
Die I. Bulgarische Armee wurde stets wegen ihrer guten Haltung und
Tapferkeit besonders gerühmt und hatte manche Erfolge zu verzeichnen.
An der Doiran- und Wardarfront, welche diesem Oberkommando
unterstanden, war ja oft etwas los.

General _Posseldt_ war eine energische, frische Persönlichkeit,
typischer preußischer Offizier mit vielen der guten Eigenschaften eines
solchen. Die Frische und geistige Lebhaftigkeit seines Wesens wünschte
er bei seinen Offizieren und suchte sie bei ihnen zu erhalten oder
hervorzulocken. Es war ein Kreis von jungen Leuten um ihn gesammelt,
die offenbar nach Charakter, geistigen Qualitäten und Bildung
ausgesucht waren. Jeder war in irgend einem militärischen Sonderdienst
Spezialist.

[Illustration: Vermessung 7 phot. Abb. 105. Hain Mamre im Winter.]

Unter den jungen Männern herrschte ein flotter, kameradschaftlicher
Ton; sie vertrugen sich meist gut miteinander. Die natürliche
Eifersucht zwischen Gleichstrebenden nahm während meines Aufenthaltes
nie unsympathische Formen an. Der General suchte den Ton der
Tischgespräche stets auf einem hohen Niveau zu erhalten und veranlaßte
jeden des Kreises, abends den anderen zu erzählen oder vorzulesen, was
ihm bei seiner Privatlektüre Allgemeininteressierendes aufgefallen
war. Auch ich war gebeten, die Beobachtungen des Tages, interessante
Entdeckungen dem Kreis zugänglich zu machen. Da zudem ein tüchtiger
Arbeitsgeist in dem Stabe herrschte, so wird man verstehen, daß ich
eine sehr freundliche Erinnerung an die Wochen in dieser Gesellschaft
und an manche Abendgespräche mitnahm.

Zur I. Armee gehörte die Front von der _Belasiza Planina_ und dem
_Doiransee_ bis in die hohen Gebirge westlich des Wardar. So war der
Hain Mamre ein geeigneter Ausgangspunkt für meine Forschungen in
diesen Gebieten. Mehrere der jungen Offiziere hatten starkes Interesse
für meine Arbeiten, sammelten Tiere für mich, begleiteten mich auf
Exkursionen oder forderten mich auf, ihre Fahrzeuge oder Pferde bei
Dienstreisen an die Front mit zu benützen. Und so habe ich mit ihnen
manchen Ritt und manche Fahrt gemacht, die mich in Gebiete brachten,
welche mir sonst unzugänglich gewesen wären.

Zunächst bot der Hain selbst und seine nähere Umgebung Gelegenheit zu
vielen Beobachtungen. Mit der reicheren Pflanzenwelt war hier auch eine
große Mannigfaltigkeit in der Tierwelt entwickelt. Wieder bestätigte
sich die Erfahrung des vorigen Jahres, daß hier im Süd-Wardargebiet die
nördlichen Elemente der Fauna zurücktraten und dafür die südöstlichen
Formen mehr und mehr überwogen. Das machte sich in allen Gruppen
bemerkbar, bei _Reptilien_ und _Vögeln_ wie bei Insekten besonders
auffällig. Ich will einige Beispiele davon geben, indem ich meine
Erfahrungen in dem ganzen Gebiet zwischen _Doiransee_ und _Wardar_
südlich bis _Gewgeli_ zusammenfasse; dabei zeigt sich eine nördliche
Grenze etwa zwischen Mravinca und Valandova, über welche hinaus
merkwürdigerweise manche Formen nicht beobachtet wurden.

Sehr reich war die _Vogelwelt_ an auffallenden und interessanten
Formen; nachdem einmal die Offiziere darauf aufmerksam gemacht waren,
bemühten sie sich, unsere ornithologischen Sammlungen zu bereichern.
Wie im vorigen Jahre waren die _Blauraken_ (+Coracias garrulus
garrulus+ L.) häufig und wetteiferten mit ihrem blauen Glanz mit
den _Bienenfressern_ (+Merops apiaster+ L.), welche erst Ende Mai
vom Zug heimkehrten, sofort aber durch ihre Prachtfärbung und ihren
eigenartigen Flug auffielen. Ein großer Schwarm hatte sich nahe dem
Hain niedergelassen und erfreute uns täglich beim Morgenritt mit seinem
raschen Flug, der ihn in wenig Minuten über das ganze Tal hinwegtrug.
Wie überall in Mazedonien war auch hier der bunte _Wiedehopf_
(+Upupa epops epops+ L.) ein häufiger Vogel. Bei seiner geringen
Scheu war er nicht zu übersehen. Ein später Ankömmling war auch die
_Kappenammer_ (+Emberiza melanocephala+ Scop.), die plötzlich in großer
Zahl auftrat und bald am Nestbauen war. Es war ein reizendes Bild,
wenn die leuchtend gefärbten Männchen mit ihren schwarzen Mützchen
hoch auf den Gipfeln von Büschen und Obstbäumen saßen (Abb. 106).
_Girlitz_ (+Serinus canaria serinus+ L.), _Grünling_ (+Chloris chloris
mühlei+ Parrot), und besonders der _Ortolan_ (+Emberiza hortulana+
L.) waren ziemlich häufig in der unmittelbaren Umgebung des Hains.
Kopfzerbrechen machte uns ein _Brachpieper_ (+Anthus mosellanus
vierthaleri+ Brehm), den wir bei Dedeli fanden. Um den Hain herum war
die _Haubenlerche_, wie überall in Mazedonien, sehr häufig (+Galerida
cristata meridionalis+ Br.). Ein interessanter Fund war eine Form der
_Kurzzehenlerche_ (+Calandrella brachydactyla moreatica+ Mühlb.) auf
dem trokkenen Gelände der Hügel.

[Illustration: Abb. 106. Kappenammer ♂ (+Emberiza melanocephala+
Scop.). Verkl. ½.]

[Illustration: Abb. 107. +Lanius nubicus+ Licht. Der Maskenwürger.
Verkl. ½.]

Dieselben _Würger_, welche im vorigen Jahr in der Ebene von Hudova
so häufig gewesen waren, waren auch hier in Mengen vertreten. Auf
jedem Strauch, der etwas über seine Umgebung hervorragte, sah man
ihre herausfordernde Silhouette auf der höchsten Spitze. Überall
hörte man ihren grellen Schrei und an den Dornbüschen, ja selbst
an den Stacheldrähten militärischer Anlagen sah man vielfach ihre
Insektensammlungen aufgespießt. Zu ihnen gesellte sich als noch
auffallendere Erscheinung +Lanius nubicus+ Licht., der _Maskenwürger_,
ein Vogel von dunkler Farbe mit eigentümlichem Schnabel, ein weiteres
südliches Element der Ornis (Abb. 107). Da wo die Mohnfelder blühten
und die Baumwolle gedieh, traten Ende Mai große Flüge des rosenroten
_Rosenstars_ (+Pastor roseus+ L.) auf. Hier wanderte der osteuropäische
Vogel ebenso unstät umher, wie er gelegentlich auch in Deutschland
auftaucht. Brüten sahen wir ihn nicht.

Im Park selbst war eine große Meise, die _Trauermeise_ (+Parus
lugubris lugubris+ Temm.), ein Bewohner der hohen Bäume. Hier zeigte
sich auch der _Fliegenschnäpper_ (+Muscicapa striata striata+ Pall.),
der _Berglaubvogel_ (+Phylloscopus bonelli orientalis+ Brehm), die
_Baumnachtigall_ (+Agrobates galactodes syriaca+ Hempr. u. Ehrenbg.)
und +Aëdon megarhynchus megarhynchus+ Brehm. Das war eine eigenartige
Gesellschaft, die wir nicht ohne weiteres hier erwartet hätten.

Weniger erstaunlich war es, daß gelegentlich ein großer _Buntspecht_
(+Dryobates major balcanicus+ Gengl. u. Stres.) an den Bäumen des Hains
sich zu schaffen machte.

Anders stellte sich die Vogelwelt in dem sumpfigen Gebiet des
_Kosludere_ und im Gebiet der Wardarebene bei _Mravinca_ dar. Da gab
es viel Wasser und damit viele _Bachstelzen_ und die gelbfederigen
_Schafstelzen_ (+Budytes flavus flavus+ L. und +B. flavus feldeggi+
Michah.). Ein _Flußregenpfeifer_ (+Charadrius dubius curonicus+ Gm.)
und ein _Teichhuhn_ (+Gallinula chloropus+ L.) wurden dort erbeutet.
Dort gab es auf den Feldern _Wachteln_ (+Coturnix coturnix+ L.). Auch
ein Fischadler (+Pandion haliaëtus+ L.) fiel uns dort in die Hände.

[Illustration: ♂ ♀ Abb. 108. +Thais cerisi ferdinandi+ Stichel. Nat.
Gr.]

Nicht weniger von südlichen und östlichen Bestandteilen durchsetzt
war die sonstige Tierwelt. Anfang und Mitte Mai trat ein schöner
auffallender Schmetterling in großen Mengen auf. Es war +Thais cerisi
ferdinandi+ Stich., ein bunter Falter, mit dem +Apollo+ verwandt, der
in der ganzen Wardargegend, vor allem in den Felsschluchten, plötzlich
erschien, um nach 8-10 Tagen ebenso plötzlich wieder zu verschwinden
(Abb. 108). Besonders bei _Demirkapu_ flog dieser Schmetterling in der
sonnendurchstrahlten Schlucht in Wolken von hunderten von Exemplaren.
Auch die verwandte Form +Thais polyxenor+ Schiff. fanden wir in der
Gegend.

Auf _Ameisen_ achtete ich hier besonders aufmerksam und fand eine
Anzahl interessanter Arten. Alle drei Formen der _Körnerameisen_ aus
der Gattung +Messor+ kamen hier vor und viele der Beobachtungen, die im
elften Kapitel niedergelegt sind, wurden im Hain Mamre gemacht.

Überall am Rande des Hains fanden sich die _Kraternester_ und die
Straßen dieser auffälligen Ameisen. Auf den Hügeln der Umgebung,
besonders am Zwieselberg, gab es viele Nester der goldgelben Ameise
+Pheidole pallidula+ Nyl., der einzigen europäischen Form, welche echte
Soldaten als besondere Kaste besitzt. Dort gab es unter Steinen auch
Nester von +Tapinoma erraticum+ Först. und +Cremastogaster sordidula+
Nyl. var. +flachi+ For. Einmal fand ich eine Kolonie der letzteren Art
unter einem Stein neben einer solchen von +Tetramorium caespitum+ L.
Sie lebten ganz friedlich nebeneinander, und als ich sie zusammen in
ein künstliches Nest brachte, begannen sie ein gemeinsames Leben, als
hätten sie immer zusammengehört.

+Tetramorium caespitum+ L. kam als Hausameise im Hain selbst viel vor
und drang auch in die Baracken ein. In unseren und den anderen Hainen
der Gegend gab es viele _Baumameisen_ aus der Gattung +Camponotus+.
Die alten Stämme waren zum Teil morsch und von den Bauten der Ameisen
durchsetzt. Oft aber hausten sie auch in ganz gesunden Stämmen und
hatten ihre Nester in irgendeinem Ast der Krone. So beobachtete ich
einmal eine stark begangene Straße der schwarzrot gefärbten, großen
+Camponotus (Orthonotomyrmex) lateralis+ Oliv., welche zu einer hohen
alten Ulme führte. Die Straße setzte sich auf den Stamm der Ulme fort
und führte bis in die Krone, wo das Nest sich befinden mußte; denn die
Ameisen stiegen beladen hinauf und kamen leer herunter. Beim Anstieg
trugen sie Erdklümpchen, die offenbar oben zum Bau dienten. Viele von
ihnen hatten auch Blattläuse zwischen den Kiefern, die oben wohl weiter
gezüchtet werden sollten.

Eine besonders interessante Entdeckung durfte ich in der Umgebung
machen. Schon im Jahre 1917 hatte ich eifrig auf meinen Reisen nach
_Termiten_ gesucht. Diese sogenannten weißen Ameisen der Tropen kommen
in Südeuropa in zwei Arten vor, welche ich schon aus Italien kannte. In
Mazedonien waren sie noch nicht nachgewiesen.

So erregte es denn mein höchstes Interesse, als ein junger Offizier,
der beim Stab eingeladen war, mir eines Abends erzählte, dicht
bei seinem Quartier seien vor einigen Tagen aus einem Erdloch
zahlreiche Insekten mit vier zartgeäderten Flügeln, die wie kleine
Libellen aussahen, herausgekrochen. Als er sie mir zeigte, waren es
Geschlechtstiere einer _Termitenart_.

Ich verabredete einen Besuch bei ihm und fuhr zu ihm auf den Furkapaß
hinauf. Das war die mir schon von den Fahrten zum Doiransee bekannte
Paßstraße, welche in Dedeli begann. Auf dieser Straße war immer ein
ungeheurer Verkehr, bei trocknem Wetter schwebte eine dichte Staubwolke
über ihr. Lastautos, Geschütze, Munitionskolonnen rollten unablässig
über sie zum Doiransee, nach Cerniste und Bogdanci. Wagen folgte
hinter Wagen, meist Ochsen- und Büffelgespanne. Bulgarische Soldaten
marschierten schweißtriefend und staubbedeckt an meinem Wagen vorbei.
Große Herden freilaufender Pferde, Esel, Maultiere, Ochsen und Büffel
wurden auf der Straße getrieben. Es war eine Erlösung, als ich seitlich
zu dem Quartier abbiegen konnte, welches ich besuchen wollte. Es lag
am Berg an einer der kleinen Bachschluchten, welche auch hier in
großen Mengen das Gelände durchzogen. Hier herrschten merkwürdig bunte
Gesteine vor, so daß die Landschaft einen ganz eigenartigen Charakter
besaß. Die obersten Schichten waren spangrüner Serpentin, darunter lag
gelber und grauer Diabas; noch tiefer kam dunkelroter Sandstein, der
besonders in den feuchten Schluchten fast schwarzrot erschien. Zwischen
dem Sandstein zogen sich weiße, schmale Kalkbänder hin.

Weiter oben am Paß, nicht weit vom Dorf Furka, boten lehmige Schichten
charakteristische Erosionsbilder. Das geschichtete Gestein war durch
eine Menge von Miniaturschluchten gleichmäßig durchfurcht. Man konnte
die Arbeit der atmosphärischen Kräfte in allen ihren Phasen verfolgen.
Und dabei waren Gebilde entstanden, welche auffallend den berühmten
Erdpyramiden bei Bozen glichen und ähnlichen Vorgängen wie dort
ihre Entstehung verdanken. Die hier eingefügte Abbildung zeigt das
eigenartige Bild, das diese Formation darbot (Abb. 109).

[Illustration: Abb. 109. Erosion mit Pyramidenbildung am Furkapaß.
Doiranfront.]

Es ist geeignet, die Gesetzmäßigkeiten zu erläutern, welche im vorigen
Kapitel dargestellt wurden. In besonders eindringlicher Weise macht es
ein für Mazedonien typisches Landschaftsbild verständlich.

Die Schlucht, an der das Quartier des Leutnants _Förster_ lag, war
tief und eng. Einige Bäume standen an ihren Hängen, reichliches
Buschwerk wuchs dazwischen. An den Wurzeln einer Esche fanden wir nach
langem, vergeblichen Graben endlich das erwartete _Termitennest_. Es
war die eine der südeuropäischen Termitenarten, welche hier wohnte
(+Calotermes flavicollis+ Fabr.). Wir gruben lang und tief, ohne
Geschlechtstiere zu finden. Es war eine relativ große Kolonie und sie
mußte Geschlechtstiere enthalten. Sie lebte in den morschen Wurzeln
des Baumes, in diesen ihre Gänge bauend. Die Wurzeln erstreckten sich
tief in die Wand der Schlucht und wir mußten schließlich das Graben
aufgeben, als die ganze Wand der Schlucht nachzustürzen drohte.

Immerhin hatte ich eine größere Anzahl Tiere in meinen Fanggläsern;
es waren darunter auch junge Larven, und so konnte ich hoffen, alle
Stadien zu züchten. Zur Zeit, da ich dies niederschreibe, im März 1920,
also fast 2 Jahre, nachdem ich die Tiere am Furkapaß mitnahm, ist dies
gelungen. Die Kolonie lebt noch in meinem Institut in Breslau fern
ihrer Heimat, und ich hoffe manches interessante Resultat durch ihre
Beobachtung zu erzielen. Hier ist nicht der Ort, davon eingehender zu
berichten.

[Illustration: Abb. 110. Soldat und Arbeiterstadien von +Calotermes
flavicornis+ Fabr.]

Auch von den _Spinnen_ gilt das, was ich für andere Tiergruppen
über das Vorkommen besonderer Arten schrieb. Eine ganze Anzahl der
Spinnenformen, welche im 19. Kapitel beschrieben sind, fand ich in der
Gegend des Hains Mamre. So vor allem die abenteuerliche Walzenspinne
+Galeodes graecus+ C. L. Koch.

In die Zeit meines Aufenthalts im Hain Mamre fielen auch eine Fahrt
nach _Strumiza_ und zwei Ausflüge in das Gebirge nördlich des
Doiransees, die _Belasiza Planina_. Strumiza liegt jenseits der Plaguša
Planina im Tal des Flüßchens Strumiza, welches der _Struma_ zufließt.
Die Fahrt führt über mehrere Pässe und bot mir Gelegenheit, nicht fern
von der Stadt Strumiza einen _Kiefernwald_ kennen zu lernen. Einige
Hügel und ein tief eingeschnittenes, Mitte Mai trocken liegendes
Tal waren der Standort dieses lichten Walds. Die Kiefern (+Pinus
nigra+ Arn.) waren nur 10-15 m hoch, knorrige, dunkle Stämme mit sehr
dunkelgrünen Nadeln (Abb. 111). In diesem Wald fand ich eine ganze
Anzahl Ameisenarten, vor allen der Gattung +Camponotus+ und allerhand
interessante Spinnen. Es war ein trüber Tag, so daß sonst wenig
Insekten unterwegs waren.

Die Stadt _Strumiza_ liegt eigenartig in einem felsigen Gelände; sie
ist von den Ruinen einer Feste überragt. Auch im Stadtgebiet gibt es
viele zerstörte Häuser. Steil und kahl steigt der Berg hinter der
Stadt auf; geringes Buschwerk steht zerstreut an seinem steinigen
Hang. Nur in der Schlucht ist etwas mehr Grün zu entdecken. Von diesem
fahlen Hintergrund heben sich die leuchtende Kuppel einer Moschee
und zwei grell weiße christliche Kirchen seltsam ab. Sehr eigenartig
wirkt der blaue, rote und gelbe Anstrich mancher Häuser. Die Straßen
der Stadt sind nicht reizlos mit der großen Mannigfaltigkeit der
Bauart der Häuser, deren vorgebaute obere Stockwerke schöne Veranden,
säulengetragene Loggien enthalten und oft durch große Bogenfenster
fein gegliedert sind. In der Stadt selbst sind Bäume und Büsche nicht
selten und über die Hauptgeschäftsstraße wölbt sich ein mächtiger alter
Weinstock wie ein Torbogen.

[Illustration: Abb. 111. Blick aus dem Kiefernwald auf die Burg von
Strumiza (+Pinus nigra+ Arn.).]

Vor Strumiza war ich über die Grenze zwischen Bulgarien und Serbien
gekommen, wie sie vor dem Krieg bestand, und damit in einen Teil
Altbulgariens gelangt. Die Bevölkerung von Strumiza ist hauptsächlich
bulgarisch, wenn auch nicht wenig Türken und bulgarische Muhamedaner,
Pomaken, dort wohnen.

Es war mir interessant, noch ein Stück in das Strumizatal
hineinzufahren. Wie die Plaguša Planina von Osten einen weniger
stattlichen Eindruck als von Westen macht, so macht auch das
Belasizagebirge von dem Strumizatal aus einen bescheideneren Eindruck.
Das gut bewässerte Tal ist reich bebaut. Getreidefelder breiteten
sich rings um uns aus, als wir in flotter Fahrt das Tal ein gut Stück
südostwärts verfolgten. Alle Dörfer waren von einem Wald von Obstbäumen
umgeben. Die Üppigkeit des Grüns ließ einen fast vergessen, daß man
im Flachland Mazedoniens sich befand. Ich streifte durch die Felder,
zwischen denen wasserreiche Gräben verliefen, die von Weiden umgeben
und von Kolbenschilf bewachsen waren. Von einem solchen Gewässer flog
vor mir eine prachtvolle Stockente, eine +Anas platyrhynchos+ L., ein
alter Erpel, auf und es gelang, mir das Exemplar herunterzuholen.

[Illustration: Abb. 112. Strumiza.]

Als wir in das Dörfchen kamen, in welchem mein Begleiter dienstlich
zu tun hatte, erlebte ich eine merkwürdige Überraschung. Der kleine
Ort Martino war fast ganz von _protestantischen_ Bulgaren bewohnt,
welche vor vielen Jahren von einem amerikanischen Missionar bekehrt
worden waren und treu seither an ihrer neuen Religion hielten. Ihr
Priester sprach noch etwas englisch und hatte seine Holy Bible und
methodistische Gebetbücher. Trotz ihrer halbtürkischen Tracht machten
die Bewohner einen anderen Eindruck als die Bewohner der Nachbardörfer.
Es war ein eigenartiges Schauspiel, als die sauberen, wohlgepflegten
Kinder der Gemeinde uns evangelische Kirchenlieder vorsangen.
Sie hatten gute Stimmen und waren gut eingeübt. Ich wohnte einer
Schulstunde in dem kleinen niedrigen Schulzimmer bei und schied als
guter Freund von der netten Gesellschaft.

[Illustration: Abb. 113. Die christlichen Schulkinder in dem Dorf
Martino.]

Die beiden Ausflüge in die _Belasiza Planina_ erfolgten bei
Dienstreisen von Offizieren. So waren es flüchtige Besuche dieses
Gebirges; sie gaben mir immerhin eine Vorstellung von dem Gebiet.
Auch die Belasiza steigt steil nördlich des Doiransees auf. Ihre von
der Erosion stark verarbeiteten schluchtenreichen Hänge sind in den
unteren Regionen nur von Buschvegetation bedeckt, diese geht etwa
bei 600-700 m Höhe in lichtes Buchengebüsch über, das hier und da zu
Waldungen wird, die in 900-1000 m Höhe zu überwiegen pflegen. Das war
etwa die Höhe des _Bejlik_, des ersten Berges, den ich erstieg. Aber
schon dieser Gipfel mit 1063 m trug über dem Wald eine Mattenregion,
aus der vereinzelte Felsen herausragten. In dem lichten Wald fand
sich typische Gebirgsfauna. Von Schmetterlingen flogen +Mnemosyne+
und +Erebia+-Arten. Auch die Ameisen waren Gebirgsformen der Gattung
+Formica+. Sie bauten Haufen, welche allerdings ziemlich klein waren.
Die Art war +Formica rufa+ L., die auch bei uns oft keine Hügel baut.
In einem Teich fanden sich in etwa 700 m Höhe Molche, welche jetzt noch
im Wasser saßen und scheinbar noch nicht abgelaicht hatten (+Molge
vulgaris graeca+ Wolt.).

Ähnlich stellte sich der etwa 1500 m hohe Gipfel der _Visoka Čuka_ dar;
dieser Berg trug eine Beobachtungsstation unserer Marine, von der aus
vor allem der Doiransee und ein großer Teil der Doiranfront überblickt
werden konnte. Die Besteigung dieses Berges bot landschaftlich viel
größere Reize, als diejenige des _Bejlik_. An vielen Stellen eröffneten
sich Blicke auf den blauen Doiransee, welche sehr eigenartig waren.
Hier stiegen die Buchenbäume bis fast 1200 m hoch am Berg hinauf; auch
hier schloß sich an sie eine Mattenregion, welche in der Umgebung der
Beobachtungsstation von mächtigen Felsblöcken mit zum Teil bizarren
Formen übersät war. Leider konnten wir nicht bis zum höchsten Gipfel
vordringen, der nach Mitteilungen von Offizieren eine formenreiche
alpine Flora beherbergt.

Von der Beobachtungsstation aus war noch eine ganze Reihe höherer
Gipfel zu übersehen, auf denen Mitte Mai noch Schnee lag. Eigenartig
zogen sich über die Hänge des Gebirges gegen den Doiransee die
Stellungen unserer und der bulgarischen Truppen; Schützengräben
und Artilleriestellungen bedeckten alle Höhen und wohlgepflegte
Zufahrtsstraßen sicherten den Nachschub. Sehr malerisch war der Blick
von dem erreichten Vorgipfel der _Visoka Čuka_ nach dem Doiransee
hinunter. An dem dunstigen Tag lag der See lichtblau in der Tiefe;
seine Uferberge umgaben ihn mit einem hellvioletten Rahmen, einzelne
Bergflanken leuchteten rötlich auf. Vor uns aber bildeten die Buchen
mit ihrem frischen Frühlingsgrün und den silbergrauen Stämmen einen
eigenartigen Gegensatz. Sie waren nahe Wirklichkeit, während der ferne
See wie eine Vision aus fernen Zonen den Sinnen entrückt schien (Abb.
75, S. 155).

Eigenartige Erinnerungen sind mir von einer Fahrt an die Wardarfront
bei _Gewgeli_ im Gedächtnis geblieben. Über den Furkapaß ging es am
_Dub_ vorbei gegen die Ebene des Wardar. Weit und flach lag diese
vor mir, als ich vom Gebirge herunter in die kampfreiche Gegend von
_Bogdanci_ kam. Südwärts sah man nur mehr niedere Hügel und sonst nur
Ebene, die sich gegen das Meer hin dehnte, und durch welche der Fluß
seinen Weg zur Aegeis suchte.

Im Dorfe _Bogdanci_ hielten wir uns nur kurz auf; wir waren jetzt im
Kampfgebiet und überall verrieten tiefe Trichter, daß wir im Bereich
der feindlichen Geschütze waren. Das Dorf selbst bestand fast nur
aus Ruinen, zwischen denen die Soldaten sich Unterstände eingebaut
hatten. Mit ihnen hausten eine Unmenge von _Falken_ in den Trümmern,
welche durch alles Schießen sich nicht hatten vertreiben lassen und
in Mauerlöchern horsteten. Es waren mehrere verschiedene Arten, die
in vielen Exemplaren schreiend um die Ruinen flogen, immer wieder in
die Ebene hinausflogen, dort auf Beute hinabstießen und mit ihr zum
Nest heimkehrten. Es waren vor allem _Rötelfalken_ (+Falco naumanni
naumanni+ Fleisch.), doch auch _Turmfalken_ darunter (+F. tinunculus
tinunculus+ L.).

Die Fahrt zum Wardar wurde nun genau überlegt, denn hier war die ganze
Ebene weithin vom Feind eingesehen und selbst einzelne Reiter und Wagen
wurden oft mit Granaten beschossen. Der Wagen sauste in gutem Tempo
quer durch die Fläche zu einem eigentümlich geformten Hügel, der noch
diesseits des Wardar, dicht vor dem Fluß aufragte und in der Armee der
_Tafelberg_ hieß. Dicht hinter ihm begannen die feindlichen Stellungen,
die hier von Engländern besetzt waren.

Es wehte eine frische, kühle Luft über die Ebene, wir fuhren meist im
Gras und selten nur wirbelte unser Auto eine Staubwolke auf. _Lerchen,
Haubenlerchen, Ammern_, hier und da ein _Falke_ flogen vor uns auf.
Wundervoll klar war die Fernsicht auf die Bergketten im Osten und vor
allem auf die schöngeformten Gebirge im Westen. In der Ferne erkannte
man Majadak mit den feindlichen Höhenstellungen. Nach ungefährdeter
Fahrt kamen wir in die Deckung des Tafelberges, wo unser Wagen sicher
warten konnte, bis er zu einem verabredeten Treffpunkt an der anderen
Wardarseite sich in Bewegung setzte. Er mußte eine unbeschossene
Wardarbrücke weiter oben am Fluß zur Überfahrt benutzen.

In die Steilwand des Tafelberges waren Unterstände mit Türen und
Fenstern in den Felsen eingebaut. Der mich begleitende Hauptmann hatte
alle Posten des Nachrichtendienstes zu kontrollieren. Während er dies
besorgte, streifte ich in der Umgebung umher. Sie war wasserreich,
ein starker Bach strebte dem nahen Wardar zu. Seine Ufer waren
von Weidenbüschen eingefaßt, und im Wasser stand ein Dickicht von
Schwertlinien (+Iris pseudacorus+ L.) von gelber und blauer Farbe.
Kleine Vögel huschten durch das hohe Gras jenseits des Wassers.
Zahlreiche Libellen sausten über dem Spiegel des Bachs hin und her auf
der Jagd nach Eintagsfliegen und Mücken, die geruhsam in der heißen
Luft schwebten.

Es war Mittag geworden und vom wolkenlosen Himmel strahlte die brave
mazedonische Sonne herab, als wir uns zu einem Fußmarsch auf der
Landstraße in Bewegung setzten. Dicht vor dem Tafelberg ging eine stark
zerschossene eiserne Eisenbahnbrücke über den Wardar. Ihr mittlerer
Teil lag im Flußbett und das Wasser des hier wohl 150 m breiten
Flusses brauste über ihn hin; er war durch einen Holzbau der Pioniere
ersetzt, der oft erneuert werden mußte. Im Abstand von mehreren Minuten
mußten wir einzeln die Brücke überschreiten, da man sonst vom Feind
beschossen wurde und auch drüben auf der nackten Landstraße mußten wir
in gehöriger Entfernung voneinander marschieren, bis wir zwischen die
zerschossenen Häuser der Stadt _Gewgeli_ kamen.

Der Besuch in _Gewgeli_ gehört zu meinen eigenartigsten Erinnerungen
während meiner Kriegs- und Forscherjahre in Mazedonien. So wollte ich
nicht unterlassen, ihn in diesem Buch zu schildern. Die Straßen einer
großen Stadt waren es, in welche wir drei Männer eintraten; stattliche
weiße Häuser faßten sie ein; zierliche Villen standen dazwischen.
Die breiten Straßen waren von Alleen von Platanen und ausländischen
Bäumen, so der japanischen +Pawlownia imperialis+, eingefaßt. Gärten
lagen zwischen den Häusern, Kirchen und Kapellen ragten auf. Aber wir
drei Männer waren die einzigen lebenden Wesen auf den hellen, breiten
Straßen. Kein Wagen, kein Tier, kein Mensch bewegte sich zwischen den
leeren Häusern. Die Fensterhöhlen gähnten ohne Scheiben, Türen hingen
schief in den Angeln, der blaue Himmel lachte fröhlich zwischen die
dachlosen Mauern herein. Granattrichter unterbrachen hier und da die
glatte Straßenfläche. Ein zottiger Hund schlüpfte mit mißtrauischem
Blick in ein Kellerloch.

Tiefe Stille lag über der großen Stadt, in der früher ein starker
Verkehr, Handel und Wandel geherrscht haben müssen. Große Warenlager,
Fabrikgebäude zeugen davon, daß hier früher ein Mittelpunkt des
Seiden-, Opium-, Wein- und Getreidehandels von Südmazedonien war.
Eingeborene Familien waren nicht mehr da, die ganze Bevölkerung
hatte die mitten in der Front liegende Stadt verlassen. Selten
begegnete uns ein scheuer, zerlumpter Zivilist, der vielleicht nach
den Trümmern seines Hauses gesehen hatte und nun fürchten mußte, als
Spion verdächtigt zu werden. Ich konnte keine Erfahrungen über die
griechische Sprache der Gewgelier machen.

Die Schaufenster der Läden waren zertrümmert; war ein Haus noch
erhalten, so waren Fenster und Türen mit Brettern vernagelt. Wir gingen
auf Schleichwegen durch Höfe und gedeckte Gänge, durch deckenlose
Zimmer, deren Böden von Gras bewachsen waren, zu den tief eingegrabenen
Unterständen der Abteilungen, welche im Bereich der Stadt lagen.
Quartiere waren hier zu gefährlich.

Als der Dienst meines Begleiters erledigt war, verließen wir die Ruinen
der Stadt, um die Horchposten an der Front zu besuchen. Ich begleitete
die beiden Offiziere, weil ich damit den südlichsten erreichbaren Ort
von Mazedonien kennen lernen konnte. Gleich beim Heraustreten aus der
Stadt mußte man sich trennen und sorgsam Deckung suchen, um den Weg
durch das Bett der Ljumnitza zu nehmen, welches jetzt fast trocken lag,
so daß man durchwaten konnte. Hier mußte man schon Abstände von 5-10
Minuten voneinander nehmen, um heil durchzukommen.

Nach einigen Kilometern Marsch ging die Ebene in niedrige Hügel
über. Hier kamen wir über die griechische Grenze; jenseits lag in
Maulbeergärten das Dörfchen _Dzeovo_. Vor diesem erhob sich eine Kette
von lehmigen Hügeln, in denen unsere vordersten Gräben eingebaut waren.
Über diese hinaus reichten die Erdbauten mit den Horchposten, welche
mit feinen Apparaten die Telephon- und sonstigen Gespräche der Feinde
abhörten. Während ich mich dort in den Unterkünften der Mannschaften
nach Malaria- und Pappataccimücken umschaute, nahm ich auch einmal ein
Hörrohr in die Hand und hörte fern von mir drüben die Stimme eines
Franzosen sich herzhaft über einen „bon vin rouge‟ äußern.

Nach kurzem Aufenthalt und frugalem Mittagessen wurde der Rückmarsch
angetreten, der wieder über die _Ljumnitza_, aber diesmal über
eine Brücke vor ihrer Mündung in den Wardar führte. Mit der
gleichen Vorsicht wie am Vormittag wurden die gefährlichen Strecken
zurückgelegt, die Stadt _Gewgeli_ durchwandert, und dann begann ein
schlimmer Marsch auf schattenloser, staubiger Landstraße nordwärts. Es
war sehr heiß geworden, der Weg war lang und sehr ermüdend. Welche
schönen Erinnerungen weckte der Übergang über den _Koinskobach_, der,
von der _Mala Rupa_ kommend, hier dem nahen Wardar zufloß. Frische
Gebirgsluft blies über seinem Wasser die Phantasie mir zu.

So marschierten wir mutig einige Stunden lang weiter. Auch hier war es
nicht gefahrlos; viele Trichter verrieten uns, daß vor kurzem reichlich
Granaten eingeschlagen hatten. Wir hatten Glück, denn wir hörten,
daß am Tage vorher 600 Granaten der Feinde hier beim Artillerieberg
eingefallen waren. Man hatte mir schon vorher anvertraut gehabt, mein
Nachrichtenhauptmann habe stets in solchen Dingen besonderen Dusel.

Es wurde schon abendlich, als wir in der Ferne unser Auto auf der
Landstraße stehen sahen, dessen nicht sehr tapferer Fahrer sich
nicht weiter in die gefährliche Zone gewagt hatte. Aber er hatte
keinen schlechten Platz zum Warten gewählt. Neben der Landstraße
stand ein kleines Haus, in welchem ein altes türkisches Bad von der
Heeresverwaltung reinlich ausgebaut war. In einem Bassin sprudelte das
Wasser einer heißen, schwach schwefelhaltigen Mineralquelle.

Das war nach dem anstrengenden Marsch die erwünschteste Erquickung. Das
heiße Wasser frischte uns auf, der kühle Abendwind trocknete uns auf
der Wiese. Als wir wieder angekleidet in unserem Wagen über Negorci,
Predeci, Smokwiza dem Hain _Mamre_ in der Nacht zusausten, fühlten wir
uns vollkommen erholt und genossen in Gedanken die Eindrücke des Tages.

Bald nach diesem Ausflug kehrte ich vom Hain Mamre nach _Üsküb_ zurück,
wo neue Aufgaben meiner warteten. Ich schied mit dankbarer Gesinnung
von dem trefflichen Kreis, mit dem festen Vorsatz, im Hochsommer
zurückzukehren und noch eine Expedition ins Gebiet der _Mala Rupa_ von
dort aus zu unternehmen. Persönliche Erlebnisse und die Vorgänge auf
den Kriegsschauplätzen, speziell gerade an dieser Front, verhinderten
die Erfüllung dieses meines Wunsches.



VIERZEHNTES KAPITEL

DIE EXPEDITION IN DEN SCHARDAKH


Eine brütende Hitze lag Anfang August 1917 über der Stadt _Üsküb_, als
ich dort verweilte, um von da aus eine Forscherfahrt in die albanischen
Randgebirge ins Werk zu setzen. Im Frühling sieht man aus der Gegend
von Üsküb, wenn der Schnee von den umgebenden Bergen weggetaut ist,
zwei Bergketten, die noch tief in den Sommer hinein schneebedeckt sind.
Die eine liegt südlich der Stadt, man kann sie nur von den Höhen aus
erkennen. Bei jedem Spaziergang außerhalb der Stadt eröffnen sich aber
Blicke gegen die _westliche_ Bergkette, die oft im Abendschein violett
aufglüht und mit ihren schönen Bergformen jedem Landschaftsbild einen
schönen Hintergrund gibt.

Das ist das albanische Randgebirge des _Schardakh_, welches man
von Üsküb stets in zwei Hälften geteilt sieht. Im Nordwesten zieht
sich eine lange Kette bis zu den Vordergrundsbergen, in denen das
Chrombergwerk von Radusche liegt. Diese Nordwestkette hat ihre höchste
Erhebung im _Ljubotren_, dem Liebesdorn der Bulgaren. Er erscheint
vom Wardartal aus als stattliche Pyramide mit schönen Umrissen. Um
ihn herum gliedern sich erheblich niedrigere Berge, so daß er einen
sehr stattlichen Eindruck macht mit seinen etwa 2400 m Höhe. Er ist
oft bestiegen worden, auch von Naturforschern, und auch die Offiziere
und Ärzte Üskübs hatten ihn öfter besucht. So erschien er mir für eine
Forschungsfahrt weniger verlockend, als die südwestliche Gruppe des
Gebirges, die nicht so ausgesprochen kettenförmig zu sein schien. Dort
sah man im Glanz des Abends oft eine Gruppe von mehreren hohen Gipfeln
herüberschimmern, die vor allem im frühen Frühjahr ein prachtvolles
Bild darboten. Unter ihnen wurde uns der höchste als _Kobeliza_, der
Kürbis, bezeichnet. Wenn das auch nicht eine wilde Romantik verhieß, so
erschien uns doch diese Südgruppe des Schardakh manches zu versprechen.
Sie war auch bisher selten von Nordeuropäern besucht worden. So
entschied ich mich bald für diese südliche Gipfelgruppe, die mir höher
aufzuragen schien als der _Ljubotren_, als Ziel unserer ersten größeren
Expedition in Mazedonien.

In jener Zeit bestand das beste Einverständnis mit der
bulgarischen Regierung und Heeresleitung. So konnte ich denn
auf eine verständnisvolle Unterstützung meines Planes rechnen.
Unser Verbindungsoffizier Hauptmann _Lessing_ brachte mich zu
dem Oberstleutnant _Jostoff_, einem Namensvetter des bekannten
Generals, der bei den Bulgaren dieselbe Funktion vertrat. Dieser
liebenswürdige Offizier vermittelte die Beziehungen zu den bulgarischen
Zivilbehörden und vor allem zum Stab der neubegründeten bulgarischen
_Gebirgsdivision_, von der wir mit Reit- und Tragpferden und
Bedeckungsmannschaften versorgt werden sollten.

[Illustration: Abb. 114. Westliche Schneeberge über dem oberen
Wardartal im Frühling. Links Kobelizagruppe, rechts Ljubotren.]

So konnten wir denn am Freitag, den 10. August nachmittags, uns mit
der Kleinbahn vom Bahnhof _Jostoff_ in Bewegung setzen. Unser Ziel
war die Grenzstadt _Kalkandelen_. So hieß sie in türkischer Zeit.
Ihr bulgarischer Namen war _Tetowo_. Es war eine der richtigen
Durchgangsstädte gegen Albanien. Von Kalkandelen aus führt ein Paß nach
_Prizren_.

Auf dieser Reise begleiteten mich zum erstenmal Botaniker. Prof.
_Bornmüller_ und Prof. _Fleischer_ schlossen sich mir an. Meine anderen
Begleiter waren Prof. _Müller_, Dr. _Wülker_, der Insektensammler
_Rangnow_ und unser gemeinsamer Bursche, ein ungarischer Schwabe namens
Michael _Schucha_.

[Illustration: Abb. 115. Kartenskizze der Umgebung von Üsküb mit
Einschluß des Schardakh und der Golesniza Planina.]

Die Bahn führte wardaraufwärts, und zwar lernten wir bei der Fahrt die
ganze Strecke kennen, welche der Fluß von West nach Osten fließt. Der
_Wardar_ hat ja einen eigenartigen Lauf. Er entspringt südlich von
_Kalkandelen_, fließt etwa nordöstlich bis zu dieser Stadt, um dann in
großem Bogen bis Üsküb sich nach Osten zu wenden. Von dieser Stadt aus
strömt er mit der Hauptrichtung nach Südosten dem Meere zu, um westlich
von _Saloniki_ zwischen der Chalkidike und Thessalien in eine große
Bucht des Ägäischen Meeres zu münden.

Bei _Kalkandelen_ durchfließt er ein weites Tal, das südlich von der
_Karaschiza_, nördlich von der Südgruppe des _Schardakh_ begrenzt wird.
An letzterem angelehnt liegt malerisch die Stadt _Kalkandelen_.

Im letzten Teil der Bahnfahrt zeigte sich zur Rechten eine hohe
Bergkette, deren Abschluß, die _Kobeliza_, das Ziel unserer Expedition,
mächtig vor uns aufragte. Das Tal ringsum war gut angebaut und
bewässert. Die Stadt lag, weitläufig angelegt, in Pflanzungen
eingebettet. An die Berge geschmiegt, machte sie einen sehr einladenden
Eindruck. Das Gebirge selbst bot uns seine waldlose Seite dar, kahle
schroffe Felsen schienen vorzuherrschen.

Am Bahnhof wurden wir von einem vom Stab der Gebirgsdivision
gesandten Dolmetscher abgeholt. Wagen standen bereit, unser Gepäck zu
transportieren. Wir stiegen in einen stattlichen, sauberen Landauer
ein, dessen Kutscher uns in rasendem Galopp zur Stadt fuhr, von der der
Bahnhof etwas abgelegen war. Für Mazedonien klappte alles auffällig gut.

Rasselnd, unter Peitschenknall, in fast zu flottem Tempo über hartes
Steinpflaster klappernd, führte uns der Wagen durch die Straßen
der Stadt, über einen freien Platz, schließlich durch eine steile
enge Gasse bergauf zum Offizierskasino. Hier sollten wir Gäste des
Offizierkorps bei den Mahlzeiten sein, während wir für die Nächte auf
Bürgerquatiere in der Stadt verteilt wurden.

_Kalkandelen_ macht einen recht sauberen und sympathischen Eindruck.
Vor allem als Gegensatz zu dem verstaubten und verkommenen _Üsküb_
wirkte er sehr freundlich auf mich. Hier hatte der Krieg keine
so furchtbaren Spuren hinterlassen als an den großen Heerstraßen
Mazedoniens. Keinerlei Zerstörungen waren an den Häusern der Stadt
zu sehen, keine verlassenen Gehöfte, nichts von dem Verfall und der
Vernachlässigung, wie ich sie in den bisher besuchten Gegenden, im
Wardartal und an der Front überall angetroffen hatte. Hier hatte der
Krieg nicht getobt, wenn er natürlich auch für diese entlegene Stadt
seine Folgen gehabt hatte. Hier hielten die Leute noch etwas auf
sich selbst, auf ihren Besitz, ihre Häuser und Höfe. Sie gingen gut
gekleidet und sahen einem offen und freundlich ins Gesicht, nicht
mit dem gedrückten und scheuen Blick der Frontbewohner. Man hörte
Frauenstimmen singen, sah jubelnde und spielende Kinder. Das waren für
mich neue Eindrücke.

Ich freute mich, hübschere Mädchen auf den Straßen oder abends mit den
großen Kupferkannen zum Brunnen zu gehen, mit munterem Geplapper an den
Straßenecken stehen zu sehen.

[Illustration: Abb. 116. Kalkandelen (Tetowo) gesehen vom Hang jenseits
der Sarska.]

Im Quartier wurde man freundlich aufgenommen. Die Häuser waren
hier durchweg die typischen türkischen Stadthäuser, wenn auch die
vornehmeren Familien, bei denen wir als Ehrengäste einquartiert wurden,
alle bulgarisch waren. Meist stand das Haus im Hintergrund eines großen
viereckigen Hofes. An dessen beiden Seiten oder meist nur an einer von
ihnen zogen sich niedrige Wirtschaftsgebäude und Dienstbotenwohnungen
hin. Das Wohnhaus war meist zweistöckig, im unteren Stockwerk befanden
sich die Räume, in denen Gäste empfangen wurden, und in welchen die
erwachsenen Familienmitglieder sich tagsüber aufhielten. Im oberen
Stockwerk waren die Schlaf- und Wohnzimmer. Das Zimmer, welches mir
überlassen war, offenbar das Staatszimmer des Hauses, besaß an zwei
Seiten je drei Fenster, war daher hell und luftig.

Um alle Wände herum liefen Diwans; diese waren mit handgefertigten
Spitzen und Häkelarbeiten, die mit rotem Stoff unterlegt waren,
überzogen. An einer Wand stand eine Kommode, an einer anderen ein
Glasschränkchen. In diesem waren die Kostbarkeiten der Familie
aufgestellt. Eine Standuhr auf der Kommode ging nicht. Daneben standen
Gefäße aus Glas und Kupfer, selten ein emailliertes Kästchen oder dgl.
Dazu nur primitive Photographien, hier und da einmal ein Stich mit
Kriegserinnerungen, historischen Szenen, Landschaften oder ein blinder
Spiegel. Alles etwas verstaubt und vernachlässigt. Die Schlösser der
Türen schlossen nicht, die Fenster ebensowenig, Scheiben fehlten.
Aber das ganze Zimmer war sehr sauber gehalten. Das Bett, welches in
einer Ecke für mich aufgestellt war, mitteleuropäisch ausgestattet,
mit weißer, blitzblank reiner Wäsche und warmer Steppdecke. Die Kissen
mit schön gestickten Überzügen waren offenbar die beste Bettwäsche der
Familie.

[Illustration: Vermessungsabt. 21 phot. Abb. 117. Hof eines
mazedonischen Bürgerhauses.]

Morgens früh brachte ein kleines Mädchen, wohl die Tochter eines
der Dienstleute, mir in kleiner Porzellantasse auf silbernem Tablett
heißen türkischen Kaffee. Das Waschgeschirr bestand aus einer ziemlich
flachen Messingschale, zu der eine ebenso schön getriebene Messingkanne
gehörte. Die übliche Waschprozedur war recht einfach. Man läßt sich
über der Waschschale das Wasser über die Hände gießen, wäscht diese
und reibt sich mit ihnen das Gesicht ab und die ganze Reinigung
ist erledigt. Also im ganzen orientalisch-türkische Sitte, von den
Bulgaren, wie die Hauseinrichtung ohne viel Änderung übernommen. Der
Hof war auch hier nach türkischer Sitte zum Teil bepflanzt. Rebenlauben
überdachten manche Teile, Oleander, Lorbeer und Granatapfelbäume
standen in Kübeln umher, auch schattenspendende Bäume und Blumenbeete
waren angepflanzt. Meist plätscherte ein Brunnen inmitten des Hofes;
vor allem nachts war dies das einzige Geräusch, welches in das
wohlgeborgene Haus drang. Bei Tag ertönte oft fröhlicher Kindergesang
von einer munteren Schar, die unter dem Rebdach saß und spielte und den
Fremdling freundlich begrüßte.

Abends saßen wir mit den Offizieren im Kasino und besprachen unsere
Pläne. Es waren meist Herren von der Intendantur. Die Truppen der
Division lagen in der Umgegend, der Stab in einem berühmten Kloster
eine Stunde entfernt von Kalkandelen.

Am ersten Morgen fand der übliche feierliche Empfang in der Präfektur
statt. In einem großen Saal mit Teppichen und Fahnen an den Wänden
wurden wir durch eine längere Ansprache des Präfekten geehrt, auf die
ich antworten mußte. Der Präfekt, in Friedenszeiten Gymnasiallehrer
für Chemie in Sofia, zeigte volles Verständnis für unsere Pläne
und versprach uns die Hilfe der Zivilbehörde als Ergänzung der
militärischen Unterstützung, die uns in Aussicht gestellt war.

Nachmittags 3½ Uhr sollte der Abmarsch erfolgen, um die kühlen
Abendstunden zum Anstieg bis auf eine gewisse Höhe auszunützen. In der
engen Straße beim Kasino bildete sich alsbald eine höchst malerische
Kolonne. Wir waren 7 Deutsche, zu denen 11 bulgarische Soldaten kamen,
welche als Pferdeknechte und Bedeckungsmannschaften uns begleiten
sollten. Die meisten der Soldaten, ebenso ihr Unteroffizier, der
Tschausch, waren Mohammedaner. Die meisten sprachen nur türkisch.
Dolmetscher hatten wir keinen, so war die Verständigung unterwegs
vielfach nicht einfach, da nur unser ungarischer Bursche einigermaßen
bulgarisch sprach. Wir kamen aber mit den gutmütigen Leuten recht gut
aus.

Sechs gut gesattelte Reitpferde standen für uns Deutsche bereit, die
Soldaten waren ebenfalls alle beritten. Dazu kamen 10 Saumpferde,
welche unsere Zelte, Decken, Kisten, den Proviant und die ganze
Ausrüstung zu tragen hatten.

Jeder von uns suchte sich ein geeignetes Reitpferd aus, wobei
diejenigen, welche keine Reiter waren, etwas ängstliche Gesichter
machten. Die Botaniker, die schon viele Reisen in Kleinasien, Persien
und sonst im Orient hinter sich hatten, hatten schnell gewählt. Auch
ich erfaßte die Zügel eines großen, schlanken Pferdes, welches mit
ganz neuem Zaumzeug sehr gut ausgestattet war. Ich prüfte die Gurten,
paßte die Zügel und Bügel an und als ich die Satteltaschen öffnete,
um photographischen Apparat und Sammelgeräte in ihnen unterzubringen,
entdeckte ich zu meinem Erstaunen am Sattelzeug dieses bulgarischen
Armeepferdes einen deutschen Firmenstempel, und wie überrascht war ich,
als ich da las: Handelskammer Freiburg i. Br. Also die Stadt, in der
meine Universität sich befand, in der meine Lieben damals weilten, die
hatte mein Sattelzeug geliefert. Ich sah dies als ein gutes Omen an,
als ich mich zum Abritt mit unserem Führer an die Spitze der Karawane
begab.

Bald saßen alle im Sattel; klappernd und hufeklirrend bewegte sich der
lange Zug durch die engen Gassen zum Berghang. Wir blieben auf dem
linken Ufer des brausenden Flüßchens, das vom Schardakh herunter kam
und in wilder Felsenschlucht tief unter uns über die Steine brauste.

Es war die _Sarska_, deren Tal wir beim Ritt dieses Nachmittags einige
Stunden verfolgen mußten. Hoch über dem rauschenden Flüßchen kletterte
der Saumpfad den Berghang hinauf. Mit vorsichtigem Schritte suchten
die Pferde ihren Weg über die glatten Steine und brachten uns flink
vorwärts. Bald klomm der Pfad hoch am Hang in die Höhe, um dann wieder
bis zum Wasser des Baches niederzusteigen.

Der Rückblick auf das malerische, in Grün gebettete und von Grün
umgebene _Kalkandelen_ war prachtvoll; aus dem Gewirr der Häuser
erhoben sich Minarets und Kirchtürme. Als wir etwa 7-800 m Meereshöhe
erreicht hatten, wurde die Paßstraße breiter, schöne Wiesen, auf denen
Heu lag, Haferfelder breiteten sich aus. Was aber der Gebirgslandschaft
einen besonderen Reiz verlieh, waren die mächtigen, alten Bäume, die
mit ihren dunklen Stämmen immer neue, wechselnde Umrahmungen der
Gebirgslandschaft bildeten. Vor allem fielen die alten, gewaltigen
_Edelkastanien_ auf, welche mit ihren gerundeten, üppigen Kronen
eigenartig von den schroffen Felsen sich abheben. Sie sind in
Mazedonien nicht häufig und außer hier im Sarskatal habe ich sie nur
auf dem Wodno bei Üsküb angetroffen.

Auch andere stattliche Bäume vervollständigten den üppigen Eindruck
dieser Oase im Felsenland. Eichen und Nußbäume erhoben sich neben
allerhand Obstbäumen, an denen noch reichlich Früchte hingen. Um
saftige Wiesen dehnte sich üppiges Buschwerk von Haselnuß- und
Erlensträuchern aus. Bei einer starken, zum Fluß hinabplätschernden
Quelle breitete sich ein grüner Rasen aus, umgeben von knorrigen
Weiden. Auf der Wiese blühten dunkelrote Skabiosen, am Wasser weiße
Doldenpflanzen und duftende Minze. Um die Blüten schwirrten Hummeln
und Bienen, auf ihnen saßen Käfer, vor allem wie Edelsteine glänzende
Chrysomelen (+Chrysomela menthastri+ Suffr.).

[Illustration: Abb. 118. Sarskatal, im Hintergrund Kobeliza.]

Durch die Kronen der Bäume öffneten sich jetzt Blicke auf die
_Kobeliza_ und die umgebenden Bergmassen mit ihren steilen
Felsenhalden, Waldbeständen und schimmernden Matten.

Sicher und brav stiegen unsere Pferdchen weiter den Pfad hinan, der
jetzt schmal und verwegen hoch über der Schlucht am Felsen entlang
führte. An einer breiteren Stelle des Tales lag über dem Bach uns
gegenüber in etwa 900 m Höhe das Dorf _Brodeč_. Die albanischen
Bergdörfer mit ihren braunen Häuschen und den grauen Dächern, von
Bäumen beschattet, am Berghang angelehnt, boten höchst malerische
Bilder, in der feinen Nachmittagsstimmung in silbergrauem Schimmer
Erinnerungen an japanische Dörfer wachrufend.

Der Ritt verlief nicht ohne Abenteuer. Als der Pfad steil zum Bach
abstieg, rutschte Herr _Müller_ plötzlich samt dem ganzen Sattelzeug
über Hals und Kopf seines steil abwärts schreitenden Pferdes hinunter
und schlug nahe am Abgrund einen Purzelbaum auf dem Saumpfad. Als wir
erschreckt heranritten, schnupperte sein Pferd ganz behaglich an ihm
und er stand lachend, zum Glück unbeschädigt, auf, um bald auf das
wieder gesattelte Pferd zu klettern. Ähnliche Abenteuer passierten
jedem der Teilnehmer der Expedition, da unsere Bulgaren mit den Pferden
nicht so sorgfältig umgingen wie deutsche Soldaten und unsere Leute
nicht viel von Pferden verstanden. So mußte jeder von uns regelmäßig
sein Pferd sorgfältig nachsatteln. Doch verlief die Reise in den
Schardakh ohne wesentlichen Unfall.

Abwärts in die Schlucht führte der Pfad über den jetzt schon viel
kleineren Bach, jenseits schon am Hang der Kobeliza hinauf und dann
steil abwärts zu dem hochgelegenen Dorf _Vešal_. Durch eine Schlucht
gelangten wir in das 1150 m hoch gelegene Dorf, welches im Verlauf des
Balkankrieges verlassen worden war und dessen meiste Häuser nun halb
oder ganz zerstört waren. Ein noch ziemlich erhaltenes großes Haus
sollte uns als Herberge dienen; es war zu solchem Zweck vorbereitet
und mit einem Hängeschloß versperrt, zu welchem wir den Schlüssel
mitbrachten. Ein großer Raum war am Boden mit Teppichen belegt. In
diesem schlugen wir unser Quartier auf. Wir waren mit Decken wohl
versehen; die konnten wir gut gebrauchen, denn in dieser Höhe war auch
Mitte August die Nacht recht frisch.

In einem anderen Raum wurde abgekocht und müde nach den anstrengenden
Vorbereitungstagen sanken wir auf die Teppiche nieder, um einen
erquickenden Schlaf zu halten.

Es war etwas ungewohnt auf dem Boden, auf den nicht ganz sauberen
Teppichen zu schlafen, von denen wir nicht wußten, wer sie vorher
benutzt hatte. Zudem hatte man uns vorher gewarnt, die albanischen
Dörfer seien sehr verlaust und von Fleckfieber verseucht. Aber wir
blieben von Ungeziefer verschont. Später habe ich mich an diese Art von
Quartier gewöhnt und nicht selten in solchen Räumen geschlafen.

Abends hörten wir noch von uns besuchenden Einwohnern, daß in den
benachbarten Bergen Gemsen lebten und sie versprachen uns solche zu
jagen.

Der nächste Morgen, Sonntag, den 12. August, fand uns schon früh auf
den Pferden, schief am Berghang aufwärts reitend. Wir waren jetzt in
einer prachtvollen Gebirgslandschaft. Die steilen, felsigen albanischen
Berge erhoben sich ringsum zu beträchtlichen Höhen. Hier und da
glänzten Schneefelder zu uns herüber. Steile Felsen warfen blaue
Schatten auf weite Matten und stattliche Wälder erhoben sich an den
Hängen.

Wir durchritten ein Bachtal, dessen einer Hang von steilen Felsen
gebildet war, während die Höhen der anderen Seite über der Steilwand
einen Buchenwald trugen, über denen Coniferen, offenbar Weißtannen,
sich erhoben. Ein halb ausgetrockneter Bach kam das Tal herab, welches
weiter oben üppige Vegetation zeigte, dazwischen Buchengebüsch,
in welchem prachtvolle Exemplare einer _Fingerhutart_ mit gelben,
rostbraun gefleckten Blüten standen (+Digitalis ferruginea+ Gris).

Etwas weiter oben, bei 1675 m Höhe, beobachteten wir die ersten
_Appollofalter_. Außerdem umflogen die Blüten viele Hummeln und kleine
Bienenarten.

Herr _Müller_ fing hier Exemplare des _Taufrosches_ (+Rana temporaria+
L.), ein interessanter Fund, da sein Vorkommen hier im Gebiet noch
nicht bekannt war. Die Botaniker machten gute Ausbeute, vor allem als
wir steilansteigend bei etwa 2000 m Höhe an einer steilen Felsenwand
entlang einen Sattel überschritten, von wo wir wieder auf 1600 m
herabstiegen, wo ein geeigneter Lagerplatz mit reichlich Wasser sich
fand. Wir lagerten an einem Steinhang vor einer großen Rasenfläche, auf
der eine kleine, strohgedeckte Hütte lag, die von Schafhürden umgeben
war. Hier sollten wir auf Anordnung der Behörden von Kalkandelen mit
Sennereiprodukten versorgt werden. Das war also ein sehr geeigneter
Standort für unsere Unternehmungen an der Kobeliza.

Zunächst fielen uns wütend ein paar mächtige Hunde an, jene prächtigen
mazedonischen Hunde, welche ich stets bei den Hirten im Gebirge
antraf. Sie beruhigten sich, als wir in der Entfernung von ½ km unsere
sechs Zelte aufschlugen. Ein lebhaftes Lagerleben entfaltete sich,
während die Pferde abgesattelt und auf die Weide getrieben wurden, die
Zelte allmählich erstanden und Lagerfeuer aufflammten, an denen unser
Essen zubereitet wurde.

Als die Dämmerung herabsank, die Sonne noch in unserem Rücken die
spitzen Gipfel der Kobeliza umstrahlte, kamen die Herden zur Sennhütte,
die man hier _Mandra_ nennt, von den höher gelegenen Weiden zurück. Es
waren hauptsächlich Schafe, von denen viele Hundert herangetrieben und
in den Hürden für die Nacht zusammengedrängt wurden. Die Hirten kamen
uns zu besuchen und brachten uns vorzüglichen Yogurth, Milch und Käse.
So konnten wir getrost den kommenden Tagen entgegensehen.

[Illustration: Abb. 119. Mandra (Sennhütte) auf dem _Kobeliza_anger
1700 m.]

Die Nacht sank herab und ein klarer Sternhimmel spannte sich über
uns aus. Wie durchsichtig war die Luft in dieser Höhe; wie zog man
genießend die frische Bergluft in die Lungen ein und ruhte sich von
Staub und Gluthitze aus, aus denen man für einige Tage erlöst war.

Wir hatten einen sehr geeigneten Platz ausgesucht, um das umliegende
Gebiet zu erforschen. Unmittelbar hinter unserem Lager stieg der Gipfel
der Kobeliza kegelförmig an, zunächst felsig, nach oben aber in Matten
übergehend. Sie ist ein typischer _Grasberg_, vor allem zogen sich von
unserer, der Ostseite, die Matten bis zum Gipfel, während nach Süden
schroffe Kalkfelsen steil abfielen.

Schon früh am nächsten Morgen brach ich auf, um zunächst den Gipfel
der Kobeliza zu ersteigen. Ich kletterte zuerst durch steile weiße
Kalkfelsen, welche sich malerisch hinter unserem Lager erhoben. Über
den Hängen flogen _Steinrötel_ (+Monticola saxatilis+ L.) dahin.
Die Matten zwischen den Felsen trugen eine reiche Pflanzenwelt.
In der unteren Zone gab es noch einzelne Buchenbüsche, dazwischen
_Wachholder_, eine Art hoch, buschig wachsend, eine zweite Form
die gleiche, welche ich auf der Mala Rupa beobachtet hatte, am
Boden hinkriechend, ein zartes Polster bildend (+Juniperus nana+
Willd.). Zwischen 1600 und 1700 m Höhe wuchsen Himbeeren und
Erdbeeren, allerdings jetzt ohne Blüten und Früchte, dazwischen ein
Gänseblümchen, reichlich _Fingerhut_ (+Digitalis ferruginea+ Gris.),
zwei Stiefmütterchenarten. Sehr charakteristisch für diese Region
waren die zahlreichen _Eberdisteln_, deren weiße, starre Kronen,
überall dicht an den Boden gedrückt, aufleuchteten (+Carlina acaulis+
L.). +Silene+-Arten blühten zwischen den Steinen und vor allem freute
mich, heimatliche Erinnerungen an die bayerischen Berge weckend,
ein weißes Studentenröschen (+Parnassia palustris+ L.), welches an
feuchteren Stellen stand. In Mulden an geschützten Plätzen erhoben
sich stattlichere Pflanzen, +Veratrum album+, verschiedene hohe
_Königskerzen_ (+Verbascum longifolium+ Ten.) und eine Anzahl mächtiger
Distelarten bildeten da große Bestände. Zwischen den Steinen standen
viele Exemplare einer Wolfsmilchart. Die _Disteln_ waren +Cirsium
candelabrum+ Gris. und +C. appendiculatum+ Gris.

Der Aufstieg ging steil über offenes Gelände weiter; vor mir erstreckte
sich ein unendlich erscheinender grasiger Abhang, südwärts ragten
steile weiße Felsen auf. Als ich etwa die gestern überschrittene
Paßhöhe mit 1900 m erreicht hatte, begann die Pflanzenwelt allmählich
alpinen Charakter anzunehmen. Hohe Stöcke von +Geum montanum+ L. mit
den tiefgelben Blüten, eine Art von +Euphrasia+, eine stattliche
Primel (+Primula columnae+ Ten.), Glockenblumen (+Campanula pusilla+),
Steinbrecharten, eine schöne _Storchschnabelart_ mit großen roten
Blüten (+Geranium subcaulescens+ L'Hér.) wuchsen hier nebeneinander
und boten, da viele von ihnen noch in Blüte standen, einen bunten
reizvollen Anblick dar.

An einem Einschnitt floß das Wasser einer kleinen Quelle rauschend die
Wiese hinab. Es war in einer Höhe von 2000 m. Am Rande des Bächleins
und unter den Steinen gab es hier _Regenwürmer_, große _Laufkäfer_
(+Pachystus cavernosus+ E., +Carabus violaceus rilvensis+ Kolbe), und
die üblichen Flohkrebse (Gattung +Gammarus+), welche man hierzulande in
fast jedem Brunnen findet. In der Nähe des Wassers fanden sich Ameisen
unter Steinen, so die überall so häufige Rasenameise (+Tetramorium
caespitum+ L. und +Formicina mixta+ Nil. var. +mixto-umbrata+ For.).

Nun stieg ich steil weiter über einen eigenartig gleichmäßigen Rasen
eines dunkelgrünen Grases. Einzelne Blüten der unten gefundenen
Pflanzen lockten Schmetterlinge von dunkler Farbe mit blauen Flecken
(+Erebia sp.+) und Bläulinge an.

Ebenso wie die Pflanzenformen, so wurden in der Höhenregion zwischen
2200 und 2500 m die Insekten ausgesprochen alpin. Es zeigte sich
ein charakteristischer Unterschied gegenüber den Erfahrungen auf
der einige hundert Meter niedrigeren und um einige Grade südlicher
gelegeneren _Mala Rupa_. Vor allem waren hier oben die ausgesprochenen
Hochgebirgsschmetterlinge vertreten, die zum Teil den Formen unserer
Hochalpen nahestanden. Dort waren wir auch einer Gebirgsfauna begegnet,
der aber die ganz typischen Hochgebirgstiere fehlten. So möchte ich als
besonders wichtigen Fund +Erebia tyndarus macedonica+ Buresch erwähnen,
der auf der _Mala Rupa_ durch +E. t. balcanica+ Rbl. vertreten war. Die
hier fliegende Form steht unserer Hochalpenform von +E. tyndarus+ viel
näher.

Von anderen Arten dieser schönen dunkelbraunen oder tiefschwarzen
Falter mit den leuchtend blauen Augenflecken, die reichlich in der
Höhenzone der Kobeliza vertreten waren, seien genannt +Erebia lygaea+
L., +E. epiphron orientalis+ Elw., +E. rhodopensis+ Bur. und +E.
pronoë+ Esp., eine ganz stattliche Zahl von Arten.

Andere interessante Schmetterlinge waren +Epinephele lycaon+ Rott.,
+Coenonympha tiphon forma rhodopensis+ Elw., ein stattlicher _Bläuling_
(+Lycaena corydon+ Poda), der in Mitteleuropa in der Tiefe, hier
als alpiner Schmetterling lebt. Eine Höhenform ist schließlich die
_Hesperide_ +Angiades comma+.

Bemerkenswert für die Höhenregion der Kobeliza ist das Vorkommen
von Hummeln von nordischem bzw. hochalpinem Typus. In der unteren
Grenze dieses Gebiets bei 1400-1600 m flog +Bombus lapponicus+ var.
+pratincola+ Nyl., weiter oben die var. +alpestris+ Friese, var.
+helveticus+ Friese und var. +balcanicus+ Friese, letztere ganz hoch
oben auf den Matten über 2000 m.

Die einzigen Spinnentiere, die ich in dieser Region fand, waren
_Weberknechte_; es fanden sich zwischen 1500 und 2000 m unter Steinen
ziemlich häufig +Phalangium cornutum+ T., seltener +Egaenus convexus+
C. L. Koch, dieser letztere hier das einzige Mal in Mazedonien.

Prof. _Müller_, der, vom nördlichen Abhang kommend, hier zu mir
stieß, gelang in diesem Gras ein interessanter Fang. Er fand hier
eine eigenartige Kreuzotternart, die Großaugenviper (+Vipera macrops+
Méhély), welche bisher nur aus Bosnien und der Herzegowina bekannt
war. Die Art gleicht unserer Kreuzotter in der dunkeln Färbung und dem
Zickzackband des Rückens, frißt aber nicht Mäuse wie diese, sondern
vorwiegend Heuschrecken.

Von hier aus begann der Aufstieg sehr ermüdend zu werden; abwechselnd
ging es über Rasen und Felder von Steintrümmern. Immer wieder täuschte
ein aufragender Buckel uns den Gipfel vor. Endlich verriet uns ein
Steinmanderl, das wer weiß wer hier oben errichtet hatte, den Gipfel.

Hier überraschte mich ein so überwältigend großartiger Rundblick,
daß ich beschloß, lange Zeit auf dem ganz kleinen Raume des Gipfels
zu verweilen, hier oben in der Sonne zu liegen und das umliegende
Gebirge genau zu studieren. Tatsächlich blieb ich mehrere Stunden
lang in dieser wundervollen Höhe, da allmählich von verschiedenen
Seiten ansteigend alle Teilnehmer der Expedition sich auf dem Gipfel
versammelten.

Die Ausbeute war für uns alle hier oben nicht allzu groß. Solche
Grasberge pflegen weder faunistisch noch floristisch große Ausbeute zu
liefern. Zumal war es jetzt Mitte August, somit für den Botaniker etwas
spät im Jahre für diese Höhenzone. Ich bestimmte die Gipfelhöhe auf
etwas über 2500 m. Offenbar war es der höchste Gipfel des Gebirgsstocks.

Die meisten Alpenplanzen waren schon verblüht. Immerhin machten
unsere Botaniker auch hier einige interessante Funde, meist an schon
samentragenden Pflanzen. Jetzt blühten noch einige Steinbrecharten,
Nelken, Silenen und überall lugten zwischen Moos und niederem Gras die
blauen Sternchen der _Alpenaster_ (+Aster alpinus+ L.) hervor. Etwas
weiter unten blühte eine _Glockenblume_ (+Hedraeanthus kitaibelii+
DC.), hier oben stand das zierliche _Sandglöckchen_ (+Jasione supina+
Sieper.) und mit Freuden entdeckte unser Botaniker _Bornmüller_ die
ersehnte _Balkandrottel_blume (+Soldanella pindicola+ Hauska.).

Wie immer versammelten sich hier in der Gipfelregion allerlei fliegende
Insekten, vor allem Fliegen aus der Familie der +Oestriden+, von
Schmetterlingen einige dunkle Erebien. Herr _Müller_ erbeutete hier die
auch bei uns vorkommende Gebirgseidechse (+Lacerta vivipara+ Jaen.),
auch ein wissenschaftlich bedeutungsvoller Fund.

[Illustration: Abb. 120. Gipfel der Kobeliza 2500 m.]

Aber mehr als diese wissenschaftlichen Beobachtungen bedeutete mir die
wundervolle Landschaft, welche vom Gipfel aus nach allen Seiten sich
um mich ausbreitete. Ich wußte nicht, in welche Himmelsrichtung ich
zuerst blicken sollte. Ich wandte mich von einer Seite zur anderen,
meine Augen tranken voll Wonne all die Schönheit in sich und die
ganzen Stunden lang erfüllte mich ein Gefühl des Glückes in dieser
menschenfernen Einsamkeit. Hier war ich einmal wirklich fern dem Krieg
und den sich hassenden Menschen. Hier tönte der Lärm der Kämpfe nicht
herauf und nur die Uniformen, mit denen wir bekleidet waren, erinnerten
daran, in welcher Zeit all die Vertreter friedfertiger Berufe sich hier
versammelt hatten.

Es war ein schöner Sommertag; am dunkelblauen Himmel schwebten mächtige
weiße Wolkenballen hoch über den Bergen und warfen ihre wandernden
Schatten auf deren Hänge. Vor allem großartig war der Blick nach
Süden; über den Rasenhang vor uns senkte sich der Berg steil zu einem
grasbewachsenen Vorberg hinab, den ein dunkler Wolkenschatten scharf
vom Hintergrund abhob. Von seinem kahlen Rand mußte es schroff sich
zum Tal und zur Paßstraße nach Prizrend hinabsenken; denn blau und
zart hoben sich jenseits schon die nächsten Berge von ihm ab. Lange
Hochtäler zogen südwärts bergan, von Bergketten eingefaßt, deren
beide Flanken man von unserer Höhe viele Kilometer weit nach Süden
überblicken konnte, bis sie dort in hohe Gipfel übergingen, deren
Nordhänge Schneefelder bedeckten. Silbern blinkte aus jedem Tal der
Bach herauf, dessen Zickzackband auf beiden Seiten vom Bergkamm
gleichsam nachgeahmt wurde. Eine ungezählte Menge von Tälern und
Schluchten modellierten die Seiten der Bergketten, zwischen denen hier
und da ein grüner Rasen, eine dunkle Waldgruppe auftauchten.

Steile Felshänge und mächtige Schutthalden verrieten auch hier die
Arbeit von Wasser, Eis und Wind, welche diese grandiosen Formen
gestaltet hatten. Fast stahlblaue Flecken wurden von den Wolkenschatten
über weite Gebiete gebreitet. So wie mit der Wolke ihr Schatten weiter
wanderte, traten im Licht der Sonne alle Einzelheiten der Landschaft
scharf hervor, jede kleine Kuppe, jede Schrunde, jeder Felsen und
Sturzbach kam dem Auge gleichsam entgegen geeilt. Im Hindergrund der
Täler, wo sie allmählich in den Wänden der hohen Berge verstrichen, lag
in der Tiefe leichter Dunst.

Darüber aber hoben sich in kristallener Klarheit die gewaltigen
Kegel mächtiger Hochgipfel; prachtvolle, edle Formen zeigten diese
albanischen Berge mit ihren kühnen Umrißlinien.

In allen Abstufungen reiner blauer Töne modellierten sich ihre steilen
Abstürze und breiten Flanken. Feine violette Schatten mischten sich am
Nachmittag dazu, prachtvoll die zahlreichen Schneefelder aufblinken
lassend, die uns anzeigten, daß dort die Gipfel annähernd so hoch wie
unser Standort oder noch höher waren.

Zart verschwamm Kette hinter Kette in von der Sonne durchgoldetem
Blau. Ganz im Süden, fern von uns schimmerten die gewaltigen Zinnen
eines Bergstocks von beträchtlicher Höhe. Wie ein Feenpalast erhob
dies Massiv seine eis- und schneebedeckten Massen über den kleineren
Gebirgen vor ihm. Glitzernd wurden die Strahlen der Sonne von seinem
Nordhang uns zugeworfen. Wir erkannten in ihm den _Korab_, ein Gebirge
mit Gipfeln von etwa 3000 m Höhe, welches nordwestlich vom Ochridasee
gelegen ist.

[Illustration: BLICK VOM KOBELIZAGIPFEL, südwärts.]

Ganz anders geartet war der Blick nach Norden, da zog die Kette des
Schardakh in düsterer Nacktheit gegen den Ljubotren hin. Schroffe,
kahle Felsenberge bildeten eine lange Kette, deren hintere Berge den
Gipfel des Ljubotren offenbar verdeckten, denn wir konnten diesen
nicht mit Sicherheit erkennen. Steil fiel der Abhang von uns hinab in
die Mattenregion, welche sich um den Gipfel der Kobeliza ostwärts bis
zur Gegend unseres Lagers hinzog. Direkt uns gegenüber stiegen steile
Felsenwände senkrecht mehrere hundert Meter hinan zu einem scharfen
Kamm. Etwas östlich führten in sanfter Neigung von der Mattenregion
Rasenflächen zu einem breiten Buckel, der sich an den Felskamm
anlehnte, vor uns aber ihm gegenüber mit steiler Felswand eine Schlucht
begrenzt.

Auf dem Rasen des Buckels weideten tausende von Schafen, von oben herab
sah jedes wie ein heller oder dunkler Punkt aus. Die Hunde, welche um
die Herden herumtobten, trieben sie immer wieder zu dichten Haufen
zusammen, welche wie Wölkchen aussahen, die immerfort ihre Gestalt
änderten. Ganz seltsam wurde das Bild, als plötzlich zwischen uns und
den Herden ein Adler seine Kreise zog. Da drängten sich alle Schafe zu
einem mächtigen Haufen zusammen und liefen erst wieder auseinander,
als der große Vogel mit majestätischem Schwung über die Felswände
emporstieg.

Westwärts begann unterhalb des kegelförmigen Rasengipfels der
Kobeliza ein steiler Grat, der vor allem nach Süden schroff abfiel.
Auch nach Westen trennte uns ein Steilabfall von der anschließenden
Kette albanischer Berge. Eigenartig hob sich der weiße Kalkstein der
Gipfelregion von dem in dieser Höhe noch recht frisch grünen Rasen ab,
in welchem die blauen Sternchen der _Alpenaster_ an vielen Stellen
aufleuchteten.

Dunkle Wolkenschatten lagen auf den jenseitigen Bergen, welche unsere
albanischen Begleiter die _Hasanitza_ nannten. Wir stritten uns
lebhaft, ob ein dort zu Tal prasselnder Steinschlag von einem Rudel
Gemsen losgelöst sei, oder ob so hoch oben Vieh weiden könne. Die Leute
erzählten uns viel von den _Gemsen_, die tatsächlich in diesem Gebiet
nicht selten sein müssen. Unsere Versuche, an solche heranzukommen
oder während unseres Aufenthalts sie von den albanischen Jägern erlegt
zu bekommen, scheiterten an der Kürze des Aufenthalts, der uns hier
oben vergönnt war. Daß wirklich Gemsen hier vorkommen, das wurde mir
sicher, als mir beim Abstieg der Bürgermeister des Dorfes _Selče_ ein
prächtiges braunes Gemsenfell, eine schöne dicke Winterdecke, zeigte
und mir ein paar Krickeln schenkte. Besonders schön und eigenartig
war die Aussicht nach Westen; in dieser Richtung waren die Gebirge
niedriger, so daß der Blick sich in unendliche Fernen erstrecken
konnte. Zahlreiche Gebirgsketten zogen hintereinander von Süden nach
Norden, manche von ihnen in klaren, eigenartigen Formen greifbar nahe
vor uns liegend. Wir konnten die Senke erkennen, in der das _Amselfeld_
sich ausbreitet und die Berggruppe, welche im Nordwesten auftauchte,
mußte schon zu _Montenegro_ gehören.

[Illustration: Abb. 121. Blick vom Gipfel der Kobeliza 2500 m nach
Westen. Nach einem Aquarell des Verf.]

Entsprechend der nord-südlichen Ausdehnung des von uns bestiegenen
Kettengebirges war auch der Blick nach Osten weit und frei. Von
rechts und links traten Berghänge, deren Konturen sich gegenseitig
überkreuzten, in das Sarskatal, welches man bis zur Ebene vor
Kalkandelen verfolgen konnte. Fern vor dem Gebirge der _Karaschiza_
blitzte der Spiegel des _Wardar_ auf. Das waldarme Gebirge ließ
seine charakteristische Modellierung, die reiche Verarbeitung seiner
Hänge durch die Arbeit der Erosionskräfte mit aller Deutlichkeit
erkennen, obwohl es in zarten Farben duftig vor mir lag. Jenseits der
_Karaschiza_ sah man wieder eine Bergkette hinter der anderen sich in
nord-südlicher Richtung hinziehen.

Voll von den großen Eindrücken traten wir erst am späten Nachmittag
den Abstieg zu unserem Lager an. Dabei zerstreuten wir uns wieder alle
im Gelände, ohne uns in dieser einsamen Landschaft viel Sorgen wegen
unserer Sicherheit zu machen. Unsere Bedeckungsmannschaften waren viel
ängstlicher und fürchteten sich sehr vor den Arnauten. Ich begegnete
wiederholt solchen, die bis an die Zähne bewaffnet waren. Obwohl man
sich nicht mit ihnen verständigen konnte, waren sie nicht unfreundlich
und nahmen mit strahlendem Lächeln die gespendeten Zigaretten an.

Während der nächsten Tage verfolgte jeder der wissenschaftlichen
Teilnehmer der Expedition seine Sonderzwecke. So wurden die umliegenden
Höhen bestiegen, die Bäche und Tümpel, Quellen und Schluchten
untersucht und vor allem die Waldgrenze erforscht.

Es war besonders eine schön bewaldete Kuppe, welche als Vorberg weit
in das Tal der _Sarska_ hineinragte, welche mancherlei interessante
Ausbeute lieferte. Sie war von einem lichten Wald aus stattlichen
Buchen und Weißtannen bedeckt. Vor diesem Hain war der felsige Hang von
Wachholdersträuchern bedeckt, zwischen denen ein kurzer Rasen wuchs.

Die Höhe mit ihren edlen Tannen, zwischen denen die prachtvollsten
Durchblicke auf das Hochgebirge sich eröffneten, hat sich ganz in
mein Gedächtnis eingegraben. Ich werde nie die Stunden vergessen, die
ich am Rande des schattenden Waldes an ihren Abhängen verbrachte. Im
Gedenken an schöne Schwarzwalderinnerungen ist sie in meinem Tagebuch
als _Weißtannenhöhe_ verzeichnet. Der Aufstieg zu ihr von unserem
Lager führte an einem Teich vorbei, den wir den _Unkenteich_ nannten,
da zahlreiche dieser Tiere ihn belebten und die Luft mit ihren
Glockentönen erfüllten. Im Teich gab es außerdem viele Wasserkäfer
(+Gaurodytes bipustulatus+ L. und +Colymbus luseus+ L.) und eine
Unmenge der kleinen Muscheln aus der Gattung +Pisidium+. Von dem
Wasser aus wurde der Anstieg steiler, der Hang bedeckte sich mit
liegendem Wachholder (+Juniperus nana+ Wlld.). Zwischen dem zarten Gras
blühte ein zierliches Haidekraut. Weiter oben mehrte sich allmählich
Buchengebüsch, an welchem eine Anzahl von Spinnen ihre Netze gebaut
hatten. Wenn die Tiere und ihre Bauten an Formen der Heimat erinnerten,
so war es doch von Interesse festzustellen, welche Arten hier in der
Höhe leben und ob sie auch hier ebenso bauen, wie an den Orten, an
denen sie schon lange bekannt sind.

An den Buchen fand sich eine Spinne, die zwischen Ästchen und Blättern
ein stattliches Segelnetz gebaut hatte, das mit einer zylinderischen
Wohnröhre endete, in der die Spinne saß. Die Fäden des Netzes waren
nicht kleberig aber auffallend mit Staub bedeckt, obwohl das Netz
bewohnt war. An den Buchenbüschen fand sich eine zweite Form, welche
ein Wirrnetz baute und ihren Zufluchtsort in einem Nestchen hatte,
das aus Knospenschuppen der Buche bestand, welche durch Gespinst
zusammengeheftet waren. Zwischen den Stämmen und Zweigen, vor allem der
Tannen, waren große Radnetze wieder von anderen Spinnen ausgespannt. Es
waren dies +Epeira diademata+ Clerck und +E. marmorea+ Clerck; erstere
ist unsere Kreuzspinne, die ich im Flachland nie gefunden hatte und
welche, wie so manche anderen mitteleuropäischen Tiere, hier im Lande
das Hochgebirge aufgesucht hatte.

Im Buchendickicht fand ich damals zum erstenmal in Mazedonien
_Ameisenhaufen_; es waren höchstens 20 cm hohe Hügel, welche im
Durchmesser kaum 15-30 cm erreichten. Obwohl es nicht weit zu den
Tannen war, bestanden die Haufen hauptsächlich aus den Nadeln der in
der Nähe wachsenden Wachholdersträucher. Dazwischen fand sich Erde,
Stengel und Ästchen von mancherlei Pflanzen, so von Heidekraut. Wie
alle Haufen, die ich später in Mazedonien fand, waren diese von einer
+Formica+-Art bewohnt und zwar von +Formica (Rhaphiformica) sanguinea+
Latr., einer Art, welche auch bei uns selten Haufen baut. Genauere
Angaben finden sich im Ameisenkapitel (S. 159). Hier oben fanden sich
im Holz der Tannen die Gänge einer +Camponotus+-Art (+C. herculeanus
ligniperda+ Latr.), also nicht anders als in unseren Wäldern die
typische Baumameise.

Um auf den Gipfel der _Weißtannenhöhe_ zu gelangen, mußte ich durch den
Tannenwald, der sich hauptsächlich am Westhang gegen das kleine Tälchen
hinzog, welches ich am Nachmittag des gleichen Tages besuchte
und das an den Felshängen gegen das Sarskatal weit hinabreichte.
Es war ein wilder dichter Wald, nur an einzelnen Stellen rein aus
Tannen bestehend, sonst vielfach mit Buchen vermischt. Ein tiefer
kühler Schatten herrschte unter den hohen Bäumen, durch deren Kronen
ein starker Wind rauschte. Die silbergrauen Buchenstämme hoben sich
zart und duftig von dem dunklen Grün des dichten Tannenbestandes ab;
wenn der Wind die Tannen beugte, so blinkte silberig die Unterseite
ihrer Nadeln auf. Am Hang standen zerzauste und windgebrochene
_Wettertannen_ und gar mancher der Riesen lag zerschmettert am Boden
neben seinem zerborstenen Stumpf, der kläglich aus dem grasigen Boden
in die Höhe ragte. Es war eine echte _Weißtanne_, die hier noch einen
ausgedehnten Wald bildete (+Abies alba Mill.+), welche nicht von der
Schwarzwaldtanne zu unterscheiden ist.

[Illustration: KOBELIZA, von der Weißtannenhöhe.]

In dem Hang des Waldes, welcher nach Süden abfiel, umrahmten die Tannen
ernste, grandiose Gebirgslandschaften. Hier öffnete sich der Blick an
vielen Stellen auf die steilen albanischen Berge um die _Hasaniza_.
Tief im Schatten lagen über dem Tal drüben die schroffen Felsen
hochansteigender Berge, welche unterhalb auch dichten Wald trugen.
Darüber hoben sich klarer als am vorigen Tage die Hochgipfel mit ihren
leuchtenden Schneefeldern.

Nordwestlich hoch aufragend bot die _Kobeliza_ von der Weißtannenhöhe
ihren reizvollsten Anblick dar. Als mächtige Pyramide mit sanft
ansteigendem Nordhang erhob sich der Berg majestätisch aus dem tiefen,
dämmernden Talschlund; der Südhang dagegen mit unruhiger Zackenlinie
der schroffen Kalkfelsen, an deren Rand ich am Tage vorher gestanden
hatte, bildete einen wuchtigen Gegensatz zu den weiten Grashalden,
welche die uns zugekehrte Ostseite des Berges bedeckten. Diese war vor
allem im Süden und in der Mitte durch Erosionsschluchten und helle
Felsen malerisch gegliedert.

Die Fülle blauer und violetter Töne an der breiten Wand der Felsen
ließen den Berg wie eine Traumerscheinung weit hinter dem Tal
zurücktreten, während das starke Grün der mich umgebenden Bäume mich in
der schönen Wirklichkeit festhielt, in der ich verweilen durfte.

Hinter dem Wald überzog eine jetzt noch blumenreiche Wiese den
östlichen Teil des Gipfels der Weißtannenhöhe. Verblühte Gräser
und ein stark duftendes gelbes Labkraut waren von einem Bestand des
liegenden Wachholders (+Juniperus nana+ Willd.) eingefaßt, der sich
bis hier heraufzog. An geschützten Stellen standen einige jetzt noch
blühende Disteln und Königskerzen.

Hier fand sich auch eine reiche _Tierwelt_. Unter den Steinen
fing ich Skorpione und kleine Tausendfüßler. Um die Blumen flogen
Schmetterlinge, zahlreiche Bläulinge, dunkle +Erebien+, eine Anzahl
+Hesperiden+ fielen auf. Reich war die Ausbeute an Fliegen und Bienen.
Hier begegnete mir wieder die dunkle Heuschrecke mit dem grellroten
Hinterleib und den roten Beinen, welche ich schon auf der Mala Rupa
bei ihrem _Balzflug_ beobachtet hatte. Auch hier stieg sie schnarrend
in den grellen Sonnenschein auf, um schwebend zu lärmen und langsam zu
Boden zu sinken (+Stenobothrus miniatus+ Charp.).

An 2 Tagen hielt ich mich vom frühen Morgen bis mittags auf der
Weißtannenhöhe auf, um jedesmal am Nachmittag das _Buchental_ zu
durchstreifen, welches an den steilen Felsen der Weißtannenhöhe
entlang südwärts sich ersteckte. Zum Teil waren seine Hänge von Buchen
bewachsen, welche einen halbtrockenen Bach beschatteten. An diesem Bach
standen allerhand blühende Pflanzen, im Wald reiften wohlschmeckende
Himbeeren und Erdbeeren. Hier gab es wieder viele Insekten, darunter
Schwärme kleiner Mücken, viele Spinnen, wieder unter den Steinen
Skorpione.

Wo das Tal am Berghang sich öffnete, floß der Bach in ein Sumpfgelände,
in welchem zahlreiche hohe Disteln, Doldenpflanzen, Schilf und Binsen,
meist verblüht und zum Teil verdorrt standen. Hier entsprang am Hang
auch eine kleine Quelle, in deren Wasser unter Steinen sich _Blutegel_
und kleine _Flohkrebse_ fanden, wie sie fast in jeder Quelle und an
jedem Brunnen vorkamen.

Über den Sumpf stiegen steile Felsterrassen an der Wand der
Weißtannenhöhe aufwärts. Mehrmals wechselte ein senkrechtes Felsenband
mit einer sanfter geneigten Halde ab, welche mit Gras und Kräutern und
dazwischen den dunklen Wachholdersträuchern (+Juniperus excelsa+ M. B.)
bedeckt waren.

Hier und über dem Sumpf flogen die _Apollofalter_, die wir schon
beim Aufstieg bemerkt hatten. Auch hier hatten wir wie in der Mala
Rupa kein leichtes Gelände, um die stolzen Schmetterlinge zu fangen.
Im Sumpf versank man bis zum Knie im Schlamm, und das Wettrennen am
Steilhang, abwechselnd auf dem glatten Rasen zwischen dem Wachholder
und an den Felsenbändern, kostete trotz der frischen Bergluft manchen
Schweißtropfen.

Weder mein braver Rangnow noch ich ließen es uns verdrießen und unsere
Mühe wurde durch eine reiche Ausbeute belohnt. Während wir auf der Mala
Rupa für den Apollofalter Mitte Juli etwas zu früh daran gewesen waren,
und somit nur wenige frische Exemplare antrafen, waren wir hier Mitte
August offenbar schon in das Ende der Flugzeit des schönen alpinen
Schmetterlings geraten. Wir fingen noch eine Anzahl Exemplare, aber die
meisten waren schon recht abgeflattert. Ja einige Exemplare fand ich im
Sumpf auf den Disteln sterbend oder schon tot.

Auch sonst flogen hier in der warmen Sonne des Nachmittags
zahlreiche Schmetterlinge umher, +Lycaeniden+, +Erebien+ und
+Coenonymphen+ in verschiedenen Arten. Bemerkenswert war hier eine den
_Perlmutterfaltern_ zugehörige Form von +Argynnis pales+, die sich
deutlich von der auf der _Mala Rupa_ aufgefundenen +Argynnis pales
balcanica+ Rbl. unterscheidet und wahrscheinlich eine unserer alpinen
+A. pales pales+ sehr nahestehende neue Form ist. Damit war wieder der
ausgesprochene alpine Typus der Tierwelt hier im _Schardakh_, gegenüber
der etwas niedriger und südlicher gelegenen _Mala Rupa_ bestätigt. Von
den Bläulingen erwähne ich +Lycaena damon+ Schiff.

Schöne _Schwebfliegen_ hielten sich auch in der Sumpfregion auf; ich
erwähne +Chrysotoxum bicinctum+ L. und die alpine +Ch. cantum+ Harries.

Reichlich waren in der Nähe des Sumpfes auch Spinnen vertreten, so
+Oxyopes ramosus+ Panz., +Pirata piscatoria+ Clerck., +Heriaeus
hirsutus+ Walck. und +Thanatus arenarius+ Thor.

Sehr schön war von den Felsen der Blick hinab, steil die Hänge hinunter
in das tief eingeschnittene Tal und über dieses hinaus gegen die
Wardarebene und auf die Karaschiza.

Wir saßen müde vor unseren Zelten, als die Nacht niedersank und Stern
auf Stern am Himmelsgewölbe aufblinkte. Unsere Mannschaften, Deutsche,
Bulgaren und Albaner saßen und standen um die Lagerfeuer, deren roter
Schein auf die Felsen hinter unserem Lager fiel und riesige Schatten
der Menschen über die Wiese warf. Drüben in der Sennhütte bellten und
heulten die Hunde und aus den Hürden ertönte das dumpfe Blöken und
Meckern der zusammengedrängten Herden. Bei der Rückkehr hatten wir
diese, in große Staubwolken gehüllt, von den Hochweiden niedersteigen
sehen.

Die Lagerfeuer waren allmählich niedergebrannt, manche unserer Leute
schliefen schon. Nur von Zeit zu Zeit flackerte ein Feuer noch einmal
knisternd auf, warf prasselnd eine Garbe von Funken in die Höhe.
Trotzdem kein Mond am Himmel stand, genügte das Licht der Sterne, um
uns die Umrisse der Berge, den Taleinschnitt gegen Kalkandelen, drunten
die Talebene und jenseits die lange gleichmäßige Kette der Karaschiza
erkennen zu lassen.

Während wir die Sternbilder am Himmelszelt aufsuchten, die uns hier
in 1600 m Meereshöhe klarer und sternreicher erschienen als unten
im Tal, glaubten wir plötzlich nahe dem Horizont in der Richtung
über _Kalkandelen_ neue Sterne aufblitzen zu sehen. Nein, das waren
Leuchtkugeln und Raketen, welche dort unten in die Luft stiegen und von
unserer Höhe aus einen phantastischen Eindruck machten. Farbige Sterne
stiegen auf und verschwanden, Scheinwerfer warfen ihre Strahlenkegel
auf die Berge der Umgebung oder ließen sie im endlosen Raum umherirren
und verblassen. Und dies seltsame Schauspiel vollzog sich ohne Lärm und
Krachen, das wir unwillkürlich erwarteten; die tiefe Bergeinsamkeit
umgab uns und das Getöse, das die Menschen da unten verursachten, um
sich an irgendwas zu freuen, drang nicht in unsere köstliche Stille.

Wir hofften auf einen Sieg, unsere Bulgaren träumten von Frieden, bis
jemand sich daran erinnerte, daß der 15. August das Regierungsjubiläum
des Königs von Bulgarien sei, und daß dies wohl da unten gefeiert werde.

Früh am nächsten Morgen wurden die Zelte abgebrochen; die Tragtiere
wurden gesattelt und bepackt. Der Aufbruch war beschlossen, der
Proviant für soviel Menschen und Pferde war erschöpft, schweren Herzens
trennten wir uns von den Bergeshöhen und begannen den Ritt in die Tiefe.

Der Saumpfad, den wir aufsuchten, führte bald sehr steil abwärts,
zunächst über Matten, dann an schönen Buchengruppen vorbei, schließlich
tief in eine Schlucht hinunter. Nun kam es wieder zu allerhand
Reitabenteuern. Unsere Pferde hatten sich oben von dem saftigen Gras
der Matten dick vollgefressen; beim anstrengenden Abstieg schrumpften
ihre Bäuche sichtlich zusammen. Die Sattelgurte saßen nicht mehr stramm
und da niemand unserer Begleiter acht gab, wir aber alle genug mit
Umschauen und Beobachten zu tun hatten, so kam es dazu, daß einer nach
dem anderen von uns mit seinem Sattelzeug beim Abwärtsreiten über den
Hals seines Pferdes rutschte und einen Purzelbaum bergab machte. Es
waltete aber dennoch ein guter Stern über unserer Kavalkade und keinem
von uns widerfuhr mehr Schaden als einige blaue Flecke.

[Illustration: Abb. 122. Dorf Vejče im Schardakh. Dahinter Gipfel der
Kobeliza. August 1917.]

Jenseits der Schlucht kamen wir auf einen Weg am Berghang, den man
als feinen hellen Strich in der Landschaft schon von unserem Lager
gesehen hatte und den man uns als den richtigen Weg nach _Kalkandelen_
bezeichnete, auf dem wir die Stadt diesmal auf dem linken Ufer der
_Sarska_ erreichen sollten. An der Steillehne des jenseitigen Berges
entlang kamen wir nach scharfer Biegung zu dem schön gelegenen Dorf
_Vejče_ (Abb. 122).

Über das tief eingeschnittene Tal eines brausenden Baches, welcher der
Sarska zuströmt, sahen wir das Dorf im Grünen vor uns liegen. Hinter
den Häusern stiegen die Berghalden steil hinauf gegen die Abhänge der
Kobeliza. Vejče erstreckte sich mit einem Zipfel noch in eine von den
Bergen niederziehende Bachschlucht hinein.

Wie reizend war wieder der Eindruck dieses mazedonisch-albanischen
Bergdorfes. Die meist viereckigen Häuser sind fast alle gleich groß,
nur selten schaut hier und da eine breitere Front, ein höheres Dach
heraus. Die Wände zeigen die graue Steinfarbe oder sind weiß getüncht.
Viele haben schönes braunes Holzwerk, sehr viele Vorbauten oder
Veranden mit Holzsäulen. Die kleinen Fenster sind meist auf die oberen
Stockwerke beschränkt, die auch hier über die unteren vorragen. Breite,
dunkle Schatten werfen die weitausladenden Dächer auf die weißen Wände.
Auch die Schornsteine sind meist weiß getüncht und ragen mit ihrem
flachen Dächlein wie kleine Türme über das Haus empor.

Die Dächer sind mit Stroh oder mit großen Steinplatten bedeckt, die
weißgrau gefärbt, wie Solenhofer Schiefer aussehen und einen sehr
sauberen, stattlichen Eindruck machen. Und alle die Häuser sind von
Gärten und Höfen umgeben, sind in Grün gebettet. Üppige Obstbäume
beschatten die Häuser. Zwischen den Wohnhäusern stehen kleinere, meist
strohgedeckte Hütten, welche als Scheunen und Vorratsräume dienen.

Um das Dorf herum, unterhalb der Häuser am Bach, aber auch über dem
Dorf einige hundert Meter den Berg hinauf ziehen sich frischgrüne
Wiesen und wohlbestellte Getreidefelder. Erstere sind frisch gemäht,
Heu lagert noch zum Teil auf ihnen. Auch das Getreide ist meist
eingetan. Nur Hafer steht noch hier und da auf dem Feld. Fast zu jedem
Haus gehört ein Hof, eine Tenne, auf der das Pferd oder der Ochs
dreschend im Kreise läuft. Überall ist Leben und Bewegung im Dorf.

Wieder steigt mir die Erinnerung an japanische Dörfer auf, wenn ich
das feine Silbergrau der Häuser so zart zu dem üppigen Grün der
Bäume stimmen sehe, wenn ich die gleichmäßige Besiedelung, die guten
Verhältnisse der Bauten und die reiche Pflanzenwelt überblicke.
Zwischen den Obstbäumen erheben sich einzelne Pappeln, am Bach Weiden
und Espen.

Schöne, schlanke Menschen begegnen uns auf den Feldern und am Rande des
Dorfes. Die Bevölkerung ist offenbar mohammedanisch, denn die Frauen
sind zumeist verschleiert, drehen sich scheu vor dem fremden Mann um
und laufen davon, wenn er naht.

Der Weg führt nun weiter vorbei an dem Dorf, am Hang entlang. Später,
weiter abwärts, wird der Boden trockner und felsiger. Die Straße fängt
hier und da wieder an zu stauben. Aber noch begleitet uns überall sehr
schöner stattlicher Baumwuchs. Edelkastanien treten wieder auf und
ein südlicherer Charakter löst damit den Voralpentypus ab. Zahlreiche
Obstbäume, zum Teil noch tragend, machen sich bemerkbar, es sind
Apfel-, Birn-, Zwetschen- und Nußbäume. Hier beginnen auch wieder
Schmetterlinge des Tieflandes zu fliegen, auf den mächtigen Felsblöcken
eines Bergsturzes eilen Eidechsen +Lacerta viridis+ und +taurica+ umher.

Eine Zeitlang führt der Weg neben einem brausenden Bach entlang; ein
dichter Hain von Bäumen zeigt uns die Nähe einer Ortschaft an. Es ist
_Selče_, ein Dorf, welches steil am Berg gebaut ist und durch dessen
steinige Gassen unsere ermüdeten Pferde stolpernd steigen.

Ich werde gebeten, den Bürgermeister zu besuchen und werde von diesem,
einem dicken Mann mit einem schlanken Gehilfen, feierlich empfangen und
freundlich mit Kaffee bewirtet. Der noch recht gute türkische Kaffee
erfrischte ausgezeichnet nach dem ermüdenden Ritt und Marsch. Hier war
es, wo der Bürgermeister auf dem schön gegerbten Winterfell einer Gemse
saß und mir die Gamskrickeln schenkte.

Das Volk, das sich unterdessen vor seiner Türe drängte, war nicht aus
Neugier hier zusammengekommen um uns zu sehen, sondern es hatte dem
bulgarischen Beamten Steuern zu bezahlen. Das vollzog sich prompt und
rasch und man bekam das Gefühl, daß eine harte Hand auf dem Lande lag.

Von _Selče_ war es kaum mehr als eine Stunde hinunter nach
_Kalkandelen_. Bald lag die Stadt vor uns mit ihrem Meer von dunklen
Dächern, fast so sehr von Bäumen durchgrünt, wie die Gebirgsdörfer.
Drunten brauste die Sarska, die mich bald, nachdem abgesattelt und
Quartier bezogen war, durch ein kühles Bad erfrischte.

Nach tiefem Schlaf im alten Quartier, Dankerstattung bei den
bulgarischen Behörden und Gastfreunden nahmen wir Abschied vom
freundlichen Tetowo und seinen schönen Mädchen und Frauen. Gegen Abend
des nächsten Tages lud uns die Kleinbahn wieder in Üsküb ab.



FÜNFZEHNTES KAPITEL

DIE BEVÖLKERUNG MAZEDONIENS


Wenn man auf der Balkanhalbinsel reist, bekommt man den Eindruck
von einer geradezu ungeheuerlichen Durcheinanderwürfelung ganz
verschiedenartiger Volkssplitter. Stämme und Rassen, die sich erheblich
voneinander unterscheiden, sind in kleinen Gruppen in einer Weise
durcheinander geschoben, wie man es wohl selten auf der Erde auf so
engem Raum wieder findet.

Einen starken Eindruck von diesem Völkergemisch bekommt man, wenn
man durch die Straßen _Üskübs_, dieser zentralen und größten Stadt
Mazedoniens wandert, oder wenn man gar den Dienstagmarkt besucht, auf
welchem die Bevölkerung der weiteren Umgebung Üskübs sich mit den
Bewohnern aller Quartiere der Stadt vermischt.

Da sieht man ein buntes Gewimmel von Männern und Frauen in bunten
Trachten, die sich malerisch von all den nicht minder bunten Waren
abheben, welche dort feilgeboten werden. Vor allem sind es slawische
Bauern und Bauersfrauen, die mit Landesprodukten aus den Dörfern
der Umgegend in die Stadt hereingeströmt sind. Der erfahrene Kenner
weiß nach den Gewändern, vor allem denen der Frauen, uns zu sagen,
aus welchen Dörfern die Leute kommen. Diejenigen mit den vorwiegend
schwarzweißen Kleidern stammen aus dem nördlich gelegenen Karadakh, die
mit viel Rot in Röcken und Kitteln kommen von den südlich gelegenen
Gehöften und Ortschaften zu beiden Seiten des Treskatales und vom
Wodno. Und so gibt es unendlich viel Varianten in diesen von Farben
leuchtenden Trachten.

Alle, welche die bunten Bauernkleider tragen, sprechen eine _slavische_
Sprache, die dem Bulgarischen am meisten ähnelt; soweit sie schreiben
können, schreiben sie bulgarische Schrift und somit ist man geneigt,
den bulgarischen Freunden zu glauben, welche sie als echte _Bulgaren_
ansprechen, die nur einen Dialekt ihrer Sprache verwenden. Ist
man in den Dörfern etwas weiter nördlich von Üsküb, so wird die
Verständigung mit den wenigen Brocken der bulgarischen Sprache, über
welche Deutsche meist nur verfügen, immer schwieriger. Und es wird
immer wahrscheinlicher, auf Serben zu stoßen. In Üsküb wohnen auch
zahlreiche Serben, was ja in einem Serbien so nahen Verkehrszentrum
nicht verwunderlich ist.

Einerlei, welchem der beiden feindlichen Brudervölker sie sich
zurechnen, man sieht unter ihnen wenig schöne, reizvolle Erscheinungen.
Weder Frauen noch Männer haben schöne Gestalten oder Gesichter,
wenn auch jugendliche Vertreter beider Geschlechter eines gewissen
Reizes nicht entbehren. Noch dazu verdirbt die Tracht die Gestalt
ganz außerordentlich. Die Taille wird niemals hervorgehoben, Jäckchen
wie Rock, und besonders die bunten Schürzen, welche wie Bretter
steif herabhängen, alles trägt dazu bei, die Erscheinung der Frau zu
vergröbern und in die Breite zu ziehen.

Schlankheit und Beweglichkeit der Frau scheint nicht dem
Schönheitsideal dieser slavischen Bauern zu entsprechen. Schönere
Gestalten, schlank und gut gewachsen, findet man nicht selten unter den
jungen Männern, die auch flott und rasch dahin zu marschieren vermögen,
während die Frauen mit ihren kurzen Beinen einen plumpen, watschelnden
Gang haben. Damit ist nicht gesagt, daß sie beim Gehen nicht rasch
vorwärts kämen. Es ist ganz erstaunlich, zu welchen Marschleistungen
die Frauen mazedonischer Bauern vielfach fähig sind.

[Illustration: Abb. 123. Mazedonische Frauen auf dem Markt in Üsküb.]

Ein eigenartiges Bild bieten die Gruppen von mazedonischen Bauern,
welche gemeinsam zum Markt in die Stadt kommen. Für die Kulturstufe,
auf der sie stehen, ist es charakteristisch, daß auf dem mitgeführten
Maultier oder Lastpferdchen, auch wenn es mit Lasten schwer bepackt
ist, stets nur den Mann sitzt, während Frau und Kinder nebenher laufen.

Sieht man auf dem Markt eine hohe, stattliche Gestalt von schlankem
Wuchs, so ist es sicher ein _Albaner_. Diese befinden sich in
Mazedonien offenbar immer noch im Vordringen nach Osten, welches seit
längerer Zeit im Gang und jetzt etwa im Wardartal zu einem gewissen
Stillstand gekommen ist. Der Albaner sieht mit seinem dunklen, meist
schwarzen Wollgewand, mit den engen Hosen und den Wickelgamaschen
meist flott und energisch aus. Die Gesichter sind meist schmal, die
Nasen gut gebaut, leicht gekrümmt, auf dem kurz geschorenen Haar sitzt
ein halbkugelförmiges weißes Filzkäppchen, welches den Kurzkopf etwas
länger erscheinen läßt als er in Wirklichkeit ist. In der Tracht der
Männer ist es hier offenbar auf Schlankheit abgesehen. In den Bergen,
wenn sie mit langen Schritten bergan steigen, erinnern mich die Albaner
stets an unsere schlanken Bergbewohner in Oberbayern.

[Illustration: Abb. 124. Marktszene in Üsküb. Paprikaverkauf.]

Albanische Frauen sieht man auf dem Markte in Üsküb ebensowenig wie
Türkinnen. Die letzteren zeigen sich ja als Mohammedanerinnen so wenig
wie möglich öffentlich. Aber auch bei den christlichen Stämmen der
Albaner tritt die Frau viel mehr in den Hintergrund als bei slavischen
Völkern.

[Illustration: Abb. 125. Albanische Jugend.]

Von den Bewohnern Mazedoniens haben dem Lande die _Türken_ am stärksten
ihr Gepräge aufgedrückt. Das merkt man vor allem an den Städten, die
alle von Kuppeln von Moscheen und von Minarets überragt sind. _Üsküb_
(bulgarisch _Skopje_) bietet das malerische Bild einer richtigen
Türkenstadt. Das gilt vor allem von der Hälfte der Stadt, die auf dem
linken Wardarufer liegt. Aber auch die Vorstädte auf dem rechten Ufer
des Flusses mit ihren hohen Gartenmauern, innerhalb deren Haus und Hof
von der Außenwelt abgesperrt liegen, zeigen echt türkischen Charakter,
wenn auch jetzt die Häuser, einst von Türken für Türken gebaut, meist
von Bulgaren, Albanern, Juden und Mitteleuropäern bewohnt sind, nur
selten mehr von Türken.

Das ganze Stadtviertel auf dem rechten Wardarufer hat einen mehr
oder minder südeuropäischen, aber sehr charakterlosen Typus. Es ist
schmutzig und verkommen, hat vernachlässigte Straßen, halbzerfallene
Häuser, alles ist erfüllt von Staub und Gestank im Sommer, von Schlamm
und Unrat im Winter. In den Straßen, die vom Bahnhof gegen die
Wardarbrücke führen, liegen einige sogenannte Hotels, schmutzige Buden.
Einige von ihnen, vom deutschen Militär in die Hand genommen, boten
erträgliches Quartier mit sauberen Betten unter Aufsicht deutscher
Feldwebel. Dort fand man ruhige Nächte, wenn man das Haus von Dämpfen
schwefeliger Säure erfüllt fand, zum Zeichen, daß gerade eine große
Wanzenbekämpfung durchgeführt worden war. Von diesen Plagegeistern wird
an einer anderen Stelle die Rede sein.

Nur die von den deutschen Truppen errichteten oder ausgebauten Häuser
machten einen erträglichen Eindruck. Das Soldatenheim am Bahnhof,
die Offizierkasinos, einige als Sitz der Stäbe und als Wohnungen
der höheren Offiziere hergerichtete Bauten, sahen sehr erfreulich
und einladend aus. Manche von ihnen waren mit einfachsten Mitteln
künstlerisch schön und wohnlich umgewandelt. So boten sie den
Deutschen, welche Jahre lang hier hausen mußten, einen Aufenthaltsort,
der sie in die Heimat zurückversetzte, während draußen an die
geschlossenen Fenster und Türen der Orient anbrandete.

Ging man aber über die Wardarbrücke hinüber, so erhob sich vor einem
malerisch und bunt die _Türkenstadt_. Hier war der _Bazar_, hier
brauste das Leben durch die steilen engen Gassen, hier drängte sich
das Volk und klapperte über das holperige Pflaster und man hatte Mühe
auszuweichen, wenn irgend ein Wagen in rasendem Galopp, mit Geschrei
und Peitschenknallen des Fahrers, die Menge zerteilte.

Hoch über den Gassen hob sich die türkische _Zitadelle_ mit ihren
Mauern und Zinnen, Basteien und Türmen empor. Von der Brücke aus bot
sie, steil vom Fluß ansteigend, umwachsen von Pappeln, ein schönes
Bild. In gelblichen und rötlichen Tönen hob sich das Mauerwerk über
grauen Felsen ab; im Frühling leuchteten grüne Rasenflecken und
blühende Obstbäume zwischen dem alten Gemäuer hervor. Das da oben also
war die Zwingburg, von der aus das ganze Land mit seiner slavischen
Bevölkerung hunderte von Jahren unter dem türkischen Joch gehalten
worden war.

Kletterte und glitt man über die glatten, knolligen Pflastersteine die
Berggassen hinauf, so öffnete sich jeden Moment ein eigenartiges Bild
vor einem. In den offenen Vorderräumen der kleinen einstöckigen Häuser
spielte Handel und Wandel in voller Öffentlichkeit sich ab, das übliche
Bild, welches jede Stadt des Orients von Marokko durch den nahen und
fernen Osten bis nach China und Japan hin bietet.

[Illustration: Abb. 126. Eßwarengeschäft in Üsküb.]

Auch hier fand sich gassen- und viertelweise je ein Handwerk
beieinander. Die Schreiner und Schlosser, die Kupferschmiede, die
Schuster, die Schneider saßen Haus neben Haus, hier die Konkurrenz
dicht beieinander. Es war schön von der grell-besonnten Straße in das
Dämmerlicht des Raumes zu schauen, wo im Hintergrund der Schmied mit
nacktem Oberkörper den Hammer schwang, daß die Funken bis auf die Gasse
hinausstoben Stoffe und Teppiche hingen auf die Straße hinaus und
wehten im Wind wie Flaggen über die Menschen hinweg, die vorübergingen.

Wo feineres Gewerbe hauste, waren die Öffnungen verglast, hinter den
Scheiben sah man manchen feinen Greisenkopf über zierlicher Gold- und
Silberarbeit geneigt. Dort wurden Bronze- und Messinggefäße gehämmert,
hier duftende Kästchen und Platten aus Sandelholz gefertigt und mit
zarten Ornamenten aus Silber eingelegt.

Dazwischen tauchten nüchterne Läden mit europäischem Tand, mit
Kolonialwaren, mit Emailgeschirr oder Porzellan, Glas und Blech
auf. Der Friseur und der Apotheker fehlten nicht, beide Gruppen von
Männern versammelnd, die schwatzten und Zigaretten rauchten. Auch
das Kaffeehaus fehlte nicht mit seinen wackeligen Tischen, lahmen
Stühlen, dem bespuckten Boden und dem meist noch in der Zeit der Not
erträglichen Kaffee. Es sei übrigens zugestanden, daß am Wardar ein
stattliches, anständiges Kaffeehaus mit einem Terrassengarten am
Fluß sich befand, in welchem die Deutschen meist ihre Festlichkeiten
abhielten.

Die _Türken_, besonders die alten Männer, gingen oft noch in wallenden
Gewändern mit Turban oder Fez. Die slavischen Stadtbewohner jedoch
waren alle mitteleuropäisch gekleidet, oft recht gut, meist aber
mit der schäbigen Eleganz der Kleinstadt. Sehr auffallend waren in
der Türkenstadt zwei weitere Typen der Bevölkerung, die Juden und
die Zigeuner. Unter den _Juden_, von denen viele Handwerker, oft
Feinarbeiter, so Juweliere und Uhrmacher waren, gab es prächtige,
würdige alte Köpfe.

Die _Zigeuner_ dagegen waren ein schmutziges Gesindel. Oben auf dem
Berg hinter der Zitadelle auf dem Weg zu meinem Üsküber Standquartier
im Ortsspital I der Bulgaren kam ich täglich durch das Zigeunerviertel.
Es bestand aus verlotterten, zum Teil halb- und dreiviertel zerfallenen
Häusern und Hütten. Diese bildeten ein wirres Durcheinander, mehr wie
ein Lager von Nomaden, als wie eine Stadt oder ein Dorf aussehend. Im
Eingang zu den Hütten oder vor ihnen auf dem Boden saßen und lagen
die Männer, Weiber und Kinder am Boden herum; im Sommer gähnend und
schlafend, im Winter und auch sonst am Abend sah man sie ein offenes
Feuer mühsam unterhalten, irgendwo in einer Ecke, einerlei ob im Haus,
vor diesem oder auf der Straße.

Die Kinder waren kaum bekleidet oder ganz nackt und liefen bettelnd
auf die Straße herüber, wenn ein Wagen vorbeifuhr oder ein besser
gekleideter Fußgänger vorbeiging, besonders wenn es gar ein Offizier
war. Die alten Weiber, scheußliche Vetteln, die so aussahen, wie wir
uns als Kinder Hexen vorgestellt haben, waren nicht selten auch kaum
bekleidet, trugen oft den Oberkörper unverhüllt.

[Illustration: Abb. 127. Bazar in Üsküb.]

[Illustration: Abb. 128. Im Zigeunerdorf.]

Und wie gar die Haare bei Männern und Frauen aussahen, wirr und
ungepflegt! Alle waren verlaust und wenn sie in der Sonne saßen,
so waren sie meist beim Lausen des eigenen Kopfes und Körpers oder
besorgten sich das Geschäft gegenseitig. Vor allem sah man die Mütter
die Köpfe ihrer Kinder behandeln, aber auch Männer besorgten sich
gegenseitig diesen Freundschaftsdienst; und wenn eine Frau die Haare
ihres Mannes abjagte und seinen Kopf kratzte, so schien das ganz
geschäftsmäßig vor sich zu gehen und nicht ein Liebesdienst zu sein.

[Illustration: Abb. 129. Zigeunerin mit Kindern am Brunnen.]

Daß unter diesen Umständen die Zigeunerstadt ein verrufenes Viertel
war, ist nicht erstaunlich. Immer war es verseucht, Typhusepidemien
waren an der Tagesordnung, und immer wieder flackerte dort das
Fleckfieber auf. Hautkrankheiten waren verbreitet und man konnte durch
sie auf das scheußlichste entstellte Menschen sehen, um welche man
einen weiten Bogen herum machte. Geschlechtskrankheiten sind unter den
Zigeunern sehr verbreitet und so unwahrscheinlich es klingt, nicht
wenige unserer Soldaten, ja Offiziere haben sich in diesem Viertel böse
Infektionen geholt.

Kam man öfter durch das Viertel, so konnte man die Anziehungskraft
der Zigeunerinnen besser begreifen. Eine jugendliche Zigeunerin hat
meist eine entzückende Haltung und einen schönen, schwebenden Gang.
Sie stachen ganz außerordentlich durch ihre natürliche Grazie von den
plumpen schwerfälligen Mazedonierinnen ab. Während ich sonst in Üsküb
unter den einheimischen Mazedonierinnen keine Frau und kein junges
Mädchen gesehen habe, welches ich für schön oder nur reizvoll hätte
erklären können, unter den Zigeunerinnen konnte man manchmal große
Schönheiten sehen, die jeden Künstler begeistert hätten mit ihren
schönen Formen, den edlen Gesichtern, den graziösen Bewegungen ihrer
kaum verhüllten Formen.

Eine Zigeunerin, welche zur Zeit der Besetzung eine gewisse Rolle als
Dirne spielte, wurde viel photographiert und ist in manchem Album aus
Mazedonien als Typus der Zigeunerin abgebildet.

Daß in diesem Viertel ein Spaziergang zur Nachtzeit nicht ohne
Gefahr war, konnte man aus den vielen Verbrechen erschließen, die
dort vorkamen. Immer wieder hörte man von Mord und Raub, aber auch
von fürchterlichen Eifersuchts- und Eheszenen, die im Zigeunerdorf
vorgefallen waren.

Wenig auffallend waren die wenigen _Spaniolen_, die man gelegentlich
in Üsküb traf; sie hatten dort wie in allen Städten des Balkan als
Handelsleute und Makler ihre Rolle gespielt. Diese Abkömmlinge
spanischer Juden, die vor Jahrhunderten sich in der Türkei angesiedelt
hatten, bilden bekanntlich einen wesentlichen Teil der Bevölkerung
von _Saloniki_. Jetzt in der Kriegszeit waren sie hier im mittleren
Mazedonien verschwunden und nur einige wenige dieser sprachgewandten,
gebildeten Leute waren als Dolmetscher bei Deutschen und Bulgaren
verwandt. Ein solcher begleitete mich auf einer Gebirgsexpedition im
Juni 1918 und bewährte sich dabei sehr.

Ebenso traf man im besetzten Gebiet selten _Griechen_, die ja sonst
auf dem ganzen Balkan ein wichtiges Element darstellten. Sie konnten
sich natürlich als Feinde nicht dieseits der Front aufhalten. Auf
manchen Reisen habe ich allerdings griechische Siedelungen, besonders
im Frontgebiet im Süden, angetroffen. Von ihnen wird im gegebenen
Zusammenhang die Rede sein.

Ebenso sah man in Üsküb von einem in Mazedonien zerstreuten Volk
selten einen Vertreter, und wenn man ihn sah, dann wie den Spaniolen
oder Griechen, nicht ohne weiteres als solchen erkennbar in
irgendeiner bürgerlichen Tätigkeit. Es sind das die _Aromunen_ oder
_Kutzowallachen_, ein Volk, von dem ich bei der Schilderung des
Besuches seiner eigenartigen Gebirgsstädte _Krusevo_ und _Gopes_
manches zu berichten haben werde.

Wenn man sich nun vorstellt, daß zu diesen normalen Bewohnern
Mazedoniens und Üskübs während des Krieges als Soldaten der
Heeresgruppe und als Kriegsgefangene Deutsche aus allen Gauen,
Österreicher, Ungarn, Tschechen, Kroaten, Bosnier, Dalmatiner, Russen,
Polen, Rumänen, schwarze und weiße Franzosen, Engländer und Italiener
kamen, so kann man sich eine Vorstellung von dem Völkergewimmel machen,
welches auf einmal dies sonst von der Welt so abgeschlossene Land
überfallen hatte.

[Illustration: Abb. 130. Türkischer Schafhirt bei Üsküb.]

Ich habe mich nun in keiner Weise in völkerkundliche oder
anthropologische Studien während meines Aufenthalts in Mazedonien
versenkt. Dazu fehlte mir die Zeit, welche durch meine Forschungen als
Zoologe vollkommen in Anspruch genommen wurde. Aber ich hielt meine
Augen offen für alles, was die Völker Mazedoniens mir Interessantes
gelegentlich meiner Reisen zeigten. Das mag als Material für Kenner
dieser Gebiete dienen.

Vor allem möchte ich aber Beobachtungen an und Erlebnisse mit meinen
Freunden, den Bulgaren, aufzeichnen, die geeignet sein können, ein
richtiges Urteil über dies Volk bei uns zu befestigen, das mit uns nun
einmal durch Schicksal zusammengebracht worden ist.

Elemente der hier angeführten Völker kann man in ganz Mazedonien
antreffen. Dabei wiegt in manchen Bezirken die eine oder die andere
Nationalität vor. Im äußersten Westen überwogen die Albaner, im
Südwesten und Zentrum die Bulgaren, an der Südgrenze die Griechen, im
Norden die Serben. In vielen Gegenden hatte die Zahl der vor wenig
Jahren noch überall verbreiteten Türken abgenommen, da viele von ihnen
ausgewandert waren. Überall war es schwer, bei kurzem Aufenthalt ein
klares Bild zu erhalten, welcher Volksteil vorherrsche.



SECHZEHNTES KAPITEL

ÜSKÜB ALS STANDQUARTIER


Üsküb, mit dem bulgarischen Namen _Skopje_, bot als Standquartier viele
Vorteile. Zunächst lag es zentral und hatte Bahnen und Verbindungswege
nach allen Seiten. Dazu war es der Sitz des Oberkommandos der
Heeresgruppe, welche eine deutsche, zwei bulgarische Armeen und eine
Anzahl österreichische und türkische Truppen umfaßte. Hier hatte nach
der Eroberung des Landes _v. Mackensen_ sein Hauptquartier gehabt, nach
ihm _v. Gallwitz_ und jetzt befehligte _v. Scholtz_ die Heeresgruppe.
So konnte ich hier mehr Hilfe und Unterstützung erwarten, als in dem
kleinen, abgelegenen _Kaluckova_ mit den bescheidenen Hilfsmitteln
eines Lazaretts.

[Illustration: Abb. 131. Blick über die Türkenstadt von Üsküb.]

Vor allem aber lockte mich eine Einladung eines bulgarischen Freundes,
welcher jenseits der Zitadelle in der sogenannten _englischen
Mission_ als Chefbakteriologe der I. Bulgarischen Armee saß. Es
war dies Prof. _Popoff_, ein ehemaliger Schüler des zoologischen
Instituts in München, damals auch mein Schüler, ein anhänglicher,
treuer Freund deutscher Kultur und Wissenschaft. Er stellte mir
einen Teil seines bakteriologischen Laboratoriums zur Verfügung und
die Möglichkeit mit meinen Tischen, Schränken und Apparaten bei ihm
Unterkunft zu finden. Der Chefarzt des großen Spitals, dem _Popoffs_
Laboratorium angegliedert war, Dr. _Molloff_, ein guter Internist,
der später Vertreter dieses Faches an der Universität Sofia wurde,
bot mir Quartier und Gastfreundschaft im Ärztekasino des Ortsspitales
an. Das war eine schöne Gelegenheit, mit hochgebildeten Bulgaren
zusammenzuleben, von ihnen manches über ihr Volk, ihre Ziele, ihre
Kultur zu erfahren und manche meiner wissenschaftlichen Unternehmungen
erleichtert zu bekommen.

Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Als ich nach 9 Monaten mich
von den Bulgaren trennte, hatte ich nicht nur in _Popoff_, dem Dr.
_Molloff_ und dem Dermatologen _Stefanoff_ gute Freunde, sondern auch
manchen tiefen Einblick in bulgarisches Wesen und Volkstum gewonnen.

Die Umgebung von Üsküb, das Wardartal und die angrenzenden Gebirge
boten mir manche Gelegenheit zu wissenschaftlichen Beobachtungen, die
ich in dem Laboratorium Prof. _Popoffs_ regelrecht verarbeiten konnte.

Anfang Februar 1918 zog ich auf dem Zitadellenberg über Üsküb ein und
schlug meine Wohnstätte in dem stattlichen Steinbau des Hospitals,
meine Arbeitsstätte in dem geräumigen Laboratorium Prof. _Popoffs_
auf. Die schönen Tage ersten Vorfrühlings gaben mir schon Gelegenheit
zu manchen Beobachtungen im Freien, als ein Wetterrückschlag wieder
tiefen Winter über die Landschaft legte. So lernte ich noch bitteren
mazedonischen Winter kennen mit tiefem Schnee im Tal und Kältegraden
von 5-10° unter Null. Zum Glück war mein Zimmer gut heizbar, so daß man
nach den Schneespaziergängen sich wärmen konnte.

Die Wanderungen durch die Türkenstadt brachten manchen seltsamen
Eindruck. Schwere Schneemassen lagen auf Dächern und Mauern und kaum
konnte man sich durch die engen Gassen einen Weg bahnen. Es war ein
unerwarteter Anblick, die Minarets und Kuppeln der Moscheen unter
dicken Schneehauben zu sehen. Allen Schmutz und alle Zerstörung deckte
die weiße Decke zu; so sauber hatte man Üsküb noch niemals erblickt,
als unmittelbar nach dem Schneefall.

Ganz eigenartig war der Anblick des byzantinischen oder alttürkischen
Äquadukts, der nahe beim Ortsspital oben auf dem Hügel hinzog in der
Winterlandschaft, hinter der der beschneite Wodno sich erhob. Seine
charakteristische Modellierung wurde durch die Schneebedeckung scharf
hervorgehoben (Abb. 133).

[Illustration: Abb. 132. Zitadellenmoschee in Üsküb im Schnee (März
1918).]

Die Formen der großen Bauten traten glanzvoll hervor und vor allem der
Blick über die Stadt mit ihren unzähligen Dächern bot im Schneegewand
einen phantastischen Eindruck.

Um so schlimmer war es bei der Schneeschmelze; da waren die Straßen von
einem unergründlichen Schmutz bedeckt und wer nicht in die Stadt mußte,
durfte sich dessen freuen. Es wurde Ende März, bis der Frühling mit
Macht hervorbrach. Die Hänge der Hügel bedeckten sich mit weißen und
gelben Crocus, süßduftende Veilchen sproßten in den Hecken und bald
begannen die Obstbäume zu blühen.

Im April und Anfang Mai war es in Üsküb schön, überall wo man hinkam.
Wäre die Stadt leichter zugänglich und gäbe es dort eine bessere
Unterkunft, so könnte sie zu den berühmten Stätten Europas gehören.
Über die Mauern der Gärten beugten sich die blühenden Zweige der Bäume,
das Verfallene und Ruinenhafte erschien nur romantisch unter der Fülle
der Pflanzenwelt, die für eine kurze Zeit der Pracht mit gewaltiger
Macht hervorbrach.

[Illustration: Abb. 133. Byzantinische Wasserleitung bei Üsküb im
Winter 1918.]

Wo man zwischen den Bäumen und Büschen hindurchsah, öffneten sich
überraschende Blicke, ob man nun nach Osten oder Westen ins Tal des
Wardar, oder nach Norden und Süden auf die Gebirge blickte. Im Norden
erhob sich die Kette des _Karadakh_ noch mit Schnee bedeckt, trotzdem
schon dunkel, durch seine schon freigeschmolzenen waldigen Hänge. Kara
ist das türkische Wort für schwarz; der Name bedeutet also schwarze
Berge. Im Westen grenzte der _Schardakh_ mit der schönen Pyramide des
_Ljubotren_ das weite Wardartal ab. Südlich stiegen die mit blühendem
Schlehdorn und Obstbäumen bestandenen Hänge des _Wodno_ hinan. Nach
Osten dehnte sich eine breite Talfläche, die nun grün zu werden begann
und deren besondere Schönheit Gruppen mächtiger Pappeln bildeten.

[Illustration: Abb. 134. Kanal mit Pappelallee in Üsküb.]

Im Gesamtbild von _Üsküb_ spielen überhaupt die Pappeln eine
beherrschende Rolle. Überblickte man die Stadt von der Zitadelle aus,
so sah man vor sich hauptsächlich die Südstadt liegen, die mit ihren
gleichmäßigen Häusern in der Flußebene ausgebreitet reizlos gewesen
wäre, hätte nicht eine mächtige Pappelallee sie malerisch gegliedert,
so daß sie sich schön von dem eigenartigen Umriß des _Wodno_ abhob, des
Berges, der südlich der Stadt auf 1100 m Höhe ansteigt. Diese Allee
begleitete nicht eine Straße, sondern einen breiten Bewässerungskanal,
der längs eines großen Teiles der Stadt hinzog. Wer ins Kriegslazarett
in der türkischen Kaserne hinaus wollte, der vermied gern die staubige
Landstraße und turnte lieber auf den Dämmen des Kanals entlang, die
frischere Luft und eine Augenweide darboten. Die silberweißen Stämme
mit ihren dunkelen Ringflecken spiegelten sich auf dem stillen,
dunkelgrünen Wasser des Kanals, zu welchem sich von den Ufern üppige
Kräuter und Büsche hinabneigten. Bunte Enten plätscherten schnatternd
im Kanal. Zwischen den säulenähnlichen Stämmen der Pappeln blickte
man nach Süden auf die vom Kanal bewässerten, reichen Gemüsegärten,
in denen Salate, Kohl und Kräuter, Tomaten, Melonen und schwarzblaue
Auberginen zwischen Obstbäumen herrlich gediehen. Nordwärts schweifte
der Blick über die im grellen Sonnenschein glühenden farbigen
Häusermassen der Türkenstadt mit ihren Moscheen und Minarets, welche
den Berghang drüben bedeckten.

Es waren vor allem die Abendstunden, welche zu einem Spaziergang in der
_Türkenstadt_ verlockten. Die Moscheen und Kirchen lagen meist hoch
am Berg, so daß man von ihnen aus wundervolle Aussichten über Teile
der Stadt, über das Wardartal und das weite Land genoß. Im Frühling
schwebten meist große Wolkenballen am Himmel, wenn die Sonne hinter dem
Schardakh hinabsank und nicht nur jene vergoldete, sondern auch tief in
die Gassen der Stadt ihre verklärenden Strahlen auf die roten, gelben
oder grell weißen Wände der Häuser, Moscheen und Türme warf. Dann war
es außerordentlich reizvoll, die engen Gassen zu durchwandern und die
eigenartigen Bauwerke zu besuchen, welche zum Teil recht sehenswert
waren.

Unter ihnen sind besonders malerisch die ruinenähnlich aussehenden,
runden, kuppelbedeckten Teile eines alten _türkischen Bades_. Wie eine
Gruppe von kleinen, breiten Türmen nimmt sich das ganze Bauwerk aus,
dessen Mörtelbewurf zum Teil abgefallen ist. So treten die Reihen von
roten Backsteinen und graugelben Hausteinen bunt hervor, aus denen
schichtenweise die Wände erbaut sind. Die halbkugeligen Kuppeln, recht
baufällig, sind mit Gras und Büschen bewachsen, so daß man zunächst
nicht recht weiß, ob es sich um Werke des Menschen oder um Erzeugnisse
der Natur handelt. Aber ein farbiges Bild bieten sie dar, im Schein der
Abendsonne (Abb. 135).

Ähnlich sahen die Kuppeln einiger zerfallender Moscheen aus, die man in
den verschiedenen Stadtteilen antrifft. Noch eigentümlicher mutet eine
alte _Karawanserei_ an, welche auf die Zeit des Serbenzaren _Stephan
Duschan_, das 14. Jahrhundert, zurückgeführt wird. _Kurschumli-Han_, d.
h. Blei-Han, wird das Gebäude genannt, wegen der kleinen Bleikuppeln,
welche Gemächer des oberen Stockwerks überwölben. Ein _Han_ ist eine
Karawanserei, ein Absteigequartier des Reisenden, vor allem des
Kaufmanns, der mit seinen Tragtieren, Dienern, Führern und Gepäck hier
in alten Zeiten Unterkunft fand. Solche Hans sind charakteristisch für
den ganzen Orient.

[Illustration: Abb. 135. Altes türkisches Bad in Üsküb.]

Der _Kurschumli-Han_ (Abb. 136) in Üsküb ist wirklich eine
Sehenswürdigkeit. Es ist ein stattliches, fast burgähnliches Gebäude
von guten Verhältnissen. Durch eine weite Torhalle tritt man in
einen säulenumgebenen Hof von eigenartigem Reiz. Mitten auf dem
gepflasterten Boden des Lichthofes befindet sich, von Marmorplatten
umfaßt, ein vertieftes Brunnenbecken, in dessen Mitte auf kurzer Säule
sich eine skulptierte Schale erhebt. Den Hof umgeben zwei Stockwerke
säulengetragener Bogen. In der Hinterwand dieser Loggien führen
Rundbogentüren in die Räume, in denen die Reisenden mit ihrem Gepäck
Unterkunft fanden, während im Hofraum ihre Reit- und Tragtiere lagerten
und gefüttert und am Brunnen getränkt wurden. Zur Zeit meines Besuches
war allerdings der Brunnen trocken.

Das Eigenartigste war aber die Farbe des Bauwerks, die Säulen und
Bogenwände trugen ein strahlendes Blau, während die Hinterwände mit
einem Rot gestrichen waren, welches an Wände in Pompeji erinnerte. In
dem starken Licht des mazedonischen Tages bot der Hof ein prachtvolles
Bild dar. Was mag da oft ein buntes Leben sich abgespielt haben, als
der Han noch seinem eigentlichen Zweck diente. Jetzt während des
Krieges wurde er als bulgarisches Proviantmagazin benutzt. Wenn die
gewaltigen Tore des Gebäudes mit den schweren Eisenbalken geschlossen
waren, dann mochten sich die Reisenden und die Kaufleute mit ihren
Waren hier sicher fühlen vor dem Gesindel der einstigen Großstadt.

[Illustration: Abb. 136. Kurschumli-Han. Innenhof.]

Ebenfalls auf die Serbenzeit und sogar auf den Zaren _Stephan Duschan_
selbst wird die eigenartige Kirche Sv. Spas zurückgeführt, die klein am
Berghang verborgen zwischen Häusern liegt, ohne Turm und auffallende
Fassade. Ihre Fundamente mögen auf alte Zeiten zurückgehen, aber die
Malereien und Schnitzereien im Innern sind sicher viel späteren Datums;
letztere sind zum Teil mit 1840 datiert.

Es war ein schöner Augenblick, wenn man aus dem Gewimmel der Gasse auf
den stillen, kleinen Kirchenhof trat, dessen Boden von Grabplatten
bedeckt war. Zwischen deren Spalten sproßten Pflanzen hervor und
so war im Frühsommer der ganze Raum von Blütenflor bedeckt, von
Blumenduft erfüllt. Durch eine niedere Türe führte es einige Stufen
hinab in das Kircheninnere, welches von dem auf die Sinne wirkenden,
zunächst verwirrenden Glanz der slavischen Kirche erfüllt war. Dunkle
Holzschnitzerei füllte den niedrigen Raum bis zur Decke aus, in den
Einzelheiten ein merkwürdiges Stilgemisch zeigend, aber doch sehr
wirkungsvoll als Einrahmung der Altarbilder mit dem reichen Gold der
Heiligengewänder und Heiligenscheine, als Wände der Beichtstühle, als
Stützen der Gestühle und Schranken. Wie stets in der griechischen
Kirche, ist das Allerheiligste vom Laienpublikum durch Schranken
(Ikonostas) abgeschieden. Die Heiligenbilder sind nicht bedeutende
Malereien, in ihrem charakteristischen Stil verfehlen sie ihre Wirkung
nicht.

[Illustration: Abb. 137. Ikonostas der Markuskirche in Üsküb.]

Hier wie in manchen slavischen Kirchen des Balkans habe ich öfters den
recht eindrucksvollen griechischen Gottesdienst mitgemacht. Besonders
schön pflegen die Gesänge der Kirchenchöre zu sein, bei denen mir oft
prachtvolle Männerstimmen, besonders Bässe, auffielen. Die slavischen
Kirchengesänge zeichnen sich durch großen Melodienreichtum aus. Ich
habe gelegentlich in Serbien, Bulgarien, Mazedonien und Rumänien
Gottesdiensten beigewohnt, einfachen Feldgottesdiensten wie pompösen
Repräsentationen. Ich hatte meist den Eindruck einer leeren, nicht sehr
tief wirkenden Handlung. Dazu trug meist das Geringe der Persönlichkeit
der Priester bei.

[Illustration: Abb. 138. Bulgarischer Pope aus der Kirchentüre des
Klosters bei Pubjance tretend.]

Auch in Üsküb begegnet man oft auf der Straße den schwarzen Gestalten
der Popen. Mit ihren großen Bärten, ihren mächtigen Kopfbedeckungen
und wallenden Kaftanen sahen sie manchmal pompös aus. Kam man ihnen
näher, so verschwand sehr bald der Nimbus. Viele von ihnen waren
schäbig gekleidet, wenig an Körper und Kleidern gepflegt. Andere waren
geschniegelt und gut angezogen, je nach Stellung und sonstiger Art.
Merkwürdig war die geringe Achtung, welche ihnen im allgemeinen die
Soldaten und Offiziere entgegenbrachten. Meine bulgarischen Freunde
sagten mir, die meisten unter ihnen seien wenig gebildet, hätten
schlechte Manieren, geringes Wissen. Doch gebe es unter ihnen auch
tüchtige und feine Menschen.

Ich habe gelegentlich auch höher stehende Popen getroffen, so bei den
Armeestäben, aber kaum einen, der eine fremde Sprache beherrschte.
Somit habe ich keine eigenen Erfahrungen über diese slavischen
Geistlichen. Doch hatte ich Gelegenheit, bei manchem eine prachtvolle
Singstimme zu bewundern. Einer eigenartigen Feier wohnte ich in der
Kathedrale in _Bukarest_ bei; in Rumänien besteht ja die gleiche
orthodoxe griechische Kirche, und so war der Ritus derselbe wie
in den bulgarischen Kirchen. In Bukarest zelebrierte der dortige
Metropolit selbst die Messe in einer Schar glänzend geschmückter
Priester. Es wurden Verse in altslavischer Sprache gesungen, denen
Chöre antworteten. Diese machten mir damals einen sehr schönen
Eindruck, da sowohl die Stimmen der Priester, als auch die in den
Chören vortrefflich waren und die sehr schönen Gesänge sehr rein und
ausdrucksvoll gesungen wurden. In Üsküb trat allerdings das Christentum
jedenfalls in den Gebäuden nicht hervor und im allgemeinen war es auch
reizvoller und interessanter, sich mit dem, was aus der Türkenzeit von
mohammedanischem Wesen übrig geblieben war, zu beschäftigen.

Von Moscheen besuchte ich eine ganze Anzahl, deren Gittertore,
Vorhallen, Gewölbe und Teppiche vielfach sehr schön waren. Auch die um
einige von ihnen gelegenen Gräber mohammedanischer Vornehmen waren zum
Teil sehr eigenartig und gute Leistungen von Kunstschmieden. Stattlich
ist besonders die Murad-Moschee, in welcher schöne Teppiche zu sehen
waren. Neben ihr steht der rote Uhrturm, ein Wahrzeichen Üskübs. Im
Stadtteil um die Zitadelle, nicht weit des Kurschumli-Han, befinden
sich die ältesten Moscheen. Besonders hervorragende Architekturen gibt
es in Üsküb nicht, immerhin ist es ein anständiges Niveau, welches die
dortigen Moscheen repräsentieren, und was die Türken von Bauwerken
hinterlassen haben, flößt einem doch Respekt vor der Kultur ein, welche
sie in diesem Lande vertraten.

Einen merkwürdigen Ausdruck mohammedanischer Religiosität lernte ich
in den Ekstasen sogenannter _tanzender_ und _heulender Derwische_
kennen. Jeder, der eine Stadt des Orients besucht, hat Gelegenheit,
dergleichen kennen zu lernen. Vor allem aus Ägypten oder Algier gibt
es viele Darstellungen dieser seltsamen Exzesse. Das, was ich davon in
Üsküb sah, verdient wegen seiner Besonderheit Erwähnung. Hier handelte
es sich nicht um eine öffentliche Schaustellung in einem großen Raum,
sondern wir durften fast heimlich die religiöse Handlung bei einer
Sekte, die sich aus armen, einfachen Leuten zusammensetzte, in einem
kleinen Haus eines entlegenen Stadtteiles ansehen.

Das Ganze war mit einem gewissen Mantel des Geheimnisses umgeben;
ein Führer begleitete uns gegen Mitternacht durch dunkle Gassen in
ein fernes Quartier am Rand der Türkenstadt. Nur mit der Laterne
fanden wir unseren Weg durch enges Gewinkel. Zuletzt bogen wir in
einen mauerumfaßten Hof und traten in ein niederes kleines Haus ein,
welches nur dürftig mit einigen qualmenden Lampen erhellt war. Ein
etwas größerer Raum war für die sogenannten Derwische frei gemacht.
Die Nebenräume füllten sich allmählich mit einer Menge einfacher
Männer aus dem umgebenden Viertel. Alles flüsterte nur und bewegte
sich mit großer Geschäftigkeit schlürfend durch die Räume. Wir als
Offiziere wurden mit einer gewissen Auszeichnung behandelt, die im
wesentlichen darin bestand, daß man uns Polster darbot, auf denen wir
uns niederhocken konnten.

[Illustration: ÜSKÜB IM SCHNEE.]

Dann kamen einige einfache Männer in den mittleren Raum, entkleideten
sich den Oberkörper und verhielten sich zunächst still und schweigsam.
Es waren alles Männer aus dem Volk, Arbeiter, Handwerker, Gärtner,
Diener, Knechte, Lastträger, die zu dieser eigenartigen Sekte gehören.
Es ist bemerkenswert, daß auch die mohammedanische Religion Sekten
gebildet hat, deren Lehren nicht nur die Theologen ergreifen, sondern
einen starken Einfluß auf das Volk haben.

Ein etwas älterer Mann, den sie ihren _Scheik_ nannten, ordnete die
Männer in Reihen mit befehlendem Blick und energischen Handbewegungen,
den einen hierhin-, den anderen dorthinweisend. Tiefe Stille trat
ein, als er jedem seinen Platz anwies und jeden fast eine Minute lang
scharf fixierte. Der Scheik leitete die ganze Handlung, die stundenlang
dauerte und hatte offenbar die Leute alle vollkommen in der Hand.

Zunächst hockten sich die Männer hin und begannen langsam und
rhythmisch „Allah‟, „Allah‟, „Allah‟ zu rufen. Laut und sonor klangen
die Stimmen, immer lauter werdend. Dann begannen alle gleichmäßig
den Oberkörper hin und her zu bewegen, wobei sie die Arme über der
Brust gekreuzt hielten. Der Rhythmus des Rufs und der Bewegung wurde
beständig von dem Scheik geleitet, der dabei die einzelnen oft sehr
grob anherrschte.

Waren die Leute ermüdet, so pausierten sie für einige Minuten und
fingen dann wieder mit ihren Ausrufen und Bewegungen an. Der Rhythmus
der Bewegung wurde immer schneller und die Rufe immer lauter gegen Ende
eines solchen Satzes. Die Leute strengten sich immer mehr an, es war
ein ganz seltsamer Anblick, wie ihre Bewegungen immer mechanischer,
ihre Blicke immer stierer wurden.

Nach Mitternacht waren Sang und Tanz zu einer hysterischen Ekstase
gesteigert. Die Männer waren zum Teil aufgestanden und machten die
Bewegungen nun mit dem ganzen Körper. Alle brüllten und schrien Allah,
Allah, während einige einen seltsamen rhythmischen Gesang ausführten.
Erlahmte einer, wurde seine Stimme heiser, seine Bewegungen langsamer,
so brüllte ihn der Scheik an. Half das nichts, so stellte er ihn an
einen anderen Platz, ihn langsam führend und dabei seine Blicke in
seine Augen bohrend.

So wurde es von Sang zu Sang, von Tanz zu Tanz immer toller und wilder,
die Bewegungen immer schneller, die Schreie immer greller, wobei der
Scheik immer vormachte, immer aneiferte. Die Körper der Männer wurden
naß vor Schweiß, in Strömen tropfte er auf den staubigen Boden. Die
Bewegungen wurden immer verrenkter, die Stimmen heulten und ächzten.
Schließlich warfen sich einzelne auf den Boden; der Scheik richtete
sie sofort wieder auf und wußte sie sofort in den Gesamtrhythmus der
Bewegungen und der Töne einzureihen.

Schließlich standen manche ganz starr und regungslos da, sie waren
offenbar in einem hypnotischen Zustand. Da ließ sich nun der Scheik
lange spitze Nadeln reichen und stach sie den einzelnen durch die
Backen, durch die Ohren, durch Oberarm und Wade, ohne daß die Leute
nur zuckten und einen Laut von sich gaben. Immer wieder fing das
Geheul und Gewackel an, und immer mehr der Leute ließen sich zu den
Nadelexperimenten herbei.

Welch seltsame Form der Gottesverehrung mußte ich da mit ansehen! Wie
merkwürdig war die Hingabe der Männer an die Sache, wie folgten sie dem
Blick und Wort ihres Scheiks. Seltsam, die ganze Situation stand wieder
vor mir auf, als ich im Winter nach der Revolution in Breslau in einem
großen Saal die Vorführungen eines Hypnotiseurs und Gedankenlesers sah,
der dort das Publikum der Großstadt ebenso in seiner Gewalt hatte, wie
hier der Scheik seine armen Üsküber Vorstädter. Hier wie dort waren es
meist blasse, verhungerte Gestalten, besondere Menschentypen, welche
sich der Macht des Hypnotiseurs beugten. Allerdings in Mazedonien
waren es nur Männer, die teilnehmen durften, in Deutschland waren es
ebensoviele Frauen als Männer, die man so ganz den eigenen Willen
verlieren sah.

Der Unterschied war groß genug zwischen den beiden Situationen. Wie
seltsam berührten mich doch jene religiösen Ekstasen der einfachen
Leute in dem halb dunkelen Raum, der schließlich von einer heißen,
stinkenden Luft erfüllt war, gemischt aus dem Rauch der Lampen, dem
Schweißgeruch und dem versagenden Atem der tollen Menge.

Draußen winkte die Kühle der Nacht; an die vergitterten Fenster des
Hauses drängten sich kleine Kinder und alte Weiber, die etwas von
dem seltsamen Schauspiel erhaschen wollten. Halbnackte Zigeunerinnen
blickten mit lüsternen Blicken herein.

Es ging schon gegen Morgen, als mein Begleiter und ich den Raum
verließen, leise erschauernd im kühlen Wind. Wir atmeten auf, als
die Stille der nächtlichen Gassen uns umfing und waren in Gedanken
versunken, während wir über den Hügel in unser Quartier zurückkehrten.
Nach all dem Getümmel und Lärm ruhten unsere Sinne aus und die Augen
erholten sich, als sie im Schein des untergehenden Halbmondes noch
über die Dächer der Stadt, die Kuppeln der Moscheen, die Minarets
blickten, zwischen denen der Spiegel des Wardar aufblinkte, der leise
in der Tiefe rauschte. Welch phantastischen Eindruck hatten wir
mitgenommen von den Wurzeln, welche der Mohammedanismus im Boden dieses
unglücklichen Landes gefaßt hat.



SIEBZEHNTES KAPITEL

DIE BULGAREN IN MAZEDONIEN


Die Bulgaren sind nun einmal durch Schicksal mit uns verbunden.
Das gleiche Unglück wie uns hat sie betroffen. Sie fühlen sich als
Schicksalsgenossen und nicht wenige unter ihnen sehen immer noch mit
Bewunderung auf uns und hängen an uns. So haben wir die Pflicht, sie
nicht zu vergessen, uns mit ihnen zu beschäftigen, sie nicht im Stich
zu lassen. Es ist eines der wenigen Völker, das noch etwas von uns hält
und zu uns hält. So sollten wir uns bemühen, sie nach Möglichkeit zu
verstehen und ihrem Wesen näher zu kommen.

Vor dem Krieg glaubten wir fast alle fremden Völker zu verstehen und
sie zu durchschauen. Wie oberflächlich war in Wirklichkeit die Kenntnis
fremder Völker und das Verständnis für ihre Besonderheiten in weiten
Kreisen unseres Volkes. Um so mehr bleibt uns jetzt nach dem Kriege in
dieser Beziehung zu tun übrig. Wer Gelegenheit hatte, in Kreise und
Individuen aus einem Volk, wie die Bulgaren, etwas tiefere Einblicke
zu tun, der ist verpflichtet, seine Erfahrungen der Allgemeinheit
zugänglich zu machen, um uns für die Zukunft vor so verderblichen
Vorurteilen zu bewahren, wie sie während des Weltkrieges zu unserem
Schaden viele Deutsche beherrschten.

Mit wie wenig Takt und Verständnis traten unsere Landsleute in den
meisten Fällen unseren Bundesgenossen gegenüber. Wie oft war ich
peinlich berührt von der unberechtigten Überhebung, mit der unsere
Soldaten auf die armen, dummen Bulgaren herabsahen, von der Art,
mit der unsere Offiziere von ihren bulgarischen Kameraden sprachen.
Gewiß gab es manche Ausnahmen. Es gab Verständnis, es gab rechte
Kameradschaft, und wo die Verhältnisse Männer beider Völker für
Monate oder gar Jahre zusammenketteten, kam es auch zu guter, treuer
Freundschaft.

Eine große Schwierigkeit bot für die Verständigung die Sprache. Der
Eifer zum Erlernen des Deutschen war bei den Bulgaren bedeutend größer
als der Deutschen Streben zum Bulgarischen. Erschwerend war die fremde
Schrift und der Zweifel, ob man mit dieser Sprache später werde viel
anfangen können; dazu kam der Mangel an fesselnder Literatur. Auch
Grammatiken und Wörterbücher fehlten anfangs und wurden erst allmählich
in genügender Menge beschafft. Es war unter den Deutschen die Kenntnis
des Bulgarischen vor dem Kriege eine sehr große Seltenheit. Diese Kluft
wäre aber zu überbrücken gewesen, wobei der rührende Eifer vieler
Bulgaren zum Deutschlernen sehr hätte helfen können. All das hätte im
Interesse besserer Beziehungen zwischen beiden Völkern ganz anders
ausgenutzt werden können als es geschah.

Sah man sich in einer Gesellschaft bulgarischer Offiziere oder Ärzte
um, ging man aufmerksamen Auges an einer marschierenden Truppe vorbei
oder bummelte man durch die Straßen einer bulgarischen Stadt, Sofia,
Tirnowo oder Rustschuk, so fiel einem stets die Vielheit der Typen
auf. Die Menschen sahen ganz außerordentlich verschieden aus. Man
erkennt sie nicht ohne weiteres als Bulgaren, wie man etwa Italiener
oder Engländer als solche erkennt. In einer größeren Menge herrschte
stets ein dunkler Typus vor mit dunkelbraunem Haar, braunen Augen,
dunkler Haut. Das war in Bulgarien selbst fast stets der Fall; so sah
ich in Tirnowo kaum einen hellhaarigen Menschen. Auch in der Armee wog
der brünette Typus vollkommen vor. Es waren fast stets mittelgroße
Gestalten mit Kurzköpfen, die oft einem Mitteltypus sich näherten, und
länglichen Gesichtern. Sehr viel schöne Erscheinungen sind mir unter
den bulgarischen Männern nicht begegnet. Noch weniger allerdings unter
den bulgarischen Frauen. Allerdings muß ich gestehen, daß ich in der
Kriegszeit gegenüber den vielen Männern nur eine verschwindende Zahl
von Frauen zu Gesicht bekam. In Mazedonien waren ja fast nur Männer aus
Altbulgarien; von den mazedonischen Bulgarinnen ist an anderer Stelle
die Rede.

Zwischen den brünetten Bulgaren fanden sich aber immer wieder
Mischtypen, also blaue Augen kombiniert mit dunkelm Haar, blonde Haare
mit braunen Augen. Es gab alle möglichen Kombinationen. Selten waren
Langköpfe mit blonden Haaren und blauen Augen in Bulgarien selbst,
etwas häufiger in der Armee. Auffallend häufig waren sie im westlichen
Mazedonien, so z. B. in Prilep und am Ochridasee. In den Straßen von
Prilep tummelten sich spielende Kinder, die man hätte mit deutschen
Kindern verwechseln können, mit ihren noch dazu sonnengebleichten,
flachsfarbenen Haaren und leuchtend blauen Augen. Auf die Dauer war
eine solche Verwechslung allerdings nicht möglich; denn so verlumpte,
verschmutzte, verwahrloste Kinder gab es in Deutschland nirgends.

Die gleiche Vermischung von Typen, welche auf alle möglichen Rassen
hinweisen, zeigen wie die Bulgaren fast alle Balkanvölker. Das
ist die Folge der bewegten Vergangenheit des Balkans, in welchem
Völkerwanderungen, Volksverschiebungen, Herrschaftsausdehnungen sich
seit zwei Jahrtausenden unablässig folgten. Soviel eingewandert und
ausgewandert, verschoben und ausgerottet wurde wohl in keinem Teil
Europas in historischer Zeit.

[Illustration: Abb. 139. Sonntag am Brunnen im Dorf Pubjance Juli 1918.]

In die von Thrakern, Mazedoniern und Griechen bewohnten Teile des
Balkan brachen nacheinander Germanen, vor allem West- und Ostgothen,
dann Hunnen, Avaren, schließlich ural-altaische Völker und Slaven ein.
Das begann schon, als das Gebiet durch die römische Herrschaft noch
kaum oberflächlich latinisiert war. Immerhin waren auch durch die
Kolonisation der Römer, vor allem durch Ansiedelung von Legionären
manche fremde Elemente und mit ihnen lateinische Sprache eingeführt
worden. Diese hatte nach der Abtrennung von Ostrom und der Begründung
des byzantinischen Reiches immer mehr mit der sich ausbreitenden
griechischen Sprache, die von der griechischen Kirche getragen wurde,
zu kämpfen.

Es war schon ein rechtes Völkergemisch, welches die _Bulgaren_
antrafen, als sie im siebenten Jahrhundert über die Donau auf dem
Balkan einwanderten. Den Namen der Bulgaren brachte ein uralaltaisches
Volk mit, welches in nicht allzugroßer Volkszahl über die Donau
einbrach, wohl aus Südrußland kommend und südlich der Donau die dort
ansässigen slavischen Stämme unterwerfend. Hier fanden sie schon
in deren Gebiet keine einheitliche Bevölkerung vor. Aber es saß im
Lande eine Bevölkerung mit nicht ganz geringer Kultur und slavischer
Sprache. Die kriegerischen, organisatorisch immerhin mehr als jene
begabten Bulgaren gaben in dem fruchtbaren Lande ihr Nomadenleben auf,
wurden ansässig, vermischten sich mit der eingeborenen Bevölkerung und
nahmen mit den Sitten auch ihre Sprache an, die durch die Jahrhunderte
zur jetzigen bulgarischen Sprache wurde und dieser Entstehung
ihre altslavischen Elemente verdankt. Sie wurde die Staats- und
Kirchensprache eines entstehenden Staates, dessen Bevölkerung sich
in der Hauptsache aus vorher romanisierten Thrakern, Slaven und den
tatarischen Bulgaren zusammensetzte. Dazu kommen noch all die Elemente,
welche aus Ureinwohnern und römischen Legionären herzuleiten waren.

Noch sieht man heute unter den Bulgaren nicht selten eine kleine,
eckige, schlitzäugige Tatarengestalt und ganz selten glaubt man in
einem auffallend edlen Profil einen Tropfen Römer- oder Asiatenblut
ahnen zu dürfen. Die Hauptmenge der modernen Bulgaren zeigt slavischen
Typus, wobei vielleicht der reinste in Westmazedonien, in der Gegend
zwischen Prilep und dem Ochridasee, in den blonden Langköpfen uns
entgegentritt.

In dem Reich der Bulgaren erstand bald ein gefährlicher Feind für
Byzanz. Es zeigte sich in dem neuentstehenden Volke ein gewisser
Sinn für Organisation und die kriegerische Tüchtigkeit war wohl
von den Steppenvölkern auf die Mischrasse übergegangen. Nun kamen
die Jahrhunderte bald erfolgreicher, bald mit mehr oder weniger
vollkommenem Zusammenbruch endenden Kriege der Bulgaren mit Byzanz.
Noch in diesen Zeiten floß neues Blut dem Volk der Bulgaren zu. Bei
den vielen Grenzverschiebungen strömte byzantinische Bevölkerung
verschiedener Herkunft immer wieder in das Gebiet der Bulgaren ein.
Zum Teil wurden sie von Byzanz zwangsweise unter den Bulgaren und an
deren Grenzen angesiedelt. Dieser Zuwachs war zum Teil asiatischer
Herkunft.

Und dann kam die große Tragik bulgarischer Geschichte, die sich bis
in die Gegenwart fortsetzt. Nie gelingt es diesem Volke, seine großen
politischen und völkischen Ziele zu erreichen. Wie oft standen die
Bulgaren vor Byzanz, nie gelang es ihnen, diese Stadt einzunehmen
und damit den erstrebten Einheitsstaat auf dem Balkan zu begründen.
Immer wieder brachen sie im letzten Moment zusammen, verloren den
Mut und zogen sich freiwillig oder gezwungen zurück. Muß man nicht
unwillkürlich an ihren letzten Versuch im ersten Balkankrieg denken,
als sie 1911 an der Tschataldschalinie verbluteten, der Cholera erlagen
und alle Erfolge ihrer Siege wieder einbüßen mußten!

Im Mittelalter war es wie heute die Eifersucht zwischen slavischen
Brudervölkern, welche die Begründung eines einheitlichen Slavenreiches
auf dem Balkan immer wieder verhinderte und die Übermacht erst der
Byzantiner, später der Türken sicherte. Sieben Jahrhunderte lang
kämpften die Bulgaren vergeblich um die Vormacht auf dem Balkan, ehe
sie in die fürchterlichste Knechtschaft versanken, welche die Türken
ihnen bereiteten. Schon im achten Jahrhundert begann die Feindschaft
der Bulgaren mit den Serben, die ja heute unversöhnlicher ist als
jemals. Die vielen Kriege der beiden slavischen Völker miteinander
mit immer sich folgenden Grenzverschiebungen, brachten immer wieder
Bulgaren und Serben bald als Beherrschte, bald als Herrscher in
Beziehungen zueinander. Das gab wieder Veranlassung zu mehr oder minder
lokalen Abwanderungen und steigerte den Durcheinander der Siedelungen
auf dem Balkan.

Bis in diese Zeiten gehen die Verschiebungen der Grenzen der
Sprachgebiete zwischen serbisch und bulgarisch auf dem Balkan, speziell
in Mazedonien. Sie machen es so schwer zu sagen, ob im Norden an der
Donaugrenze es ein serbisch gefärbter bulgarischer Dialekt ist, der
in einem Dorf, etwa bei Pirot, gesprochen wird oder ein bulgarisch
gefärbter serbischer. Ähnlich ist in Nordmazedonien die Grenze unklar
und verwischt.

Neues Blut wurde schließlich durch die Türkenherrschaft in das
bulgarische Volk gebracht. Die Vermischung mit Türken selbst braucht
man nicht zu überschätzen, obwohl sie in manchen Gegenden nicht allzu
gering gewesen sein wird. Als nach der Schlacht auf dem Amselfeld auch
das serbische Reich vernichtet, der ganze Balkan osmanisch war, bekamen
die Türken ein verwüstetes und entvölkertes Land in die Hand. Vor allem
unendlich viele Bulgaren hatten das Leben verloren, ihre Dörfer und
Städte waren zerstört. Und die Aufstände gegen die Türkenherrschaft
kosteten immer mehr Leben, brachten immer weitere Zerstörungen. Viele
Bulgaren wanderten aus, andere -- besonders Aufrührer -- wurden
gewaltsam nach Kleinasien oder sonstwohin umgesiedelt.

Eisern lag die Hand der Türken auf dem Land. Große Mengen von Türken
wurden in den verödeten Ländern angesiedelt, besonders in Thrakien.
Viele Bulgaren traten zum Mohammedanismus über, um bessere Zustände
zu erreichen. Wenn sie auch ihre Sprache behielten, mit türkischen
Sitten und türkischer Kleidung steigerte sich natürlich bei diesen
„_Pomaken_‟, wie sie jetzt noch in Mazedonien, Thrakien und Bulgarien
heißen, die Möglichkeit der Vermischung mit Türken und all den von
diesen auf dem Balkan angesiedelten Asiaten.

Viele Bulgaren zogen sich in die unwegsamen Gebirge ihres Landes
zurück; in diesen ärmlichen Gebieten wuchs zwar ein rauhes, kräftiges
Volk heran, aber es mußte notwendig verbauern; es verlor ein gut Teil
seiner eigenen Kultur, welche mühsam im Zusammenhang mit der Kirche,
von einzelnen Klöstern gepflegt, sich in Spuren erhielt.

Schwer lastete das Joch der Türken nun fast 500 Jahre, von 1400 bis
fast 1900, auf den Bulgaren. Man muß verstehen, was das für ein
Volk bedeutet, das große Reiche gegründet, welches mit Byzanz um
die Vorherrschaft gerungen, eine eigene nicht unerhebliche Kultur
entwickelt hatte. Will man die heutigen Bulgaren richtig beurteilen, so
muß man wissen, was dies Volk in diesen Jahrhunderten gelitten hat, wie
ihm das Rückgrat systematisch gebrochen wurde.

Was bedeutet es andererseits, wenn ein Volk von dem durch Gewalt
erzwungenen Tiefstand in wenig Jahrzehnten auf die Stufe sich
aufschwang, auf der wir es während des Kriegs antrafen, als wir es zum
ersten Male richtig kennen lernten. Durch das, was ich in Mazedonien
sah und erfuhr, habe ich einiges von den seelischen Leiden verstehen
gelernt, die während Jahrhunderten auf diesem unglücklichen Volk
lasteten und ihm an Mark und Nerven zehrten.

Während es unter den gebildeten Bulgaren viele feine, sehr kultivierte
Menschen gibt, ist der Eindruck, den die Mehrzahl der Bulgaren in
Mazedonien auf Deutsche und Österreicher machte, der eines herben,
groben Volks. Und zwar machten nicht nur die Mannschaften, sondern
auch vielfach die Offiziere diesen Eindruck. Auch in den Kreisen
der Ärzte, mit denen ich viel verkehrte, fand man große Gegensätze.
Während die einen sehr gute Manieren zeigten und sich in keiner Weise
von kultivierten Mitteleuropäern unterschieden, hatten manche Männer
bei guter wissenschaftlicher Ausbildung außerordentlich schlechte,
nachlässige Gewohnheiten. Man war vielleicht geneigt, etwas zu sehr auf
diese Äußerlichkeiten zu achten, weil man auch bei unseren Offizieren
und Ärzten gegen die hier seltenen Fälle schlechten Benehmens im
fremden Lande sehr empfindlich war. Aber bei den Bulgaren war die
gröbere Art doch sehr auffällig und die Erfahrungen vieler Deutschen in
dieser Beziehung sicher nicht zufällig.

Nun spielte dabei sicher der lange Krieg eine nicht geringe Rolle; auch
bei uns rekrutierte sich das Heer und speziell das Offizierkorps im
Krieg mit einer weniger sorgfältigen Auslese, als es im Frieden möglich
gewesen war. Viele junge Männer entbehrten der Erziehung, die ihnen
früher zuteil geworden wäre. Bei den Bulgaren war es von Einfluß, daß
nach den schweren Verlusten der beiden Balkankriege ein großer Teil des
Offiziersersatzes notgedrungen aus dem Unteroffiziersstand genommen
werden mußte. Daß dabei nur die militärische Brauchbarkeit und nicht
die Bildung die Auswahl bedingte, war leicht zu verstehen.

Vor allem ist aber die grobe Art der Bulgaren dadurch zu erklären,
daß sie in der Hauptsache ein _Bauernvolk_ sind. Auch bei uns sind
Männer aus Gebieten mit Bauernbevölkerung in ihren Gewohnheiten sehr
wohl von den Städtern zu unterscheiden und bei aller Liebe, welche
die Oberbayern in ganz Deutschland genießen, spricht man doch von den
groben Bayern.

In Bulgarien betrug 1910 die ländliche Bevölkerung mehr als 80% des
Gesamtvolks, während in Städten nicht ganz 20% lebten. Das erklärt
sich zum Teil aus der geschichtlichen Entwicklung, welche vor allem in
der Türkenzeit das Wachstum der Städte hinderte und die bulgarische
Bevölkerung aufs Land und in die Berge trieb. Bis kurz vor dem Krieg
war in Bulgarien eine starke Volksbewegung im Gang. Nach dem Sturz der
Türkenherrschaft strömte die Bevölkerung des Gebirges in die verödeten
Städte und Dörfer der Täler und Ebenen.

Eine eigene, städtische, höhere Kultur, in der türkischen Zeit kaum
möglich, konnte sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickeln;
Tradition gibt es noch kaum und Nachahmung des Ausländischen herrscht
noch durchaus vor. Dazu kam vor allem der starke russische Einfluß.
Die Befreiung vom Türkenjoch durch die Russen führte viele Bulgaren in
das russische Heer, auf russische Schulen, an russische Universitäten.
Gerade in Rußland erzogene Offiziere betonten vielfach eine Abneigung
gegen westliche Manieren und trugen rauhe Sitten ostentativ zur Schau.

[Illustration: Abb. 140. Tanz im Dorf Kopanči, südlich vom Wodno. Juni
1918.]

Mit der gröberen Art des Bauernvolks sind aber bei der Masse der
Bulgaren auch viele der Vorzüge der ländlichen Bevölkerung verbunden.
Ganz außerordentlich war die körperliche Leistungsfähigkeit und
Anspruchslosigkeit der bulgarischen Soldaten. An der mazedonischen
Front führten sie vielfach ein wahres Hungerdasein; und mit welchen
Unterkünften sie sich zufrieden gaben, war unseren deutschen Soldaten
unverständlich. Der Mangel an Sauberkeit und die Vernachlässigung der
Kleidung war offenbar eine Folge des langen Kriegs. Auch bei unseren
Soldaten trat in Mazedonien mit der Zeit eine starke Nachlässigkeit
auf. Allerdings so verlumpt, zerrissen und verschmutzt wie manche
bulgarischen Regimenter war nie eine deutsche Truppe.

Die Bauernbevölkerung bulgarischen Stammes in Mazedonien und was ich
von ihr im Zartum Bulgarien sah, war im allgemeinen sehr sauber und in
der Kleidung sehr sorgfältig und adrett. An Ehrlichkeit und anständiger
Gesinnung geben die bulgarischen Bauern den unserigen nichts nach.
Wie bei uns ist ja in dieser Beziehung während des Kriegs auch dort
vieles zugrunde gegangen. Was aber die Moral in den Beziehungen der
Geschlechter anlangt, so glichen die Sitten der bulgarischen Bauern
denen unserer besten, saubersten Landbevölkerung.

So gewann ich denn den Eindruck eines ausgezeichneten, physisch und
moralisch gesunden Kerns der bulgarischen Bevölkerung.

Geradezu rührend ist die Lernbegier der Bulgaren. Wo sie konnten,
suchten Soldaten und Offiziere von uns Deutschen zu lernen. Nicht
nur die Sprache, sondern in jedem Gebiet; Handwerker wie Ärzte,
Beamte und Offiziere wie Studenten sahen zu unserer höheren Kultur
auf, und suchten vom Zusammenleben mit den Deutschen zu profitieren,
so viel sie nur konnten. Ein Fall, den ich beobachten konnte, ist
geradezu typisch; ich könnte ihm viele ähnliche anschließen. In einer
Gebirgsstellung lagen deutsche Spezialtruppen oben am Berg, während
die unteren Stellungen von Bulgaren besetzt waren. Ein Unteroffizier
hatte fast täglich die bulgarischen Stellungen zu passieren, um unten
Befehle zu holen. Eine Gruppe junger bulgarischer Offiziere hielt ihn
jedesmal mindestens eine Stunde auf, bewirtete ihn freundlich, um eine
Konversationsstunde mit ihm abzuhalten und ihre Fehler im Deutschen
sich von ihm korrigieren zu lassen.

In Bulgarien waren ja sehr gute Volksschulen überall in starker
Vermehrung, überall wurde die Gründung von Mittelschulen angestrebt
und während des Kriegs wurde eifrig am Ausbau der Universität in Sofia
gearbeitet, welche bis dahin erst drei Fakultäten besaß, und der eine
medizinische Fakultät noch fehlte. Ich sah mir gern und oft bulgarische
Schulen an und hatte einen ganz guten Eindruck von Zucht, Disziplin und
Lerneifer der Schüler und Schülerinnen. Auch im besetzten Mazedonien
waren sofort bulgarische Schulen eröffnet worden. Es war dies ja
seit Jahrzehnten schon das wichtigste nationale Propagandamittel der
konkurrierenden Völker auf dem Balkan geworden.

Bei allen vorzüglichen Eigenschaften, welche ich bei dem bulgarischen
Volk zu beobachten glaubte, zwei wichtige Fähigkeiten vermißte ich, wo
ich sie bei der Arbeit beobachten konnte. Das war einmal das Talent zur
Organisation und vor allem die Fähigkeit zum Durchhalten. Sicher ist
die Klarheit aller Einsichten durch die besonderen Verhältnisse während
der Kriegszeit getrübt gewesen. Aber gerade in dieser Zeit, in welcher
Anspannung höchster Leistungsfähigkeit nationale Forderung war, hätten
diese Fähigkeiten sich im rechten Lichte zeigen sollen.

Es war mir sehr auffallend, wie schwer selbst die Begabtesten der
bulgarischen Ärzte, in deren Tätigkeit ich einen tieferen Einblick
gewann, ihre Autorität in einem größeren Betrieb still und unauffällig
durchsetzen konnten. Wie oft konnte ich sehen, daß ein Vorgesetzter
sich selbst mit viel unnötiger Arbeit belastete und absolut nicht
fertig brachte, seine bulgarischen Untergebenen zu planmäßiger
Arbeit zu bringen, während alles aufs beste klappte, wenn ein
deutscher Gehilfe ihnen zur Seite stand, oder etwa ein französischer
Kriegsgefangener zur Verfügung stand, der an geordnete Arbeit gewöhnt
war.

Daß Gebäude, Straßen, Eisenbahnen so ganz vernachlässigt wurden, daß
alles verkam, ist ja wohl mit eine Erscheinung gewesen, welche durch
die Jahrzehnte der Unruhe auf dem Balkan verursacht war. Es mag auch
sein, daß die Jahrhunderte der Türkenherrschaft den Bulgaren abgewöhnt
hatten, eigenen Besitz, der doch stets unsicher war, sorgfältig zu
pflegen. Das gilt vor allem für Mazedonien. Da habe ich kaum ein
bulgarisches Haus gesehen, wo nicht etwas baufällig war, Scheiben
fehlten, der Mörtel an vielen Stellen abgefallen war, die Stühle und
Tische zerbrochene Beine hatten. Die Vorhänge waren oft zerrissen, die
Fenster hielten nicht dicht, Schubladen wackelten hin und her oder
waren nicht zu bewegen, Schränke, Haus- und Zimmertüren schlossen nicht
und die meisten Schlüssel fehlten. Sicher war das alles im Zartum
Bulgarien, welches doch seit 1878 geordnetere Zustände gehabt hatte,
viel besser. Aber auch dort sah man überall Spuren von Vernachlässigung
und wenn auch nicht so viel wie in Mazedonien, allerorts Ruinen.

Die Eisenbahnen sahen ja auch bei uns am Ende des Krieges nicht zum
besten aus. Aber in Bulgarien und wo Bulgaren auf der Eisenbahn fuhren,
da waren die Abteile bös zugerichtet. Fenster gab es überhaupt nicht
mehr. Der bulgarische Soldat ist in seinen Bewegungen sehr plump; beim
Ein- und Aussteigen wurden mit Gewehren und Tornistern, mit Lasten und
Kisten regelmäßig Scheiben zertrümmert. Und alles, was nicht niet- und
nagelfest war, verschwand allmählich in den Abteilen. Griffe und Haken,
Zugbänder und Netze, Vorhänge und Lampen waren verschwunden und alle
Wagen in der übelsten Weise verschmutzt. Vor allem die Aborte waren in
einem schweinigen Zustand.

[Illustration: Abb. 141. Mazedonische Stadthäuser.]

Das ist der Bulgare nicht etwa so gewöhnt. In den bulgarischen Häusern
besteht der Abort in der Regel aus einem dunklen gepflasterten Raum mit
einem runden Loch im Boden. Diese primitiven Orte, wie sie ja in ganz
Südeuropa üblich sind, werden im bulgarischen Bürgerhaus meist sehr
sauber gehalten. Aber der bulgarische Bauer ist sehr gleichgültig gegen
seine Umgebung; er liegt am Boden zwischen allem möglichen Unrat und so
stört ihn ein verschmutztes, voll Papier, Asche und Nahrungsabfällen
liegendes Eisenbahnabteil in seinem Behagen nicht sehr.

Den größten Kontrast, den man sich vorstellen kann, stellt eine
bulgarische Volksmenge auf einem Bahnhof mit einer japanischen dar.
In Japan war ich auch zur Kriegszeit 1904 und 1905. Da gab es auch
manch eiliges Verladen von Soldaten und Verkehrsnot fürs Publikum. Wie
ist aber der Japaner durch jahrhundertlange Erziehung diszipliniert;
fast instinktiv ordnet er sich hinter der Sperre in Reih und Glied,
geht langsam und gleichmäßig hindurch und sammelt sich in kleinen
Gruppen vor den Wagen, in welche ohne Hast, Gedränge und schweigend
eingestiegen wird.

Dagegen die brüllende Masse von Bulgaren, die sich boxend und
tretend durch die Sperre auf den einfahrenden Zug stürzen, an ihm
emporklettern, mit den Gewehren in der Luft fuchteln, einander
umstoßen, in Massen in ein Abteil eindringen, wobei Scherben,
Eßgeschirre, Flaschen herumfliegen! Leider ist es heutzutage in dem
früher so geordneten Deutschland auch nicht viel anders.

Selten sah ich in einem solchen Getümmel einen bulgarischen Offizier
den Versuch machen, Ordnung zu schaffen. Oft hat man bei den Bulgaren
den Eindruck, als seien sie stark von dem türkischen Fatalismus
beeinflußt.

Und ähnlich wirkte oft auf mich ihre Entschlußunfähigkeit, etwas mit
letztem, starken Willensaufwand zum guten Ende durchzuführen. Lag
es daran, daß sie niemals Byzanz eroberten? Sind sie so sehr vom
Schicksal gedrückt worden, daß sie immer im letzten Moment verzweifeln,
daß das Glück ihnen auch einmal zuteil werden könnte? Im Leben des
einzelnen sah ich oft die Unfähigkeit, widerwärtige Verhältnisse in
seiner Umgebung durch Willensaufschwung zu überwinden, daran schuld
werden, daß großes Talent, edle Fähigkeiten sich nicht durchrangen.
Auch sonst scheinen mir die Südslaven manche nationale Fehler mit uns
Deutschen zu teilen. Ihre Zersplitterung in einzelne Stämme mit zäh
festgehaltenen Stammeseigentümlichkeiten haben sie auch in den 1500
Jahren ihrer Geschichte verhindert, sich jemals zu einer großen Einheit
zu vereinigen. Sind nicht sie und wir Völkergruppen, die wohl geeignet
wären einander ein abschreckendes Beispiel zu geben und voneinander zu
lernen? Sind wir nicht Schicksalsverwandte, die Sympathie für einander
haben sollten und den Versuch unternehmen müßten, sich gegenseitig zu
verstehen und zu helfen?

War man in einem großen Kreis bulgarischer Offiziere und Ärzte, so
konnte es einem wie in einem entsprechenden Kreis von Deutschen
ergehen. Man hatte das Gefühl, als könne man aus der Vielgestaltigkeit
der Gesichter und Typen Schicksal und Geschichte der Natur ablesen.

Viele der älteren Offiziere sahen, ihrer Ausbildung und Tradition
entsprechend, genau aus wie Russen, dieser glich einem Türken, jener
war ein ausgesprochener Südslave; bei einem sah der Semit, auch
wohl einmal der Armenier oder ein Tropfen Zigeunerblut hindurch, am
sympathischsten waren mir diejenigen, welche bulgarischen Bauern
glichen. Wie oft mußte ich beim Anblick einer solchen Gesellschaft
denken, wie gleicht dies Volk uns in Schicksalen und unerfüllten
Idealen. Es wäre doch der Mühe wert, sich in das Wesen und die Art
dieser Nation zu versenken, von ihren Schicksalen zu lernen und ihr
Streben nachzuahmen.

Statt dessen sah man vor allem bei unseren jüngeren Offizieren
manch spöttisches Lächeln und hörte viele unfreundliche Bemerkungen
über schlechte Manieren und über das Knoblauchessen. Das war weder
Überhebung noch schlechte Meinung, sondern es war eine leichtfertige
Verkennung der Rolle, welche jeder Deutsche dort zu spielen hatte. Es
fehlte die zart sich äußernde Überlegenheit des wahren Kulturträgers,
welcher so viel ausrichten kann und gerade dort ausgerichtet hätte.
Unsere hochgebildeten bulgarischen Freunde hatten eine ganz andere
Geschicklichkeit im Umgang, z. B. mit den Albanern. Ich werde im
nächsten Kapitel davon erzählen.

Uns fehlte in diesen Dingen die Erfahrung und diejenigen, welche die
Erfahrung und den Takt hatten, unsere Jugend und manchen Alten über den
Umgang mit fremden Völkern zu unterrichten, waren nicht am rechten Ort
dazu verwendet. Wieviel ist in dieser Beziehung bei uns versäumt und
verfehlt worden. Unsere Truppen, die so lange mit den Bulgaren zusammen
zu arbeiten genötigt waren, hätten über das Wesen, die Besonderheiten,
die Fehler und Vorzüge unserer Bundesgenossen unterrichtet werden
müssen. Sie hätten von der Tragik im Schicksal der Bulgaren etwas
erfahren müssen; dann wäre jenes überlegene milde Urteil und das feine
Verhalten erzielt worden, welches durch das Verständnis bedingt wird.

Daß dies Ziel in Zukunft hoffentlich mit besserem Erfolg erstrebt
werden kann, dazu kann jeder beitragen, welcher einen etwas tieferen
Blick in das Wesen eines Volkes getan hat, wozu manchmal Zufall und
ein gewisses Ahnungsvermögen hilfreich sind. Wie manches im Wesen der
Bulgaren sich durch ihre Geschichte erklären läßt, davon mögen die
folgenden Schilderungen eine Vorstellung geben; sie stellen für mich
ein Erlebnis dar, welches mir einen sehr tiefen Eindruck hinterließ.



ACHTZEHNTES KAPITEL

DER TSCHIFFLIK VON BARDOWCE


Überall in der Türkei trifft man herrschaftliche Landbesitzungen,
welche weite Strecken fruchtbaren Landes mit einer ganzen Anzahl von
Dörfern umfassen. Meist befindet sich im Mittelpunkt des Gebietes, von
Mauern eingeschlossen, das Herrenhaus, welches oft die Größe und das
stattliche Aussehen eines Schlosses haben kann. In der Regel liegt nahe
dabei eines der zum Gebiet gehörenden „Eingeborenendörfer‟.

[Illustration: Abb. 142. Der Tschifflik von Bardowce. Daneben im Hain
das Dorf Bardowce.]

Solcher Güter gibt es zahlreiche in Mazedonien und auf meinen
Spazierfahrten und Ausflügen, die ich in der Umgebung von Üsküb
machte, kam ich nicht selten mit meinen bulgarischen Freunden in
solche Besitzungen und durch die zugehörigen Dörfer. Die Herrenhäuser
waren vielfach zerstört, oft auch zu bulgarischen Heeres- und
Verwaltungszwecken in Gebrauch und dann von Militär bewacht. Die Dörfer
selbst waren meist in besserem Zustande und im vollen Betrieb fleißiger
Landwirtschaft.

Das Land um Üsküb ist sehr fruchtbar und bei richtiger Bewirtschaftung
läßt sich aus ihm viel herausholen. Der Wardar liefert das Wasser,
welches in Mazedonien das Lebenselement aller Landwirtschaft ist. So
kann man in der Umgebung von Üsküb weite Strecken angebauten Landes
durchwandern. Im Frühling ist das breite Wardartal eine einzige grüne
Fläche. Allerdings die einzelnen Stücke sind selten von bedeutender
Größe. Oft ist aber ein Gebiet ziemlich einheitlich mit _Gerste_,
_Weizen_ oder _Roggen_ bepflanzt, _Hafer_ spielte bei Üsküb eine
geringere Rolle.

Später im Jahre begann die Arbeit auf den _Mais_- und _Mohn_feldern,
welche sehr sorgsame Pflege verlangen und nur dann Ertrag bringen,
wenn viel Fleiß auf sie verwandt wird. Und das geschieht in der Regel;
die Bauern, Männer und Frauen, machten mir in der Üsküber Gegend einen
außerordentlich fleißigen Eindruck. Bei Tagesanbruch ziehen sie,
mit Proviant versehen, auf ihre Felder hinaus, um erst abends nach
Sonnenuntergang heimzukehren. Oft, wenn ich nach dem Abendessen mit den
bulgarischen Ärzten noch einen längeren Spaziergang unternahm, von dem
wir erst zwischen 10 und 11 Uhr heimkehrten, trafen wir noch arbeitende
Bauern und Bäuerinnen draußen auf den Feldern. Die Mittagsruhe, welche
die Leute draußen hielten, schien mir nicht sehr lange zu dauern.
Abends hatten sie fast immer noch eine gute Strecke bis nach Hause
zurückzulegen.

Oft sah ich den Bauer allein auf dem Acker mit seinem primitiven
Pflug schaffen. Meist war dieser mit zwei Zugtieren bespannt. Selten
waren dies Pferde, in der Regel Ochsen oder noch häufiger Büffel. Die
prachtvollen, mächtigen schwarzen Gestalten dieser Tiere hoben sich
oft malerisch vom Abendhimmel ab, wenn die schneebedeckten Hänge des
Ljubotren in die glühende Luft hineinragten. Das waren unvergeßliche
Bilder von großer Schönheit.

Der Pflug wurde wie bei uns an zwei gebogenen Handhaben geführt, welche
der Bauer mit beiden Händen faßte. In der rechten Hand hielt er eine
lange, dünne Stange mit scharfer Spitze. Mit dieser, dem landesüblichen
Ersatz der Peitsche, wurden die Büffel am Nacken und an den Flanken
gestochen und gestoßen, wenn sie nicht recht vorwärts wollten. Die
Pflugschar war nur ein kurzer, schmaler Eisenhaken, der kaum 25-30 cm
in den Boden eindrang. Trotzdem hatten die Büffel eine tüchtige Arbeit
in dem harten, steinigen Boden zu leisten und mußten fest angetrieben
werden.

Sie gingen zu beiden Seiten der einfachen Deichsel, welche schief
zwischen ihren Köpfen vorragte. Diese stellte die einzige Verbindung
mit dem Pflug dar, Stricke und Zügel gab es nicht. An Stelle eines
Jochs lag ein vierkantiger langer, schwerer Balken quer über dem Nacken
beider Büffel und stand seitlich noch ein Stück heraus. Mit diesem
Balken war die Deichsel durch Metall-, meist Kupferspangen, fest
verbunden. Räder hatte der mazedonische Pflug nicht.

Die Verbindung der Büffel mit diesem Joch wurde dadurch gesichert, daß
unter dem Hals jeden Tieres ein dünnerer, kürzerer Balken dem Querjoch
parallel lag; das schwere Joch war mit ihnen durch sechs senkrechte
Stöcke fest verbunden. Zwei davon steckten zu beiden Seiten der
Deichsel, je zwei bildeten um den Hals der Büffel einen Rahmen, aus dem
er nicht herauskonnte und welcher ihre Kraft auf den Pflug übertrug.
Schwer und hart lag dies Gestell auf dem Nacken der Tiere, welche meist
an den Stellen, an denen das Holz auf ihrer Haut rieb, wund oder mit
Schwielen bedeckt waren.

Derselbe wenig schonende, einigermaßen tierquälerische Rahmen diente
auch zur Bespannung der üblichen zweiräderigen Bauernwagen. Dieser
Karren ruhte auf einer Achse, an der zwei hohe schwere Räder saßen. Es
war kein sanftes Fahren in solchen Wagen auf holperigem Feldweg oder
querfeldein. Sie wurden zum Transport von allen möglichen Feldprodukten
verwandt und um viel Heu, Stroh, Getreide zu fassen, waren sie auf
beiden Seiten mit einem hohen Geländer aus spitzen Stangen und Brettern
eingefaßt. Das gab diesen Karren ein höchst charakteristisches
Aussehen. Selten wurden diese mit Büffeln bespannt; man sah vor ihnen
fast immer kurzhörnige kleine Ochsen von gedrungenem Bau (Abb. 143).

So lange die Felder brach lagen, sah man oft Herden von Rindern und vor
allem von Schafen unter Aufsicht in der Regel jugendlicher Hirten auf
ihnen weiden.

Die Ernte war sehr vom Klima des Jahres abhängig. Dürre war für sie
die größte Gefahr. Nur wer bewässern konnte, war von ihr weniger
bedroht. Getreide wurde meist noch mit der Sichel geschnitten, kaum
je auf dem Feld aufgeschichtet, sondern in kleinen Bündeln nach Hause
gefahren. Dort wurde es in quadratischen Gebäuden, primitiven Scheunen
aufbewahrt, welche Wände aus Flechtwerk, manchmal auch Lehmwände
besaßen. Auch in großen Haufen im Freien aufgeschichtet, sah man es
manchmal.

Heu konnte in dem heißen Niederland keines gewonnen werden. Aber
wo Gebirge in der Nähe waren, holte man es sich von den Matten
herunter. Die verschiedenen Ackerprodukte verlangten ganz verschiedene
Behandlung, stets aber viel Arbeit. Das galt besonders vom _Mohn_, der
auch bei Üsküb viel gepflanzt wurde.

Es wurde viel und hart auf den Feldern gearbeitet. Die Arbeiter
waren meist bulgarische Slaven, was man an ihrer Tracht erkannte und
aus den Antworten entnehmen konnte, welche sie auf Ansprache meiner
bulgarischen Begleiter gaben. Hier und da sah man auch _Türken_ auf den
Feldern und besonders als Hirten _Albaner_.

[Illustration: Abb. 143. Ochsenwagen vor dem Dorf Orman.]

Nicht selten besuchte ich die Dörfer, um Einblick in das Leben der
_mazedonischen Bulgaren_ zu gewinnen. Kam man im Frühling während des
Tages ins Dorf, so traf man nur alte Frauen und kleine Kinder in den
Höfen und Gärten an. Alle anderen waren draußen in den Feldern bei
der Arbeit. Ein Dorf sah im Frühling von außen sehr freundlich aus.
Meist steckte es tief im Grünen. Hoch ragte eine Gruppe von Pappeln
über das Ganze und alle Häuser waren von Obstbäumen eingehüllt. Wenn
diese blühten, trug das Dorf sein schönstes Kleid. Kirschen-, Pflaumen-
und Apfelbäume spielten die Hauptrolle, dazwischen standen Birnbäume;
Aprikosen und Pfirsiche fehlten nicht. Sie hüllten das Dorf in ein
Blütenmeer, das es duftig umspann. Am Ende der Blütezeit konnte der
Wind Wolken von Blütenblättern über die Dächer wirbeln, die wie Schnee
den Boden der Höfe und die Gassen des Dörfchens bedeckten. Hecken
umschlossen die einzelnen Häusergruppen. Zwischen ihnen gackerten die
Hühner. Am Bach oder Teich des Dorfes trieben sich Gänse und Enten
herum, wälzten sich wohl auch Schweine im Schlamm. Es waren die kurzen,
hochrückigen, meist schwarzen, mit dichtem Borstenpelz bedeckten
Balkanschweine. Die Schafe, Rinder und Pferde waren mit den Menschen
draußen. An den Hecken sah man hier und da eine der niemals fehlenden
Ziegen knabbern. Feigen- und Granatapfelbäume, die im Süden so häufig
gewesen waren, fehlten hier bei Üsküb meistens. Aber auch hier waren
die Gärten, welche außen um das Dorf lagen, mit _Kohl, Tomaten,
Paprika, Melonen_ bepflanzt. _Zwiebeln_ und Lauch spielten eine große
Rolle. Hier und da sah man auch hier die schwarzblauen _Auberginen_.

Im Sommer hingen an den Häusern die grellroten _Paprikaschoten_, später
auch _Maiskolben_ an der Sonne zum Trocknen. Auch _Tabaksblätter_ sah
man an den Hauswänden in der Sonne dörren. _Tabak_ spielte im Anbau
eine während des Kriegs stets zunehmende Rolle. Mit der Teuerung
stieg sein Wert und schließlich pflanzte jeder Bauer, jeder Soldat
sich seinen Tabak selbst. Auch große Felder wurden mit ihm angelegt
und damit erwuchs dem Bauern neue Arbeit, aber auch eine neue
Einnahmequelle.

Ein Haus, dessen Lehmwand von den goldbraunen Tabaksblättern behängt
war, an dessen Fenstern die leuchtend roten Paprikaschoten hingen,
mit den dunklen Schlagschatten darüber, welche das schwere Strohdach
auf die Mauern warf, bot in der Glut der mazedonischen Sonne ein
malerisches Bild von exotischem Zauber.

Kam man abends zum Dorf, so hörte man in allen Gehöften Geräusche der
Menschen und heimgekehrten Tiere. Die Stiere brüllten, die Pferde
stampften, Kinder und Mädchen sangen, die Wagen knarrten mit ihren
ungeschmierten Rädern. Auf den ziegelgedeckten Haupthäusern jedes
Gehöftes rauchten die Schornsteine, hier und da blinkte ein Feuerschein
aus einem Haus über den Weg. Hunde kläfften und fuhren dem Fremdling an
die Beine. Als die Dämmerung niedersank, konnte man ein absonderliches
Schauspiel beobachten. Das Geflügel suchte sich seine Nachtquartiere
auf. Die _Gänse_ und _Enten_ drückten sich in die Gebüsche und Winkel
zwischen den Häusern hinein, begaben sich auch unter die eigenartigen
Pfahlbauten, die in den Höfen standen. Am eigenartigsten war aber das
Benehmen der _Hühner_. Auf den Höfen gab es kein Hühnerhaus, sie fanden
ihr Nachtquartier ganz wo anders. Mit seinem letzten Kikeriki für
diesen Tag schwang der _Hahn_ sich hoch hinauf auf einen stattlichen
Baum. Bald folgten ihm seine Hennen nach und wenn es dunkel wurde, kam
eine nach der anderen hinauf zu dem sicheren Nachtaufenthalt. Zu ihnen
gesellten sich die Truthähne und -hühner.

Die ganzen Bäume waren dann von den großen Vögeln bedeckt, welche ihren
Kopf unter die Flügel steckten und im Dunkel der Nacht wie seltsame
Früchte erschienen.

Eines Tages, als ich mit meinen bulgarischen Freunden das Dorf _Orman_
(Abb. 143, S. 287) besuchte, ließ ich mir von ihnen die Bestandteile
eines Gehöftes erklären; um einen Hofraum herum stehen immer eine
Anzahl Baulichkeiten, deren Zusammengehörigkeit durch einen sie
umfassenden Zaun oder eine Hecke gekennzeichnet ist.

Sie bezeichneten mir das hohe, weißgetünchte Haus im Hintergrund als
das Haus der Herrschaft; im Dorf Orman sei es bei seiner einfacheren
Ausstattung wohl von dem Verwalter des Herrn bewohnt. Unter ihm stehe
das Dorf mit all seinen Gehöften. Das ganz wohnlich aussehende größte
Haus im Hintergrunde des Hofs sei das Haus des Vaters oder Großvaters
der Familie, die den Hof bewohne. Im Hof standen allerhand Gebäude
herum, an deren regelloser Anordnung man erkannte, daß sie nach und
nach dem Bedürfnis entsprechend entstanden waren. Manche dienten als
Scheunen, andere als Geräteschuppen, Ställe gab es keine. Manche waren
aus Balken gebaut, die Wände bestanden aus Flechtwerk, ein mächtiges
Strohdach deckte sie. Andere waren aus Lehmziegeln gebaut, selten waren
sie einmal weißgetüncht. Während das Vaterhaus ein längliches Gebäude
mit einer großen Eingangstüre war, welches mehrere Fenster aufwies und
ein rotes Ziegeldach trug, hatten die meisten anderen Gebäude einen
quadratischen Grundriß und waren mit Stroh gedeckt. Die Vorratshäuser
für Stroh und Getreide hatten meist nur einen Eingang, aber keine
Fenster, höchstens an einer Seite ein kleines viereckiges Luftloch.

Besonders merkwürdig erschienen mir kleine quadratische _Pfahlbauten_,
deren in jedem Hof eines oder mehrere standen. Sie waren meist etwas
abseits von den anderen Bauten errichtet. Sie hatten einen Eingang, zu
dem eine kleine Leiter hinaufführte. An der Hinterwand hatten sie in
der Regel ein einziges kleines Fenster. Meist waren sie aus Flechtwerk
gebaut, das mit Lehm beworfen und außen geweißt war. Der Fußboden war
auf einem Rahmen aus Balken in ähnlicher Weise hergestellt, und sah
einer Tenne ähnlich.

Das Häuschen stand auf vier oder mehr Pfählen, die zum Teil durch
schiefe Streben gestützt waren. Das Dach, in Gestalt einer vierseitigen
Pyramide war fast ebenso hoch wie die Wände des Hauses und bestand aus
mehreren Lagen von Stroh. Die Spitze war, um den Regen abzuhalten, mit
einem Deckel überzogen, der aus Geflecht, Reisig oder Holz bestand. Der
Querschnitt der Häuschen war quadratisch mit etwa 2½ qm Bodenfläche.
Sie waren 4-5 m hoch.

Schaute man in die Hütte hinein, so war sie bei Tag fast immer leer,
machte aber den Eindruck eines primitiven Wohnraums. In einer Ecke
lag ein Haufen von Decken, offenbar das Schlaflager der Bewohner.
An einer Wand stand eine Truhe. Auf dem Boden standen einige Körbe
und Schüsseln. Eine Feuerstelle fehlte, der Pfahlbau hatte auch
keinen Schornstein, während das Vaterhaus meist deren mehrere besaß.
Die Häuschen waren verschieden gut gebaut und in verschieden gutem
Erhaltungszustand, reinlicher oder schmutziger, wohlgeordnet oder in
wildem Durcheinander, offenbar je nach der Art ihrer Bewohner.

Als ich meine bulgarischen Freunde fragte, was diese Häuschen wohl zu
bedeuten hätten, ob das wohl Arbeiterwohnungen seien, zögerten sie
einen Augenblick mit der Antwort, dann sagte der eine von ihnen: „Ja,
wenn Sie wollen, Arbeiter- oder Knechtswohnungen, aber anders als Sie
meinen. Soll ich es Ihnen klar und deutlich sagen, so muß ich diese
Pfahlbauten als _Fortpflanzungshäuser_ bezeichnen.‟

Er sagte dies mit einem eigentümlichen Blick und in einer bitteren Art,
die ich sonst nicht bei ihm gewohnt war. Und als ich zuredete, erfuhr
ich von meinen Freunden Dinge, die mir zeigten, wie die Bulgaren
jahrhundertelang unter dem Joch der Türken gelitten haben müssen und
in welch raffinierter Weise die letzteren verstanden, die Kräfte der
Unterjochten für ihre Zwecke auszunutzen.

Nachdem sie mir die ganzen Verhältnisse geschildert hatten, fuhren wir
nach einigen Tagen nach dem _Tschifflik Bardovce_ hinaus, wo sie mir
an einem typischen, großzügigen Beispiel die Methoden der Türken und
ein interessantes Stück mazedonischer Ethnographie vor Augen führten.
Ich habe keine Dokumente gesehen und in keinen Büchern eine Bestätigung
dieser Angaben gefunden. Ich schildere, was ich sah, und füge dazu die
höchst einfache und überzeugende Erklärung, welche meine Freunde mir
gaben. Ich habe keine Ursache anzunehmen, daß sie ungenau unterrichtet
waren, oder daß politischer Haß sie beeinflußte. Zudem hatte ich allen
Grund sie für gut orientiert zu halten, da die Bewohner dieser Dörfer
zu ihnen, den Ärzten, als vertrauende Patienten vielfach gekommen
waren. Und der gute Arzt pflegt ja ein Beichtvater des Volks zu sein.

Als wir uns dem Herrschaftshaus des Gutes _Bardovce_ näherten, fuhr
unser Wagen in schlankem Trab durch eine Allee auf einer breiten Straße
vor ein weißes Tor mit rotem Ziegeldach vor, welches sich mitten in
einer hohen Mauer aus Ziegelsteinen erhob. Wie eine Festung war der
Herrensitz von dieser 3-4 m hohen Mauer rings umschlossen. Sie selbst
hatte eine Ziegelbekrönung und zeigte keinerlei Schmuck. Über die
Mauer schauten hohe Bäume und die steilen, turmähnlichen Schornsteine
stattlicher Gebäude heraus.

Wie wohl in alten Zeiten hielten wir vor dem verschlossenen Tor und
pochten mit dem metallenen Klopfer an, daß es durch den Hof schallte.
Es war aber nicht mehr die Dienerschaft des türkischen Paschas, des
einstigen Besitzers, die uns öffnete, es waren bulgarische Soldaten,
welche das in den Gebäuden aufbewahrte Armeemagazin bewachten.

Gleich neben dem Tor befand sich das Pförtnerhaus; zur anderen Seite
dehnten sich lange niedrige Stallgebäude aus, denen jetzt das Dach
fehlte. Das Schloß war geplündert worden und hatte auch sonst manchen
Schaden gelitten. Aber wir bekamen doch einen Eindruck von der
einstigen Pracht und dem Luxus, den sich der Pascha hier in seinem
Landsitz hatte leisten können.

Im vorderen Teil des hier kahlen Hofs ragte ein stattliches, aus
verschiedenfarbigen Steinen gebautes zweistöckiges Haus empor. Es hatte
eine dreiteilige Fassade; der Mittelteil war zwischen den Seitenflügeln
etwas zurückgefaßt und hatte einen rundlichen Umriß. In diesem Teil
befand sich das weitläufige Treppenhaus, groß angelegt, durch seine
Mitte führte das Hauptportal ins Haus. Zu beiden Seiten schlossen
sich an Treppenhaus und Gänge Räume an, die saalartig umfangreich und
mit ornamentalen Malereien geschmückt waren, Nischen mit plastischem
Schmuck und Wandbrunnen enthielten. Daneben befanden sich Kammern und
Schlafzimmer nebst Baderäumen. Ein großer Saal wurde als Speisezimmer
bezeichnet. Das Haus war so als das „_Selamlik_‟, das _Männerhaus_, das
Wohn- und Repräsentationshaus des Herrn charakterisiert. Wenn die Reste
der Ausstattung auch nicht sehr feinen, erlesenen Geschmack verrieten,
das Haus mußte, als die Fenster und Türen noch ganz waren, als die
Wände mit Teppichen behängt, die Böden mit solchen belegt waren, Divans
die Zimmer umfaßten, Tische und andere Möbel sie erfüllten, einen
pompösen Eindruck gemacht haben.

[Illustration: Abb. 144. Hofraum des Tschifflik.]

Das _Selamlik_ war früher durch eine schwebende Brücke im oberen
Stockwerk mit dem nebenanliegenden etwas kleineren, aber auch recht
stattlichen Nebengebäude verbunden. Es war das „_Haremlik_‟, das
Frauenhaus, welches den Harem des Paschas beherbergte. Es war nach
allen Seiten durch Mauern von der Außenwelt getrennt, auch sein
Hofraum von dem des Selamlik. Rings um das _Haremlik_ waren hohe Bäume
angepflanzt, welche den Platz vor dem Haus anmutig beschatteten und
jeden Blick von der Außenwelt auf die oberen Stockwerke des Hauses
verhinderten. Der Bauplan des Hauses entsprach im wesentlichen dem des
Selamlik mit seiner Dreiteiligkeit. Auch hier war der Mittelteil ein
luftiges Treppenhaus mit weiten Gängen und großen Fensteröffnungen. Die
Raumeinteilung war ähnlich wie in dem anderen Haus; auch hier war viel
zerstört, immerhin manche reizvolle Holzschnitzerei an Türrahmen und
Fenstergittern erhalten. Die holzgeschnitzten Fenstergitter sind ja oft
der Hauptreiz der Architektur von türkischen Haremsbauten.

[Illustration: Abb. 145. Selamlik.]

Auch im Haremshof befanden sich dem Hauptgebäude gegenüber
Wirtschaftsbauten, in denen wohl Küche und Dienerinnen untergebracht
waren. Ringsum gut von der Welt abgeschlossen war so der Harem, nur
zugänglich dem Pascha selbst, der von seinen Räumen aus auf luftiger
Brücke direkt in die Räume seiner Frauen gelangte.

Trotz aller Zerstörung machte das Gebäude doch immer noch einen
stattlichen Eindruck und man konnte sich wohl vorstellen, wie in ihm
einst der Pascha hauste, der Schrecken für alle seiner Untergebenen,
der Aussauger des Vilajets Üsküb, der hier seine Reichtümer ansammelte
und ein frohes Leben genoß auf Kosten der Einwohner des Landes,
deren elende Wohnstätten wir nun im Anschluß an die Besichtigung des
Herrenhauses noch einmal genauer uns ansehen wollten.

Das Dorf _Bardowce_ lag dicht bei dem Schloß, beide am Fuß eines Hügels
gelegen, von dem aus man beide übersehen konnte. Trutzig lag das
Herrenhaus zwischen seinen hohen Mauern, während die Hütten des Dorfes
noch mehr als die des Dorfes _Orman_ in einem Hain stattlicher Bäume
verborgen lagen, so daß man von oben nur einzelne Dächer hervorlugen
sah.

[Illustration: Abb. 146. Haremlik.]

Ein wohltuender Schatten umfing uns, als wir durch die Gäßchen
bummelten, welche die einzelnen Hofstätten miteinander verbanden.
Wir sahen uns einen Hof nach dem anderen an; sie glichen sich sehr
untereinander, nur daß die Größe des Elternhauses und die Zahl der
Scheunen und Nebengebäude verschieden waren. Im Hof stand wohl ein
unbespannter Wagen, Hühner und Enten liefen umher, aber sonst war es
still. Die Bewohner waren heute wieder, am Arbeitstag, draußen bei der
Arbeit.

Nur einzelne Kinder huschten durch die Zäune, während wir uns ungestört
umsahen und meine Freunde mir erzählten und erklärten, was sie von den
Zuständen wußten. Das Elternhaus enthielt eine Küche und mehrere Räume
mit Betten und anderen Möbeln. Aus ihm schauten mehrere Kinder heraus.
Meine Freunde berichteten mir, daß die Leute in den Dörfern zur Zeit
der Türken Leibeigene gewesen seien, ohne Freizügigkeit. So gehörten
die Bewohner eines Dorfes in der Regel zu ganz wenig Familien.

[Illustration: Abb. 147. Elternhaus.]

Der Vater einer Familie hatte ein bestimmtes Stück Land zur Bebauung
angewiesen bekommen. Er hatte dieses mit seinen Söhnen und deren Frauen
ganz frei zur Verfügung. Es scheint, daß ihm nicht viel in die Art der
Bebauung und in die Arbeit hineingeredet wurde. Aber vom Ertrag hatte
er die Hälfte an den Herrn abzuliefern, die andere Hälfte stand zu
seiner Verfügung. Das sei wenigstens das Verfahren in der letzten Zeit
der Türkenherrschaft gewesen. Ob in früherer Zeit andere Sätze üblich
waren, konnte ich nicht erfahren. Vielfach hätten sich die Leute dabei
nicht schlecht gestanden, natürlich je nach der Arbeitsleistung und dem
Ausfall der Ernte. Im Jahre 1918 schien sie nicht schlecht gewesen zu
sein, die Vorratshäuser waren wohl gefüllt. Und damals waren ja die
Leute unter bulgarischer Herrschaft freie Bauern. Was mag jetzt aus
ihnen geworden sein?

Das seltsamste in den Höfen waren die _Fortpflanzungshäuser_. Nach der
Zahl dieser Pfahlbauten konnte man abschätzen, wieviel verheiratete
Söhne der Vater in diesem Hof hatte. Manche Höfe hatten nur eines,
andere zwei oder drei, selten mehr. Als Zweck dieser Häuser wurde mir
bezeichnet, die jungen Eheleute sollten in ihnen ihre Ruhe haben, um
Kinder zu erzeugen. In jedem Haus lebte je nur ein junges Paar. Sie
hatten nicht zu kochen und keine Haushaltssorgen. So lange die junge
Frau ihr Kind stillte, behielt sie es bei sich. War es abgewöhnt, so
kam es zur übrigen Kinderschar in das Haus des Großvaters, wo auch
die Verpflegung der ganzen Familie besorgt wurde. Das Paar hatte nur
für baldige weitere Nachkommenschaft zu sorgen und auf den Feldern
mitzuarbeiten. Je mehr solche Häuser also da waren, um so mehr Aussicht
auf reichlich Arbeitskräfte. Wahrlich eine raffinierte Methode, unter
Ausnützung des unterjochten Volkes die Interessen des Paschas zu
fördern. Es gelang mir allerdings nicht, klare Auskunft darüber zu
erhalten, ob die Türken die Urheber dieses Verfahrens waren, oder ob
alte slavische Sitten dahinter steckten.

[Illustration: Abb. 148. Fortpflanzungshäuser.]

Das Resultat schien wenigstens die Methode zu loben; als am Nachmittag
die ganze Kinderschar eines Hofes sich vor uns versammelte, zählten wir
14 Kinder von 6-12 Jahren als die Nachkommenschaft der hier wohnenden
Paare. Auf meiner Photographie der Kindergruppe erblickt man auf einem
Dach im Hintergrund ein Storchennest, wie ein Symbol der Methode (Abb.
149).

[Illustration: Abb. 149. Die Resultate der Methode.]

Die Höfe, die Bewohner und ihre Kinder habe ich noch manches Mal
besucht und einiges von ihren Sitten beobachtet. Im Herbst wurde auf
dem harten Boden des Hofes das Getreide gedroschen, indem Ochsen und
Pferde im Kreis herum getrieben wurden, welche mit ihren Hufen die
Körner aus den Ähren trampelten. Dieser altertümliche Ersatz der
Dreschflegeln war noch ganz allgemein in Mazedonien verbreitet. Nach
der Ernte hörte man überall Peitschenklang, Rufen und Singen der Männer
und das Trappen der pflügenden Tiere, die, heftig angetrieben, erst
in sich verkleinernden Kreisen, dann nach Umkehr in immer größeren
Kreisen an der Leine liefen, welche mitten in dem Getreidehaufen
an einer Stange befestigt war (Abb. 130). Meist wirbelte in dieser
trockenen Zeit eine mächtige Staubwolke um die Dreschszene auf. Auch
bei der bulgarischen Armee wurde so gedroschen und ganz selten sah ich
Dreschflegeln oder gar eine Dreschmaschine. Auch hier war dem Ochsen
und dem Pferd, welches drosch, in der Regel das Maul nicht verbunden.

Zum Schluß wurde das Stroh weggeschafft, und es blieb ein Haufen von
Körnern, Spreu und viel Staub und Steinchen auf dem Boden liegen. Die
Körner wurden dann in ebenfalls primitiver Weise von Spreu und Staub
getrennt, indem die Masse an windigen Tagen auf eigenartigen Schaufeln
in die Luft geworfen wurde. Dabei trennte sich das Schwere vom
Leichten. Staub und Spreu flogen davon, während die Körner niederfielen
und in Säcke gesammelt wurden, nachdem die Prozedur mehrmals wiederholt
worden war. Daß einem beim Zerbeißen des mazedonischen Brotes oft die
Zähne knirschten, wird man verstehen.

[Illustration: Abb. 150. Das Dreschen mit Pferden.]

Nicht nur Arbeit gab es in den Dörfern zu beobachten, sondern
gelegentlich auch freudige Feste. Als ich eines Sonntags in die Nähe
des Dorfes kam, ertönte aus einem Hof dröhnende Musik. Ich erfuhr,
daß dort Hochzeit sei und getanzt würde. Auf der gleichen Tenne, wo
neulich die Pferde und Ochsen das Getreide ausgetreten hatten, war eine
muntere Gesellschaft versammelt. Alle hatten sie ihre schönen, bunten
Feiertagsgewänder an, eine fröhliche Stimmung herrschte. In einer Ecke
saß die Musik am Boden, eine riesige Flöte quiekte, ein Dudelsack
dudelte und als wichtigster Bestandteil der Kapelle erhob eine mächtige
Pauke ihr Donnergetöse. Männer und Frauen schwenkten sich im Kreise
und Kinder ahmten nebendran ihre Rhythmen nach. Es waren ähnliche
Tänze, wie ich sie an anderer Stelle dieses Buches geschildert habe.
Ein feierlicher Augenblick war es, als das junge Paar erschien und
durch die Reihen der Tänzer hindurchwandelte, auch sie beide in der
eigenartigen Tracht der Gegend.

Am Tag vorher hatte die Vorfeier der Hochzeit stattgefunden. Da wurden
die Besucher von festlich gekleideten Familienmitgliedern empfangen.
Sie kamen mit Eseln und Maultieren an, deren Sättel mit Geschenken
beladen waren. An diesem Tag ließ sich die Braut noch nicht sehen; das
Haus des Bräutigams war noch ohne Braut. Er empfing Gäste und forderte
zum Tanz auf, der auch an diesem Tage bis tief in die Nacht andauerte.

Als Freund und Befreier wurde man von den Leuten meist freundlich
begrüßt und mit Kaffee, Rakischnaps und Süßigkeiten bewirtet, kam man
zu einer solchen Festlichkeit dazu.

[Illustration: Abb. 151. Der Friedhof von Bardowce.]

Als ich abends über den Hügel nach Üsküb zurückkehrte, trat mir,
nachdem ich einen Überblick über den Kreislauf des Lebens eines
mazedonischen Bauern gewonnen hatte, noch eindrucksvoll das Symbol
seines Abschlusses entgegen. Oben am Hügel über dem Dorf lag der
_Friedhof des Dorfes_, in welchem die früheren Bewohner des Dorfes
ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Es war ein stimmungsvoller Anblick.
Auf dem rasenbewachsenen Rücken des Abhanges zog sich eine stattliche
Gruppe von steinernen Kreuzen hin, zwischen denen die eigenartigen
Kastengräber der Balkanslaven lagen. Alle Kreuze waren sorgfältige
Steinmetzarbeit, sie erhoben sich niedrig über dem Boden, die einen
nach links, die anderen nach rechts gebeugt. Man hatte den Eindruck,
daß die Bauern mit Liebe und Sorgfalt die Ruhestätten ihrer Toten
pflegten.

Ein feiner Abendduft lag über der Landschaft; im Westen ging die Sonne
unter. Ihre Strahlen vergoldeten die hellen Kreuze und beleuchteten
die mächtigen geballten Wolken, welche am Himmel standen. Ein Bild von
wundersamer Farbenpracht breitete sich vor mir aus; stiller Frieden lag
über der Abendlandschaft. An einem frischen Grab standen zwei Frauen
und ein alter Mann, deren Umrisse sich eigenartig von der farbigen
Ferne abhoben. Ich wanderte langsam heimwärts, von Gedanken erfüllt. Ob
wohl diesem Volk, diesen mazedonischen Bulgaren, je eine freundliche
Zukunft erblüht?



[Illustration: Galeodes in Greifstellung.]

NEUNZEHNTES KAPITEL

BEOBACHTUNGEN AN MAZEDONISCHEN SPINNEN


Daß in einem so insektenreichen Land wie Mazedonien die _Spinnen_
auffallende Bestandteile der Tierwelt sein mußten, durfte ich wohl
von vornherein annehmen. Ich wurde nicht enttäuscht. Überall im Lande
begegnete ich _Spinnenarten_, welche teils durch ihre Gestalt und
Färbung, teils -- und das in besonderem Maße -- durch ihre _Bauten_
auffielen.

Die verfallenen Häuser Mazedoniens mit ihren Lehmziegelwänden und
dem hölzernen Fachwerk boten einer Unmenge von Spinnen Herberge und
Jagdgefilde. An meinem eigenen Haus und an meinem Laboratorium war die
Bautätigkeit einer eigenartigen Spinne an den Außenwänden vielfach zu
beobachten.

Wo ein Loch in der Wand war, wo eine Spalte in einer Bretterverschalung
oder zwischen Balken und Mauer sich hinzog, da leuchteten eigenartige
Sternfiguren auf, aus einer hellgrauen Substanz gebildet. In der Mitte
einer weißlichen Fläche gähnte ein dunkles Loch, das offenbar tief in
die Mauer hineinführte. Um die weißliche Fläche sah man einen Kranz von
Strahlen mehr oder weniger weit sich über die Wand spannen. War die
Wand dunkel, so leuchtete der Stern hell auf, war sie hell, so hob er
sich schwach in feingrauer Farbe von ihr ab. Oft waren die Sternchen
dick mit Staub bedeckt, vor allem an alten verlassenen Häusern (Abb.
153).

[Illustration: Abb. 153. Nesteingänge von +Filistata insidiatrix+
Forsk.]

Sah man genauer hin, so bemerkte man bald, daß es sich um _Bauten von
Spinnen_ handelte. Durch das schwarze Loch ging es in die Wohnröhre
hinein, welche mehrere Zentimeter lang war. Im Hintergrund saß die
kleine, dunkelgefärbte Spinne und lauerte auf Beute. Die helle Scheibe
um das Loch besteht aus einem dichten Gewirr von dickeren und feineren
Fäden, die nach allen Seiten durcheinander gefilzt sind. Sie bilden
ein festes, federndes Gewebe und stellen den Eingang in die Wohnröhre
dar. Strammgespannt ist dies Gewebe, welches meist der Mauer nicht
dicht anliegt, sondern über die Spalte, den Rand des Mauerloches oder
zwischen Steinen sich ausdehnt, durch _Spannfäden_, wie sie auch sonst
an Spinnennetzen nötig sind. Bei unserer „_Lochröhrenspinne_‟ sind sie
nur wenige Zentimeter lang und mit ihrem äußeren etwas verdickten Ende
an der Unterlage angeklebt. Vielfach sind die Fäden verzweigt, indem an
ihnen seitlich oder querverlaufende Hilfsspannfäden angebracht sind.

_Klebfäden_ konnte ich am Netz nicht feststellen. Bei den eigenartigen
Gewohnheiten der Spinne braucht sie wohl auch keine. Selten sah ich sie
zum Netz herauskommen. Gelegentlich konnte ich sie abends einmal auf
die helle Fläche heraustreten sehen und sie dann auch beobachten.

Das Tier war sehr schwer zu fangen; blitzschnell tauchte es in
die Tiefe seiner Lochröhre hinein und war für alle Instrumente
unerreichbar, die ich anwenden konnte. Sehr leicht gelang es aber, es
unter Ausnutzung seiner Freßgier zu überlisten. In der Regel fing sie
an der Mündung ihrer Röhre auf der Wand vorbeilaufende Insekten, vor
allem die um die benachbarten Ställe umherschwärmenden Fliegen.

[Illustration: Abb. 154. Nestbauten einer Anzahl Individuen der
Lochröhrenspinne (+Filistata insidiatrix+ Forsk.).]

Hielt ich nun mit der Pinzette eine lebende Fliege vor ihr Loch, so kam
sie langsam und vorsichtig heran, stürzte sich schließlich mit einem
plötzlichen Sprung auf die Beute. Da sie diese nicht mehr losließ,
konnte ich sie an ihr herausziehen und rasch in das Fangglas befördern.

So gelang es mir, Exemplare in die Heimat mitzunehmen, wo sie als die
Art +Filistata insidiatrix+ Forskal bestimmt wurde, eine Form, die auch
sonst in Europa verbreitet ist (Abb. 155 A).

Nicht selten waren Wände von Häusern im südlichen Wardartal von
hunderten der Sternchen bedeckt, welche die Behausungen dieser Spinnen
verrieten. Waren ihrer viele nebeneinander, so gingen die Umrahmungen
der einzelnen Löcher in die ihrer Nachbarn über. Man vergleiche
die umstehende Abbildung (Abb. 154). So entstanden manchmal ganz
eigenartige Ornamente an den Hauswänden, wobei das ganze Gewebe durch
zahlreiche kreuz und quer verlaufende Fäden befestigt war und die
regelmäßige Sternform oft vollkommen verschwand.

Zwischen den Nestern der +Filistata+ sah man in großer Zahl Spinnen
von einer anderen Art herumsausen, es war +Dendryphantes nidicolens+
Walck., eine Springspinne aus der Familie der +Attiden+ (Abb. 155 B).
Diese lief immer auf der Wand zwischen den Nestern herum, lauerte
auch einmal nahe einem der Löcher. Nie sah ich sie aber in eins der
Löcher eindringen. Höchst amüsant war es aber, sie zu beobachten, wie
sie oft mit raschem Sprung der Lochröhrenspinne ihre frisch gefangene
Beute, welche diese unter ihrer Türe festhielt, aus den Klauen riß und
abseits eiligst aussaugte. Da die Springspinne stets in den Städten
der Lochröhrenspinne in größerer Anzahl vorkam, so vermute ich, daß
sie die ständige Gewohnheit hat, die +Filistata+ auszuplündern und als
Straßenräuber in deren Siedlungen sich aufzuhalten.

In den Häusern selbst, in den Ställen, Gängen, Kellern, auf den Aborten
gab es viele _Spinnenarten_ mit ihren _Netzbauten_, vielfach die auch
bei uns an ähnlichen Orten häufigen Arten. Auch in meinem Schlafzimmer
hielten sich neben allerhand anderem Getier mancherlei Spinnen auf. Vor
allem die Netzspinnen beseitigte ich nicht, sondern duldete sie, da es
an ihnen manches zu beobachten gab und sie mir noch dazu Schnaken und
Fliegen wegfingen.

Ein Exemplar der auch in Deutschland gelegentlich beobachteten Art
+Pholcus opilionoides+ Lchk., die ich die _Wackelspinne_ nennen möchte,
lebte den ganzen Sommer 1917 in meinem Zimmer, bis ich sie am Ende
meines Aufenthaltes mit ihren sämtlichen unterdessen abgeworfenen
Häuten in ein Spiritusglas steckte. Sie hatte im Frühjahr als ganz
kleines Tierchen ihr erstes Nest in den Winkel zwischen Decke und
Rückwand meines Zimmers gebaut, hatte im Laufe des Sommers viermal
sich gehäutet und hatte jedesmal die abgeworfene Haut im Netz hängen
gelassen, so daß man meinen konnte, in dem einen Netz hausten nun
fünf verschieden große Spinnen der gleichen Art. Diese Spinne sieht
aus wie ein _Weberknecht_ mit ihren feinen, langen Beinen, auf denen
ihr kleiner Körper, wie bei einem Weberknecht schwebt. Sie gleicht
auch sonst jenen eigenartigen Spinnentieren, den +Phalanginen+, die
man bei uns in Deutschland außer mit dem Namen _Weberknecht_ auch als
_Schuster_ oder _Schneider_ bezeichnet. Die _Wackelspinne_ teilt mit
diesen Tieren nicht nur die Eigentümlichkeit, leicht die Beine zu
verlieren, sondern auch das eigentümliche Wackeln und Schaukeln auf
ihren fadendünnen Beinen. Stößt man in der Nähe des Netzes zufällig an
die Wand, so fangen die Tiere an, wie toll hin- und herzuschwingen,
wobei sie abweckselnd mit sämtlichen vier linken und darauf mit
den vier rechten Beinen Kniebeugen machen. Dieses emsige Wackeln
macht einen ganz eigenartigen Eindruck und hat ja seit jeher die
Aufmerksamkeit der Menschen erweckt.

[Illustration: Abb. 155 A. Abb. 155 B.

Abb. 155 A. Lochröhrenspinne (+Filistata insidiatrix+ Forsk.) und ihr
Nesträuber. Abb. 155 B. +Dendryphantes nidicolens+ Kaluckova.]

Bei den Beobachtungsstreifzügen in der Umgebung von _Kaluckova_ war es
unvermeidlich, gewisse Spinnenarten anzutreffen, deren Netze überall
ausgespannt waren. In den _Stacheleichenbüschen_ fand ich regelmäßig
eine kleine Spinne aus der Gattung +Linyphia+ (+L. frutetorum+
C. L. Koch), die ein unregelmäßiges Wirrnetz baute. Das Netz war
klein, bestand aus zarten Fäden und war an Spannfäden in Lücken der
Stacheleichenbüsche zwischen deren Blättern und Zweigen aufgehängt. Die
Spinne saß meist lauernd mitten im Netz.

Noch auffallender waren die Bauten der _Segelnetzspinne_, welche in
den Gassen von _Kaluckova_, auf den Schuttplätzen, in den Hecken, an
den Häusermauern überall in großer Menge vorkamen. Die Netze hatten
bis zu ½ m Umfang und waren segelförmig an den Zäunen zwischen Disteln
und anderen krautigen Pflanzen, an Gräsern und Büschen aufgehängt. An
festen Spannfäden hingen die verschieden gestalteten Zipfel, die in den
sackförmigen Grund des Netzes führten. Diese Zipfel waren bald länger,
bald kürzer. Im Hintergrund ging der Sack in eine lange Röhre über.
Diese begann mit einer kreisförmigen, wohlabgegrenzten, aus dichtem
Gewebe gebauten Öffnung von 3-5 cm Weite. Die anschließende Röhre war
20-30 cm lang. Sie war oft frei zwischen den Pflanzen aufgehängt, so
daß man ihren Bewohner von außen wahrnehmen konnte. Nicht selten aber
ragte die Wohnröhre der Spinne in Erdlöcher, Mauerspalten, zwischen
Balken und Pflanzen hinein. Die Röhre war ein dichtes Geflecht aus
sehr dicken Fäden. Der Sack war auch ziemlich grob und fest, oft sehr
schmutzig von Staub und zahllosen Insektenresten. Auch er bestand
aus einem wirren Gewebe dicker Fäden. Von seinen Rändern zogen sich
starke Spannfäden nach verschiedenen Richtungen. Der ganze Beutel war
vollkommen asymmetrisch angelegt, die Wohnröhre ragte nicht in der
Mitte heraus, sondern lag mehr an der Seite und war oft abgebogen.

Vorn in der Wohnröhre saß die Spinne auf der Lauer mit dem Kopf
nach vorn gerichtet. Es war ein stattliches Tier, zur Art +Drassus
lapidicola+ Walck. gehörig. Fiel ein Insekt ein, so rannte sie rasch
in das Beutelnetz vor und bewältigte das Opfer. Wurde sie dabei
erschreckt, so kehrte sie ebenso rasch in die Wohnröhre zurück und saß
ganz ruhig, mit dem Kopf gegen das Ende der Röhre, das Hinterteil nach
außen gerichtet und ließ sich da mit der Pinzette leicht, ohne einen
Fluchtversuch zu machen, herausholen.

Von einer Art der gleichen Gattung +Drassus pubescens+ Thor. habe
ich bei _Dedeli_ unter einem Stein im Mai die Wohnröhre und in ihr
den Eierkokon des Tieres, von der Mutter bewacht, gefunden (Abb.
156). Die auffallendste echte Spinne im südlichen Wardartal, die
auch sonst im heißen Mazedonien weit verbreitet ist, war eine Form,
welche ich als die _Silberspinne_ bezeichnen möchte. Es ist ein großes
Tier, mit ausgestreckten Beinen fast 15 cm umfassend. Der Körper
ist mit eigenartigen Fortsätzen versehen und von einem auffallend
harten Chitinpanzer umhüllt, nicht so weich, wie es sonst die Körper
der meisten Spinnen sind. Der Hinterleib hat einen eigenartigen
polygonalen Umriß mit dreieckigen Vorragungen und tiefen Einsenkungen
dazwischen. Der Körper zeigt bei dem lebenden Tier einen eigentümlichen
Silberglanz, der das Tier sehr auffallend macht. Die Beine sind gelb
und dunkelbraun geringelt. An der Unterseite des Leibes ragen starke
Spinnröhren hervor. Die Spinne hat den Namen +Argiope lobata+ Pall.
(Abb. 158).

[Illustration: Abb. 156. Nest und Kokon von +Drassus pubescens+ Thor.
Dedeli, unter Stein.]

Sie baut zwischen den Büschen der Hügel bei _Kaluckova_ ein sehr großes
Radnetz, das man weithin sehen kann. Es mißt bis zu einem Meter im
Durchmesser (meist 60-80 cm) und hängt meist frei in der Luft hoch über
dem Boden. Zwischen zwei Stacheleichensträuchern ist ein oft mehrere
Meter langer gelblicher, seidiger Faden von beträchtlicher Dicke straff
gespannt. Er ist der _Aufhängefaden_ für das große Radnetz. Zu seiner
Versteifung dienen viele nach allen Richtungen ausgehende straffe
_Spannfäden_. Der Haupttragfaden besteht aus etwa 30 Einzelfäden, die
Spannfäden nur aus 12 solchen, von denen 10 breit bandförmig, zwei
jedoch viel dünner sind. Diese letzteren sind besonders elastisch und
tragen wesentlich zur Spannkraft des ganzen Gebildes bei.

[Illustration: Abb. 157. Radnetz von +Argiope lobata+ Pall., der
Silberspinne.]

In der Mitte unter dem Aufhängefaden befindet sich das große _Radnetz_.
Das Zentrum des großen Rades mit seinem Durchmesser von 60-80 cm nimmt
eine kleinere kreisförmige Scheibe von etwa 10 cm Durchmesser ein.
Diese Scheibe besteht aus nicht klebenden Fäden. In ihrer Mitte sitzt
die Spinne als groteske Erscheinung vollkommen ruhig und unbeweglich.
Wie ein silberner Schild glänzt ihr Hinterleib; ihre Beinpaare hält
sie in einer ganz eigenartigen Stellung, immer je zwei paarweise
aneinandergelegt, die zwei hinteren Paare schief nach hinten, die
zwei vorderen Paare schief nach vorn gestreckt. So entsteht ein
schiefes Kreuz, das man von weitem schon vom Mittelpunkt des Radnetzes
ausstrahlen sieht.

Um das kleine Mittelnetz mit seinem engen Bau mit zahlreichen Radien
und einer ganzen Anzahl konzentrischer Kreise breitet sich das lockerer
gebaute _große Rad_ aus, nach allen Seiten 20-30 cm breit. Auch dessen
Hauptfäden, also die radiären Fäden, sowie die inneren und äußersten
Kreise bestehen aus trockenen festen Fäden. Dazwischen in der Mitte ist
eine Zone von kleberigen Kreisfäden, an denen die Beuteinsekten kleben
bleiben. Der äußere Rand des Netzes hat eine nicht ganz regelmäßige
polygonale Form, die zum Teil bedingt ist durch Spannfäden, welche das
Netzrad nach allen Seiten mit Zweigen und Blättern der Umgebung, mit
Gräsern, Holzstückchen und Steinen in Verbindung setzen.

[Illustration: Abb. 158. Silberpinne +Argiope lobata+ Pall. Weibchen.
Nat. Größe.]

Das auffallendste an dem Netz, das neben seinem glänzenden Insassen
weithin sichtbar ist, besteht in einem _leuchtend weißen Band_, welches
sich von dem mittleren kleinen Hofkreis der Spinne zum äußeren Rand
des großen Rades hinzieht. Es besteht aus glänzend weißen, dicht
verflochtenen trockenen Seidenfäden (Abb. 157).

Vor diesem wellenförmigen Band sitzt die lauernde Spinne, stets mit dem
Kopf gegen dieses gerichtet. Ich hatte den Eindruck, als wirke dies
Band anlockend wie eine Blume auf allerlei fliegende Insekten. Ich
sah besonders häufig _Schmetterlinge_ auf das Netz der Silberspinne
zufliegen, an den Klebfäden hängenbleiben und sich dann durch unruhige
Zappelbewegungen immer mehr im Netz verfangen. Meist blieb dem Opfer
aber dazu nicht viel Zeit, denn mit erstaunlich rascher Bewegung
schwang die große Spinne, die bisher so träge auf ihrem Lauerplatz
gesessen hatte, sich über die Fäden des Netzes zu ihm hin. Mit raschem
Biß war der Schmetterling getötet und nun wurde er von dem wilden Tier
mit den Beinen in eine rasche Wirbelbewegung versetzt. Im Nu ist das
Opfer, und wenn es ein großes, starkes Tier ist, vollkommen in eine
dichte Hülle glänzend weißer Fäden eingewickelt, so daß man von ihm
nichts mehr sieht.

[Illustration: Abb. 159. Eierkokons von +Argiope brunnichii+ Leop.,
einer Verwandten der Silberspinne.]

Eine Abbildung (Abb. 157) zeigt uns eine photographische Aufnahme des
eigenartigen Netzes, in welchem man auch in der Mitte die +Argiope+ in
ihrer eigenartigen Stellung sieht. Es war nicht einfach, die feinen
Fäden des Netzes auf die photographische Platte zu bannen, zumal die
meisten Netze dieser Spinne zwischen den Büschen frei gegen den Himmel
hingen. Es gelang mir nur dadurch, daß ich nach langem Suchen ein
geeignetes Netz in günstiger Umgebung auffand, welches sehr praktisch
zur Abendsonne hing. Dort wartete ich abends solange ab, bis die
untergehende Sonne so tief stand, daß ihre Strahlen das Netz trafen.
Als dessen Fäden nun selbstleuchtend vor dem dunkelen Hintergrund
einer Stacheleiche standen, machte ich eine mehrere Minuten dauernde
Zeitaufnahme, die immerhin ein brauchbares Resultat lieferte. +Argiope
lobata+ Pallas ist im südlichen Mazedonien eine häufige Form. Ähnlich
wie sie, baut +Argiope brunnichii+ Leop., welche auch am Körper
lebhaft schwarzgelb gefärbt ist. Letztere Form fand ich häufig auf der
Hochebene von Stip. Damals war offenbar deren Hauptfortpflanzungszeit,
welche überwinternde Kokons lieferte. Denn es war Ende August, als ich
jene großen zipfelförmig ausgezogenen Kokons in großer Anzahl zwischen
Steinen und an Pflanzen fand. Sie sind nebenan abgebildet (Abb. 159).

Eine seltsame Spinnenform, welche im _südlichen Wardartal_ nicht
selten ist, und welche ich in Mazedonien nur dort antraf, beschäftigte
die Phantasie unserer Soldaten sehr viel. Es war ein großes
rasches Tier mit unheimlich langen Beinen, das vor allem abends,
über die Lagerplätze huschend, die Leute gespensterhaft anmutete.
Bei _Kaluckova_ traf ich sie besonders draußen im Wardartal beim
Fliegerlager, am häufigsten in der Gegend von Mravinca, die ja
überhaupt in ihrer Tierwelt manche Besonderheiten bot. Da fand ich
das Tier manchmal am Tage unter Steinen. Im Fliegerlager bei Hudova
sah ich aber nicht selten nachts im grellen Licht einer Bogenlampe
das unheimliche Wesen wie einen Schatten pfeilschnell über den hell
beleuchteten Boden huschen. Dann flog die ganze lustige Gesellschaft
auf und sauste hinter der großen Spinne her, um dem Professor die Beute
zu sichern.

So erhielt ich manches Exemplar des gefürchteten Tieres, welches
Offiziere wie Soldaten als große Spinne die „Vogelspinne‟, nannten.
Die Art hat aber mit diesen südamerikanischen Riesenspinnen nichts zu
tun, gehört vielmehr in die Gruppe der Gliederspinnen (+Solifugen+) und
erwies sich in der Heimat nach Bestimmung der konservierten Exemplare
als die Art +Galeodes graecus+ C. L. Koch.

Die +Solifugen+ sind Tiere, welche in Wüsten und Steppen aller
Erdteile eine große Rolle spielen. In den südrussischen Ebenen, in den
ungeheueren Wüsten und Steppen Zentralasiens, in Syrien, Ägypten, Nord-
und Südafrika kommen sie in einer großen Zahl von Arten und meist in
großen Mengen vor. So weist denn auch das Vorkommen auf dem Balkan auf
wichtige Beziehungen seiner Tierwelt zu den Steppen des Ostens hin.

+Galeodes graecus+, die griechische Walzenspinne, ist ein höchst
auffälliges, bizarr aussehendes Tier. Der wulstige Leib mit dem
mächtigen Kopf wird von vier Paaren langer dünner Beine getragen, zu
denen als fünftes Paar von Gliedmaßen die oft weit vorgestreckten
Kiefertaster kommen. Die haben ein stumpfes keulenförmiges Ende und
werden von dem Tier beim Laufen auch als fünftes Beinpaar benutzt. Von
allen Spinnentieren sind diese sogenannten „_Walzenspinnen_‟ durch den
vom Hinterleib scharf abgesetzten Kopf unterschieden. An dem mächtigen
dunkelbraunen Kopf trägt das Tier eine große, senkrecht gestellte
Schere, die aus den sogenannten Kieferfühlern gebildet wird.

Dieses gewaltige Beißwerkzeug macht, vor allem wenn das Tier die Schere
weit öffnet, einen erschreckenden Eindruck. Aber dieser Schrecken ist
kaum berechtigt. Die Wunde kann wohl bluten, sie kann hinterher eitern
und so gefährlich werden. Aber alle Erzählungen von Krankheit oder
Tod, die der Biß des +Galeodes+ verursacht hätte, denen ich nachging,
erwiesen sich als Legenden. Es war auch sehr unwahrscheinlich, da in
der Beißschere der Walzenspinne gar keine Giftdrüse ist.

Mehrmals gelang es Exemplare von +Galeodes graecus+ lebend zu erbeuten.
Ein großes Weibchen wurde in einem Käfig aus Drahtgaze mehrere Wochen
lang lebend gehalten und gab dem ganzen Personal des Lazaretts
Kaluckova viel Anlaß zur Belustigung und mir zu manchen interessanten
Beobachtungen.

Wie das bei anderen Walzenspinnen beobachtet worden ist, so ist auch
+Galeodes graecus+ ein vorwiegend nächtliches Tier. Im Freien habe ich
sie nur nachts angetroffen; vor allem kam sie gern in den Lichtkreis
der großen Bogenlampen, die einige der militärischen Lager im Wardartal
sich leisten konnten. Das gefangene Tier war aber auch bei Tag sehr
lebhaft.

Kam man an seinen Käfig, so nahm es sofort eine Bereitschaftsstellung
ein; es wich bis an den Hinterrand des Käfigs zurück, hob den
Hinterleib etwas in die Höhe und streckte die Maxillarpalpen nach vorn.
Dabei vernahm man ein eigentümliches knisterndes Geräusch.

Alle Bewegungen des +Galeodes+ sind außerordentlich rasch und intensiv.
Brachte man irgend ein lebendes Tier in seinen Käfig, so dauerte es
kaum einige Sekunden, bis dies verschwunden und verschluckt war.
Gefangen wurden die Fliegen, mit denen das Tier meistens gefüttert
wurde, oft schon im Flug mit den Maxillarpalpen, an deren Enden sie
offenbar kleben blieben. Unser +Galeodes+ war unersättlich. Er konnte
in einem Tag hunderte von Stubenfliegen vertilgen.

Die Wochen, in denen wir ihn lebend hielten, waren die heißesten
und fliegenreichsten des Jahres. Überall in allen Arbeits- und
Wohnräumen waren Fliegenfallen aufgestellt, deren ganzes Erträgnis der
Walzenspinne zugute kam. Jedermann war aber bemüht, dem Gefangenen
allerhand Extras zuzuwenden, so daß dem Tier mit der Zeit wohl die
gesamte erreichbare Insektenwelt der Umgebung angeboten wurde. Nichts
wurde verschmäht. Heuschrecken, Käfer, Libellen, Schmetterlinge wurden
mit dem gleichen Appetit verzehrt, wie gelegentlich ein Stück Fleisch.
Kein Unterschied wurde gemacht zwischen toten und lebenden Tieren.

Ebenso wie +Galeodes+ fliegende und sonst rasch sich bewegende
Tiere mit großer Schnelligkeit erhaschte, so bewiesen auch andere
Beobachtungen die hohe Entwicklung seines Gesichtssinnes; es folgte
mit Bewegungen des ganzen Körpers und vor allem mit den Tastern aufs
genaueste irgendeinem Gegenstand, den man in seine Nähe brachte.

Wenn ein größeres und härteres Insekt zerkleinert wurde, so konnte man
die Bewegungen seiner Kiefer verfolgen, welche wie ein Schnabel an der
Zerkleinerung der Beute arbeiteten und sorgfältig die Muskeln aus den
Skeletröhren herauspräparierten.

Bemerkenswert ist die große Erregbarkeit von +Galeodes+. Geringste
Reize bewirkten die Annahme der Bereitschaftsstellung; näherte sich
ihm ein Gegenstand, so fuhr er wie wild geworden auf ihn los und
suchte ihn zu fassen. Dabei wurde der Eindruck der großen Erregung des
Tieres noch dadurch vermehrt, daß in solchen Momenten die vorderen
Thoraxabdomensegmente lebhaft gehoben und gesenkt wurden. Man hatte
den Eindruck eines erregten Atmens; es werden wohl auch sicher
Atembewegungen gewesen sein. Tatsächlich liegen ja die Atemöffnungen an
den ersten Segmenten des Leibes.

[Illustration: Abb. 160. Walzenspinne +Galeodes graecus+ in
Bereitschaftsstellung. Nat. Größe.]

Besonders bemerkenwert war die große Tastempfindlichkeit des Tieres,
die wohl bei seiner nächtlichen Lebensweise eine wichtige Rolle spielt.
Bei Berührung auch nur eines einzelnen Haares nahm das Tier sofort die
Abwehrstellung ein. Auch fuhr es mit den Tastern gegen die berührte
Stelle. Besonders die langen Beine des Tieres erwiesen sich als äußerst
reizbar gegen Berührung. Die langen Haare, welche den ganzen Körper und
alle Gliedmaßen bedecken, sind alle Sinneshaare. Sie tragen viel bei
zu dem charakteristischen Aussehen des Tieres, das bereit scheint, von
allen Seiten Reize aufzunehmen.

Berührung eines einzelnen Haares an den Tastern, an irgendeinem der
Beine, am Hinterleib, selbst mit einem ganz zarten Gegenstand, z. B.
mit einem Menschenhaar, führt prompte Reaktion herbei. Es erfolgt stets
eine rasche Drehbewegung gegen die berührte Stelle. Berührung des
Hinterendes veranlaßte eine blitzschnelle Umdrehung des ganzen Körpers.
Dabei war die Verwendung der einzelnen Beine in unabhängiger Bewegung
sehr bemerkenswert.

Ganz besonders empfindlich gegen Berührungsreize sind die
schaufelförmigen Fortsätze am hintersten Beinpaar, die sogenannten
_Malleoli_. Auf ihre Berührung reagiert das Tier blitzschnell und
sehr heftig. Welche spezielle Funktion diese besonderen Sinnesorgane
bei +Galeodes+ haben mögen, ist noch nicht bekannt. Sicher sind sie
geeignet, dem Tiere eine genaue Prüfung von ihnen berührter Gegenstände
zu ermöglichen. So mögen sie im Geschlechtsleben eine Rolle spielen.
Leider fehlte mir, angesichts der vielen Aufgaben, die in jener Zeit
sich vor mir auftürmten, die Zeit, das Tier eingehend auf seine
Reizreaktionen in sorgsam angestellten Experimenten zu prüfen. Es hätte
dies sicher sehr interessante Ergebnisse geliefert.

Jedenfalls hatte ich den Eindruck, daß das Tier vielmehr unter dem
Einfluß von Reizreaktionen steht und automatisch reagiert, als
derjenige Forscher annimmt, der bisher die Tiere wohl am eingehendsten
studiert hat. _Heymons_ lehnt ihre starke Abhängigkeit von +Tropismen+
ab. Mir dagegen scheinen solche in ihrem Leben eine große Rolle zu
spielen. Gerade seine Beobachtung, daß sie in der transkaspischen
Steppe so leicht den Eisenbahngeleisen sich anschließen und an
ihnen blieben, scheint mir eine Folge ihrer sehr auffälligen
Thigmotaxisreaktionen zu sein, die ich beobachten konnte.

In Mazedonien scheint die Fortpflanzungszeit, ähnlich wie in der
transkaspischen Steppe, im Juni und Juli zu liegen. Kleine jugendliche
Exemplare fanden sich vom August an in den Herbstmonaten.

Zu den Spinnentieren gehören auch die _Skorpione_; nach den
Erfahrungen, die ich sonst im südlichen Europa gemacht hatte, hätte ich
erwartet, sie in Mazedonien in großer Zahl anzutreffen. Es wurden mir
auch aus den ersten Jahren des Balkanfeldzuges sogar von Ärzten recht
seltsame Geschichten von Abenteuern unserer Soldaten mit Skorpionen
erzählt. So wurde von Lähmungen und langdauernden Anästhetien nach
Skorpionstichen berichtet. Da ich nach eigenen Erfahrungen Schmerz
und Folgen eines Skorpionstiches bei den südeuropäischen Formen nicht
schlimmer einschätzte als die eines Wespenstiches, so war ich auf
Sammlung neuer Erfahrungen sehr gespannt.

Es stellte sich bald heraus, daß _Skorpione_ in Mazedonien durchaus
keine häufigen Tiere sind. Ich habe allerdings eine Sammlung von
Arten dieser Gruppe zusammengebracht; aber diese war das Resultat
angestrengter Sammelarbeit und des Umwälzens von vielen Tausenden von
Steinen. So ist es auch verständlich, daß ich nie einem Eingeborenen
oder Soldaten begegnet bin, der von einem Skorpion gestochen gewesen
wäre. Folgende Arten habe ich in Mazedonien gefunden:

+1. Euscorpius carpathicus+ L. bei Üsküb sowohl im Tiefland als am
Pepelak und an der Kobeliza in 2100 m Höhe.

+2. Buthus occitanus Amoreux+, der mehr im Süden beobachtet wurde. Ich
fand ihn bei Mravinca und Kaluckova sowie in der Babunaschlucht bei
Veles.

Überblicke ich meine Tagebuchnotizen über Spinnen, so ist es sehr
auffallend, daß vielfach für die ersten Frühlingsexkursionen große
Zahlen von Spinnenfunden verzeichnet sind. Natürlich hängt dies zum
Teil damit zusammen, daß ich mich an solchen Tagen in besonders
spinnenreichen Gegenden befand. Aber nicht weniger sind jene reicheren
Funde dadurch bedingt, daß an Tagen, an denen die sonstige Tierwelt
durch Kälte und ungünstiges Wetter vertrieben oder zur Untätigkeit
gezwungen war, die Kraft und Aufmerksamkeit von mir und meinen
Mitarbeitern mehr der Aufgabe gewidmet werden konnte, den Spinnen in
ihren Verstecken nachzugehen.

So fand ich in und bei Üsküb im Februar, März und April 1918 viele
Spinnenarten und konnte an ihnen manche Beobachtungen machen.
Anfang März traf ich den _Weberknecht_ (+Phalangium cornutum+ L.),
der auch sonst in Mazedonien sehr häufig war. Eine ganze Anzahl
von _Wolfsspinnen_ waren schon in den ersten Märztagen, während
des verfrühten Vorfrühlings (vgl. S. 166) sehr mobil. So liefen am
Wardarufer zahlreiche Exemplare von +Lycosa paludicola+ Clerck frei auf
dem Sand umher, und zwar waren es Männchen, Weibchen und zahlreiche
kleine Tierchen darunter. Am gleichen Tage fand sich dort +Trochosa
cinerea+ F., auch frei umherlaufend auf dem sonnenbeschienenen Sand.
Eine andere Art der gleichen Gattung wurde fast an der gleichen Stelle
erst Mitte April gleichzeitig mit der ersteren beobachtet, es war dies
+Trochosa infernalis+ Motsch. Diese Arten bauen Röhren im Boden, welche
bei +Tr. cinerea+ etwa 25 cm lang werden.

Besonders auffällig waren in der Üsküber Gegend die mächtigen
_Taranteln_; große, dunkle, behaarte Spinnen, welche Röhren im Boden
bewohnen. Eine der Arten (+Tarentula praegrandis+ C. L. Koch), kam in
der ganzen Umgebung von Üsküb sehr häufig vor (Abb. 161). Ich habe sie
auch bei _Dedeli_ und im Gebirge, auf dem _Wodno_ und später im Sommer
auf dem Tomorosgebirge in 1500 m Höhe beobachtet. Überall baute sie
schiefe Röhren in den Boden, welche 20-35 cm lang waren. Diese Röhren
hatten einen Durchmesser von etwa 1-1½ cm und waren mit einem festen
Spinnstoff ausgekleidet, so daß man sie ganz bis zu ihrem rundlich
geschlossenen Ende aus der Erde herauspräparieren konnte.

[Illustration: Abb. 161. +Tarentula praegrandis+ (C. L. Koch) mit ihrem
Bodenloch.]

In sie tauchten die Spinnen, wenn man sie verfolgte, blitzschnell
hinein und verkrochen sich bis ans unterste Ende. Man sah sie oft nahe
dem Ausgang ihrer Röhre auf der Lauer sitzen; doch waren sie nicht
selten auf Streifzügen unterwegs.

Die _Deckel-_ oder _Minierspinnen_ aus den Gattungen +Cteniza+ und
+Nemesia+, welche im westlichen Mittelmeergebiet häufig sind, und
welche ich früher bei Bozen und in Italien beobachtet hatte, fand ich
in Mazedonien nicht, obwohl ich sehr auf sie fahndete.

Eine zweite Art der Gattung +Tarentula+ (+T. apuliae+ Walck.), die
ich schon im Jahre 1917 bei Kaluckova gesehen hatte, ein mächtiges
Tier mit dunkelbraunem Hinterleib und gelbbraun geringelten Beinen
fing ich auch Mitte April bei Üsküb. Am 10. April erbeutete ich ein
stattliches Weibchen, welches einen großen, kugeligen Eikokon mit sich
trug. Die Begattungszeit war also bei diesem Tier so früh im Jahr schon
abgeschlossen. Eine dritte Art +Tarentula cuneata+ Clerck fand ich bei
Üsküb schon Anfang März.

Noch mehrere Arten der gleichen Gattung habe ich in Mazedonien
beobachtet, so +T. trabralis+ Clerck in einem Kiefernwald bei Strumiza,
+T. pulverulenta+ var. +aculeata+ Clerck auch schon im März im
Karadakh. Im Süden Mazedoniens war +Tarentula radiata+ Latr. häufiger;
ich fand sie dort überall im Wardartal und auf den Bergen. Bei _Hudova_
bedeckten ihre Röhren weite Flächen in der Ebene, besonders in den
Maulbeerpflanzungen.

Bei Kaluckova hatte ich als Röhrenbewohner +Mygale icterica+ C. L. Koch
(+Trechona+) beobachtet.

In den drei Frühlingsmonaten traf ich in und um Üsküb ferner noch
+Runcinia lateralis+ C. L. Koch im März in ganz jungen Exemplaren.
Unter Steinen fand ich +Pisaura mirabilis+ Clerck und +Drassus
pubescens+ Thor. +Xysticus luctator+ L. Koch lief frei herum, während
+Epeira ubrichii+ Hahn und +E. redii+ Scop. beim Bauen ihrer Radnetze
waren und +Liocranum tenuissinum+ L. Koch am Wardar an Pappeln
herumlief.

Zur gleichen Zeit fanden sich in Zimmern, Kellern und Gängen +Teutana
triangulosa+ Walck., +Pholcus opilionioides+ Schrank, der auch hier
eine besondere Vorliebe für Aborte zeigte, +Cicurina cicur+ Menge und
das einzige Mal in Mazedonien +Tegenaria pagana+ C. L. Koch. Dazu kamen
+Gnaphosa rufula+ L. Koch und +lugubris+ C. L. Koch.

Auf dem Wodno, also am sonnigen Berghang, lieferte die gleiche Periode
nicht weniger als 12 Spinnenarten.

Im April war auch am _Katlanovosee_, besonders im Schilf, der Reichtum
an Spinnen groß. So fand sich +Hyctia canestrinii+ Can. und Rad.
direkt in Schilfhalmen wohnend. Auch sonst fand ich die Art stets
in Wassernähe, so am Wodno und bei Gewgeli am Wardar. _Becker_ gibt
dasselbe für die in Algier entdeckte, von ihm in Belgien am Meer in
den Dünen beobachtete verwandte Art +H. nivoyi+ Luc. an.

Direkt als _Wasserspinne_ kann +Dolomedes limbatus+ Hahn bezeichnet
werden, eine Art, welche zwischen dem Schilf lebt. Ihre Lebensweise
scheint ganz ähnlich zu sein, wie sie _Becker_ für +D. fimbriatus+
Clerck geschildert hat. Sie scheint deren südliche Vertreterin zu sein,
stürzt sich wie diese ins Wasser, um da ihre Beute zu fangen.

Auch von der dritten Spinnenart, die ich im Röhricht des Katlanovosees
fand, ist von ihren nördlichen Fundorten bekannt, daß sie die Nähe des
Wassers liebt. So beschreibt _Becker_, daß +Epeira cornuta+ Clerck
ihr Radnetz an, im oder über dem Wasser wachsenden Pflanzen baut. Am
Katlanovosee waren die Spannfäden zwischen den Binsenrohren ausgespannt.

Ein eigenartiges, auffallendes Tier, welches auch in Deutschland nicht
selten vorkommt, war dort +Theridium lineatum+ Clerck; der Rücken
dieses Tieres ist silbergrau mit dunkelbraunen Längsstreifen.

Auch sonst ließe sich von mazedonischen Spinnen mancherlei
berichten. Bei der Schilderung der einzelnen Gegenden und besonderer
Landschaftsformen wird Gelegenheit sein, auf sie zurückzukommen.

[Illustration: Abb. 162. Walzenspinnen in verschiedenen Stellungen.]

Meine reiche mazedonische Spinnensammlung wurde von Dr. _Roewer_
(Bremen) bearbeitet. Sie enthält viele für den Balkan neue Formen, wenn
auch keine neuen Spezies.



ZWANZIGSTES KAPITEL

DAS CHROMBERGWERK VON RADUSCHE


Es war ein interessanter Weg, der mich mit meinen Präparatoren an
einem schönen Aprilmorgen (18. April 1918) das Wardartal aufwärts nach
_Radusche_ führte. Der Kleinbahnzug war uns vor der Nase weggefahren
und ein Marsch von etwa 20 km lag vor uns. Aber es wehte ein frischer
Wind, die Landschaft prangte im schönsten Frühlingsgrün, große weiße
Wolken zogen am tiefblauen Himmel dahin.

Links von uns erstreckte sich ein hoher Gebirgszug, mit dem _Wodno_
beginnend, nach Westen ziehend und so den Südrand des Wardartals
bildend. Eine Schlucht von riesigen Dimensionen unterbrach die Kette;
es war der Durchbruch der _Treska_, des mächtigen Nebenflusses des
Wardar, der stärker als dieser, dem Flußlauf wohl den Namen gegeben
hätte, wenn nicht der kleinere Wardar die Hauptrichtung des Flußsystems
bestimmte. Blau ragte das schön umrissene, klar modellierte Gebirge
hinter einem von Pappeln und Obstbäumen umhüllten Dorf auf. Es war
ein Landschaftsbild von großer Schönheit und der für Mazedonien
charakteristischen Farbigkeit, das Dorf mit seinen weißen Häusern und
roten Dächern, seinem grünen Park und dem zarten Schleier der blühenden
Bäume, in den großen Rahmen der Gebirgslandschaft gestellt.

Der Kleinbahnlinie folgend bogen wir in das Flußtal ein, dessen
Windungen in die Berge führten. Eine lachende Frühlingslandschaft
begleitete uns zunächst. Grüne Wiesen mit blühenden Obstbäumen, weiß
überhauchten Weißdornbüschen und duftenden Blumen waren das richtige
Tummelfeld vieler Vögel. Am Flußufer lauerten _Eisvögel_ von den
Büschen auf die kleinen Fische und stürzten sich, wie funkelnde
Edelsteine aufblitzend, zum Wasser hinab (+Alcedo atthis atthis+ L.).

Von den Obstbäumen sah man einen kleinen Vogel lustig tirelierend
senkrecht in die blauen Lüfte steigen, um dann langsam zum Boden
niederzuschweben. Es war der _Baumpieper_ (+Anthus trivialis trivialis+
L.), der genau so seinen Balzflug ausführte, wie ich ihn wenige Jahre
vorher genau zur selben Jahreszeit im oberen Donautal beobachtet
hatte. Über die Steine des Flußufers hüpften zwitschernd weiß-schwarze
_Bachstelzen_ und die gelbgefleckten _Schafstelzen_. _Stare_ (+Sturnus
vulgaris balcanicus+ Stres.) und die _Balkanamsel_ wetteiferten
mit ihrem Gesang, die Erinnerung an den Frühling der Heimat
wachzurufen. Besonders schön war hier das Lied der _Mönchsgrasmücke_
(+Sylvia atricapilla atricapilla+ L.). Zwei andere Grasmücken, die
_Zaungrasmücke_ (+Sylvia carruca carruca+ L.) und die _Dorngrasmücke_
(+Sylvia communis communis+ Lath.) huschten durch die Hecken. Auch
_Kohlmeisen_ und _Blaumeisen_ waren beim Absuchen der Rinde der
Obstbäume fleißig tätig.

So ging die Zeit unterm Beobachten schnell dahin, während wir
flußaufwärts in öderes, winterlicheres Gelände kamen. Der Fluß machte
mehrere große Windungen, trat an eine kahle Bergwand heran, welche in
ein enges Tal umbog. Neben dem Fluß ließ die Schlucht gerade noch Raum
für die schmale Straße und das Geleise der Schmalspurbahn, die hier
steil emporzuklettern hatte.

Durch das Tal mit seinen rötlichen Felsenwänden erblickte man über dem
steinerfüllten, brausenden Fluß ein Stück der Schardakhkette. Es war
gerade der Teil um den _Ljubotren_, der hier als prachtvolle Pyramide
sich in der Mitte des Bildes stattlich abhob. Er wie die ihn umgebenden
Berge waren noch tief herab mit Schnee bedeckt. So war es wieder ein
malerisches Bild von großer Schönheit, das ich längere Zeit beim
Ansteigen bewundern durfte.

Nach etwa einer Stunde erweiterte sich das Tal; wir kamen an die
Endstation der Kleinbahn, die von Baracken und Schuppen umgeben war.
Zahlreiche kleine Güterwagen standen auf Nebengeleisen, zum großen Teil
schon mit Erzen beladen, um mit dem Nachmittagszug nach Üsküb befördert
zu werden.

Vor uns erhoben sich die gewaltigen Halden des Bergwerks, welche hier
die Nordhänge des Tals einnahmen. Oben am Berg standen verschiedene
Häuser, das Wohnhaus des Direktors, ein Beamtenkasino, in welchem wir
freundlich bewirtet wurden, und Verwaltungsgebäude.

Nach einem Besuch bei dem Direktor besichtigen wir das Werk, welches
als _Tagbau_ betrieben und infolgedessen sehr leicht zu überblicken
war. Einige der Hügel und Rücken des Berges bestanden aus Serpentin,
welches von _Chromeisenerz_ stark durchsetzt war. Dieses wurde durch
oberflächliche Sprengungen in Trümmer zerlegt, welche auf kleinen
Karren auf Schienen zu bestimmten Stellen gebracht und angehäuft und
von da zu Tal gebracht wurden.

So machte die Landschaft einen öden Eindruck; Pflanzen wuchsen keine
auf diesen Hängen, nur an den Rändern und in den Schluchten zeigte sich
die übliche trockene Buschvegetation. Grünlich-grau war das Gestein,
an einzelnen Stellen traten tiefschwarze Massen hervor; das war das
chromreichste Erz. Dort wurde gesprengt und gearbeitet. Hier sah
man dunkle Menschenmassen zusammengedrängt: hunderte von Arbeitern,
welche die Gesteinsmassen in die „Hunde‟ schaufelten. Diese liefen auf
schmalen Geleisen, die wagerecht den Hängen entlang verliefen. So war
das ganze Gelände in Terrassen geteilt, welche parallel übereinander
einige hundert Meter an der Talwand sich hinzogen.

[Illustration: Abb. 163. Radusche. Lage am Fluß, Bahnstation und
Häuser.]

Die erzhaltigen Steintrümmer wurden mit Klopfmaschinen zerkleinert,
die Stücke sortiert, die gehaltreichsten Erze, die fast schwarz waren,
von den grauen geringeren und diese von dem Grundgestein gesondert.
Dieses blieb auf den Halden zurück, während das Erz in Körben auf
einer primitiven Schwebebahn hinab zur Bahnstation gebracht und in die
Güterwagen verladen wurde.

So bildeten sich an den Abhängen mächtige Schutthalden, von denen
manche weiß wie Schnee von den bunten, meist grünlichen Felsen des
Grundgesteins seltsam abstachen.

Dieses einfache Bergwerk war schon in Friedenszeiten abgebaut worden,
aber infolge der geringen Rentabilität und der Transportschwierigkeit
hatte es nie richtig floriert und lag meist still. Die Arbeiterzahl,
die man dort in serbischer und früher in türkischer Zeit beschäftigte,
hatte wohl niemals die Zahl 100 erreicht.

[Illustration: Abb. 164. Chromerz-Tagebau bei Radusche.]

Zur Zeit meines Besuchs war dort großer Betrieb. Man beschäftigte
gerade 3700 Arbeiter, meist Mazedonier und Albaner. Über ihre
Leistungsfähigkeit, Arbeitsamkeit, Arbeitsdisziplin wurde sehr geklagt.
Aber gearbeitet werden mußte doch mit allen Kräften. Denn _Chrom_
war für die deutsche Heeresleitung ein wichtiger Artikel. Nachdem
der _Wolfram_import von Übersee, vor allem von _Birma_, vollkommen
abgeschnitten war, hatte man in Deutschland alle alten Werke, die
Ersatzmetalle, wie _Molybdän_ liefern konnten, wieder in Betrieb
gesetzt, so kleine Bergwerke in den hohen Bergen der Alpen.

Aber deren Erträge waren ungenügend, angesichts der großen Mengen, die
man zur Härtung des Stahls für Panzerplatten für Forts, Befestigungen,
für die Marine brauchte. Es war ein schwerer Notstand, zu dessen
Behebung alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden. Die einzigen Bergwerke,
die _Chrom_ lieferten und in unseren Händen waren, lagen in Mazedonien
und im _türkischen Kleinasien_. Nur _Radusche_ war von diesen
einigermaßen günstig zu einer leistungsfähigen Bahnlinie gelegen. Die
anderen Werke in Mazedonien, nahe bei _Dedeli_, waren sehr klein und
wenig ertragreich.

So liefert denn in jener Zeit _Radusche_ all das _Chrom_, welches
wir zur Stahlhärtung bekamen. Es herrschte daher ein fieberhafter
Betrieb dort und auf der Kleinbahn. Alles Geförderte wurde sofort
abtransportiert, fuhr nach Deutschland und wurde dort gleich nach der
Ankunft verarbeitet.

Man bekam hier einen Einblick in eine der vielen Nervenleitungen des
Kriegsorganismus und lernte verstehen, wie außer politischen und
militärischen Notwendigkeiten auch harter wirtschaftlicher Zwang die
Besetzung eines Landes und das Halten einer Front unerläßlich machte.

Da noch viele andere wichtige Elemente des wirtschaftlichen Lebens aus
dem Balkan flossen, ich erinnere nur an das serbische Kupfer aus _Bor_,
an das _Opium_ für die Arzneifabrikation, an _Reis, Getreide, Öl_
und all die Lebensmittel sowie das _Petroleum_ aus Rumänien, so wird
man verstehen, welche Folgen der Zusammenbruch dieser Front auf alle
Dispositionen unserer Heeresleitung haben mußte.



EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

DER KATLANOVOSEE


Etwa 20 km östlich von Üsküb liegt im Winkel zwischen dem Wardar und
der südlich in diesen mündenden Pcinja ein eigenartiger Sumpfsee,
der _Katlanovosee_. Er und seine Umgebung bot dem Zoologen viel
Interessantes. So war er das Ziel zahlreicher Ausflüge, welche der
Vogelwelt, den Insekten und Spinnen wie den Wassertieren galten.
Bei diesen war häufig mein Begleiter mein früherer Assistent Dr.
_Nachtsheim_. Es war mir gelungen, ihn vom Postüberwachungsdienst
zu befreien und ihn nach Mazedonien kommandiert zu bekommen, wo er
nützlichere Tätigkeit fand.

Nördlich vom Katlanovosee zieht sich ein schmales Sumpfgebiet bis in
die Gegend von Üsküb, in welchem zahlreiche Bäche versickern. Somit
ist jetzt der See im wesentlichen ein Sammelbecken dieser Bäche. Es
ist nicht ausgeschlossen, daß er früher einmal vom Wardar durchflossen
wurde oder diesen an anderer Stelle mit der Pcinja verband, ehe diese
sich ihre Schlucht zum Wardar gewühlt hatte.

Der lange Weg von Üsküb zum See war reizvoll durch die Blicke auf die
Berge der Umgegend; entzückend schöne Formen hatten vor allem _Osri_
und _Kitka_, welche als letzte Ausläufer der _Golesniza Planina_ in die
Wardarebene etwa 1500 m hoch emporragten und diese damit fast bis zur
Wardarklamm zwischen Taor und Selenikovo fortsetzten. Nördlich zogen
sich die Höhen des _Karadak_ hin. Kleine Dörfer lagen in Gruppen von
Pappeln und Obstbäumen malerisch vor den Bergen. Auf den Bäumen sah man
viele Storchennester.

Wie diese, so hatte der Sumpfwald, der sich zwischen Üsküb und dem See
hinzog, eine reiche Vogelwelt angelockt, deren Studium ich manchen
Tag im April 1918 widmete. Prachtvolle alte Eichen, Weiden, Erlen und
Haselgebüsch bildeten diesen lichten Wald, in welchem auch Pappeln
nicht fehlten. Zwischen den Gruppen großer Bäume dehnten sich Flächen
dichten Gestrüpps aus, die besten Schlupfwinkel für die mannigfaltige
Vogelwelt.

Einige alte Bäume waren die Ruheplätze großer Raubvögel. Sie standen
meist einsam, so daß es außerordentlich schwer war, sich an sie
heranzupürschen, um die Riesenvögel genau zu betrachten oder gar
erlegen zu können. Immerhin gelang es, manche der dort sitzenden Arten
mit großer Sicherheit festzustellen, zum Teil als Beute von Offizieren
und eines Veterinärs, die mehr Zeit auf die Jagd verwenden konnten, als
ich, den viele andere Probleme festhielten.

Wie überall in Mazedonien war hier der _Kaiseradler_ am häufigsten
(+Aquila heliacea heliacea+ Lad.); die meisten Adler, welche in
Mazedonien jung aus den Nestern genommen und bei den Abteilungen
aufgezogen wurden, gehörten zu dieser Art. Ich habe ihrer viele in
allen Teilen des Landes gesehen. Mit Sicherheit glaube ich ferner
beim Katlanovosee den schön braunen _Schreiadler_ (+Aquila pomarina
pomarina+ Pr.) und den gefleckten _Schelladler_ (+Aquila maculata+
Gm.) beobachtet zu haben. Im ganzen habe ich im Gebiet fünf Adlerarten
gesehen, zu den genannten noch den _Zwergadler_ in der Golesniza
Planina (+Hieraëtus pennatus+ Gm.) und bei Hudova den _Schlangenadler_
(+Ciraëtus gallicus+ Gm.) als ziemlich häufige Form.

Dazu kommt noch der _Fischadler_ (+Pandion haliaëtus haliaëtus+ Lad.),
der auch in der Nähe des Sees nicht selten war; im Winter konnte ich
mehrmals auch _Seeadler_ (+Haliaëtus albicilla+ L.) beobachten.

Einer der alten Bäume im Sumpfwald war der Schlafplatz eines riesigen
_Gänsegeiers_ (+Gyps fulvus fulvus+ Habl.). Wie oft suchte ich in der
Dämmerung an ihn heranzukommen. Doch nie gelang es, ihn zu überraschen.
Er hatte sich seinen Schlafbaum so vorsichtig ausgesucht, daß man beim
Heranschleichen von keiner Seite Deckung fand. Schließlich gelang es
einem mich oft begleitenden Tierarzt ihn zu erlegen.

An den Abfallhaufen der Korpsschlächtereien konnte man oft auch
_Mönchsgeier_ (+Aegyptius monachus+ L.) und den _Aasgeier_ (+Neophron
pernopterus pernopterus+ L.) beobachten. Es war ein phantastischer
Anblick, wenn die riesigen Vögel sich um die Reste der geschlachteten
und gefallenen Tiere balgten. Ein wüstes Geschrei erhob sich um die
Abdeckereien herum, wenn die Tiere sich hoch aufrichteten, den nackten
Hals zurückbogen und die breiten Federn ihrer Flügel weit auseinander
spreitzten. Auch diese beiden Arten kamen in den Sumpfwald zum
Schlafen.

Es ist das eine stattliche Schar großer Vogelarten, welche ich damit
verzeichne. Für mich als Zoologen gehört es zu den starken Eindrücken,
die ich von Mazedonien mitnahm, so viel von der Vogelwelt beobachten
zu können. Überall erblickte man Adler und Geier; bei jedem Ausflug in
die Berge sah man entweder die Paare der Adler in mächtigen Kreisen
hoch oben nahe den Wolken streichen, oder man konnte ganze Scharen
von Geiern tief herabschweben und sich auf ein Aas stürzen sehen.
Auch die Mengen von Vögeln, die oft von einer Art sich an einem Ort
versammelten, waren überwältigend. Wie belebt ist die Luft noch in
den Ländern Europas, in denen noch nicht die Eisenbahnschienen das
ganze Land, Telegraphen- und Telephondrähte die Luft durchkreuzen und
hunderte von Fabrikschornsteinen sie verpesten und den Beherrschern der
Lüfte die freie Bahn sperren.

Einen nicht geringen Beitrag zu diesen Erlebnissen lieferte die Gegend
des _Katlanovosees_. Im Sumpfwald waren _Falken, Weihen, Sperber_
und _Bussarde_ noch häufiger als ihre großen Vettern. Eine große
Rolle spielen dort auch die _Eulen_. Oft streifte ich bis tief in
die Dämmerung durch die Büsche. Dann flogen nicht selten allerhand
Eulenarten leichten Fluges über meinen Kopf dahin.

Eine eigenartige Beobachtung konnte ich an _Waldohreulen_ (+Asio otus
otus+ L.) machen. Als ich eines Tages durch ein dichtes Gebüsch drang,
flog ein Schwarm von etwa 12 Exemplaren dieser Art vor mir auf. Ich
schoß ihrer zwei herunter, die anderen verschlüpften sich so tief in
die Büsche, daß ich keine mehr von ihnen an diesem Abend auftreiben
konnte. Als ich am nächsten Tag dieselbe Stelle aufsuchte, trieb ich
offenbar denselben Schwarm wieder auf. Ich wiederholte meinen Besuch in
den nächsten 14 Tagen, es war Mitte April, mehrmals und fand die Tiere
jedesmal in demselben Buschstück. Es war dies offenbar ihr Schlafplatz,
wo sie vor der Paarungszeit in Gesellschaft schliefen. Schließlich habe
ich sie doch vertrieben, da ich mehrmals eine wegschoß.

Auch die _Zwergohreule_ (+Otus scops scops+ L.), sowie die
_Sumpfohreule_ (+Asio flammeus flammeus+ Pontopp.) waren bei Üsküb
nicht selten. Von Käuzen fanden sich der _Steinkauz_ (+Carine noctua
indigena+ Brehm) und der _Waldkauz_ (+Strix aluco aluco+ L.) nicht
selten in der Umgegend von Üsküb; in der Stadt selbst sah ich einmal
einen gefangenen _Rauhfußkauz_ (+Cryptoglaux funerea funerea+ L.). Mehr
mit Käuzen hatte ich im Jahr vorher in _Kaluckova_ zu tun gehabt, wo
wir sie zur Untersuchung ihrer Blutparasiten lebend hielten.

Der _Uhu_ (+Bubo bubo bubo+ L.) ist in Mazedonien ein sehr häufiger
Vogel. Nicht selten wurden von unseren Soldaten seine Nester
ausgenommen und die Jungen in Käfigen aufgezogen.

Daß im Sumpfwald allerhand Kleinzeug von Vögeln vorkam, ist nicht
verwunderlich. Der _Wendehals_ (+Jynx torquilla torquilla+ L.) trieb
dort sein munteres Wesen. An den Stämmen lief der _Baumläufer_
(+Certhia brachydactyla brachydactyla+ Brehm) lebhaft auf und ab. Auch
der _Kleiber_ holte sich an den Tümpeln Lehm zum Bau seines Nestes
(+Sitta europaea caesia+ Wolf). Ein reiches Leben von _Meisen_ huschte
durch die Baumkronen, allerhand Arten, so die _Kohlmeise_ (+Parus
major major+ L.), die _Blaumeise_ (+P. coeruleus coeruleus+ L.) und
_Sumpfmeise_ (+Parus palustris stagnalis+ Br.). Sehr lebhaft waren die
_Schwanzmeisen_, von denen hier zwei Formen, wie fast überall, häufig
waren (+Aegithalus caudatus+ L. und +Aegithalus caudatus mazedonicus+).
Alle waren sie beim Nestbau. Besondere Freude machten mir die
_Beutelmeisen_, welche hier wie am See selbst zahlreich vorkamen und
deren sorgfältig gebaute Nester an den Büschen und am Schilf hingen.

Manchen schönen Abend verbrachte ich hier im Wald, die Vögel
beobachtend. Durch die noch kaum belaubten Bäume strahlte der gelbe
Himmel hindurch, blau leuchteten die Berge und wurden immer blauer,
während es im Gebüsch und in den Baumkronen immer stiller wurde und
all die munteren Vögel ihre Schlafplätze aufsuchten und nur die Eulen
stillen Fluges durch die Lüfte strichen.

Zum See selbst war vom Sumpfwald aus noch ein gut Stück Landstraße
zurückzulegen. Dürre Felsenhügel mit niederen Büschen begleiteten den
Nordrand der Straße. Von ihnen flog gelegentlich eine Felsentaube
herüber (+Columba livia+ L.). Den _Katlanovosee_ erkannte man als
solchen erst, als man ihm ganz nahe war. Jenseits, im Süden, ragten die
Randberge des Wardartales auf, welche bis dicht an den See herantraten.
Von der Landstraße aus ging es flach über eine sandige Ebene zum See,
dessen Wasserfläche man vor Pflanzenwachstum kaum irgendwo erblickte.
Ein Meer von Schilf und Röhricht breitete sich vor meinen Augen aus, im
Frühjahr dürr und gelb, später im Jahr prächtig grün.

Wenn am frühen Morgen ein frischer Wind durch das Röhricht strich,
ging ein Rauschen über die ganze Fläche, das in der Ferne sich
verlor, um irgendwo wieder anzuheben. Eine eigenartige Musik ging von
diesem See aus. Allerhand Geräusche tönten aus dem Schilfmoor heraus.
Fast dröhnend wie Paukenwirbel drang geheimnisvoll anschwellendes
Rauschen aus den Herzen der Schilfwälder hervor. Waren es Scharen von
Wildgänsen, Enten oder Wasserhühnern, welche das Röhricht durchbrachen,
das Wasser aufwühlten, indem sie in wilder Flucht vor dem nahenden
Menschen sich davonmachten?

[Illustration: Dr. _Nachtsheim_ phot. Abb. 165. Alter Einbaum im
Katlanovosee. Dahinter Wasserschierling und Röhricht.]

Es war kein leichtes Gelände, um Tiere zu beobachten und zu erjagen,
dieser See, dessen seichtes Wasser fast ganz überwachsen war und nur
stille einsame Lichtungen weit draußen offen gelassen hatte. Am Ufer
waren einige kleinere Becken zu entdecken, in denen alte Einbäume,
morsche Fischerkähne im Wasser versunken lagen. Der Krieg mußte die
Fischer vom See vertrieben haben; denn auch die kleinen Schilfhütten am
Ufer und auf Sandbänken im Innern des Schilfwaldes waren verfallen und
vernachlässigt.

Bei unserem ersten Erkundungsausflug lagerten wir an einer sandigen
Bucht, in welcher ein solcher Kahn lag. Rasch hatte mein Assistent
sich ausgezogen und suchte das Boot zu heben und mit seiner Mütze
auszuschöpfen. Dazwischen fing er mit dem Handnetz Wasserkäfer und
allerhand Schwimmwanzen, die in Menge im seichten Wasser herumschwammen.

Plötzlich stürzte er erschreckt ans Ufer; Blut lief an vielen Stellen
von seinen Schenkeln herab, an seinem Körper hingen fast ein Dutzend
Blutegel. Noch hatten sich die Bestien nicht ganz fest angesaugt,
so daß es gelang, ihn schnell davon zu befreien. Es war der echte
medizinische _Blutegel_ (+Hirudo medicinalis+ L.), welcher den See
für uns außerordentlich schwer zugänglich machte. War ein Vogel
geschossen, so fiel er im Schilf nieder und es kostete Zeit, ihn
aufzufinden. In dieser Zeit saugten sich überall im See Blutegel an
den Jäger und so mußte überlegt werden, wie man einen Kahn flott
machen konnte, um ungefährdet ins Innere der Schilfwälder zu gelangen.
Es gelang schließlich, und auch ein primitives Ruder wurde aus einem
Brett geschnitzt. Aber oft mußte man doch aus dem Kahn heraus, um das
Netz einzuholen oder den gefallenen Vogel zu suchen. So hat jeder von
uns seine Portion Blut opfern müssen, um die Erforschung des Sees
durchzusetzen. Es ging auch so und manche interessante Beobachtung
wurde erzielt.

Mit großem Geschrei flogen zahlreiche _Rohrweihen_ (+Circus aeruginosus
aeruginosus+ L.) über dem Röhricht, mit Gebrause sich aus ihm
erhebend und in die Tiefe sich stürzend. Zwei Ammern trieben sich
mit grellem Geschrei im Schilf herum, die _Rohrammer_ (+Emberiza
schoeniclus canneti+ Br.) und eine größere _Gimpelammer_ (+Emberiza
schoeniclus reiseri+ Hart.). Im dürren Gras am Ufer liefen am Boden
_Schafstelzen_ (+Budytus flava feldeggi+ Michah.) und _Kalanderlerchen_
(+Melanocorypha calandra calandra+ L.) umher.

Es war ein reiches Leben um das Schilfmeer und in ihm; es gab viel zu
beobachten und zu erbeuten. Im Mai tauchten viele Drosselrohrsänger
(+Acrocephalus arundinaceus arundinaceus+ L.) auf, deren Gesang die
Luft erfüllte; auch der _Sumpfrohrsänger_ (+A. palustris+ Bechst.) ließ
sich erbeuten, ebenso der _Schilfrohrsänger_ (+A. schoenaboenus+ L.).
Alle diese machten ein großes Wesen im Schilfwald; ihre Nester waren
vielfach am Schilf zu beobachten und im Sommer gab es viel junge Brut.
Die Tiere waren fast ungestört und wurden nur hier und da von einem
Sperber oder einem anderen Raubvogel erbeutet.

In großen Mengen kommen im Sumpf um den See die _Lachfrösche_ (+Rana
ridibunda+) vor und waren eine beliebte Kost für die zahlreichen
_Störche_ und anderen Stelz- und Wasservögel, von denen viele zur
Beobachtung gelangten und von uns und den jagenden Offizieren erbeutet
wurden. Ein prachtvolles Tier war der _Löffelreiher_ (+Platalea
leucorodia leucorodia+ L.) mit seinem leuchtend weißen Gefieder
und seinem fleischfarbenen breiten Schnabel und Kehlsack. Offenbar
waren Nester mitten im Röhricht, zu denen die Tiere immer wieder
niederflogen. Es war aber unmöglich, mit den morschen Kähnen so tief in
das Schilfgewirre einzudringen. Ebenso brüteten im See _Fischreiher_
(+Ardea cinerea cinerea+ L.) und _Purpurreiher_ (+Ardea purpurea+
+purpurea+ L.), deren Nester man auch an unerreichbaren Stellen mit dem
Glas feststellen konnte.

Seltener waren im Jahre 1918 die _Rohrdommeln_ (+Botaurus stellaris
stellaris+ L.) geworden, welche im Jahr vorher noch sehr häufig gewesen
sind. Immerhin gelang es, diese im Frühjahrsröhricht mit seiner
gelbraunen Farbe kaum sichtbaren Vögel im Juni, als das Schilf grasgrün
war, mehrfach zu erbeuten.

Wundervolle, glänzende Tiere waren die purpurbraunen _Sichler_, die
Ibisse mit ihren schwarzen gebogenen Schnäbeln (+Plegadis falcinellus
falcinellus+ L.), welche recht zahlreich im dichten Dickicht vorkommen
und unzweifelhaft dort auch brüteten, wie aus den vielen jungen Vögeln
zu erschließen war.

Graziös stolzierten _Kraniche_ (+Megalornis grus grus+ L.) durch
die Gräser, ihren grauen Federbusch behaglich wiegend. Einen
gewaltigen Lärm machten auffliegend die _Wildgänse_ und _Wildenten_.
Außerordentlich häufig war im Winter 1917 die _Wildgans_ (+Anser anser+
L.), die _Saatgans_ (+Anser fabalis fabalis+ Lath.) und im Frühling bei
Üsküb die _Brandgans_ (+Tadorna tadorna+ L.).

Die vielen _Entenarten_, welche regelmäßig oder auf dem Zug vorkommen,
will ich nicht einzeln aufführen. Ich will nur die _Löffelente_
(+Spatula clypeata+ L.), die _Moorente_ (+Nyroca nyroca+ Güld.), die
_Spießente_ (+Dafila acuta+ L.), die _Tafelente_ (+Nyroca ferina
ferina+ L.) und die _Eisente_ erwähnen, welche allerdings nicht von
mir, einmal bei Üsküb erlegt wurde.

Verschiedene _Teichhühner_ konnten nicht mit Sicherheit identifiziert
werden, dagegen die _Wasserralle_ (+Rallus aquaticus aquaticus+ L.)
wurde am Rand des Katlanovosees mehrfach geschossen.

Das war eine reiche interessante Vogelwelt, die sich an den zahlreichen
Tagen, welche wir dem See und seiner Umgebung widmeten, uns darbot.
Dr. _Nachtsheim_ machte außerdem zahlreiche _Plankton_fänge, welche
_Copepoden, Daphniden_ und _Ostrakoden_ enthielten; sicher waren
darunter interessante Formen. Leider konnten sie nicht genau bestimmt
werden, da sie zu den wenigen Bestandteilen unserer Ausbeute gehören,
welche auf dem Rückzuge dem Feinde in die Hände fielen.

Dagegen blieben die reichen Spinnensammlungen erhalten, welche im
Schilfgebiet des Katlanovosees zusammengebracht wurden. Zwischen Schilf
und Röhricht fanden sich allerhand interessante Arten. Es war vor
allem im Anfang April 1918, daß ich dort sehr auf die Spinnen achtete.
Auffällig war, daß angesichts der Armut an Insekten sich auffallend
viele Spinnen im Röhricht herumtrieben. So flog am 2. April schon ein
+Theridium lineatum+ Clerck wie _Altweibersommer_ an langen Seidenfäden
durch die Luft. Es war ein auffallendes Tier mit drei dunkelbraunen
Streifen auf dem Rücken und je fünf solchen auf silberweißem Grund am
Kopf. Größere Exemplare der Art fanden sich am Boden.

Zwischen Rohrstengeln hatte eine Spinne denjenigen unserer Kreuzspinnen
ähnliche _Radnetze_ von nicht sehr großem Durchmesser ausgespannt. Es
war eine +Epeira cornuta+ Clerck., von der schon am 9. April Männchen
und Weibchen auf den Netzen beieinander waren. In Schilfhalmen selbst
wohnte +Hyctia canestrinii+ Can. und Pav. An solchen kletterte
+Dolomedes limbatus+ Hahn auf und ab, während +Pisaura mirabilis+
Clerck und +Drassus pubescens+ Thor. sich am Rand des Sees unter
Steinen fanden.

Später im Jahre kletterten vielerlei _Käfer_ aus der Gattung +Donacia+
auf den Schilfrohren herum; _Libellen_ in vielen Arten, tiefblau, grau,
rot, grün gefärbt, _Eintagsfliegen, Köcherfliegen_, flogen zwischen
den Halmen hindurch und über ihnen, während ihre Larven im Wasser sich
entwickelten. Kleine Fische, deren Vertreter auch verloren gingen und
die somit nur als +Leuciscus+-Arten bezeichnet werden können, schwammen
in ganzen Schulen an sonnigen, schilffreien Stellen des Sees.

Nicht immer war es möglich von Üsküb her mit dem Wagen den direkten
Weg zum See zu machen. Dann war die Hin- und Rückreise etwas
beschwerlicher. Man fuhr mit einem Bummelzug nach der Station
_Selenikovo_, von wo über die Hügel ein nicht reizloser Weg durch ein
insektenreiches Tälchen führte. Der Rückweg wurde dann durch die
Wardarschlucht, die sich zwischen _Taor_ und _Selenikovo_ erstreckt,
zurückgelegt. Bei Selenikovo war nämlich weithin die einzige Brücke
über den Wardar auf das rechte Ufer, auf welchem die Bahnstrecke lief.
Dort bestieg man nachts einen Güterzug, welcher etwa um Mitternacht auf
einer Zwischenstation von einem Personenzug eingeholt wurde, der einen
nach Üsküb zurückbrachte.

Am südlichen Ende des _Katlanovosees_ erhoben sich lehmige Hügel, im
Frühjahr üppig mit blühenden Pflanzen bewachsen, die von der üblichen
reichen Insektenwelt umflogen waren. An einem Hang, nicht weit vom
See, entdeckten wir in einer senkrechten Lehmwand eigenartige Löcher,
welche offenbar von Menschenhand gebohrt waren. Wir erfuhren, daß sie
von den Bewohnern der Nachbarschaft angelegt waren, um durchgegangene
Bienenschwärme einzufangen, die sich gern an dieser Lehmwand
niederließen (vgl. dazu S. 372 und Abb. 186).

[Illustration: Abb. 166. Kapelle und Friedhof von Taor.]

Wollte man durch die Wardarschlucht nach _Selenikovo_, so mußte man
das lange nach Südosten gestreckte Ende des Sees umgehen, um an seinem
Westufer den Durchbruch des Wardar bei _Taor_ zu erreichen, wo See und
Fluß nur wenig hundert Meter voneinander getrennt waren. _Taor_, am
Hügel gelegen, zwischen Obstbäumen gelagert, mit einer kleinen weißen
Kapelle auf grünem Rasen, war das Ziel der Sehnsucht vieler Juristen
der Armee, da es der Geburtsort des oströmischen Kaisers Justinian,
des Urhebers der Pandekten, ist. Wenige sind dort gewesen, da der Ort
sehr unbequem zu erreichen war. So sei diesen die von mir aufgenommene
Photographie der Kapelle von _Taor_ gewidmet (Abb. 166).

Dicht bei Taor beginnt nach der Üsküber Talweite die lange Velesenge
des Wardars, welche sich bis _Krivolac_ erstreckt. Ihre hohen
Felsenufer sind aus kristallinischen Schiefern, paläozoischen
Schiefern, mesozoischen Kalken, paläozoischen Flyschschiefern und
jungtertiären Ablagerungen in buntem Wechsel aufgebaut.

[Illustration: Abb. 167. Wardar bei Selenikovo.]

So entstehen reizvolle Felsenlandschaften von wechselnder Höhe und
mannigfaltiger Gestaltung und Färbung. Schön und reich ist auch die
Flora der Flanken dieser Enge. Kurz hinter _Taor_ ziehen sich steile
Abstürze von Kalkbergen bis _Selenikovo_ hin (Abb. 167). Die weißen
Hänge spiegelten sich im farbig vom Abendhimmel überstrahlten Wasser
des Wardar, welches hier von üppigem Buschwerk und stattlichen Bäumen
eingefaßt ist. Pappeln, Ulmen, Eschen, Erlen, viele Weidenbäume und
-büsche warfen bunte Schatten auf den Spiegel des Flusses, über den
die Büsche tief sich neigten. So ist mir die letzte Heimkehr vom
_Katlanovosee_ in schöner Erinnerung.

Nicht minder interessant waren Streifzüge in den Hängen des Wardartales
zwischen _Selenikovo_ und _Veles_. Kurz hinter Selenikovo begannen
Schieferberge, welche im Mai mit blühenden Sträuchern _wilden Flieders_
mit weißlichen und lila Blüten bedeckt waren. Es war die +Syringa
vulgaris+ L., deren Blüten kleiner sind und weniger stark duften, als
diejenigen des persischen und chinesischen Flieders, aber auch wie
jene bei uns als Ziersträucher angebaut werden. Auf den Felsen gab es
viele Schlangen und Eidechsen; Hasen und Felsenhühner sprangen vor dem
Kletterer auf.

Eine wundervolle Pflanze kam in den kristallinischen Schiefern kurz vor
Veles an den Steilwänden der Schlucht vor. Es war die der Christrose
ähnelnde, rosenrot gefärbte, von einer Rosette dunkelglänzender
Laubblätter umschlossene +Ramondia nataliae+, benannt nach jener
Königin Natalie von Serben, deren Namen einstmals so viel in den
Zeitungen Europas herumspukte, ein wohl nicht ganz berechtigter Name
für +Ramondia serbica+ Pančič.



ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

BESUCH BEI DEN ALBANERN


Meine bulgarischen Freunde hatten den kühnen Plan, an den Abhängen des
Ljubotren eine Wildschweinjagd zu veranstalten. Ein alter Albaner,
ehemaliger Patient und seither treuer Anhänger des Dr. _Molloff_, hatte
eingeladen, bei ihm Quartier zu nehmen.

Es war um die Wende von Februar und März, als wir uns frühmorgens in
die Eisenbahn setzten, welche von Üsküb nach Nordwesten über _Prizren_
nach _Mitrowitza_ führt. Wir fuhren aber nur die 36 km durch das
_Lepenatztal_ bis _Kazanik_, einem kleinen Ort, welcher bei 425 m Höhe
am Fuß des Ljubotren gelegen ist. Es war eine interessante Fahrt durch
das tiefeingeschnittene Tal des Flüßchens, welches im flotten Lauf,
über Steine plätschernd, dem Wardar zufließt.

_Kazanik_ liegt sehr reizvoll vor dem noch tief mit Schnee bedeckten
Ljubotren, der allerdings bei unserer Ankunft in Wolken steckte. Hier
und da öffneten sich die Wolken, und wir konnten einen Blick auf weite
Schneefelder tun, welche sich jenseits der Waldzone ausdehnten. Kazanik
mit seiner weißen Moscheekuppel und seinem schlanken Minaret liegt
zwischen Bäumen eingebettet zu beiden Seiten des Lepenatzflusses, der
kurz unterhalb des Ortes in eine Schlucht eintritt. Der Zug hatte uns
vorher durch einige Tunnels geführt.

Den Ort durchfloß die Lepenatz als starker Bach mit steilen Ufern. Über
den Steinen in seinem Bett flogen zahlreiche _Wasserstare_, Männchen
und Weibchen. Es war ein anziehendes Schauspiel, wie sie von Stein zu
Stein flogen, bald mit gespreizten Flügeln auf den Felsen standen, bald
sich in das Wasser stürzend. Wie sich im Laufe unserer Forschungen
herausstellte, ist der _mazedonische Wasserstar_ eine besondere Form
(+Cinclus cinclus orientalis+ Stresem.), so ähnlich er auch dem
heimischen Vogel sah, den ich aus dem Schwarzwald und den Voralpen so
gut kannte.

Während unsere Tragtiere herangebracht wurden, durchstreifte ich das
Flußufer und das malerische Tal. Wir brachen am Nachmittag auf,
zweigten bald von der Bahn ins Lepenatztal nach Norden ab. Es war ein
weites Tal, welches wir etwa 1 Stunde aufwärts verfolgten, um dann
steil die Berge hinaufzuklimmen, an die Hänge des Ljubotren.

Der Abend sank schon herab, als wir in der Höhe von etwa 700 m durch
Obstgärten, an Zäunen, Hecken und Mauern vorbei an ein Holztor
gelangten, welches auf Klopfen sich vor uns öffnete. Wir traten
in einen nicht sehr großen Hof, dessen eine Längsseite von einem
niedrigen Haus eingenommen war, sein einziges Stockwerk war von einem
Strohdach bedeckt. Die anderen Seiten des Hofes waren von Schuppen und
Vorratshäusern eingefaßt. Über dem Eingang hing das Dach weit vor und
war von Balken gestützt.

Unser Gastfreund, ein alter Albaner von über 70 Jahren, namens
Mustafa Visch, trat uns freundlich entgegen und begrüßte uns unter
umständlichen Formen. Wir traten in das dunkle Haus ein, dessen an
der linken Seite befindlichen Fenster tief in der Wand saßen. Eine
niederige Decke war von Balken gestützt, die in zwei Reihen standen,
so daß in der Mitte ein Durchgang auf einen offenen Kamin führte, in
welchem ein mächtiges Holzfeuer prasselte.

Dessen Schein genügte, um uns das Zurechtfinden im Raum zu gestatten.
Wir sahen, daß die beiden Abteilungen des Zimmers mit schönen dicken
Teppichen belegt waren. Die Abteilung links war für uns vorbereitet,
die rechts gelegene, etwas kleinere, hatte der alte Mann für sich und
seine Söhne reserviert.

Das erste war, daß wir vor dem Betreten der Teppiche unsere sehr
schmutzigen Stiefel ablegten und ermüdet uns auf den Boden setzten.
Unser alter Gastfreund, gekleidet in enge, schwarze wollene Hosen, ein
wollenes Hemd, über welches eine emaillierte Kette mit einer Taschenuhr
hing, schaute aus einer pelzverbrämten, langen braunen Jacke hervor;
unter dem roten Bauchgürtel ragten noch Zipfel eines weißen Wamses
heraus. Den Kopf deckte das übliche halbkugeliche, weiße Filzkäppchen.
Ähnlich warm und gut waren die übrigen Männer gekleidet.

Mit mir waren sechs Bulgaren mitgekommen, dazu hatte ich meinen
Burschen und den Präparator _Aigner_, die bulgarischen Herren ihre
Bedienung und noch Bedeckungsmannschaften bei sich. Dennoch kamen wir
ganz gut unter, denn die Bedienung verschwand bald draußen, machte eine
Küche ausfindig und begann für uns zu kochen.

Es war ganz behaglich in dem von dem starken Feuer durchstrahlten
Raum auf unseren dicken Teppichen. Anfangs hatte man etwas Angst vor
Ungeziefer. Aber bei der allmählichen Gewöhnung an Schmutz fand man
das Quartier recht sauber, breitete die Decken aus und bald kam unser
Essen. Wir boten natürlich unseren Gastfreunden von unserem Proviant
an, was sie erwiderten, als sie nach uns ihre Speisen bereiteten und es
sich gemütlich machten.

Mit dem greisen Vater lebten drei unverheiratete Söhne zusammen, welche
alle auch schon über 50 Jahre alt waren. Zwei davon machten einen
sehr gesetzten, klugen Eindruck, während der Dritte etwas abnorm zu
sein schien. Es war außerordentlich interessant zu beobachten, wie
respektvoll sie mit ihrem alten Vater umgingen. Trotz ihres Alters,
hatten sie noch keine Rechte im Haus. Der Vater hatte stets den
Vortritt, sie warteten, bis er sie aufforderte, sich zu setzen.

An dem Kaminfeuer wurde dann ihr Essen zubereitet, welches aus
Hammelfleisch mit Reis und Gemüse bestand. Während wir auf unseren
Decken lagen, beobachteten wir ihr eigenartiges Gehaben. Zwei Öllampen,
welche an der verräucherten Holzdecke aufgehängt worden waren,
verbreiteten ein gelbes Licht über den Boden des Gemachs, warfen dunkle
Schatten hinter den Balken, während vom Kamin von Zeit zu Zeit ein
Krachen ertönte, Funken aufsprühten und ein heller Schein den ganzen
Raum erfüllte.

Die vier Greise hockten sich um einen kleinen, niedrigen, dreibeinigen
Tisch, auf den die große, dampfende Schüssel zwischen sie gestellt
wurde, es war der rußgeschwärzte, halbrunde Topf, welcher vorher an
einem langen Hacken über dem Kaminfeuer geschwebt hatte. Vor jedem von
ihnen stand ein Messinggefäß mit Wasser und lag ein sauberes Wischtuch.

Nun kam der Vater zuerst mit dem Essen daran, griff mit den Fingern in
den Topf und holte sich ein gutes Stück heraus, führte es zum Mund,
wusch dann seine Hände ab, ehe er von neuem hineingriff. Dann bot er
den gefischten Brocken demjenigen seiner Söhne dar, den er offenbar
bevorzugte. Er steckte ihn ihm direkt in den Mund. Das war das Zeichen,
daß diese auch mit ihrer Mahlzeit anfangen konnten. Sie verfuhren
genau so wie der Alte. Mit ihren Fingern waren sie ebenso reinlich wie
er. Und so wußte ich die Ehre zu schätzen, als der alte Mann einen
möglichst schönen Happen Fleisch für mich herausfing und ihn mir in
den Mund steckte. Als die Alten fertig waren, wurde zur größeren Feier
noch ein guter, süßer, schwarzer Kaffe gebraut und in kleinen Täßchen
auch uns allen angeboten.

Wir hatten uns alle schon längst zum Schlafen ausgestreckt, als die
alten Männer sich auch dazu anschickten. Die Söhne bereiteten dem Vater
das Lager aus Kissen und Teppichen, dann der jüngste der Fünfziger
seinen beiden Brüdern das ihrige. Schließlich ordnete er umständlich
das seine, löschte die letzte Lampe und kroch unter seine Decken. --
Ich hatte als Letzter von uns blinzelnd das alles mit angesehen. Nun
flackerte das Feuer im Herd noch einmal auf und dann begann auf allen
Seiten ein mächtiges Schnarchen. Man schlief gut und fest und mit dem
Gefühl voller Sicherheit unter dem Dach des neuen Gastfreundes.

Früh am nächsten Morgen wurde zur Wildschweinjagd aufgebrochen. Es war
eine stattliche Schar, welche gemeinsam loszog. Albaner zogen zahlreich
als Jäger und Treiber mit, alles hohe, schlanke Gestalten, mit Gewehren
über der Schulter. Der große Troß, der Lärm, mit dem man in die Höhe
gegen den Wald stieg, flößte mir wenig Vertrauen auf das Gelingen der
Jagd ein.

Es ging zunächst über grasige Hänge, durch dichten Busch steil den Berg
hinan. An zwei Dörfern kamen wir noch vorbei, welche alle dasselbe
Bild boten wie unser Dorf Dubrava. Alle Häuser standen abseits des
Weges, eingeschlossen durch dichte Hecken. In den Gärten standen schöne
Obstbäume.

Weiter oben hatten wir an einer tiefen Schlucht entlang zu wandern,
bis wir nach etwa 1½ Stunden an den Rand eines Eichenwaldes kamen, der
zuerst aus Buschwerk bestand, allmählich, je tiefer wir in ein Tal
hineinkamen, immer mehr zum Hochwald wurde. Das ganze Tal wurde immer
dichter vom Eichenwald erfüllt.

Wir Jäger wurden an das obere Ende des Tales verwiesen; die Albaner
sollten an beiden Seiten am Hang durch den Hochwald treiben, und man
versicherte uns, die Sauen würden schußgerecht bei uns herauskommen.
Der fürchterliche Lärm, mit dem die Menschenmenge in den Wald
eingezogen war und den sie drinnen ungemindert fortsetzte, die große
Schießerei, die alsbald ohne jeden Grund losging, und das sinnlose
Ansetzen der Schützen überzeugten mich, daß bei dieser Jagd nichts
herauskommen konnte.

So beschloß ich denn, mich in der Umgebung meines Standplatzes genau
umzusehen. Ich war in einer durch Holztrieb entstandenen Lichtung
des Eichenwaldes postiert. Auf dem laubbedeckten Boden lagen einzelne
gefällte Stämme, rings umher standen noch prachtvolle alte Baumriesen.
Am Himmel zogen große Wolken und ließen dann und wann einen blauen
Flecken klar werden. Damit wurden auch die roten Buchenwälder der
höheren Region und über ihnen die Schneeflächen der Matten zeitweise
sichtbar. In der Hauptsache blieb es aber ein trüber Tag.

Es dauerte gut zwei Stunden, bis die übrige Jagdgesellschaft und die
Treiber herankamen. Trotzdem erlosch das Getöse in den Tälern nicht.
Waren je Wildschweine im Gebiet, sie hatten sich sicher längst in
stillere, verborgenere Gegenden zurückgezogen. Soviel ich suchte, ich
fand keine Spuren, keine Losung, keine Andeutung, daß je Wildschweine
hier gehaust hatten. Kein Tier irgendeiner Art brach durch den Wald.
Außer dem Lärm, den die Menschen machten, herrschte tiefste Stille. Es
hätten weihevolle Stunden sein können, in dieser stillen, winterlichen
Einsamkeit des Bergwaldes.

Ein wenig genoß ich davon, als ich bis zum Schneerand anstieg und mich
dort ruhig eine Zeitlang hinsetzte. Kein Tier regte sich im Gebiet,
kaum ein Vogel flog vorbei, nur ein Specht trommelte in der Ferne. Ich
wälzte Steine, löste Rinden von alten Bäumen. So fand ich Hackstellen
des Spechtes; unter einem losgelösten Rindenstück fand ich etwa 50
schwarzrot gefleckte Blattwanzen im Winterquartier. Ähnlich fand ich
solche Wanzen auch an anderen Stellen in Mazedonien. Es sind dies
+Aradiden+, Rindenwanzen, deren geselliges Leben und gemeinnütziges
Überwintern auch sonstwo beobachtet ist. Unter Steinen fand ich eine
Anzahl Spinnen. Es waren junge Exemplare einer Wolfsspinne (+Lycosa+
sp.).

Sonst war es hier oben in einer Höhe zwischen 1200-1500 m noch ohne
jedes Tierleben. Ich genoß die schöne frische Luft und meine Einsamkeit
und war froh, als die Jagdgesellschaft enttäuscht sich wieder
versammelte und den Rückmarsch zu unserem Gastfreund nach Dubrava
antrat.

Da unten erwartete mich Besseres; denn schon beim Aufstieg hatte ich
bemerkt, daß weiter unten das Vogelleben des Frühlings schon seinen
munteren Anfang genommen hatte. Am Rande des Waldes, wo dieser in die
Kulturlandschaft überging, da tönten schon die Lockrufe und der Gesang
von vielen Vögeln. Überall huschte es in den Kronen, kletterte es auf
den Stämmen. Auf den hohen Eichen sah man _Baumläufer_ sich verfolgen
(+Certhia familiaris familiaris+ L.), zahlreich waren die Kleiber
(+Sitta europaea caesia+ Wolf), auch schon Männchen und Weibchen
gepaart. Sehr zahlreich waren die _Trauermeisen_ (+Parus lugubris
lugubris+ Temm.), die auf den hohen Bäumen am Waldrand lärmten. Dort
waren auch kleine Flüge der _Nonnenmeise_ (+Parus communis fruticeti+
Wallengr.). Und überall trieben sich in großen Mengen _Schwanzmeisen_
(+Aegithalos caudatus macedonicus+ Dress.) umher.

Ging man aus dem Wald heraus, so kam man auf eine Wiese, auf der sich
Obstbäume, vor allem Apfelbäume mit dicken Knospen erhoben. Die Wiese
war vom Schmelzwasser des Schnees sehr naß und noch dürr und braun.
Trotzdem war in den Bäumen ein Lärmen und Singen im Gange, daß man
den ganzen Frühling im Herzen spürte. _Amseln_ und _Drosseln_ freuten
sich da ihres Lebens und waren zum Teil schon beim Nesterbauen.
Sehr drängte sich mit ihrer schallenden Stimme die _Balkanamsel_
vor (+Turdus merula aterrima+ Mad.), in zahlreichen Paaren war die
_Misteldrossel_ vertreten (+Turdus viscivorus viscivorus+ L.). Und fast
ebenso zahlreich waren die Pärchen der _Ringdrossel_ (+Turdus torquatus
alpestris+ Bg.). Auf dem Heimweg am nächsten Morgen war die Vogelwelt
nicht weniger lebhaft. Zwischen den _Meisen_ unten im Tal, in den
Büschen erregte meine besondere Freude ein ganzer Flug von _Gimpeln_.
Mit ihrem silbergrauen Rücken, ihrem roten Brüstchen, ihrem dunkelen
Schnabel machten sie einen sehr feinen Eindruck. Wer hätte gedacht, daß
wenige Tage darauf tiefer Schnee das Land wieder bedeckte, und all den
Vögeln da oben die Lenzesfreude bös versalzen war.

Höchst feierlich war unser Abschied von den albanischen Gastfreunden.
Sie begleiteten uns zu ihrem Haus hinaus, schüttelten uns die
Hände und unser Oberarzt, sowie ich, offenbar für den Alten die
Angesehensten der Gesellschaft, wurden von ihm mit dem albanischen Kuß,
dem Aneinanderlegen der Wangen, verabschiedet. Flott liefen unsere
Pferdchen den Berg hinunter. Nachmittags bestiegen wir in Kazanik den
Zug, der uns abends wieder nach Üsküb ins Standquartier brachte. Ich
war zufrieden, diesen Blick ins intime Leben der Albaner getan zu haben.

Während dieser Tage waren wir mit keiner Frau zusammengekommen. Zwei
verschleierte Wesen waren in Kazanik vor uns geflohen. Im Haus unserer
Gastfreunde hatten wir, obwohl sie im anderen Teil des Hauses wohnten,
von Frauen nichts gesehen noch gehört.



DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

DER WODNO, DIE TRESKASCHLUCHT UND DAS KLOSTER MARKOVA


Schon an einem der ersten Tage, die ich in Üsküb weilte, Mitte Mai
1917, hatte ich einen Spaziergang auf den 1000 m hohen Berg, der
sich südlich der Stadt erhebt, auf den _Wodno_ unternommen. Damals
schon konnte ich in den wenigen Stunden eine Anzahl interessanter
Beobachtungen machen.

Am Fuß des Berges liegt der _slavische Friedhof_. Alle diese
mazedonischen Gräberstätten machen auf uns Deutsche einen ungeordneten
und vernachlässigten Eindruck. Die Gräber liegen kreuz und quer
durcheinander; sie bestehen aus kastenförmig zusammengesetzten
Steinplatten, sind meist ohne Inschriften, unregelmäßig gebaut, oft
etwas zerfallen. Dazwischen wachsen regellos Gras und Kräuter und
allerhand Büsche. Hier in Üsküb beschatteten stattliche Bäume die
Gräber. Die Umgebung war nicht reinlich gehalten und gar im Sommer,
wenn die Pflanzen verdorrt und Gräber und Bäume verstaubt waren, machte
die Stätte einen unfreundlichen und unfriedlichen Eindruck.

Das Seltsamste sind aber die Besucher des Friedhofs. Sie machen ihren
Toten regelrechte Besuche. In Feiertagsgewändern, hier am Rand der
Stadt, teils städtisch, teils ländlich gekleidet, kommen sie mit Körben
und Paketen voll Eßwaren zum Friedhof heraus. Auf den Grabstätten
lagern sie, packen ihre Sachen aus und es beginnt eine allgemeine
Speisung. Für den Toten wird sein Anteil auf sein Grab gelegt. Dabei
geht alles ganz behaglich zu, als mache man bei einem Lebendigen
seinen Besuch. Man hat den Eindruck, als weckten die Leute alte
Erinnerungen an den Toten bei solcher Gelegenheit so sehr auf, daß sie
sich vorstellen, er weile in ihrer Gegenwart. Selten, wenn der Tote
erst seit kurzem im Grabe liegt, ertönen Klagen. Gebete werden stets
gesprochen. Bei Beerdigungen ist der Pope dabei, es wird allerlei Pomp
entfaltet und Gesänge von weicher, melancholischer Art, auch laute
Klagen erschallen dann.

Hinter dem Friedhof geht es steil auf Saumpfaden und engen Steigen den
Berg hinan. Wie oft bin ich auf diesem Berg herumgestreift und was gab
es da alles zu beobachten und zu bewundern.

Der _Wodno_ ist ähnlich wie die _Plaguša Planina_ das Musterbeispiel
eines mazedonischen Gebirges von etwa 1000 m Höhe. Charakteristische
Unterschiede bringen hier die etwas nördlichere Lage und der größere
Quellenreichtum mit sich. Außerdem ist der Gesteinsuntergrund ein
abweichender. Im unteren Teil liegen Alluvionen des Wardar, darüber
Marmor, Kalk und Schiefer. An seinen Abhängen sind drei deutliche
Terrassen erkennbar.

Wald ist hier infolge der Nähe der großen Stadt noch weniger erhalten
als in der Plaguša. Wo Wasser ist, an den Schluchten und in der Nähe
der Ortschaften, sind größere Baumbestände vorhanden. So sind die
Dörfer von stattlichen Obst- und Nußbäumen, Pappeln, Erlen und Weiden
umgeben. In der Nähe des Dorfes Neresi befindet sich ein stattlicher
Hain von _Edelkastanien_ (Abb. 173, S. 355), der einzige, den ich
in Mazedonien sah, außer einem bei Kalkandelen im Sarskatal. In dem
westlichen Teil des Bergzuges, gegen die Treskaschlucht zu, mehren sich
Bestände von Eichen und Buchen, die aber stets ziemlich licht sind,
höchstens Wäldchen, keine Wälder bilden.

[Illustration: Prof. _Müller_ phot. Abb. 168. Alter mazed.-bulgarischer
Friedhof in Pletvar.]

Zu allen Zeiten des Jahres gab es auf dem Wodno etwas Interessantes
zu beobachten. Im ersten Frühling waren auch hier, wie unten in
Üsküb, _Spinnen_ besonders häufig; im Kapitel über die Spinnenfauna
Mazedoniens habe ich auch die Arten erwähnt, die auf dem Wodno
vorkommen. Von Arten, welche ich unten im Tal nicht antraf, erwähne ich
den _Weberknecht_ (+Metaphalangium propinquum+ Luc.), von dem ich hier
oben schon im April ein junges Männchen fand. Von echten Spinnen stieß
ich ebenfalls Anfang April auf die Springspinne (+Hyctia canestrinii+
Canest. u. Pav.), von _Wolfsspinnen_ auf die stattliche +Lyçosa
amentata+ (Clerk), welche sonst im Süden Mazedoniens häufiger war.

_Röhrenspinnen_ waren auch oben nicht selten, so die große +Tarentula
praegrandis+ C. L. Koch. Unter den Steinen fanden sich außer allerhand
Spinnen viele _Juliden_ und _Skolopender_, auch _Skorpione_ der Art
+Euscorpius carpathicus+ L. Unter anderen Steinen gab es zu dieser Zeit
zahlreiche langhörnige Käfer aus der Gattung +Dorcadion+, die jetzt im
Frühjahr in vielen Arten auftrat, während ich im vorigen Sommer nur
zerfallene Reste von ihnen gefunden hatte.

Die ersten _Frühlingsschmetterlinge_ sahen nicht viel anders aus als
bei uns; auch hier flogen zuerst _Zitronenfalter, Weißlinge_, kleine
_Füchse_ und vor allem der unvermeidliche _Distelfalter_, dieser
häufigste Tagschmetterling Mazedoniens.

Beim Aufstieg kam man durch blühende Hecken, in den Dörfern blühten
die Obstbäume. Weiße und gelbe _Krokus_ sproßten zwischen den Büschen,
Veilchen dufteten und etwas später tauchten zahlreiche _Anemonen_
auf. Einen wundervollen Kontrast zu den fernen schneebedeckten Bergen
bildeten die sanft grünenden Weiden und Pappeln, die blütenbedeckten
Pfirsich-, Pflaumen- und Aprikosenbäume, später die Apfel- und
Birnbäume.

Winterlicher wurde der Eindruck, stieg man im April in die
Gipfelregionen des Wodno, dort waren die Flächen noch braun und kahl;
nur in windgeschützten Mulden hatten die Büsche ausgetrieben. An einer
solchen Stelle konnten wir interessante Beobachtungen machen. Nahe
dem Gipfel fanden sich alle Sträucher bedeckt von tausenden kleiner
Käfer. Es war unser _Marienkäfer_, der _Siebenpunkt_ (+Coccinella
septempunctata+ B.), der gerade aus seinem Winterquartier mobil wurde.
So ließ sich hier feststellen, daß dieser Käfer in Mazedonien im
Winter auf Berggipfeln Massenquartiere bezieht. Das tut er wohl auch
in Deutschland; wenigstens ist im Riesengebirge entsprechendes schon
gesehen worden. Aber in Mitteleuropa hat man bisher kaum auf dies
Verhalten geachtet.

Mir fielen damals gleich die interessanten Beobachtungen ein, welche
in Kalifornien an einer +Coccinellide+ gemacht und wirtschaftlich in
sehr kluger Weise ausgenutzt wurden. Die Art +Hippodamia convergens+
überwintert dort in Mengen im Gebirge, während sie im Sommer in der
Ebene als Blattlausvertilgerin in den ausgedehnten Melonenpflanzungen
eine sehr nützliche Arbeit tut. Die amerikanischen Entomologen haben
diese biologischen Eigentümlichkeiten ihrer einheimischen Art rationell
ausgenützt. Im Winter werden von eingelernten Sammlern die Käfer in den
vorher erkundeten Winterquartieren eingeheimst, in kalten Räumen bis
zum Frühsommer aufgehoben und dann in bestimmt zugemessenen Portionen
auf den Melonenfeldern ausgesetzt.

Das hat sich als sehr erfolgreich und gewinnbringend bewährt, ist
zu einer Dauerorganisation gemacht worden und wird mit Nutzen in
Kalifornien weiter betrieben. Wenn ich an die Melonenfelder unten im
Wardartal dachte und an die Möglichkeiten eines zukünftigen größeren
Betriebes durch die Bulgaren, so nahm ich mir sofort vor, ihnen unsere
Entdeckung mitzuteilen. Leider entwickelte sich alles anders als man
damals hoffte.

Vom Gipfel des Berges zieht sich der Kamm zu immer höheren und
unwirtlicheren Felsenmassen hin, die schließlich in ungeheurem Absturz
zum Tal der _Treska_ abfallen. Dieses stellt eine der majestätischsten
Schluchten in dem an solchen Schaustücken so reichen Mazedonien dar.
Als im Februar die Sonne einen trügerischen Frühling über das Tal von
Üsküb gezaubert hatte, habe ich einen Ausflug mit einigen deutschen
Ärzten in die _Treskaschlucht_ und an ihren Westhang unternommen.

Mächtig strömt die _Treska_ aus der schattigen Klamm hervor, deren
Wände 600-800 m hoch fast senkrecht zu beiden Seiten aufsteigen. Welche
Arbeit hat das Wasser da wohl in Jahrtausenden geleistet, um das harte
Gestein bis zu dieser Tiefe durchzubohren. Auf beiden Seiten führen
steile Saumpfade hoch in die Felsen hinauf, wo zwei einsame Bergklöster
sicher jahrhundertelang eine Zuflucht der mazedonischen Christen waren.
Heute liegen beide in Ruinen.

Das eine von ihnen, _Sveti Nedelja_, war unser Ziel. Auf steilen Pfaden
klommen wir die Hänge entlang. Einige junge Albaner, Hirten, welche wir
unterwegs antrafen, trugen uns unseren Proviant hinauf und zeigten uns
den Weg, der allmählich bis zu einer Höhe von 800-900 m uns führte.
Hier waren die Hänge unten von einer eigenartigen Buschvegetation
bedeckt, die aus _Buchsbaum_ (+Buxus sempervirens+ L.) bestand. Auf
dem vergilbten Rasen erhoben sich Gruppen dieser dunklen Büsche; in
den oberen Teilen zeigten ihre Blätter noch ihr glänzendes Dunkelgrün,
während sie unten durch den Winter dunkelrotbraun gefärbt waren, so
daß sie fast aussahen, als wären sie aus Bronze gegossen. Zwischen dem
Buchs standen _Wacholdersträucher_, die zum Teil baumartig gewachsen
waren und in ihren Umrissen fast an Kiefern erinnerten (+Juniperus
communis+ L.).

Später im Jahr, im Juni, blühte in der Treskaschlucht außer anderen
eigenartigen Pflanzen die schöne, eigenartige +Ramondia serbica+
Pančič. mit ihren großen rosaweißen Blüten in einem Kranz dunkler
Blätter zwischen dem grauen Gestein, ein schönes Bild darbietend.

Jede Wendung des Steigs brachte neue wilde Gebirgslandschaften.
Stellenweise konnte man weit in die gewaltige Klamm hineinschauen, die
nach Süden eng und hoch sich hinzog. Ihre Wände stiegen in Absätzen
fast senkrecht in die Höhe; auf den Vorsprüngen standen Bäume und
Büsche und von ganz oben sahen wir tief hinunter auf die Ruinen von
Kirche und Kloster von _Sveti Nikola_. Wie auf einer aus den Felsen
hervorragenden Plattform lagen die Gemäuer auf einer kleinen Fläche
höchst malerisch in der Felsenwildnis am rechten Ufer der Treska,
während wir am linken emporkletterten.

Da lag nicht weniger romantisch das Kloster _Nedelja_ an den Felsen
angeklammert vor uns. Die Vorliebe der slavischen Mönche für bizarre
Felsenlandschaften hatte hier sich ausleben können. Heute war es noch
schwerer, von einem Mauerrest zum anderen zu gelangen als einstmals,
als noch hölzerne Treppen und Galerien sie verbanden. Die Trümmer
hingen ziemlich isoliert, zum Teil über tiefem Abgrund, umwuchert von
Brombeersträuchern, Rosenhecken und Buchsbaum. Reste von Türmen und
Arkadengalerien waren noch zu erkennen. Auch hier in der Höhe waren die
Mauern zum Teil aus Felsgestein mit wagrechten Zwischenlagen aus roten
Ziegeln gebaut.

Die Mönche hatten auch hier die Lage für schöne Aussichten gut gewählt.
Auf kleinen Balustraden, über dem Abgrund hängend, hatte man großartige
Blicke die Schlucht aufwärts, in ihre Tiefe, aus der der Fluß nur leise
zu uns herauf brauste und vor allem zur Schlucht hinaus in das Tal von
Üsküb. Man sah drunten den Zusammenfluß des _Wardar_ mit _Treska_ und
_Lepinatz_, die Felder und Baumgruppen der Talfläche, jenseits die
Hänge des _Karadakh_, ein schönes, farbiges Bild. Während wir oben
verweilten, kreisten fünf mächtige Mönchsgeier über uns und tauchten
oft tief in die Schlucht hinein, so daß wir von oben auf ihre Rücken
und ihre schimmernden Flügelfedern blicken konnten.

Im Mai wurde es immer reizvoller auf dem Wodno. Eine Menge
interessanter blühender Pflanzen entzückten den Botaniker, so
+Astragalus fugioniferus+ Fisch. und +Genista nyssana+ Petr. Im
Dörfchen _Oberwodno_ bildeten Erlen, Weiden und andere Büsche einen
dichten Hain um einen kleinen Bach, in welchem die Frauen des Ortes
ihre Wäsche wuschen. An den Obstbäumen hingen schon reifende Früchte.

[Illustration: Abb. 169. Treskaschlucht von Sv. Nedelja gesehen.]

Auf den Wegen wälzten die heiligen _Skarabäen_ ihre Mistkugeln und
eine Fülle von Bienen beflogen die Blüten. Vor allem auffallend waren
solitäre Bienen mit langen Fühlern, Vertreter der Gattung +Eucera+, und
Arten von +Andrena+ und +Halictus+ sah man in ihren Löchern im Boden
ein- und ausfliegen.

Um einen Begriff von der Mannigfaltigkeit, die mir manchmal an einem
Ort entgegentrat, zu geben, führe ich die Bienenarten einzeln an, die
nach den Bestimmungen von Dr. _Friese_ damals am Wodno von mir gefangen
wurden: von +Eucera+ die Arten +E. seminuda+ Bz. und +E. caspica+ var.
+peregi+ Moos., von +Halictus+ die charakteristischen Vertreter +H.
quadrinotatus+ K., +malachurus+ K. und +rufocinctus+ K. Noch reicher
war die Gattung +Andrena+ vertreten, und zwar mit sieben Arten (+A.
thoracica+ F., +A. pectoralis+ Perez, +A. bimaculata+ var. +apiformis+
Kriechb., +A. gwynana+ K., +A. ephippium+ var. +macedonica+ Friese n.
var., +A. flavipes+ K., +A. taraxica+ Gir.). Gerade dort war es auch
möglich, das Vorkommen von zwei Generationen im Jahre bei einigen
Arten, so +Andrena thoracica+ F. und +pectoralis+ Perez, von denen je
eine Generation im April und eine im Juli flog.

Dieselbe Feststellung gelang bei +Anthophora crinipes+ Sm., von der
auch beide Generationen auf dem Wodno gefunden wurden; und die gleiche
Beobachtung wurde auch bei +A. acervorum+ L. gemacht.

Damit war die Menge der Wodnobienen noch nicht erschöpft. Im Frühjahr
flogen noch +Ceratina cyanea+ K., +Osmia cornuta+ L. und im Hoch- und
Spätsommer kam noch eine ganze Anzahl dazu, so +Osmia notata+ F., +O.
dimidiata+ Mor. Vier Arten von +Megachile+ (+M. lagopoda+ L., +M.
leucomalla+ Gerst., +M. apicalis+ Spin., +M. argentata+ L.), ferner
noch +Anthidium cingulatum+ Latr.

Auf die Gefahr hin, manchen Leser etwas zu langweilen, habe ich diese
lange Liste hier eingefügt, um zu zeigen, wie vielseitige Aufgaben dem
Naturforscher dort im Lande überall sich boten.

Im Mai und Juni besuchte ich auch die Südseite des _Wodno_ und kam
öfter bei den Vorbereitungsexpeditionen für die große Forschungsfahrt
in die _Golesniza_ Planina ins Kloster _Markovo_. Man erreichte es am
besten auf einem Weg, der über den östlichen Sattel des Wodno in das
Tal der _Markova Reka_ führte. Am Abhang lag das Dorf _Kisela-Voda_,
bei welchem Dr. _Gripp_ interessante Pflanzenversteinerungen entdeckte.
Entweder durch das Tal des Markovabachs oder über die Hänge des Wodno
gelangte man in ein engeres Stück des Tals, in welchem an einem
lößartigen Hang inmitten von Pappeln und Weiden, von grünen Wiesen
umgeben, das malerische gastliche Kloster lag.

Es ist dem _heiligen Dimitri_ geweiht, so auch die malerische Kirche in
ihm, welche aus der Serbenzeit Mittelmazedoniens stammt. Daher ist sie
in Bau und Stil erheblich verschieden von der älteren Kirche in Neresi
(S. 365). Auch diese Kirche ist reich ausgemalt; die Malereien sind
zwar zum Teil überschmiert, aber besser erhalten als in Neresi. In der
Apsis finden sich Darstellungen von Heiligen und Engeln.

Am Bach lag ein großer Lehmschuppen, dessen Wand für den Zoologen
außerordentlich interessant war. Ich besuchte ihn zweimal, um dort
zu beobachten und zu sammeln. Oft hatte ich in Mazedonien Wände voll
der Nester von einsam lebenden Bienen gesehen. Beim Anstieg zur
Klosterruine _Sv. Nedelja_ in der _Treskaschlucht_ waren die sandigen
Wände neben dem Weg zum Teil ganz porös gewesen von den Nestern von
+Anthophora+ und ähnlichen Bienen. Damals schon, in den ersten Tagen
des Februar, waren die ersten dieser Bienen ausgeflogen, und zwar
waren es damals nur Männchen gewesen, welche wohl vergeblich auf das
Ausfliegen der Weibchen gewartet hatten. Denn in jenen Tagen hatte der
harte Winterrückschlag eingesetzt.

[Illustration: Dr. _Gripp_ phot. Abb. 170. Kloster Markovo (Sveti
Dimitri).]

Im Juni an der Lehmmauer bei _Markovo_ sah es anders aus; da flogen
nur Weibchen. Die hier wohl rechtzeitig ausgeflogenen Männchen waren
längst gestorben und hatten die Weibchen bei der Arbeit des Bauens und
Pflegens der Brut allein gelassen. Diesmal waren die Bienenweibchen in
eifrigster Tätigkeit.

[Illustration: Abb. 171. Klosterhof von Markovo. Tabak zum Trocknen und
Gähren aufgehängt.]

Viele hundert Bauten senkten sich in die Lehmwand hinein, von deren
Aussehen die umstehende Photographie eine Vorstellung gibt (Abb. 172,
S. 351). Nicht alle diese Bauten waren von der gleichen Bienenart
gebaut. Manche Öffnungen hatten einen kleinen Durchmesser, in diese
sah man kleine Bienchen hineinkriechen, andere waren größer und waren
das Werk größerer Tiere. Vor allem waren aber auffallend die Bauten
der offenbar häufigsten Art, welche einen zierlichen Vorbau trugen,
der das Loch umfaßte und in Gestalt einer nach unten gekrümmten Röhre
über die Oberfläche der Lehmwand vorragte. Die war nicht ringsum
geschlossen, sondern bestand aus einem zierlichen Gitterwerk, welches
in Gestalt von Stäbchen und Strängen ein luftiges Gebilde darstellte.
Offenbar hatte die Biene beim Bau kleine Lehmklümpchen herangetragen
und eins an das andere angeklebt. Da der Anbau genau die gleiche Farbe
hatte, wie die Lehmwand selbst, so war es nicht unwahrscheinlich,
daß die Baumeisterin beim Aushöhlen der inneren Röhre des Baues das
ausgegrabene Material der Lehmwand gleich beim Anbau verwandte. Dabei
war sie ganz eigenartig vorgegangen; sie hatte nicht etwa gleichmäßig
am Umkreis des Ausgangsloches angebaut, sondern oben und unten kleine
Lehmwürstchen gebildet, die da und dort untereinander verklebten und so
das Gitterwerk erzeugten. Die ganze große Kolonie war noch im vollen
Ausbau. Manches Weibchen, welches einen oder mehrere Bauten schon
gefüllt hatte, fing gerade mit einem neuen an. So konnte man alle
Stadien des Baues an der Wand nebeneinander sehen. Hier bohrte eine
Biene gerade an einem neuen Loch, dort schloß eine einen fertigen Bau;
hier war eine an der Ausgangsröhre tätig, dort war eine andere eifrig
beim Aus- und Einfliegen und beim Eintragen von Blütenstaub und Honig
als Nahrung für ihre Brut.

Denn in der Lehmwand hatte die Bienenmutter im inneren röhrenförmigen
Bau eine Reihe von Zellen geglättet, jede durch eine Zwischenwand
von der vorigen getrennt, in die sie Blütenstaub eingetan, etwas
Honig hinzugefügt und dann vor dem Zuschließen ein Ei auf diesen
Nahrungsvorrat gelegt hatte. War sie mit einem Bau fertig, so begann
sie mit einem neuen und so fort, bis ihre Kräfte erschöpft waren und
sie sich zum Sterben hinlegte. Ihre Brut ließ sie wohlversorgt mit
genügender Nahrung zurück. Die konnte ohne die Mutter auskommen; und
wenn sie im nächsten Frühling ausschlüpfte, Männchen und Weibchen,
die sich begatteten, dann starben die Männchen wieder nach kurzem,
fröhlichem Leben im Sonnenschein und ließen die Weibchen allein bei
der großen Sommerarbeit, die sie ungelernt, ohne Leitung und ohne die
Gesellschaft von Eltern, durchzuführen hatten. Und das konnten sie auch
sehr gut; denn sie hatten alle Fähigkeiten dazu als Erbgut von ihren
Vorfahren mitbekommen, wie schon ihre Eltern.

Wir sahen auf dem Bild neben den Nestern mit den Ausgangsröhren auch
allerhand Nester von verschiedenen Bienenarten ohne solche.

Es war reizvoll zu beobachten, wie an all den Hunderten von
Bienennestern ein ständiges Aus- und Einfliegen stattfand. Die
Erbauerin der Anflugsröhren war eine große, dunkle Biene (+Anthophora
parietina+ F.), von der diese Bauweise schon lange bekannt ist.
Achtete man nun auf den Anflug der verschiedenen Bienen, so konnte
man große Unterschiede in der Art bemerken, wie die einzelnen Tiere
ihr eigenes Nest fanden. Bei den Formen mit den einfachen Löchern,
so z. B. +Andrena hattorfiana+ Spm. (vgl. Abb. 189, S. 377), sah man
vielfach die Bienen, wenn sie anflogen, zunächst vor der Lehmwand
hin- und herfliegen, als suchten sie ihr eigenes Nest. Nach einiger
Zeit flogen sie direkt auf ein Nest zu und krochen in dieses hinein.
Nicht immer aber hatten sie das richtige getroffen. Manchmal kamen
sie sofort wieder heraus und suchten von neuem. Ja es kam vor, daß
sie schleunigst wieder zurückkamen, vertrieben von der rechtmäßigen
Eigentümerin.

Ganz anders verhielt sich aber +Anthophora parietina+, die Erbauerin
der Anflugsröhren; denn als solche erwiesen sich bei diesen
Beobachtungen jene Vorbauten. Ohne Zögern flog jede ankommende Biene
auf ihr eigenes Nest los und bewies die Richtigkeit der Wahl dadurch,
daß sie drinnen blieb, solange die Arbeit dauerte, die sie dort zu
erfüllen hatte. Stracks schlüpfte sie mit dem Kopf voraus in den Bau
und kam ebenso mit dem Kopf zuerst wieder heraus; die anderen Bienen,
welche in fremde Bauten geraten waren, kamen meist rücklings aus diesem
zurück.

[Illustration: Abb. 172. Ausschnitt aus der großen Bienenkolonie von
+Anthophora parietina+ F. von Markovo 1918.]

Es war ersichtlich, daß in den Einzelheiten des Baues, in der Anordnung
der Lehmspangen, in der Größe der Durchbrechungen, in der Biegung der
Röhre, in den Einzelheiten des Ausgangs die einzelnen Anflugsröhren
untereinander verschieden waren. So kam ich zu dem Schluß, daß der
Vorteil dieser Bauten in einer solchen großen Kolonie darin bestand,
daß jede Biene ihren eigenen Bau an seiner Form rasch erkennen konnte.

Ich prüfte diese meine Theorie, indem ich kleine Veränderungen an den
Ausgängen vornahm, Stückchen vom Rand oder das ganze gekrümmte Ende
abbrach. Es war auffallend, wie die heimkehrende Biene, die zunächst
geradewegs auf ihre Röhre losgeflogen war, nun zögerte, ähnlich wie
ihre weniger künstlich bauenden Nachbarn der anderen Arten hin und
herflog und sich oft erst nach langer Zeit entschloß, den Versuch des
Einfliegens zu machen.

Wie interessant wäre es gewesen, längere Zeit vor diesen Bauten zu
verweilen, zu beobachten und zu experimentieren. Leider war dies
zunächst unmöglich und die Absicht, noch einmal die Stelle aufzusuchen,
wurde durch allerlei Ereignisse verhindert.

Damals konnte ich noch beobachten, daß um die Nester zahlreiche andere
Hymenopteren herumflogen, welche als Nestparasiten in die Löcher
eindrangen, um ihre Eier bei der fremden Brut unterzubringen. Es waren
mancherlei Formen, unter ihnen am auffälligsten die wie Edelsteine
schimmernden _Goldwespen_ (+Chrysiden+), deren Schönheit sie nicht
hindert, solche für die Bienenbrut verderbliche Absichten zu verfolgen.
Dazu kamen andere Arten von Nestparasiten, welche im 25. Kapitel
erwähnt sind.

Überall in Mazedonien, wo ich solche Siedelungen solitärer Bienen
an Lehm- und Lößwänden antraf, in _Kaluckova_ an den Lehmmauern der
Häuser und Gärten, bei _Valandova, Dedeli_ und _Üsküb_ fing ich solche
_Goldwespen_ mit ihren prachtvollen, wie in glänzende Metallpanzer
gehüllten Körpern, Tiere von verschiedenster Größe bis herab zu winzig
kleinen Wespchen, welche wie Goldstaub schimmerten.

Am _Wodno_ fand ich auch zahlreiche _Ameisenarten_, darunter
einige, die ich sonst in Mazedonien nicht beobachtet hatte. Daß die
Körnerameisen aus der Gattung +Messor+ hier bis hoch hinauf zahlreich
vorkommen, überall ihre Bauten und Straßen sichtbar waren, ist nicht
verwunderlich. Ebensowenig, daß in den Obst- und sonstigen Bäumen
+Camponotus+-Arten häufig bauten. Interessanter war mir das Auffinden
eines eigenen Baues der kleinen _Diebesameise_ +Solenopsis fugax+
West., welche also hier ihrem deutschen Namen keine Ehre machte. Auch
eine noch winzigere dunkelbraune kleine Ameise (+Plagiolepis pygmaea+
Latr.), eine südliche Form, die ich schon aus dem Kaiserstuhl bei
Freiburg i. Br. kannte, fand ich nur auf diesem Berg.

Nicht minder interessant was das _Vogelleben_. Hier erlegte ich
schon Mitte April einen Kuckuck (+Cuculus canorus canorus+ L.), der
also hier, wie an der Riviera früher angekommen war, als bei uns in
Deutschland. Auch der _Grünling_ war schon da (+Chloris chloris mühlei+
Parrot.). Der _Weidenlaubsänger_ (+Phylloscopus collybita collybita+
Viell.), und der _Vitislaubsänger_ (+Ph. trochilus trochilus+ L.)
waren etwas später häufig in den grünen Büschen. Dort ließen sich auch
verschiedene _Grasmücken_ hören und an den unteren Hängen war auch hier
die _Nachtigall_ ein häufiger Vogel. Am Eingang der _Treskaschlucht_
trieb sich in den hohen Bäumen am Fluß die _Sumpfmeise_ herum (+Parus
palustris stagnalis+ Br.). Dort und weiter oben am Berg wimmelte es
manchmal von _Zaunkönigen_ (+Troglodytes troglodytes+ L.).

Ebenfalls in der Treskaschlucht begegnete mir die _Ringdrossel_
(+Turdus torquatus alpestris+ Br.) und an den Hängen gab es zahlreiche
_Balkanamseln_ (+Turdus merula aterrima+ Mad.).

Damit ist der Reichtum bei weitem nicht erschöpft; denn in den Hainen
oben bei Neresi flogen der _Nußhäher_ (+Garrulus glandarius+ L.) und
_Spechtarten_ (+Picus viridis Dofleini+ Stres.). Die _Würger_ waren
häufig, in den kahlen oberen Zonen gab es _Heidelerchen_ (+Lullula
arborea flavescens+ Elenka), auch _Feldlerchen_ (+Alauda arvensis
cantarella+ Bp.) und selbst _Haubenlerchen_ kamen ganz oben vor.

Daß Raubvögel, Adler, Geier, Bussarde, Falken und all die Krähenvögel
auch auf dem Berg nicht fehlten, braucht kaum erwähnt zu werden.

So ist es verständlich, daß mir als Naturforscher und Zoologen der
Wodno in guter Erinnerung geblieben ist. Aber wie auch sonst die
Gegend von Üsküb, so bot er auch in seinen Dörfern manche Gelegenheit
zu Studien über Kultur und Lebensweise der Mazedonier. Davon soll das
nächste Kapitel einiges berichten.



VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

NERESI

(ÜBER DIE KIRCHEN, KLÖSTER UND FESTE DER MAZEDONIER)


Die Erinnerung an einen heißen, bunten Tag steht klar vor meinem
Gedächtnis und mit ihm verknüpft sind manche andere Erfahrungen,
die ich bei den slavischen Mazedoniern über ihr Volkstum und ihren
Zusammenhang mit der Geschichte des Landes machen durfte. Den Tag, der
in mir zuerst ein starkes Interesse für die Menschen, welche Mazedonien
bewohnen, weckte, den durfte ich im Klosterhof von _Neresi_, angesichts
seiner altehrwürdigen malerischen Kirche verleben, wenige Wochen nach
meiner Ankunft in Mazedonien.

Hoch oben am _Wodno_, in etwa 800 m Höhe, liegt, einer Schlucht
angeschmiegt, das Dorf _Neresi_. Seine Häuser sind von Obstbäumen
umgeben, Weinlauben überdachen die Höfe. Die Schlucht ist mit Pappeln,
Ulmen, Erlen und allerhand Gesträuch bestanden. Oberhalb des Dorfs
steigen steile Hänge zur Gipfelregion des Wodno hinan. Auf ihnen
breiten sich grasbedeckte Weiden aus, unterbrochen von stattlichen
Baumgruppen. Letztere bestehen meist aus mächtigen _Edelkastanien_.
Die braunen Stämme, die gerundeten, tiefschattenden Kronen der
prachtvollen Bäume rahmen in reizvollster Weise das liebliche Dorf mit
seiner malerischen Kirche ein, über welche hinaus ein weiter Blick ins
Wardartal und auf den jenseits gelegenen blau schimmernden Karadakh
sich öffnet.

Nur einmal außer hier bei Neresi habe ich in Mazedonien Edelkastanien
angetroffen, worauf ich früher schon einmal hinwies. Es war dies bei
_Kalkandelen_, hoch im Tal der Sarska, etwa in der gleichen Meereshöhe
von etwa 800 m, in der auch der Hain bei Neresi liegt. Es war
windstill, als ich in den kühlen Schatten des Hains von Neresi eintrat;
hier war gut ausruhen vom heißen Anstieg. Das Schweigen im Walde wurde
nur von einem tiefen, dröhnenden Ton unterbrochen, der aus der Krone
einer uralten Kastanie zu mir herabdrang. Wie Orgelklang brauste es
da oben und als ich genauer hinsah, bemerkte ich Hunderte von Bienen,
welche ein Astloch umschwärmten. Ein großes Bienenvolk hauste in einer
Höhle in dem mächtigen Baum; irgendein Ereignis mochte es erschreckt
haben und das erregte Summen der Tausende von Insassen des Nestes fand
an den dünnen Wänden des alten Stammes eine gute Resonanz.

Bei der primitiven Bienenzucht, die in Mazedonien betrieben wird, kommt
es nicht selten zum Verwildern von Schwärmen der Honigbienen, welche in
Höhlen oder Baumlöchern sich ansiedeln und da das freie Dasein führen,
welches das ursprüngliche Bienenleben darstellte.

[Illustration: Abb. 173. Blick auf Kloster und Dorf Neresi aus dem
Edelkastanienhain.]

Bei meinen Wodnowanderungen kam ich fast stets nach Neresi oder doch
in die Nachbarschaft des Dorfs. So entstand im Frühling, als die
Apfelbäume blühten, das Bild, welches die Titeltafel dieses Buches
darstellt. Der Tag, dessen Eindrücke ich heute schildern will, war
ein heißer Augusttag im Jahre 1917. Während der Vorbereitungen zur
Schardakhexpedition unternahm ich die Wanderung in Begleitung des
deutschen Verbindungsoffiziers, Hauptmann _Lessing_, da ich gehört
hatte, daß oben in Neresi an diesem Tag ein Heiligenfest gefeiert werde.

Es war mittags um 2 Uhr, als wir aufbrachen und der schattenlose
Anstieg von etwa 2 Stunden Dauer war an dem heißen Sommertag sehr
ermüdend. Die Hänge des Wodno unten und in den mittleren Höhen waren
dürr und vegetationslos, die Büsche am Rand des Pfades verstaubt
und doch war der Landschaft nicht jeder Reiz genommen. Noch sah man
zahlreiche Ameisen an der Arbeit, Schmetterlinge schwebten in der
heißen Luft, Eidechsen saßen still auf den Felsen.

[Illustration: Abb. 174. Mazedonische Bauernfamilie auf der Rückkehr
vom Klosterfest in Neresi.]

Das Interessanteste waren aber die Menschen, welche die Straße
herabkamen. Sie kehrten schon vom Fest zurück, alle in ihren schönen
bunten Feiertagskleidern, Männer, Frauen, junge Mädchen und Kinder in
größeren und kleineren Gruppen. Wir fürchteten schon, wir könnten zum
Fest zu spät kommen. Das verriet aber unsere Unerfahrenheit mit den
Gewohnheiten der mazedonischen Bauern; wir unterschätzten ihre Ausdauer
bei den Tanzfesten.

Als wir in Neresi ankamen, waren die Gassen noch von geputzten Menschen
erfüllt, die sich zum Teil zur Heimkehr bereit machten. Meist sah man
je eine Familie eine Gruppe bilden, Mann und Frau, dabei die Kinder
verschiedenen Alters und Wachstums, dazu manchmal Schwestern und Brüder
von Mann und Frau. Oft wurden Trag- und Reittiere mitgeführt. Da zeigte
sich stets das charakteristische Bild, daß, wenn nur ein Esel oder
Pferdchen dabei war, der Mann, mochte er auch jung und kräftig sein,
auf dem Tier saß, während Frauen und Kinder nebenher trotteten.

Ab und auf durch eine Schlucht gelangten wir in den weiten Klosterhof;
heute stand das Tor weit offen und der eingehegte Raum war noch von
einer großen Schar Menschen erfüllt. In einer Ecke bei der Kirche
ertönte die Tanzmusik. Wir kamen also nicht zu spät.

[Illustration: Abb. 175. Die Laube vor der Kirche von Neresi.]

Das Kloster Neresi ist ein ziemlich kleines Anwesen. Wie gewöhnlich
steht an der einen Seite des Klosterhofs die Kirche und wendet ihm
ihren Haupteingang zu. Eine Anzahl schattenspendende Bäume stehen um
die Kirche herum. Letztere ist eine typische Anlage, ein Mittelturm von
vier Ecktürmen umgeben, das Ganze aus Hausteinen mit eingeschaltenen
schmalen Bändern roter Ziegel gebaut. Die Dächer der kuppelartigen
Türme bestehen aus schweren Hohlziegeln und bilden flache achtseitige
Pyramiden.

Um den Hof stehen aus Holz und Steinen gebaute Häuser mit großen,
luftigen Holzgalerien. Solche geräumigen Häuser sind ein wesentlicher
Bestandteil der mazedonischen, überhaupt der Balkanklöster und haben
eine von deren wichtigsten Aufgaben zu erfüllen. Sie dienen als
Massenquartiere für die Besucher der Klöster, welche dort in großer
Menge zusammen kommen. Sie sind oft weit hergekommen und bleiben nicht
selten tagelang im Kloster, um dort die Heiligenfeste zu feiern. Wie es
in anderen christlichen Ländern nicht anders ist, sind die kirchlichen
Feiern mit Volksfesten verknüpft.

Zu diesen strömt die Bevölkerung der ganzen Umgegend zusammen und oft
haben die Wallfahrer tagelange Reisen zurückgelegt, um rechtzeitig das
meist hochgelegene Kloster zu erreichen. Dort finden sie ein Dach, das
sie deckt, einen meist hölzernen Boden, auf dem sie ihre mitgebrachten
Decken ausbreiten und schlafen können. Kochstellen sind vorhanden, wo
sie die auch mitgebrachte Nahrung zubereiten dürfen. Doch werden alle
Gäste meist freigiebig von den Mönchen bewirtet. Dazu dient das auf
Stiftungen beruhende Vermögen der Klöster; denn die wenigen jeweils in
einem Kloster hausenden Mönche verbrauchen selbst nicht viel.

So sind die Häuser bei den Festen von zahlreichen Quartiergästen
angefüllt, meist hat jede Familie ihr Plätzchen für sich und es
entwickelt sich ein munteres Leben in den Hallen und Galerien, die
sonst oft wochen- und monatelang leer stehen mögen. In gefeierten
Klöstern versammeln sich oft solche Massen von Besuchern, Familien
mit Weibern und Kindern, daß die Behausungen nicht ausreichen für die
Fülle, und oft Hunderte oder gar Tausende im Freien, innerhalb der
Klostermauern oder in der Umgebung lagern müssen.

So sind die mazedonischen Klöster stets gastliche Stätten, wo auch der
Fremdling beherbergt wird und ich habe manche freundliche Erinnerung an
solche mitgenommen. Von den Mönchen wurde man oft sehr gut bewirtet und
manch guten Tropfen Wein habe ich bei ihnen genossen.

In der grellen Sonne bewegte sich im Klosterhof von Neresi eine bunte
Menge von Männern, Frauen und Kindern. Alle hatten ihre Köpfe in
irgendeiner Weise vor den Strahlen der Sonne geschützt. Auch wenn
sie die dort üblichen flachen runden, oft schön gestickten Mützen
trugen, hatten selbst die Männer meist weiße, auch farbige und bunt
gewebte Tücher um den Kopf geschlungen. Nur wenige hatten Strohhüte
oder Militärmützen aufgesetzt. Alle Frauen hatten große weiße Tücher
um Kopf und Nacken gelegt, welche durch ein über Scheitel und Ohr
gelegtes, um den Hals geschlungenes buntes, meist gesticktes breites
Band festgehalten wurde. Unter dies hatten sie Blumen gesteckt.

[Illustration: Abb. 176. Gruppe nach dem Tanz in Neresi.]

Alle hatten sie weiße Hemden mit weit offenen Ärmeln und schön
gesticktem, über die Handgelenke fallenden Saum an. Bei manchen waren
die Ärmel eng geschlossen durch ein breites Band mit feiner Stickerei.
Der Hals war frei, doch durch das Kopftuch mit bedeckt. An der Brust
schaute das blütenweiße Hemd aus einem tiefen, viereckigen Ausschnitt
der kurzen, ärmellosen Weste heraus. Über die Brust schlangen sich
Halsketten aus Silber, bunten Steinen, emaillierten Plättchen
hergestellt mit allerlei Anhängseln. Allen Mädchen und jungen Frauen
hingen unter dem Kopftuch zwei oder mehr lange, eng geflochtene Zöpfe
den Rücken herab und reichten meist über das Knie hinaus. Oft waren
bunte Seidenschnüre oder Bänder hineingeflochten, um vor allem das
Hinterende zu verstärken (Abb. 177). Das Handgelenk trug silberne oder
sonstwie kostbare Armringe.

Die Hüften umspannte ein breiter Gürtel aus farbigem, festem
Wollgewebe. Von ihm hing ein langer, enger weißer Rock bis kurz über
die Knöchel herab. Ihn überdeckte bis zu den Knien ein kurzer Rock mit
einem breiten unteren Saum, der oft ebenso schön gewirkt war wie der
Gürtel. Darüber hing vorn die breite, steife Schürze bis zu den Füßen
in gleicher Länge wie der weiße Rock.

Die Schürze ist der besondere Stolz der Mazedonierin; sie ist in
reizvollen, meist polyedrischen Mustern aus schwerer Wolle gewebt. Weiß
und rot waren hier in Neresi an Kleid wie Schürze die vorherrschenden
Farben. Die Füße waren meist mit schwarzen Strümpfen bedeckt und
steckten in aus Leder eigenartig gebogenen Schuhen, an denen
Schuhkörper und Sohle aus einem Stück gefertigt waren, den sogenannten
Opanken.

[Illustration: Abb. 177. Zopfschmuck einer mazedonischen Bauersfrau.
Südmazedonien bei Negorci.]

Ähnlich waren die Anzüge der Männer gefertigt. Auch hier weiße Ärmel,
kurze ärmellose, wollene Westen, die meist schwarz waren. Die Männer
trugen wie die Frauen Gürtel, von denen an der rechten Seite zwei
breite Streifen herabhingen, die man auch bei den Weibern nicht selten
beobachten konnte. Unter dem Gürtel schaute ein kurzer weißer Rock
heraus, den aber nicht alle Männer, sondern vorwiegend die jüngeren
trugen. Unter ihm folgten enge weiße Hosen, die entweder bis auf die
Schuhe herabhingen oder von diesen durch schön gewirkte Gamaschen
getrennt waren.

Von dieser bunten, bewegten Menge wurden wir nicht unfreundlich
begrüßt und aufgefordert, in einer Laube Platz zu nehmen, die von Reben
umrankt, an der Seite der Kirche hinzog und eine einfache Holzbank mit
einem Tisch davor enthielt (Abb. 175, S. 357). Da Hauptmann _Lessing_
den Dolmetscher machen konnte, entspann sich bald eine lebhafte
Unterhaltung.

Als einer der Kirchenvorstände von meinem Begleiter hörte, ich sei
Naturforscher, meinte er, das treffe ja sehr gut, denn heute sei das
Fest des heiligen _Panteleimon_ und der sei der Heilige der Ärzte und
Naturforscher. Er führte uns in die Kirche, wo es von Weihrauch duftete
und vor dem _Ikonostas_, der Schranke zwischen dem Kirchenraum und dem
Allerheiligsten, brannten zahlreiche Kerzen. Unter den Heiligen, welche
in alten Bildern in dem reichen Schnitzwerk der Schranke eingerahmt
waren, zeigte er mir _Sveti Panteleimon_ mit den Geräten und Abzeichen
des Arztes. Als ich mich darauf entschloß, dem Heiligen eine stattliche
Kerze anzuzünden, war die Freundschaft geschlossen. Man veranlaßte uns,
wieder unseren Platz auf der Bank in der Laube einzunehmen, bewirtete
uns mit Kaffee und mit Raki, dem trefflichen Zwetschenschnaps der
Bulgaren.

[Illustration: Abb. 178. Zigeuner als Flötenbläser.]

Unterdessen hatten die Tänze wieder begonnen und die Tanzmusik dröhnte
durch den Hof. Es waren Zigeuner, welche musizierten; drei Instrumente
gab es, einen Dudelsack, eine lange schwarze Holzflöte und eine
dröhnende Pauke. Es war eine grelle, schrille Musik mit eigenartigem
Rhythmus, welcher den Tänzen entsprach. Alle Tänze der Balkanvölker
sind Reigentänze; Serben, Bulgaren, Rumänen, Griechen und Mazedonier
tanzen in ähnlicher Weise. Doch gibt es eine Menge von Varianten dieser
Tänze, nicht nur nach den verschiedenen Nationen, sondern auch vielfach
nach den verschiedenen Landschaften. Überall haben sie einen ähnlichen
Namen: Choros, Horo u. dgl.

Die Rhythmen erscheinen unserem Ohr etwas absonderlich, aber sie
schmeicheln sich ein, vor allem, wenn man mit den Augen den Bewegungen
der Tänzer folgt. Bei vielen Tänzen bedingt der Tanzrhythmus ein
Fortschreiten der Tänzer in einer Richtung; denn bei solchen werden
mehr Schritte in einer Richtung als in der anderen ausgeführt.

[Illustration: Abb. 179. Frauenkreis beim Tanz in Neresi.]

So werden bei einem Tanz drei Schritte nach rechts gemacht, worauf zwei
Schritte nach links folgen; bei einem anderen Tanz folgen sich 5 und 3
Schritte. Die Verschiedenheiten der Rhythmen sind sehr zahlreich.

Jeder Tänzer reicht seinem Nachbarn die Hand; so werden Ketten
gebildet, welche sich aber nicht zu Kreisen schließen, wenn auch meist
die Tänzer einer Kette sich im Kreis anordnen. Meist wird je eine
Kette von Männern und eine von Mädchen und Frauen gebildet. Das war
bei den Tänzen, welchen ich damals in _Neresi_ zusah, stets der Fall.
Bald bildeten die Frauen den inneren und die Männer den äußeren Kreis,
bald kam es zur umgekehrten Reihenfolge. An anderen Orten sah ich auch
gelegentlich Ketten aus Männern und Frauen gleichzeitig gebildet.

Ein Vortänzer leitet den ganzen Tanz. Oft findet sich in der
Männerkette ein männlicher Vortänzer, in der Frauenkette eine
Vortänzerin. Meist ist der Vortänzer der vorderste in der Kette, er
führt beim Tanz und gibt das Tempo an. Er kann dabei auch an der
zweiten oder dritten Stelle eingereiht sein, läßt auch einmal los und
greift an irgendeiner Stelle ein, wo es mit Tempo und Rhythmus hapert.

In der Kette pflegen die besten Tänzer vorn dem Vortänzer sich
anzuschließen und die geringsten und ungeschicktesten den Abschluß zu
bilden. Das ist oft auch eine Reihenfolge des Alters; denn am Schluß
findet sich meist die Jugend. Auch Kinder pflegen bei nicht ganz
feierlichen Gelegenheiten am Reigen teilzunehmen und wenn es genug
sind, eine besondere Kette zu bilden.

Das Tempo des Tanzes pflegt anfangs mäßig, sogar langsam zu sein. Das
hängt natürlich vom besonderen Tanz ab. Während des Tanzes wird durch
den Vortänzer das Tempo allmählich beschleunigt, bis es allmählich zu
rasender Bewegung der Füße und Drehung des ganzen Kreises führt. Es
bietet ein eigenartiges Bild, wenn der Kreis der Männer und derjenige
der Frauen sich in gleichem Tempo ineinander bewegen, wobei der
Rhythmus jeden einzelnen Körper bewegt und über die ganze Kette sich
fortpflanzt.

Manchmal wird die Schnelligkeit zur Raserei, wobei die Menschen sich
erschöpfen; der Vortänzer gibt ein schnelleres und immer schnelleres
Tempo an, dem die Musik genau folgt. Sind die Tänzer ermüdet, d. h.
gibt der Vortänzer dies zu, so wird eine Pause gemacht. Die Kette löst
sich auf, die einzelnen stehen schwitzend und stark atmend umher und
ruhen sich aus. Sie setzen sich auch nieder und nehmen Erfrischungen zu
sich.

Damals in Neresi setzte sich der Tanz stundenlang fort; die Leute waren
unermüdlich und zeigten, Frauen wie Männer, dabei eine erstaunliche
körperliche Leistungsfähigkeit. Man hatte durchaus den Eindruck, daß
sie allmählich in einen gewissen Rausch gerieten. Dabei überschritt die
Leidenschaft in keinem Fall, dem ich beiwohnte, einen mäßigen Grad;
der Tanz blieb stets dezent und in der Ausführung gemessen.

Solche Tänze werden nicht nur in den Klöstern bei religiösen Feiern
ausgeführt, sie spielen im Leben der Bauern überhaupt eine große Rolle,
man kann sie in den Dörfern an Sonn- und Feiertagen unter dem großen
Schattenbaum des Dorfes oder auf dem Gemeindeplatz beobachten; bei
Hochzeiten und anderen Familienfesten dürfen sie nicht fehlen.

Hier im Kloster ging es geordneter her als bei den Tänzen, welche in
den Dörfern etwa zur Feier einer Hochzeit stattfanden. Dort nahmen
neben den Festgebern auch allerhand andere Leute an den Tänzen teil,
vor allem die Kinder der Nachbarschaft, die viel weniger gut gekleidet,
oft direkt verlumpt waren. Dann unterschied sich der Anfang der Kette
mit dem geregelten Tanz, den stattlichen, schön geschmückten Frauen
sehr von dem Hinterende, wo Mädchen von 8-12 Jahren, ungeschickt
und ungraziös mittanzten, die Hände oft loslassend und so die Kette
sprengend, daß der Vortänzer immer wieder eingreifen mußte.

[Illustration: Abb. 180. Junger Männerkreis beim Tanz in Neresi.]

Noch schlimmer war das im Männerkreis, dem sich oft ganz kleine Knaben
angliederten, von denen einige die Hanswürste machten, schrien,
lachten, den Tanz störten und jubelnd Purzelbäume schlugen.

In den _Klöstern_ waren immer die _Kirchen_ besonders interessant,
soweit sie alt waren und früheren Jahrhunderten entstammten. Dann
war die Bauweise von besonderem Interesse und weckte Gedanken an die
Geschichte des Landes. Und zwar waren es meist bulgarische Traditionen,
welche aus den alten Bauten zu einem sprachen. Die Kapitel über
_Prilep_ und _Ochrida_ werden Gelegenheit geben, auf sie zurückzukommen.

Während des Feldzugs waren auch deutsche und bulgarische Archäologen
und Kunsthistoriker an der Erforschung und Katalogisierung der
historisch, kulturell oder künstlerisch wertvollen Bauwerke und
Kunstdenkmäler tätig. Ihnen will ich nicht ins Handwerk pfuschen, wenn
ich der Bauten und ihrer Ausschmückung gedenke, welche auf meinen
Pfaden mir begegneten. Vielmehr will ich der Anregungen gedenken, die
von ihnen ausgingen und mich veranlaßten, mit offenen Augen auch diese
Zeugnisse der Entwicklung der Balkanvölker anzuschauen.

Während Kirchen späteren Ursprungs vielfach als Basiliken gebaut sind,
sind alte Kirchen, wie die von _Neresi_, meist als Kuppelkirchen mit
einer großen _zentralen Kuppel_ und _vier Randkuppeln_ angelegt.
Diese Grundform wird meist als byzantinische Bauweise bezeichnet,
wenn sie auch offenbar älter ist als die byzantinische Kunst und, wie
_Strzygowski_ gezeigt hat, auf armenische Ursprünge zurückzuführen ist.
Dem altarmenischen Konchenquadrat entspricht der Grundriß der Kirche
von Neresi, wenn auch hier durch Anbauten an der Portalseite und am
Chor eine Längsachse geschaffen ist. Sehr reizvoll sind in Neresi die
Einfassungen der Fenster, ganz typisch der Gegensatz des achteckigen
Zentralkuppelturmes zu den quadratischen Ecktürmen.

Das Innere mit dem freien Raum für die Gemeinde, anschließend an das
Hauptportal, zeigt die übliche Trennung des Allerheiligsten durch den
_Ikonostas_, die Bilderwand mit reicher Schnitzerei und Vergoldung
und Heiligenbildern von nicht sehr hervorragender alter Malerei.
Einige Steine und Säulenteile im Innern deuten auf hohes Alter der
Kirche hin. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert. Alte freskenähnliche
Temperamalereien sind in den Ecktürmen und in der Apsis erhalten;
weniger wertvolle Malereien aus neuerer Zeit finden sich im Hauptraum.
In der Hauptsache gehen die gottesdienstlichen Handlungen hinter der
bildgeschmückten Schranke vor sich. Deren drei Türen spielen im Ritus
eine große Rolle. Der meist schöne Gesang der Priester im Wechsel mit
den in der Kirche antwortenden Chören geben dem Gottesdienst eine
feierliche Weihe. Sehr groß ist der Prunk im slavischen Ritus. Ein
Aufgebot von zahlreichen Priestern mit oft sehr prunkvollen bunt- und
goldgestickten Gewändern macht auf das Volk einen starken Eindruck.

Tradition spielt in der griechischen Kirche eine sehr große Rolle. Das
ist ja in Religionen die Regel; aber gerade in der Balkankirche ist
sie wohl ganz besonders streng. So ähneln sich die Balkankirchen in
Bauweise, Einrichtung, Schmuck außerordentlich untereinander. Damit
ist natürlich infolge der Nachahmung guter alter Vorbilder auch ein
gewisses Niveau gewahrt. So kann es einen oft erstaunen, in einer
Dorfkirche eine ganz merkwürdig gute Ausschmückung anzutreffen.

[Illustration: Abb. 181. Inneres der Kirche in Doiran mit Kanzel
(rechts) und bedachtem Allerheiligsten.]

[Illustration: Abb. 182. Adam und Eva im Paradies. Sündenfall.]

[Illustration: Abb. 183. Heilige und Teufel.]

Als Beispiel möchte ich die kleine Dorfkirche von _Gradeč_ im Wardartal
etwas oberhalb Hudowa anführen. Sie liegt als einfacher Bau mit
viereckigem Glockenturm und niederem Ziegeldach in einem Hain von
grünen Bäumen. Die Kirche ist von einem gedeckten Umgang mit einfachen
Holzsäulen umgeben. Wie denn sonst die Innenwände von bulgarischen
Kirchen gänzlich von Temperamalereien auf Kalkflächen bedeckt zu sein
pflegen, die wie Fresken aussehen, so ist hier die durch das Dach des
Umgangs geschützte Außenwand der Kirche vollkommen mit teilweise gut
erhaltenen Malereien überzogen. Sie stellen Szenen aus der heiligen
Geschichte, Adam und Eva im Paradies, den Sündenfall, das jüngste
Gericht, die heilige Dreifaltigkeit und Scharen von Heiligen dar.

[Illustration: Abb. 184. Jüngstes Gericht und Heilige.]

Es scheint, daß die Bilder auf alten Grundlagen immer wieder neu
übermalt sind. Die Grundlage scheint aber höchst anständig gewesen
zu sein und so finden wir in dieser kleinen Kapelle in dem Dorf von
höchstens 20-30 Häusern eine schön und reich geschmückte Kirche. Was
mag der Balkan an solchen Dingen beherbergt haben, die jetzt durch
die unablässigen Kämpfe der Nationen, der Religionen und Konfessionen
zerstört sind!



FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

BIENEN MAZEDONIENS


Als ich nach Mazedonien zog, wußte ich schon, daß von den wilden Bienen
der Balkanhalbinsel noch sehr wenig bekannt war. Und noch dazu wußte
ich, daß unser bester Bienenkenner, Dr. _H. Friese_ in Schwerin, meine
Ausbeute bearbeiten würde. So wurde denn um alle Standquartiere und auf
allen Wanderungen sorgsam auf Bienen geachtet und soviel beobachtet
und gesammelt, als Zeit und Kräfte mir und meinen Helfern erlaubte.
So kam eine Sammlung von etwa 1800 Bienen zusammen, von denen bisher
205 Arten und Varietäten bestimmt sind; dabei fanden sich eine ganze
Anzahl neuer Arten und Formen und für viele Arten stellte sich ein
neues Verbreitungsgebiet heraus. Auch für die Ökologie der Arten wurden
manche neue Beobachtungen gemacht.

Bisher waren _Hymenopteren_ in Istrien, Dalmatien, Bosnien, der
Herzegowina, von den griechischen Inseln und aus Griechenland selbst
bekannt geworden, aber noch kaum etwas aus den zentralen Teilen des
Balkan und vor allem wenig aus den Hochgebirgen. Daß meine Sammlung
trotz aller Arbeit und Aufmerksamkeit noch viele Lücken in unserer
Kenntnis der mazedonischen Bienen übrig läßt, hat wohl seinen
Hauptgrund darin, daß ich mich oft zur besten Zeit nicht in den für
Bienenbeobachtung günstigsten Gebieten aufhalten konnte. Wie schade,
daß nicht ein guter Bienenspezialist mich auf den Reisen begleiten
konnte; es wären dann ganz andere Resultate erzielt worden.

Bei meiner Darstellung will ich mich zunächst an meine eigenen
Beobachtungen halten. Als alter Bienenfreund habe ich die _Honigbienen_
nicht vernachlässigt und versucht, festzustellen, welche Rassen dieses
Haustieres in Mazedonien vorkommen und in welcher Weise sie dort
gezüchtet werden. Beachtenswert ist, daß vier verschiedene Formen
der Honigbiene von mir beobachtet wurden, nämlich außer den überall
vertretenen, der gewöhnlichen _dunkeln Biene_ (+Apis mellifica+ L.)
und der hellen, gelblichen _Italiener Biene_ (+Apis mellifica+ var.
+ligustica+ Spin.) fanden sich zwei weitere Bienenformen. Relativ
häufig begegnete mir die _krainer_ Biene (+Apis mellifica+ var.
+carnica+ Poelm), seltener die griechische oder Hymettusbiene (+Apis
mellifica+ var. +cecropia+ Kiesew.).

Davon kamen die dunkle deutsche Biene bei Üsküb und Kaluckova, die
italiener Biene an der Mala Rupa und bei Prilep vor. Die krainer Biene
fing ich am häufigsten und in den weitest auseinander liegenden Orten.
Ich stellte sie fest von Koinsko, Kaluckova, Üsküb bis Bucin und zum
Prespasee. An diesem letzteren Fundort kamen drei der Bienenformen vor,
die deutsche, die griechische und die krainische; die griechische war
vor allem längs des Wardar weit verbreitet.

Das zeigt, daß die Bienenzucht mit einer gewissen Intensität in
Mazedonien betrieben wird. Um so überraschter war ich über den
ursprünglichen Stand, auf dem die Zuchtmethoden geblieben sind. Ich
habe nur eine dunkle Erinnerung, ein oder zweimal moderne Bienenstöcke
mit Wechselrähmchen, wie sie in Deutschland wohl jetzt seit 50 Jahren
fast jeder Bienenzüchter besitzt, gesehen zu haben. Da das aber in
größeren Ortschaften an der großen Verkehrsstraße war, so kann ich
nicht sagen, ob die Bauten Eingeborenen oder etwa deutschen oder
anderen Soldaten gehörten.

Jedenfalls kann die neuere Bienenzuchtmethode in Mazedonien keinen
breiteren Boden gewonnen haben; denn wo ich mir Bienenstöcke genauer
ansah, handelte es sich stets um die alten primitiven Bauten. Bei
uns werden solche seit Einführung der Wechselrahmen nur mehr in
den Heidegegenden verwendet, da der Heidehonig sich meist nicht
zentrifugieren läßt. So gibt es bei uns in Hannover, Friesland und
in Holland den alten strohgeflochtenen Stülpkorb. In Mazedonien
wird aber der Wabenbau der Bienen beim Ernten des Honigs immer
noch zerstört und den Bienen wird nicht die große Arbeitsersparnis
gegönnt, welche die nach dem Zentrifugieren immer wieder verwendbaren
Waben der Wechselrahmen ermöglichen. Hier findet man meist als
Bienenhäuser verschieden gestaltete Lehmgefäße verwendet. Man sieht
diese auf Brettern unter dem Dachrand an der Außenwand des Hauses
aufgestellt, gelegentlich auch auf Brettgestellen im Hof. Eine ganz
große Bienenzucht bekam ich auf meinen Wanderungen in Mazedonien nicht
zu sehen. Ob alle Völker Mazedoniens Bienen züchten, konnte ich nicht
feststellen. Vielleicht ist es nur ein Zufall, daß ich Bienenstöcke
vorwiegend bei Griechen und Aromunen, auch bei Bulgaren fand.

Eigenartige, glockenförmige Bienenstöcke, aus Weiden geflochten, außen
mit Lehm und Mist überschmiert, stellt das Bild aus einem Bauernhofe in
_Koinsko_ dar (Abb. 185). Ähnliche Stöcke sah ich in Krusevo bei einer
Aromunenfamilie.

Bei der primitiven Bienenpflege in Mazedonien kann es nicht verwundern,
daß man nicht selten auf wilde Bienenvölker stößt, welche in hohlen
Stämmen alter Bäume sich niedergelassen haben. Ein solches in einer
Edelkastanie angesiedeltes sehr starkes Volk habe ich im vorigen
Kapitel erwähnt (s. S. 354).

[Illustration: Abb. 185. Bauernhaus in Koinsko mit Bienenstöcken.]

Eine eigenartige Methode, Bienenschwärme einzufangen, beobachteten
wir an einem lehmigen Hang nicht weit vom Dorfe _Taor_, südlich vom
_Katlanovosee_. An dem Steilhang eines Hügels waren in der glatten,
senkrechten, und daher vegetationslosen Lehmwand einige tiefe Gruben
mit kreisrunder Öffnung eingebohrt, die mit Kuhmist ausgeschmiert
waren. Die fast ½ m im Durchmesser erreichenden Löcher waren zum Teil
außen mit Brettern zugenagelt; eines der Bretter enthielt ein kleines
Flugloch. Die Einwohner der Umgebung bezeichneten sie als Lockmittel
für durchgegangene Schwärme, die häufig hierher fliegen sollen und
von dort heimgebracht würden. Es scheint dies vielfach der Brauch zu
sein. Speziell in der Gegend des Katlanovosees sahen wir öfter solche
„Bienenschwarmfallen‟ (Abb. 186).

Die Balkanvölker scheinen alle den Honig sehr zu lieben; alle haben
Gerichte und Konfekte, die aus ihm bereitet sind. Ich erinnere nur an
die verschiedenen Formen des türkischen Honigs, der auch bei uns früher
auf Jahrmärkten feilgeboten wurde. Bei Begrüßungen wurde von Bulgaren
nicht selten auf Tellerchen Honig gereicht, den man mit kleinen Löffeln
aß.

Wie häufig Bienenstöcke und wilde Bienenvölker in Mazedonien sein
müssen, sah man an den Massen von sammelnden Honigbienen, die man auf
jeder blühenden Wiese, an jedem blumenbedeckten Baum oder Strauch
antraf. Nur im Hochgebirge fehlten die Bienen vollkommen.

[Illustration: Abb. 186. Bienenschwarmfallen bei Taor.]

Nicht ganz so zahlreich wie die Honigbienen, aber immerhin in
stattlichen Mengen waren die _Hummeln_ vertreten. 40 Arten und
Varietäten von Hummeln und Schmarotzerhummeln brachte ich mit. Ich
denke gern an die Geschäftigkeit der bunten, wolligen Tiere zurück,
wie sie brummend die Blumen umflogen oder in Löcher im Boden, zwischen
Baumwurzeln, in Spalten der Gartenmauern einschlüpften. Die durch
meine Funde festgestellte reiche Hummelfauna Mazedoniens macht nach
_Frieses_ Angabe einen alpinen Eindruck, erinnert an diejenige unserer
Alpen. Dabei ist wieder, wie bei fast allen Tiergruppen, hervorzuheben,
der Einschlag von typischen _Steppen_hummeln. Eine solche ist z. B.
+Bombus eversmanni+ var. +steveni+ Rad., die ausschließlich in dem
südlichen Flachland zwischen Hudova und dem Doiransee gefunden wurde,
jener Gegend, die auch sonst an Steppentieren reich ist. Eine weitere
typische Steppenhummel ist +Bombus haematurus+ Kriechb., die im
_Nikolatal_, also auch noch im südlichen Flachland, allerdings auch
einmal im Gebirge bei _Gopes_ gefunden wurde. Eine dritte Steppenform
ist +B. niveatus+ var. +vorticosus+ Gerst., die von _Kaluckova_ und der
_Plaguša Planina_ bis nach _Prilep_ und _Kalkandelen_ verbreitet ist,
selbst im Schardakh an der _Kobeliza_ in über 1200 m Höhe vorkam.

Während viele der Hummelarten von der Ebene bis zu Höhen von etwa
1500 m in den Hügeln und Bergen verbreitet waren, habe ich schon früher
im 14. Kapitel das Vorkommen typisch nordisch-alpiner Formen in Höhen
von 2000-2400 m an der Kobeliza im Schardakh erwähnt. Dort fing ich in
der Übergangszone von 1400-1800 m +Bombus lapponicus+ var. +pratincola+
Nyl., auf den Alpenmatten über 2000 m die var. +alpestris+ Friese, var.
+helveticus+ Friese und var. +balcanicus+ Friese. Die var. +helveticus+
kam auch in der Gipfelregion des Peristeri vor.

Soweit ich _Hummelnester_ beobachten konnte, befanden sie sich stets im
Boden, zwischen Baumwurzeln oder unter Steinen.

Am 28. Juli 1917 konnte ich in Plauš einen eigenartigen Vorgang bei
einer Hummelart beobachten; es war ein _Hochzeitsflug_, vergleichbar
demjenigen der Bienenkönigin. An der Wand eines Hauses flog ein Schwarm
von 15-20 Hummeln stürmisch unter lautem Summen umher. Voraus flog
stets das große starke Weibchen, umgeben, umschwirrt von der Schar
ihrer Drohnen. Sie flog immer an der Wand des Hauses entlang, schlüpfte
in Löcher hinein, kam wieder hervor, immer verfolgt von den Männchen.
Diese folgten ihr zum Teil in das Loch hinein, während die anderen,
die ihre Spur verloren hatten, planlos vor der Wand herumbrummten, bis
sie wieder auftauchte; dann schlossen sie sich von neuem ihrem Gefolge
an. Schließlich gelangte ein Männchen zur Begattung. Es war nicht ganz
klar, ob nicht mehrere Männchen die Begattung noch versuchten. Ich fing
einige der Männchen; schließlich kam die Königin aus einem Loch nicht
mehr hervor. Die Männchen zerstreuten sich und es trat Ruhe ein. Die
Art war +Bombus eversmanni+ var. +apicalis+ Mor.

Leider konnte ich die Hummelkönigin nicht aus ihrem Loch herausbringen
um festzustellen, ob das zur Begattung gelangte Männchen wie die
Bienendrohne nach dem Akt sofort abstirbt.

Wo Hummeln flogen, da fanden sich auch fast immer _solitäre Bienen_.
Die vielgestaltigen, so interessanten einsam lebenden Bienen waren,
wenn auch an Artenzahl nicht so überwältigend, wie man vom Balkan
vielleicht erwartet hätte, doch in ganz großen Individuenzahlen
vertreten. Überall im Lande traf ich sie an, von den Seen und den
Flußtälern bis in die höchsten Bergesregionen. Auf fast jeder Seite
meines Tagebuches findet sich die Notiz „Bienen‟. In der Nähe von
Kaluckova, im Wardartal, auf der Plaguša Planina, bei Üsküb, am Wodno,
ist mir die Erinnerung an manchen Pfad und Wegrand mit den Bildern
fliegender Bienen verknüpft, welche da ihre Nestlöcher aufsuchten. Und
diese Löcher mit den feingearbeiteten kreisrunden Eingangsöffnungen
habe ich ja an manchen Stellen dieses Buches erwähnt. Schon in den
ersten Tagen meines Aufenthaltes in Mazedonien freute ich mich an
den +Eucera+-Arten, mit ihren langen, leise zitternden Fühlern, wenn
sie die Blüteneingänge abtasteten oder eine fleißige +Anthophora+
verdrängten, die vor ihnen in die Blume eindringen wollte. Beim
Absuchen der Ameisennester sah ich auf den Hügeln bei Kaluckova, an den
lehmigen und tonigen Wänden der Schluchten und Hohlwege hunderte ihrer
Bauten und sah die unermüdlichen Tiere an ihnen arbeiten und in sie
eintragen.

Da kamen die +Osmien+ und andere _Bauchsammler_ und hatten ihre
Unterseite dick eingepudert mit dem weißen, gelben oder roten
Blütenstaub, den die reichen Fluren ihnen darboten. Viel häufiger als
solche waren aber überall in Mazedonien die _Beinsammler_, welche bei
der Heimkehr ihre Hinterbeine weit vom Leib abspreizen mußten, so dick
waren sie von den Pollenhöschen, die sie sich unterwegs beim Besuch der
Blumen angezogen hatten.

Gut vertreten waren in allen Gegenden von Mazedonien, die ich
aufsuchte, die +Anthophorinen+, von denen ich 31 Arten in etwa 200
Exemplaren mitbrachte. Bei der Gattung +Anthophora+ konnte durch meine
Sammlungen zum ersten Male das Vorkommen von zwei Generationen im Jahr
festgestellt werden. Die erste fand sich bei +Anthophora acervorum+ L.
im Februar, März und April bei Kaluckova und auf dem Wodno bei Üsküb,
die zweite an denselben und anderen Orten, so Gopes im Juli und August.
Ebenso wurde von +Anthophora crinipes+ Sm. die erste Generation im
April bei Üsküb und Kaluckova, die zweite an denselben Orten im Juli
nachgewiesen.

Selbst in den Dörfern und ihren Straßen konnte man viele solitäre
_Apiden_ beobachten. Da bauten sie vielfach in den Lehmwänden der
Häuser und Gärten. Eine Art sah ich da z. B. als Baustelle immer
den Mörtel der Steinhäuser benutzen. Andere liebten die Stengel der
Brombeerbüsche der Schluchten, manche bauten in den dürren Stengeln von
Disteln und Königskerzen.

Auch die Obstbäume der Gärten und die Maulbeerpflanzungen boten vielen
Bienen, besonders den Holzbewohnern, Wohnung. Ende April traten im
Wardartal viele der schönen stahlblauen und violetten Holzbienen aus
der Gattung +Xylocopa+ auf; ganze Schwärme von ihnen belebten die
blütenreiche Ebene. Unter ihnen war besonders auffallend +Xylocopa
olivieri+ Lej. durch ihren wundervollen rotbraunen Pelz. Ebenso schön
waren +Xylocopa valga+ Gerst. (Abb. 187) und andere Formen der Gattung.
Etwas später im Juni und Juli traten die Arten der Gattung +Ceratina+
auf.

[Illustration: Abb. 187. +Xylocopa valga+ Gerst. Vergr. 1½.]

Auf Steinen und Felsen fanden sich in der Plaguša Planina nicht selten
die aus Lehm aufgebauten Nester der Mörtelbiene (+Chalicodoma muraria+
var. +nigerrima+ Perez), welche aussahen wie eine an den Felsen
geworfene Handvoll Lehm, der dort getrocknet war.

Zu gleicher Zeit mit den +Xylocopa+-Arten traten in der Nähe von
Kaluckova große Mengen von _Wespen_ auf, von welchen ähnlich wie jene,
die großen schwarz-gelben +Scolia+-Arten sich sehr bemerkbar machten
und wegen ihres Stiches sehr gefürchtet wurden. +Polistes+- und
+Vespa+-Arten waren häufig und ihre Papiernester sah man viel an den
Hausdächern und in Bäumen. Wir segneten sie als Fliegenfänger. In einem
anderen Kapitel habe ich die Fliegenplage in Mazedonien geschildert und
erwähnt, daß diese vielfach Essen im Freien unmöglich machte. Das wurde
oft noch dazu kompliziert, daß um unseren Eßtisch sich hunderte von
Wespen versammelten und uns oft noch von der Gabel vor dem Mund die
Fliegen wegfingen, um sie zur Ernährung ihrer Larven ins heimische Nest
zu tragen.

Im 23. Kapitel habe ich bei Schilderung meiner Streifzüge am und auf
dem Wodno bei Üsküb die wundervolle Bienenwand im Markovatal beim
Kloster Markova beschrieben (S. 348). Dort befindet sich auch ein Bild
dieser großen Kolonie von +Anthophora parietina+ F. (Abb. 172, S. 351).
Ich füge hier noch ein weiteres Bild bei, welches einen Überblick über
diese große Stadt von Bienennestern bietet.

[Illustration: Abb. 188. Überblick über einen Teil der Lehmwand mit der
Nesterkolonie von +Anthophora parietina+ F. beim Kloster Markova.]

Meinen dortigen Angaben möchte ich hier noch einiges zusetzen. Als ich
mich mit meinen Begleitern länger an der Bienenwand aufhielt und mir
dort zu schaffen machte, mit dem Netz Bienen fing, konnte ich eine
Beobachtung machen, welche zeigt, daß auch bei diesen vollkommen einsam
lebenden Bienen gelegentlich Ansätze von sozialem Handeln vorkommen.
Plötzlich umschwärmte uns mit lautem Summen ein großer Schwarm der
Bienen; sie flogen hastig auf uns los und prallten gegen uns, so daß
wir aus Angst vor ihren Stichen instinktiv zurückfuhren. Ähnliche
Beispiele gemeinsamer Verteidigungsaktionen sind von _Friese_ und
_Alfken_ bei +Andrena ovina+ Klug und gerade bei +Anthophora parietina+
F. beobachtet worden. Meine Beobachtung schließt sich also vollkommen
den Angaben dieser Forscher an und bestätigt, daß während diese
solitären Bienen sich sonst gegenseitig gar nicht beachten und sie sich
gegenseitig niemals helfen, ein sie gemeinsam bedrohender übermächtiger
Angriff eine Vereinigung vieler Individuen zur Abwehr veranlaßt. Wenn
es sich damit auch nicht um echtes soziales Zusammenwirken handelt, so
müssen doch Instinkte durch Warnungslaute oder sonstwie geweckt werden,
welche bei den sozialen Insekten bestimmt sind, eine große Rolle zu
spielen.

Außer den solitären Bienen flogen emsig vor der Lehmwand bei Markova
andere Hymenopteren umher. Das waren die _Schmarotzerbienen_, welche in
die Nester der +Anthophora+ einzudringen suchten, um da ihre eigenen
Eier an dem aufgespeicherten Futter und bei dem Ei der rechtmäßigen
Eigentümerin des Nestes abzulegen. Es waren dies schwarz-weiß gefärbte
Bienen der Arten +Crocisa scutellaris+ Lep. und +Coelioxys rufescens+
Gef. Das sind die typischen Nestparasiten der +Anthophora parietina+ F.

[Illustration: Abb. 189. Mitbewohner der Nestkolonie von +Anthophora
parietina+.

+a Andrena hattorfiana+ Spm. +b Crocisa scutellaris+ Lep. +c Coelioxys
rufescens+ Gef. Markova. Vergr. 2 : 1.]

Die verhielten sich ganz anders zu den Nestern; trieben sich unruhig
vor den Eingängen herum, ängstlich vor den Besitzern ausweichend
und machten den Eindruck von richtigem Diebsgesindel. Derartige
Brutschmarotzer waren in Mazedonien den großen Mengen der solitären
Bienen entsprechend auch sehr viel und oft zu beobachten. Ich habe in
früheren Kapiteln schon die Schwebfliegen der Gattungen +Anthrax+ und
+Bombylius+ erwähnt, welche am Boden an den Eingängen der Bienennester
hinflogen. Auch die _Goldwespen_, die ähnliche Instinkte haben,
habe ich oft an den Lehmwänden vor Erfüllung ihrer bösen Absichten
weggefangen.

An vielen Orten habe ich _Schmarotzerhummeln_ aus der Gattung
+Psithyrus+ beobachtet und auch die +Nomada+-Arten, jene Bienen, die
besonders bei den +Osmia+-Arten parasitieren. So gelang auf der _Mala
Rupa_ ein interessanter Fund. Da fing ich +Panurgus banksianus+ am
selben Tag und am selben Ort, wie die schon als ihr Nestschmarotzer
verdächtigte +Nomada similis+ Mor., so daß dadurch eine neue
Bestätigung dieses Abhängigkeitsverhältnisses erbracht wurde.

_Gebirgsbienen_ gehörten überhaupt zu den interessantesten
Bestandteilen unserer Ausbeute an Bienen. Die Balkanfauna an Bienen
zeigte wie die anderen Tiergruppen außer eigenen Formen eine
Zusammensetzung aus _nördlichen_ und _südlichen_ (mediterrane)
Elementen, zu denen sich nicht wenig östliche _Steppenformen_ gesellen.
Dazu kommen die wohl als Eiszeitrelikte zu deutenden Hochgebirgstiere.
Von Interesse ist von den letzteren die neu von uns entdeckte +Osmia
bulgarica+ Friese, welche ich am Pepelak und Liseč in der Golesniza
Planina bei etwa 1800-2000 m Höhe fing. Sie lehnt sich an +Osmia
inermis+ Zett. an, welche außer in den Alpen in Finnland, Lappland und
Schottland lebt. Solche Alpentiere, aber ohne eiszeitliche Beziehungen,
stellen z. B. +Megachile analis+ Nyl. von der Mala Rupa und +Andrena
ephippium+ var. +macedonica+ Friese dar und wohl manche anderen Bienen
meiner Sammlung.

[Illustration: Abb. 190. Kartenskizze des mittleren Wardartals und der
Pässe nach Prilep.]



SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

DIE ERFORSCHUNG DER GOLESNIZA PLANINA


Fährt man von Üsküb mit der Orientbahn südwärts gegen Veles, so fällt
einem im Westen ein Gebirge von reichen Formen auf. Im Frühling und
Frühsommer glänzen von seinen Gipfeln breite Schneefelder herüber. Je
öfter ich vorüberfuhr, um so lebhafter wurde mein Wunsch, dies Gebirge
kennen zu lernen. Bisher war nur einmal ein deutscher Geograph, _K.
Östreich_, ein guter Kenner Mazedoniens, an seinem Rand gewesen und
hatte eine Skizze von ihm entworfen, welche manches Interessante
versprach.

Als ich im Sommer 1918 mein Standquartier in Üsküb hatte, konnte ich
dem Plan näher treten. Es mußten gewiß Schwierigkeiten vorhanden sein,
die es verhindert hatten, daß die so wanderlustigen Offiziere und Ärzte
der verbündeten Truppen in Üsküb das reizvolle Gebirge in den Jahren
der Besetzung nicht aufgesucht hatten. Es war bisher ein unbekanntes
Gebiet geblieben.

Im April 1918 traf ich die ersten Vorbereitungen zu einer Expedition
in das südlich von Üsküb gelegene Gebirge. Zunächst suchte ich nach
dem Studium der Karten aus der Ferne einen Überblick über die Lage des
Gebirges und günstige Anmarschwege zu gewinnen. Einen guten Einblick
in seine Lage und seinen Aufbau gewann ich vom Gipfel des 1100 m
hohen, südlich im Weichbild von Üsküb ansteigenden _Wodno_, den wir
ja schon im 23. Kapitel kennen lernten. Im April sah ich von dessen
Gipfel das wundervolle Bild der schneebedeckten Berge, welches die
nebenstehende Abbildung wiedergibt (Abb. 191). Mächtige steile Gipfel
schimmerten rosig im Glanz der Abendsonne und winkten vielversprechend
zu mir herüber, als ich den festen Entschluß faßte, sie zu besteigen.
Vom Gipfel des Wodno übersah man das weite Tal, durch welches man an
das Gebirge herankam; ein Bachtal führte tief ins Gebirge hinein, das
mußte man verfolgen, um in die Schluchten und an die steilen Abstürze
heranzukommen, die jetzt von tiefblauen Schatten scharf hervorgehoben
wurden.

Einige Vorexpeditionen bereiteten die Unternehmung vor, die planmäßig
ausgedacht, die Unterstützung unserer obersten Heeresleitung fand. Ich
wurde in meinem Vorhaben in großzügigster Weise gefördert. Zunächst
war das Einverständnis der bulgarischen Behörden, die zuerst alle
möglichen Bedenken wegen angeblich im Gebiet hausender serbischer
Banden vorbrachten. Schließlich siegte aber doch der Wunsch, durch uns
genaueres über das auch den Bulgaren wenig bekannte Gebiet zu erfahren.
Wir bekamen Führer, Tragtiere, Bedeckungsmannschaften zugesagt; ein
Dolmetscher, der serbisch, albanisch, türkisch, kutzowallachisch,
bulgarisch, deutsch, französisch und allerhand andere Sprachen
beherrschte, wurde uns zugewiesen. Die deutsche Heeresleitung stellte
mir Reit- und Tragpferde, dazu die nötigen Mannschaften und gab mir die
Möglichkeit, den sehr wichtigen Reiseproviant aus dem Magazin in Üsküb
zu erwerben.

[Illustration: Abb. 191. Golesniza Planina im April, gesehen vom Wodno
(Gipfelregion).]

So war es denn eine stattliche Karawane, die sich zum Abmarsch auf
einem kleinen Platz in Üsküb ansammelte, wo sie feierlich von General
_von Scholtz_ und den Herren seines Stabes verabschiedet wurde. Etwa 30
Pferde und Lasttiere wirbelten den Staub der Straße auf, als wir stolz
abrückten.

An der Expedition nahmen von deutschen Gelehrten außer mir zwei der
Mitglieder der mazedonischen landeskundlichen Kommission teil: der
Botaniker Prof. _Bornmüller_ aus Weimar und der Geologe Dr. _Gripp_ aus
Hamburg. Mich begleitete ein ganzer Stab von Zoologen und technischen
Hilfskräften, Prof. _Müller_, Dr. _Nachtsheim_, die Präparatoren
_Aigner_ und _Rangnow_ und mein getreuer _Johann Maier_. Auch die
anderen Forscher hatten ihre Gehilfen bei sich.

Der Marsch ging nun um den östlichen Sattel des Wodno herum auf dessen
Südseite. Ein mehrstündiger Ritt führte uns gegen Abend zum Kloster
_Markovo_, das ich bei den Vorexpeditionen als geeigneten Ausgangspunkt
für die Gebirgsexpedition gewählt hatte. Über das Kloster und seine
Umgebung finden sich Angaben im 23. Kapitel (S. 347). (Vgl. dort auch
Abb. 170 u. 171.)

Bei dämmerndem Morgen brachen wir am 17. Juni 1918 auf, durchritten
das obere Markovatal und erreichten um Mittag das kleine türkische
Dörfchen _Crnvrj_, das mir von einer Vorexpedition her schon bekannt
war. Unterwegs hatten wir schon gewisse Schwierigkeiten mit unserer
Lasttierkarawane, deren Lasten zum Teil schlecht gepackt waren und in
dem steilen Gelände abrutschten. Wir sammelten dabei Erfahrungen mit
unseren Leuten, die sich für später als sehr wichtig erwiesen.

In Crnvrj rasteten wir im Garten des mir schon bekannten Hodscha vor
dem schweren steilen Anstieg und bereiteten unser erstes Mittagsmahl.
Bald brachen wir aber auf, denn wir hatten keine Zeit zu verlieren,
wenn wir am Abend einen geeigneten Lagerplatz in anständiger Meereshöhe
erreichen wollten.

Es ging zunächst das Bachtal hinauf, in der Hauptrichtung südwärts,
bald aber begann das Klettern am östlichen Talrand empor zu dem uns
winkenden hochstämmigen Tannenwald. Der Weg, ein offenbar von Hirten
benützter Pfad, war so steil, daß wir oft von unseren Pferden absteigen
mußten, um sie zu führen. Es wollte viel heißen, daß sogar unsere
Bulgaren stellenweise den Sattel verließen.

Während wir beim Anmarsch meist durch Buschwerk und niederen Buchenwald
gekommen waren, brachte uns der Anstieg bald in stattliche Bestände von
Tannen (+Abies alba+ Will.). Es waren schöne Edeltannen, welche an der
gegenüberliegenden Talseite einen geschlossenen, dichten Wald bildeten.
An unserer Seite wechselten dichte Bestände mit lichten Hainen und
größeren Waldwiesen. Man hatte vollkommen den Eindruck eines deutschen
Waldes, eines Gebirgswaldes mit seinen stattlichen Edeltannen und ihren
weißlich schimmernden Stämmen. Zwischen den Tannen wuchsen, besonders
an den Waldwiesenrändern, allerhand Laubbäume. Es war eigenartig, hier
im fremden Land Buchen, Birken, Zitterpappeln und Eichen neben den
Tannen emporragen zu sehen, alle noch im frischen Grün des Frühsommers.

Ein wundervoller Anblick bot sich aber dar, als wir in etwa 1200 m Höhe
an große Waldwiesen kamen, welche von hohen lilienartigen Gewächsen
bestanden waren. Vor einer solchen Wiese stand ich lange Zeit,
ergriffen von der Schönheit; mein Pferd legte mir seinen Kopf über die
Schulter und stand leise schnaubend ebenso still wie ich.

Jenseits der Wiese erhob sich ein Wald von stolzen Tannen, in tiefem
Schatten wie eine hohe dunkle Wand den offenen Raum abgrenzend.
Zwischen den Tannenwipfeln sichtbar und hoch über ihnen hinaufragend
lagen die Berghänge der anderen Talseite; graue Felsen mit Waldflecken
und Matten dazwischen waren von goldenem Sonnenschein übergossen. Nur
das ferne Rauschen des Talbaches verriet die Tiefe der Schlucht, die
hinter den Tannen lag und deren Wände wir heraufgeklettert waren. Vor
der dunklen Wand des Waldes breitete sich leuchtend vom Sonnenglanz
die hellgrüne Wiese aus, bedeckt von hunderten von _Lilien_, den
+Asphodelos+ mit ihren schlanken Blütenständen. Sie weckten klassische
Erinnerungen an alte Griechen, die auf der +Asphodelos+-Wiese die
Schatten ihrer Freunde erwarteten. Man mußte sich daran erinnern, daß
man nicht weit vom Land der Griechen war, dem der Deutsche so viel von
seiner Seele geschenkt hat. Es war +Asphodelus albus+ Willd. (Abb. 192,
S. 384).

Ein leiser Wind wehte über die goldglänzende Wiese; die Lilien
schwankten zart und weiß über dem wogenden Gras. Kühlung umwehte mich
und gab Mut für den steilen weiteren Anstieg. Der Bach, der in der
Tiefe rauschte, war der gleiche, dessen Tal wir vom Kloster Markova an
verfolgt hatten. Seine Quellen entflossen einem weiten Bergzirkus, der
vor uns manchmal offen lag, während wir an seiner Ostwand emporklommen.
Dieser Quellbezirk enthält keine Seen, wie _Östreich_ und der serbische
Forscher _Cvijié_ annahmen, welche die _Markova Reka_, den Talbach,
als Ausfluß der Seen betrachteten. Wir konnten uns überzeugen, daß
im Quellgebiet der Markova Reka keine Seen lagen, was uns auch die
Aussagen der Bevölkerung vorausgesagt hatten.

[Illustration: Abb. 192. Lilien im Tannenwald (+Asphodelos albus+ Will.
+Abies alba+ Will.). Anstieg zum Pepelakkar.]

Nach etwa einer Stunde Rittes durch den Tannenwald gelangte unsere
Karawane auf eine ausgedehnte Berghalde, in welcher der Wald immer mehr
von hochgrasigen Wiesen unterbrochen wurde. Nun tauchte vor uns, noch
hoch über dem Wald, das Schneefeld des Pepelak auf, das uns schon den
ganzen Tag die Marschrichtung angab. Denn unterhalb dieses auffallenden
Schneebandes dachte ich unser erstes Lager zu schlagen.

Als wir den Bergsattel erreicht hatten, kamen wir durch eine offenere
Landschaft, in der Matten mit Gebüschen und kleineren Baumgruppen
abwechselten. Mächtige Felsblöcke, vielfach von phantastischen Formen,
lagen auf den Halden umher, oft von einem kleinen Hain überschattet.

Das Gestein bestand aus Gneis. Wir waren auf dem Sattel zwischen dem
Tal der Markova Reka und dem eines südlichen Bachlaufes. So steil und
hoch der von uns erstiegene Talrand gewesen war, so sanft war der
Übergang von diesem Paß zu dem weit weniger tiefen Tal des südlich
fließenden Baches. Wir hatten mit dem Paß eine Höhe von 1600 m erreicht.

Vor uns sahen wir noch einen letzten Waldstreifen, einen stattlichen
Buchenwald, darüber tauchte eine Mattenregion auf, die über Hügel und
Buckel bergan zog, in das Felsengebiet hinein, das sich daran anschloß.
Unter dem Wald floß ein munterer Bach talwärts, der viel Geröll mit
sich führte. Der Wald mußte noch durchstiegen werden, ehe ich meinen
von dem scharfen Marsch in der glühenden Hitze ermatteten Leuten eine
Ruhepause gönnen durfte. Die meisten waren sehr erschöpft und lagerten
sich alsbald am oberen Rand des Waldes, um auszuruhen. Die Pferde
wurden abgesattelt, nur die Lasttiere mußten mit ihrem Gepäck weiden;
denn lange sollte die Rast nicht dauern.

Unterdessen war ein interessanter Fund gemacht worden. Bisher hatten
wir ja in der Hauptsache schon bekanntes Gelände durchwandert und
in der für mich neuen Zone des Tannenwaldes war die Sorge um unsere
Tragtiere mit ihren kostbaren Lasten, die Arbeit des Steigens und die
große Hitze naturwissenschaftlichen Beobachtungen hinderlich gewesen.

Zwei unserer Nachzügler hatten eine Giftschlange erbeutet, die sehr
unserer Kreuzotter ähnlich war und tatsächlich stellte sie sich als
eine solche heraus. Damals wurde sie zunächst für +Vipera macrops+ Mih.
gehalten, jene Form, welche wir auf der Kobeliza gefunden hatten. Bei
genauer Untersuchung in der Heimat wurde nachgewiesen, daß es sich doch
um eine echte, wenn auch etwas abweichende Kreuzotter (+Vipera berus+
L.) handelt, die auch sonst in den Gebirgen des Balkan gefunden wurde.

Während meine Leute am Waldrand rasteten, ritt ich am Bach entlang
bergauf, um einen Lagerplatz zu suchen. Er sollte möglichst hoch
liegen, um die Bergbesteigungen abzukürzen, sollte aber nahe am Bach
sein, Weide darbieten und womöglich Brennholz liefern. Obwohl ich
und mein Pferd schon recht müde waren, suchte ich das Ziel bald zu
erreichen, da wir doch vor Sonnenuntergang unsere Zelte aufschlagen
sollten. Es war ein merkwürdig welliges Gebiet, das sich zu beiden
Seiten des Baches hinzog; ich mußte beständig auf Hügel hinauf und in
Falten hinunter reiten, um allmählich in die Höhe zu gelangen. Überall
waren üppige Wiesenmatten, vielfach sumpfiger Boden; nirgends fand
sich ein trockener Lagerplatz nahe dem Bach. Holzige Gewächse fehlten
vollkommen. So kam ich schließlich in die Felsenlandschaft hinein;
das Tal verengerte sich und fand seinen Abschluß in einem grandiosen
Felsenzirkus, dessen obere Randeinfassung jenes Schneeband darstellte,
dem ich zustrebte. Vor ihm vermutete ich die zwei kleinen Seen, welche
auf den Karten ohne Namen angegeben waren. Ich hatte vor, zunächst
diese zu erforschen und wollte daher mit dem ersten Lager möglichst
nahe an sie heran.

Zwei Stunden war ich vom Rastplatz am Waldrand geritten, als ich
endlich an einen Platz kam, der zum Lagerplatz geeignet erschien. Er
lag unter den ersten Felsenwänden, war von großen Blöcken bestreut,
dazwischen mit Rasen bewachsen. Weide war also da, Wasser auch, nur
Holz fehlte, da er weit über der Baumgrenze lag. Die notwendige
Winddeckung war durch einen mächtigen Felsen mit steilem Abfall
gegeben. Wir bestimmten später die Meereshöhe des Lagerplatzes auf
1950 m.

Es dauerte lange, bis meine Truppe nachkam; am letzten Rastplatz hatte
sich ein Unfall ereignet. Die erschöpften Mannschaften hatten nicht
genügend auf die Pferde geachtet und so hatte mein Wachtmeister einen
Huftritt an den Kopf erwischt, als er schlafend am Boden lag. Zum Glück
hatten wir gerade an diesem Tag einen Arzt bei uns, der uns bis ins
erste Lager begleiten wollte. Der hatte den Verletzten verbunden und
nahm ihn am nächsten Tag wieder mit nach Üsküb zurück.

Wir aber schlugen vor Abend noch unsere Zelte auf; wir schmiegten sie
möglichst tief in die Mulden vor den Felsen hinein, um vor dem vom Berg
herunterfegenden Wind geschützt zu sein. Direkt über uns dehnten sich
Grashalden in einen Halbkreis von Felsen hinein, deren oberer Rand von
einem langen, schmalen Schneefeld eingefaßt wurde. Eine prachtvolle
Mondnacht folgte dem anstrengenden Tag. Wir waren alle zu sehr ermüdet,
als daß wir sie genießen konnten. Zudem trieb ein kalter Wind uns in
die Zelte und unter die warmen Decken.

Am nächsten Morgen machte ich mich zeitig auf, um womöglich die so
viel angezweifelten Seen aufzufinden. Steil die Talmulde hinauf ging
es durch sumpfiges Gelände zwischen Felsen in der Richtung auf das
Schneeband. Ein noch kälterer Wind als gestern abend wehte von oben
herunter uns entgegen und versprach wenig Gutes für die nächsten Tage.

[Illustration: Abb. 193. Lager am Pepelakkar.]

Kaum dreiviertel Stunden hatte ich anzusteigen, da stand ich vor den
Seen. Es waren zwei kleine Wasseransammlungen, kaum 1-2 m tief, mit
klarem Wasser; der Boden war von Steinen bedeckt. Grün schimmerten
sie aus dem weißgrauen Gestein heraus, wenn man aus der Höhe auf sie
hinabblickte. Ein Damm aus Felsentrümmern und Geröll trennte sie von
dem Abhang der Talmulde.

Das klare, kalte Wasser enthielt eine spärliche Tierwelt: Larven der
+Chirocephalus+-Art, welche wir einige Tage später weiter unten im
Begovatal im erwachsenen Zustand fanden, Wasserkäfer, oligochäte Würmer
und sonst sehr wenig Getier. Es waren diese kleinen Wasseransammlungen
eine rechte Enttäuschung. Wir hatten nach den Karten etwas Größeres
und Interessanteres erwartet. Die Wasserkäfer waren +Dytisciden+,
unserm Gelbrand verwandt, aber kleinere Arten. Zwei Arten fanden sich
in dem kalten Wasser, +Gaurodytes solieri+ Aubé, eine alpine Art, und
+Gaurodytes nitidus+ F. Auch eine Wasserwanze (+Corixa Sahlbergi+ (?))
wurde dort gefangen.

Hinter den Seen stieg der Berg schroff zum Schneeband hinan; eine
mächtige Schutthalde füllte den Raum zwischen scharfen Felsenrippen
aus. Das Schneeband war kaum 50 m breit; an den Schnee schloß sich
noch eine steile Halde an, die bis zum Bergkamm reichte, der über die
drei Gipfel des _Pepelak_ hinstrich. Das Gestein des Berges, wie der
Ufer der Seen war _Gneis_. Das herabfließende Schmelzwasser füllte die
Seen. Von ihnen floß es in einigen Rinnsalen ab, welche in kleinen
Wasserfällen talab strebten. Die Seen lagen auf einer Meereshöhe von
2100 m.

Die Pepelakseen sind typische Karseen. Hinter ihnen steigen die Berge
steil an; vor ihnen liegt eine Moräne von 6-7 m Höhe. Unser Geologe
Dr. _Gripp_ stellte fest, daß in der Moräne seitlich des Abflusses
Kuppen aus Granatglimmerschiefer aufragen, welche zu Rundhöckern
abgeschliffen sind und deutliche Gletscherschrammen aufweisen. Er fand
etwa 25 m höher die Reste eines zweiten Kars mit einer etwa 150 m
langen Moräne von durchschnittlich 7 m Höhe. Diese kleinen zwei Kare
liegen in der Rückwand eines viel größeren Kars, das den ganzen Bogen
zwischen den Gipfeln Pepelak-Nord und Pepelak-Süd umfaßt. Als Reste
des einstigen Karsees finden sich in 2020 m Höhe zwei durch einige
Felskuppen getrennte Moorbecken. Am Gestein am Rande dieses Karbodens
sind ebenfalls Rundhöcker nachzuweisen.

So waren denn die Annahmen _Östreichs_, der schon vor 20 Jahren Spuren
einer einstmaligen stärkeren Vereisung erwähnt hatte, bestätigt. In den
nächsten Tagen sollten wir viel großartigere Eiszeitspuren auffinden.

Beide Seen sind miteinander durch einige Rinnsale verbunden, der
nördliche liegt ein klein wenig höher als der südliche, so daß das
Wasser von ersterem zu letzterem abfließt. Aus dem südlichen See fließt
der Bach ab, an dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, und an
welchem ich am Abend des vorigen Tages entlang geritten war. Er hatte
also nichts mit dem Markovabach zu tun. Er heißt bei den Bewohnern des
Gebirges _Jezero Reka_, also Seebach und mündet bei _Aldince_ in die
Kadina Reka, welche selbst ein Nebenflüßchen des Wardar ist.

[Illustration: Abb. 194. Pepelakseen, vom Schneeband aus gesehen.]

Als ich von den Seen zum Lager wieder abstieg, kam ich zwischen den
Wasserfällen in ein Gebiet, welches von einer wundervollen Fülle von
_Alpenpflanzen_ überwachsen war. Zwischen den Steinen drängten sich
üppige Büsche der Alpenrose, deren rote Blüten sich von den Steinen
und dem dunklen Laub reizvoll abhoben (+Rhododendron myrtifolium+
Schott und Kotchy). Die schönen Sterne der +Anemone narcissiflora+
und +nemoralis+ L. wetteiferten mit dem +Ranunculus nivalis+ und den
grellen +Geum+-Arten (+montanum+ L., +molle+ V. B. und +coccineum+
F.). Veilchen (+Viola Griesebachiana+ Vis) standen neben +Pedicularis
limnogena+, dazu kamen Primeln (+Primula intricata+), ein roter
Steinbrech neben weißen und prachtvollen großen Enzianen (+Gentiana
cruciata+ L.). Kleine Büsche von +Salix polaris+, einer Zwergweide,
wuchsen dicht am Wasser. An den moosigen Stellen sah man die feinen
Glöckchen einer _Soldanelle_ (+S. pindicola+ Hauskn). Wo der Boden
etwas moorig wurde, sproßte ein charakteristisches Sumpfmoos, eine
+Sphagnum+-Art, welche Gattung damit zum erstenmal auf dem Balkan
nachgewiesen wurde. Etwas weiter bergab, vor allem an den Waldrändern,
stand in voller Farbenpracht in großen Mengen eine schöne, leuchtend
gelbe Akelei (+Aquilegia aurea+ Janka). Neben den Alpenrosen wuchs der
Türkenbund in großen, blühenden Büschen (+Lilium martagon+ L.).

Am selben Tag wurde noch ein Erkundungsmarsch auf den Kamm des
Pepelak unternommen, über dessen drei Gipfel und auf die Hochfläche
fortgesetzt, die sich südlich des Kammes hinzog, um einen Plan für die
Fortsetzung der Expedition gleich ins Auge fassen zu können. Schon
beim Anmarsch waren die drei dunklen Spitzen über dem weiß leuchtenden
Schneefeld als charakteristisches Merkmal des Pepelak erschienen. Beim
Anstieg sah man nun, daß ein südlicher Gipfel näher am mittleren lag,
während der nördliche in größerer Entfernung einsam aufragte. Ich
kletterte die Felsen hinauf und umging das Schneeband im Süden. So kam
ich zuerst auf den südlichen Pepelakgipfel. An seinem steinigen Abhang
fand sich wieder eine artenreiche alpine Flora. Wenn der Wind ruhte,
so summten um die farbenprächtigen Blumen allerhand Insekten, darunter
zahlreiche Hummeln. Zwischen ihnen schwirrten Exemplare eines dem
Taubenschwanz ähnlichen Schmetterlings (+Hemaris scabiosae+). Kleine
dunkle Motten flogen vor unseren Tritten auf, um sich schnell wieder zu
setzen. Unter den Steinen waren zahlreiche Käfer zu finden.

[Illustration: BLICK ÜBER PEPELAK SÜD ZUR BEGOVA UND SOLUNSKA.]

Als wir am Gipfel in warmer Sonne saßen, umschwärmten uns zahlreiche
Tagschmetterlinge, vorwiegend die gewöhnlichen +Vanessa+-Arten, die
bei dem starken Wind sehr schwer zu fangen waren. Es war die übliche
Gipfelversammlung, die wir schon öfter erwähnt haben.

Während wir die Fernblicke genossen und uns in der Gegend orientierten,
wurden die Instrumente abgelesen und die notwendigen Aufnahmen gemacht.
Wir bestimmten die Höhe des südlichen Pepelakgipfels auf 2290 m.

Vor uns lag ein wundervolles Gebirgsbild. Zu unseren Füßen fielen die
Felsen steil ab zu den Matten, kleine Schneefelder waren überall noch
zu sehen. Direkt nach Süden zog ein flaches Hochtal, das abgegrenzt
wurde durch eine Kette hoher Marmorberge mit weißblinkenden Flanken.
Kahle, wilde Felsengebiete taten sich da vor uns auf; nur hier und da
sah man kleine Rasenflächen, sonst war die Pflanzenwelt sehr spärlich.
Ganz im Süden erhob sich in zarter Bläue ein Berg von schönen Umrissen,
eine mächtige Pyramide, die ein gut Stück höher sein mußte als unser
Standpunkt. Es war die _Solunska_, die eines unserer nächsten Ziele
werden sollte.

Wir wanderten in den Nachmittagsstunden noch über den Kamm, am Hang
des mittleren Gipfels entlang zum Nordgipfel, der etwas höher ist als
der Südgipfel; er mißt 2300 m. Das weißgraue Gestein um uns herum war
Glimmerschiefer, meist Granatglimmerschiefer.

Auch hier um uns nur Steine und kleinere und größere Grasflächen!
Westlich des Pepelakkammes zieht sich ein welliges Hochgebiet hin,
welches von den nachher zu beschreibenden Kalkbergen abgegrenzt wird.
Ich bestieg einen der westlich vom Pepelak-Nordgipfel gelegenen
Kalkberge, der noch etwas höher war als jener, nämlich 2315 m.

Ungefähr an dessen Flanke zog sich die Grenze der Urgesteinszone gegen
das Kalkgebiet hin; an der Nordseite der Kalkhöhe zog sich eine tiefe
Schlucht hinab, deren Anfang von einer mächtigen Schutthalde gebildet
wurde. Die linke Seite war eine steile Wand, an deren unterem Ende
mehrere große Schneefelder lagen. An deren Rändern flogen eigenartige
dunkle Schmetterlinge, eine _Noctuide_, die uns ein Eiszeitrelikt zu
sein schien.

Tatsächlich stellte sich das Tier als die Eule +Anarta melanopa+ Thnbg.
var. +rupestralis+ Hb. heraus, welche aus den Alpen und vom Gran Sasso
in Süditalien bisher in besonderen Formen bekannt ist, während die
Stammform in Lappland, Labrador und auf den Shetlandinseln vorkommt.
So stimmt das Vorkommen dieses Schmetterlinges gut zu den sonstigen
Eiszeitspuren, welche wir im Gebiet fanden.

[Illustration: Abb. 195. Rand des Kalkgebirges der Karaschiza westlich
vom Pepelak. Flugstelle von Anarta.]

Nach den Feststellungen unseres Geologen Dr. _Gripp_ stellt der Pepelak
mit seinen drei Gipfeln das Nordende eines schmalen Bergzuges dar,
der von Nordwesten nach Südosten verläuft. Er erstreckt sich bis nahe
an das Dorf Jabolcista hin und zeigt nur eine Unterbrechung, welche
von _Östreich_ als Salakova-Senke bezeichnet wurde. In seinem Verlauf
bildet der Höhenzug eine bemerkenswerte Grenze zwischen zwei ganz
verschiedenartigen Landschaftstypen. Östlich von dem Bergzug streichen
fünf einander parallele Bergrücken von Südwesten nach Nordosten;
sie enden alle an ihrem nordöstlichen Ende in Gestalt rundlicher
Bergkuppen, deren Höhe jeweils von Norden nach Süden geringer wird.

[Illustration: Abb. 196.

+Anarta melanopa+ Thnbg. var. +rupestralis+ Hb. Als Eiszeitrelikt im
mazedonischen Gebirge erhalten.]

Als Namen dieser Bergzüge wurden Herrn Dr. _Gripp_ von den Einwohnern
des Dorfes Jabolcista angegeben: Salakova, Schachkaviza, Eilagiza und
Jurudschiza. Etwas höher als diese ist die quer vor ihnen liegende
Mumjitza, auf der zahlreiche Felsklippen aufragen. Sie fällt steil nach
Westen zur oberen Kadina Reka ab, während sie auf der Ostseite in einen
sanften Abhang übergeht. Alle diese Berge zeigen mattenbedeckte breite
Rücken, während steilere Hänge dichten, grünen Buchenwald tragen.
Zwischen dem Südende der Mumjitza und dem südöstlich von ihr gelegenen
Berg Liseč, den wir von unserem dritten Lager mehr aus der Nähe sehen
konnten, ragten zwei schmale, parallele Höhenzüge empor; der näher
gelegene, genannt Szriba(i)tschan erreicht die Höhe von 1805 m, während
die zwischen ihm und dem Liseč hinziehende zweite Kette, deren Namen
wir in dem öden menschenarmen Gebiet nicht erfahren konnten, noch höher
ist.

[Illustration: Abb. 197. Endmoräne des Gletschers im Wannental.
Golesniza Planina.]

Dr. _Gripp_ beobachtete in diesem Gebiet nur Gneise. Dieser
einheitlichen Gesteinszusammensetzung schreibt er die gleichmäßige
Oberflächengestaltung des Gebietes zu. Angelagert an diese Gneise fand
er eine Hülle von Glimmerschiefer, zum Teil Granatglimmerschiefer,
aus der auch der größte Teil des Pepelak und des Höhenzuges
zusammengesetzt ist, der sich vom Pepelak bis Jabolcista erstreckt.

Ganz anders als diese milden, gleichartigen Berge sehen die Gebirgszüge
aus, welche westlich von diesem Glimmerschiefergebirge liegen. Es
ist das weiße, kahle, baumlose und überhaupt vegetationsarme Gebiet,
welches ich oben schon erwähnte. Wir alle, welche die Gebirge der
Gegend von Triest, von Istrien oder der Herzegowina kannten, wurden
durch seinen Anblick an den _Karst_ erinnert. Unser Geologe bestätigte
uns die Richtigkeit dieser Annahme. Es war ein typisches Kalkgebirge;
die Gesteine, die es zusammensetzten, waren nur Marmor und Dolomit. Und
überall traten uns die typischen Karstphänomene entgegen, welche für
Gebirge vom Bau des Karstes in aller Welt charakteristisch sind und
den Namen dieses südkrainischen und küstenländischen Gebirges zu einem
geologischen Fachausdruck gemacht haben.

[Illustration: Dr. Gripp phot. Abb. 198. Doline bei Lager 2 im
Golesnizagebirge.]

Vor allem war die Wasserarmut dieser Berge auffällig. Streifte
man durch diese weißen, plattigen Gesteine, dann mußte man seine
Feldflasche wohlgefüllt mitnehmen. Denn auf Quellen konnte man nicht
rechnen. Die Täler und Schluchten waren trocken und keine munteren
Bäche durchströmten sie. Wo Schmelzwasser von den Schneefeldern
herabfloß, versickerte es bald im Boden oder verschwand in
unterirdischen Spalten. Die Täler waren sämtlich abflußlos. Die für den
Karst so bezeichnenden _Dolinen_ waren überall in großen und kleinen
Ausmaßen anzutreffen. Es sind das Einsturztrichter, welche dadurch
entstanden sind, daß unterirdische Höhlen durch Auslaugung der Felsen
sich bildeten, in welche später die Felsendecke einstürzte. Solche
riesigen Dolinen wie im adriatischen Gebiet, in denen große Felder und
Gärten, ja ganze Dörfer liegen können, fanden wir allerdings hier im
Hochgebirge nicht. Karstphänomene werden wir weitere zu erwähnen haben,
wenn uns die Beschreibung der weiteren, von uns durchforschten Strecken
der Golesniza Planina dazu führt.

Besonders interessant für den Geologen waren die Beobachtungen einer
Auflagerung von mehreren hundert Metern mächtigen Marmormassen auf dem
kristallinen Schiefer. An zwei Stellen konnten solche Überlagerungen
beobachtet werden; in beiden Fällen lagerten helle Kalke und Kalke
mit Glimmer, die unter 50-70° nach Südwesten einfielen, über den
kristallinen Schiefern, und zwar ohne jede Transgressionsmerkmale zu
zeigen. Die Kalke gingen nach oben bald in graue Dolomite und hellen
Marmor über. Im Patiskatale fand Dr. _Gripp_ eine linsenförmige Scholle
von Gneis von einer Länge von 8-10 m in den untersten Lagen der Kalke.

Interessanter und auffälliger waren uns anderen Naturforschern die
Spuren einer einstigen starken Vereisung der Gebirge, welche Dr.
_Gripp_ eifrig untersuchte und abends im Lager, wenn wir schmausend
vor unseren Zelten saßen, hörten alle gern zu, wenn er von seinen
Beobachtungen erzählte.

Die Resultate im Gebiet der Karseen des Pepelak haben wir oben
schon zusammengefaßt. Vor dem Karstgebiet zeigten sich im Gebiet
des Gneisgebirges viele Spuren der Gletschertätigkeit, die sehr
auffällig waren. Südlich vom Pepelakkar fand sich am Osthang des
Glimmerschieferzuges in 1990 m Meereshöhe ein weiteres Kar. Etwas
südlich von diesem lagen auf dem Glimmerschiefer 80 Marmorblöcke von
verschiedener Größe, dem Gestein nach vollkommen den anstehenden
Gesteinen im westlich liegenden Karstgebirge entsprechend. Daran
anschließend am Westhang der Höhe sind Rundhöcker zu finden, auf
denen verstreut gerundete Marmorblöcke umherliegen. Wir können daraus
schließen, daß in das Tal zwischen dem Glimmerschiefergebirge und
dem Karst ein Gletscher sich ausdehnte, der bei 2040 m Höhe das Tal
ausfüllte. Es muß ein prachtvoller großer Gletscher gewesen sein,
dessen Eis hier hinabfloß. Kein anderes Transportmittel wäre fähig
gewesen, die mächtigen Marmorblöcke und Kalkfelsen aus dem Karstgebiet
weit in das Gneisgebiet hinein zu verschleppen. Im Tal selbst lagen in
1945 und 1990 m Höhe noch zwei mächtige Moränen aus Marmorgeschieben,
von denen die obere 3 m hoch und 50 m lang, die untere 15 m hoch
und 120 m lang ist. Im Grunde des Zungenbeckens der oberen Moräne
gibt es mehrere Dolinen. Unterhalb der tieferen Moräne liegt eine
steile Marmorwand, an deren Fuß eine Quelle entspringt (_Östreichs_
Salakova-Quelle). Ihr Abfluß, dem zwei kleine Bäche seitlich zufließen,
durchbricht in der Salakova-Senke die Glimmerschieferkette und fließt
steil bergab zur Kadina Reka.

Nach Süden schließt sich westlich vom Glimmerschieferzug das von
_Östreich_ so benannte Wannental an; in Wahrheit handelt es sich um
zwei größere, abflußlose Täler. Sie führen Bäche, deren Wasser vom
Glimmerschiefergebirge kommt und welche jetzt verstärkt durch die
Schneeschmelzwasser des Frühlings noch im Tal in Dolinen verschwanden.

Am Abend unseres ersten Tages im Pepelaklager erlebten wir einen
starken Barometersturz, ein kalter Regen trieb uns in unsere Zelte,
die Temperatur sank auf 6° C. Nebelschwaden zogen das Tal herauf und
hüllten unser Lager vollständig ein. Eine kurze Aufklarung ermöglichte
uns wenigstens abzukochen. Nachts aber kam wieder Regen, dem ein
schweres Gewitter und schlimme Kälte folgten. Das schlechte Wetter
hielt den ganzen nächsten Tag an, gegen Abend schneite es sogar; das
dauerte die Nacht hindurch an. Gegen Morgen trat sogar Frost ein,
wir hatten -4° C, morgens im Zelt noch -1,5° C; die Erde war stark
gefroren, der Schnee war nicht liegengeblieben, aber Wiesen und Felsen
waren stark bereift. Und das widerfuhr uns während des subtropischen
Sommers Mazedoniens in der Nacht zum längsten Tag des Jahres.

Der Tag wurde trotzdem gut ausgenützt, obwohl es unmöglich war, in
dem immer wieder aufziehenden dichten Nebel sich weit vom Lager
zu entfernen. Der Botaniker kam immerhin zu seinem Rechte. An den
zahlreichen Wasserläufen, welche den Berg herabliefen, standen neben
farbenprächtigen Polstern von Läusekraut (+Pedicularis limnogena+
Gris.), die goldenen Sträuße der Sumpfdotterblume; dazwischen bogen
sich im Wind die Stengel der roten _Bachnelke_ (+Geum coccineum+ S.
S.). Die _Bachnelken_ waren hier im Kar sehr häufig, und zwar kamen
vier Arten vor (+Geum montanum+ L., +G. molle+ V. B., +G. urbanum+
L. und das rotblühende +Geum coccineum+ L. L.). Prof. _Bornmüller_
benützte die Zeit, um nach Bastarten zwischen diesen nahe verwandten
Arten zu suchen und er fand tatsächlich solche auffallend häufig. So
waren zahlreich Bastarte von +coccineum+ und +montanum+, ebenso von
+urbanum+ und +coccineum+, dagegen sehr selten solche von +molle+ und
+coccineum+.

Selbst für den Zoologen gab es trotz Regen, Nebel und Kälte manches zu
beobachten. Um die Zelte trieben sich zahlreiche Wasserpieper (+Anthus
spinoletta+ L.) herum, Braunkehlchen (+Saxicola rubetra+ L.) schwirrten
in den Felsen oberhalb des Lagers, Feldlerchen und Ohrenlerchen gab es
auch. Das schlechte Wetter zwang einen Steinadler und einen Lämmergeier
nebst einem Schwarm Alpendohlen zu einem flüchtigen Besuch in unseren
Tiefen.

Ja ich konnte hier sogar zwischen den Bächen eine ganze Anzahl von
Ameisenhaufen entdecken. Es war eine +Formica+-Art (+Serviformica
fusca+ L.), welche in dieser Bergeshöhe zwischen den Polstern einer
hier häufigen Wachholderart (+Juniperus nana+ Will.) regelrechte Haufen
hauptsächlich aus Wachholdernadeln gebaut hatte. An dem kalten Tag
waren die Tiere alle tief im Bau verkrochen.

Am nächsten Morgen überraschte uns klarer Himmel in unserer Höhe,
während die Täler, so auch das Wardartal, tief unten im Nebel steckten.
Wasser und Schwämme waren selbst im Zelt gefroren, die Zeltbahnen
hart und steif. Die kurze Stunde Sonnenschein half uns unsere Sachen
annähernd trocknen, unsere Waschung im Bachwasser vollbringen.
Wir brachten diesen Tag noch in der Umgebung des Lagers zu, die
verschiedenen begonnenen Untersuchungen fortsetzend. Nachmittags
stieg ich einige Kilometer bergab, um die Buchenwaldregion am Sattel,
welche wir beim Aufstieg rasch durchschritten hatten, noch einmal zu
durchstreifen. In dem schönen, lichten Buchenbestand war ein reiches
Vogelleben. Vor allem wimmelte es von kleinen Singvögeln, von denen
Kleiber, die beim Nestbau waren, Baumläufer, Zaunkönige, Drosseln und
Waldlaubsänger beobachtet wurden.

Vor uns lag, blau hinter dem Buchenwald sich erhebend, der schön
umrissene Berg Liseč, hinter welchem die Berge des Wardartals um Veles
und die jenseitigen Gebirge auftauchten.

Am nächsten Morgen, am 24. Juni, hatte schöner Sonnenschein uns
begrüßt, nachdem wir noch beim Sternenschein begonnen hatten, die
Zelte abzuschlagen und die Tragtiere zu bepacken. Aber noch ehe wir
losritten, erhob sich ein starker, kalter Wind, schwere Wolken zogen
von Westen heran. Trotzdem setzten wir uns in Bewegung und erklommen
die Hänge des Pepelakkargebiets. Südlich des Südgipfels wollten wir den
Sattel überschreiten, um in das längs der Karstberge hinziehende Tal zu
gelangen.

[Illustration: Abb. 199. Meine Karawane am Pepelaksattel.]

Oben auf dem Sattel überfiel meine Karawane ein gewaltiger Sturm;
die Stöße des Westwindes brachten Menschen und Pferde aus dem
Gleichgewicht. Es war kaum möglich, sich aufrecht zu erhalten. Dabei
war es bitter kalt, daß die Hände einem am Zügel erstarrten. Plötzlich
entriß mir, der ich auf alle Menschen und Tiere aufpassen mußte und
darum auch auf mich selber am wenigsten achten konnte, ein Windstoß
meine Militärmütze und trug sie über das Schneefeld im Nu kilometerweit
zu den Seen und über sie hinweg. Sie war dahin und die Reise mußte ohne
Mütze fortgesetzt werden.

Zum Glück kamen wir bald über den Sattel und ritten abwärts in das
Tal, welches sich am Fuß der Marmorberge hinzog. Trotzdem kamen wir
noch nicht in Winddeckung und alle Mitglieder der Expedition litten an
diesem Tage sehr durch den eiskalten Wind.

Ganz einsam und menschenleer war hier das Gebirge auf beiden Seiten
des Tales. In den letzten Tagen hatten wir keine Hütte und keine
menschliche Siedelung angetroffen. Nordwärts vom Pepelak hatten wir
einige Hirten mit ihren Herden in der Ferne gesehen. In der Tiefe
hatten wir Dörfer bemerkt und mit einem von ihnen waren wir auch in
Beziehungen getreten. Und so sollte es noch für einige Tage weiter
gehen.

Es war ein wasserloses Tal, welches wir nun zu durchreiten hatten.
Schroff und kahl stiegen zu unserer Rechten die Karstberge auf, eine
lange Kette von Gipfeln, an deren Südostecke ein Doppelkegelberg mit
schönen Umrissen emporragte, der höchste Gipfel des ganzen Gebirges,
der für die nächsten Tage unser wichtigstes Ziel war. Diesen Berg
hat _Östreich_ wohl als erster Forscher 1899 bestiegen und nannte
ihn _Begova_. _Cvijić_ gibt ihm den Namen _Jakupiza_; den kannte
aber keiner der Einwohner, die wir in diesen Tagen befragten. Die
österreichische Karte 1 : 200000 bezeichnet die beiden Gipfel als
_Solunska_ und _Begova_. Diese beiden Namen wurden uns bestätigt, wobei
allerdings der Name _Begova_ auch auf das weitere Gelände ringsum
bezogen wurde und ja weiter nichts bedeutet als der Besitz des Beg.

Die Rast bei der von Dr. _Gripp_ untersuchten Moräne war wenig
erfreulich; denn keiner von uns fand Deckung vor dem kalten Winde, der
durch das Tal fegte. So ritt ich bald mit Dr. _Gripp_ voraus, um zu
versuchen, rechtzeitig einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Der Ritt
führte über die zweite Moräne, dann links über einen Hang hinauf durch
den letzten Teil des Wannentals. Hier sahen wir an vielen Stellen die
Zeugen der Arbeit des Gletschereises in den gewaltigen Marmorblöcken,
die oft über 40 m über der Talsohle auf dem Gneis lagen.

Nun ging es hinab und auf eine weite Fläche hinaus, an deren
gegenüberliegendem Rand Nadelgehölz uns eine geeignete Lagerstätte
zu versprechen schien. Seit Tagen schien zum ersten Male wieder ein
Waldbestand uns zu winken. Die hohen Gipfel, vor allem die _Solunska_,
waren hier durch vorragende Berge der Kalkkette verdeckt; aber weit
die Vorberge hinauf sah man den Nadelholzbestand reichen, der der
Landschaft einen ganz anderen Charakter gab, als ihn die öden Wiesen-
und Steinregionen besaßen, die wir zu verlassen im Begriff waren.

Unsere Pferde griffen auf dem weichen Wiesenboden flott aus. Es war
eine noch magere Wiese, über welche wir ritten, man sah ihr an, daß der
Schnee noch nicht lange von ihr abgeschmolzen war. In munterem Ritt
ging es über eine weite, flache, von Bächen durchzogene Talebene, an
derem jenseitigen Rand neue Berge aufragten, an die im Südostwinkel die
hohen Berge sich anschlossen, die allmählich frei wurden und in einem
kühlen Nachmittagslicht vom trüben Himmel sich abhoben.

Wieder packte uns der Wind an und wir suchten wieder Winddeckung für
unser Lager, die wir schließlich am Südrand des Tales auf einem Felsen
fanden, hinter welchem dicht anschließend das Nadelholz anfing, zu
unserem Erstaunen Legföhren, _Latschen_, die mich höchst heimatlich
anmuteten.

Vor dem Felsen stand eine zeltförmige kleine Hütte aus Reisigholz; sie
wurde von unseren bulgarischen Soldaten und den Tragtierführern freudig
begrüßt. So winkte ihnen doch die Aussicht, einige Nächte unter Dach
zuzubringen, wenn dies Dach auch nicht übermäßig fest und dicht war.
Wir schlugen unsere Zelte etwas oberhalb der Hütte auf der Felsplatte
auf und bald rauchten die Lagerfeuer, so daß man hoffen durfte, vor der
Nacht durch warme Nahrung die durchfrorenen Körper etwas zu erholen.

Holz gab es genug in der Nähe, denn die ganzen Hänge waren von dem
Krummholz bedeckt, dessen dunkelgrüne Nadeln einen neuen erfreulichen
Farbton in die Landschaft brachten. Dicht bei unseren Zelten begannen
die Latschenbestände und zogen sich auf allen Hängen weit hinauf.
Es waren stattliche Büsche, oft fast baumartig emporragend. Mit
ihren liegenden Ästen und oft hervorragenden Wurzeln erschwerten
sie das Steigen sehr. Die Latschen hatten lange, weiche Nadeln von
dunkelblaugrüner Farbe. Die Bestände waren durch diese blaugrüne
Färbung außerordentlich charakteristisch und beherrschten durch diesen
Farbton vielfach die Stimmung der vorherrschend düsteren Landschaften
im Solunskagebiet. Es war +Pinus montana+ Mill., +Sbsp. mughus+ Scop.

In unserer Nähe war der Legföhrenbestand immerhin etwas gelichtet;
verbrannte Stellen zeigten uns, wie unvorsichtig und nachlässig die
Bevölkerung auch hier mit dem kostbaren Holz umgegangen war. Die kleine
Hütte war von Köhlern errichtet worden, welche offenbar regelmäßig
im Hochsommer einige Monate zum Kohlenbrennen hier verbringen. Im
Krummholzwald zeigten auf zahlreichen Lichtungen die Reste von
Kohlenmeilern, daß hier eifrig gearbeitet worden war. Aus manchen
Meilern konnten wir uns noch erhebliche Mengen Holzkohlen herausholen,
die unsere Feuer nachhaltig machten, und uns erlaubten, um sie herum
hockend, uns ordentlich anzuwärmen.

Während die Zelte aufgeschlagen und gekocht wurde, hatten wir
Naturforscher Zeit, uns an unserer neuen Arbeitsstätte umzusehen. Es
war eine großartige Landschaft, die sich um uns ausbreitete. Vor uns
lag eine weite, grasbewachsene Ebene, durch welche mehrere Bachläufe
sich verzweigten. Direkt unseren Zelten gegenüber, also nördlich von
ihnen, zog sich von West nach Ost eine Hügelkette hin, welche dem
Gneisgebiet angehörte und dies durch ihre graue Färbung erkennen
ließ. Sie setzte die Begrenzung des Wannentals fort, das gleichsam
durch eine Pforte sich in das weite Tal öffnete. Westlich zogen die
hellen Karstberge heran und grenzten mit ihren weißen Wänden das
Tal ab, sich fortsetzend in die stattlichen Gipfel der _Begova_ und
_Solunska_. Diese prachtvollen Berge erhoben sich steil etwas rechts
hinter unserem Lager; wir brauchten nur einige hundert Meter in die
Ebene hinauszuwandern, um einen grandiosen Anblick zu genießen. Von der
Abendsonne rosig überhaucht hoben sich die mächtigen Kalkhalden aus dem
dunklen Polster der Latschen, welche auf dieser Talseite überall hoch
die Hänge hinaufstiegen. Tiefe, blaue Schatten hoben die zerrissenen
Wände der beiden Kegel scharf hervor.

Der Blick nach Norden und Osten war weniger großartig; ziehende
Wolkenschwaden verhüllten meist die Aussicht. Immerhin war diese sehr
interessant. Der Grund des weiten Tals war wellig und zum Teil mit
Rasen bedeckt. Zahlreiche Rinnen durchzogen ihn, von Bächen und den von
allen Höhen niederrauschenden Schneeschmelzwässern gebildet. Auf den
ersten Blick mußte man an einen ausgetrockneten Seeboden denken, eine
Meinung, die tatsächlich von _Östreich_ ausgesprochen wurde. Das ganze
Tal gehörte dem Karstgebiet an und als interessante Karsterscheinung
konnten wir zwei von West und Nord zuströmende Bäche feststellen,
welche in der Mitte der Talebene beide gemeinsam plötzlich im Boden
verschwanden. Beide Bäche strömten hier in eine tiefe _Doline_; ihr
Wasser wurde vom Boden verschluckt, um irgendwo weit bergab aus einer
Felsspalte wieder zum Vorschein zu kommen.

Das Tal wies auch die Spuren einer einstigen _Vergletscherung_ auf.
Am Ostrande war es eng geschlossen und setzte sich in eine trockene
Schlucht fort, welche durch Moränen gesperrt war und an ihren Rändern
Marmorblöcke auf dem Gneis trug, die Verlauf und Mächtigkeit des
einstigen Gletschers anzeigten.

[Illustration: Abb. 200. Ziesel nahe seinem Loch (+Citillus citillus+
L.).]

Das Tal selbst gab zu allerhand Beobachtungen Anlaß. Die Präparatoren
waren eifrig auf der Vogeljagd, wobei interessante Arten, wie die
Ohrenlerche (+Chionophilos alpestris balcanicus+ Rchw.), erbeutet
wurden (Abb. 201). Im Talgrunde waren zwischen dem kurzen Rasen viele
Erdlöcher mit ausgeworfenem Sand zu beobachten, von denen viele von
_Zieseln_ bewohnt waren. Dieses fast hamstergroße Nagetier hatte ich
in Mazedonien schon oft beobachtet. Er ist ein reizvolles, putziges
Tierchen; oft sieht man es, wie ein Murmeltier aufgerichtet vor seinem
Erdloch sitzend und Männchen machen, um schnell wie der Wind sich in
die Tiefe zu stürzen, sobald es den Menschen bemerkt (Abb. 200).

[Illustration: Abb. 201. Ohrenlerche im mazedonischen Hochgebirge,
oben Männchen, unten Weibchen. (+Chionophilos alpestris balcanicus+
(Rchw.)).]

Einige Belegstücke wurden geschossen, um diesen eigenartigen Fundort
festzulegen. Es war auffallend, dies Steppentier in so großer
Meereshöhe (2000-2200 m) so zahlreich zu finden. In den Ebenen des
Wardar bei Hudova und Üsküb hatte ich immer nur einzelne gesehen, hier
waren hunderte von Löchern im Talboden und die Tiere ließen sich leicht
beobachten, da sie in dieser einsamen Gegend viel weniger scheu waren,
als im Tiefland. Die Weibchen waren hier gerade trächtig, also fast 6
Wochen später als im warmen Tiefland. Hier oben müssen sie auch einen
viel längeren Winterschlaf halten als unten. Auch die Nahrung mußte
bisher sehr mager gewesen sein, denn vor kurzem hatte der Schnee noch
das Tal gedeckt. So hatte das Tier hier auch wohl sicher noch keine
Vorräte eingetragen, bei welcher Tätigkeit ich es im Wardartal schon
viel früher im Jahre beobachtet hatte. Dort hatte ich den Ziesel große
Gras- und Heubüschel, größer als er selbst, im Mund im raschesten
Lauf einschleppen sehen. Hier auf dem Balkan scheint also der Ziesel
seine Vorräte nicht nur in den Backentaschen einzutragen, wie er
das in Rußland tun soll. Die bisherigen Untersuchungen ließen keine
Abweichungen von der typischen Form (+Citillus citillus+ L.) erkennen.

Ein _Iltis_, der rasch in einem der Bauten verschwand, konnte leider
nicht erbeutet werden.

Im Tal war eine Senke stark versumpft, zahlreiche größere und kleinere
Tümpel von geringer Tiefe waren da durch das Schmelzwasser des
Schnees entstanden; von ihnen waren einige im Austrocknen begriffen,
einige wenige schon ganz ausgetrocknet. In diesen Tümpeln und in
ihrer Umgebung fand sich eine reiche Tierwelt. Ich beobachtete
dort Laubfrösche, Unken, den großen Bachfrosch (+Rana ridibunda+
L.), im Wasser tummelten sich verschiedene Arten von Wasserkäfern
(+Gaurodytes+-Arten), Wasserwanzen und Käferfliegenlarven. Vor allem
aber wimmelten einzelne der Tümpel von ungeheueren Massen einer
+Euphyllopoden+-Art (+Chirocephalus diaphanus stagnalis+); zu vielen
Tausenden schwammen die rotgelben Krebschen in langsamer Bewegung
in dem kalten Wasser umher. Sie waren in allen Entwicklungsstadien
vertreten, auch erwachsene Männchen und Weibchen, welch letztere auch
schon reichlich Eier entwickelt zeigten. Die Dauereier dieser Tiere
sinken in den Schlamm, der den Boden der Tümpel bedeckt. Ist das Wasser
der Tümpel verdunstet, so trocknen die Krebseier mit dem Schlamm aus
und können Trockenheit und schwersten Frost überstehen. Füllt neues
Schmelzwasser die Tümpel von neuem, so schlüpfen junge Krebschen aus
den Eiern aus und erfüllen die entstehenden Gewässer mit neuem Leben.
Aus den frisch ausgetrockneten Tümpeln nahm ich Schlammproben mit,
um später in der Heimat im Laboratorium die +Chirocephalus+ zu neuem
Leben zu erwecken. Es war dieselbe +Branchiopoden+-Art, welche in den
Pepelakseen erst den Larvenzustand erreicht hatte.

Von +Chirocephalus diaphanus+ sind bisher zwei Rassen beschrieben
worden, eine größere und eine kleinere. Unser Fund gehört zur kleineren
Rasse, die bisher in Mazedonien noch nicht beobachtet war, während
die größere schon einmal im Wardartal gefunden wurde. Sie gilt als
eine Art subtropischen Ursprungs, eine Warmwasserform, welche ihr
Hauptverbreitungsgebiet im Norden Afrikas hat. Daß sie trotzdem starke
Temperaturschwankungen aushält, beweist unsere Beobachtung, daß das
Wasser der Tümpel im Begovatal nachmittags bis 22,4° C erreichte,
während morgens in der Frühe eine Eisdecke ihre Oberfläche überzog.
In den Tümpeln lebte außerdem ein Kopepode +Diaptomus tatricus+
Wierz., bei welchen die Männchen prachtvoll von Carotin rot gefärbt,
die Weibchen aber mit Ausnahme der roten Eier farblos waren. Auch diese
Art war neu für Mazedonien.

[Illustration: SOLUNSKA GIPFEL.]

Dem ereignisreichen Tag folgte eine bitterkalte Nacht. Morgens um
5 Uhr maß das Thermometer noch 2° unter Null. Die Zeltbahnen waren
dick bereift. Aber uns Bergwanderer grüßte ein wolkenloser Himmel
und machte uns den Entschluß leicht, an diesem Tag die Besteigung
der beiden Hochgipfel zu unternehmen. Wir stiegen die tiefe Mulde
hinan, welche sich vor _Begova_ und _Solunska_, wie die beiden Gipfel
nach den Aussagen der Einwohner hießen, ausbreitete. Wir hatten
Felsblöcke zu überklettern und -- wer Latschenwälder der Alpen kennt,
wird würdigen, wie schwer es war über die Wurzeln und Äste der sehr
stattlichen Legföhren hinwegzuklettern, um durch das Moränenfeld des
großen Kars zu gelangen, das sich hier vom Sattel zwischen beiden
Gipfeln zu uns erstreckte. Die oberen Mulden des Karhanges waren noch
mit ausgedehnten Schneefeldern erfüllt, von denen murmelnde Bäche
sich zu kurzem Lauf zwischen den Kalk- und Marmorblöcken des Hanges
entwickelten. Beim Aufstieg an die jenseitigen Hänge des Kars verließen
wir bald die Latschenzone und kamen in ein fast vegetationsloses
felsiges Gebiet. Der Anstieg war an dem kühlen Morgen nicht allzu
anstrengend. Die Höhendifferenz von unserem hochgelegenen Lagerplatz
bis zu den Gipfeln war ja nicht sehr beträchtlich. Dazu kam, wie in
allen von mir besuchten mazedonischen Gebirgen, mochten sie noch so
entlegen und einsam sein, das Vorhandensein von Pfaden, die allerdings
oft undeutlich waren, selbst verschwanden, um nach einigen hundert
Metern wieder erkennbar zu werden. Jetzt war die Gegend ja vollkommen
menschenleer; aber im Sommer wurde sie von zahlreichen Hirten mit ihren
Herden durchzogen, die alle Pässe überwandern. Auch mögen Schmuggler
und Flüchtlinge diese Pfade ausgetreten haben und noch vor kurzer Zeit
mochte manche Bande in diesem wüsten Gebirge Zuflucht gesucht und
gefunden haben.

Wir stiegen einen Berg hinan, der mit der _Begova_ durch einen offenbar
leicht zu überschreitenden Sattel verbunden war. Als wir höher kamen,
wurde der Pfad unerkennbar, wir hatten fest zu klettern über steile
Hänge und plattige Gesteine. Rückwärts hatten wir einen schönen Blick
in das weite Kar mit seinen Kalkfelsen und Marmortrümmern, zwischen
denen nach unten immer größere Inseln von Vegetation sichtbar wurden,
bis an den unteren Hängen der dunkle breite Gürtel des Latschenwaldes
sich ausbreitete. Über das Kar hinaus sahen wir die schwarzen
Felsengipfel des Pepelak mit ihren Schneebändern und östlich von ihm
den grünen Liseč.

An den Abhängen der Solunska gab es mancherlei typisch alpine
Pflanzen. So wuchsen an den Felsen polsterbildende Steinbrecharten
mit Blattrosetten, welche eine einheitliche wie ein Mosaik aussehende
Fläche bildeten. Die Arten sind noch nicht bestimmt (Abb. 202).

[Illustration: Abb. 202. +Saxifraga+ sp. Polsterbildender Steinbrech.]

Auch +Gentiana cruciata+ L. und die gelbe Akelei +Aquilegia aurea+
Janka wuchsen dort.

Am Rande eines Schneefelds wurden einige Schmetterlinge der Gattung
+Mnemosyne+ aus der Gruppe der Parnassier gefangen. Sie waren offenbar
auf dem Flug in die Hochregion begriffen, wie andere Schmetterlinge
aus den Gattungen +Vanessa+ und +Colias+, die mit uns im warmen
Sonnenschein gipfelwärts strebten, und die wir dann oben in großen
Flügen antrafen.

Überall mußten wir auf dem Weg kleine und große Dolinen umgehen. Wir
stiegen zuletzt auf den Westhang der Gipfelregion über kahle Kalkfelsen
hinan an einem tiefen Gesteinsspalt, der in eine von Schnee erfüllte
Höhle überging. Hier mußten Alpendohlen ihre Brutstätte haben; denn ein
großer Schwarm dieser blauschwarzen Vögel mit ihren roten Schnäbeln und
gelben Beinen flog lärmend aus der Felsspalte vor uns auf, vergeblich
beschossen von unseren ermüdeten Präparatoren (+Pyrrhocorax graculus+
L.).

Wir erstiegen nacheinander die beiden Gipfel der durch einen steilen
Grat getrennten Schwesterberge, der Begova und Solunska. Auf jeder der
Spitzen des Doppelkegels weilten wir längere Zeit und bestimmten die
Höhe des nördlichen Gipfels (Begova) mit 2420 m, den der südlichen
Solunska mit 2530 m.

Auf dem Gipfel der _Solunska_ blieben wir über Mittag im schönen
Sonnenschein; und während gemessen und photographiert wurde, konnte ich
einen Fernblick von wunderbarer Größe genießen. Von der Solunskaspitze
hat man einen Rundblick über das gesamte Mazedonien. Den Horizont
im Westen begrenzten der _Schardakh_ mit dem _Ljubotren_ und der
_Kobeliza_, südlich davon der mächtige Kegel des _Korab_ und die blauen
Ketten der albanischen Berge. Im Südwesten erkannte man die Kessel,
in denen der _Ochrida-_ und _Prespasee_ liegen mußten, daneben den
_Peristeri_. Darüber hinaus lag Dunst auf der Ebene von _Saloniki_, aus
dem noch einzelne Gipfel aufragten.

In der Mitte des Bildes dehnten sich, Kette hinter Kette, die
mazedonischen Mittelgebirge wie ein von Wellen bewegtes Meer. Direkt
südlich das Berg- und Talgewirre des _Babuna_gebietes, die von Bergen
umsäumte Ebene von _Prilep_; ja an deren Grenzen, die man so ferne
wähnte, wenn man der umständlichen Reise dorthin gedachte, erkannte
man deutlich die Kette der Granitberge, an deren Hang das Kloster
_Treskowač_ und die absteigende Kette bis zum _Varosberg_, jenseits der
Ebene die Berghalde, an der die Stadt _Krusewo_ liegt.

Mehr gegen Osten verfolgte man, ohne den Fluß selbst zu sehen, den
Verlauf des Wardar, das Felsenland von _Demirkapu_ und fern dahinter
die Gebirge der _Belasiza_, der _Dudica_ und _Mala Rupa_. Seltsam
deutlich tauchte im Osten die Ebene um _Stip_, in ihr diese Stadt
selbst auf, die sie umgebenden Felsenberge und die von _Veles_ zu ihr
führende Straße.

Ich genoß mit tiefem Empfinden des Glücksgefühls, welches über mich
kommt, wenn ich einer schönen, großzügigen Landschaft gegenüberstehe.
Wie ein wundervolles Kunstwerk liegt sie vor mir, erfüllt mich und
es kann wie ein Rausch über mich kommen. Nun sauge ich sie mit ihrer
ganzen Schönheit in mich hinein; sie tritt in mich ein, wird ein Teil
meiner Seele.

Dann beginnt es in mir zu schaffen; ich stehe all dieser Schönheit
der Welt nicht mehr passiv gegenüber. Ich bemächtige mich ihrer. Ich
rahme sie ein, sie wird zum Kunstwerk in mir, mit ihren Schatten und
Lichtern, ihren Massen, ihrem Duft, ihren Formen und Farben. So nehme
ich sie für alle Zeiten in mich auf, sie kann jeden Augenblick in
ihren großen Zügen und mit all ihren Einzelheiten vor mein inneres
Auge treten, so, wie ich sie in dem Augenblick des starken Eindrucks
erschuf. Und so zwingt sie mich, sie wieder neu zu erzeugen, in der in
mir geborenen Form, in Worten oder mit dem Pinsel.

[Illustration: Abb. 203. Gebirgsketten gesehen südwärts vom
Solunskagipfel.]

Das ganze mir bekannte Mazedonien lag im Glanze des Mittags vor
mir, mit seinen Bergen und Tälern, Flußläufen und Ebenen in allen
Einzelheiten deutlich durch die Klarheit des ersten schönen Tages
nach dem Regenwetter. Alle Erinnerungen an die Erlebnisse und an die
großen Natureindrücke, die ich in diesem weiten Gebiete genossen hatte,
lebten in meiner Seele auf. So wurde ich nicht satt, stundenlang in die
Ferne zu schauen und mit wohligen Gefühlen im warmen Sonnenschein zu
schwelgen.

Nicht minder reizvoll war die nähere Umgebung, die grellen Steinhalden
mit ihren blauen Schlagschatten, die Umrahmung durch die ausgedehnten
Latschenbestände und jenseits gegen Veles und das Wardartal die grünen,
bewaldeten, schöngeformten Berge, auf denen blaue Wolkenschatten
wanderten.

Nach der anderen Seite sah man in eine breite U-förmige Talung, welche
im Südwesten von sehr stattlichen Karstbergen begrenzt wurde; diese
stellen eine Fortsetzung der vom _Pepelak_ aus beobachteten Karstkette
dar.

Bereichert, in froher Stimmung trat ich den Abmarsch durch die
Latschenregion an, nachdem am Gipfel noch eine ganze Anzahl von
Schmetterlingen und Dipteren erbeutet worden waren, die sich hier ein
Stelldichein gegeben hatten, unter anderen +Hesperia malvae+ L. Von
Vögeln wurden in der Gipfelregion außer der Alpendohle die Steindrossel
(+Saxicola rubetra+ L.) und der Mauerläufer (+Tichodroma muraria+ L.)
beobachtet.

Auch in der _Latschenregion_ war das Insektenleben an dem warmen
Sonnentag erwacht, so daß der Marsch talwärts zum Lager bis zum Abend
sich hinzog. Auf dem Grasboden zwischen den Latschen bildeten Gruppen
eines schönen Enzians (+Gentiana verna+ var. +aestivalis+ R. u. Sch.)
leuchtend blaue Flecken. Auch sonst war eine reiche Alpenflora hier in
der Entwicklung begriffen. An den Felsen klebten die Polster mehrerer
Steinbrecharten, von denen eine von dekorativer Schönheit in der
Photographie der umstehenden Abbildung festgehalten ist (Abb. 202, S.
406). Es ist eine der typischen polsterbildenden alpinen Arten. Große
Begeisterung erregte bei unserm Botaniker der erstmalige Fund der
_Alpenbärentraube_ +Arctostaphylos uva ursi+ Sprg. im mazedonischen
Gebirge.

Im Sumpftal und im Latschengebiet wurden interessante Käfer gefangen,
darunter ein zierlicher Dorcadion, silbergrau gefärbt mit schwarzen
Flecken, wohl eine neue Art und der Rüsselkäfer +Cleonus albicans+
Schm. Am Sumpf flog der Bläuling +Callophrys rubi+ L., während weiter
oben in den Felsen der Spanner +Larentia turbata+ Hb. gefangen wurde.

Am Nachmittag des nächsten Tages (26. Juni) brachen wir unser Lager
in dem schönen, latschenumrahmten Begovatal ab, um noch in einer
tieferen Region vor dem Rückmarsch eine Station zu machen. Es ging
steil das Abflußtal hinab, in welches früher der Gletscher noch ein
Stück hineingereicht hatte. Wir traten nun wieder in das Gneißgebiet
ein. Hier bildete sich im Talgrund ein plätschernder Bach, der uns
beim steilen Abritt begleitete, dabei sich immer mehr vergrößernd und
verstärkend.

Im Anfang des Gneißtales war eine Talmulde reich mit Brennesseln und
Disteln bewachsen. Nach den Erfahrungen in den Alpen war dies ein
sicheres Anzeichen, daß hier früher einmal eine menschliche Siedelung
gewesen sein mußte. Von einer solchen war aber keine Spur mehr zu
entdecken, was bei der primitiven Bauart der Sommerwohnungen, welche
die Bewohner des Gebirges hierzulande nur für die gute Jahreszeit zu
errichten pflegen, nicht verwunderlich war.

In dem steilen Tal mit seinem reichen Pflanzenwuchs flogen viele
Insekten. Wir fanden eine schöne große Art des Parnassiers +Mnemosyne+,
von dem wir ja Ausflüglern am Solunskahang begegnet waren. Arten von
Argynnis, Erebia (+E. medusa+ F.), Geometriden und Arctien nebst Bienen
und Wespen gab es in zahlreichen Formen.

Allmählich verschwanden die Latschen; an ihre Stelle trat
Buchengestrüpp, das allmählich höher wurde. Gegen Abend langten wir in
flottem Trab auf einem grünen Wiesenhügel an, der an seinem unteren
Rand von einem prachtvollen Buchenhochwald abgegrenzt wurde. Unsere
Pferde wieherten fröhlich, als sie das frische grüne Gras der Matte
sahen; ihnen war es ja oben in den Bergen in der Vorfrühlingszone nicht
allzu gut ergangen. Hier war in einer Meereshöhe von 1620 m ein sehr
geeigneter Lagerplatz für uns gefunden. Ein Bach plätscherte in der
Nähe und noch dazu wurde eine Almhütte entdeckt mit großen Hürden für
Schafherden, die schon bewohnt war. Das erschien eine gute Gelegenheit
unsere Verpflegung zu verbessern. So wurden denn rasch die Pferde
abgesattelt, die Zelte aufgeschlagen und die Lagerfeuer angezündet. Man
freute sich allgemein auf etwas mehr Behagen und wärmere Nächte, als
wir sie in der Hochregion gehabt hatten.

Die Almhütte, eine _Mandra_, wie man sie hier wie überall, wo Türken
regiert haben, benennt, war eine primitive, aber ziemlich große
Reisighütte, in der eine ganze Anzahl Hirten hausten mit einer großen
Schafherde von mehreren hundert Köpfen. Es waren nur Männer und einige
Knaben hier oben, Albaner, Türken und Aromunen friedlich beieinander,
ein Bild des Völkergemisches Mazedoniens. Der Obersenn, ein Aromune,
begrüßte mich sehr freundlich, als ich ihn mit meinem Dolmetscher
aufsuchte. Er versprach uns Milch und Käse zu liefern und erzählte
manches Interessante. Er berichtete, daß Rehe und Hirsche im Gebiet
vollkommen fehlten, während in den Wäldern Wildschweine nicht selten
seien. In der Hochregion kämen aber Gemsen vor. Ganz sicher scheint mir
letzteres nicht, wenn es auch sehr wohl möglich ist. Es ist jedenfalls
sehr auffallend, daß wir keine Gemsen bei unseren einsamen Streifzügen
in der Hochregion beobachtet haben. Immerhin ist ja möglich, daß sie
sehr selten sind, da ihnen jedenfalls von den Albanern, die geschickte
Jäger sind, viel nachgestellt wird.

Vor allem sprach er von den _Wölfen_, die seinen Herden nachstellten,
was ich ihm gern glaubte, nachdem ich am Pepelak schon einen
prachtvollen alten Wolf erbeutet hatte. Ich ging denn auch nachts auf
den Anstand, aber ohne Erfolg. Es war eine helle Mondnacht, in der der
Obersenn mich zum angeblichen Wechsel der Wölfe oberhalb des Waldes
ins Latschendickicht führte. Ich saß lauernd in den Latschen am Rand
einer kleinen Wiese, in deren Mitte er ein Böckchen als Lockmittel
angepflockt hatte, während der fast volle Mond rot über dem Berg
aufging.

Es war wundervoll am mondüberglänzten Berghang zu sitzen, auf den
die dunklen Latschen schwarze Schatten warfen; zwischen ihnen ragten
phantastisch geformte riesige Felsblöcke in die Höhe. Ein leichter
Wind bewegte die Büsche und trug das Rauschen des Waldes herauf. Ich
hörte Grillen zirpen, hier und da die leise Stimme eines Vogels. Aber
die Wölfe kamen nicht, ich hörte sie tief unten im Tale heulen, wo die
Hunde der Hirten ihnen wütend antworteten. Und als das Böckchen sich
auf die Wiese zum Schlafen gelegt hatte und keine Lust mehr zeigte,
die Wölfe durch sein Blöken anzulocken und auch mein Führer in seinem
Busch ein mörderisches Schnarchen anhob, nahm ich an, daß auch er kein
großes Zutrauen auf das Erscheinen der Wölfe habe. Ich entschloß mich,
lieber nach dem ermüdenden Tag zu meinem Zelt zurückzukehren. Es war
ein wundervoller Weg bergab durch den Buchenwald, durch dessen mächtige
Stämme das Licht des Vollmondes fiel. Ich war aber doch froh, als
ich auf der silbern überglänzten Matte zu meinem Zelte gelangte und
zwischen 1 und 2 Uhr nachts in einen erquickenden Schlummer fiel.

Die nächsten Tage dienten der Erforschung der Waldregion, welche
manches schöne Ergebnis brachte. Von der Mandra führte ein ganz
kurzer Pfad durch den Wald aufwärts bis zur Waldgrenze, die hier
hochstämmig an die Matten, die von Latschengruppen bestanden waren,
stieß. Den Weg kreuzten viele Waldbäche, von üppiger Pflanzenwelt, vor
allem Doldenpflanzen, umrahmt. Der Wald bestand aus hochstämmigen,
schönen blanken Buchen. Man hätte glauben können, in einem deutschen
Walde zu wandern, hätte er nicht so viele Spuren einer barbarischen
Behandlung gezeigt. Es war ein trauriger Eindruck, zu bemerken, wie
die Bevölkerung hier so gar kein Verständnis dafür hat, den Wald zu
hegen und zu pflegen, der für seine Wohlfahrt so wichtig wäre. Wo hier
Wald ist, wird ein planloser Raubbau getrieben, niemals planmäßige
Ausnützung. Hier verdankte der alte stattliche Wald sein Leben nur dem
Umstand, daß der Abtransport des Holzes zu beschwerlich und kostspielig
ist, sonst wäre er längst verschwunden.

In der Nähe des Pfades war grausam in ihm gehaust worden. Zahlreiche
gefällte Stämme faulten unbenutzt am Boden. Ihnen waren nur die
Äste abgeschnitten, die zum Feuermachen geeignet waren. Die meisten
stattlichen Stämme waren in der Mitte abgehauen, was einen traurigen
Eindruck machte.

Für mich war es reizvoller, tief in den unverletzten Wald einzudringen
und die Vogelwelt zu beobachten, die sehr reich war und vollkommen
an die unseres Buchenwaldes erinnerte. Spechte, vor allem der
Mittelspecht und der Liljefordspecht, viele Meisen, am zahlreichsten
die Nonnenmeise, Amsel, Misteldrossel, Singdrossel, Rotkehlchen,
Baumläufer, Kleiber und Häher belebten die hohen Hallen des schattigen
Waldes.

Vor allem reizvoll war die Grenzregion gegen das Latschengebiet, wo
zahlreiche rasenbedeckte Blößen sich am Waldrand einfügten. Hier war in
etwa 1700 m Meereshöhe ein außerordentlich reiches Insektenleben.

Auf den Blößen ragten große, seltsam gestaltete Felsblöcke empor, deren
einen wir wegen seines pompösen, denkmalähnlichen Aussehens in unseren
Gesprächen den Hindenburgfelsen nannten. Vor dem dunklen Hintergrund
der Latschen wuchsen auf den Wiesen schneeweiße Blattrosetten einer
für das Hochgebirge typischen _Königskerze_. Es war +Verbascum
longifolium+ Ten. Wie zarter weißer Samt sahen die Blätter aus, die
sich auch wie solcher anfaßten. Etwas abwärts am Waldrand flogen
große Schwärme von Schmetterlingen über den Blumen der Waldwiese. Da
war die eigentliche Flugstätte der schönen +Mnemosyne+, die wir in
den höheren Regionen nur spärlich angetroffen hatten. Hier gab es
schöne +Argynnus+-Arten, dunkle Geometriden, bunte Bärenspinner, viele
Hummeln; solitäre Bienen in großen Massen umschwärmten die Blumen,
dazu summten mit ihnen um die Wette +Bombyliden+ und andere große
bunte Fliegen. Unter den Steinen fanden sich interessante Käferarten,
auf den Felsen liefen Sandlaufkäfer herum. Von den Bienen möchte ich
+Andrena dubitata+ Schenck und die neuentdeckte +Osmia bulgarica+
Friese erwähnen. Sehr reichlich waren die Hummeln vertreten, von denen
wir allein in dieser Region neun Arten fingen, vor allem Gebirgsformen
(vgl. Anmerkungen zu diesem Kapitel).

[Illustration: Abb. 204. Wollige Königskerze zwischen Latschen.
(+Verbascum longifolium+ Ten. zwischen +Pinus montana+ Mill. subsp.
+mughus+ Scop.) Golesniza Planina 1800 m. 27. Juni 1918.]

Durch die Luft zogen Raubvögel, Sperber, Bussarde, Weihen, Habichte
ihre Kreise. Adler fehlten nicht. Ein schöner Kaiseradler ließ sich auf
einem dürren Baume nieder, ließ aber leider keinen zum Schuß nahe genug
heran.

Durch die verschiedenen Streifzüge der Mitglieder der Expedition
wurde die Eigenart der Bergregion in der Meereshöhe von 1500-1800 m
ziemlich eingehend erforscht. Unterhalb der Latschenzone zogen sich
hier am Abhang von Begova und Pepelak hochstämmige Buchenwälder,
zum Teil abwechselnd mit Weißtannen hin. Zwischen diesen breiteten
sich weite Grasmatten aus. An steilen Talhängen traten oft nackte
Gneißfelsen in weiter Ausdehnung auf. Den gleichen Charakter besaßen
die anschließenden Berge von gleicher Höhe, so der Liseč und die
Bergketten, welche sich zwischen dem Gesamtstock der Golesniza und dem
Wardartal in der Gegend von Veles hinzogen.

[Illustration: Abb. 205. Schafherde auf Matte unterhalb der
Latschenzone.]

Die großen Grasflächen dienten als Viehweiden, in dieser Höhe
vorwiegend für Schafe, von denen Herden von vielen Hunderten bis
Tausenden beobachtet wurden. Die Hirten versorgten uns auch reichlich
mit Butter, Käse und Milch, was alles von den Schafen stammte. Abends
wurden die Schafe zum Melken in die Sennhütten getrieben. Sie wurden
in Hürden gejagt, von denen sie einzeln durch einen schmalen Durchgang
zu den fünf Melkern gelangten, deren jeder ein Schaf mit grober Hand
erfaßte und schief über ein Gestell von Brettern und Latten stellte,
daß es nicht davonlaufen konnte. Dann wurde die wenige Milch, die
ein Schaf liefert, mit drei bis sechs energischen Melkzügen am Euter
in Holzeimer gespritzt, worauf sofort ein neues Schaf an die Reihe
kam. Der ganze Betrieb war auffallend gut organisiert. Jugendliche
Albanerknaben brachten immer rasch frische Schafe heran und nahmen die
gemolkenen Tiere weg, die dann stumpf und ruhig, mit gesenkten Köpfen
in der Hürde standen, ehe sie wieder auf die Weide gelassen wurden.
So vollzog sich die Arbeit auffallend rasch und planmäßig, nicht ohne
Geschrei der Leute und ein wildes Gebelle der vielen großen Hunde,
welche zum Hüten der Herden dienten. Es waren schöne große Hunde, vom
Typus der Schäferhunde mit zottigem Fell, die hier benutzt wurden.
Meist werden sie von ihrem Herrn sehr schlecht behandelt, sind daher
bissig, feig und für den einsamen Wanderer nicht ungefährlich. An
ihren Herrn sollen sie sehr anhänglich sein, sie machen überhaupt den
Eindruck einer vorzüglichen Rasse.

[Illustration: Dr. _Gripp_ phot. Abb. 206. Die Hirten in der Mandra
Sribatschan.]

In der Mandra dampfte die Milch in großen Töpfen, in denen sie zu dem
vorzüglichen Kiselo Mleko, der Sauermilch, dem Yogurth zubereitet
wurde. Es wurde auch gebuttert und Käse hergestellt. Die Produkte
wurden von hier mit Lasttieren in etwa einem Tagesmarsch nach Veles
gebracht.

[Illustration: Abb. 207. Bauern in Kiselawoda beim Schafmelken.]

Der Rückmarsch, nach Abbruch des Lagers, führte uns am Nachmittag
des 28. Juni durch Buchenwälder und malerische Schluchten über den
Kamm, welcher das _Begovamassiv_ mit dem _Liseč_ verbindet. Unsere
Absicht, letzteren noch zu besteigen, mußten wir aufgeben, da wir die
Entfernungen unterschätzt hatten. Der Proviant für die Mannschaften
ging auf die Neige, ebenso der Hafer für die Pferde. Auch waren am
letzten Abend Abgesandte der bulgarischen Opcinabehörden in der Mandra
angelangt, welche Einspruch erhoben, daß den Bundesgenossen in der
Sennerei deren Produkte verkauft wurden. Da wir unsere wesentlichen
Ziele erreicht hatten, beschloß ich auf dem Paß nach Südosten den
Abstieg anzutreten und am nächsten Tage Üsküb wieder zu erreichen.

Im Walde wurden noch zahlreiche Schnecken gesammelt, Nacktschnecken
und Clausilien. Die Waldbäche beherbergten auch eine reiche Fauna,
vor allem Larven von Trichopteren und Perliden, deren Imagines auch
vielfach herumflogen, viel gejagt von der häufigen +Lacerta muralis+,
der Mauereidechse. Im Wasser der Bäche fanden sich zahlreiche Larven
des gefleckten Salamanders (+Salamandra maculosa+), der sich also
hier in einer Höhe von 1800 m fast genau zur selben Zeit fortpflanzt
wie in Deutschland. Von den zahlreichen Wasserwanzen seien +Velia
rivulorum+, +Limnotrechus lateralis+ var. +costae+, +Notonecta glauca+
var. +furcata+ und eine +Corixa+-Art erwähnt. Auch die Alpenplanarie
(+Planaria alpina+) fehlte diesen Bergbächen nicht, wie denn dies
Eiszeitrelikt in den mazedonischen Bächen eine regelmäßige Erscheinung
ist.

Während wir jenseits des Lisečkammes abstiegen, kamen wir durch
malerische Waldgruppen und weite Wiesenflächen. Auf letzteren weideten
große Viehherden, als wir etwa auf 1000 m Höhe herabgekommen waren,
mehrten sich die Herden von Rindern und Pferden. Trotzdem begegneten
wir wenig Menschen und diese waren ausschließlich Türken und Albaner.

Der Charakter der Landschaft änderte sich, je tiefer wir herabritten.
Es war ein Gebiet von großer eigenartiger Schönheit. Gruppen mächtiger
Bäume, zum Teil von riesigen Ausmaßen, wechselten mit Buschwerk
und grünen Wiesen. Auf weiten Flächen standen wieder die schlanken
Asphodelos (+Asphodelus albus+ Willd. und +Asphodelina lutea+
Reichenb.), die hier jetzt schon am Verblühen waren. Große Bestände von
Farnen bedeckten den Waldboden.

Es war geradezu eine Parklandschaft, in der meist alte Buchen,
dazwischen Eichen, Eschen und Ulmen in schönen Gruppen die Ausblicke
umrahmten, die wir zunächst auf das verlassene Gebirge genossen.
Bald aber öffnete sich vor uns der Blick in das Tal der _Kadina
Reka_. Dies Flüßchen strömte raschen Laufes durch ein enges, auf
den Hängen bewaldetes Tal. Der Talgrund war grün von Wiesen und
Feldern, zwischen denen vereinzelte, sehr sauber aussehende türkische
Bauernhäuser standen. Ein Dorf konnten wir aber in der ganzen Gegend
nicht wahrnehmen. Über dem Kadinatal erhoben sich jetzt im Glanz der
Nachmittagssonne die vom Wardartal so wohlbekannten stattlichen Gipfel
von _Kitka_ und _Ostri_.

Rasch ritt jetzt die Karawane den Hang hinab zum Ufer der Kadina
Reka; am Einfluß eines stattlichen Nebenbaches schlugen wir auf einer
üppigen Wiese unser letztes Lager auf. Der Nachmittag wurde noch zu
Beobachtungen und Sammlungen ausgiebig ausgenutzt. Das Kadinatal ist
eine üppige Gegend, voll interessanter Pflanzen und Tiere, so daß
Zoologen und Botaniker noch reichlich Beute machten, während für den
Geologen hier weniger zu suchen war.

_Wasserstare_ flogen über das rauschende Wasser der Kadina; die Wiesen
am Ufer waren von einer bunten Blütenpracht bedeckt; die Ochsenzunge
(+Anchusa hybrida+ Tem.) spielte da eine große Rolle. Die Berghänge
waren von Buchenbüschen dicht bestanden, zwischen denen Weißdorn und
andere Dornbüsche vorkamen. Am Fluß erhoben sich stattliche Ulmen,
Weiden und andere Bäume. Im Grase hüpften zahllose Heuschrecken und
über den Wiesenblumen schwangen sich im stolzen Flug Perlmutterfalter,
während dunkle Erebien und Bläulinge in Menge auf den Blüten saßen.
Als die Zeltbahnen ausgelegt und die Zelte aufgestellt wurden,
sammelten sich unter ihnen viele Laufkäfer einer großen, schönen Art.
Um die Zelte flogen „Landlibellen‟, Vertreter einer buntgefärbten
Ameisenlöwenart aus der Gattung +Ascalaphus+.

Hier brauchten wir nachts im Zelt nicht mehr zu frieren; wir waren
bis auf 870 m herabgestiegen und näherten uns wieder dem Gebiet des
Sommers. Unsere Pferde genossen die üppige Weide und meine Mannschaften
waren sichtlich froh, daß mit dem Proviant nicht mehr gespart zu werden
brauchte. Mit leichter bepackten Pferden erfolgte am Morgen des 29.
Juni der Abmarsch, zunächst die Kadina abwärts, auf dicht umbuschten,
etwas halsbrecherischen Pfaden über dem Fluß, der wieder durch einen
Engpaß brach. Ehe die Kadina in scharfem Winkel nach Osten zum Wardar
abbog, verließen wir ihr Tal und erklommen auf steilem Pfad einen Paß,
der in der bisherigen Richtung des Flußlaufes fast gerade nach Süden
über einen Kamm führte, der vom Ostri bis hier herüber reichte.

Es war eine anständige Leistung nicht nur unserer mazedonischen
Tragtiere, sondern vor allem unserer deutschen und rumänischen
Reitpferde, uns diese steile Paßstraße hinaufzutragen. Im eigentlichen
Europa hätte man sein Pferd am Zügel hinaufgeführt. Hier hatten sich
unsere deutschen Pferde so an die Erfordernisse der mazedonischen
Gebirge gewöhnt, daß sie freiwillig ein flottes Tempo anschlugen und
mit sicherem Schritt alle Schwierigkeiten des Pfades, der oft wie eine
steile Treppe den Berg hinaufführte, überwanden.

Oben auf dem ganz schmalen Paß empfing uns eine bulgarische, aus
Albanern gebildete Wache, welche den Übergang beaufsichtigte. Wir
wurden von der bunten, verlumpten Gesellschaft, die einer irregulären
Bande angehörte, freundlich aufgenommen und rasteten da oben eine kurze
Weile neben den Reisighütten und Lagerfeuern der wilden Kerle.

Dann ritten wir sehr steil einen Hang hinab, der durch ein ziemlich
breites Tal an den Hängen des Ostri entlang, unterhalb des Dorfes
_Paligrad_ nach Crvenavoda führt. Die Wand des Bergs, an dem wir
entlang ritten, fiel steil in ein schon recht trockenes, felsiges Tal
ab. Die Pflanzenwelt des Gebirges hatten wir schon verlassen; die
Vegetation wurde allmählich wieder mazedonisch; zwischen trockenem,
rotgelbem Boden erhoben sich niedrige Büsche. Es eröffneten sich vor
uns schöne Ausblicke in die Hügel- und Bergketten der Brazda und
Rudina Planina. Vor dem Dorf Crvenavoda (Rotwasser) kamen wir an zwei
kreisrunden, flachen Becken vorbei, welche wie Pfannen im lehmigen
Boden eingesenkt waren. In der Mitte jeder Pfanne strudelte ein Strom
perlenden Wassers hervor. Es waren Mineralquellen, welche offenbar,
nach den roten Niederschlägen zu schließen, Eisen und unzweifelhaft
Schwefel enthielten. Die Luft ringsumher war von starkem Schwefelduft
erfüllt.

Ohne uns lange aufzuhalten, setzten wir unseren Ritt steil bergab fort
und stiegen nun bald in das Gebiet des altbekannten Markovatales ab.
Nun wurde es allmählich wieder gehörig warm, der Himmel war wolkenlos
und die mazedonische Sonne brannte unbarmherzig auf uns herab. Die
warmen Hüllen, Decken und Mäntel, die oben in den Bergen so notwendig
gewesen waren, hatten wir längst auf den Tragtieren verladen.

Vor uns dehnte sich die breite Mulde des unteren Markovatales aus,
das wir jetzt von seiner Nordseite ganz im Unterlauf des Baches, nahe
seiner Mündung in den Wardar durchqueren wollten. Wieder hatten wir die
vom Wasser zerrissene und modellierte Landschaft eines mazedonischen
Flußtales vor uns. Von allen Seiten sah man tiefe, steile Schluchten
die Berge und Hügel hinab dem Bach zustreben, dem durch sie alle
Gewässer des Gebietes zugeführt wurden. Mehr und mehr machte sich die
Trockenheit des Gebietes auf den Hügelpfaden und auf den Halden, die
wir hinabritten, geltend. Die Pflanzenwelt wurde immer geringer; die
Kulturpflanzen der Äcker, die Hecken überwogen. Menschen und Pferde
wurden durstig und begannen sich nach Wasser und Schatten zu sehnen.

So strebten wir an dem türkischen Ort _Kolicane_ vorbei einem in einem
Ulmenhain gelegenen malerischen türkischen Friedhof zu, in welchem der
Schatten der Bäume uns anlockte. Aber leider gab es dort in der ganzen
Gegend kein Wasser.

So ritten wir denn lieber nach Kolicane zurück, einem am Bergabhang
malerisch gelegenen Städtchen, an dessen Rand sich auch ein Ulmenhain
mit Resten eines alten Friedhofes befand. Dort fanden wir, wie
vorauszusehen, Wasser für die Pferde und schönen Schatten. Hier hielten
wir Mittagsrast und kochten ab, umringt von den türkischen Einwohnern
des Ortes, deren Knaben uns bereitwilligst Wasser heranschleppten.

Trotz aller Müdigkeit wurde auch hier noch beobachtet und gesammelt. Im
Hain standen zahlreiche fast meterhohe Büsche von zwei gelbblühenden
Korbblütlern, Alantarten, nämlich +Inula hirta+ L. und +I. salicina+
L. Unser Botaniker, Prof. _Bornmüller_, prophezeite, daß da auch der
Bastart zwischen beiden wachsen müsse; und richtig, kaum 5 Minuten
suchte er, so hatte er ihn in zahlreichen Exemplaren gefunden.

Nachmittags ritten wir über einen Höhenrücken in die weite
Mündungsebene des Markovabaches, dann am Wardar entlang auf guter
Landstraße auf Üsküb zu. Wieder ragte vor uns der Wodno mit seinen
im Abendschein scharf hervorstechenden Rinnen und Kanten auf. Wir
überblickten den Weg, den wir vor 10 Tagen bergwärts zurückgelegt
hatten.

Auf der Straße mußten wir einen schlanken Trab anschlagen, denn ein
nahendes Gewitter zog am Berg entlang. Der Wind wirbelte bereits
ungeheure Staub- und Sandwolken auf. Kurz vor der Stadt Üsküb faßte
uns noch das Gewitter und so ritten wir in strömendem Regen in guter
Ordnung in die Stadt ein. Am Abmarschplatz löste sich die Karawane
auf. Ich führte noch die Pferde und Mannschaften über die Wardarbrücke
durch die ganze Stadt zum Zitadellenberg, wo Pferde und Leute im
Heerespferdedepot vollzählig und wohlbehalten wieder abgeliefert wurden.

Dann rückte ich persönlich mit meinem braven Burschen in mein
nahegelegenes Quartier bei den bulgarischen Freunden wieder ein, müde
und hungrig nach den anstrengenden Tagen.

Nach einem erfrischenden heißen Bad saß ich abends behaglich bei meinen
Freunden und erzählte befriedigt von den wundervollen Natureindrücken
und den interessanten wissenschaftlichen Beobachtungen, welche dieses
schöne Stück Mazedoniens mir beschert hatte.



SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

STIP UND DAS OVČE POLJE


In Mazedonien gibt es auch echte _Steppe_, und zwar Grassteppe. Nie
allerdings erreicht sie eine sehr große Ausdehnung und immer wieder
schwanken ihre Grenzen, indem das Kulturland bald in ihr Gebiet
vordringt, bald vor ihr zurückweicht. Glich im heißen Spätsommer 1917
schon ein großer Teil Südmazedoniens einer Steppe, so war das mit der
Hochebene bei _Stip_ in noch viel höherem Grade der Fall. Ich habe sie
nur flüchtig kennen gelernt, doch will ich ihrer Eigenart eine kurze
Darstellung widmen.

Von Veles steigt eine prächtige Landstraße am linken Wardarufer in
einigen eleganten Kurven auf die Hochebene hinauf, um auf ihr fast eben
zu verlaufen. Sie führt in einem flachen Bogen direkt ostwärts nach der
Stadt _Stip_ und von da über Radovista und Strumiza weiter. Sie wurde
noch in türkischer Zeit von französischen Ingenieuren ganz vorzüglich
gebaut.

Ist man den Talhang des Wardar hinauf gelangt, so dehnt sich weit nach
Osten vor einem die Hochebene und verschwimmt in der Ferne in blauem
Dunst. Sie ist in der Hauptsache flach und am 30. August war sie von
graugelbem dürrem Gras bedeckt. In der Ferne erhoben sich einzelne
steilumrissene Bergblöcke, Granitlakkolithe zu einer Höhe von etwa
450 m und damit etwa 250 m über der Hochfläche. Ein solcher Felsenberg
oder vielmehr eine Gruppe von solchen bildet das Skelett der Stadt
_Stip_.

_Stip_, auch _Istib_ genannt, eine malerische Stadt, an der
_Bregalniza_ gelegen, ist die Hauptstadt des Gebietes, welches _Ovče
Polje_, das _Schafsfeld_, genannt wird. Die Bregalniza kommt von
Nordosten und strömt noch etwa 6 Kilometer über Stip in dieser Richtung
weiter; dann biegt sie nach Einmündung der Lakaviza in rechtem Winkel
nach Nordwesten ab, um nach 12 Kilometern eine ebenso energische,
rechtwinkelige Umbiegung in ihrer früheren Richtung zu machen, um ihrer
Mündung in den Wardar, kaum 6 Kilometer oberhalb Gradsko, zuzustreben.
Im Oberlauf durchströmt die Bregalniza ein weites Sumpfgebiet bei
Koschana, welches durch seine Reisfelder berühmt ist.

Es war Steppe mit ihrer ganzen Öde und ihrem ganzen Reiz, die ich hier
durchfuhr. Im Anfang kamen wir noch durch abgeerntete Getreidefelder,
Weinberge, Melonenfelder und weite Grasflächen, zwischen denen
wesentlich von Türken bewohnte, ärmliche, halbzerstörte Dörfer lagen.
Hier hatten die Balkankriege gehaust. An der Straße lag ein großes
bulgarisches Militärmagazin, in dem ein gut Teil der Ernte des Gebietes
zusammengeschleppt war. Wichtig war dies Stück Steppe offenbar den
verbündeten Heeren für die Beschaffung von Heu. Wie Kirchen oder
Paläste groß und hoch erhoben sich Haufen von Stroh und Heu in der
Ebene, die oft 100 m lang und 20-30 m breit sein mochten. Lange Züge
von heu- und strohbeladenen Wagen, bespannt mit Ochsen oder Büffeln,
begegneten uns auf der Straße auf ihrer Fahrt nach dem Wardartal.

Auf der Fahrt fielen mir Anzeichen des Aufschwunges, des
Unternehmungsgeistes im Land auf. Einige türkische Landbesitzer hatten,
was hier in der weiten Ebene sicher rationell war, Dampfpflüge und
andere landwirtschaftliche Maschinen genossenschaftlich angeschafft und
einen Großbetrieb eröffnet, der offenbar schon seine Früchte getragen
hatte.

Hier war alles auf große Maßstäbe angelegt. Das galt auch von der
sehr charakteristischen Tierwelt, die hier zu beobachten war. Sie war
hauptsächlich durch Heuschrecken vertreten, welche zu vielen Tausenden
im Gras hüpften und fraßen und deren Zirpen die Luft mit einem
mächtigen Gebrause erfüllte. Es waren viele Arten von allen möglichen
Färbungen und Größen. Die einen gelb, die anderen grün; hellbraune,
rotbraune, dunkelbraune bis schwarze gab es, andere waren grau, wieder
andere zeigten Flecken verschiedener Farben. Manche schwirrten mit
geräuschvollem Flug in die Höhe und entfalteten dabei rote, blaue,
gelbe, schwarzgefleckte Hinterflügel. Andere krochen still und
geräuschlos am Boden zwischen den Gräsern dahin.

Unter ihnen spielte eine kleine, gelbe Form von Gespensterheuschrecken
(+Ameles decolor+ Charp.) eine große Rolle; sie fingen Bläulinge und
andere kleine Schmetterlinge. Die großen Arten der Heuschrecken hielten
sich vorwiegend an die Pflanzen. Da gab es bis zu 10 cm lange, den
Wanderheuschrecken ähnliche Formen. Ganz seltsam in der Gestalt waren
die +Saga+-Arten, welche bald grün, bald gelbbraun gefärbt waren.

Daß Käfer, Tausendfüßler, Skorpione nicht fehlten, braucht kaum
hervorgehoben zu werden. Dazu kamen eigenartige Spinnen, von denen,
der Insektenmenge entsprechend, einzelne Arten in sehr viel Individuen
auftraten.

So war die Silberspinne (+Argiope lobata+ Pallas) und ihre schwarzgelb
gefärbte nahe Verwandte (+A. brunichii+ Scop.) hier sehr häufig.
Hier war schon das Nahen des Herbstes zu bemerken; denn die Weibchen
waren eifrig beim Verfertigen von Eikokons, die schneeweiße Gewölbe
darstellten, die mit Zipfeln am Gras und an Steinen angeklebt wurden.
Auch andere Spinnen waren bei dieser Tätigkeit, so die eigenartige
+Lathrodectus tredecimguttatus+ (Rossi), welche ihre kugeligen, fein
gebauten Kokons meist unter Steinen unterbringt; hier hatten eine ganze
Anzahl Weibchen sich einen gebleichten Pferdeschädel als geeigneten
Schlupfwinkel ausgesucht, dessen Hirnhöhle 20-30 der zarten Kugeln
enthielt.

Aufregung brachte den beiden mich begleitenden Jägern, dem
unverwüstlichen Hauptmann _Jungmann_ und seinem treuen Begleiter
Leutnant _Slevogt_ ein großer Flug _Zwergtrappen_, der einige
hundert Meter von uns einfiel. Das ist ein Charaktervogel dieses
steppenähnlichen Gebietes. Ich fand die Zwergtrappe (+Otis tetrax
orientalis+ Hartl.) in Mazedonien stets, wenn ich auf weite Ebenen kam,
so in den Gerstenfeldern bei Krivolac, im Ackerland oberhalb Üsküb.

[Illustration: Abb. 208. Kokons der Spinne +Lathrodectus
tredecimguttatus+ (Rossi). Verkl. ⅔.]

Es war ein reizvoller Anblick, die großen Vögel auffliegen zu sehen,
wobei jedesmal die helle Unterseite und die weißen Armschwingen
aufblitzten. Wenn sie sich niederließen und gravitätisch durch das Gras
wateten, erkannte man beim Männchen den schwarzen Hals mit der Krause,
die zwei dunkeln Querbinden auf dem Schwanz. Es war jedesmal eine
aufregende Jagd, an die vorsichtigen, schnellen Vögel heranzukommen,
die geduckt am Boden liefen, um plötzlich auffliegend einen halben
Kilometer weiter sich niederzusetzen, um den Jäger von neuem zu foppen
und zu ermüden. Wir konnten ihre Verfolgung unseren trefflichen Jägern
überlassen und uns den kleineren Tieren widmen, die uns genug Arbeit
gaben.

Da gab es, auch typisch für die Steppenlandschaft, eine ganze Anzahl
von _Lerchenarten_. Am Boden liefen zahlreich die _Kalanderlerchen_
(+Melanocorypha calandra calandra+ L.), die auffallend großen,
aufrechten Tiere mit der lauten Stimme. _Haubenlerchen_ belebten den
Steppenboden (+Galerida cristata meridionalis+ Brehm). Für alle diese
Lerchen war hier in der Steppe Ende August der Tisch reich gedeckt.
Nicht nur trugen die meisten Pflanzen Samen, kaum irgendwo sah man noch
eine Blüte, auch der Insektenreichtum kam ihnen zugute.

Viele von ihnen gleichen auch dem Steppenboden in Farbe und Zeichnung
so ausgezeichnet, daß sie durch Ducken dem scharfen Blick der
sie verfolgenden Raubvögel entgehen. Das gilt vor allem von der
_Kurzzehenlerche_, die auch auf der Hochebene sich fand (+Calandrella
brachydactyla moreatica+ Mühlb.), eine charakteristische südliche
Form. Eine vierte Lerchenart schließlich war besonders häufig, die
südöstliche, in Asien weitverbreitete Form der _Feldlerche_ (+Alauda
arvensis cantarella+ Bp.).

Daß der _Wiedehopf_ (+Upupa epops epops+ L.) hier nicht fehlte,
braucht kaum erwähnt zu werden. Wie possierlich sah er aus, als er
auf dem Pferdeschädel saß, seinen Schopf sträubte und sich nach allen
Seiten umschaute. Ähnlich reizvoll war die besonders in der Nähe der
Stadt Stip häufige türkische Turteltaube (+Streptopelia decaocto
decaocto+ Friv.), die überall, wo Türken leben oder einmal lebten, sich
festgesetzt hat und mit ihrem Ruf, ihrer schönen Färbung und ihren
zierlichen Bewegungen die Landschaft anmutig belebt.

Die häufigsten und auffälligsten Vögel auf der Hochebene von Stip waren
aber die _Falken_. Sie waren in dieser letzten Augustwoche zu Tausenden
hier versammelt. Und es war nicht etwa die Vorbereitung zum Herbstzug
ins Winterquartier, die sie hier zusammengeführt hatte, es war die
reiche Weide, die sie auf die Steppe gelockt hatte.

Schon während der Fahrt im Auto die Landstraße entlang, war
die Menge der _Falken_ äußerst auffallend gewesen, die auf den
Telegraphendrähten, je 6 bis 10 zwischen zwei Stangen saßen. Ungestört
durch Lärm und Staubwolke bespähten sie von ihrem erhöhten Sitze aus
den Steppenboden und tauchten alle paar Minuten auf ihn herab. Es
waren vor allem zwei Arten, die sich hier versammelt hatten, der
_Turmfalke_ (+Falco tinunculus tinunculus+ L.) und der _Rötelfalke_
(+F. naumanni naumanni+ Fleisch.). Beide sind Insektenfresser und
nähren sich mit Vorliebe von _Heuschrecken_. Jetzt im Herbst gab es für
sie unerschöpflich viel zu fressen. Sie sammelten sich, wo es viele
Heuschrecken gab; und diese waren ja jetzt alle ausgewachsen, große
stattliche Tiere, eine fette Nahrung.

Alle Falken, welche in _Kaluckova_ zu Blutuntersuchungen auf ihre den
Malariaparasiten verwandten Blutschmarotzer geschossen worden waren,
hatten den Magen voll Heuschrecken. Und gar hier auf der Steppe, da
brauchten sie nicht zu hungern. Sie konnten dick und feist in den
grimmen Winter hineingehen.

In dieser Spätsommer- und Herbstzeit konnte ich bei diesen Falken und
anderen Vögeln wiederholt eine interessante Beobachtung machen. In der
Zeit der Dürre kam es durch Unvorsichtigkeit oder Absicht nicht selten
zu Bränden auf der Steppe und in den Buschwäldern der dürren Hügel.
Dann fraß die Flamme knisternd von Busch zu Busch, eilte schnell über
die begrasten Zwischenräume und weilte länger bei den Buschgruppen. So
zog sie über einen Abhang, eine Fläche, eine Hügelreihe hin.

Und vor der Flammenzone, vor dem Rauchschwaden, sah man dichte Flüge
von Vögeln, vor allem aus unsern zwei Falkenarten zusammengesetzt, sich
versammeln. Sie flohen nicht etwa vor dem Feuer, sie hielten sich eher
in seinem Bereich, oder es war vielmehr ein Gürtel in etwa 10 m Abstand
und immer vor diesem, in dem sie sich zusammendrängten. Da saßen sie
auf den höheren Büschen, flatterten und schwebten in geringer Höhe in
der Luft und tauchten immer wieder zum Boden nieder.

Mehrfach eilte ich auf einen solchen Rand eines Brandes los, um
mich zu überzeugen, was denn die Falken dort hinzog. Und was ich
vermutete, bestätigte sich. Vor dem Brand rissen die Insekten aus,
vor allem die flinken _Heuschrecken_, aber auch die anderen, welche
sich auf dem Boden bewegten. Ein breites Band von Käfern, Wanzen,
Tausendfüßlern wanderte vor dem Feuer her. Was leicht beschwingt war,
die Schmetterlinge, die Bienen, die Fliegen hatten sich lange vorher
davongemacht. Aber die laufenden und hüpfenden Insekten und mit ihnen
Mäuse, Eidechsen, Frösche, Schildkröten und alles derartige Getier lief
vor dem Feuer davon und damit in den gierigen Rachen von allerhand
Räubern, die sich die Gelegenheit zu Nutze machten. Allerdings habe
ich nur bei den beiden Falkenarten direkt beobachtet, daß sie zum Teil
von weither auf die Rauchsäulen losflogen, offenbar weil die Erfahrung
sie gelehrt hatte, daß in dieser Jahreszeit im Zusammenhang mit solchen
reiche Beute auf sie wartete.

Stundenlang hatte die Beobachtung und Jagd mich und meine Begleiter
auf der Hochebene aufgehalten, so daß es schon Nachmittag war, als
wir abwärts zur Bregalniza, in die Stadt _Stip_ fuhren, um dort eine
Mittagspause zu machen. Die Stadt liegt ziemlich ausgedehnt auf einer
Anzahl von Hügeln, über denen dunkle Granitfelsen sich erheben. So
gewährt sie einen malerischen Anblick. Zudem ragen auf dem einen der
Granitfelsen Ruinen einer alten Türkenburg in die Höhe.

[Illustration: Abb. 209. Ansicht von Stadt und Burg Stip vom
Moscheehügel.]

Es ist wie Veles eine richtige Türkenstadt mit Moscheekuppeln und
Minarets; die Häuser klettern wie dort die steilen Hügel hinauf, sind
aus Steinen gebaut und mit roten Hohlziegeln gedeckt. So entsteht das
gleiche bunte, malerische Bild wie in Veles, nur daß hier der dunkle
Felsen einen andersartigen, weniger harmonischen Hintergrund bildet
als das graue Gestein von Veles. Wir fahren durch enge Gassen über
einen Marktplatz; Läden und Werkstätten verraten lebhafte Tätigkeit
in der Hauptstadt einer wohlhabenden Provinz. Wir gelangen an eine
stattliche, breite Brücke, welche über die Bregalniza führt, deren
Bett, breit durch die Häuser der Stadt führend, ausgemauert ist. Aber
welch eigentümlicher Anblick; das breite Flußbett, dessen steile
Mauern, von denen Treppen hinabführen, verraten, daß der Fluß im Winter
und Frühling viel Wasser führen muß, lag jetzt ganz trocken, so daß ich
trocknen Fußes, durch Sand watend, hindurch gehen konnte.

[Illustration: Abb. 210. Moschee in Stip.]

Im Schatten einiger Bäume jenseits der Brücke ließen wir unseren Wagen
unter Aufsicht des Fahrers stehen und stiegen selbst einen steilen Weg
bergan zu einer Moschee mit leuchtend grüner kupfergedeckter Kuppel,
deren säulengetragene Vorhalle uns als Rastplatz lockte. Und es lohnte
wohl dort eine Nachmittagsstunde zu verbringen. Ringsum lagen zwar
Ruinen und selbst das Minaret war zur Hälfte zerstört. Hier hatte sich
im Balkankrieg der Türkenhaß Luft gemacht.

Die Moschee war aber immerhin noch erhalten; sie war aus Steinen massiv
erbaut, außen mit Platten bedeckt. Solche, abwechselnd schwarz und
weiß, umgeben die Bogen der Vorhalle und die drei Türen, welche ins
Innere führten. Der hochgewölbte Raum war mit Ziegeln gepflastert.
Verwüstung herrschte auch hier und Trümmer lagen umher. So war es
anziehender in der Vorhalle sich niederzulassen, die von schlanken
Marmorsäulen mit schön ausgearbeiteten Kapitellen getragen war. Die
Säulen machten den Eindruck, als stammten sie von einem antiken Bau.
Ihre Basen waren mit Kupfer beschlagen. Hier wie an der Kuppel hatte
sich zum Glück noch kein beschlagnahmender Beamter betätigt.

Von der Ecke der Vorhalle hatten wir einen sehr schönen interessanten
Überblick über die Stadt, deren weiße Häuser teils in der
Fläche zwischen den Hügeln sich ausdehnten, teils an den Felsen
emporkletterten. Zwischen den dunkelroten Dächern erhoben sich
zahlreiche weiße Minarets und mit ihnen an Schlankheit wetteifernd
dunkle Pappeln; aus Gärten ragten viele Obstbäume hervor, die zum Teil
voll Äpfel hingen. Zwischen den Felshügeln eröffnete sich ein weiter
Blick über die dunstige Ebene und auf ferne Berge. Kapellen leuchteten
weiß von den Hügeln und eine große stattliche Kirche ragte aus den
gleichmäßigen Straßen der unteren Stadt empor.

Gerade vor uns begrenzte eine ziegelgedeckte Mauer einen schattigen
Garten. Während wir, behaglich auf den Treppen der Moschee sitzend,
unser mitgebrachtes Mittagsmahl verzehrten, öffnete sich das Pförtchen
und eine Anzahl von Kindern trat hervor und begann vertraulich sich uns
zu nähern. Es waren Mädchen und Knaben von 3-12 Jahren. Da einer von
uns einige türkische Worte konnte, entspann sich eine Unterhaltung,
die sich im wesentlichen darauf beschränkte, daß sie uns ihre Namen
nannten; Fatme, Hassan, Achmed, Osman und die kleine Bülü vertrieben
uns unter Plaudern und Scherzen die Zeit. Als wir uns aber nach dem
Essen die Zigaretten anzündeten, fing ein heftiges Betteln an, dem der
Hauptmann schließlich nachgab.

Alle diese Kinder, auch der fünfjährige Hassan, zündeten sich ihre
Zigaretten regelrecht an und rauchten mit Behagen. Traurig saß zunächst
die kleine dreijährige Bülü daneben und verzog die Augen zum Weinen.
Als der Hauptmann ihr auch eine Zigarette von fern hinhielt, patschte
sie bittend in die Hände und strahlte mit dem ganzen Gesicht, als
sie sie wirklich bekam. Dann zündete sie sie an Achmeds Zigarette
kunstgerecht an, zog den Rauch tief ein, schluckte ihn hinunter
und blies ihn durch die Nase wieder heraus. All das geschah so
gewandt, mit so graziösen, fast koketten Handbewegungen, ohne Husten
und Verschlucken. Als wir uns freundschaftlich von unserer netten
Tischgesellschaft verabschiedeten, zweifelten wir nicht daran, daß die
gewandte Raucherin, die graziöse Bülü, trotz ihres Rotznäschens einmal
der Stern eines Harems werden würde.

Ein Rundgang zeigte uns dann noch die wesentlichen Teile der Stadt.
Trotz der Hitze war es nicht unangenehm in den engen Straßen zu
bummeln, in welche die weit vorgebauten Häuser tiefen Schatten warfen.
Es waren malerische Durchblicke, an den vorragenden Dächern und
Balkonen mit Schnitzerei und Fachwerk vorbei, auf die steilen Felshänge
der Granithügel, über denen ein wolkenloser Himmel blaute.

[Illustration: Abb. 211. Stadtstraße in Stip.]

Es gab viele Obstläden, in denen es Äpfel, Birnen, Zwetschen und
frische Nüsse und Haselnüsse zu kaufen gab. Auch Trauben und köstliche
süße Melonen bildeten mit Tomaten und Paprikaschoten einen farbigen
Vordergrund für das schöne Straßenbild. Merkwürdig gut und reich
beschickt waren die Läden; in den Stoffhandlungen sah man noch viele
englische und deutsche Stoffe und in der Apotheke bekamen wir eine
Flasche Gießhübler, die wir zu dem vortrefflichen Kaffee tranken, den
wir in einem kleinen Kaffeehaus an der Bregalniza in Messingkannen auf
glühenden Holzkohlen in gut türkischer Weise zubereitet bekamen.

Dann besuchten wir noch die griechische Kirche, eine stattliche,
dreikupplige Basilika mit seitlicher Säulenhalle. Sehr reizvoll war
die Schnitzerei am Ikonostas im Innern, während die Malerei nicht sehr
bedeutend war. Eigenartig war eine verschlossene Gittergalerie für
Frauen oben im Kirchengewölbe, in der die Frauen abgesondert von den
Männern dem Gottesdienst beiwohnten.

Schöne Blicke auf den Hügel mit der Moschee und ihrer herrlich grün
patinierten Kuppel boten sich im Rahmen der stattlichen weißen Säulen
des Umgangs der Kirche, um welche prachtvolle Bäume und allerhand
blühende Pflanzen standen. An den Säulen saßen massenhaft schlafende
Stechfliegen (+Stomoxys calcitrans+ L.) bereit, sich auf die Beter zu
stürzen.

Von der Kirche wanderten wir noch durch das trockene Bett der
Bregalniza zu dem Vorort _Novo Sielo_, der als Schwefelbad berühmt ist.
Wir kamen an einer graziösen kleinen Moschee mit einem säulenreichen
Vorraum und schlankem Minaret vorbei zu dem malerisch zwischen uralten
Pappeln und Weiden gelegenen Dorf. Ein niedriges Haus enthielt ein
viereckiges Badebecken aus Zement, in welchem ein 50° C messendes,
gelbliches Wasser brodelte, welches auf Kilometer im Umkreis die Luft
mit Schwefelgeruch erfüllte.

Unter einer alten Pappel lagerten wir uns und waren damit beschäftigt,
Schmetterlinge, Käfer und Ameisen an den alten Stämmen zu beobachten,
als ein glühend heißer Staubsturm uns in die Stadt zurücktrieb. Dieser
machte uns auch die Rückfahrt nach Veles nicht sehr erfreulich und
füllte auch diese Stadt, als wir ankamen, mit Staub und afrikanischer
Glut, welche die Steppe bis zum Wardartal wirken machte.



ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL

KLIMA UND SEUCHEN IN MAZEDONIEN


Wie auf die Tier- und Pflanzenwelt, so hat das Klima eines Landes
auch auf den Menschen einen starken Einfluß. Und vor allem macht sich
die Wirkung eines ungewohnten Klimas sehr bemerkbar, wenn größere
Bestandteile eines Volkes plötzlich in ein Klima versetzt werden, das
stark von dem ihres Heimatlandes abweicht. So hatten denn deutsche
Soldaten an den verschiedenen Fronten sehr unter Klimaeinflüssen zu
leiden. Und gerade in Mazedonien galt das Klima bei unsern Truppen als
besonders ungesund.

Das ist nun in dieser Verallgemeinerung unrichtig. Allerdings brachte
es für unsere Soldaten manche Überraschungen. Ganz anders als in
Italien oder Südfrankreich war der Gegensatz zwischen Sommer und Winter
in Mazedonien außerordentlich groß. Während im Hochsommer Temperaturen
bis 42° C im Schatten auftraten, in Kaluckova z. B. im Juli und August
regelmäßig solche von 35-40° C gemessen wurden, sank das Thermometer im
Dezember und Januar nicht selten auf -10° C, ja es wurden gelegentlich
selbst im Flachland Temperaturen von -23 bis -28° C gemessen. Das sind
ungeheuere Gegensätze.

Wie kommt es nun, daß dieses Land ein so ganz anderes Klima besitzt als
Süditalien und Sizilien, mit dem es unter gleicher Breite liegt. Das
ist durch den Einfluß der Nachbarländer bedingt. Das heitere Wetter,
der andauernd blaue Himmel des _Sommers_ sind bewirkt durch den Einfluß
des subtropischen Hochdruckgebietes, welches über das Mittelmeer bis
zum Balkan sich ausdehnt. Dazu kommt aber die Einwirkung der stark
erhitzten Landflächen Vorder- und Südasiens. Diese erzeugt vor allem
die Regenarmut und Dürre. Sie hat auf den Hauptteil Mazedoniens einen
stärkeren Einfluß als das ferner gelegene Meer.

Das macht sich auch im _Winter_ bemerkbar. In dieser Zeit ist das ganze
Mittelmeergebiet dem subtropischen Einfluß entzogen. So herrscht wie
in jenem auch in Mazedonien regnerisches Wetter und Wolkenbedeckung
vor. Sehr oft macht sich aber dann die innerasiatische Kälte bemerkbar,
dann fallen eiskalte Nordwinde in das Land ein, dann tritt Schneefall
ein und sinkt die Temperatur oft sehr tief.

So entstehen jene Kontraste, welche die Tier- und Pflanzenwelt
beeinflussen und unter denen unsere Soldaten so sehr zu leiden hatten,
weil sie sich gegen sie zunächst nicht zu schützen wußten.

Im allgemeinen kann man die Jahreszeiten in Mazedonien folgendermaßen
charakterisieren. Der Sommer ist sehr heiß und trocken; sonniges
Wetter herrscht von Mai bis Oktober unter Luftströmungen, die in
der Hauptsache von NW nach SO gerichtet sind. Gewitter kommen nicht
selten vor, sind aber meist durch geringe Regenmengen ausgezeichnet.
Ende September bis Anfang Oktober beginnt der _Herbst_, der durch
kalte Regen, und zwar mit großen Regenmengen auffällt. In dieser Zeit
strömen große Wassermassen die Berge herunter, die Hauptarbeit an den
Schluchten wird geleistet, Überschwemmungen treten ein. Im Dezember
tritt gewöhnlich der _Winter_ ein, der in der Hauptsache vom Januar bis
März dauert. Starke Schneefälle und tiefe Temperaturen sind für ihn
charakteristisch.

Der _Frühling_, der meist erst Anfang April beginnt, nicht selten
aber früher schon Vorstöße macht, ist eine schöne Jahreszeit auch in
Mazedonien. Der April kann noch recht kalt sein. Er ist die Zeit der
prachtvollen Wolkenbildungen, die auch im Mai und Juni die Landschaft
wunderbar verschönen. Auch im Lenz bringen starke Regengüsse nicht
selten Überschwemmungen. So haben wir also zwei Regenperioden im Jahre;
der Frühling ist aber keine eigentliche Regenzeit, diese ist vielmehr
der Herbst.

Das ist das Klima, wie es sich hauptsächlich in den Ebenen und im
Hügelland darstellt; in den Gebirgen herrscht dagegen ein Klima,
welches vollkommen demjenigen Mitteleuropas gleicht, also für unsere
Truppen sicher gesund war. Aber dennoch gab es in Mazedonien,
unabhängig von Klima und Temperaturen, Regionen, die man gesundheitlich
als gut und als schlecht bezeichnen konnte. Berüchtigt als ungesund
waren die größeren Städte, wie Üsküb, Veles, Prilep u. a. und
ebenso die Sumpfgebiete an der Front. Als Regionen mit besonders
viel Krankheitsfällen wurden viel genannt der Doiransee, die Gegend
bei Bogdanci und Negorci am Wardar, der Prespasee. Dazu kamen die
Übernachtungsquartiere der Urlauber, was ich im nächsten Kapitel für
_Drenovo_ erklären werde (S. 470).

Quartiere in Höhenregionen von 800-1200 m waren gesundheitlich
günstiger als solche in der Ebene. Das hing insofern indirekt mit dem
Klima zusammen, als in den kühleren Gebieten die Landeseinwohnerschaft
von Seuchen weniger verfolgt war. Vor allem war aber für gewisse
Krankheiten von größter Bedeutung, daß in der Höhe die sie
übertragenden Insekten nicht vorkommen. Wir werden das unten bei den
Malariamücken und den +Pappatacci+ zu besprechen haben.

Sicher spielten für die Gesundheitsverhältnisse bei unseren Truppen
die Quartierverhältnisse eine große Rolle. Wir Deutsche sind gewöhnt,
unser Klima in guten, dicht gebauten, im Winter heizbaren, im Sommer
kühl zu erhaltenden Häusern zu ertragen. Das fanden wir in Mazedonien
nicht vor. Die vielfach baufälligen primitiven Häuser waren im Winter
sehr kalt; wie oft mußten unsere Soldaten in ganz primitiven Hütten,
in Baracken und Unterständen hausen, in denen man nicht warm bekommen
konnte.

Das war besonders in den ersten Jahren der Besatzung schlimm. Da gab
es in den Häusern keine Heizöfen, Heizmaterial war kaum zu beschaffen.
Der Nachschub für diese Dinge war ganz besonders schlecht. Nicht besser
war es im Sommer, wo ein Schutz gegen die Hitze ebenso notwendig
gewesen wäre. In den letzten Jahren des mazedonischen Feldzuges hatte
man wenigstens in den Lazaretten im Winter für Heizung, im Sommer
für berieselte Zelte und für kühle Steingebäude gesorgt. Ich habe in
verschiedenen Kapiteln darauf hingewiesen.

Aber in den Quartieren konnte durchaus nicht überall für erträgliche
Verhältnisse gesorgt werden. Jeder suchte sich zu helfen so gut es
ging, und so wetteiferten unsere Soldaten mit den Bulgaren im Raubbau
am Holz. Wie viele verlassene Dörfer wurden nur wegen des Holzmangels
zerstört, wie viel hunderttausend Bäume, die sich Mazedonien noch
erhalten hatte, fielen der Holznot zum Opfer. Auch in ganz Mitteleuropa
hat ja die Kohlennot die Ausbreitung von Krankheiten ganz enorm
befördert. Wie mußte das erst in einem Lande wie Mazedonien der
Fall sein, wo so viel Einflüsse die Widerstandsfähigkeit der Körper
herabsetzten.

Was aber für die Ausbreitung von _Seuchen_ besonders gefährlich
war, war die Zusammendrängung vieler Menschen in gewissen Gebieten
des Landes. Nicht nur die Menge der einquartierten Soldaten, auch
die Zivilpersonen, welche von den Fronten sich geflüchtet hatten,
die vielen Menschen, deren Gewerbe und Handel sie an die Soldaten
ketteten, sammelten sich in den größeren Städten und Lagern an.
Wo die Menschen dicht beieinander sitzen ist die Übertragung und
Ausbreitung von Seuchen besonders begünstigt. Das wurde in Mazedonien,
ähnlich wie in Polen, in Rußland, in der Türkei besonders schlimm
durch die Vernachlässigung der Wohnungen, den Schmutz in den Häusern,
in den Dörfern und Städten, durch die Primitivität in hygienischen
Verhältnissen, den Mangel an reinlichen Aborten, an Wasserleitungen, an
Kanalisierung usw.

Dazu kam auf dem Balkan als besonders erschwerendes Moment die Masse
des _Ungeziefers_ in den Wohnstätten der Menschen und an ihrem eigenen
Körper. Jeder Balkankrieger wird mit Grausen an die Flöhe und Wanzen
denken, die dort in jedem Bauern- und Bürgerquartier in Massen über ihn
herfielen. Ganz besonders schlimm war die _Wanzenplage_. Ein wirklich
wanzenfreies Quartier gab es in Mazedonien überhaupt nicht. Dem General
ging es da nicht besser als dem Landsturmmann und dem Burschen.

Ein Erlebnis wird mir unvergeßlich bleiben und ich möchte es als
besonders charakteristisch schildern. Eines Abends saß ich beim
Oberbefehlshaber der 11. Armee, General von _Steuben_, mit den Herren
seines engeren Kreises in seinem Salon bei behaglichem Gespräch. Es
war ein einfaches Zimmer, die Wände mit Teppichen behängt. Plötzlich
trat eine Stockung im Gespräch ein, aller Blicke waren krampfhaft auf
mich gerichtet. Auch ich schwieg und überlegte mir, ob ich wohl eine
taktlose oder törichte Äußerung getan hätte oder was sonst passiert
wäre. Da bat mich der General, mich einmal umzusehen und als ich das
tat, sah ich an der Wand hinter mir eine Karawane von 20-30 Wanzen in
langer Reihe auf mich losmarschieren.

„Das passiert alle Abende‟, sagte der General, „drum sitzen wir alle
mit Abstand von der Wand, was ich Ihnen auch empfehlen möchte‟. Und
dann begannen die allgemeinen Klagen über die Wanzenplage, die man
überall hören mußte. Überall gab es dieses Ungeziefer und selbst in
jedes neugebaute Quartier, in jede Baracke wurden sie verschleppt.
Ich werde nie den Jammer der jungen Flieger in ihren ganz verwanzten
Baracken vergessen, die früh morgens nach schlafloser Nacht zum Flug
nach Saloniki oder sonstwie zur Front aufsteigen mußten, unerfrischt
vom Schlaf, mutlos und an der Hoffnung der Wiederkehr verzweifelnd, da
sie körperlich und geistig nicht über ihre vollen Kräfte verfügten.

Mit aller Energie wurde an vielen Orten, besonders in den Städten,
gegen das Ungeziefer gearbeitet; es gelang aber nur an einzelnen
Stellen, in Quartieren, Offiziersheimen und Kasernen oder Lazaretten
einen vorübergehenden Erfolg mit Schwefeldämpfen zu erzielen. In den
undicht gebauten Häusern der Mazedonier waren alle solche Versuche
vergeblich. Die Mittel fehlten, ebenso die Arbeitskräfte, um solche
Arbeiten durchzuführen. Hindernd trat da auch die Bürokratie der
Militärverwaltung und vor allem unseres Sanitätswesens entgegen. Was
habe ich gekämpft, um einmal die Erlaubnis vom Armeearzt zu erhalten,
in den freistehenden Baracken meiner Fliegerfreunde einen Versuch
mit der damals neu erprobten Cyankalimethode zu machen. Da keine
Vorschriften und Paragraphen darüber existierten, durfte so etwas nicht
gemacht werden.

Etwas mehr Erfolg hatte in Mazedonien der Kampf gegen die
_Kleiderläuse_, weil hier die Natur mithalf. In manchen Gegenden,
so in Serbien und Albanien, waren Läuse sehr verbreitet, Kopfläuse,
Kleiderläuse wie Filzläuse. Die Kleiderläuse hielten sich vor allem
leicht in den Wollgewändern der Menschen. Während Wanzen und Flöhe
offenbar nur gelegentlich Bakterien und andere Krankheitserreger beim
Blutsaugen von einem Menschen auf den anderen übertragen, scheinen
die Kleiderläuse gesetzmäßig mit der Übertragung der +Spirochaete
recurrentis+, dem Erreger des _Rückfallfiebers_ und mit dem noch
unbekannten Erreger des gefährlichen _Flecktyphus_ verknüpft zu sein.
So war das Vorkommen der Kleiderläuse eine Vorbedingung für das
epidemische Auftreten der genannten gefährlichen Seuchen.

Wie an allen anderen Fronten waren diese Krankheiten auch in Mazedonien
anfangs in sehr beängstigenden Prozentzahlen beim Heer aufgetreten;
auch hier wurde bald die Entlausung eingeführt und streng auf sie
gehalten. Und da der Urlaubsschein vom Entlausungsschein und jede
Grenzüberschreitung von vollzogener Entlausung abhing, so gelang es in
ziemlich kurzer Zeit diese Plage erheblich einzudämmen. Zumal war der
heiße mazedonische Sommer der Entwicklung der Läuse sehr ungünstig, so
daß nur im Winter eine Zunahme der Verlausung und damit im Zusammenhang
ein Aufflackern von Rückfallfieber und Flecktyphus in den Jahren 1917
und 1918 sich noch zeigte. Herde von Flecktyphus gibt es auf dem Balkan
seit jeher und so ging von diesen immer wieder einmal eine Epidemie
aus. Da für die Bekämpfung aber alles sehr gut organisiert war, so
gelangte eine solche nicht mehr zu größerer Ausdehnung. Auch von
unseren Soldaten haben diese Seuchen manches Leben vernichtet, aber so
furchtbare Epidemien, wie sie in Polen, unter den Serben und Rumänen
wüteten, haben unser mazedonisches Heer nicht betroffen.

Um so schlimmer war aber auf dem Balkan das Wechselfieber, die
_Malaria_. Die hat uns manchen Soldaten gekostet und noch mehr
für viele Jahre ihres Lebens in Arbeitsfähigkeit und Lebensfreude
beeinträchtigt.

Bekanntlich stellt die _Malaria_ in doppelter Weise ein _zoologisches_
Problem dar. Der Parasit, der in den roten Blutkörperchen des
Menschen lebt, diese zerstört und ihn dadurch blutarm und durch seine
Giftwirkung fieberkrank macht, ist ein einzelliges Tier aus der Gruppe
der Protozoen. Und damit dieser Parasit durch die Haut des Menschen in
dessen Blutgefäße und so in die Blutkörperchen gelangen kann, bedarf er
eines Transportmittels und einer Hilfe beim Einspritzen ins Blut des
Menschen. Beides leistet ihm wiederum ein Tier; und zwar ist es ein
blutsaugendes Tier aus der Gruppe der _Stechmücken_.

Alle blutsaugenden Insekten ernähren sich in der Hauptsache vom Blut
der Wirbeltiere. Dabei saugen sie mit einem Stechrüssel das Blut in
ihren Darm als Nahrung; damit das Blut genügend durch die feine Wunde
nachfließt, spucken die meisten Blutsauger beim Saugen ihren Speichel
hinein, der in manchen Fällen die Blutgerinnung hindert, stets aber
eine Entzündung hervorruft. Diese hat ihre Bedeutung für den Sauger
und den Gesaugten. Bei letzterem bringt sie das Zusammenströmen von
reichlich Blut zur Wunde zustande. So kommt es zur Schwellung und
zu dem bekannten unangenehmen Jucken beim Insektenstich. Für den
Blutsauger bedingt das einen reichen Blutzufluß zu dem saugenden Rüssel
und sichert ihm eine richtige Portion zum Sattwerden nach einem oder
einigen Stichen.

So ist das Stechen der Wanzen und Flöhe zwar sehr unangenehm, aber
in der Regel nicht gefährlich, keine Seuche übertragend. Das ist
auch bei der großen Mehrzahl der _Stechmücken_ der Fall. Auch solche
spielten in Mazedonien an vielen Orten eine höchst unangenehme
Rolle. So waren _Veles_, Teile von _Üsküb_, der _Prespasee_, der
_Doiransee_ und andere Abschnitte der mazedonischen Front berüchtigte
Stechmückennester, wo die Menschen ganz bös von diesen Plagegeistern
gequält wurden. Das war ganz besonders schlimm, wenn sie zu den Wanzen
und Flöhen und allerhand anderem Gesindel noch dazu kamen. Zum Glück
hatten wir es in Mazedonien nicht so schlecht, wie unsere Feinde. Die
Franzosen in der Wardarebene bei _Saloniki_ und besonders die Engländer
an der _Strumafront_ müssen in reinen Stechmückenhöllen gesessen haben.
Wir hörten das aus ihren Berichten und konnten es daran merken, daß
in der Frontgegend oft mächtige Rauchsäulen aufstiegen, wenn sie sich
durch Abbrennen des Schilfs in den Sümpfen zu retten suchten. Sie zogen
sogar manchmal wegen der Schnakenplage ihre Front etwas auf höher
liegendes Gelände zurück und konnten sicher sein, daß wir ihnen in
diese Hölle in der Schnakenzeit nicht nachfolgten.

Die Schnaken, die am meisten plagten, zum Teil auch am Tage bei heißer
Sonne stachen, gehörten zu den Gattungen +Culex+, +Culicada+, +Aedes+
u. a., von denen man jetzt seit etwa 20 Jahren weiß, daß sie sich an
der Übertragung des menschlichen Malariaparasiten _niemals_ beteiligen.
Seither weiß man nämlich, daß es nur die Stechmücken der Gattung
+Anopheles+ sind, welche in allen Teilen der Erde die menschliche
Malaria übertragen. So wie also der Mensch der einzige Organismus ist,
welcher die echte Malaria bekommt, so ist es auch nur die gleiche
Parasitenform, die in ihm gedeiht und nur durch Arten der Gattung
Anopheles vermittelt werden kann, also nur in solchen lebensfähig
bleibt. So sehen wir denn in dieser gesetzmäßigen Verkettung dreier
Organismen von verschiedener Art, von denen das eine nicht leben kann,
ohne daß beide anderen vorhanden sind, ein interessantes zoologisches
Problem vor uns.

Da ich nun selbst Protozoenforscher bin und mich mit dem Malariaproblem
und seinen biologischen Grundlagen früher viel beschäftigt hatte, so
war es naheliegend, daß ich meine Kenntnisse in diesem Gebiet sogleich
in den Dienst der Heeresleitung und meiner leidenden Kameraden stellte
und untersuchte, was über die Zoologie der Malaria in Mazedonien
festzustellen war und was man etwa durch neue Beobachtungen zu ihrer
Bekämpfung beitragen könne.

Vorläufig war noch nicht bekannt, welche _Malariamücken_ in Mazedonien
vorkommen. Man weiß jetzt längst, daß auf der ganzen Welt mehrere
Dutzend Anophelesarten leben, welche alle die Menschenmalaria zu
übertragen vermögen. In Europa sind bisher vier Arten nachgewiesen
worden, von denen nur zwei in Deutschland vorkommen. Diese heißen
+Anopheles maculipennis+ Meig. und +Anopheles bifurcatus+ L. ...
Zu diesen kam noch eine für Mazedonien besonders interessante Art
+Anopheles superpictus+ Grass u. Fel., während die vierte europäische
Art bisher auf dem Balkan nur in Rumänien und im Donaugebiet
gefunden wurde; es ist dies +Anopheles pseudopictus+ Grass u. Fel.
Wahrscheinlich fehlt sie in Mazedonien. Jedenfalls konnte ich sie trotz
eifrigen Nachforschens in den zwei Jahren 1917 und 1918 nicht finden.

+Anopheles maculipennis+ und +bifurcatus+ leben auch hier in der
altbekannten Weise im Larvenzustand in stehenden Tümpeln. So konnte man
sie in der auch sonst in der Welt üblichen Methode bekämpfen, indem man
entweder die Brutstätten zuschüttete, Abläufe anlegte und ihr Entstehen
und Bestehen in der Nähe menschlicher Siedelungen verhinderte. War
eine Beseitigung der Wasseransammlungen nicht möglich -- und das war
in Mazedonien oft der Fall, wo das Wasser zur Bewässerung von Feldern
und Gärten vielfach angestaut werden mußte, so konnte man durch
Aufgießen einer dünnen Schicht von Petroleum oder Saprol die Puppen und
Larven der Stechmücken am Atmen verhindern und so ersticken. Denn die
Entwicklungsstadien der Stechmücken sind Luftatmer und müssen in kurzen
Abständen sich an der Wasseroberfläche immer wieder Luft zum Atmen
holen. Sperrt man ihnen diese durch eine dünne Ölschicht ab, so müssen
sie ersticken und sterben.

Diese Methoden waren in Mazedonien von den Armeehygienikern, unter
denen besonders der erfahrene Professor _Fülleborn_ aus Hamburg sich
hervorgetan hatte, in den ersten Jahren schon an vielen Stellen mit
Erfolg angewandt worden. Es hatte sich aber herausgestellt, daß in
vielen Gegenden die Maßregeln nicht eingeschlagen hatten. So hatten sie
besonders an verschiedenen Lazaretten versagt, welche man am Ende von
Schluchten aufgeschlagen hatte, um sie mit fließendem Wasser leicht
versorgen zu können.

Gerade in meinem Standquartier _Kaluckova_ war dies der Fall gewesen
und hier speziell hatte man die betrübende Beobachtung machen müssen,
daß die Ruhrkranken, die an diesem Ort konzentriert wurden, fast
regelmäßig noch dazu im Lazarett an Malaria erkrankten und damit viel
schwerer behandelt und dem drohenden Tod entrissen werden konnten. Das
mußte besondere Ursachen haben, und diese zu untersuchen, nahm ich mir
vor.

Schon im Jahre 1917 gelang es mir festzustellen, daß gerade in der
Gegend von Kaluckova die kleinste der europäischen _Anophelesarten_
(+Anopheles superpictus+) auffallend häufig vorkam. Außer durch ihre
Kleinheit ist sie besonders von der auch häufigen Art +A. maculipennis+
durch die Anordnung der dunkeln Flecken auf den Flügeln leicht zu
unterscheiden. Die vier Flecken liegen nämlich am Vorderrand der Flügel
in einer Reihe hintereinander (vgl. die untenstehende Abb. 212). Auch
sonst zeigt sie einige leicht nachweisbare Unterschiede von den anderen
Arten.

[Illustration: +A B+ Abb. 212. +Anopheles superpictus+ Gr. u. Fel.
Schluchtenfiebermücke. +A+ Weibchen. +B+ Männchen. Vergr. 5.]

Wie war es wohl zu erklären, daß gerade diese Form bei Kaluckova die
häufigste war? Die Untersuchungen der Schluchten klärten diese Frage
auf. Es stellte sich dabei heraus, daß gerade +Anopheles superpictus+
in den _Schluchtbächen_ brütet. Und zwar findet man die Larven nicht,
wie man das bisher für alle +Anopheles+-Arten annahm, nur im ruhenden
Wasser stehender Tümpel, sondern auch im strömenden Schluchtbach. Da
lagen sie vor allem in charakteristischer Lage mit dem Hinterende an
den Steinrändern des Bachufers angelehnt. So wurden sie von der leisen
Strömung nicht mitgerissen.

Auch in den Sammelgläsern und Glasschalen, in denen ich die Larven
aufhob, zeigten sie eine ganz besondere Neigung sich mit dem Hinterende
an die Glaswand anzulegen, was für eine mit ihrer Lebensweise
zusammenhängende Besonderheit spricht.

Die Larven von +Anopheles superpictus+ konnte ich dann in vielen
Gegenden Mazedoniens als bevorzugte Bewohner der Schluchtbäche
feststellen, in denen gelegentlich auch diejenigen von +A.
maculipennis+ vorkommen. So waren denn die Schluchten nicht mehr als
harmlose Nachbarschaft von Lazaretten und Truppenquartieren anzusehen
und unter anderen erwies sich die Verlegung bzw. Aufhebung des
Lazaretts _Kaluckova_ vor dem nächsten Sommer als notwendig.

Immerhin war die Bekämpfung der Malariamücken auch in den Schluchten
nicht unmöglich. Ich gab dafür ein Mittel an, welches die Natur mich
gelehrt hatte und welches mir in diesem Lande selbst für die Einwohner
ausnützbar und mit wirtschaftlichen Zwecken verknüpfbar erscheint.
Nachdem ich nämlich beobachtet hatte, daß nach starken Regengüssen
die Tümpel der Schluchtbäche von dem angeschwollenen Wasser glatt von
Schnakenlarven ausgespült werden, welche dann auf den Geröll- und
Sandbetten des im Sommer austrocknenden Unterlaufs absterben, empfahl
ich dafür eine Nachahmung des natürlichen Vorganges durch einfache
Handgriffe.

Bei geeigneter Auswahl der richtigen Stelle kann man in jeder Schlucht
mit einer Arbeitskraft in einem Tage aus dem vorhandenen Geröll eine
labile Sperre herstellen, welche eine Wassermasse staut, genügend
für eine einmalige radikale Durchspülung der Schlucht. Gleichzeitig
könnte in dieser Weise angestautes Wasser zur Bewässerung von
Anbauland ausgenützt werden und nur periodisch alle paar Wochen zur
Schnakenbekämpfung Dienste tun.

Auch andere Malariabeobachtungen konnten auf dem Balkan gemacht werden,
die nicht ohne Interesse waren. So zeigte sich die Verschleppung der
Malaria stets an das Vorhandensein der +Anopheles+ geknüpft, wobei
die Menschen als Dauerträger der Parasiten eine große Rolle spielten.
So wurde die Malaria besonders in der schlimmen Form der Tropica in
vielen Gegenden des Balkan erst während des Krieges eingeschleppt, in
denen sie früher gefehlt hatte. Es zeigte sich, daß das neue Auftreten
von Tropikafällen fast immer mit dem Erscheinen von meist asiatischen,
türkischen Truppen und an der feindlichen Front von farbigen
Abteilungen in Zusammenhang stand; diese hatten als Malariaträger
in ihrem Blut die Infektionsformen des für das Land neuen Parasiten
mitgebracht.

Auch wurde zum ersten Male auf dem Balkan von unseren Militärärzten
auf die Wichtigkeit der _Kindermalaria_ geachtet. An manchen Orten,
so am Prespasee, in Struga am Ochridasee, war es sehr auffallend, wie
die meisten Kinder bleich und hohläugig, vielfach abgemagert und mit
vorstehendem Bauch herumliefen. Sie wurden untersucht und erwiesen sich
als sogenannte Milzbäuche, d. h. als Malariaträger, bei denen durch den
Einfluß des Parasiten die Milz stark geschwollen war.

Solche Kinder, welche ihre Jugend in einem ständigen Kampfe mit dem
Malariatod verbrachten, waren dauernd Infektionsquellen für die
+Anopheles+, welche in einem so belasteten Ort während des ganzen
Sommers mit Malariakeimen beladen, auf gesunde Ankömmlinge lauerten,
um sie beim Stechen zu infizieren. Kam Einquartierung in einen solchen
Ort, so war mit Sicherheit anzunehmen, daß dort in kürzester Frist ein
hoher Prozentsatz der Leute mit Malaria infiziert wurden.

+Anopheles superpictus+ scheint mir gegenüber den auch bei uns
verbreiteten Arten +A. maculipennis+ und +bifurcatus+ eine südliche
Form zu sein. Darauf weist zunächst einmal hin, daß ich sie im
südlichen Teile Mazedoniens viel häufiger fand als im nördlichen.
Während ich in Üsküb unter zahlreichen +A. maculipennis+ nur ganz
selten einen vereinzelten +A. superpictus+ fand, waren es in Kaluckova
zehnmal mehr von dieser letzteren kleinen Form. An allen südlichen
Fundorten, so in Veles und Dedeli war sie die häufigere. Das mag ja zum
Teil aus ihrer Vorliebe für Schluchten zu erklären sein.

Aber andererseits ist bemerkenswert, daß +A. superpictus+ später im
Frühling aus dem Winterquartier kommt und später seine Eier legt
als +A. maculipennis+. Das Winterquartier ist eine ausgezeichnete
Gelegenheit, um die Häufigkeit einer Art in einer Gegend festzustellen.
Auch in Mazedonien überwintern nur die Weibchen in Kellern, Häusern,
Ställen, Schuppen, aber auch in Erdspalten und Höhlen im Freien.
+A. superpictus+ hat eine besondere Tendenz in solchen natürlichen
Verstecken zu überwintern.

Die Weibchen von +A. maculipennis+ haben oft schon kurz nach dem
Verlassen des Winterquartiers legereife Eier besessen, das Legen
beginnt bei dieser Art schon im April. Bei +superpictus+ habe ich es
vor Ende April bis Anfang Mai nicht beobachtet.

Bei +Anopheles+ gibt es scheinbar als Norm im Sommer drei Generationen;
bei günstiger Witterung und guten Ernährungsverhältnissen kann es wohl
auch zu mehr Sommergenerationen kommen. Normal dürfte wohl folgende
Reihenfolge sein: Die überwinternden Weibchen legen im Frühling Eier,
aus diesen entsteht im Mai die Frühlingsgeneration, die im Mai und
Anfang Juni fliegt, sich begattet und zur neuen Eiablage gelangt. Aus
diesen Eiern entsteht die Sommergeneration, die meist Anfang August
sich zeigt. Sie legt im Herbst ihre Eier, aus diesen entstehen wieder
erwachsene Männchen und Weibchen. Erstere sterben schnell ab, die
begatteten Weibchen gelangen meist nicht mehr zur Eiablage, sondern
überwintern im Winterquartier, um die nächste Generation erst im
Frühling hervorzubringen. Die hier eingefügte Tabelle zeigt, daß
die Generationen von +A. superpictus+ immer ein wenig denen von +A.
maculipennis+ nachfolgen.

  ===============================================================
              |      +Anopheles          |      +Anopheles
              |       maculipennis+      |       superpictus+
  ------------+--------------------------+------------------------
  I. Gen.     |      April-Mai           |            Mai
  II. Gen.    |    Anfang August         |      August-September
  III. Gen.   |  September-Oktober       |          Oktober
              |    Überwinterung         |      Überwinterung

Mit den Generationen der Malariamücken hingen auch die Höhepunkte
der Malariaepidemien in Mazedonien zusammen. Kurze Zeit nach der
Entwicklung zahlreicher Mücken stieg die Zahl der Erkrankungen an
Malaria stark an.

Die schlimmsten, unangenehmsten Quälgeister in Mazedonien waren winzig
kleine Mücken, welche in gewissen Zeiten den Schlaf fast unmöglich
machten. Es waren dies die _Pappataccifliegen_, kleine 2½ mm lange
Tierchen, welche einem einen brennend schmerzhaften Stich beibrachten,
der auf die verschiedenen Menschen ganz verschieden ein- und
nachwirkte. Wer mit ihnen ernsthaft zu tun hatte, wird sie in seinem
Leben nicht mehr vergessen.

Zunächst ist man gar nicht geneigt, so kleinen Wesen, die kaum größer
sind als Blattläuse, Beachtung zu schenken. Sie zwingen sich aber
bald Beachtung auf. Sie sind im ganzen Orient verbreitet, kommen auch
im übrigen Südeuropa, in Italien, in Malta und Nordafrika vor und
sind überall sehr gefürchtet. Überall treten sie lokal auf, sind auf
besondere Orte beschränkt und fehlen oft dicht daneben.

Im Winter sind die geflügelten Tiere vollkommen verschwunden; eine
Überwinterung der Weibchen, wie bei den Stechmücken, kommt bei ihnen
offenbar nicht vor. Sie treten Anfang bis Mitte Mai auf und erreichen
ein Maximum der Häufigkeit in Mazedonien im Juni, dem ein zweites
Maximum im September folgt. Im Oktober bis November verschwinden sie
vollkommen, was nicht mit einem Überwintern zusammenhängen kann. Nach
vollendeter Eiablage sterben nämlich die Weibchen.

Die +Pappatacci+ haben ein eigenartiges Aussehen; sie haben dünne nicht
allzu lange Beine, lange, zart behaarte Fühler, vorstehende Augen und
einen ziemlich langen Stechrüssel am Kopf. Der Leib ist beim Männchen
schmäler als beim Weibchen und trägt am Hinterende einen eigenartigen
Klammerapparat. Die Flügel sind lang und schmal, fein geädert und
behaart und werden in der Ruhe in einer eigenartigen Stellung gehalten,
welche als _Engelsflügelhaltung_ bezeichnet wird (vgl. die oben- und
umstehenden Abbildungen 213, 214 und 215).

[Illustration: +A B+ Abb. 213. +Phlebotomus papatassii+ L.
Pappataccifliegen. +A+ Männchen. +B+ Weibchen mit blutgefülltem Darm.
Vergr. 20.]

An der Wand sitzen sie mit stark nach unten abgebeugtem Kopf,
aufrechten Fühlern und abstehenden Beinen. Rührt sich etwas in ihrer
Umgebung, so nehmen sie eine Bereitschaftsstellung ein, aus der sie
durch einen seitlichen Sprung sich einige Meter an der Wand entfernen,
um meist bald sich wieder zu setzen. Sie sind auf Tastreize, Bewegungen
und Lichtreize außerordentlich empfindlich. Licht zieht sie an. Sie
haben eine ausgesprochene Tendenz sich auf rauhe Unterlagen zu setzen.

[Illustration: Abb. 214. Pappatacciweibchen in Engelstellung von vorn.]

Hat man abends sein Moskitonetz auf +Pappatacci+ sorgfältig geprüft
und vollkommen frei von ihnen gefunden, so findet man dennoch
morgens oft deren 50-60 unter dem Netz. Sie sind offenbar durch den
Geruch des Menschen angezogen worden und mit großer Geschicklichkeit
durch die Maschen des Netzes gekrochen. Weibchen wie Männchen
werden gleicherweise durch den Menschen angezogen, obwohl nur die
Weibchen Blut saugen. Es werden also auch die Männchen durch den
Menschengeruch angelockt, obwohl sie sich nicht an ihm ernähren. So
sehen wir bei ihnen den Geruchssinn in ähnlicher Weise in den Dienst
der Fortpflanzung gestellt, wie bei manchen Schwärmern unter den
Schmetterlingen, wo die Geschlechter auf den Geruch gewisser Blüten
sich an diesen versammeln, ohne daß sie an diesen saugen, was ihnen gar
nicht möglich ist, da sie einen verkümmerten Saugrüssel haben und im
Imagozustand überhaupt keine Nahrung zu sich nehmen.

Morgens fand ich die Weibchen stets voll Blut gesaugt auf der
Innenseite meines Moskitonetzes ruhig sitzend und fing sie regelmäßig
alle zu wissenschaftlichen Zwecken weg. Dabei fand ich viele Pärchen in
Begattung vereinigt; dann war das Weibchen stets voll Blut gesaugt; das
Männchen hing entgegen manchen Angaben stets nach unten.

[Illustration: Abb. 215. Pappataccimücke. Weibchen von oben: voll Blut
gesaugt.]

In der Regel stachen die +Pappatacci+ nur nachts, doch konnte ich in
manchen Fällen ebenso wie bei den Anopheles auch ein Stechen bei Tag
beobachten. Nachts war ihr Stechen vielfach qualvoll, manche Menschen
reagierten auf sie sehr stark und waren am ganzen Körper nach den
Stichen von Quaddeln bedeckt; die Stiche hatten oft ein Ekzem zur
Folge. Die Ärzte, Schwestern, Kranken konnten in den kritischen Monaten
in Kaluckova überhaupt kaum mehr schlafen und kamen auf diese Weise
körperlich und seelisch sehr herunter. Kaluckova, Hudova, Veles und
andere Orte waren von diesen Tieren stark geplagt, während sie in Üsküb
weniger hervortraten, in Prilep fast ganz und in hochgelegenen Orten
wie Gopes vollkommen fehlten. Vor allem im südlichen Wardargebiet
litten unsere Truppen ganz außerordentlich unter diesen Quälgeistern.

Besonders schlimm war aber, daß auf die Stiche der +Pappatacci+ eine
Krankheit auftrat, welche mehrere Tage hohes Fieber, Kopfschmerzen,
Gliederschmerzen und ein lang anhaltendes Schwächegefühl mit sich
brachte. Die Krankheit, als _Pappataccifieber_ bezeichnet, befiel
fast jeden, der in das verseuchte Gebiet kam. Auch in der Türkei, in
Kleinasien, Syrien und Palästina hatten unsere Soldaten schlimm unter
diesen Bestien zu leiden. Zuerst hielt man die Krankheit für harmlos
und glaubte nicht an Nachwirkungen. In den späteren Jahren des Feldzugs
zeigten sich aber immer schlimmere Folgeerscheinungen, so daß sie sehr
gefürchtet wurde.

So tat man denn alles, um sie zu bekämpfen. Es scheint, daß die Larven
vor allem in Lehmmauern, Steinspalten, Bodenritzen leben. Ich suchte
in angestrengter Weise nach ihren Brutstätten in Kaluckova, Rabrovo,
in Veles, in Üsküb, kurz an allen Stätten, an denen man jede Nacht
Massen der Imagines sammeln konnte. Die Schwierigkeit sie zu finden,
lag vor allem an der Kleinheit der Eier, Larven und Puppen. Ich kam zur
Überzeugung, daß die Hauptbrutstätten in den Lehmbauten und Hausruinen
des Landes sein müßten.

Ebenso intensiv wurde natürlich nach dem durch die Pappataccimücken
übertragenen Krankheitserreger gesucht. Man suchte ihn im Darm der
Weibchen, im Blut der Kranken, suchte dort vor allem in den ersten
Krankheitstagen. Schließlich kam man zur Überzeugung, es müsse
ein invisibler Virus sein. Merkwürdig ist die Tatsache, daß die
überwinterten Larven Tiere aus sich hervorgehen lassen, die bald die
Krankheit verbreiten können. Das muß natürlich für alle Überlegungen
über die Herkunft des Krankheitskeimes von Bedeutung sein. Man
dachte an eine Vererbung durch das Ei, die ja bei anderen Parasiten
festgestellt ist.

Ich habe mir nach meinen persönlichen Erfahrungen Gedanken über einen
besonderen Zusammenhang gemacht, den ich hier zur Diskussion stellen
möchte. Ich halte es für möglich, daß gewisse, normalerweise im Darm
der Pappatacciweibchen lebende Parasiten, Bakterien oder andere
Organismen, sich jedes Jahr neu an Menschenblut gewöhnen. So wären nur
solche Tiere infektiös, welche mehr als einmal an Menschen gesaugt
haben. In ihrem Darm wäre die Vorbereitung an das Leben im Menschenblut
erfolgt. Ich versuchte, den Beweis für diese Annahme bei mir selbst zu
führen, indem ich keiner Pappataccimücke gestattete, ein zweitesmal an
mir zu saugen. Das führte ich durch, indem ich jeden Morgen alle Mücken
unter meinem Moskitonetz wegfing und alle in meinem Zimmer vorhandenen
tötete.

Obwohl ich sehr oft gestochen wurde, habe ich die Krankheit in den
beiden Jahren meines Aufenthaltes in Mazedonien nicht bekommen,
obwohl ich an den verseuchten Stellen lebte und meine ganze Umgebung
wiederholt erkrankte. Doch gebe ich zu, daß es sich mit meiner Annahme
um eine noch unbewiesene Hypothese handelt.

Von anderen Plagegeistern in Mazedonien möchte ich noch die _Bremsen_
erwähnen, welche Menschen, Pferde, Maultiere, Rinder und andere Tiere
sehr quälten. Die Pferde waren oft von Dutzenden dieser Blutsauger
bedeckt. Es waren eine ganze Anzahl Arten, welche in Frage kamen. Ich
nenne hier +Tabanus graecus+ Fb., +T. ater+ Rossi, +T. tergestinus+
Ers., +T. umbrinus+ Mg., die zum Teil durch ihren Namen schon ihre
südliche Zugehörigkeit zeigen. In den Anmerkungen zu diesem Kapitel
gebe ich eine längere Liste der von mir beobachteten Bremsenarten. Ein
unangenehmer Blutsauger war auch +Haematopota pluvialis+ L.

Für unsere Pferde und Rinder waren auch die _Lausfliegen_ (+Hippobosca
equina+ L.) eine schwere Plage, zumal manchmal 50-100 dieser schwer
abzulösenden Blutsauger sich unter dem Schwanz an After und Vulva der
armen Tiere anhefteten. Gefährlich waren die _Zecken_, die Ixodiden,
welche bei Pferden und Rindern das _Blutharnen_, eine schwere, oft
tödliche Krankheit übertrugen. Auch _Dasselfliegen_ kamen häufig vor,
und man sah bei den Rindern nicht selten die von ihnen erzeugten
Beulen. Auch die Pferde litten unter solchen, wie daraus hervorgeht,
daß zwei Pferdeverfolger +Oestrus (Rhinoestrus) purpureus+ Brauer und
+Gastrophilus equi+ L. nicht selten waren.

Als Krankheitsüberträger mögen auch die _Stubenfliegen_ und
_Schmeißfliegen_ eine Rolle gespielt haben, welche jeden Kot in
ungeheuren Mengen bedeckten und von ihm auf alle Speisen flogen. Sie
mögen bei der Übertragung der Ruhr und des Typhus mitgewirkt haben.
Diese beiden Krankheiten spielten auch in Mazedonien ihre verderbliche
Rolle; bemerkenswert ist dabei, daß es sich fast ausschließlich um
Bakterienruhr handelte, während die in der Türkei häufige Amoebenruhr
nur ganz selten vorkam.



NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL

PRILEP UND SEINE PÄSSE

(BABUNA- UND PLETWARPASS)


Seitdem _Monastir_ in die Hände der Feinde gefallen war, spielte
_Prilep_ eine wichtige Rolle als Hauptstadt im Westteil der
mazedonischen Front. Seit jeher war sie als Durchgangspunkt auf dem
Wege nach Südmazedonien und Südalbanien bedeutend gewesen. So waren
hauptsächlich zwei Pässe seit altersher als Zugangsstraßen nach dieser
Stadt üblich. Beide waren jetzt für die Versorgung der Front ausgebaut
worden, der _Babuna-_ und der _Pletwarpaß_, die vom Wardartal nach
Südwesten nach Prilep führten. Beide hatten ein Gebirge auf diesem Weg
zu überqueren, so daß für die Versorgung der Front die Strecke von
70-80 km große Schwierigkeiten bedeutete.

Zu meinem ersten Besuch in Prilep wählte ich im Juni 1917 den Weg
über den _Babunapaß_, wobei Veles den Ausgangspunkt darstellte. Dort
fand ich bei Hauptmann _Jungmann_ gastliche Aufnahme und das für die
Fahrt so wichtige Beförderungsmittel. Über die Paßstraße ging ein
regelmäßiger starker Verkehr von Lastfuhrwerken und Kraftwagen. Um
diesen zu bewältigen, war im Laufe der Zeit die Straße immer besser
ausgebaut worden; außerdem war eine Kleinbahn über den Babunapaß im
Bau, die jedes Vierteljahr ein Stück weiter vorgeschoben wurde, während
der Rest der Strecke für den Proviant- und Munitionstransport an die
Front durch eine Schwebebahn überwunden wurde.

Die Straße von Veles nach dem Babunapaß ging zuerst geradeaus südlich
an der _Topolka_ entlang, um dann über eine Höhe hinweg die _Babuna_
zu erreichen, welche bei _Izvor_ direkt aus Süden in einem breiten Tal
dem Gebirge entströmt. Es ist eine eigenartige, abwechslungsreiche
Landschaft, welche man durchfährt, während allmählich die Ketten des
Gebirges immer höher vor einem aufsteigen. Diese Gegend hatte ich auf
Kreuz- und Querfahrten mit Hauptmann _Jungmann_ ziemlich genau kennen
gelernt, da er mich oft bei den Inspektionen seiner Lager mitgenommen
hatte. An der ganzen Straße hatte er Lager von Kriegsgefangenen,
hauptsächlich Rumänen, welche am Straßen- und Bahnbau arbeiteten. In
der Umgebung dieser Lager habe ich mit ihm manche Exkursion gemacht,
welche besonders viel interessante Insekten brachte.

Nicht weit von Veles war eine Stelle, wo bei Anlage einer Sandgrube
für die Straßenarbeiten der Hauptmann Zähne und Kieferstücke eines
_Mastodon_ ausgegraben hatte. Ich sah mir die Örtlichkeit sehr genau
an; denn dort sollten später weitere Ausgrabungen vorgenommen werden.
Es fand sich in der Grube eine eigenartige Schichtung von feinem
Sand, Geröll und Lehm, dazwischen dünne schwarze Schichten. Spätere
Grabungen förderten hier prachtvolle Fossilien zutage. Es fanden sich
hier außer weiteren Resten des Mastodon eine große Menge versteinerter
_Säugetierskelette_ von Antilopen, Pferden und dergleichen,
vergleichbar der berühmten Fundstätte von _Pikermi_ in Attika. Die
Ausbeutung hatte im Herbst 1918 kaum begonnen, als der Rückzug uns
vertrieb und leider eine planmäßige Durcharbeitung unmöglich machte,
die hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft wieder aufgenommen werden
kann.

So bot jedes der Lager irgendeine Besonderheit für den Naturforscher.
Bei einem waren ausgedehnte sumpfige _Reisfelder_, deren Wasser
interessante Tiere beherbergte, bei _Izvor_ enthielt ein Teich
Wasserschildkröten. Dort war im Frühsommer 1917 der Kopf der Feldbahn
angelangt, fest wurde an dem Schienenstrang gearbeitet; das Lager
war von hunderten von Arbeitern erfüllt, hier meist von den Bulgaren
gepreßte Arnauten. Daneben dehnte sich ein malerisches Türkendorf aus.

Die Gegend vor dem Gebirge war reich angebaut; anfangs Juni waren die
Getreidefelder gerade schnittreif. Die Dörfer, sich als türkische
Siedlungen meist durch ihr Minaret verratend, lagen hoch in den Hügeln
und Bergen und boten mit ihren schwarzroten Ziegeldächern, welche aus
reichen Obstbaumbeständen hervorlugten, reizvolle Bilder.

Bei _Izvor_ verläßt die Straße das Tal und beginnt an der _Babuna_
entlang ins Gebirge aufzusteigen. In immer kühner werdenden Serpentinen
führt sie allmählich die Hänge hinauf; zunächst überschreitet sie auf
zahlreichen Brücken den windungsreichen Bach. Nach _Stepanci_, dem
späteren Endpunkt der Kleinbahn, beginnt die stärkste Steigung, die
schließlich steil zur Paßhöhe von 1060 m hinaufsteigt. Hier verläßt die
Straße den Babunafluß und folgt zunächst einem seiner Zuflußbäche,
der den Namen _Desna_ führt. Weiter oben fährt man an einer starken
Mineralquelle mit erfrischendem Wasser vorbei, wo meist eine kurze
Rast gemacht wurde. Je weiter man hinauf kommt, desto grüner werden
die Berge, welche schließlich eine Höhe von etwa 1600 m erreichen.
Die höheren von ihnen sind oben dicht bewaldet. Die Kuppen haben
schöne, mannigfaltige Formen, sie zeigen steile Hänge, sind von
tiefen Schluchten durchzogen, einige der ferneren Höhen sind kahle
Felsengipfel.

[Illustration: Abb. 216. Am Feldbahnhof in Drenovo.]

Ein mit Silberlinden bewachsener Berg, besonders ein tiefer, von
Vegetation erfüllter Einschnitt an seinem Hang verlockte mich zu
einer Exkursion. Es war in einer Höhe von etwa 700 m. Ein frischer
Bach strömte durch das rote Gestein, welches in mächtigen Platten
ausgebildet war, auf denen man leicht die Schlucht aufwärts klettern
konnte. Hier war dichtes Buschwerk; Kräuter und Wiesenpflanzen,
welche vor 3 Wochen bei Kaluckova geblüht hatten, waren jetzt im Juni
hier in schönstem Flor, so Salbei, viele Doldenpflanzen, Malven,
Klee- und Wickenarten. Dem entsprach auch die reiche Insektenwelt,
die auch aus annähernd denselben Formen sich zusammensetzte, welche
vor einigen Wochen die Fluren bei Kaluckova und Hudova belebten.
Von Schmetterlingen flogen auch hier die Frühlingsgeneration von
Distelfalter, Ochsenaugen, Weißlingen, vor allem des Baumweißlings,
dazu zwei Satyriden, die offenbar Bergformen waren, da ich sie in der
Ebene nicht beobachtet hatte. Ähnlich verhält es sich mit den Käfern,
unter den +Cetonien+ (Rosenkäfer) besonders häufig waren, den Bienen,
den Fliegen. Von Libellen herrschten hier die schönen, metallisch
blauen Wasserjungfern (+Calopteryx+) vor. Der Reichtum der Pflanzen-
und Tierwelt war offenbar durch den Wasserreichtum, das spätere
Auftreten der Formen durch die Höhenlage bedingt.

[Illustration: Prof. _Müller_ phot. Abb. 217. Paßende der Babunastraße,
von dem Felsen über Han Abdipasa.]

Bei der Weiterfahrt nahm die Paßstraße immer mehr den Charakter
einer Hochgebirgsstraße an. Immer enger wurden die Windungen, immer
verwegener die Kurven, steiler die Steigungen, welche das Auto keuchend
und fauchend emporklomm. Prachtvolle Rückblicke eröffneten sich auf die
Talwindungen mit ihren vielgestaltigen Abschlüssen. Jedes Bild wurde
verschönert durch die dunklen Wolkenschatten, welche auf die Hänge
fielen.

Kühle Luft wehte mich an, als der Wagen die alte Paßkarawanserei, den
_Han Abdipasa_, erreichte. Diese lag in einem tiefen Taleinschnitt,
dessen Hintergrund die Paßhöhe abgrenzte. Über ihm waren alle Berge
bewaldet; Eichenwälder dehnten sich aus und zwischen ihnen verriet
der Silberglanz, der mit dem Wind über die Waldoberfläche in Wellen
dahinzog, große Bestände von _Silberlinden_. Beim Han Abdipasa befand
sich ein kleines Lazarett, in welchem mein Mitarbeiter, Professor
_Müller_, im Sommer 1918 mehrere Wochen als Gast verbrachte. Viele
seiner Aufzeichnungen zeugen von der reichen Vogelwelt in diesen Bergen
und Wäldern.

[Illustration: Abb. 218. Bulgarische Ochsenkolonne auf dem Marsch.]

Jenseits des Han stieg die Straße immer steiler in immer engeren
Serpentinen zur Paßhöhe hinan. Hier war sie noch nicht vollkommen
ausgebaut, so daß mein Auto ab und zu in kritische Situationen
kam. Auf ihr staute sich manchmal der ungeheure Verkehr, der sich
zwischen Front und Etappe vollzog. Es war nicht langweilig, auf
dieser Straße zu fahren. Außer der schönen Landschaft brachte die
Straße selbst genug Abwechslung. Jetzt marschierte eine bulgarische
Infanteriekolonne frontwärts verstaubt und müde an uns vorbei, dort
hielt an einer Kurve eine Batterie deutscher Feldartillerie mit ihren
sorgfältig eingewickelten Geschützen. Dann fuhr eine Sanitätskolonne
mit Kranken bergab vorbei. In langen Reihen tobten Lastautos vor uns
her. Unendliche Züge von bulgarischen Ochsenwagen hatten Mühe durch
das Gewühl sich durchzuschlängeln. Hilflos erschien dazwischen ein
mazedonischer Bauernwagen, auf dem eine ganze Familie mit Hausrat
untergebracht war. Pferde von reitenden Truppen scheuten vor den Autos
und waren schwer an den Abgründen vorbei zu bringen.

Daß es nicht immer glatt abging, zeigten Skelette und Leichen von
Pferden und Büffeln, die in der Tiefe lagen, zeigten die auf der
Straße zusammengebrochenen Wagen, die an Kurven zertrümmert liegenden
Kraftwagen. Da war oft das Ausweichen nicht leicht und gab zu mancher
Verzögerung Anlaß. Aber der Eindruck des ungeheuren, fieberhaften
Betriebes eines Heeresnachschubes war ganz außerordentlich. Wie trieb
das alles nach vorn zur Front! Daneben spielte der Rücktransport der
leeren Wagen, der Kranken und Verwundeten eine viel geringere Rolle.

Wie trefflich war der ganze Betrieb organisiert. Überall waren
Stationen, Übernachtungs- und Verpflegungsplätze, Reparaturwerkstätten,
Lazarette eingerichtet, welche halfen, den großen Betrieb aufrecht zu
erhalten. Ohne diese Arbeit des deutschen Heeres wäre es nicht möglich
gewesen, die mazedonische Front 3 Jahre lang zu halten.

Der Verlust von _Monastir_ und das Zurückweichen der mazedonischen
Front vor dem Heer _Sarrails_ war die Schuld des mangelhaften
Nachschubdienstes der Bulgaren. Wir haben zwar im Laufe der Zeit ihre
kleinen von Ochsen und Büffeln gezogenen Karren sehr schätzen gelernt.
Die zähen, anspruchslosen Zugtiere und deren Treiber können etwas
gehöriges leisten, wenn es auf Zeit nicht ankommt. Aber, wenn es sich
darum handelte, in kurzer Zeit viel Munition, Heeresgerät, Proviant an
einem Ort beisammen zu haben, dann versagte dieses Transportmittel, so
viel tausende von Ochsenkarren auch in Bewegung gesetzt wurden.

Da mußte deutsche Organisationstüchtigkeit eingreifen. Und was diese
geleistet hat, davon bekam man an den Straßen nach Prilep einen
Eindruck, der Bewunderung herausforderte. Zu dem starken Verkehr mit
_Lastautos_, zu den _Feldbahnen_ kam als wesentliche Ergänzung ein
System von _Seilbahnen_, welche als Schwebebahnen mit geschickter
Ausnützung des Geländes über die Gebirge führten. Nach Prilep waren
vier solche geleitet, zwei über den _Babuna-_ und zwei über den
_Pletwarpaß_. Außerdem waren noch eine ganze Anzahl von solchen an den
verschiedenen Gebirgsfronten in Betrieb.

Bei der Fahrt sah man an den Drahtseilen schwebend, von Mast zu Mast
wandernd, die kleinen Tragwagen dahingleiten, welche Munitions- oder
Proviantkisten, Eisenstangen, Wellblech, Pfähle, große Bündel Heu oder
Stroh trugen. Hier und da sah man auch einen waghalsigen Soldaten in
einem solchen sitzen. Das bedeutete ein großes Wagnis. Nicht selten
rissen die Drahtseile und die Lasten stürzten herab. Es war nicht
leicht, in diesem Gelände den Betrieb ständig aufrecht zu erhalten. Dem
kühnen Passagier, der am Drahtseil oft in einer Höhe von hunderten von
Metern ein Tal überquerte, in dessen Tiefe ein Fluß brauste, konnte es
widerfahren, daß mitten in dieser luftigen Reise der Betrieb stockte;
dann konnte er verurteilt sein, die grandiose Aussicht, die sich ihm da
oben bot, für mehrere Stunden zu genießen, ja es konnte ihm blühen, in
der Höhe zu übernachten. Jedenfalls war es ratsam, sich für eine solche
Unternehmung reichlich mit Proviant zu versorgen.

[Illustration: Geb. Pionierkomp. 101 phot. Abb. 219. Schwebebahn.]

Die Seilbahnen wurden schließlich auf eine große Leistungsfähigkeit
gebracht und beförderten im Tag mehrere hundert Tonnen (bis 300),
so daß vor allem immer der genügende Vorrat an Granaten und anderer
Munition für eine mehrtägige Schlacht an der Front bereit lag und
kontinuierlich ergänzt werden konnte. Jetzt darf man ja ruhig erzählen,
daß schließlich immer an der Front Munition für 4 „Verdunschußtage‟
bereit lag; auf der Strecke lag der Vorrat für weitere 2 Tage und am
Ende der Feldbahn noch einmal so viel. Das waren ganz große Leistungen;
man konnte sie erst ganz einschätzen, wenn man erfuhr, daß um 100
Tonnen 15 km weit in einem Tag zu transportieren 3000 Ochsenwagen mit
6000 Ochsen nötig waren.

An den End- und Anfangsbahnhöfen der Feld- und Seilbahnen, auf den
Umschaltstellen der letzteren war immer ein großer Betrieb, der einen
Eindruck von den gewaltigen Leistungen gab, welche das Heer an dieser
schwierigen Front zu erfüllen hatte.

Vom Paß aus, der in der Höhe von 1060 m lag, ging es steil in das
Tal hinunter, an dessen Ende die Stadt _Prilep_ liegt. Ein seltsamer
Anblick bot sich bei der Abfahrt dem Auge dar. Das Tal war ziemlich
eng, von zwei steilen Bergketten eingefaßt und erweiterte sich erst
kurz vor Prilep, um da in die weite Ebene der _Pelagonia_ auszumünden.
Die schroffen Berge, teils aus Kalk, teils aus Granit aufgebaut,
erschienen fast vegetationslos. Weithin konnte man die weiße Straße in
vielen Serpentinen durch das dunkle Gestein bergab verlaufen sehen,
überall von Staubwolken begleitet, die der starke Verkehr aufwirbelte.

[Illustration: Abb. 220. Granitberg bei Prilep und Blick in das Tal
oberhalb der Stadt.]

Durch eine bizarre Felsenlandschaft geht es in sausender Fahrt das Tal
hinab, zur Stadt, die allmählich, breit in der Ebene sich ausdehnend,
vor den Blicken auftaucht. An halb ruinierten mohammedanischen
Grabdenkmälern, einer weißen Kaserne, einem öden türkischen Friedhof
vorbei, rasselt das Auto über holperiges Pflaster in die Gassen der
Stadt hinein.

Pappeln, Minarets, Kirchtürme ragen über den dunklen Dächern und grauen
Mauern der Stadt auf, die infolge ihres Reichtums an Gärten wie eine
Vegetationsinsel aus der dürren Öde des Felsentals sich abhebt. Doch
bei der Einfahrt bemerkt man von den Gärten zunächst nichts; denn als
echt türkische Stadt zeigte Prilep nach außen nichts von der Schönheit
seiner Häuser und Gärten. Lehmmauern begrenzen meist die Straßen,
welche die Besitztümer einschließen. Anders wird das Bild erst, wenn
man in das Geschäftsviertel, den Bazar gelangt, wo das übliche Leben
einer orientalischen Stadt vor den offenen Werkstätten und Läden sich
abspielt.

[Illustration: Abb. 221. Türkischer Friedhof von Prilep, dahinter
Markograd.]

In _Prilep_ lag das Oberkommando der XI. Armee. Ihr Befehlshaber
war gerade in jenen Tagen Exzellenz _von Steuben_ geworden, eine
liebenswürdige, feingebildete Persönlichkeit, in dessen Gesellschaft
ich manche behagliche Stunde verbrachte und von dem ich manche Hilfe
erfuhr. Das war vor allem bei späteren Besuchen in Prilep der Fall;
hier nahm ich im September 1917 an einem Front-Hochschulkursus teil und
im Juni 1918 besuchte ich Prilep nochmals. So hatte ich Gelegenheit,
auch die nähere Umgebung der Stadt kennen zu lernen.

_Prilep_ ist von anderen mazedonischen Städten nicht erheblich
verschieden; sie hat weniger individuellen Charakter als andere. Weder
Kirchen noch Moscheen haben besondere Art und Geschichte. So ist sie
eine gleichgültige Stadt, wenn auch das Leben ebenso bunt ist, wie in
anderen Städten.

Eigenartig und interessant ist aber die Umgebung von Prilep. Das Tal,
an dessen Ende die Stadt liegt, ist von zwei Bergketten eingefaßt,
die einander parallel verlaufen und die in mancher Beziehung sich
voneinander unterscheiden. Sie streichen in der Hauptsache von Norden
nach Süden. Die westliche Kette besteht in ihrem südlichen Teil
aus _Granit_, der an den Bergen in geradezu bizarren Formen zutage
tritt. Weiter im Norden, gegen den Paß zu, sind die Berge aus Kalk
aufgebaut, aus welchem auch die ganze östliche Kette besteht. Mächtige
Marmormassen kommen im Kalkgebiet vor.

[Illustration: Abb. 222. Geschäftsviertel (Bazar) in Prilep.]

Ganz besonders charakteristisch für die Gegend von Prilep ist
die Granitlandschaft, die am _Varosberg_ und nördlich von ihm am
_Zlatovrh_, an welchem das Kloster _Treskaveč_ liegt, vorherrscht. Das
dunkle, oft rote Gestein mit den gewaltigen Steilwänden, den Hängen
voll riesiger Blöcke, der mageren Pflanzenwelt bringt eine Landschaft
hervor, welche ganz einzigartig ist. Die Berge sehen aus wie steil
aufgetürmte Steinhaufen; tiefe Schatten lassen die Spalten scharf von
den glatten Flächen des Granits sich abheben.

[Illustration: Abb. 223. Granitberg nördlich von Prilep.]

Besonders gut konnte man die seltsamen Granitformen am _Varosberg_
studieren, welcher als Abschluß der westlichen Kette mit seinen
eigenartigen Umrissen in die Ebene südlich Prilep hineinragt.
Weithin über die Ebene und von fernen Bergen erkannte man die beiden
pyramidenförmigen Gipfel des Varosberges als Wahrzeichen Prileps.
Zwei mächtige Granitmassive stiegen steil einige hundert Meter über
der Talsohle auf. Die Konturen sind stark zerrissen, feine Zacken
und breite Buckel überragen allenthalben den Umriß und geben seinen
schönen Linien etwas eigenartig unruhiges. So sind auch die Abhänge,
welche nur in der Gipfelregion einzelne größere Flächen zeigen;
sonst sind sie von kleinen und großen Gesteinsbrocken bedeckt, die
übereinander geschichtet eine oft unübersehbare Wirrnis bilden, ein
starkes Hindernis für die Ersteigung des Berges, da es sich um mächtige
Blöcke mit Durchmessern von 10-50 Metern und mit glatten schlüpfrigen
Wänden handelt. Viele von ihnen haben die sogenannte _Wollsackform_ mit
abgeschliffenen, gerundeten Kanten. Eigenartig malerisch sehen sie vor
allem dann aus, wenn sie mit dunkelbraunen Moospolstern und grauen
Flechten bedeckt sind. Dann heben sie sich farbig vom kurzen Rasen
ab, der zwischen ihnen die Hänge bedeckt, welche die Möglichkeit zum
Besteigen der steilen Berge geben.

Neben den einjährigen Pflanzen und allerhand Kräutern und kleinen
Büschen, welche diesen Rasen bilden, außer den in den Spalten der
Felsen wachsenden Pflanzen, spielen Sträucher und Bäume im Granitgebiet
bei Prilep eine geringe Rolle. _Wachholder_ ist hier der häufigste
Strauch und die Form, die hier vorkommt (+Juniperus excelsa+ L.),
wächst manchmal zu stattlichen Bäumen heran und bietet damit einen
überraschenden Anblick.

[Illustration: Abb. 224. Granitfelsen mit Moos und Flechten bewachsen.]

Auch die _Tierwelt_ war an diesen Hängen nicht übermäßig reich.
Immerhin flogen zahlreiche Schmetterlinge, unter denen ein Bläuling
(+Lycaena admetus+ Esp.) besonders auffiel. Da, wo Tiere geweidet
hatten, gab es viele Mistkäfer, vor allem Pillendreher, von denen hier
+Scarabaeus sacer+ L. und +S. pius+ Illig eifrig beim Pillendrehen
waren. Auch ein stattliches Exemplar des glänzend schwarzen
Baumschröters (+Sinodendron cylindricum+ L.) fand sich hier und wies
darauf hin, daß die weitere Umgebung nicht ganz baumlos sein konnte.
Eine große Raubfliege +Schizopogon scaliger+ Lw. machte sich in
größeren Mengen bemerkbar.

Auch Heuschrecken gab es an den heißen Hängen in großer Zahl. Nicht
weiter erstaunlich war es, hier Felsenvögel zu beobachten, unter denen
waren bemerkenswert der muntere _Felsenkleiber_ (+Sitta neumayeri+
Michah.) und das _Steinhuhn_ (+Alectornis graeca graeca+ Meissn.), das
mit knatterndem Flug mehrmals vor mir aufstieg; dabei stieß ich im
Juni 1917 auf ein Gelege von 10 Eiern, welches in einer Mulde zwischen
Steinen lag.

Bei weiterem Aufsteigen wurde immer deutlicher, daß die eigenartigen
Umrisse des Berges nicht nur das Werk von Naturkräften waren, sondern
daß auch Menschenhand dabei mitgewirkt hatte. Auf beiden Gipfeln waren
Mauerreste erkennbar, welche von einer sehr ausgedehnten Burg herrühren
mußten. Wie aus dem Felsen gewachsen, erhoben sich Türme, Durchgänge
waren von Rundbogen überwölbt, Häuser waren noch deutlich als einstmals
mehrstöckige Gebäude zu erkennen; hohe, steile Mauern zeigten noch
Reste von Zinnen und waren von mächtigen Walltürmen eingefaßt.

Es waren die Reste der Burg _Markograd_, von der noch manche
sagenhaften Erinnerungen bei den slavischen Mazedoniern berichten.
Nach der Bauart handelt es sich wohl um einen Bau aus dem späten
Mittelalter. Den beiden Gipfeln entsprechend handelt es sich um
zwei Burganlagen, welche durch einen großen Mauerring umfaßt waren.
Bemerkenswert ist der Mangel an Schießscharten und überhaupt die
Seltenheit nach außen gerichteter Fensteröffnungen. An den Türmen
wiesen Balkenlöcher darauf hin, daß einstmals bedachte Holzgallerien
diese außen umgaben. Am Abhang sind die Reste einer Außenbefestigung zu
erkennen, welche offenbar die ganze große Anlage vor Angriff schützte.
An einer Seite, in der Richtung gegen die Stadt Prilep, glaubt man
die Reste einer Zufahrt zu bemerken; sie führt zu einem Eingang mit
auffallend engem Torbogen.

Es war schwer, sich eine bestimmte Vorstellung von Alter und Entstehung
der Burg zu machen. Der Tradition nach war es die Burg des serbischen
Helden _Marko Kraljevič_, von dem phantastische Sagen im Umlauf sind,
in denen er als Riese und fast als Gespenst auftritt. _Aimé Boué_
scheint vor 100 Jahren die Bauten etwas besser erhalten gesehen zu
haben. Er schreibt von einer Kapelle und einer Quelle in einem Turm an
der Ostseite, die ich nicht auffand. Bei letzterer mag es sich doch
wohl um eine Zisterne gehandelt haben.

Beim Herumklettern auf den Felsen und in den Ruinen gab es viel
zum Schauen und zu beobachten. Wie malerisch bauten sich Türme und
Wälle auf den Felsblöcken auf. Man überlegte sich, ob wohl der eine
zweistöckige Bau das Frauenhaus, ein anderer größerer das Männerhaus
gewesen sei.

An den Felsen in der Gipfelregion zeigten tiefe glatte Rinnen, Furchen,
blanke Rundungen, untergreifende Rillen, daß gewaltige Naturkräfte
an der Ausgestaltung dieser Formen gearbeitet haben mußten. Man
konnte sich kaum vorstellen, daß all das schon beim Übergang aus dem
feuerflüssigen Zustand des Granits entstanden war. Unwillkürlich mußte
man an Wasserkräfte denken und in der Phantasie trat beim Blick auf
die weite Ebene im Süden des Berges das Bild eines großen Sees auf,
der einst sich bis _Monastir_ ausgedehnt haben mag. Die geologische
Beschaffenheit des Bodens der Ebene, der Verlauf der Cerna läßt
tatsächlich eine solche Annahme zu. Als der See verschwand, mochte auch
der Berg hier sich gehoben und in seine Höhen die Spuren der Wirkungen
eines kräftigen Flusses mitgenommen haben.

[Illustration: Abb. 225. Im Geschäftsviertel von Prilep.]

Jetzt schweift der Blick weit über die dunstige Ebene, welche in der
Ferne von einem Kranz von Bergen eingefaßt ist. Direkt nach Westen
sieht man in der _Babaplanina_ an klaren Tagen die weiße Häusermasse
von _Krusevo_ aufschimmern. In weitem Bogen fassen die Berge nach
Süden; schneebedeckt erhebt sich aus dieser Kette die schöne Pyramide
des _Peristeri_. Kahle Berge ziehen am Ostrand der Ebene als _Selecka
Planina_ südwärts zum Cernabogen. Von diesem erstreckte sich zur Zeit
meines Besuches die Front über _Monastir_ westwärts zum _Peristeri_,
von da zum _Prespa-_ und _Ochridasee_; man ahnte die Lücken in
den Gebirgen, in denen die Seen lagen und sah jenseits von ihnen
Bergketten, die schon zu _Albanien_ gehörten.

Wie von einem Turm konnte man zwischen den Felsen, durch ein Mauerloch
oder eines der alten Fenster nach Osten zu steil auf die Stadt _Prilep_
hinunterblicken. In der Vogelperspektive lag das Häusergewirre mit
seinen Gärten und Pappelgruppen, mit seinen Kirchen und Minarets weit
auf dem Talboden ausgebreitet. Von hier aus sah die Stadt ganz anders
malerisch und reizvoll aus, als innerhalb ihrer Gassen.

Jenseits im Osten stiegen wieder Bergketten mit klar umrissenen
Konturen empor, die _Kalkberge_ der Ostkette des Tales von Prilep,
während nach Norden die wilden Formen der _Granitberge_ den weiteren
Ausblick verhinderten.

Es war nicht einfach, vom Gipfel und der Burg nach Westen über die
glatten Granitplatten zu Dorf und Kloster _Varos_ herabzuklettern.
Einer meiner Begleiter glitt an gefährlicher Stelle aus, rutschte über
eine Felsenfläche weit hinab und entging nur durch einen Glückszufall
einem bösen Schicksal.

Aus dem Bild des in einer Nische des Granitfelsens eingeschmiegten
Klosters kann man entnehmen, welche tolle Kletterei wir hinter uns
hatten, als wir vom Gipfel an der Hinterseite des Klosters ankamen.
Hätte es nicht einen so eigenartigen Hintergrund in den Granitmassen
des Berges, welche fast wie erstarrte Lavaströme aussehen, so würde
es sich kaum von vielen der Balkanklöster unterscheiden. Immerhin ist
die Anordnung der im rechten Winkel zueinander stehenden Gebäude, von
denen das eine zwischen zwei im oberen Stockwerk vorragenden Flügeln
eine graziöse Säulengallerie einfaßt, das andere zwei Säulenhallen in
Holzbau übereinander zeigt, recht eigenartig. Die Kirche mit allerlei
alten Architekturbestandteilen füllt die Ecke zwischen beiden Gebäuden
aus. Hohe Grundmauern tragen die Fundamente der Bauten, so daß man vom
Dorf aus eine hohe Treppe zu ersteigen hat.

Im letzteren steht eine interessante Kirche, von einem Friedhof mit den
üblichen Kistengräbern umgeben. Die Nord- und Ostseite ist mit einer
langweiligen weißen Bogengallerie verbaut. Von der Süd- und Westseite
zeigt aber das Kirchlein den malerischen altmazedonischen Typus
bulgarischen Ursprungs. Sie scheint allerhand Schicksale durchgemacht
zu haben, so daß die ursprüngliche Anlage kaum mehr zu erkennen
ist. Jedenfalls ist sie von einem graziösen zehnsäuligen Kuppelturm
überragt; an der Westseite sieht man noch die Anlage von Konchen,
die verschiedene Art und Behandlung der Bausteine weist auf viele
Reparaturen hin.

[Illustration: Abb. 226. Kirche im Dorf Varos.]

In vieler Beziehung interessanter ist das hochgelegene Kloster
_Treskawetz_, welches auch in der Granitkette, und zwar auf einer
Höhe von 1226 m gelegen ist. Als im September 1917 in Prilep ein
Hochschulkursus stattfand, den das Oberkommando für die Studenten
der XI. Armee veranstaltete, und bei welchem wir Professoren unsere
Vorlesungen in einer Moschee abhielten, gehörte zu den besonderen
Veranstaltungen uns zu Ehren auch eine Bewirtung durch die Stadt
_Prilep_ in diesem altheiligen Kloster.

An einem Nachmittag ritten wir die 2 Stunden durch die grandiose
Granitlandschaft auf den Berg hinauf. Das Kloster, eigenartig
in seltsame Felsen eingebaut, war eine weitläufige Anlage, von
hohen Mauern umgeben. Zwischen den Türmen und Schornsteinen ragten
Granitklötze empor, welche in ihren bizarren Gestalten fast wie
Menschenarbeit aussahen.

Das Kloster erfüllte seine Aufgabe als Festquartier sehr gut, denn
es war in mächtigen dreigeschossigen Galleriebauten mit einer
großen Anzahl sauberer Zimmer ausgestattet, welche viele hundert
Pilger aufnehmen konnten. Schon am Eingang zum Kloster waren wir
von dem Bürgermeister von Prilep, angesehenen Bürgern dieser Stadt,
bulgarischen Beamten und Offizieren feierlich empfangen worden.

In einer rebenumrankten Veranda fand ein Festessen statt, bei welchem
wir mit den Bulgaren vereinigt saßen und bei welchem politische
Reden gehalten wurden. Der Bürgermeister, ein blasser, schlanker
Mann, der als bulgarischer Verschwörer lange Jahre in türkischen
Gefängnissen gelegen hatte, hielt eine feurige deutschfreundliche
Rede, auf welche der Kenner der griechischen Literatur und der antiken
Geschichte Mazedoniens _v. Willamowitz_, der Berliner Professor in
formvollendeter, feiner Rede antwortete.

In angeregten Gesprächen durchwanderte man dann zusammen die Räume
des Klosters und besichtigte vor allem die ehrwürdige Kirche, deren
Ursprung die Bulgaren auf das 9. Jahrhundert zurückführen wollen. Es
war sehr interessant, mit den gebildeten Männern durch die für sie
traditionsreichen Räume zu wandern und den Erzählungen zu lauschen,
welche von dem alten Zusammenhang ihres Volkes mit Mazedonien
berichteten.

Es war bemerkenswert, wie sie mit einer wahren Zärtlichkeit sich in die
alten Erinnerungen versenkten, als wir alte heilige Bücher anschauten
und uns ein Gewölbe gezeigt wurde, das erst vor nicht langer Zeit
aufgedeckt wurde, und in welchem ein russischer Gelehrter wichtige
alte Urkunden aufgefunden habe. Alte halbzerstörte Fresken an der Wand
lösten die Erinnerung an den großen Zaren _Simeon_ aus, der einst ein
großes Bulgarenreich über fast der ganzen Balkanhalbinsel beherrscht
und das Kloster Treskaveč unterstützt hatte.

Wehmütig wurden ihre Erzählungen, als sie auf den Zaren _Samuel_ zu
sprechen kamen, der während seiner 40jährigen Regierung (976-1014) eine
Unmenge von Wechselfällen in den unaufhörlichen Kriegen mit Byzanz
erlebte, in Ochrida glänzend residierte, dem aber schließlich in dem
Konstantinopeler Kaiser _Basileus Bulgaroktonos_ ein furchtbarer,
blutdürstiger Gegner erstand. Der machte schließlich durch die Schlacht
an der Belasiza Planina bei _Strumiza_ all dem, was Samuel in seinem
Leben erreicht hatte, ein Ende. Ja, er bringt ihm indirekt den Tod,
indem er ihm 15000 bei Strumiza gefangene Bulgaren geblendet, unter
der Führung je eines von hundert, der nur einäugig gemacht wurde, nach
Ochrida zurückschickte. Bei deren Anblick ist er so erschüttert, daß
ein Schlaganfall den greisen Mann trifft und tötet.

[Illustration: Abb. 227. Gesamtansicht des Klosters Treskaveč.]

Es ist eine tragische Geschichte, welche durch die 700 Jahre bis
zur Unterjochung durch die Türken auf den Balkanvölkern lastet
und heute noch nicht zum Abschluß gebracht ist. Immer wieder wird
die Ruhe auf der Halbinsel durch Völkerwanderungen erschüttert,
die stets zunächst auf die _Slaven_ stoßen. Deren unversöhnliche
Gegensätze zu den Griechen treiben sie von einem Krieg in den andern
durch all die Jahrhunderte hindurch. Immer wieder kommen sie wieder
in die Höhe, gründen neue und größere Reiche, die bald wieder
zusammenstürzen. Einmal über das andere Mal stehen _bulgarische_
Heere vor _Konstantinopel_, ohne daß es ihnen jemals gelingt, die
Weltstadt einzunehmen. Immer wieder werden sie in den Abgrund gestürzt
und unterjocht, um nach neuer Freiheit und neuem Glanz zu streben.
Zu allem Unglück kommt noch die Feindschaft zu dem Brudervolk der
_Serben_, die im Laufe der Jahrhunderte immer bitterer geworden ist und
beide Völker verhinderte zu Größe und Selbständigkeit zu gelangen. Dann
kamen die Jahrhunderte türkischer Knechtschaft, die jedes Streben nach
Unabhängigkeit unterdrückte, bis mit der Zerrüttung des Türkenreiches
sich neue Hoffnung regte.

Nun waren sie endlich so weit, auf bessere Zeiten blicken zu dürfen
und nun liegen sich die Balkanvölker wieder als bitterste Feinde in
den Haaren. Seufzend gestehen sie das zu, aber mit glänzenden Augen
sprechen die Bulgaren die Hoffnung aus, mit Hilfe der Deutschen endlich
das Ziel zu erreichen, die ersten auf dem Balkan zu werden.

[Illustration: Abb. 228. Kirche im Kloster Treskaveč im Granitgebirge.]

Nun schweifen ihre Gedanken ab und tauchen in das Gebiet der Sagen
und Märchen. Sie erzählen von der Zarin Maria, welche den Sultan
heiratet und mohammedanisch wird, um ihr Volk zu retten. Sie kommen
auf die Geschichte von der Schlange und dem Blitz und von den zwei
Hirten. Darüber ist die Zeit vergangen und nach freundschaftlicher
Verabschiedung trenne ich mich von den bulgarischen Herren und steige
in der Abenddämmerung die steilen Hänge zum Tal, zur Stadt hinab.

Die Strahlen der sinkenden Sonne dringen tief in das Tal hinein und
gönnen tiefen Einblick in die phantastische Landschaft, in der ich
plötzlich nach den starken Eindrücken des Nachmittags ganz einsam
wandere. Öde und baumlos liegt eine schroffe Granitpyramide vor mir;
scharf und klar treten die einzelnen Felsblöcke, die Rinnen und
Schluchten infolge der langen Schatten hervor. Immer schöner und
malerischer werden die Bilder. Vor einem kahlen Felsenberg tut sich
ein kleines Tälchen auf, in seiner Tiefe leuchtet üppiges Gras empor,
Bäume und Büsche umgeben einen weiß blinkenden türkischen Brunnen. Er
verrät uns die Ursache des starken Pflanzenwachstumes. Wie stets sind
Schattenbäume um diesen erquickenden Brunnen gepflanzt, welche die
Stätte zum geeigneten Ruheplatz im letzten Drittel des heißen Anstieges
zum Kloster machen.

[Illustration: Abb. 229. Türkenbrunnen in der Granitlandschaft beim
Kloster Treskaveč.]

Von der Quelle aus schweift mein Blick zu den Bergketten des
Kalkgebirges auf der jenseitigen Seite des Tales. Drüben sehe ich
eine weiße Straße aufblinken und sich den Bergen drüben aufwärts der
Talwand anschmiegen und in das Massiv vordringen. Staubwolken liegen
über der Straße und verraten, daß auch hier abends ebenso starker
Verkehr ist, wie auf der Babunastraße. Es ist die Straße, welche zum
_Pletwarpaß_ führt, die zweite Verbindung von Prilep mit dem Wardartal.

Auch die _Pletwarstraße_ habe ich einmal auf der Fahrt von Prilep
zur Haupteisenbahn Mazedoniens benützt. Es war im Sommer 1917; nach
den Qualen durch Hitze und Staub, denen ich damals ausgesetzt war,
spürte ich keine Verführung, die Fahrt öfter zu machen, zumal ich die
interessanten Gebiete am Ende der Strecke öfter zu besuchen Gelegenheit
hatte.

[Illustration: Abb. 230. Hain im Granitgebirge bei Treskaveč. Blick ins
Tal von Prilep und auf den Beginn der Pletwarstraße.]

An sich war dieser Paß nicht weniger interessant als die Babunastraße,
manche Strecken sogar besonders romantisch. Von Prilep kommend, bog man
bald rechts von der Babunastraße ab und fuhr steil an der östlichen
Talseite aufwärts. Im Juni 1917 war die Straße sehr zerfahren und der
Verkehr sehr gesteigert. Es wurde fieberhaft an der Kleinbahn gebaut,
welche damals bis _Trojazi_ reichte, in einigen Monaten aber bis
_Prilep_ durchgeführt wurde und von da Anschluß erhielt einerseits
gegen _Monastir_ und den _Cernabogen_, andererseits die _Cerna_
aufwärts über _Pribilci_ bis _Lera_ unterhalb _Gopes_, und damit die
Verbindung mit den Fronten am _Prespa-_ und _Ochridasee_ und Albanien
herstellte.

Bei der Fahrt war mein Auto stets in eine dichte Staubwolke gehüllt,
denn es herrschte regster Verkehr. Er war eher stärker als am
Babunapaß; denn hier wurden die Truppentransporte hauptsächlich
weitergeleitet. So sah man in den offenen _Kleinbahnwagen_ deutsche,
österreichische, ungarische, bulgarische Truppen auf dem Transport,
wobei sie auf jeder Station den heimwärts reisenden Urlaubern
begegneten. Landstraße und Schienenstrang der Kleinbahn waren zu beiden
Seiten auch hier auf diesem Paß von den Leitungen der _Seilbahn_
begleitet, an denen unablässig leere und gefüllte Tragen, die
sogenannten Hunde, nach oben und unten wanderten.

Bei der Fahrt den Paß aufwärts kam ich durch die Dörfer _Pletwar_,
_Belawodiza_ nach _Trojazi_. Von der eigenartigen Landschaft konnte man
zunächst nicht viel beachten, denn unendliche Züge von Lastkraftwagen
waren gerade in diesen Tagen in Bewegung. Überall wurde gearbeitet und
gebaut; die Straße erforderte unablässig Reparaturen, überall wurden
Abkürzungen angelegt, neue Brücken, Quartiere, Verpflegungsstationen,
Unterkünfte gebaut. Eine Menge Steinbrüche lieferten das Material für
Straßen- und Bahnbau, Stationen wurden eingerichtet für Feldbahn und
Seilbahn, Gefangenenlager beherbergten die Arbeitskräfte für die enorme
Arbeit, welche auch hier die Etappe zu bewältigen hatte.

So ging es stundenlang weiter durch heiße Sonne und Staub.
Trotzdem wurde die Aufmerksamkeit immer wieder erregt durch die
Landschaftsbilder, die Felsen und Schluchten, die hohen Berge, an denen
ich vorbeikam. Der Paß führte nun abwärts an dem _Rajetzbach_ entlang,
welcher sein Wasser der _Cerna_ zuführt. Er hatte mächtige Schluchten
gegraben in der großen und kleinen _Klisura_, floß am schimmernden
_Marmorberg_ vorbei um schließlich durch die mächtige _Adlerschlucht_
(die _große Klisura_) in die _Cerna_ zu münden. Etwas oberhalb der
Mündung lag der Bahnhof und das Barackenlager von _Drenovo_.

Wir, ich hatte zwei in Urlaub in die Heimat fahrende junge
Dragoneroffiziere in mein Auto aufgenommen, atmeten auf, als wir in dem
behaglichen kleinen Offiziersheim im Lager von _Drenovo_ eine Stunde
Rast machen konnten. Es war eine Erlösung, sich die Kleider reinigen,
die zentimeterhohe Staubschicht von den Gesichtern abwaschen und einen
kühlen Trunk genießen zu dürfen.

_Drenovo_ hat einen bösen Namen in der Hygiene des Kriegsschauplatzes
gewonnen; auf der Heimreise, wie bei der Rückkehr an die Front hat
hier mancher Soldat sich eine schwere _Malaria_ geholt. Lange Zeit war
dies bei beiden Reisen die Übernachtungsstelle der Urlauber. In der
sumpfigen Gegend des Barackenlagers wimmelte es von Malariamücken und
die kurzen Stunden der Nachtruhe in den schlecht verwahrten Baracken
haben vielen die schlimme Infektion durch deren Stich gebracht, die sie
in den Jahren an der Front im gesunden Hochgebirgsklima Mazedoniens
nicht bekommen hatten.

[Illustration: Abb. 231. Lager und Bahnhof von Drenovo. Im Hintergrund
das Dorf.]

Damals auf der Durchreise hatte ich nicht Zeit und Kraft, den hoch am
Berghang gelegenen _Ort Drenovo_ zu besuchen. Das holte ich im April
1918 nach, als ich mit meinem Freund _Popoff_ eine genußreiche Fahrt
durch diese Gegend machte. Da wanderte ich durch das malerische Örtchen
zu der alten Kirche, die an dessen obersten Rand ganz außerhalb des
Verkehrs lag. Deshalb wurde sie von Deutschen selten besucht, wenn sie
das auch durchaus verdient hätte.

Die Kirche sah allerdings von außen aus wie eine Scheune. Trat man
dagegen in den hohen Innenraum ein, so wurde man überrascht durch
eine Anzahl gewaltiger Säulen, welche das Dach stützten und fast zu
mächtig für den engen Raum waren. Es waren offenbar antike Säulen
oder doch solche aus byzantinischer Zeit, die hier verwandt waren und
dem erfahrenen Archäologen wichtige Aufschlüsse über die Geschichte
des Landes versprachen. In dieser Kirche fanden sich auch Fragmente
eines Tierfrieses mit merkwürdigen Formen, welche auf orientalische
Beziehungen hinweisen.

Nach erfrischender Rast wurde die Fahrt nach dem Endpunkt der
Feldbahn, dem großen Etappenlager _Grazko_ fortgesetzt, wo ich auf die
Hauptbahnlinie und den Wardar zurückkam, kurz vor der Einmündung der
_Cerna_ in den letzteren. Grazko war kein erfreulicher Aufenthalt,
diese riesige Stadt von Zelten und Baracken, in kahler dürrer Gegend;
ungeheure Mengen von Geräten, Munition, Waffen lagerten hier sowohl
für die Cerna-, Monastir- und Seenfront, wie für jene am Doiransee und
unteren Wardar.

Immerhin gab es hier zwei Anziehungspunkte, die Ruinen der antiken
Stadt _Stobi_ und das deutsche Gut _Palikura_. _Stobi_ war eine
römische Stadt, günstig an der Mündung der _Cerna_ in den Wardar
gelegen, aus der Hauptstadt der Päonier entwickelt. Sie war von jeher
ein befestigter Brückenkopf. Noch erkannte man dicht am Fluß Reste
einer Stadtbefestigung. Während der Besetzung wurden von Deutschen
verschiedentlich Ausgrabungen dort gemacht. Zum Teil wurden sie
dilettantisch betrieben, schließlich aber von Fachmännern geleitet
und haben manches Interessante geliefert. Ich habe die Ruinen in
verschiedenen Phasen der Ausgrabung besucht. Soweit ich Einblick
gewann, ist das wesentliche Resultat der Forschungen die Feststellung
der Grenzen und Befestigungen der alten Stadt, in der auf die
altmazedonische Periode eine römische und eine byzantinische Periode
folgten. Die römischen Reste sind spärlich, während aus byzantinischer
Zeit viel mehr zum Vorschein kam. Der Verlauf der Befestigungen an
der Cerna ließ sich ziemlich klar stellen, Grundrisse von Häusern,
zwei Kirchen, Kloaken wurden aufgedeckt. Auch wurden römische und
byzantinische Grabsteine gefunden. Von einer der byzantinischen
Kirchen ließ sich ein gut Stück der Baugeschichte durch verschiedene
Perioden hindurch verfolgen. In den Basiliken sind in byzantinischer
Zeit römische Bauteile verwandt worden. Die byzantinischen Bauten
sollen meist im 5. Jahrhundert entstanden sein. Gräber in der einen
Kirche, ein Kuppelgrab, ein Friedhof wurden aufgedeckt, dazu ein
Mosaikfußboden, dessen Arbeit auf römischen Ursprung hinweist. In der
anderen stammen Säulen und Stufen von einem größeren römischen Tempel.
Sie wurden offenbar nach dessen Zerstörung in die Kirche eingebaut.

Besonders stattlich muß die dreischiffige Basilika bei _Palikura_
gewesen sein, die wohl auf eine größere Ausdehnung der Stadt
Stobi hinweist. Hier sind eine große Anzahl von Säulen, Friesen,
Marmorplatten und Inschriften gefunden worden. In dieser Kirche ist
aber alle Arbeit von weit geringerem Typus und weist auf Entstehung
in späterer Zeit hin. Auch sonst wurden in Mazedonien von unseren und
den bulgarischen Truppen viele interessante Reste aus prähistorischen
Zeiten, aus Altertum und Mittelalter gefunden. Im Jahre 1918
wurde an ihrer planmäßigen Erfassung gearbeitet und es sind wohl
Veröffentlichungen darüber zu erwarten.

_Palikura_ selbst ist während des Krieges als Versuchslandgut vom
preußischen Landwirtschaftsministerium bewirtschaftet worden. Es war
schon 33 Jahre vor dem Kriege in Händen eines deutschen Besitzers
gewesen. Sowohl dieser als die preußische Verwaltung hatten, soweit ich
erfuhr, manche Mißerfolge. Doch hatte ich bei einem Besuch in dem Gut
den Eindruck großer Fortschritte, die wohl leider seither nicht mehr
fortschreiten konnten.

Von dem ersten Ausflug nach Prilep brachte ich mehr als
naturwissenschaftliche Ergebnisse, starke Eindrücke von der Kultur und
Geschichte des Landes und noch stärkere von der Arbeit und Leistung
unseres Heeres in diesem fernen fremden Gebiet mit. Ich habe ihnen
absichtlich Raum gegeben; denn jetzt nach dem Zusammenbruch unserer
Unternehmungen ist es wichtig, in Deutschland unter dem Einfluß des
Mißerfolges, nicht die Größe und Tüchtigkeit unseres Volksheeres zu
vergessen. Das, was Mannschaften und Offiziere mit Treue, Ausdauer,
körperlicher und geistiger Energie in diesem Lande leisteten, das kann
nicht ganz verloren gehen und wird wieder ein Zeugnis von dem guten
Kern des Volkes werden, wenn die Deutschen eine neue Zukunft gewinnen.

Zu zoologischen Forschungen war die erste Fahrt nach Prilep nur eine
Erkundung gewesen, die zu späteren Reisen den Anstoß gab, wovon weitere
Kapitel Auskunft geben sollen.



DREISSIGSTES KAPITEL

AMEISENLÖWEN


Bei den klimatischen, botanischen und zoologischen Beziehungen
Mazedoniens zu den asiatischen Steppen war ein großer Reichtum an
jenen +Neuropteren+ zu erwarten, die man gewöhnlich unter dem Namen
der _Ameisenlöwen_ zusammenfaßt und welche _Rösel von Rosenhof_ sehr
passend als _Landlibellen_ bezeichnet. Da ich infolge einer eingehenden
biologischen und tierpsychologischen Untersuchung des einen der
deutschen Ameisenlöwen mich für diese Tiergruppe sehr interessierte,
achtete ich von vornherein auf ihr Vorkommen in Mazedonien.

Schon in den ersten Tagen in _Kaluckova_, im Mai 1917, entdeckte
ich auf den Hügeln der Umgebung in Mengen jene charakteristischen
_Sandtrichter_, deren Bau und Verwendung zum Ameisenfang ich bei der
deutschen Art so genau studiert hatte. Überall gab es diese Trichter,
hier aber nicht so sehr an Abhänge und Stellen mit Regenschutz
gebunden; vielmehr lagen sie überall frei im Gelände. In _Rabrovo_,
dessen Zelt- und Barackenlager im schattenlosen Tal angelegt war,
fanden sich zahllose Trichter in dem feinen Staub der Straßen und
Plätze. Hier in dem Lande mit seinem trockenen Sommer brauchen die
Ameisenlöwen sich nicht vor dem Regen zurückzuziehen, wie die Larve von
+Myrmeleon formicarius+ L. in Deutschland. Obwohl die Trichter genau
so aussahen wie jene, die ich in Deutschland studiert hatte, merkte
ich bald, daß die in Südmazedonien häufigste Larve zu einer anderen
Ameisenlöwenart gehören müsse.

Bei _Kaluckova_ war am häufigsten die Larve von +Macronemurus
appendiculatus+ Latr., einem zarten Tier mit durchsichtigen Flügeln,
deren Oberfläche fein irisierte, wenn das Licht von der Seite auf sie
fiel. Gegen die Flügelspitze hin war ein gelbliches Randmal sichtbar.
Der Kopf trug zwei an der Spitze verdickte Fühler, vorstehende kugelige
Augen, der Körper war dunkelbraun mit gelben Längsstreifen an den
Seiten des Hinterleibes und gelben Flecken in der Brustregion. Das
Männchen trug am Hinterende zwei behaarte Fortsätze und war kleiner als
das Weibchen (Abb. 234 +A+ u. +B+).

[Illustration: Abb. 232. Trichter und Kriechspuren der Larven
mazedonischer Ameisenlöwen (+Myrmecaelurus trigrammus+ Pall.) Üsküb.]

Davon, daß das Tier so aussah, hatte ich aber damals, als ich mir die
Larven aus ihren Sandtrichtern holte, noch keine Ahnung; daß ähnlich
aussehende Tiere aus ihnen werden müßten, wußte ich wohl. Aber zu
welcher Art sie gehörten, war mir noch unbekannt. Erst gegen den Juni
traten die +Imagines+ auf und deren Zusammengehörigkeit mit den Larven
ergaben mir Züchtungen aus Larven, die ich lebend hielt und durch
fleißiges Füttern mit Ameisen zur Verpuppung brachte.

[Illustration: Abb. 233. Ameisenlöwe. Larve von +Macronemurus
appendiculatus+ Latr. Kaluckova. Vergr. 5.]

Um so interessanter war die Untersuchung der Larven; ich hatte in
Deutschland die im Westen häufige Larve von +Myrmeleon formicarius+
genau auf Bau, Lebensweise und Reaktionen durchforscht und eine
Monographie über sie geschrieben[1]. So merkte ich sogleich, daß die
hier vorliegenden Larven ganz anders reagierten und somit sicher zu
einer anderen Art gehörten. Während die Larven der deutschen Art nur
rückwärts kriechen können, sah ich die hier vor mir sitzenden gerade so
flott sich vorwärts bewegen. Allerdings, wenn sie sich zum Trichterbau
in den Sand einwühlten, ging auch hier das Hinterende voran, wobei
merkwürdige, wie Schaufeln aussehende Gebilde an diesem eine wichtige
Rolle spielten (Abb. 233).

Beim Bau des Trichters liefen sie zuerst oberflächlich in einer Spirale
auf dem Sand herum, dabei eine Furche ziehend. Versetzte man ihnen
einen leichten Tastreiz am Hinterende, so setzten sie sich vorwärts
in Bewegung; beim Laufen benutzten sie das erste und zweite Fußpaar,
wobei zuerst das erste, dann das zweite, abwechselnd links und rechts
vorgesetzt wurden. Die Bewegungen waren sehr lebhaft, die Reaktionen
dieselben wie bei dem von mir studierten deutschen Ameisenlöwen.

Er stellte sich tot wie jener; nahm eine ähnliche Bereitschaftsstellung
an, führte denselben Schnappreflex aus, drehte sich, auf den Rücken
geworfen, schnell durch einseitiges Anstemmen des Kopfes um. Er zeigte
Reizbarkeit durch Licht, stellte sich im Trichter nach dem Lichteinfall
ein.

[Illustration: Abb. 234. A B +Macronemurus appendiculatus+ Latr. +A+
Männchen. +B+ Weibchen. Nat. Gr.]

Schon im Mai und Anfang Juni traten +Imagines+ dieser Art bei
_Kaluckova_, im _Wardar-_ und _Nikolatal_ zahlreich auf. Die von mir
gefütterten Larven kamen nur zum Teil zur Verpuppung in kugeligen
Kokons, welche von Sandkörnern umhüllt waren.

Eine zweite Form des Ameisenlöwen, der bei Kaluckova Trichter baute,
war +Myrmeleon formicalynx+ F. Auch von dieser Form hielt ich die
Larven in Gefangenschaft, züchtete sie und erzielte aus ihnen
+Imagines+. Auch sie liefen sowohl vorwärts als rückwärts, bauten große
tiefe Trichter und entsprachen in den Reaktionen im wesentlichen den
anderen von mir untersuchten Larven. Die +Imagines+ waren größer als
die von +Macronemurus appendiculatus+ Latr., hatten breitere Flügel mit
sehr deutlichem, weißem Randmal an beiden Flügelpaaren, hinter welchen
eine deutliche Verdunkelung des Flügels sichtbar war (Abb. 235). Der
Körper war im allgemeinen schwarz, mit gelben Flecken am Prothorax.
Gelbe Streifen fanden sich auch am Kopf. Femur und Tibia der Beine
waren auch gelb, mit schwarzbraunen Gelenken.

[Illustration: Abb. 235. +Myrmeleon formicalynx+ F. Nikolatal. Nat. Gr.]

Noch eine dritte Form von Ameisenlöwen baute im Wardartal Trichter. Sie
war allerdings bei Üsküb häufiger als im Süden. Ich fand sie aber auch
bei Mravinca und Veles.

Es war dies eine sehr stattliche, lange Larve, die besonders schlank
gebaut war (Abb. 236). Sie erreichte eine Länge von fast 2 cm. Die
Fühler sind 14 gliederig. Kopf und Rücken sind auffallend gezeichnet.
Auch sie baute tiefe Trichter, konnte vorwärts und rückwärts laufen;
sehr eigenartig ist der schroffe Übergang vom Vorwärtslaufen
zum Rückwärtsgehen und umgekehrt. Die Tiere wechseln oft rasch
hintereinander damit ab.

Auffallend ist die größere Reizbarkeit dieser Larven, verglichen mit
den anderen von mir studierten Arten. Das Totstellen dauert hier immer
nur sehr kurz, die Reizreaktionen, vor allem der Schnappreflex, sind
sehr intensiv. Der Phototropismus ist sehr ausgesprochen; das Tier
läuft auch vorwärts auf die Lichtquelle los. Merkwürdig ist das starke
Aufbäumen des Vorderendes. Die Larve kann selbst an senkrechten Wänden
mit dem Vorderende voran hinaufklettern.

Die Larve dieses Ameisenlöwen unterscheidet sich überhaupt in ihrem
Verhalten sehr von den anderen von mir studierten Formen.

[Illustration: Abb. 236. Ameisenlöwe. Larve von +Myrmecaelurus
trigrammus+ Pall. Üsküb. Vergr. 5.]

Im April und Mai gab es viele kleine und mittelgroße Larven, im
Juni herrschten die großen Larven vor, die Trichter waren dann auch
auffallend groß. Im Juli scheint die Zeit der Verpuppung zu sein,
welche nicht lange dauert. Ein Exemplar, welches sich in Gefangenschaft
anfangs August verpuppt hatte, schlüpfte am 23. August aus. Bei meinen
in Gefangenschaft gehaltenen Individuen, die alle schöne kugelrunde,
sandkörnerumkleidete Kokons bauten, war wohl die Larvenzeit stets etwas
über die Norm ausgedehnt.

In Mazedonien flogen die +Imagines+ dieser Form vor allem im Juli. Es
war +Myrmecaelurus trigrammus+ Pall. (Abb. 237). An Flügeln und Körpern
der Individuen dieser Art herrschte die gelbe Farbe vor. Die Fläche
der Flügel mit ihren braunen Adern zeigte einen zarten gelbgrünen
Glanz. Der Hinterleib war im wesentlichen gelb, mit dunkelbraunen
Längsstreifen, ähnlich sahen Kopf und Brustabschnitte aus.

[Illustration: Abb. 237. +Myrmecaelurus trigrammus+ Pall. Üsküb. Nat.
Gr.]

Dieses Tier trat Ende Juni und im Juli in großen Mengen auf. Männchen
und Weibchen waren zu gleicher Zeit da.

Um diese Zeit gab es nur mehr wenig Trichter und vom September an
wurden es ihrer wieder mehr; diese waren dann aber noch sehr klein
und beherbergten entsprechend kleine Larven. Offenbar war im Juli und
anfangs August Begattung und Eiablage erfolgt, so daß im Herbst die
neue Generation erschien. Die jungen Larven überwintern hier und es
scheint mir unzweifelhaft, daß sie in diesem heißen Lande sich schon in
einem Jahre zum geschlechtsreifen Tier entwickeln.

Schon vom Mai an waren die +Imagines+ von zahlreichen anderen Arten von
Ameisenlöwen oder sagen wir lieber von _Landlibellen_ in Mazedonien
aufgetreten. Bis in den Hochsommer nahm Arten- und Individuenfülle
immer mehr zu, so daß in dieser Zeit im Landschaftsbild mit den
Heuschrecken die Landlibellen eine größere Rolle spielten als die
Schmetterlinge. Manche von ihnen glichen aber auch im Flug, in der
Farbigkeit, in der Eigenart der Formen Schmetterlingen.

[Illustration: Abb. 238. +Formicalynx tetragrammus+ Pallas. ♀.
Kaluckova. Nat. Gr.]

Mehrere Formen traten in dieser Zeit im Wardartal auf, welche durch die
zarte Durchsichtigkeit der Flügel den bisher beschriebenen drei Arten
sehr ähnlich waren. Es war vor allem +Formicalynx tetragrammus+ Pall.,
ein stattliches Tier mit dunklem Körper und dunkler Aderung der Flügel,
welche auch mehrere dunkle Flecken trugen (Abb. 238). Von dieser Art
sowie von +Creagris plumbeus+ Oliv., einer zartflügeligen Landlibelle,
ohne Flecken auf den Flügeln, mit schwarzem, ungestreiftem Körper habe
ich die Larven nicht mit Sicherheit gefunden.

Umgekehrt fand ich von +Megistopus flavicornis+ Rossi nur die Larven,
wenn ich sie nach der Bearbeitung von _Redtenbacher_ richtig bestimmt
habe.

Von Ende Mai an traten zwei eigenartige Formen im südlichen Wardartal,
am Doiransee, bei Demirkapu und Veles auf, die weiter nördlich
jedenfalls viel seltener waren. Zuerst kam von ihnen +Nemoptera
sinuata+ Oliv., ein graziöses, seltsam anmutendes Insekt. Anfang Juni
kam dieses schöne Tier in Hunderten von Exemplaren auf den grasigen
Hängen des Nikolatals vor, 14 Tage später wimmelte es von ihm einige
hundert Meter höher auf der _Plaguša Planina_. Das Tier ist durch eine
große Verschiedenheit der Vorder- und Hinterflügel ausgezeichnet; die
Vorderflügel sind breitoval, die Hinterflügel sind lange, schmale
Bänder, die nach hinten sich spatelförmig verbreitern. Beide Flügel
haben eine blaßgelbe Grundfarbe mit dunkelbraunen Flecken; letztere
sind zum Teil so eigenartig verteilt, als hätte ein Maler sie
willkürlich auf die Flügel gepinselt (Abb. 240, S. 480).

Nur die Vorderflügel leisten Flugarbeit, indem sie rasch schlagen;
die bandförmigen Hinterflügel flattern unbewegt hinter dem Tier her
und wirken offenbar als Stabilisatoren. In der Regel fliegen die
+Nemopteren+ ganz langsam, taumelnd von Blüte zu Blüte, während ihre
Hinterflügel wie Wimpel hinter ihnen im Wind sich wiegen. Eine Wiese
voll von diesen Tieren, die im hellen Sonnenschein sich behaglich über
den Blüten schaukeln, von Zeit zu Zeit auf einer duftigen Dolde wie in
einem Flughafen landen, bietet einen höchst reizvollen Anblick dar.
Wollte man sie fangen, oder verfolgte sie ein Vogel, so erfolgte die
Flucht in ziemlich raschem Flug.

[Illustration: Fig. 239. Ameisenlöwe. Larve von +Megistopus
flavicornis+ Rossi. Üsküb. Vergr. 5.]

Sie traten, Männchen und Weibchen gleichzeitig, in großen Mengen auf
und verschwanden ebenso allmählich Ende Juni. In den höheren Regionen,
in denen sie etwas später aufgetreten waren, dauerten sie auch etwas
länger aus.

Fast noch phantastischer sah die andere Art aus, deren große
braungefleckte Flügel eine Spannweite von 10-12 cm, gelegentlich sogar
noch mehr erreichten. Es sind dies die sogenannten „_Riesenhafte_‟,
die Art, die im gleichen Gebiete wie +Nemoptera+ flog und womöglich
in noch größeren Mengen auftrat, war +Palpares libelluloides+ Dalm
(Abb. 241 u. 242). Auch bei dieser größten unter den europäischen
Landlibellen war der Flug meist etwas schwerfällig und taumelnd. Bei
starkem Wind konnten sie sich nicht in der Luft halten, wurden zu Boden
geschleudert und zogen sich zwischen Gras und Büsche zurück. Wie die
+Nemopteren+, sah man sie viel bei Tage fliegen, wie denn die meisten
der mazedonischen Ameisenlöwen _Tagtiere_ sind.

[Illustration: Abb. 240. Landlibelle mit verschiedenen Flügeln.
(+Nemoptera sinuata+ Oliv.) Nat. Gr.]

Bei windstillem Wetter im heißen Sonnenschein gaukelten sie in
lebhafterem Flug über offene Flächen, über Wiesen und die bebuschten
Hügel. Zu den grünen und grauen Flächen des Untergrundes, zu den
blühenden Pflanzen an Tümpeln, Bächen und in den Schluchten bildeten
sie mit den braunen Tönen ihrer Flügel einen malerischen Gegensatz.
Ihre Flügel haben einen länglichen Umriß, sind im Grundton leicht
bräunlich gefärbt, dunkler sind die Adern und den starken Randadern
entlang zieht sich ein gelblicher Streifen. Eigenartig unregelmäßig
verteilt sind die dunkelbraunen gegitterten großen Flecken über die
Fläche des Flügels, während regelmäßige kleine Farbtupfen sich den
Rändern entlang ordnen. Der ganze Körper, Kopf, Brust und Hinterleib
ist der Länge nach schwarzbraun und gelb gestreift, wobei ein dunkler
Streifen die Mittellinie des Rückens darstellt.

Auch bei dieser Art traten Männchen und Weibchen gleichzeitig auf; die
Männchen sind leicht an den griffelförmigen Fortsätzen des Hinterendes
zu erkennen. Auffallend ist gerade bei dieser Art die Versammlung von
vielen Männchen um ein Weibchen gewesen; ich beobachtete oft 5-7, ja 8
Männchen, welche sich um ein Weibchen drängten.

Wie die Schmetterlinge, denen sie vielfach so ähnlich sehen, sind
auch die Imagines der Ameisenlöwen gegen Temperaturschwankungen sehr
empfindlich. Morgens in der Frühe und abends bei sinkender Temperatur
waren sie auffallend schwerfällig, so daß man sie ohne weiteres an
den Flügeln fassen konnte, ohne daß sie davonflogen. +Nemoptera+ und
+Palpares+ waren in der Mittagssonne beweglicher, aber auch dann
gehörten sie zu den am leichtesten zu fangenden Insekten.

[Illustration: Abb. 241. +Palpares libelluloides+ Dalm. Großer
braungefleckter Ameisenlöwe. Nat. Gr.]

+Nemoptera+ und +Palpares+ gehören sicher zu den Ameisenlöwen, welche
keine Trichter bauen. So waren ihre Larven nicht so leicht zu finden
und zu beobachten, als diejenigen der oben erwähnten Formen, die man
ohne weiteres in ihren Trichtern aufsuchen konnte. Über die Lebensweise
der +Palpares+-Larven gelang es mir nicht, irgendwie Beobachtungen
zu machen. Sie müssen sehr verborgen leben, möglicherweise sind sie
nächtliche Tiere. Wie viel habe ich nach ihnen gesucht; wie viel Steine
haben wir umgewälzt, wie viel in der Erde gegraben, bis es gelang,
eine einzige Larve zu fangen. Diese grub im Winter (Januar 1918) der
Entomologe _Rangnow_ aus der Erde am _Grünberg_ bei _Kaluckova_ heraus.
Groß und stattlich ist diese Larve, über 3 cm lang, fast so breit wie
die anderen Ameisenlöwenlarven lang sind. Wie zahlreich müssen bei der
Menge, in der die Imagines auftraten, auch ihre Larven im gleichen
Gebiet sein. Ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß sie Trichter
bauen, die hätten uns bei der genauen Durchforschung, die ich mit
meinen Mitarbeitern vornahm, nicht entgehen können. Immerhin weist der
Bau der Larve auf ein Wühlen in lockerem Substrat hin.

[Illustration: Abb. 242. Larve von +Palpares libelluloides+ Dalm.
Vergr. 6.]

Ebenso merkwürdig ist es, daß ich die Larven von +Nemoptera+ an den
Fundorten, an denen die Imagines in großen Mengen auftraten, nicht
gefunden habe, obwohl ich intensiv nach ihnen suchte. Eine Larvenform,
die sicher nicht zu den Trichterbauern gehört und in mancher Beziehung,
so durch die Größe, zu +Nemoptera+ gehören könnte, konnte ich aber
bisher nicht mit Sicherheit bestimmen.

Gegen Ende Juli verschwanden +Nemopteren+ und +Riesenhafte+ allmählich
vollkommen; selten sah ich ein totes Tier oder Reste von einem solchen
im Freien.

Statt ihrer traten andere Formen auf, unter denen die auffallend
gefärbten +Ascalaphiden+ eine große Rolle spielten (Abb. 243). So fand
ich bei Selenikovo eine unserem +Ascalaphus macaronius+ Scop. durch
gelb und braun gefleckte Flügel ähnliche Form.

Durch massenhaftes Auftreten an wenigen Tagen Mitte Juni 1917 war
in der Umgebung von Kaluckova eine Art mit den typischen langen
Fühlern, mit dem Endknopf und einem braunen Fleck auf jedem Flügel
gekennzeichnete Art bemerkenswert. Es war +Delyoproctophylla australis+
Fabr. Hunderte von Individuen flogen einige Tage lang auf den Hügeln
von Kaluckova herum, um nach Verlauf dieser Tage ebenso spurlos zu
verschwinden wie die anderen Arten. Eigenartig war bei dieser Form,
daß ihr Körper, auf Papier gelegt, dort einen starken Fettflecken
hinterließ.

[Illustration: Abb. 243. Blattlausameisenlöwe. +Ascalaphus sp.+]

Die Sammlung von Ameisenlöwen und ihren Larven, welche ich aus
Mazedonien mitbrachte, ist wie viele andere Gruppen des Tierreichs
bisher noch recht flüchtig durchgearbeitet. Ihre definitive
Bearbeitung, welche ich selbst in die Hand genommen habe, soll in einer
wissenschaftlichen Zeitschrift erscheinen.



EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL

KRUSEVO ALS AROMUNENSTADT


Gopes und Krusevo, diese beiden Städte fasse ich zur Betrachtung in
diesem und dem nächsten Kapitel zusammen, weil sie viel Gemeinsames
haben. Sie sind beide Bergstädte und ihre Bewohner sind vorwiegend
_Aromunen_ oder _Kutzowallachen_. Die eine an den Hängen der _Baba
Planina_ in fast 1200 m Höhe gelegen, _Krusevo_, habe ich nur einmal
besucht, in _Gopes_ war ich mehrmals zu verschiedenen Jahreszeiten.

Um nach _Krusevo_ zu gelangen, muß man von Prilep quer durch die flache
Ebene direkt nach Westen 22 km weit wandern oder fahren, ehe man das
Gebirge erreicht, auf welchem die Stadt liegt. Weiß sieht man ihre
Häuser beim Anmarsch über die Ebene blinken. Als ich das erste Mal nach
Mitte Juni 1917 über die Ebene von Prilep fuhr, erschien sie wie ein
üppiger Garten. Weithin war sie von grünen Ährenfeldern bedeckt, auf
denen Weizen und Roggen fast 2 m hoch standen; selbst die Gerste, die
im Wardartal schon geerntet war, war hier noch nicht ganz gelb, bei
einer Meereshöhe von etwas über 600 m. Im westlichen Teil der Ebene
gab es ausgedehnte Pflanzungen von Hanf. In den Gräben stand reichlich
Wasser, das zur Bewässerung der Felder diente und verschiedenen Bächen
entstammte, die von Norden, Osten und Westen der Cerna zuströmten. Als
niedere Hügelkette sah man im Süden die alte Barriere, durch welche die
Cerna bei _Topolčani_ in die Ebene von Monastir, in die eigentliche
_Pelagonia_ durchbricht. Man verstand wohl, daß früher ein See die
Ebene, die man jetzt durchfuhr, erfüllt haben mochte.

Das Wasser, welches überall in den Gräben stand, mußte die Entwicklung
der Malariamücken sehr begünstigen. Damit brachte ich unwillkürlich
die Bauart der Häuser in Verbindung, welche in den Gütern und Dörfern
der Ebene einen auffallenden Typus darstellten. Sie ragen turmartig
hoch empor und der obere, etwas vorragende Stock ist der von Menschen
bewohnte und mit Fenstern versehene. So sehen die Herrenhäuser in all
den Orten der Ebene aus, die man durchfährt, in _Konjari, Urbjani_ und
_Krivogastani_. Man denkt unwillkürlich an eine Flucht vor den niemals
hoch fliegenden Malariamücken, wenn man diese Turmhäuser sieht und
sich daran erinnert, daß auch in der Campagna von Rom im Sommer die
Bauern aus Furcht vor dem Fieber auf dem Dach schlafen. Hier allerdings
werden auch andere Beweggründe vorliegen, etwa Schutz vor nächtlichen
Überfällen. Und das geht auch aus den Schilderungen früherer Reisenden
hervor, sowie aus den Schießscharten des unteren Stockwerkes.

[Illustration: Abb. 244. Hochgebautes Haus bei Prilep.]

Als ich Anfang September 1917 mit Hauptmann _Pfeiffer_ von Prilep
über die Ebene fuhr, war sie dürr und staubig. Die Felder waren
abgeerntet. Heuschrecken waren die vorherrschenden Tiere und auf den
Telegraphendrähten saßen viele Falken, auf sie lauernd. Lerchen und
Elstern waren neben ihnen die auffallendsten Vögel.

Wir ließen unsern Wagen unten am Berg stehen und stiegen in 1½ Stunden
die Landstraße hinauf, welche in vielen Windungen einer tiefen Schlucht
entlang angelegt ist, die 600 m nach _Krusevo_ hinanführt. Zu ihren
Seiten war die Pflanzenwelt sehr dürftig, wenige Bläulinge flogen, auch
Wespen gab es, aber vor allem Heuschrecken und unter ihnen waren die
_Gespensterheuschrecken_ besonders häufig. Links von der Schlucht sah
man am Hang die weißen Gebäude des Klosters _Sveti Spas_.

Nach einer Straßenbiegung liegt plötzlich die weit ausgebreitete,
ziemlich große Stadt an den Berghängen vor unsern Blicken. Es war
ein überraschender, höchst reizvoller Anblick, der sich uns darbot.
Flimmernd lag die weiße Stadt an der Bergwand und in die Schluchten
eingeschmiegt; hinter ihr breitete sich als dunkle Fläche ein großer
Buchenwald aus, welcher den Gipfeln eine in Mazedonien ganz ungewohnte
Einheitlichkeit und Ruhe gab. Die meisten Häuser waren weiß oder doch
sehr hell getüncht, die Dächer mit großen Schieferplatten gedeckt,
welche über das Bild ein gedämpftes Grau breiteten, eine ganz
andere Farbenwirkung als bei den Türkenstädten mit ihren grellroten
Ziegeldächern. Die Form des Daches ist meist eine vierseitige Pyramide,
kein zweiseitiges Giebeldach, wie bei den bulgarischen Häusern.
Die Häuser sind offenbar im Zusammenhang mit dem Raummangel an den
Steillehnen der Hänge hoch gebaut, haben keine äußeren Galerien und
Vorhallen. Zuerst wurde ich an italienische Gebirgsstädte erinnert;
aber gegenüber diesen stach die große Einförmigkeit in der Bauweise der
Häuser erheblich ab, es gab weniger Individualität als in jenem Land.

Immerhin waren die Straßenbilder, als wir durch die steilen Gassen
kletterten, sehr malerisch und eigenartig. Während im Gesamtanblick
bei dem starken Sonnenschein die grelle Helle der Häusermassen mit den
vielen gleichmäßigen Fenstern zunächst einen verwirrenden, fremdartig
abweisenden Eindruck hinterlassen hatte, bauten sich jetzt an den
Einzelschluchten zwischen den Gruppen von Bäumen individuellere
Bilder auf, welchen die ungewohnte Waldfläche des Hintergrundes etwas
für die an die Grellheit mazedonischer Städtebilder gewöhnten Augen
harmonisches und sympathisches gab.

Die Hauptmasse der Häuser war groß und städtisch, eines davon war
zu einem Soldatenerholungsheim ausgebaut, welches ein Rittmeister
_Fries_ leitete. Es war ein guter Gedanke gewesen, hier in der
frischen Bergluft, nahe dem Waldesschatten eine Art von Kurort für den
mazedonischen Kriegsschauplatz einzurichten, in welchem Soldaten sich
von akuten Erkrankungen und Erschöpfungszuständen erholen konnten, ohne
den Strapazen der Heimreise ausgesetzt zu sein.

Hier wohnten die Rekonvaleszenten sauber und angenehm, hatten von ihren
Fenstern einen schönen und freundlichen Ausblick und alles war darauf
abgesehen, ihnen durch Abwechslung und Unterhaltung die Erholung zu
fördern.

Mich interessierte natürlich zunächst besonders der Buchenwald, der
die Gipfel der südlichen nicht sehr steilen Berge in merkwürdig
geradlinigen, abgeschnittenen Beständen bedeckte. Es war ein
eigenartiger Eindruck, einmal wieder einen richtigen schattigen Wald
zu betreten, dessen hohe graue Stämme und hellgrüne Blätter das
fremdartige Bild der weißen Stadt umfaßten (Abb. 245). Der Boden des
Waldes war von einer glatten Fläche brauner Blätter bedeckt; auf ihm
wuchs nicht viel von Gräsern und Kräutern, was wohl zum Teil mit der
Jahreszeit zusammenhing.

Trat man jenseits aus dem Wald heraus, so fand man statt der erwarteten
grünen Wiese ein kahles Geröllfeld, über welches der Wind pfiff.
Vielleicht waren solche regelmäßigen Winde die Ursache des plötzlichen
Aufhörens, des geradlinigen Abschlusses der Wälder.

Ein Gang durch die Stadt zeigte die städtische Wohnweise der hier
wohnenden Menschen; es waren alles Stadtleute, die hier lebten,
Handwerker, Kaufleute, Gewerbetreibende, Viehzüchter, keine Ackerbauer.
Dem entsprach auch der mangelnde Anbau in der Umgebung der Stadt, der
ja wohl auch durch die Höhenlage bedingt ist.

Nicht zum wenigsten war aber der Charakter der Stadt durch seine
Einwohner bestimmt. Es war schon eigenartig, eine mazedonische Stadt
ohne ein einziges Minaret vor sich zu sehen. Zwei Kirchen mit niederen
Türmen, welche sich nicht übermäßig in der Größe von den anderen
Gebäuden der Stadt unterschieden, bewiesen ihren rein christlichen
Charakter.

Ist es nicht seltsam, daß eine solch stattliche Ansiedelung im Jahre
1858 der Geographie noch unbekannt war? Das gibt der Konsul _von Hahn_
in seinem Buch an, welches er über seine Studienreise im Interesse der
Anlage der Orientbahn geschrieben hat. Wie die übrigen aromunischen
Städte ist auch _Krusevo_ vor nicht allzulanger Zeit gegründet worden,
von Angehörigen dieses Stammes, welche durch Räubereien oder Bedrückung
aus anderen Teilen des türkischen Balkan verdrängt wurden.

_Aromunen_ nennen sich die Angehörigen dieses Volkes selbst in ihrer
romanischen, dem Rumänischen ähnlichen Sprache, die vom Lateinischen
aus der Zeit, in welcher der Balkan einen Teil des römischen Reiches
darstellte, abzuleiten ist. _Kutzowallachen_ (lahme Wallachen)
werden sie spöttisch von Türken und Slaven genannt, ebenso wie der
hauptsächlich von den Serben gebrauchte Name _Zinzaren_ ein Spitzname
ist, der auf ihre Aussprache gemünzt ist. _Gustav Weigand_, wohl der
beste Kenner der romanisch sprechenden Völker des Balkan, ist der
Meinung, daß diese jetzt so weit zerstreuten Volksbestandteile einst
ein einheitliches Volk gebildet haben mit einheitlichem Wohnsitz. Aber
auch er hält sie für der Rasse nach so wenig einheitlich, wie es einst
die römischen Kolonisten waren, aus denen sie entstanden sein müssen.
In allen den Jahrhunderten der Slavenwanderungen, der byzantinischen
und türkischen Herrschaft, mögen manche Vermischungen vorgekommen sein.
Aber die Sprache hält. Die auf dem Balkan zerstreuten _Aromunen_,
denen als romanisch sprechende Balkanvölker die _Rumänen_ (bezeichnet
als _Daco-Rumänen_), die _Mogleniten_ und _Istrier_ zur Seite stehen,
erreichen nur die Zahl von höchstens 160000. Dazu sind sie ganz
außerordentlich zersplittert und zerstreut angesiedelt.

[Illustration: Abb. 245. Die Aromunenstadt Krusevo vom Buchenwald aus
gesehen.]

_Weigand_ hält für ihre ursprüngliche Heimat das westliche
Nord-Thessalien, um das _Gramosgebirge_ herum, von da sind sie
hauptsächlich nach Nordosten ausgewandert, und man findet Bestandteile
von ihnen in Griechenland, in Albanien, in Bulgarien, in Serbien, kurz
über die ganze Balkanhalbinsel zerstreut. Sie erscheinen hauptsächlich
in zwei Stämme geteilt, die sich gegenseitig als _Karaguni_, die
Schwarzröcke, und die _Farserioten_, die fast immer weiße Kleidung
tragen, bezeichnen. Während die ersteren seßhafte Stadtbewohner sind,
leben letztere als Nomaden, schlagen ihre Hütten im Gebirge auf, wo es
ihnen paßt und wo sie Weiden pachten; sie sind Hirten, welche keinen
eigenen Grundbesitz haben. Trotzdem beide Stämme in enger Berührung
sind, die Farserioten nicht selten zum seßhaften Leben übergehen,
heiraten sie in der Regel nicht untereinander.

Daß die _Aromunen_ bis in die neueste Zeit auf dem Balkan so viel
wanderten, war meist nicht freiwillig. Religiöse Verfolgungen,
Bedrückung, Plünderung durch die Türken und vor allem durch die Albaner
veranlaßten sie aus der alten Heimat auszuwandern und sich an Orten
niederzulassen, wo Volksgenossen es gut gefunden hatten. So stammen
z. B. die Aromunen in Krusevo vorwiegend aus Platsa, Mekoro, Linotopi
und Nikolitsa in Albanien. Aber die Neigung zum Wandern scheint auch
ohnehin im Volk zu stecken. Nicht nur haben sie eine große Neigung
besondere Sommerdörfer im Gebirge und Winterquartiere in tieferen
Regionen zu bewohnen, sondern die Farserioten als Hirten sind, wie wir
oben sahen, typische Nomaden. Auch findet man aromunische Kaufleute und
Handwerker im ganzen Orient, in Österreich, in Rußland.

So kommt es, daß sie mehr als irgend ein anderes Balkanvolk
zersplittert sind und nur in kleinen Gruppen zusammen wohnen. Sie
sind zwischen den großen zusammenhängenden Nationalitäten des Balkan:
den Albanern, den Serben, den Bulgaren und Griechen wohl kaum
erhaltungsfähig und werden wohl allmählich in jenen aufgehen. Im Süden
sind sie vielfach schon gräzisiert, in Albanien albanisiert; gerade die
Albaner haben z. B. sogar in den aromunischen Siedelungen in Mazedonien
Fortschritte gemacht, so von mir bekannten Orten in Lera und Kazani am
Peristeri, in der Gegend von Resna und dem Prespasee sowie bei Ochrida.

Dabei spielen kirchliche Streitigkeiten keine geringe Rolle, indem
die einen dem griechischen Patriarchen sich unterwerfen, andere der
nationalen Kirche anhängen und damit jahrhunderte alte Gegensätze auf
dem Balkan weiterführen. Auch die Agitation und Schulengründung von
Rumänien aus konnte schon vor dem Kriege nicht übermäßig viel erzielen.
Wie das jetzt nach den fürchterlichen Kriegsjahren sein wird, ist noch
nicht zu übersehen.

Eines haben allerdings die Schulen erreicht. Man findet unter ihnen
sehr wenig Analphabeten, ganz im Gegensatz zum Königreich Rumänien, wo
1904 noch unter 5406209 Bewohnern sich noch 4719363 Analphabeten zählen
ließen.

In einer Stadt dieses Volkes fand ich mich also in _Krusevo_;
sicher unterschied sich hier die Mehrzahl der Bewohner von den
Mazedoniertypen, denen ich bisher begegnet war. Die Einwohner der
Stadt bestanden nach Zählungen, die allerdings vor der Kriegszeit
zurücklagen, aus 7000 Aromunen, 4000 Bulgaren und 800 Albanern,
insgesamt waren es 12000 Menschen. Die Leute waren größer als die
meisten Türken und Bulgaren, die ich gesehen hatte, nicht ganz so
groß als Albaner. Auffallend viel Blonde fanden sich unter ihnen;
die Gestalten waren vielfach elegant, schlank, die Bewegungen
harmonischer als bei den mazedonischen Bauern. Nun war es allerdings
hier Stadtbevölkerung. Unter den Hirten im Gebirge hatte ich nicht
selten dunkle, vierschrötige Erscheinungen getroffen, die wohl zu den
Farserioten gehörten. Hier in Krusevo, in Gopes und in Ochrida habe ich
in Mazedonien die reizvollsten Erscheinungen von jungen Frauen gesehen,
während die schönsten Männer Albaner waren.

Ich machte auf den Wunsch des Ortskommandanten einen Besuch bei dem
Bürgermeister, der mich sehr freundlich aufnahm und mir nachmittags
als Geschenk ein photographiertes Panorama der Stadt, Stickereien
und Blumen schickte. Bei diesem Gang hatte ich Gelegenheit auch in
Häuser hereinzuschauen, die wie die Straßen der Stadt für mazedonische
Verhältnisse sehr sauber waren. In Zimmern mit sauber geputzten
Fußböden fand man zum Teil ganz gute Möbel, Teppiche, gepolsterte
Bänke an den Wänden, gelegentlich auch Betten, welche als besondere
Kulturerwerbung der reichen Krusevaner gerühmt wurden. Auch Ungeziefer
soll bei ihnen selten sein.

Auch hier in der Stadt schienen die alten Sitten durch den Krieg wieder
aufgewacht; denn man sah viele Frauen mit Spindel und Rocken Wolle und
Hanf spinnend in den Höfen, was sonst bei den Hirten stets üblich ist.
Viele Leute trugen hier städtische Kleider; wenn auch Viehzüchter in
der Stadt wohnten. Eine einheitliche Nationaltracht haben überhaupt die
Aromunen nicht, sie gleicht jeweils derjenigen ihrer Nachbarn.

Spuren eigener alter Kultur findet man überhaupt wenig bei ihnen und
vor allem nicht in einer Stadt von so jungem Bestand. So sind auch ihre
Kirchen ziemlich neue Bauten. Das hindert nicht, daß die eine von ihnen
sehr schöne Holzschnitzereien enthält. Die Handwerker der Aromunen sind
überhaupt sehr tüchtig, besonders ihre Silberarbeiter und Goldschmiede.

Eine Aromunen_stadt_ unterscheidet sich wesentlich von einem der
schmutzigen Dörfer mazedonischer Bulgaren. Das gilt nicht in gleichem
Maße von den Dörfern und vor allem nicht von den Hütten der Hirten, in
denen allerdings immer eine besondere zum Wohnen und eine besondere zur
Käsebereitung dient.

Was aber die Städte und Dörfer der _Aromunen_ auszeichnet, ist ihre
Lage, welche fast stets derjenigen von Krusevo ähnelt. Sie liegen
immer in größeren Bergeshöhen. Darin spricht sich sicher schon wie in
den Winter- und Sommerdörfern eine Neigung zu frischer Höhenluft, zu
gutem Wasser, das Bedürfnis nach hochgelegenen Weideplätzen aus. Aber
die Lage der Ansiedelungen in langen Seitentälern, abseits von den
Hauptverkehrsstraßen zeigt, daß die Bewohner gleichzeitig damit Schutz
vor Räubern und marodierenden Soldaten suchen. Sie sind ein wenig aus
der großen Welt herausgetreten, sie wohnen nicht an der Straße, sie
reizen nicht das Auge des Begierigen.

Sie stellen allerdings in ihren Städten nur wirtschaftliche
Vereinigungen dar, nicht solche zu Schutz und Vereinigung gegen Feinde,
wenn sie eine solche auch ohne weiteres durch ihre Einwohnerzahlen
sind. Doch ist es sehr bezeichnend, daß Aromunenstädte nie Mauern und
Befestigungen aufweisen.



ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL

GOPES


_Gopes_ ist auch eine Aromunenstadt oder richtiger ein großes Dorf mit
städtischen Häusern, hochgelegen, wie die meisten Ansiedlungen dieses
Volkes. Viermal bin ich in das Gebirge gereist, in welchem dieser Ort
1200 m hoch liegt. Jedesmal erfolgte die Reise mit anderen Hilfsmitteln
und zu anderer Jahreszeit und brachte so verschiedene Eindrücke, daß es
sich lohnt, die verschiedenen Reisen nach Gopes kurz zu schildern.

Mein erster Besuch, eine Rekognoszierung, führte mich in gutem Auto des
A.O.K. XI in einem Tag von _Prilep_ nach _Gopes_ und wieder zurück.
Es war in den 18 Stunden, die er für mich dauerte, ein reicher Tag,
der frühe Morgen hatte mich über die Ebene wieder nach _Krivogastani_
gebracht, dann am Gebirge entlang über _Bucin_ längs der Cerna nach
_Murgas_. Kurz hinter diesem Ort geht es an einen Nebenbach, die
Mramoriča (auch Smileva Reka genannt) und diese aufwärts zum Dorf
_Smilevo_, von wo es in sehr steilen Kurven nach Gopes hinauf führte.
Es war ein köstlicher Genuß, an dem schönen, klaren 20. Juni 1917
durch die grüne Landschaft am rauschenden Bach entlang zu fahren. Ein
kühler Morgenwind beugte die Pappeln, Weiden und Obstbäume. Grüne
Wiesen breiteten sich neben gutgepflegten Feldern aus. Der Weg und der
Bach treten bald auf die eine, bald auf die andere Seite des Tales.
Schließlich führte eine Flußbrücke zu dem kurvenreichen Bergweg, der
mich schnell nach Gopes brachte.

Ein malerischer Blick öffnete sich vor mir durch den sommergrünen
Buchenwald auf das Städtchen _Gopes_.

Es war der erste größere Buchenwald, den ich nach kurzem Aufenthalt
in Mazedonien kennen lernte; die silberglänzenden, grauen Stämme,
zum Teil alt und knorrig, das flirrende Laub, das sich vom wolkenlos
blauen Himmel abhob, der Gesang der Vögel aus den Kronen der Buchen
stimmten mich von vornherein empfänglich für all die Naturschönheit,
die mich da oben erwartete. Jede Kurve gab einen neuen Ausblick auf
die für mich ganz neuartige Stadt mit ihren großen Häusern, ihren
steilen Gassen, den Gruppen von Obstbäumen, Erlen, Pappeln, welche
keine solche Wirkung von Mauern und Steinen aufkommen ließen, wie
sonst in mazedonischen Städten. Als anmutiges Landstädtchen erschien
mir _Gopes_, umgeben von einer großzügigen Gebirgslandschaft. Schroff
stürzten die Hänge hunderte von Metern in die Täler hinab; aber es
waren nicht kahle Felsen, sondern grüne Wiesen, umrahmt von Hecken und
Buschwerk, abwechselnd mit Gruppen schön gewachsener Bäume und kleinen
und größeren Wäldern. Frische Gebirgsluft wehte durch die Gassen, deren
Häuser in der Bauart reiche Abwechslung zeigten; manche waren mit
Holzveranden und Vorbauten geziert; überhaupt Holzwerk und Hausteine
an den unteren Stockwerken brachten eine bunte Mannigfaltigkeit ins
Straßenbild, die noch gesteigert wurde durch die Verschiedenfarbigkeit
der Dächer, die mit roten Ziegeln, häufiger aber mit grauen
Schieferplatten gedeckt waren. Ein warmes, heiteres Bild, ohne die
Grellheit der türkischen Städte, gehoben durch die Durchblicke auf die
Wälder und die grandiosen Bergformen, welche nach allen Seiten sich
über die Ortschaft erhoben.

[Illustration: Vermessungsabt. 21. phot. Abb. 246. Gopes im Sommer.]

Den Eindruck, den Gopes auf mich gemacht hatte, entsprach die
Aufnahme, die ich dort fand; ebenso war die wissenschaftliche Ausbeute,
welche der kurze Besuch mir dort brachte, sehr erfreulich. Ohne lang
zu zögern, hatte ich eine Exkursion auf einen Berg über dem Ort
unternommen, über den ein Paß zur Stadt _Resna_ führt. Beim Aufstieg
weitete die Landschaft um mich sich mehr und mehr, tiefe Einblicke in
die Täler öffneten sich und das ganze Bild war von dem stolzen Kegel
des _Peristeri_ gekrönt. Noch lag reichlich Schnee auf seinen Hängen;
in kühler Bläue überragte er die warme, farbige Landschaft.

Der Berg, den ich hinanstieg, war von einem stattlichen Buchenwald
bedeckt; lauschige, schattige Pfade führten durch ihn hindurch. Bei
diesem meinem ersten Besuch konnte ich noch die waldreiche Umgebung von
Gopes in ihrer vollen Schönheit bewundern. Jeder spätere zeigte mir
den Waldbestand ausgeraubt und kläglich gemindert. Bei meiner letzten
Durchreise durch Gopes waren in der nächsten Umgebung des Ortes nur
noch kümmerliche Baumgruppen übrig geblieben.

An den Schluchten standen aber im Juni 1917 noch prachtvolle Stämme
weichblätteriger Eichen, Weiden, Pappeln, Haselnuß, an denen Efeu
kletterte. Oben breiteten sich zwischen ihnen auf Lichtungen
üppig grüne Waldwiesen aus; am Waldrand waren große Flächen von
_Adlerfarn_ bedeckt. Den Rand der Wiesen faßten duftende Wildrosen,
Brombeersträucher, Weißdorn ein. Und welche Blütenpracht bedeckte
den Boden der Wiesen; hier in etwa 1500 m Höhe war noch voller
Bergfrühling. Dem entsprach auch der Reichtum der Insektenwelt,
besonders der Schmetterlinge, die hier meine Aufmerksamkeit fesselten.

Unter den letzteren waren es charakteristische Gebirgsformen, die hier
sich zeigten; so unter den Scheckenfaltern, wie +Melitaea didyma+,
von der bei Kaluckova die südliche Form geflogen war, gab es hier
den nördlichen Vertreter; +Melitaea attalia mehadiensis+ Gelh. ist
ein typischer Gebirgsschmetterling. Von der Gattung +Pararge+ fand
ich einen Vertreter unseres Mauerfuchses (+P. maera+ L.), in einer
interessanten Form (Übergänge zu +adrasta+ Hübn.), und die eigenartige
+P. roxellena+ Kr. Scharen leuchtender Bläulinge umschwebten die
Wiesenblumen, so +Cephyrus quercus+ L. und +Lycaena semiargus+
Rott., +L. amandus+ Schn. Dazwischen zog der altbekannte goldbraune
Silberstrich (+Argynnis paphia+ L.) seine stolzen Kreise. Mit ihm flog
ein zweiter Perlmutterfalter (+Argynnis daphne+ Schiff.).

Die schönste Überraschung war aber ein echter Alpenfalter, eine mit dem
+Apollo+ verwandte Form, eine auffallend kleine +Mnemosyne+, die hier
in zahlreichen Exemplaren flog. Es war eine anstrengende Jagd in der
strahlenden Sonne, bei der mir ein junger Soldat, der mir als Begleiter
mitgegeben war, eifrig half. Es gelang, eine ganze Anzahl dieses
schönen weißen Schmetterlinges zu erbeuten.

Auf den blühenden Sträuchern taten sich wohl die metallisch glänzenden
Rosenkäfer (+Cetonia aurata+ var. +tunicta+ Reit.). Am schattigen Boden
lief der grünglänzende Puppenräuber (+Calosoma sycophanta+ L.) auf der
Suche nach Raub herum.

[Illustration: ♂ ♀ Abb. 247. +Mnemosyne sp.+ Form von Gopes.]

Von Fliegen erinnere ich mich an eine lebhafte Hummelfliege
(+Hemipenthes morio+ L.) und die auffallende Raubfliege +Laphria flava+
L. Von Bienen flogen +Andrena gwynana+ var. +aestiva+ K., +Anthophora
Kessleri+ Mor. und die schöne +Xylocopa valga+ Gersh. (vgl. auch Abb.
187, S. 375) umher; eine Schmarotzerbiene (+Melecta lactuosa+ Scop.)
und eine stattliche Hummel (+Bombus haematurus+ Kriechb.) schwirrten am
Boden entlang.

Noch manches interessante Tier konnte ich in den wenigen Stunden, die
mir an diesem Tag gewährt waren, beobachten. Um so dankbarer empfand
ich dies, als ich im nächsten Jahr kaum einen Monat später bei einer
neuen Exkursion nach _Gopes_ eine ganz veränderte Fauna, keine einzige
der diesmal beobachteten Arten, mehr vorfand.

Der Aufenthalt hier oben weckte in mir zwei Pläne, die im nächsten Jahr
zur Ausführung gelangten. Ich beschloß beim Anblick des _Peristeri_,
diesen eigenartigen Berg zu besteigen und seine Natur kennen zu lernen.
Noch stärker zog es mich in die Tiefe, als ich von der Paßhöhe nach
Westen und Südwesten blickte. Frei lag vor mir eine weite Ebene, in
deren Mitte die Stadt _Resna_ mit ihren weißen Häusern aufblinkte.
Die Ebene war eingefaßt von einer Kette hoher Berge, hinter denen die
_albanischen Gebirge_ auftauchten.

Zwischen dem Berg, auf dem ich stand, und jenen fernen Ketten aber
blinkte im Süden im zarten Duft der Spiegel des _Prespasees_ auf. Also
so nahe zu meinen Füßen lag dieser schöne blaue See und ähnlich mußte
jenseits jener Bergkette der _Ochridasee_ liegen, von dessen Schönheit
viele Berichte mir geworden waren.

Ganz anders sah die Landschaft um _Gopes_ aus, als ich einige Monate
später auf der Fahrt zum Ochridasee sie durchreiste. Da war auch hier
viel verdorrt und verbrannt, Pflanzenwelt und Tierwelt vollkommen
verändert.

Und noch mehr umgewandelt erschien sie mir, als ich am 18. Dezember
1917 eine Winterfahrt nach _Gopes_ unternahm. Als ich im Auto durch die
Ebene von Prilep fuhr, da strahlten alle Gebirge, welche sie umgeben,
in einem schimmernden Schneegewand. Nicht nur der hohe _Peristeri_ mit
seinen Nachbarbergen, die ganzen Mittelgebirge lagen in tiefem Schnee.
Da genoß ich auf der Fahrt in der Ebene ein wundervolles Schauspiel.
Erstaunlich war schon die Menge von Elstern, Dohlen, Raben, Krähen,
die sich bei der winterlichen Kälte in der Nähe der Dörfer angesammelt
hatten. Auffälliger waren die großen Zahlen von _Kiebitzen_, die an den
Gräben herumflogen und vor allem der _Falken_, die trotz der Kälte hier
ausgehalten hatten.

Das Seltsamste waren aber die Massen von _Wildgänsen_, die sich in der
Ebene von Prilep in diesen Tagen angesammelt hatten. Schon bei der
Fahrt durch Serbien und Nordmazedonien hatte ich große Mengen dieser
Vögel an den Flüssen gesehen. Vor allem im Wardar schwammen an jeder
Windung, in jeder Bucht eine Anzahl Paare dieser stattlichen Vögel,
meist gleichzeitig mit Stockenten und anderen Wildenten. Hier aber auf
der Ebene von Prilep waren ihrer gewaltige Massen versammelt.

[Illustration: GOPES.]

Woher mochten sie alle kommen? Alle paar Minuten flogen 100 bis 200
Stück vor meinem Wagen auf, ganze Wolken von ihnen zogen am Himmel
dahin. Schließlich durfte ich die Zahl, die vor mir aufgetaucht und
an mir vorbeigeflogen war, auf 20000 schätzen. Sie waren auf dem
Zug aus dem Norden hier angelangt und hatten im Lande Station
gemacht. Weitere Zuzüge kamen ständig an und offenbar war der Zug
weiter nach Süden gerade in dieser reichen Ebene der Pelagonia zum
Stocken gekommen. So war eine Stauung entstanden, welche zu den
Massenansammlungen führte.

In _Lera_ erwartete mich ein Pferdewagen, der mich den Berg hinauf
durch tauenden Schnee und Schmutz nach _Gopes_ brachte. Zum Schluß der
Fahrt kam ich in Nebel; dessen Schwaden zogen zwischen den alten Buchen
und Eichen dahin, öffneten gelegentlich den Ausblick auf schneebedeckte
Halden und in die tiefen Schluchten und Täler; Krähen und Dohlen flogen
krächzend von Baum zu Baum. Es war ein reizvoller Anblick, den der
verschneite Ort mit den schwer beladenen Dächern darbot, so ganz anders
als im Sommer und doch fast schöner in den malerischen Einzelbildern,
welche Bäume und Häuser darboten.

[Illustration: Abb. 248. Haus mit Veranden in Gopes.]

Es war eine eigenartige Aufgabe, welche ich diesmal mitten im Winter
in Gopes zu erfüllen hatte. Ich brachte dem Etappeninspekteur
der XI. Armee, Exzellenz _von Krane_, das Ehrendoktordiplom der
naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau,
meiner damaligen Fakultät. Es war dies eine Ehrung des Generals,
welcher durch sein Eintreten für unsere Kommission der Wissenschaft
wertvolle Dienste geleistet hatte. Das wurde in einem eigenartigen Fest
kurz vor Weihnachten in der entlegenen Gebirgslandschaft gefeiert.
Der General hatte zu der Festlichkeit alle Doktores aller Fakultäten,
die bei den in der Umgebung verteilten Truppen an der Front standen,
eingeladen.

Es war ein feierlicher Augenblick, als ich im Kreis dieser stolzen
Schar, angetan mit dem Amtstalar meiner Fakultät, das Ehrendiplom
entrollte, verlas und mit einer Ansprache überreichte, in der ich
die Verdienste des Heeres um die Erforschung des Landes, die enge
Verknüpfung, welche der Krieg zwischen Armee und Gelehrten gebracht
hatte, hervorhob und das Verdienst des Generals dabei betonte. Bei
seinem Dank war der General so gerührt, daß ihm die Tränen in die
Augen traten. Dabei wirkte auf ihn, wie auf uns alle, die ganz
eigenartige Situation, unter der der feierliche Akt sich vollzog. In
dem kleinen Zimmer des Aromunenhauses, dessen Beleuchtung für den Abend
nach Möglichkeit gesteigert war, hatte sich um uns eine glänzende
Gesellschaft geschart. Sie kamen aus den Stellungen und Unterständen,
die sich an der Grenze Griechenlands im Hochgebirge hinzogen, waren oft
manchen Kilometer weit auf Gebirgssteigen geklettert und geritten, um
diese friedliche Feier mitzumachen.

Den nächsten Tag, den ich noch in Gopes verweilen mußte, verwandte ich
zu einer Besteigung einer beschneiten Höhe, die sich über Gopes erhebt.
Es war die Kuppe 1680, über jenem Paß nach _Resna_, an welchem ich im
Juni so gute Insektenausbeute gemacht hatte. Es ging wieder durch den
beschneiten Buchenwald, anfangs auf schlammigen Pfaden, die weiter oben
gefroren und von Glatteis überzogen waren. Später bedeckte Weg und
Waldboden tiefer Schnee, so daß kein Pfad mehr zu erkennen war.

Durch den Schnee führten zahlreiche Tierspuren, welche auf Füchse und
eine Spur, welche auf einen Wolf deuteten. Letzteres war durchaus nicht
unmöglich, denn man hatte mir abends die Photographie eines dicht bei
_Gopes_ erlegten Wolfes gezeigt und auch Bären kamen im Gebiet vor.

Um in dem pfadlosen Schnee in der grenzenlosen Bergeinsamkeit eine
Orientierung zu haben, bewegte ich mich gegen eine Kuppe, die ein
trigonometrisches Signal trug. Noch schien starke Nachmittagssonne, ein
dunkelblauer Himmel stach scharf von den weißen Schneeflächen ab,
auf welchen tiefblaue Schatten lagen. Immer prachtvollere Blicke taten
sich vor mir auf, hinunter auf die Ebene bei _Resna_ und nördlich des
_Prespasees_ und vor allem nach Süden auf den edelumrissenen Block des
_Peristeri_.

[Illustration: WINTERLANDSCHAFT UND WOLKENMEER AM PERISTERI von Höhe
1800 bei Gopes.]

Als ich auf der Kuppe angelangt war, begann der Tag sich zu neigen,
gelber begann das Sonnenlicht die Schneeflächen zu färben. Aus der
Tiefe stiegen Nebelschwaden auf, welche in die Täler eindrangen und
diese allmählich erfüllten. Immer weiter breiteten sie sich aus und
bedeckten schließlich wie ein weites Meer die Ebene, während gleichsam
Buchten und Häfen sich in die Täler und zwischen die Berge erstreckten.
Es war die Zeit, in der an der Front der „Abendsegen‟ ertönte, die
regelmäßige Beschießung, die auch hier in den Gebirgsstellungen nicht
unterblieb. Als die letzten Schüsse verhallt waren, breitete sich
tiefste Stille um mich aus, nur hier und da knisterte es im frierenden
Schnee. Im Westen, unter der sinkenden Sonne, schimmerte durch den
Nebel der blinkende Spiegel des _Prespasees_ durch, vor allem das
Sumpfgebiet im Norden blitzte auf. Die Insel im See ist deutlich
sichtbar.

Westwärts werden der _Tomoros_ und _Malisat_, die Berge am
_Ochridasee_, albanische schneebedeckte Gebirge, mit leuchtenden weißen
Flächen und starken blauen Schatten sichtbar. Der Schein der Sonne wird
röter und röter; in ihm leuchtet die Pyramide des _Peristeri_ in Glut,
die von tiefblauen Schatten sich abhebt. Die fernen Ketten schimmern
wie Alpenglühen.

Wie düstere Inseln ragen die näheren Berge aus dem silberig
erglänzenden Wolkenmeer heraus; dunkelviolette Schatten lassen sie als
schwere Massen von der duftigen, flockigen Oberfläche des Nebelmeeres
sich abheben. In dieser regt und bewegt es sich, sie erscheint
stürmisch bewegt, zu gewaltigen Wellenungetümen aufgetürmt. Und wie
Gischt an der Brandung bäumen sich die Wolkenränder an den Felsen auf.

Nun wird um mich das Licht fahler; nur die Spitze des _Peristeri_ und
weit drüben bei den Feinden der Kaimaktschalam erstrahlen noch in
rosigem Licht. Die Schatten werden immer blauer und durchsichtiger.
Schließlich verschwindet alle Röte von den Bergen. Ein zartes Gelb legt
sich auf ihre Schneefelder, während die Schluchten in tiefe Tinten von
Indigo getaucht werden. In der Ferne erscheinen aber die Kettengebirge
zauberhafter noch als zuvor. Das Nebelmeer dehnt sich weit dahin wie
eine unendliche schneebedeckte Ebene, aus der wie Inseln, wie ferne
antarktische Gebirge die Ketten hervorragen, deren Gipfel die Wolken
noch überragen. Kalt und einsam, menschenleer und verlassen, wie aus
Kristall gebaut, schweben sie am Horizont. In einer hier eingefügten
Farbenskizze habe ich versucht, den großen Eindruck festzuhalten.

Während ich hinabzusteigen beginne, dehnen sich die Nebelmassen immer
mehr zu langen Wülsten aus; sie dringen mir auf meinem Weg entgegen.
Aus der Tiefe drängen sie herauf. Sie bilden stürmende, wühlende Massen
und erscheinen mit ihren grünlichen Schatten heller, leuchtender als
die dunkler und dunkler werdenden Berginseln.

[Illustration: Abb. 249. Gopes im Winternebel.]

Ich steige ihnen entgegen, in sie hinein, durch sie hindurch; tiefe
Dämmerung umgibt mich; da tauchen die Häuser von Gopes vor mir auf,
durch irgendeinen Reflex rosig angehaucht. Zwischen Nebelschwaden
klettern sie aus dem Abgrund hervor, die Kirche mit ihren Türmchen, die
Dächer und blau beschatteten Wände. Wolken wälzen sich durch die engen
Gassen aus dem Tal herauf. Hier und da blinkt ein mattes Licht in den
Fenstern eines alten Hauses auf.

An diesen Winterabend mußte ich denken, als ich an einem heißen Julitag
1918 die letzte Reise nach Gopes machte, schwer mit vielerlei Gepäck
belastet, um das dortige Hauptquartier als Ausgangspunkt zu einer
Besteigung des _Peristeri_, des _Tomoros_ und zu Untersuchungen auf dem
_Prespa-_ und _Ochridasee_ zu verwenden. Es waren glühend heiße Tage,
an denen ich die Reise von Üsküb über Veles nach Prilep, von dort mit
der Kleinbahn über Bucin und Lopatiče nach Sviniste machte, um von
diesem Ort nach Gopes hinaufzureiten.

Oben fand ich alle erwartete Unterstützung und bestieg noch einmal den
Berg, der mir im Winter einen so unvergeßlichen Eindruck hinterlassen
hatte. Auch an diesem Tag bot er Interessantes. Allerdings die
Waldverwüstung hatte noch weitere Fortschritte gemacht. Aber der
Insektenreichtum war noch ähnlich groß wie im vorigen Jahr. Doch waren
jetzt andere Arten beim Flug; so unter den Schmetterlingen interessante
Blutströpfchen, +Zygaeniden+-Arten. Aber die +Mnemosynen+, welche im
Jahre vorher so zahlreich hier flogen, waren jetzt entsprechend der um
einen Monat vorgeschrittenen Jahreszeit verschwunden.



DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL

SOMMER IN MAZEDONIEN


Für den Naturforscher war der Sommer wohl die eindrucksreichste
Jahreszeit in Mazedonien. Von ihm war in manchen Kapiteln dieses Buches
die Rede; ich erwähnte oft seinen Einfluß auf Tier- und Pflanzenwelt,
auf den Charakter der Landschaft. Hier möchte ich zusammenfassend
ein einheitliches Bild vom Sommer Mazedoniens geben, da ich ihn für
das Verständnis dieses eigenartigen Stückes von Europa für besonders
wichtig halte.

Bis in den Juni hinein erstreckt sich der Frühling mit seinem Reichtum
an Blüten, mit seinem fröhlichen Vogelleben, mit der stürmischen
Entwicklung der Insektenwelt. Überwältigend ist in dieser Zeit die
Energieproduktion des Lebens im ganzen Land. Nur im Hochgebirge fängt
der Frühling später an und hält länger aus. Wenn im Flachland und in
den Tälern schon die Sommerdürre herrscht, kann man ins Gebirge in den
Frühling hineinsteigen.

[Illustration: Abb. 250. Mazedonisches Bauernhaus mit trocknenden
Tabaksblättern.]

Ende Juni, Anfang Juli beginnt unten das große Sterben. Die einjährigen
Pflanzen, deren Blütenpracht den Frühling so reizvoll machte, haben
ihre Samen gereift und können nun verdorren. Die Sonne beginnt, von
Wolken unverhüllt, in ihrem Tageslauf unerbittlich auf das Land
herabzustrahlen. Durch den Juli, August und September dehnen sich fast
hundert wolkenlose Tage. Es ist die Zeit der hohen Tagestemperaturen.
Mitte Juli steigt der exakt gemessene Thermometer regelmäßig am
Nachmittag über 35° C, nicht selten auf 40° und darüber; und das
dauert den August hindurch und vielfach ein gut Stück in den September
hinein. Dabei sind die Morgentemperaturen schon um und über 30° und
auch nachts sinkt das Thermometer selten tiefer. Und noch höher, oft
ganz erheblich höher, waren die Strahlungstemperaturen, welche von
den sonnendurchglühten Wänden der Häuser, den Felsen, den Lehmhalden
ausgingen. Das war die Zeit, in der die deutschen Soldaten unter
dem Land Mazedonien litten, in der sie ihm fluchten. Es wurde zum
schattenlosen, staubigen Land, das sie mit der Wüste verglichen.

Tatsächlich nahm das Tiefland immer mehr den Charakter der verbrannten
Steppe an. Die Blüten waren verschwunden, selbst die Büsche und
Bäume hatten ihre Samen und Früchte angesetzt. Die Wiesen und Rasen
verwelkten. Staub begann überall im Winde aufzuwirbeln und dämpfte das
Grün, das in der Landschaft noch lebte.

Wenige Pflanzen blühten noch, wenige vor allem in voller Pracht, viele
zeigten welke Blüten und Fruchtstände neben spärlichen Blüten, so der
_Rittersporn_, die _Glockenblumen_, die _Königskerzen_ und vor allem
die _Disteln_, die sich jetzt vordrängten. Aber auch diese begannen
gelb und braun zu werden. Viele der Pflanzen hatten dornige, stachelige
Samen.

Auffallend still war es im Frühsommer in der gelbgrauen Landschaft
geworden. Die Gesänge der _Vögel_ waren verstummt, nachdem für die
meisten von ihnen die Paarungs- und Brutzeit vorbei war. Vor allem zur
heißen Mittagszeit war nichts von ihnen zu bemerken; sie hatten sich
in den Büschen versteckt. Viele waren in die Schluchten und Haine der
Berghänge verzogen, ja manche Arten waren vollkommen verschwunden und
waren in die Berge gewandert.

Selbst die sonnenliebenden _Eidechsen_ sah man jetzt nicht mehr so viel
auf den glühend heißen Steinen umherhuschen. Auch bei ihnen waren die
Weibchen beim Eierlegen und ihre Beute war kärglicher geworden. Die
Insekten waren viel weniger geworden; bei vielen _Tagschmetterlingen_
war die erste Generation verschwunden und von der zweiten fraßen die
Raupen an den Futterpflanzen. Auch für viele solitäre _Bienen_ galt
ähnliches. Vor allem fehlte die Masse der _Blütenkäfer_, die mit den
anderen Blüteninsekten, den Wanzen, den Blattwespen, den Fliegenarten
so sehr zum Reichtum der Frühlingstierwelt beigetragen hatten.

Eigenartig war die Ruhe, die in der Natur in den heißen Mittagsstunden
herrschte. Zwar lagen die _Mauereidechsen_ und die schönen großen
_Smaragdeidechsen_ träg in der Sonne. Aber auch sie hatten wenig
Neigung sich zu bewegen. Schon _Theokrit_ wußte, daß die Eidechsen um
diese Zeit hier im Lande mittags schlafen. Nur die _Mistkäfer_ wälzten
unbekümmert ihre Kotkugeln. Die _Vögel_ waren ganz still, selbst die
_Ameisen_ wanderten kaum auf ihren Straßen und hielten Mittagsruhe.

Auffallend war die Flucht vieler Tiere in den Schatten. In _Hainen_ und
vor allem in _kleinen Bergwäldern_, so in dem Buchenwald der Plaguša
Planina, waren ganze Versammlungen von Vögeln in das grüne Düster
unter den Bäumen geflüchtet. Selbst Tagschmetterlinge waren aus der
grellen Sonne gewichen und saßen in Scharen auf den Buchenstämmen,
so verschiedene +Satyrus+-Arten. Verständlicher war es, daß die
tagfliegenden Eulen (+Arctiiden+) den Waldschatten aufgesucht hatten.

In den _Schluchten_ versammelten sich in der Wassernähe vor allem
viele _Amphibien_, welche dem Wasser dorthin nachgezogen waren. Nicht
nur _Frösche_, sondern auch _Kröten_ fand man dort in dieser Zeit
in ungewohnten Mengen. Hier fanden sie wenigstens einen Hauch von
Feuchtigkeit unter Steinen und in Felsspalten. Dorthin zogen sie sich
zurück, als die steigende Dürre die Bäche mehr und mehr austrocknete.
Dann hielten die Amphibien, _Molche_ und _Frösche_, ihre Sommerruhe
in diesen Verstecken. Dort gesellten sich zu ihnen die _Krebse_ und
_Taschenkrebse_, die auch eine Ruhezeit durchmachen mußten. Besonders
auffällig war dies bei den Bachfischen, z. B. den _Barben_, die, im
Schlamm vergraben, in einen Sommerschlaf versanken. Fische, Krebse und
andere Wassertiere fand ich auch öfters tot in den ausgetrockneten
Bachbetten liegen, wo die Verdunstung des Wassers sie liegen gelassen
hatte. So fand ich z. B. am 30. Juli in verschiedenen trockenen
Schluchten Süßwasserkrabben tot umherliegend. Eine Sommerruhe war ganz
allgemein bei den _Landschnecken_. Diese hatten alle, besonders die
+Helix+-Arten, in dieser Zeit sich in ihre Häuser zurückgezogen und
diese mit einem dicken Kalkdeckel verschlossen. Vielfach hingen sie,
mit Schleim angeklebt, an den verdorrten Stengeln der Pflanzen, mit
denen gleichzeitig die Dürre sie überrascht hatte. Und das konnte auch
schon im Mai passieren, wenn plötzlich trockene Hitze einsetzte.

_Nacktschnecken_ gab es in Mazedonien ja nur sehr wenig. Die Exemplare
weniger Arten, die ich im Lande auffand, waren stets unter Steinen,
in Erdlöchern, in der Nähe von Brunnen oder Quellen in feuchtem Boden
entdeckt worden.

Alle diese Tiere, wie auch die vielen kleinen Geschöpfe der Tümpel,
welche in Zysten oder anderen Dauerzuständen zu übersommern vermochten,
erwarteten so, ihres Lebens wenigstens sicher, die ersten ergiebigen
Herbstregen. Die waren nicht vor Ende September zu erwarten. Im Jahre
1917 erlebte ich den ersten Herbstregen am 10. September; aber er und
seine Nachfolger in den nächsten Wochen waren noch nicht fähig die
Erde zu nässen. Obwohl sie aus schwarzen Wolken kamen, erreichten ihre
Tropfen die dürstende Erde nicht, sondern waren verdunstet, lange ehe
sie den Boden erreichen konnten.

Trotzdem war die Sommerlandschaft Mazedoniens nicht ganz frei von
Tieren. Im Gegenteil, im Juli schon mehrten sich die Vertreter einer
neuen Sommertierwelt. Schon im Juni waren manche _Heuschrecken_-Arten
in geflügeltem Zustande aufgetreten. Ich vergesse natürlich nicht,
daß einzelne überwinterte Formen schon vorher da waren. Unendlich war
vorher die Masse der kleinen und kleinsten Larvenstadien gewesen. Für
die heranwachsenden Heuschrecken war die Pflanzennahrung, die ihnen
die Sommerdürre zurückgelassen hatte, nicht zu hart. Sie begannen
allmählich die Landschaft zu beherrschen.

Und mit ihnen und ihrer Zunahme begann die _Steppe_ zu herrschen
mit ihrer eigenartigen Tierwelt. Noch hatten manche Heuschrecken
nur halblange Flügel, andere waren erwachsen. Gerade die südlichen
Formen kamen in der Entwicklung nachgehinkt. Unendliche Mengen von
langfühlerigen _Laubheuschrecken_ (+Locustiden+) mit ihren schönen
grünen, gelben und rötlichen Flügeldecken begannen im Gesang mit den
_Grillen_ zu wetteifern. An Zahl bei weitem überwiegend waren aber die
_Feldheuschrecken_, die +Acridiiden+, die häufig durch die Färbung
ihrer Flügeldecken so vollkommen ihrer Umgebung ähnelten, daß man sie
erst entdeckte, als sie vor dem Schritt des Wanderers aufflogen, um
ebenso zu verschwinden, sobald sie an geeignetem Ort sich niederließen.

Es ist hier die Gelegenheit auf die formenmannigfaltige
_Heuschreckenfauna_ von Mazedonien einen Blick zu werfen. Heuschrecken
gehören zu Mazedonien, wie die Dornsträucher und Disteln, wie die
Ameisenlöwen, wie die Turmfalken und Ziesel, wie Dohlen, Elstern,
Würger und Geier. Und sie herrschten geradezu im Spätsommer in einer
Steppengegend vor.

Unter ihnen spielten _Gespensterheuschrecken_ (+Mantodeen+) keine
geringe Rolle der Zahl nach. Die häufigste Art war jetzt gegen den
Herbst die kleinste Form von den drei Arten von +Mantodeen+, welche in
dem von mir besuchten Teile von Mazedonien vorkamen. Es war +Ameles
decolor+ Charp., welche in Hunderten von gelben und braunen Individuen
auftrat; bei ihr gibt es nie grüne Exemplare, wie bei den anderen
+Mantodeen+ des Landes. Nur das Männchen hat bei dieser Art die langen,
gelbbraunen, papierdünnen Flügel, während das Weibchen stummelflügelig
ist. Im Verlauf des Frühsommers hatte man sie allmählich von ganz
kleinen Stadien heranwachsen sehen, jetzt im Spätsommer waren sie
geschlechtsreif, allerdings zum Teil sehr spät. Ich fand noch zwischen
dem 20. und 25. August Exemplare mit unentwickelten Geschlechtsorganen.
Man sah sie vielfach Bläulinge und andere kleine Schmetterlinge fangen.

Die zweite Gespensterheuschrecke in Mazedonien, fast ebenso häufig
wie der kleine +Ameles+, war die richtige Gottesanbeterin +Mantis
religiosa+ L. Dieses große stattliche Tier kam in grünen und gelben
Individuen vor. Hier sind beide Geschlechter langflügelig. Auch diese
Art entwickelt sich während des Sommers und wird gegen den Herbst
geschlechtsreif. Anfang Juli traten im südlichen Wardartal Massen
von Larven auf, Ende Juli, Anfang August waren sie erwachsen, aber
die Geschlechtsorgane noch nicht fertig entwickelt. Im September und
Oktober findet die Fortpflanzung statt. Dann sieht man vielfach an
Steinen angeklebt ihre Eierkokons, einige Zentimeter lange, gewölbte
Gebilde aus einer zarten Substanz, in denen 80-100 der länglichen Eier
parallel nebeneinander liegen.

Die dritte hierher gehörige Form ist +Empusa fasciata+ Brull. Das ist
ein Tier, welches eine merkwürdige Tendenz hat, an allen möglichen
Stellen des Körpers Zipfel und Lappen zu entwickeln. An den Beinen,
am Hinterleib, ja selbst an seinem Eikokon kommen solche vor. Es ist
ein stattliches Tier, welches als Larve den Hinterleib stets aufwärts
zurückgebogen trägt. Das Männchen hat lange gefiederte Fühler. Ein
merkwürdiger Augenfleck auf der Innenseite der Vorderbeine fiel mir bei
manchen Exemplaren auf und zeigte sich variabel.

Von ihr fand ich bei Üsküb im Winter gar nicht selten unter Steinen
relativ große, aber noch ungeflügelte Larven. Auch im Süden bei
Kaluckova und Dedeli kommt die Art vor. Nirgends fand ich sie aber so
häufig wie bei Üsküb. Im Frühjahr kriechen sie aus dem Winterquartier
und bei eifriger Insektenjagd wachsen sie bald heran und bekommen
Flügel. In der zweiten Hälfte des Mai sind sie geschlechtsreif und
beginnen mit der Fortpflanzung. Ich habe sie öfter im Käfig gehalten,
wo sie leicht mit allerhand Insekten zu füttern sind.

[Illustration: Abb. 251. Gespensterheuschrecke. +Mantis religiosa+ L.]

Im Juli sind schon kleine, kaum 1 cm lange, flügellose Larven da,
welche den Hinterleib aufrecht zurückgeschlagen tragen und in ihrer
Hagerkeit einen bizarren Eindruck machen. Diese kleinen Larven wachsen
bis zum Eintritt des Winters bis zur halben Größe heran, um dann zu
überwintern. Ende August kamen sie in Veles oft in großen Massen in die
Zimmer hinein.

+Ameles decolor+ Charp. ist die einzige Mantide, welche nachts ans
Licht flog, diese aber oft in großen Mengen.

Von +Lokustodeen+, den Heuschrecken mit den langen dünnen Fühlern,
erwähne ich +Decticus albifrons+ F., einen nahen Verwandten unseres
_Warzenbeißers_; er ist etwas größer als dieser und niemals grün
gefärbt wie er.

Ganz abenteuerliche Erscheinungen sind die +Saga+-Arten, deren ich
zwei in Mazedonien antraf, die grüne +Saga serrata+ Fabr. und die
olivbraune, schwarzgefleckte +Saga natoliae+ Serv. Mit ihren langen,
ungeschlachten Beinen, ihren kurzen, wie verkrüppelt aussehenden
Flügeldecken und ihren plumpen Bewegungen scheinen sie gar nicht recht
in das Geschlecht der Heuschrecken hineinzupassen. Von ihnen ist
+Saga natoliae+ die südliche Form, die im Balkan und Kleinasien weit
verbreitet ist; sie wird nördlich von +S. serrata+ abgelöst. Letztere
pflanzt sich fast ausschließlich parthenogenetisch fort, man findet
von ihr fast nur Weibchen, während erstere Männchen und Weibchen im
normalen Prozentverhältnis hervorbringt.

Oft in ungeheueren Mengen trat +Tryxalis nasuta+ Fab. auf, die
_Schnabelheuschrecke_, mit ihrem schief aufgerichteten Kopf, den
breiten, oft parallel nach vorn gerichteten Fühlern, den dünnen
Vorderbeinen und sehr langen Hinterbeinen. Solange sie flügellose
Larven waren, konnte man sie für junge Stabheuschrecken der Gattung
+Bacillus+ halten. Diese in Istrien, Dalmatien und Italien so
häufige Form habe ich in Mazedonien nicht gefunden. Sind die Flügel
herangewachsen mit ihrem dunkelbraunen, weißgefleckten Längsstreifen,
dann ist eine Verwechslung mit einer Stabheuschrecke nicht mehr möglich.

Von den anderen _Feldheuschrecken_ wäre +Caloptenus italicus+ L.
hervorzuheben; dies graubraune, schwarzgestreifte Tier mit den roten
Hinterschienen und roten Hinterflügeln war überall häufig. Auch die
_Wanderheuschrecken_ waren nicht selten. Sie waren in erwachsenem
Zustande auffallend große Tiere, sie erreichten 8-10 cm Länge und
machten nicht nur mit ihren eigenen Tönen einen gewaltigen Lärm,
sondern auch wenn man sie fing und sie sich durch die Büsche zu Boden
fallen ließen, so gab es ein mächtiges Gerumpel. Die verschiedenen
Individuen dieses +Acridium aegyptium+ L. waren sehr verschieden
gefärbt, bald gelblich, bald braun, bald auffallend rot.

Eine verwandte, halb so große Form, grün, schwarz gefleckt, mit
rötlichen Hinterbeinen, +Pachytilus nigrofasciatus+ de Geer tritt im
Gegensatz zu den verwandten Arten nicht als Wanderheuschrecke auf.

Ich habe oft die +Oedipoda+-Arten, die _Schnarrheuschrecken_, erwähnt,
welche beim Auffliegen ihre roten und blauen Unterflügel aufblinken
ließen, während sie durch betäubendes Schnarren ihre Verfolger
erschreckten. Setzten sie sich auf den Boden nieder, so waren sie wegen
ihrer Ähnlichkeit mit dem Untergrund, welche mit diesem variierte, wie
von ihrer Umgebung verschluckt, wenn sie sich still am Boden hielten.
Erschreckt fuhr man zurück, wenn sie an ganz unerwarteter Stelle wieder
aufschnarrten. Neben +Oedipoda coerulescens+ L. kam +O. miniata+ Pall.
nicht selten vor, jene mit blauen, diese mit grellroten, am Ende
schwarzgebänderten Hinterflügeln.

Durch kohlschwarze Färbung des ganzen Körpers, von dem sich die roten
Hinterflügel scharf abhoben, wenn das Tier sich vom Boden im Flug
erhob, ist +Psophus stridulus+ L. ausgezeichnet. Das Tier war in der
Steppe bei Gradzko und Krivolak, aber auch bei Stip eine Charakterform,
kam aber auch in den Bergen vor.

Formen von mediterranem Typus sind +Paracinema tricolor+ Thunb. und die
Arten von +Glyphanus+, so +G. obtusus+ Fieb. und +G. heldreichi+ Br.

Eine eigenartige kleine Heuschrecke (+Tettix subulatus+ L.), im
erwachsenen Zustande kaum etwas über einen Zentimeter lang, ein
graubraunes, lebhaft springendes Tierchen, hielt man kaum für etwas
anderes als eine Larve, wenn es vor einem aufsprang. Daß man es leicht
für eine Larve hielt, lag auch an dem frühen Auftreten der Form, welche
ich am Katlanovosee schon Ende März und Anfang April in erwachsenen
Individuen fand; die Art überwintert als Larve.

Auch andere Tiergruppen nahmen während des Sommers an Individuenzahl
und an Einfluß auf das Landschaftsbild zu. Das galt vor allem für
die _Zikaden_ und die _Ameisenlöwen_. Erstere begannen in den
Mittagsstunden durch ihren Gesang die Heuschrecken und Grillen
vollkommen aus dem Feld zu schlagen. Von der großen Wirkung des
Konzerts der Zikaden habe ich schon im Kapitel über den Doiransee
erzählt. Die Zikaden als echte Sonnentiere paßten so recht in die
Steppenlandschaft des mazedonischen Sommers. In der stärksten Sonne
saßen die großen Arten an den Stämmen der Eschen, an den höchsten
Büschen und erhoben ihren betäubenden Gesang, wenn sonst alles in der
Natur ruhte. Die größte Zikade Mazedoniens ist +Cicada plebeja+ Scop.,
ein silbergraues Tier; als wichtiges Instrument im Zikadenorchester ist
+Tettigia orni+ L. zu verzeichnen, denen sich +Cicadatra atra+ Ol. und
+Tibicina haematodes+ Scop. anschließen.

So schwebten auch die Scharen der _Landlibellen_, der _Ameisenlöwen_ in
der heißen Sommerluft. Auffallend war es, wie eine Art nach der anderen
in großen Individuenzahlen auftrat; jedesmal die Landschaft so sehr
belebend, daß man jeweils glaubte, jetzt in der +Myrmeleon+-, jetzt in
der +Nemoptera+- oder +Palpares+-Landschaft zu verweilen.

Das war die Zeit, in welcher die Steppe im Flachland von Mazedonien
regierte. Jetzt drängte sich alles hervor, was der Steppe entsprach,
was mit ihr zu tun hatte. In der Mittagssonne hörte man den _Ziesel_
im dürren Gras rascheln und hastig sein Bündel Heu in seinen Bau
schleppen. Von einem Stein schaute einen der _Wiedehopf_ neugierig an,
spreizte seinen Schwanz und die bunten Federn seines Schopfes, die ihn
einem Indianerhäuptling gleichen machten. Wenn die Nacht herabgesunken
war und der Boden noch glühte, huschte über ihn die gespensterhafte
_Gliederspinne_ +Galeodes graecus+ mit ihren langen Beinen dahin und
stürzte sich wie ein Vampyr über ihre Beute.

Nun war die böse Zeit für die _Herden_. Der verdorrte Boden mit
seinen harten Büschen gab nur mehr den Ziegen dürftige Nahrung. Die
Schafherden hatte man, wo es ging, in die Berge gebracht. Aber die
Pferde und Rinder litten in dieser Zeit bitter an Hunger und Durst.
Es war ein trauriger Anblick, die abgemagerten Ochsen und Pferde in
Herden über dem trockenen Boden die spärliche Nahrung suchen zu sehen.
Es mochte einen erbarmen, wenn die hageren Tiere, denen die Rippen weit
herausstanden, mit den Vorderbeinen in die Krone eines kümmerlichen
Maulbeerbaumes kletterten, um da die wenigen übrig gebliebenen Blätter
abzuknabbern. Sie, die Ärmsten, konnte man nicht entbehren; sie
brauchte man jetzt im Kriege überall für Transporte, zum Nachschub, als
Trag- und Reittiere und zum Schlachten.

Wie mancher Ochse, wie manches Pferd erlag den Strapazen und dem
Hunger, stürzte an der Straße nieder, starb und konnte nicht
fortgeschafft werden. Da sammelte sich bald um das Aas eine Schar
gieriger Tiere an. Lange stank es nicht in die Gegend hinein; denn
durch den Geruch angelockt, kamen die Dohlen, die Krähen, die
Kolkraben, zu denen sich hier im Lande stets die Elstern gesellten.
Kaum hatten sie begonnen sich gütlich zu tun, so scheuchte ein
gewaltiger Schatten sie auf. Ein riesiger Geier senkte sich auf das
Aas herab; bald kamen seine Genossen dazu und ehe sie gesättigt waren,
wurde das kleinere Gesindel zum Mahle nicht zugelassen. Kaum wiederum
hatten die Geier das Aas mit vollen Kröpfen verlassen, so stürzte sich
die schwarze Bande der Kleinen zu Hunderten auf den Rest und bald ragte
das Skelett rein genagt in den dörrenden Sonnenschein.

[Illustration: Abb. 252. Hungernde Rinderherde im Hochsommer.]

Nicht immer warteten die Aasvögel den Tod ihres Opfers ab; ich habe die
Erinnerung an ein grausiges Erlebnis nördlich des Katlanovosees. Gegen
Abend, auf staubiger Landstraße heimkehrend, bemerkte ich in einem
Dornbusch eine große Schar von Krähen, Dohlen und Elstern, die sich da
mit mächtigem Geschrei zu schaffen machten. Einen großen Kolkraben,
der sich auf die Gruppe herabsenkte, schoß ich und als ich ihn holen
wollte, sah ich im Busch ein seltsames Bild vor mir. Ein starkes Schaf
war hier von der Herde zurückgelassen worden, nachdem es sich mit
seiner Wolle in den Stacheln des Judendornes so verfangen hatte, daß es
nicht mehr loskam. Das war gefundene Beute für die Aasvögel. In Scharen
hatten sie sich auf das unglückliche Tier niedergelassen, hatten
ihm lebend die Augen ausgehackt und hatten vom Kopf aus begonnen,
ihm Fleischstücke abzureißen. So hatten sie angefangen das Tier bei
lebendem Leib aufzufressen, als ich seinem Leben durch einen Schuß ein
Ende machte.

Wo es Wasser gab, wurde es von Menschen und Tieren zum Baden
aufgesucht. Auch die Haustiere machten da keine Ausnahme. Reizvolle
Bilder boten die im Wasser liegenden Büffel, bei denen oft nur mehr die
Nase und die Ohren aus dem Wasser schauten. Ganze Rinderherden stiegen
an den seichten Seeufern, z. B. des Prespasees, ins Wasser, Pferde
tummelten sich da. Schafe und Ziegen dagegen scheuen das Wasser.

[Illustration: Abb. 253. Badende Büffel.]

Glücklich waren Menschen und Tiere zu preisen, welche in der heißen
Zeit in die Berge durften. Ich habe oft in früheren Kapiteln die
schönen, fetten Herden von Rindern und Schafen erwähnt, die ich
im Sommer im Hochgebirge auf den Matten über 1500 man traf. Aber
nicht nur diese Haustiere des Menschen waren der Hitze der Ebene
entflohen, auch manche andere Tiere fand man im Sommer im Hochgebirge,
die im Frühling in der Ebene gewesen waren. So waren manche der
mitteleuropäischen Vögel, Finken, Amseln, Drosseln, zur Sommerfrische
in die Berge gezogen.

Auch unter den Insekten sah ich später im Sommer Arten, die ich im
Frühling in der Ebene beobachtet hatte, immer höher in den Bergen sich
zeigen, je höher hier der Frühling hinaufstieg.

Eine Folge der hohen Sommertemperaturen zeigte sich deutlich bei den
Pflanzen und Tieren. Wie bei den einjährigen Pflanzen oft die ganze
Vegetationsperiode in wenig Tagen ablief, so daß Gewächse, die weite
Gebiete mit ihren farbenprächtigen Blüten bedeckt hatten, wie mit einem
Schlage verschwunden waren, so war auch bei Tierarten das plötzliche
Auftreten und Verschwinden außerordentlich auffallend.

Oft fand ich an einem Berge, in einem Tale eine Käferart, einen
Schmetterling, eine Zikade, in vielen Tausenden von Exemplaren. Jede
Blüte, jeder Busch war von ihnen bedeckt. Kam ich nach wenig Tagen
wieder dorthin, so war die Art oft spurlos verschwunden, manchmal
noch durch wenige Exemplare vertreten. Für uns Bewohner gemäßigter
Zonen war dieser rasche Ablauf des Lebens in dieser heißen Sonne sehr
eindrucksvoll.

Manche Beispiele von +Satyriden+ und den +Thekla+-Arten, auch den
Bläulingen habe ich in früheren Kapiteln schon erwähnt; so auch die
Zikaden und die Ameisenlöwen. Ähnliches beobachtete ich bei Käfern,
so z. B. kam der schwarzgelbe Käfer +Mylabris variabilis+ Pall. Mitte
Juli 1917 auf der Plaguša Planina in vielen Tausenden von Exemplaren
auf jeder Doldenpflanze vor; nach 14 Tagen war die Art aus dem
Gebiete verschwunden. Ähnliches galt für +Conitis bifarciata+ Swark.
am Katlanovosee Mitte Juni 1918. So trat im Nikolatal im April 1918
+Lychus (Halosinus) collaris+ Fabr. in ebenso großen Mengen auf, wie
+Lychus (Halosinus) syriacus+ L. im Mai bei Dedeli. Sehr auffallend
war das Massenvorkommen des mächtigen Bockkäfers +Cerambyx+ (vgl. Abb.
29 auf S. 53), der in Mengen hoch durch die Luft flog und dabei mit
seinen langen Fühlern einen phantastisch großen Eindruck machte. Er war
auch dadurch interessant, daß bei ihm die Fühlerlänge der einzelnen
Individuen sehr stark variierte.

Während das Massenauftreten der Arten sicher von dem Vorkommen der
Futterpflanze und besonderen Verhältnissen abhängt, ist das kurze Leben
der Individuen wohl auf den raschen Verbrauch der +Imagines+ in der
Sommerhitze des Landes zurückzuführen.

Wie verschieden die Gesetzmäßigkeiten sein mögen, welche das
Massenauftreten einer Art in einer bestimmten Gegend bedingen, das
fiel mir sehr auf, als am 15. Juli 1917 plötzlich an einem schönen
Morgen das ganze Tal bei Hudova von einem viele Tausende von Individuen
umfassenden Libellenschwarm erfüllt war. Sie kamen in großen Schwärmen
von Süden und flogen nach Norden, und zwar gegen den stark wehenden
Nordwind, gegen den sie sehr gut ankamen. Um alle Bäume und Häuser von
Kaluckova brandeten die Massen an; ich durchstreifte an diesem Tag die
ganze Gegend; überall sah ich die Libellenschwärme, sowohl in Kalkova,
in Hudova, Gradec, im ganzen Gebiet. Aus den verschiedensten Lagern
des Tales wurde das seltsame Phänomen gemeldet. Am Tag herrschte nicht
mehr als 24° C im Schatten, das Wetter war auffallend kühl. Den Tag
über flogen immer neue Scharen heran. Abends nahmen sie ab und an den
nächsten Tagen waren fast alle, bis auf einige Nachzügler, verschwunden.

Den Namen der Art, den ich Dr. _F. Ris_ verdanke, ist +Aeschna mixta+;
alle an jenem Tag gefangene Individuen sind unausgefärbte Stücke, die
erst nach 2-3 Tagen ihre volle Ausfärbung erreicht hätten. Die gleiche
Beobachtung wurde auch sonst bei Massenflügen von Libellen gemacht, wie
nach Mitteilung von Dr. _Ris_ nicht selten bei +Hemianax ephippiger+,
einer mediterranen Form.

Diese Tatsache weist offenbar darauf hin, daß es sich um Tiere
von gleichem Alter und annähernd gleicher Herkunft handeln muß.
Ihre Versammlung an einem Ort scheint wohl durch Windrichtung
und barometerische Bedingungen verursacht zu sein. Der englische
Naturforscher _W. H. Hudson_ gibt in seinem so reizvollen Buch über La
Plata eine Schilderung von den aus Millionen von Individuen bestehenden
Schwärmen der Libelle +Aeschna bonariensis+ Raml., welche in
Argentinien vor dem Südwestwind, dem Pampero, vorausfliegen. Also auch
dort vor einem kalten Wind erscheinend. Daß die von mir beobachteten
Tiere gegen Norden flogen, war wohl durch den Schutz bedingt, den
ihnen die nördlich gelegenen Talwände, Bäume und Häuser vor dem Wind
gewährten.

Meine Beobachtung schließt sich jedenfalls meinen anderen
Feststellungen über das massenhafte Auftreten einer Tierart an wenigen
Tagen im sommerlichen Mazedonien an. Das plötzliche Verschwinden der
Libellen ist allerdings wohl nicht durch deren raschen Tod, sondern
durch Verteilung auf Bäche und Flußufer einer weiteren Umgebung nach
dem Nachlassen des kalten Winds zu erklären.

[Illustration: Abb. 254. Kartenskizze von Westmazedonien. Gebiet der
großen Seen.]



VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL

DER PERISTERI. Die MAZEDONISCHEN ALPEN.


Wieder ragte ein hohes mazedonisches Gebirge vor mir auf, der
_Peristeri_, auf dessen Gipfel jetzt noch Mitte Juli ein kleines
Schneefeld sichtbar war. Von diesem, den weißen Flügeln der Taube,
hat er seinen griechischen Namen. Mächtig erhob der Berg sich vor mir
mit seinen drei Gipfeln, als ich am 17. Juli an einem sehr heißen
Morgen von Gopes nach _Dolenci_ ins Tal der _Semniča_ abstieg, welche
vom Peristeri kommt. An ihren Quellbächen liegen _Kazani_ und das
Aromunendorf _Maloviste_, von dem sonst gewöhnlich der Aufstieg auf
den Peristeri von den Deutschen unternommen wurde. Ich plante ihn aber
von _Čapari_ aus, wo als Leutnant ein junger Königsberger Zoologe, Dr.
_H. C. Müller_, in Quartier lag. Dieser hatte mir angeboten, mich und
meine Mitarbeiter als Führer auf den Peristerigipfel zu begleiten.

[Illustration: Abb. 256. Blick über Čapari auf den Peristeri.]

Schon in _Dolenci_ holte uns Dr. Müller mit seinem Wagen ab, der uns
den _Širokabach_ entlang nach dem malerischen Dörfchen _Čapari_ führte,
wo wir freundschaftlich aufgenommen wurden. Der Bach durchbrauste das
reich von Bäumen beschattete Dorf, in welches er vom Hang des Peristeri
durch eine tief eingerissene Schlucht hineinstürzte. In alle Gassen des
Dorfs blickte groß und würdevoll die gewaltige Gestalt des Peristeri
hinein.

Es war ersichtlich, daß wir einen geeigneten Ausgangspunkt für den
Aufstieg auf den Hauptgipfel des Peristeri gewählt hatten. Offenbar
war die Schlucht ein viel von den bulgarischen Truppen begangener Weg,
der, ohne durch Wald zu führen, sehr steil, aber geradewegs uns in die
Gipfelregion brachte.

Am 18. Juli, 3½ Uhr morgens, begann der Anmarsch steil durch die
Schlucht hinauf; es stieg sich gut in der Nacht, auch als wir die
Schlucht verließen und uns ostwärts auf einen Sattel wandten, der von
üppigem Mattengras bewachsen war, aus dem kahle Felsen hervorragten.
Während bisher im Dunkeln nichts zu beobachten gewesen war, änderte
sich das sogleich, als auf dem Sattel bei 1700 m Höhe um 5½ Uhr die
Sonne über einen Felsgrat empor kam. Ein schöner Sonnenaufgang fand uns
auf einem üppigen Wiesenboden, wo uns die ersten zwerghaften Exemplare
der für den Peristeri charakteristischen Zirbelkiefer (+Pinus peuce+)
begegneten. Vorher war der Boden von _Adlerfarn_ weithin bedeckt
gewesen, zwischen dem Wolfsmilch, Thymian, hier und da Erdbeerpflanzen
standen. Die großen Farnflächen waren manchmal durch Wiesen
unterbrochen, in denen mitteleuropäische Grasarten und ein weißer Klee
die Charakterpflanzen waren.

Hier oben war aber die Pflanzenwelt reicher; zwischen den vereinzelten
Sträuchern der Zirbelkiefer wuchsen Gruppen eines niedrigen
_Wachholders_ (+Juniperus nana+ Willd.). Von blühenden Pflanzen fielen
Königskerzen, Schafsgarben, Nelken auf. Ich habe auf dem Peristeri
keine Pflanzen gesammelt, da der deutsche Botaniker _Grisebach_
schon im Jahre 1839 hier Beobachtungen gemacht hatte und Professor
_Bornmüller_, mein botanischer Mitarbeiter in Mazedonien, im Jahre 1917
schon dort gewesen war. Immerhin werde ich noch manche Pflanzen aus der
alpinen Region erwähnen.

Um so mehr nahm ich mit meinen Begleitern die Zeit wahr, um auf Tiere
zu achten. Eine Menge von kleinen grauen Schmetterlingen aus der
Gruppe der Spanner (Geometriden) flogen vor unseren Schritten aus den
Büschen vor uns auf (+Anaites simpliciata+ Tr.). +Parnassier+ fanden
wir hier nicht. Wahrscheinlich war es für die +Mnemosynen+ zu spät und
für die +Apollos+ zu früh. Zwei für die Höhenzone charakteristische
Heuschreckenarten waren aber häufig. Eine schwarze Form mit roten
Unterflügeln glich sehr der Art, welche ich in der gleichen Höhenzone
auf der Mala Rupa gefunden hatte. Sie führte einen ähnlichen Balzflug
aus wie jene, aber stieg dabei nicht so ausgesprochen senkrecht in
die Höhe wie sie (+Stenobothrus morio+ Fab.). Eine zweite kleine
Heuschrecke, die in großen Mengen vorkam, zeichnete sich im männlichen
Geschlecht durch eigentümlich verdickte Vorderschienen aus, welche
offenbar im Geschlechtsleben eine Rolle spielen. Diese Form, die
hier abgebildet ist, ist durch diesen geschlechtlichen Dimorphismus
besonders gekennzeichnet, welcher sonst bei Heuschrecken selten
vorkommt.

[Illustration: Abb. 257. +Gomphocerus sibiricus+ L. Heuschrecke, deren
Männchen verdickte Vorderbeine besitzt. Männchen und Weibchen einander
gegenübersitzend.]

Aus den grünen Matten ragten Gruppen schroffer, heller Felsen
empor, welche in den Spalten von rötlichem Detritus erfüllt waren.
Ein schöner, gleichmäßiger, dunkelgrüner Rasen überzog die Hänge
dazwischen. Es war selbst hier in einer Höhe von 1800-2000 m sehr
heiß, die Sonne brannte auf uns herab, als wir an einem solchen
Felsen rasteten. Da erschienen plötzlich feindliche Flieger über uns.
Sie wurden von einer Flakbatterie bei _Rasotin_ beschossen, wobei
ein Blindgänger nahe bei uns niederfiel. So wurde man grausam daran
erinnert, daß wir Naturforscher nicht einmal in dieser weihevollen
Einsamkeit der Natur ungestört unseren Forschungen nachgehen durften.

Wir ließen uns aber nicht bei unserer Tätigkeit behindern, welche
uns reizvolle Funde in Aussicht stellte; denn über den Matten flogen
interessante Gebirgsschmetterlinge dahin. Es waren dunkle _Erebien_
(+Erebia epiphron orientalis+ Elw., +E. euryale+ Esp., +E. tyndarus
balcanica+ Reb.).

Nach fast 5 Stunden Steigens langten wir in einem karartigen Kessel
der Gipfelregion an. Mächtige Granitblöcke bedeckten seine Hänge, wirr
übereinander gestürzt und durcheinander geworfen. Eine tiefe Mulde
zog sich zu einem etwas eingebogenen Gipfelkamm. Der ganze Hang war
von ungeheuren Massen von Geröll bedeckt. Wir waren in etwa 2100 m
Höhe angelangt. Die Mulde streckte sich nach Süden und kehrte uns
ihren Nordhang entgegen. Auf diesem lag das einzige kleine Schneefeld,
welches der Sommer oben bei etwa 2400 m zurückgelassen hatte. Zwischen
den Steinen rann Schmelzwasser des Schnees herab, welches im Grunde
schwarze, sumpfige Erde angesammelt hatte, zwischen der allerhand
Pflanzen von ausgesprochen alpinem Typus wuchsen. Auch von diesen hat
_Grisebach_ eine ausführliche Liste gegeben. Mir fiel damals besonders
eine entzückende _rosenrote Nelke_ auf, die große blütenreiche Polster
zwischen den Steinen bildete (+Dianthus myrtinervis+ Gris.). Ich habe
von einem solchen Polster eine photographische Aufnahme gemacht,
welche hier eingefügt ist (Abb. 258, S. 520). Die Abbildung gibt einen
Eindruck von der charakteristischen Hochgebirgsumgebung, in welcher die
Pflanze wächst. Die Augen auf sich zog auch ein stattlicher _Enzian_
(+Gentiana punctata+ L.) mit gelben, braungefleckten Blüten, der große
Büsche bildete. Unten am Sumpf stand ein stattliches Fettkraut mit
großen violetten Blüten (+Pinguicula grandiflora+ Lam.), ein alpiner
Vertreter dieser insektenfressenden Pflanzengattung. Dazu kam ein
mächtiges Läusekraut (+Pedicularis comosa+ L.) und ein leuchtend blaues
Vergißmeinnicht.

In diesem steinernen Kessel, in der Hochgebirgseinöde, lag eine
bulgarische Kompanie. Sie hatte im Schutz von Felsen in möglichster
Winddeckung eine Anzahl Hütten und Baracken gebaut und führte
da ein entbehrungsvolles Dasein. Wir waren in nächster Nähe der
Front, welche über den Gipfel des _Peristeri_ hinzog. Im Sommer
war der Aufenthalt hier oben nicht weiter schlimm und jedenfalls
der Gesundheit zuträglich. Aber im Winter hatten die Soldaten kein
leichtes Leben. Hier lag zuzeiten der Schnee 15 m hoch. Die Hütten
waren dann vollkommen vergraben; so mußten sie Proviant und Munition
aufgespeichert haben, da sie auf Wochen von der Welt abgesperrt sein
konnten... Auch das Holz mußte aus der Baumregion heraufgeschleppt
werden.

[Illustration: Abb. 258. Alpennelke (+Dianthus myrtinervis+ Gris.).]

Wir waren von der Kompanie freundlich aufgenommen worden, vor allem von
ihrem Hauptmann, der ein umgänglicher, sympathischer Mann war und bald
sein starkes Interesse für naturwissenschaftliche Fragen und vor allem
für Botanik verriet. Er bot uns seine Begleitung auf den Gipfel an, die
uns sehr willkommen war.

Es war ein anstrengender Anstieg, ein schwieriges Klettern über die
glatten, bunt durcheinander gewürfelten Granitblöcke, welche den ganzen
Hang bedeckten. Wir hatten noch einige hundert Meter bis zum Gipfel
emporzuklimmen; Pfad gab es keinen, kein Wiesenstück, keinen Streifen
Erdkrume. Alles nur Steine, glatte, mächtige Felsen oder durcheinander
geworfene kantige Blöcke. So gab es auch auf dem Anstieg immer weniger
Vegetation und die äußerste Gipfelregion trug gar keine höheren
Pflanzen; da wuchs nur hier und da etwas Moos oder eine Flechte als
Kruste auf dem Gestein. Die einzigen Tiere, die hier oben zu beobachten
waren, Ohrenlerchen (+Chionophilos alpestris balcanicus+ Rchn.)
schwirrten durch die Felsspalten (vgl. Abb. 201, S. 403).

Der im Hochgebirge eingelebte Hauptmann brachte uns mit seinen langen
Schritten bald außer Atem. Doch in kaum einer Stunde erreichten wir
das Schneeband, durchwateten dieses und klommen über die letzten
Felsenplatten zu dem kahlen Gipfel empor, dessen Höhe mir mein
Aneroïdbarometer mit 2460 m angab, während die Karte 2535 m als
Gipfelzahl verzeichnet.

[Illustration: Abb. 259. Gipfel des Peristeri.]

Ich trat hinaus auf den kleinen Gipfelraum, atmete tief auf, reckte
meine Arme in die Höhe, und begann mit einem frohen Jodler mein
Entzücken, welches das Bild in mir erweckte, das vor mir lag,
auszuposaunen. Da faßte mich still der bulgarische Hauptmann an der
Schulter und zog mich hinunter in Deckung. „Wir sind nicht auf dem Rigi
hier, gleich wirds schießen.‟ Und er deutete mit dem Finger auf die
französischen Gräben, die sich kaum 200 m vor uns hinzogen, in denen
ich aber niemand sich regen sah.

Man konnte auch aus der Deckung genug sehen und beobachten; und auch
aus einem anderen Grund war Deckung erwünscht, nämlich als Schutz vor
dem kalten Wind, der in der Gipfelregion blies. Meine von dem Anstieg
erschöpften Kameraden zogen vor, in einer Felsmulde, welche die Sonne
erwärmte, zu schlafen. Ich durfte mir aber keine Ruhe gönnen. Ich mußte
die 1 oder 2 Stunden, die ich auf dem Gipfel des Peristeri verbringen
durfte, richtig ausnutzen. Ein starkes Glücksgefühl erfüllte mich, daß
es mir gelungen war, auch diesen Gipfel zu ersteigen und Beobachtungen
zu machen. So hatte ich zu photographieren, Skizzen zu machen, Notizen
aufzuzeichnen und aufzufassen, was nur möglich war. Zuerst wollte
ich aber die Schönheit der Landschaft in mir aufnehmen und dann mich
orientieren.

Die nächste Umgebung war nicht allzu reizvoll. Drei kahle Felsengipfel
ordneten sich als Gipfelmassiv in einem Bogen an, grobes, plattiges
Gestein, ohne großen Reiz in Farbe und Form. Und viele Einzelheiten des
Mittelgrunds wurden durch die menschlichen Bauten gestört. Da waren
zuerst hinter den Gipfelfelsen Gräben und Unterstände der Bulgaren. Und
jenseits zogen sich über eine Mulde, welche zu dem anstoßenden südlich
verlaufenden Gebirgskamm führte, auf dieser Seite eigene, drüben
feindliche Gräben. Auf den Rückseiten der vorliegenden Berge sah man
überall gerade Linien, Zickzackstreifen durch Gräben, Serpentinen von
neugebauten Zufahrtsstraßen und all den Spuren des grausamen Kriegs
gezogen.

Naturforscher und Künstler in mir aber wirkten zusammen, um all dies
häßliche Menschenwerk in dem Bild auszulöschen, das innerlich in meiner
Seele die Lichtstrahlen, die aus allen Weiten zu mir flogen, aufbauten.
Und es blieb Schönes und Ergreifendes genug an der Landschaft, die
sich, während ich in den Felsen herumkletterte, nach einander nach
allen Himmelsrichtungen unter mir ausbreitete.

Zunächst blickte ich über die Mulde und den Sattel im Süden, der den
Peristerigipfel mit einem breiten, bewaldeten Bergrücken verband;
da unten lagen, wie die Augen des Gebirges, zwei kleine dunkelgrün
schimmernde Seen; sie erinnerten in Gestalt und Größe an die Karseen,
die wir auf dem Pepelak im Monat vorher entdeckt hatten. Von der Karte
konnte ich ablesen, daß sie _Lakul Mik_ und _Lakul Mare_ hießen, was
auf aromunische Benennung hinwies.

Was war das für eine seltsame Empfindung, kaum ½ Stunde von diesen
interessanten Gewässern entfernt und als Naturforscher verhindert zu
sein, sie zu untersuchen, weil sie zwischen feindlichen Stellungen
lagen. Hier war die Lage so, daß es auch nachts nicht möglich gewesen
wäre, dorthin zu dringen, ohne festgenommen zu werden.

So mußte ich den Blick sehnsuchtsvoll in die Ferne schweifen lassen,
über die Gebirge Griechenlands und vor allem nach Westen und Südwesten
in die Gegend des Prespasees. Von einem Ausblick auf einem vorragenden
Felsen aus konnte ich den ganzen _Prespasee_ und _Mala Prespa_, den
kleinen, durch eine schmale Landbrücke von ihm getrennten südlichen See
überschauen. Versumpftes Schilfufer zog sich als breites Band um das
Nordende des Prespasees. Auf seinen blinkenden Spiegel senkten sich im
Westen steile Felswände herab, eine Halbinsel ragte aus ihnen hervor
und ein zartes Inselbild schwamm wie ein Phantom im Blau des Sees.
Nördlich von ihm zog der _Tomoros_ hin, anschließend die Berge, welche
ihn vom _Ochridasee_ trennen und die Verbindung mit dem _Schardakh_ und
den albanischen Bergen herstellen.

Nördlich des Prespasees und seines grünen Schilfgürtels dehnte sich die
weite, baumreiche Ebene mit der Stadt _Resna_ aus. Noch eigenartiger
war aber der Blick nach Westen. Da sah ich steil die Felswände entlang
wie aus dem Flugzeug hinab in die Straßen von _Monastir_. Es ist ein
eigenartiger Eindruck, eine Großstadt von über 100000 Einwohnern, und
noch dazu eine orientalische Stadt mit den Kuppeln von Moscheen und
ihren Minarets, mit baumreichen Gärten, mit großen hellen Gebäuden und
tausenden von Dächern von einem hohen Berg zu überblicken.

Um die Stadt herum zogen die feindlichen Stellungen; während ich
herunterblickte, begann eine heftige Artilleriebeschießung.

Nach 1½ Stunden traten wir den Abstieg an. Doch ließ uns der
bulgarische Hauptmann nicht ohne weiteres durch sein Lager
durchmarschieren. Er hatte ein treffliches Mittagsmahl mit guten
bulgarischen Gerichten zubereiten lassen. Gut gestärkt, nach anregenden
Gesprächen, traten wir um 2½ Uhr nachmittags den Rückmarsch in die
Tiefe an. Vorher hatte ich mich nicht nur von den freundlichen
Offizieren und Mannschaften, sondern auch von einer Meute prachtvoller
Hunde zu verabschieden. Zwölf gewaltige Tiere, drei junge, neun alte
waren die Freunde der Truppe in der Bergeinsamkeit. Sie gehörten zu
der prachtvollen, langhaarigen Schäferhunderasse, welche ich immer
bei den Hirten im Gebirge antraf. Während aber sonst meist die Tiere
verprügelt, schlecht behandelt und tückisch waren, konnte in diesem
Fall festgestellt werden, welch treue, kluge Kameraden man aus dieser
Rasse erziehen kann.

Der Marsch nach _Čapari_ hinunter führte auf einem Umweg auf die
Schlucht zurück, durch welche wir morgens angestiegen waren. Dieser
Umweg war außerordentlich lohnend. Ich ließ mich zu ihm durch einen
prachtvollen Wald von hochstämmigen Kiefern verlocken, der die Wände
eines tief eingeschnittenen Tales bedeckte, das sich gegen Monastir in
die Ebene erstreckte. Es war eine obere Abzweigung des _Dragortals_ und
offenbar der Aufstieg, den im Jahre 1839 _Grisebach_ von _Monastir_
über _Margarevo_ gemacht hat.

[Illustration: Abb. 260. +Pinus peuce+ am Peristeri 1800 m.]

Die Halde, auf welcher der Wald sich weithin ausdehnte, war mit einem
Geröll gewaltiger Granitblöcke bedeckt. Es war nicht einfach, den
Abhang hinabzuklettern; in Sprüngen ging es von Fels zu Felsen, über
glatten Rasen und über morsche Stämme gestürzter Kiefern. Der Wald
bestand aus schönen, schlanken Vertretern einer Zirbelkiefer (+Pinus
peuce+). Die tannenähnlich gewachsenen Bäume mit ihren langen, dunkeln
Nadeln und braunen Stämmen hoben sich malerisch von den grauen Felsen
des Granits ab. Große grüne Grasbüschel und die Blätter des jetzt
verblühten +Asphodelus albus+ L. mit den Samenkapseln wuchsen zwischen
den Steinen.

Am Boden der Schlucht bildeten die Kiefern einen dichten Wald, der
sich zu einer Waldwiese öffnete, auf der viele rote Disteln und
Doldenpflanzen blühten und Himbeeren reiften. Hier gab es noch einmal
reiche zoologische Ausbeute. Viele schön gefärbte Hummeln brummten von
Blüte zu Blüte. Außer den morgens erbeuteten +Erebien+ flogen hier
zahllose Schmetterlinge, von denen ich +Actaea cordula+ Fabr. und den
schönen Perlmutterfalter +Argynnis pales balcanicus+ Rbl. erwähnen
möchte. Auch Heuschrecken, Bienen, Fliegen wurden in vielen Arten
erbeutet.

[Illustration: Abb. 261. +Pinus peuce+ und Blick ins Tal vom
Peristerihang in 1800 m.]

Eine bescheidene kleine Zauneidechse, die wir nicht weit von dem Bach
an den Felsen der Schlucht fingen, erwies sich als ein besonders
interessanter Fund. Es war der südlichste Fundort von +Lacerta
agilis+ L., der mitteleuropäischen Form der Zauneidechse. Es war
nicht die östliche Form +L. agilis exiqua+, sondern die typisch
mitteleuropäische, wie sie bisher mit Sicherheit auf dem Balkan nur in
der Herzegowina beobachtet worden war.

Über all diesen Naturforscherinteressen wurde aber auch die Schönheit
der Landschaft nicht vergessen. Die warme Nachmittagssonne vergoldete
die Felsenhalden und die Stämme der Kiefern. Schon begannen die
Schatten über die Hänge und Talwände sich auszubreiten. In vollem
Sonnenglanz lagen noch die Hänge der Berge nördlich von Monastir und
der Kette bei Gopes. Klar umrissen ragten die Kronen der Kiefern in den
glühenden Himmel hinein.

Mit Bedauern blickte ich auch hier in die sinn- und zwecklose
Verwüstung, welche die bulgarischen Truppen in dem wundervollen
Bestand der Kiefern angerichtet hatten. Wie wird sich in den nächsten
Jahrzehnten schon der Raubbau rächen, der im Krieg an den geringen
Waldbeständen Mazedoniens ohne jede Voraussicht geübt wurde.

Schon lag von neuem abendlicher Schatten in der Schlucht, als wir müde
und befriedigt dem Eingang des Dorfs Capari zu marschierten. Froh
dachte ich nachts daran, daß ich das Wasser, das mich in den Schlaf
rauschte, oben am Rande des Schnees hatte entspringen sehen.

       *       *       *       *       *

Ich halte es für richtig, hier einen knappen Überblick über unsere
gesamten Beobachtungen in den _mazedonischen Alpen_ zu geben. Es waren
Hochgebirge von mittlerer Höhe, welche ich im _Schardakh_, in der
_Mala Rupa_, in der _Golesniza Planina_, in der _Belasiza Planina_, im
_Peristeri_ und im _Tomoros_ kennen lernte. Daneben habe ich noch eine
ganze Anzahl stattlicher _Mittelgebirge_ besucht. Ich nenne von ihnen
die _Plaguša Planina_, die Berge bei _Demir Kapu_ und am _Doiransee_,
das _Babunagebirge_, den _Karadakh_ bei _Üsküb_, die _Wodno_kette, das
Gebirge bei _Gopes_ und _Krusevo_.

Mazedonien in seiner Gesamtheit betrachtet ist ein gebirgiges Land,
erfüllt von _Kettengebirgen_, welche den malerischen Charakter
des Gebietes bedingen. Während die Mittelgebirge 1000-1400 m Höhe
erreichen, sind in den Alpen Mazedoniens die höchsten Gipfel etwa
2400-2700 m hoch. An Wildheit der Formen und Größe der Dimensionen kann
sich diese Gebirgswelt mit unseren Alpen nicht messen. Touristische
Schwierigkeiten für die Erreichung der Gipfel kommen nicht in Frage.
Kletterpartien kommen kaum in Betracht. Viele der von mir bestiegenen
Gipfel waren auf Saumpfaden zu erreichen.

In Anbetracht der relativ geringen Höhen und der südlichen Breite der
Lage zeigen die Gebirge einen auffallenden Reichtum in ihrer alpinen
Flora und Fauna. Wir lernten sie als die Zufluchtsorte der Wälder
kennen. Die Baumgrenze liegt entsprechend der südlichen Lage erheblich
höher als in unseren Gebirgen. Im _Schardakh_ lag sie über 1800 m, in
der _Mala Rupa_ sogar in etwa 1900 m, am _Peristeri_ etwa ebenso hoch,
in der _Golesniza Planina_ mit ihrer _Latschenregion_ sogar bei 2000 m.

Sehr charakterisch für alle mazedonischen Gebirge war die Gliederung
in Vegetationszonen, wie sie stets in den südlichen Gebirgen so
auffällig sind. Je nach dem Charakter des Flachlandes war der Fuß
des Gebirges entweder von typischer Kulturvegetation umfaßt oder von
der in den ersten Kapiteln dieses Buches beschriebenen Steppenflora.
Verließ man in den südlichen Gebirgen, also in der _Belasiza Planina_
oder in der _Mala Rupa_ und am _Peristeri_ die Hügellandschaft, kam
man über 200-300 m Höhe hinauf, so ließ man die _Stacheleiche_ und
den _Judendorn_ bald hinter sich, mit ihnen die sie begleitenden
Kräuter. Auf diese Zone folgte die der _weichblättrigen Eichen_,
der _Wachholderbüsche_, unter welche sich Eschen, Hainbuchen und
andere Bäume mischten. Diese Region ging direkt über in die des
_Eichenbuschwaldes_, die in den verschiedenen Gebirgen bis in die Höhe
von 700-900 m reichte. Zwischen diesen Eichenwaldungen waren Wiesen
ausgestreut mit einer sehr reichen Flora blühender Kräuter.

Von 750 bis etwa 1500 m erstreckte sich die _Buchenwaldregion_.
Sie war allen Gebirgen charakteristisch. Es war die Zone des
_Hochwaldes_, in welcher auch, besonders aber an der oberen Grenze,
sich _Nadelwald_ anschloß. Dieser bestand meist aus _Weißtannen_,
so auf der _Mala Rupa_ und auf der _Kobeliza_, am _Peristeri_ war
sie durch die +Pinus peuce+ vertreten, nur im Gebiet der _Golesniza
Planina_ fanden wir in 1900-2200 m die _Bergföhre_, die Latsche.
Auch in dieser zweiten Gebirgszone spielten die reizvollen Waldwiesen
mit ihrem Blüten- und Insektenreichtum eine große Rolle. Auf diesen
Wiesen und an den Rändern des Waldes fanden sich die mazedonischen
_Sennereien_. Im Waldesschatten wuchsen als Schattenblumen Anemonen
und Sauerklee. Überhaupt hatte diese ganze Zone einen ausgesprochen
_mitteleuropäischen_ Charakter in Pflanzen und Tierwelt. Hier flogen
im Wald der Liljefordspecht, Mittelspecht, Amsel und Misteldrossel,
Kleiber, Nonnenmeise, Waldbaumläufer, Rotkehlchen; hier brütet der
Buchfink. Hier ist die Zone, in welche sich im Sommer viele der
mitteleuropäischen Vögel verziehen.

In der _Latschenregion_ der _Begova_ wurden Tannenmeise,
Heckenbraunelle, Hausrotschwanz und Hänfling angetroffen.

Typische alpine _Flora_ beginnt in der Regel erst in den mazedonischen
Alpen von 1400-1500 m ab. Natürlich ziehen sich auch hier mit den
Bächen Alpentiere und -pflanzen weit abwärts. An Nordhängen fand man
nicht selten schon alpine Vertreter in 1100-1200 m Höhe in größeren
Beständen, so die für die erste alpine Zone der mazedonischen Gebirge
sehr charakteristischen Pflanzen, den Germer, +Veratrum album+, und
das zarte Heidekraut +Bruckenthalia spiculifolia+ Salisb. Mit dieser
zusammen fand ich auf fast allen Alpenbergen Mazedoniens in der
gleichen Region die balzende Heuschrecke +Stenobothrus miniatus+ Charp.

In dieser Zone flogen die _Parnassier_, früh im Sommer die
_Mnemosynen_, später die _Apollos_; da gab es die charakteristischen
alpinen _Erebien_, die _Bläulinge_, die _Perlmutterfalter_ und
_Spanner_, welche für diese Zone charakteristisch waren.

Hier begannen nun allmählich die _Matten_ zu herrschen, die typischen
alpinen _Felsenpflanzen_ vorzuwiegen. Wie bei den Tieren, so ist bei
den Pflanzen der Felsen ein charakteristischer Wohnort der alpinen
Formen. Alpine Felsentiere und -pflanzen folgen den Felsen in die
Tiefe; Felsentiere und -pflanzen der Tiefe steigen mit den Felsen zu
den Alpengipfeln empor.

So herrschten denn in den mazedonischen Alpen von Pflanzen neben den
Enzianen, den Alpenrosen bald immer mehr die Steinbrech-, Nelken- und
andere Pflanzenarten vor, welche Polster und Rosetten bildend, wie Moos
sich an die Felsen heften.

Auf den Matten der Regionen über 2200 m war eine wundervolle
alpine Flora von großem Formenreichtum vorhanden und mit ihr eine
charakteristische Alpentierwelt. Und das, obwohl hier unter der
Breite des 40-42° N, sich kein ewiger Schnee, keine Gletscherbildung
von größerer Ausdehnung gehalten hat. So war denn hier nicht wie in
den Hochalpen eine sehr reiche, formenreiche _Nivalfauna_ wie sie
neuerdings vor allem in den schweizer Alpen durch _Zschokke_ und seine
Schüler eine eingehende Untersuchung erfahren hat, entwickelt. Wir
haben in den mazedonischen Alpen in der _Golesniza_ und am _Peristeri_
nur geringe Massen von _Dauerschnee_ angetroffen. Aber wir fanden die
Spuren einstiger _Vergletscherung_ auch in den mazedonischen Alpen und
damit auch Relikten der einstigen _Eiszeit_, wie sie zu erwarten waren.

In den höchsten Felsenregionen und Grasflächen über 2000 m
fanden wir die Brutstätten der _Ohrenlerche_, der _Feldlerche_
und des _Braunkehlchens_; in den zerklüfteten Felsgebieten der
Begovagipfelregion mit ihren Schneefeldern und Schneelöchern gab es
Scharen von _Alpendohlen_, auch _Alpenbraunellen_ ließen sich hier
nachweisen. Den Felsen nachgefolgt waren ebenso hier hinauf der
Alpenmauerläufer und der Felsenkleiber.

Auch unter den Insekten und niederen Tieren ließen sich typisch
alpine Formen und _Eiszeitrelikte_ nachweisen. Ich habe in früheren
Kapiteln auf den Schmetterling _Anarta_, auf die _Alpenplanarie_, auf
die _nordischen Hummelformen_ hingewiesen. Die weitere Verarbeitung
des Materials verspricht noch manchen interessanten Aufschluß.
Unsere Untersuchungen der Biologie der _mazedonischen Alpen_ sind
erste Vorstöße gewesen, denen die Forschungen der Botaniker und der
vielen, besonders österreichischen Entomologen vorausgingen. Noch viel
Interessantes ist von zukünftigen, vertiefteren Untersuchungen zu
erwarten.



FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL

AM PRESPASEE.


Im September 1917 hatte ich vergebens versucht, auf den Prespasee
zu gelangen. Ich hatte die Parklandschaft am Nordende des Sees
durchwandert und war bis an sein sumpfiges Ufer gelangt. Aber
persönliche Unfreundlichkeiten der deutschen Offiziere hatten mich
vergebens zurückkehren lassen, und auch im Jahre 1918 drohten
ähnliche Widerwärtigkeiten den Plan zu stören. Auf Quartier und
Verpflegung sollte es schließlich nicht ankommen. Die Motorboote und
die zugehörigen Marinemannschaften hatten den Befehl, sich mir zur
Verfügung zu stellen und das war das Wesentliche.

Die Boote erwiesen sich als sehr gut und leistungsfähig, die
Mannschaften waren gefällig, voll Interesse für unsere Zwecke; und
so kam ich mit ihnen sehr gut zurecht. Ich konnte meine Absichten am
Prespasee vollkommen erreichen, zumal mein Mitarbeiter Dr. _Nachtsheim_
mir die Hauptarbeit bei der Seenuntersuchung abgenommen hatte.

Inmitten einer weiten Sumpffläche lag nahe dem Nordende des Prespasees
eine kleine Hütte, in welcher die Seeleute hausten. Wir selbst
übernachteten im Dorf _Podmočani_ im Freien neben einem Heuhaufen, da
man uns dort kein Quartier anwies. In der schönen warmen Nacht war
dies nicht unangenehm und in gewissem Sinn vorteilhaft; denn die Hütte
der Marinemannschaften dicht am See wimmelte von _Anopheles_, so daß
wir dort, wenn auch nicht unter allen Umständen Malaria bekommen, doch
sicher eine durch die Stechmücken gestörte Nacht gehabt hätten.

Das Nordende des Prespasees ist sehr versumpft. Man kann vielfach
infolge des unsicheren Strandgeländes gar nicht bis an das freie Wasser
heran. Ähnlich wie am Doiransee umgibt ein breiter Schilfgürtel das
Ufer. Das Niveau des Sees ist häufigen Schwankungen unterworfen, was
wohl hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß er keinen Abfluß
hat; denn die im Volk verbreitete Annahme, daß er einen unterirdischen
Abfluß zum tiefer gelegenen Ochridasee habe, ist wohl kaum ernsthaft
zu diskutieren. Wie beträchtlich die Wasserstandsschwankungen sind,
beweist die Tatsache, daß der Ort _Perovo_, der auf der Karte etwa 1 km
nördlich des Nordufers eingezeichnet ist, zur Zeit meines Aufenthalts
auf einer Insel lag. Er konnte nur im Boot über einen Kanal von etwa
200 m Breite erreicht werden.

Der Prespasee liegt in einer Meereshöhe von 857 m. Er umfaßt ein Areal
von 288 qkm, ist also etwas kleiner als der Ochridasee, welcher der
größte der mazedonischen Seen ist. Er ist ein relativ seichter See,
denn seine größte Tiefe erreicht nur 54,2 m.

[Illustration: Abb. 261 a. Arbeiterfamilie in Lera.]

War er mir schon vom Peristeri und von der Höhe über Gopes aus sehr
reizvoll erschienen, so bestätigte sich dieser Eindruck, als ich an
seinem Nordufer stand. An beiden Längsufern war der See von stattlichen
Gebirgen eingefaßt. Im Osten traten die Ausläufer des Peristeri an ihn
heran. Ihre schönen Formen bildeten einen sehr malerischen Hintergrund
zu der blauen Fläche des Sees. Auch das Westufer war von hohen Bergen
eingefaßt, _Tomoros_ und _Malisat_ gehörten zu ihnen. Fern im Süden sah
man auch stattliche Berge über dem See aufragen. Vor allem am Westufer
traten die Berge steil an den See heran. Hier waren es zum Teil
mächtige Steilabstürze zum See, unter denen wir bei Motorbootfahrten
herankamen. Auch die beiden bergigen Inseln traten bei diesen Fahrten
deutlich hervor. Ich bedauerte sehr, daß ich diese Inseln und den
im Süden an den großen anschließenden kleinen Prespasee mit seiner
Insel infolge der feindlichen Besetzung nicht besuchen konnte. Gerade
die eine Insel im Prespasee machte nicht nur einen sehr malerischen
Eindruck, sondern sie enthält in der dem _heiligen Achil_ gewidmeten
Basilika ein Bauwerk altbulgarischer Kunst, das sehr interessant sein
muß.

Das Sumpfgelände am Nordende des Prespasees macht einen sehr
eigenartigen Eindruck. Vielfach sind es sumpfige Wiesen welche an den
See grenzen, zum Teil ist das Ufer in zahlreiche kleine Inseln und
Sandbänke geteilt. Schöne Baumgruppen treten an vielen Stellen an den
See heran; ja Wälder von Ulmen, Erlen, Weiden und Eichen sind oft als
Sumpfwälder für den Menschen kaum erreichbar und infolgedessen sichere
und günstige Brutstätten für zahlreiche Reiher, Adler, Geier und andere
Vögel.

[Illustration: Abb. 262. Am Nordrande des Prespasees. Blick gegen die
Ausläufer des Peristeri n. O.S.O.]

Die weiten Wiesen bilden eine gute Weide für Pferde und Rinder
und so waren sie damals von großen Herden von Rindern, Eseln,
Maultieren, Pferden und Büffeln belebt, was nicht wenig zum Reiz des
Landschaftsbildes beitrug. Gruppen von Pferden oder Stieren sah man oft
im seichten Wasser des Strandes stehen und da saufen, Büffel in den
tieferen Tümpeln sich suhlen und der Kühlung im Wasser erfreuen.

Dazwischen stolzierten Reiher; Uferläufer, Sichelschnäbel, Brachvögel,
Enten und Gänse suchten sich zwischen Gras und Schilf ihre Nahrung.
Kraniche und Störche fanden sich zahlreich ein, dazu Purpurreiher,
Fischreiher, Löffelreiher und auch hier die schönen Edelreiher.
Unendliche Mengen von Fröschen erhoben ihre Stimmen vor allem in den
Abendstunden. Ringelnattern von verschiedenen Formen schwammen im
Wasser oder huschten durch das Schilf.

Nicht selten hörte man die dröhnende Stimme der Rohrdommeln ertönen,
Rallen, Schnepfen, Brachvögel und Bekassinen liefen am Strand
entlang. Daß auch hier Rohrsänger und Rohrweihen häufig waren, wie am
Katlanovosee, braucht kaum erwähnt zu werden. Auch Nachtreiher wurden
beobachtet.

Daß es in dem sumpfigen Gelände nicht leicht war, an die Vögel
heranzukommen und die erlegte Beute auch zu sichern, ist verständlich.
So wurden dort mehr Tiere beobachtet als erbeutet. Leichter war es
auf den Motorbootfahrten an die Tiere heranzukommen. Durch Schilf,
Buschwerk und tote Bäume, die als Zeugen des Wachstums des Sees aus
dem Wasser hervorragten, fanden die flotten Seeleute als Führer der
Motorboote geschickt ihren Weg. Unsere Motorboote auf dem Prespasee
waren besonders gut und rasch und da sich die feindlichen in diesen
Tagen selten auf dem See zeigten, konnten wir es wagen, uns weit nach
Süden in den schönen, bergumgebenen Teil des Sees zu begeben und dahin
unsere Untersuchungen auszudehnen.

Daß wir dabei von den Feinden nicht unbemerkt blieben, erfuhr ich erst
später auf der Rückreise in Prilep, wo unser Nachrichtenoffizier mir
belauschte Gespräche des Feindes über die seltsamen Manipulationen
auf dem Prespasee erzählte. Sie hatten sich allerlei Gedanken über
Minenlegen u. dgl. gemacht, während wir harmlos loteten und die
Planktonnetze ins Wasser senkten.

Vor allem war es schön in der Abendstimmung an die Felsenhänge oder
gegen die Insel heranzufahren und bei aufglühendem Himmel über
den milchblauen See zu steuern, auf dem tausend Reflexe von den
vielfarbigen Wolken wiedergestrahlt wurden.

Reizvoll war die Rückfahrt durch die Schilfinseln. Dort sammelten sich
hunderte von _Kormoranen_ [+Phalacrocorax carbo subcormoranus+ (Brehm)]
und der Zwergscharbe (+P. pygmaeus+ Pall.) auf den toten Bäumen an,
die ihnen als Schlafbäume dienten (Abb. 263). Aus dem Schilf trieb das
Geräusch unseres Bootes die verschiedensten Entenarten, Wasserhühner,
Taucher auf. Ja stolze _Pelikane_ sahen wir einige Male in der Ferne
wie duftige Wölkchen über dem Wasser schweben. Auch Adler, Fischadler
und Seeadler zogen in großen Kreisen ihren Schlafbäumen in den
Sumpfwäldern zu, aus denen Fledermäuse sich erhoben und über dem See
Insekten jagten.

[Illustration: Abb. 263. Schlafbäume der Kormorane im Prespasee.]

Daß mein Sammler tagsüber am Ufer manches von Insekten und Spinnen
erbeutete, ist selbstverständlich. Schmetterlinge und Käfer, Wanzen und
Heuschrecken, Ameisenlöwen und vor allem zahlreiche Libellen wurden
erbeutet.

Bemerkenswert, weil bezeichnend dafür, wie abhängig man beim
zoologischen Beobachten vom Zufall ist, oder vielmehr von der Zeit und
der Örtlichkeit, an die man gerade gerät, ist die Tatsache, daß ich
damals im Juli 1918 am Prespasee kaum solitäre Bienen beobachtete,
während ich bei meinem ersten Besuch, am 22. Aug. 1917, in den
Niederungen nördlich vom See, deren eine Menge fing. So erbeutete ich
damals allein neun echte +Halictus+-Arten, darunter +H. morbillosus+
Kriechb., eine typisch östliche Art, welche von Ungarn bis weit nach
Kleinasien vorkommt. Vielfach waren es zweite Generationen, die gerade
jetzt zur Stelle waren, so z. B. von +Andrena carbonaria+ Scop. Außer
den solitären gab es damals auch zahlreiche Honigbienen, und zwar die
gewöhnliche deutsche Biene und die griechische (+Apis mellifica+ var.
+cecropia+ L.).

Wir anderen, vor allem Dr. _Nachtsheim_, waren unterdessen mit
Untersuchungen auf dem See beschäftigt. Hier zeigte sich, wie im
Doiransee, ein großer Reichtum an _Algen_ im Wasser. Auch Peridineen
in großer Zahl traten auf. Das _tierische_ Plankton war reich vor
allem an _Krebsen_. Unter ihnen waren +Daphniden+ und +Copepoden+ etwa
gleich stark vertreten. Unter letzteren traten +Diaptomiden+ besonders
hervor. +Diaptomus Steindachneri+ kam in verschieden großen Rassen vor.
Ähnlich wie im Doiransee gab es hier auch eine schöne, durchsichtige
Form von +Leptodora+. Sie war aber nicht sehr reichlich vorhanden,
trat hauptsächlich in Fängen aus Tiefen von 5-12 m auf, weniger an
der Oberfläche. Auch hier waren Muschellarven in Mengen im Plankton
vertreten.

Daß in diesem See bei der geringen Tiefe, die er erreicht, keine
solche Variation in den Fängen durchgeführt werden konnte, wie im
Ochridasee, ist zu verstehen. So nahmen wir uns vor, nach diesen ersten
Feststellungen zu anderen Jahreszeiten wiederzukehren. Das hätte
interessante Resultate versprochen. Leider kam der Rückzug dazwischen
und verhinderte die beabsichtigte Vertiefung unserer Seenforschungen
auf allen vier Seen Nordmazedoniens.



SECHSUNDDREISSIGSTES KAPITEL

RITT ÜBER DEN TOMOROS.


War es auch nur ein flüchtiger Ritt, den ich durch das _Tomorosgebirge_
machen konnte, ich werde nie bereuen, die Anstrengungen auf mich
genommen zu haben, um einen Blick in das ganz eigenartige Gebirge
zu tun. Schon die Aussichten, welche mir beim Anstieg auf den
_Prespasee_, beim Abstieg auf den _Ochridasee_ zuteil wurden, gehören
zu den schönsten landschaftlichen Eindrücken, welche ich von diesen
malerischen Seen Mazedoniens mitgenommen habe.

Vor Tagesanbruch stand mein Wagen vor meinem Quartier in _Podmocani_ an
der Nordostecke des Prespasees bereit; ich hatte eine lange Fahrt um
das ganze Nordende des Sees vor mir, ehe ich in _Volkoderi_ an seiner
Nordostecke anlangte, wo mich früh 6 Uhr Reitpferde erwarten sollten,
welche mir der Stab der oben auf dem Tomoros liegenden bulgarischen
Division versprochen hatte.

[Illustration: Abb. 264. Nordostende des Prespasees.]

Ich hatte einen großen Bogen um das Sumpfland durch die Parklandschaft
zu machen, ehe ich an den Fuß der Berge gelangte. Im Morgendunst bot
der silbrig glänzende See manchen reizvollen Blick. Während die Berge
im Osten im Nebel verschwanden, stiegen die Gebirge und die Halbinsel
Vakufče im Westen dunkelblau aus dem See empor. Ganz köstlich hoben
sich die Silhouetten von langen Pappelreihen und mächtigen Ulmengruppen
vom Silberspiegel des Sees ab, wenn wir um sie und sein Wasser
nordwärts ausbiegen mußten.

Als nun im Osten die Sonne heraufstieg, vergoldete sie die kahlen
Flanken des _Tomoros_, der immer höher vor uns sich erhob. Immer weiter
streckte sich das Vorgebirge in den See hinaus, in der Ferne erkannte
man bloß die Umrisse der Insel mit dem Kloster Sv. Peter. Schluchten
wurden an den Abhängen des Berges vor uns sichtbar und zeigten uns
einen schwierigen Weg zu den Wäldern in der Höhe an. Indem wir jetzt
die Hügel hinanfuhren, tauchten auch im Süden schön geformte Berge auf,
welche die Nordwestecke des Sees als Bucht vor uns abschlossen.

Wundervolle Blicke auf den blauenden See wechselten in reicher Fülle
ab, als ich und mein Kamerad, Leutnant _Müller_, der Weggenosse bei der
Peristeribesteigung, nun zu Pferde die Vorberge hinanritten. Wir hatten
zunächst kahles, menschenleeres Gelände zu durchreiten; ehe wir bei
_Pescani_ den Ochridasee erreichten, trafen wir auf keine menschliche
Siedelung mehr.

Nach 1½stündigem Ritt gelangten wir durch niederes Eichengebüsch in ein
schön bewaldetes Tal. Sehr bemerkenswert war schon hier der Mangel an
Wasser. Alle Schluchten lagen trocken, keinen Quell trafen wir an. Der
Wald, obwohl er stattliche Bäume enthielt, blieb licht und enthielt
reichlich Unterholz. Er war hauptsächlich aus Buchen zusammengesetzt.
Schöne grüne Waldwiesen waren reichlich in ihn eingefügt.

Auf ihnen tummelte sich eine formenreiche Insektenwelt. An den heißen
Hängen des Tomoros fiel die Farbenpracht vieler Insekten besonders auf.
Groß war der Reichtum an _Bläulingen_; unter ihnen gab es nicht nur
leuchtend blaue Arten, sondern auch die rotgolden blinkenden Formen
und jene mit den eigenartigen Fortsätzen an den Flügeln. Ich nenne von
ihnen +Thekla spini+ Schiff., +Th. ilicis+ Esp., +Chrysophanus virga
aurea+ L., +Lycaena argus+ L., +L. astrarche+ Bgstr., +L. admetus+ Esp.
Diese Reihe von Namen soll einen Begriff von dem Formenreichtum geben,
der unter diesen farbenprächtigen Faltern hier vertreten war.

Von Käfern waren besonders auffallend die grüngolden schimmernden
_Rosenkäfer_ (+Cetonia aurata+ var. +tumiicta+ Reit. und var.
+viridiventris+ Reit.). In dem gemischten Bestand von Buchen, Eichen,
Ahorn und Linden fanden sich manche von den Bäumen abhängige Käfer, wie
der schöne gefleckte _Alpenbock_ (+Rosalia alpina+ L.).

Um beobachten und sammeln zu können, banden wir unsere Pferde zeitweise
an Sträucher oder Bäume an, in deren Umgebung sie reiche Weide fanden.
So kamen wir langsam unter manchen interessanten Beobachtungen in die
Höhenzone, in der der Wald allmählich abnahm. Buschwerk löste ihn ab,
zwischen welchem sich hier und da ein höherer Baum erhob.

[Illustration: Abb. 265. Karstlandschaft im Tomoros.]

Nun gelangten wir allmählich in eine ganz eigenartige Landschaft,
in welcher wir jetzt für anderthalb Tage blieben. Das Gebirge des
Tomoros ist zum großen Teil aus Kalk aufgebaut. Und zwar trägt es einen
ausgesprochenen _Karst_charakter. Dem entspricht die Trockenheit und
Wasserarmut. Vor allem aber ist die Oberfläche des Gebirges von einer
ganz seltsamen Struktur.

Kahl dehnen sich weite Flächen vor den Augen aus, grell von der Sonne
bestrahlt. Aber die Eintönigkeit der Oberfläche ist von einer Unmenge
von Schattenflecken unterbrochen, welche eine eigenartige Modellierung
verraten. Löcher und Trichter sind oft seichter, oft tiefer in den
Boden eingesenkt und verraten die eigenartigen Kräfte, welche hier an
der Bodengestaltung tätig sind. Es ist eine echte _Karstlandschaft_ mit
ihren _Dolinen_, den Einsturztrichtern, die, mit Vegetation erfüllt,
dunkel von der dürren, weißblinkenden Kalksteinfläche sich abheben.

_Karst_ traf ich hier während meinen mazedonischen Wanderungen zum
ersten Male in größerer Ausdehnung an. Diese Gebirgsform ist im Inneren
der Balkanhalbinsel nicht allzu häufig, während sie im Westen eine
große Rolle spielt. In Istrien, Dalmatien, Bosnien und der Herzegowina
ist sie vorherrschend. Speziell in Südkrain, dessen Gebirge sie den
Namen verdankt, ist diese Formation verbreitet. Ihre Dolinen, Höhlen,
im Boden versinkenden und plötzlich als mächtige Flüsse hervortretenden
Bäche haben sie berühmt gemacht. In kleinerem Maßstab hatte ich früher
Karstlandschaft in der _Golesniza Planina_ angetroffen und im 26.
Kapitel beschrieben.

Eine solche _Karstlandschaft_ füllt nun den zentralen Teil des
Tomorosgebirges aus. Ringsum dehnt sich steiniges Gebiet, hier und da
durch die dunkeln Laubmassen von Gehölzen und Gebüschen unterbrochen.
Es waren zum Teil Bilder von großer malerischer Schönheit, welche ich
durchritt, um die Gipfelregion zu erreichen.

Hell flimmerte die Sonne auf den weißen Kalktrümmern der Oberfläche,
zwischen denen saftig grüne Rasenflächen und dichte Polster einer mehr
und mehr alpin erscheinenden Pflanzenwelt sich ausbreiteten.

So war der Charakter der Landschaft, in welcher sich die Stellungen
der bulgarischen Division hinzogen, in deren Stab ich mit meinen
Begleitern gastliche Aufnahme fand. Ein kleines Tälchen, in der Höhe
von etwa 1900 m gelegen, überragt von den Gipfelspitzen des Gebirgs,
beherbergt die Hütten, die auch hier praktisch im Windschutz angelegt,
mit Heizungseinrichtungen für den Winter versehen, uns aufnahmen.

Obwohl es 22. Juli war, herrschte in der Höhe eine erfrischende Kühle,
die bulgarischen Offiziere, welche uns sehr freundlich begrüßten,
zeigten auch hier starkes Interesse für meine Forschungen. Ja,
einer von ihnen sammelte sogar Insekten. Mit ihm machte ich noch
am Nachmittag Streifzüge in der außerordentlich interessanten und
reizvollen Umgebung.

Es gab viel auf- und abzuklettern; denn Hügel, Felsen, Schluchten
und Tälchen wechselten beständig miteinander ab. Die Quartiere lagen
noch etwas unterhalb der Waldgrenze, so daß Hügel und Schluchten noch
stattliche Buchen trugen. Eine reiche Pflanzenwelt wuchs zwischen dem
Geröll, Doldenpflanzen, Disteln, Glockenblumen, Königskerzen waren in
mannigfachen Arten vertreten. Leider hatte ich diesmal keinen Botaniker
bei mir, so daß ich keine genauen Angaben über die sicher sehr
interessante Pflanzenwelt der Gipfelregion des Tomoros machen kann.

[Illustration: Abb. 266. Hochmatten im Tomorosgebirge.]

Südwärts von den Stellungen der Bulgaren erhoben sich noch höhere
Gipfel, die teils noch zum _Tomoros_, teils zum anschließenden Gebiet
des _Malisat_ gehörten. Dort drüben lagen französische Truppen. So war
es nicht möglich, viel weiter südlich vorzudringen. Zwar reizten die
schönen klaren Formen der Berge, verklärt vom abendlichen Licht, die
Sehnsucht des Naturforschers. Aber die Zeit war mir knapp zugemessen;
ich mußte am nächsten Abend in Ochrida ankommen.

Es war ein langer, ermüdender Weg, der am nächsten Morgen uns im
Fußmarsch in westlicher Richtung das Gebirge hinab zu dem schönsten
See Mazedoniens führte. Auch abwärts führte der Weg zunächst durch
typisches Karstgebiet. Hier trafen wir eine Anzahl typischer Dolinen
an, tiefe trichterförmige Einsenkungen in den Boden, welche im Grund
von üppiger Vegetation erfüllt waren. Kahle Kalkbuckel in unendlicher
Folge, mit einer gewissen Regelmäßigkeit angeordnet, erzeugten
Landschaftsbilder von einer so phantastischen Eigenart, daß man sich
auf einen fremden Weltkörper versetzt glauben konnte.

Vertrauter wurde das Landschaftsbild in der Region hochstämmigen
Buchenwalds, dessen Waldwiesen wiederum reich an Insekten waren. Auf
alten Eichen kam hier der _Eichenbock_ (+Cerambyx cerdo+ L.) vor; dort
fand sich auch der mächtige +Proceros gigas+ L. Von Schmetterlingen gab
es hier und weiter oben eine Anzahl Gebirgsformen und typisch südliche
Arten. Ich erwähne den _Scheckenfalter_ (+Melanargia larissa+), eine
gelb und weiße Form ähnlich der +taurica+. Zwei schöne _Augenfalter_
flogen hier (+Satyrus hermione+ L. und +S. briseis minor+ Oberth.), ein
südliches Tier. Wie am Peristeri kam +Actaea cordula+ Fabr. vor und
als charakteristische Hochgebirgsform +Epinephele lycaon+ Rott, ein
Verwandter unseres _Sandauges_.

Auch hier flatterten ähnliche _Bläulinge_, wie ich sie beim Aufstieg
angetroffen hatte, und zwischen ihnen dickköpfige Hesperiden, so
+Hesperia cinare+ Rbr. und +Carcharodes altheae+ Hb. Als wir den Wald
verließen, strahlte tief unter uns zum ersten Male der blaue Spiegel
des Ochridasees auf. Steinige, schwach bebuschte Buckel bildeten den
Vordergrund, hinter welchem still und klar der See sich breitete,
den im Westen die Ketten der albanischen Berge abschlossen. Wie eine
italienische Landschaft lag das Uferland vor uns; große weiße Wolken
schwebten am westlichen Himmel.

Das Städtchen _Pescani_ am Ostufer des Ochridasees war unser Ziel;
dort sollte uns ein Motorboot aus Ochrida erwarten. So mußten wir aus
der Gipfelregion des Tomoros ein gut Stück nordwärts wandern, um nicht
in das Gebiet der feindlichen Front zu geraten. In diesem einsamen,
menschenleeren Gebiet wäre ein Abirren gefährlich gewesen. Doch bald
erkannte ich bekannte Gegenden und konnte die Führung übernehmen.

Ein steiler Weg führte uns über einen gut angebauten Hügel mit meist
abgeernteten Feldern, schönen Gruppen von Ulmen und Obstbäumen zu dem
malerischen Ort Pescani hinunter. Am Strand hatten wir eine Zeitlang
auf unsere Lasttiere zu warten, welche unsere Ausrüstung zu tragen
hatten.

Wir hatten uns dabei nicht zu langweilen; denn die Landschaft, die vor
uns lag, konnte sich mit den schönsten der Welt messen. Schon beim
Abstieg hatte das Südende des Sees, die Gegend von _Pogradec_ und _Sv.
Naum_ als prachtvolles Bild vor uns gelegen. Welch wundervollen Umriß
boten einander überschneidend die stolzen Pyramiden des Tomoros und
Malisat, von denen wir etwas Abstand gewonnen hatten. Vorgebirge in
Hügeln endend, ragten eines vor dem anderen in den dunkelblauen See
hinaus, jedes in sanften violetten Tönen das andere überbietend. Ein
leichter Wind warf blinkende Streifen über den See, in dessen Flut die
weißen Wolkenballen gespiegelt auftauchten. Und je mehr wir uns dem
Strand näherten, um so reizvollere Rahmen bildeten die Baumgruppen,
die Häuser von Pescani, die Schiffe im Hafen um die sonnendurchglühte
Landschaft.

In einstündiger Fahrt brachte das Boot uns nach Ochrida. Allmählich hob
sich die weißblinkende Stadt aus dem blauen Wasser vor uns empor mit
den Ruinen der alten Festung als Bekrönung des Stadtbergs über sich.
Die schön geformten albanischen Berge längs des Drintals gaben dem
farbigen Bild eine harmonische Abgrenzung.

Immer bunter wurde das Bild, je mehr Einzelheiten im Stadtbild sichtbar
wurden; Kirchen, Kuppeln, Türme tauchten auf; die weißen Mauern der
Häuser, die roten und grauen Dächer, die gelblichen Felsen stimmten
eigenartig zusammen mit der Fülle von Pappeln, Obstbäumen, Erlen und
Weiden, die hier selbst im Hochsommer die Seenähe in frischem Grün
erhalten hatte.

Seltsam stach von dieser Fülle von Farben das indigoblaue Wasser des
Sees ab, das gegen das Land hin heller und heller wurde und schließlich
mit einem leuchtend grünen Streifen an das von weißen Steinen besäte
Ufer grenzte. Von schönen Eindrücken erfüllt, warm von Sonne und
Schönheit, stiegen wir im Hafen von Ochrida ans Land.



SIEBENUNDDREISSIGSTES KAPITEL

DIE WIRBELTIERE MAZEDONIENS


Die einzige größere Tiergruppe, bei welcher schon ein allgemeiner
Überblick über unsere wesentlichen Forschungsresultate gegeben werden
kann, sind die Wirbeltiere. Unter ihnen treten die Säugetiere und
Fische an Zahl der Sammlungsexemplare und auch an Bedeutung der
wissenschaftlichen neuen an ihnen geförderten Ergebnisse zurück.
Dagegen haben die Sammlungen der Amphibien, Reptilien und Vögel
mancherlei interessante Funde und Tatsachen ergeben, die in diesem Buch
schon gebracht werden können. So lohnt es sich, sie hier in diesem
Kapitel knapp zur zusammenfassenden Darstellung zu bringen.

Aus ihr wird hervorgehen, daß wie stets ein solcher erster Vorstoß in
ein unbekanntes Land und eine im wesentlichen unbekannte Fauna nur
vorläufige Ergebnisse und viele neue Fragestellungen bringt. Vor allem
die Säugetierfauna bedarf noch sehr genauer Durchforschung, die viel
zum Verständnis der Verbreitung der Säugetierwelt Europas beitragen
dürfte. Zu einer rationellen Durchforschung der Säugetiere Mazedoniens
bedürfte es des Zusammenwirkens von Sportsleuten mit Wissenschaftlern,
um vor allem die Zugehörigkeit der Rehe, Hirsche, Gemsen, der Bären,
Wölfe, Schakale, der Wildschweine und all der Kleinsäugetiere zu
erweisen.

Nicht allzu reich waren die Erfahrungen, welche ich mit meinen
Helfern über die mazedonischen _Säugetiere_ sammeln konnte. Bei der
vielseitigen Tätigkeit, die sich auf wenig Mitarbeiter verteilte, kamen
die Säugetiere, deren Jagd und Beobachtung so zeitraubend ist, schlecht
weg. Immerhin gewann ich einen gewissen Einblick in die Säugetierwelt
Mazedoniens. Auch Prof. _Müller_ beschäftigte sich so viel wie möglich
mit diesen Tieren; seine Aufzeichnungen habe ich hier mit benützt.

_Fledermäuse_ flogen nicht selten in der Luft; ihre Schlafstellen in
den vielen Ruinen, in alten Bäumen, so in den hohlen Platanen des
Nikolatales und an anderen Orten, habe ich öfter abgesucht. Leider
fing ich im Bergwerk bei Rabrovo im Mai 1918 nur mehr einige Exemplare
von zwei Arten. Im Winter war nach Aussage der Soldaten der verlassene
Schacht von hunderten dieser Tiere erfüllt gewesen, die aber, als ich
in der Gegend ankam, ihn schon verlassen hatten.

Unter den _Nagetieren_ war die Hausmaus häufig; ich habe auch die
Waldmaus gesehen. Die Ratten waren teils Hausratten, teils wohl sicher
+Mus rattus alexandrinus+. Prof. _Müller_ hält die von ihm gesammelten
Tiere für von beiden abweichend. Eine weißgelbe Ratte mit dunkeln Augen
kam in Veles vor.

_Eichhörnchen_ sind auch in den ausgedehnteren Wäldern offenbar selten.
Ein schwarzbraun gefärbtes Exemplar im Sommerkleid wurde von Prof.
_Müller_ im Buchenwald oberhalb des Han Abdipasa im Babunagebirge
bei 1300 m Höhe erlegt. Vom _Ziesel_ (+Citillus citillus+ L.) war
im Kapitel 26 die Rede; auch in der Golesniza Planina, unserem dort
beschriebenen Fundort, handelt es sich offenbar um die typische Form.
Aber das Vorkommen in etwa 2000 m Höhe ist sicher bemerkenswert.

_Hasen_ gab es reichlich in den Ebenen und Hügeln Mazedoniens. Unsere
Offiziere und Soldaten haben ihrer viele erlegt; allein die Flieger im
Wardartal bei Dedeli haben in einem Winter ihrer über 100 zur Strecke
gebracht. In ganz Mazedonien kam ein großer, stattlicher Hase vor. Über
seine Zugehörigkeit kann ich noch keine näheren Angaben machen. Der
+Lepus europaeus mediterraneus+ kann es nicht sein, da dieser offenbar,
von Sardinien beschrieben, eine kleine Inselform ist. Die Balkanhasen
müssen erst noch genauer untersucht werden.

Igel, Maulwurf und Spitzmäuse wurden von uns beobachtet und auch
erbeutet. Sie scheinen sich von den unseren nicht wesentlich zu
unterscheiden, wenigstens die Formen, die uns zu Gesicht kamen.

Von kleinen Raubtieren wurden Marder, Fuchs, Dachs, Wiesel, Hermelin,
der Tigeriltis und die Fischotter festgestellt. Bälge bei Händlern in
Kalkandelen beweisen ziemlich sicher das Vorkommen von _Luchs_ und
_Wildkatze_ im Schardakh. _Wölfe_ gibt es überall in Mazedonien im
Gebirge; sie wurden von unseren Soldaten am Peristeri, bei Gopes und
in anderen Gebirgen erlegt. Von dem von mir mitgebrachten Wolf aus der
Golesniza Planina ist im 26. Kapitel berichtet. Auch der _Bär_ wurde
während meines Aufenthalts am Peristeri einmal von Truppen dort erlegt.
_Schakale_ scheinen besonders im Süden nicht selten zu sein; von ihnen
sah man auch schlecht erhaltene Felle gelegentlich bei Händlern.

Gar nicht so sehr selten scheint das _Wildschwein_ in den Bergen zu
sein. Von vergeblichen Jagden und aufgefundenen Spuren ist ja in
verschiedenen Kapiteln einiges erwähnt worden. _Reh_ und _Hirsch_
scheinen aber sehr selten und verscheucht zu sein. Sie leben wohl
nur noch in den Wäldern der hohen Gebirge. Mehrfach wurden im
Babunagebirge, in der Marianska Planina, und in anderen Bergen Rehe zur
Strecke gebracht. Von _Hirschen_ erfuhr ich seltener; doch erwarben wir
in Koinsko einmal eine schöne Decke, und ein stattliches Achtergeweih,
das in der Treskaschlucht im Freien gefunden wurde, hatte ich zu sehen
Gelegenheit. Es ist hier abgebildet (Abb. 267).

Mit den Wäldern sind natürlich alle diese jagdbaren Tiere immer mehr
vertrieben und in die unwegsamsten Gebirgsgegenden verscheucht worden.
Das gilt selbst für die _Gemsen_, welche weit außerhalb der bewohnten
Gegenden leben, aber im albanischen Grenzgebiet von den Gebirgsvölkern
eifrig gejagt werden. Ihr Vorkommen im Schardakh und den umliegenden
Bergen konnte ich durch Erwerbung eines Gehörns und durch Besichtigung
einer schönen Winterdecke beim Bürgermeister des Dorfs Veseca an der
Kobeliza feststellen. Auch im Korab kommen Gemsen wohl sicher vor.

[Illustration: Abb. 267. Geweih und Schädeldecke eines mazedonischen
Hirsches.]

Damit sind nicht allzu eingehende Kenntnisse über die Säugetiere
Mazedoniens gewonnen. An ihnen ist noch viel zu tun. Im großen und
ganzen zeigt sich die Säugetierfauna aus typisch europäischen Formen
zusammengesetzt, doch werden unter den Kleinsäugetieren sich wohl auch
zahlreiche südliche und östliche Formen nachweisen lassen.

Viel tiefer konnten wir in die Vogelwelt Mazedoniens eindringen.
Außer vielen Beobachtungen brachten wir eine Sammlung von 3200 gut
präparierten, genau bezeichneten Vogelbälgen heim. Diese liegt, von
Dr. _Erwin Stresemann_ bearbeitet, auch schon publiziert vor. Über
das Vorkommen der Tiere ist in den Kapiteln dieses Buches manches
mitgeteilt worden, wobei die Benennungen der Vögel sich stets auf die
Arbeit Dr. _Stresemanns_ stützten.

Hier sei noch einiges Zusammenfassende über die Ornis Mazedoniens
mitgeteilt. Nach der Durcharbeitung unserer Ausbeute stellt sich
Mazedonien, wie für andere Tiergruppen, auch für die Vögel als
Mischgebiet dar. Dabei erscheinen mitteleuropäische und mediterrane
Formen fast im gleichen Verhältnis beteiligt. Allerdings im südlichen
Wardartal stechen die südlichen Formen besonders hervor.

Dabei ist ein Vordringen südlicher Formen nordwärts und umgekehrt
nördlicher Formen südwärts zu erkennen, wobei die Verbreitungsgrenzen
Schwankungen zu unterliegen scheinen. Besonders bemerkenswert ist, daß
nördliche Formen, wenn sie weiter südlich vordringen, dort höher in die
Gebirge aufsteigen und dort ihnen zusagende Klimazonen aufsuchen.

Zu diesen Elementen gesellen sich östliche Formen, die teils auf
den Nordosten, also auf die Steppen Südrußlands und den Nordrand
des schwarzen Meers, teils auf den Südosten und damit auf das
Kaukasusgebiet und Kleinasien hinweisen. Mehr noch als unter den Vögeln
zeigen sich solche Beziehungen in der Pflanzenwelt und unter den
Insekten.

Schon in den bisher angeführten Tatsachen zeigen sich Abhängigkeiten
von klimatischen Einflüssen. Solche haben wir in vielen der früheren
Kapitel dieses Buches in ihrem Einfluß auf die Tier- und Pflanzenwelt,
selbst auf die Oberflächengestaltung des Landes kennen gelernt. So
fanden wir auch in den verschiedenen Formationen mit einer bestimmten
Pflanzenwelt immer charakteristische Vögel beieinander. Eine knappe
Zusammenstellung in der Reihenfolge vom Tal ins Hochgebirge wird
interessante Gesichtspunkte vor Augen führen.

Im Tal, z. B. bei Hudova, in den Maulbeerpflanzungen fanden wir Zaun-
und Kappenammer, Rotkopfwürger, Maskenwürger (+Lanius nubicus+) (Abb.
201, S. 403) Blaurake, Bienenfresser. An den Felswänden der Schluchten,
die vom Tal abzweigten, gab es die Aasgeier, Turm- und Rötelfalken,
Felsentauben, Blaumerle und Steindrossel, Felsenkleiber, Steinsperling,
Felsenschwalbe und Mehlschwalbe.

Stiegen wir auf die Hügel vor den Gebirgen, wo +Paliurus+ und +Quercus
coccifera+ wuchsen, so saßen auf diesen der Rotrückenwürger, Feld-
und Haussperling, schlüpften durch die Sträucher der Hänfling, der
Heckensänger (+Agrobates+). Hier gab es alle Grasmücken.

Darüber in den Geröllfalten an den Berglehnen hausten der graue
Steinschmätzer und der Mittelmeersteinschmätzer. Die Gehölze
und Kulturlichtungen dieser _submontanen_ Region bewohnten der
Buntspecht (+Dryobates major balcanicus+), der Grünspecht, die
Blau- und Kohlmeise, Turteltaube, Eichelhäher, Elster, Nachtigall,
Seidenrohrsänger, Kuckuck usw.

[Illustration: Abb. 267 a. Die Balkan-Gimpelammer +Emberiza
pyrrhuloides reiseri+ Hart.]

Die _montane_ Zone, wie sie etwa von der Plaguša Planina in dem
Buschwald aus weichblätterigen Eichen dargestellt war, beherbergte den
Pirol, die Trauermeise, den Wendehals.

Der _Buchenwald_, wie wir ihn in der Mala Rupa, am Liseč in der
Golesniza Planina und in anderen Gebirgen fanden, war das Wohngebiet
von Amsel, Misteldrossel, Singdrossel, Rotkehlchen, Nonnenmeise,
Kleiber, Waldbaumläufer, Liljefordspecht, Mittelspecht und
Waldlaubsänger.

Die _Latschen_region, wie wir sie in der Golesniza entdeckten,
war der Zufluchtsort von Heckenbraunelle, der Tannenmeise und des
Hausrotschwanzes. Darüber in der _alpinen_ Grasflur der Mattenregion
des gleichen Gebirges gab es den Wasserpieper, die Ohrenlerche,
die Feldlerche und das Braunkehlchen. Darüber schließlich grenzte
die Gipfelregion der Solunska mit ihren Felsengraten, mit ihren
Schneefeldern und Spalten, in der nun die Hochalpenvögel anzutreffen
waren: Die Alpenbraunelle, Alpendohle, Steindrossel und Mauerläufer.

Dazu kommen als besonders interessante Zonen, in denen die Wasser-,
Strand- und Rohrvögel hausten, die Schilfwälder der Seen, des Doiran-,
Prespa- und Ochridasees, die wir aber am kleinen _Katlanovosee_ am
besten studieren konnten. Da war besonders interessant +Emberiza
pyrrhuloides reiseri+ Hart. (Abb. 267 a S. 547) und die anderen
Rohrammern, die Rohrweihen, die Rohrdommeln, die ganze große Gruppe der
Reiher, der Enten und Gänse, der Teichhühner, Strandläufer und was da
alles zusammen kam, vom Cormoran bis zum Pelikan.

Nicht weniger bemerkenswert war das Steppengebiet mit dem Wiedehopf,
den Trappen, den Wachteln, den vielen Falken.

Hervorheben möchte ich schließlich noch einmal in diesem Zusammenhang,
daß das _südliche Wardartal_ bis in die Gegend von _Hudova_ sowie die
mit ihm zusammenhängende Region des _Doiransees_ sich als reich an
südlichen Vogel-, Reptilien- und Insektenformen herausgestellt hat. Es
ist offenbar eine der Pforten, durch welche südliche Formen nordwärts
vordringen. Ähnliche Verhältnisse dürften bei genauerer Erforschung
auch südlich des Prespasees und des Peristeri zu finden sein.

Gerade die Tatsachen über die Verbreitung der Vögel geben einen
interessanten Einblick in die Art und Weise, wie Tiere überhaupt in
Mazedonien sich verbreitet haben können. Ich zitiere hier direkt
die Ergebnisse, welche Dr. _Stresemann_ aus der Bearbeitung unserer
mazedonischen Ausbeute gezogen hat. „Als Ausgangspunkt der gegen
Mitteleuropa vorgedrungenen ostmediterranen Vögel wollen wir die
kleinasiatische Küste bei Smyrna betrachten; sie war noch gegen Ausgang
der Pliozänzeit durch eine Landbrücke, die „Ägäis‟, mit Griechenland
breit verbunden. Uns interessiert hier die Wanderstraße, welche von
Griechenland weiter zur Mündung des Wardar und von da den Wardar
hinauf bis Üsküb führt, um dann ins Tal der „Bulgarischen‟ Morawa
einzuschwenken und ihr ins nordserbische Flachland zu folgen. Der Strom
der Wanderer wird auf diesem Wege allmählich dünner. Es drangen vor:

=Nur bis Smyrna=:

  +Emberiza cineracea+
  +Halcyon smyrnensis smyrnensis+
  +Garrulus glandarius Krynicki+

=Bis zu den Kykladen= (Kythnos usw.):

+Ceryle rudis rudis+

=Bis Griechenland=:

  +Emberiza caesia+
  +Sylvia melanocephala+
  +Sylvia ruppeli+
  +Coccystes glandarius+

=Bis zur Wardarmündung=:

  +Cisticola cisticola cisticola+
  +Hirundo daurica rufula+
  +Hippolais olivetorum+

=Bis zum Fuß der Plaguša-Planina=:

  +Lanius nubicus+
  +Agrobates galactodes syriacus+

=Bis Veles=:

  +Sitta neumayeri+
  +Sylvia cantillans albistriata+
  +Sylvia hortensis carassirostris+
  +Monticola solitarius solitarius+

=Bis Üsküb=:

  +Hippolais pallida elaeica+
  +Oenanthe hispanica melanoleuca+
  +Phylloscopus bonelli orientalis+

=Bis Vranje=:

+Cettia cetti+

=Bis Nisch=:

  +Emberiza melanocephala+
  +Calandrella brachydactyla moreatica+
  +Lanius senator+

=Bis Palanka=:

  +Budytes flavus feldeggi+
  +Falco naumanni naumanni.+

Ebenso allmählich sehen wir den faunistischen Übergang in umgekehrter
Richtung sich vollziehen, wenn wir von den mitteleuropäischen Formen
ausgehen und deren südliche Verbreitungsgrenzen feststellen. Hierbei
fällt auf, daß Arten, welche bei uns auch oder ausschließlich in den
Niederungen brüten, mit zunehmender Annäherung an die mediterrane
Klimaprovinz das Flachland mehr und mehr räumen, um sich dafür im
kühleren Gebirge anzusiedeln. Im mittleren Mazedonien sind diese
Verhältnisse schon scharf betont. Dort brüten nicht im Tiefland und der
submontanen Region, sondern

a) ausschließlich in den Wäldern der montanen, ja oft sogar in denen
der subalpinen Region:

+Serinus canaria serinus, Fringilla coelebs, Emberiza citrinella,
Emberiza cia, Anthus trivialis, Certhia familiaris, Certhia
brachydactyla, Ficedula albicollis, Phylloscopus collybita, Turdus
philomelos, urdus viscivorus, Turdus merula, Erithacus rubecula+;

b) nur in der alpinen Region:

+Alauda arvensis, Saxicola rubetra, Prunella modularis, Phoenicurus
ochruos gibraltariensis.

Die Nordgrenze Serbiens bildet annähernd die südliche
Verbreitungsgrenze für:

  +Budytes flavus flavus+
  +Phylloscopus trochilus trochilus+
  +Hippolais icterina+
  +Sylvia hippolais hippolais+.

Bis zur Südgrenze geschlossener Fichtenwaldungen (Kopaonik-Planina,
vielleicht sogar Schardakh) reicht das Brutgebiet vieler echter
Nadelwaldbegleiter:

  +Spinus spinus+
  +Parus cristatus+
  +Parus atricapillus assimilis+
  +Tetrao urogallus+
  +Nucifraga caryocatactes+
  +Picoides tridactylus+
  +Cryptoglaux funerea+
  +Pyrrhula pyrrhula+.

Es sind ferner nach unserer Kenntnis verbreitet:

=Bis zum Fuße des Schardakh=:

  +Picus canus canus+
  +Dryobates major pinetorum+.

=Bis zur Golesniza bzw. Babuna Planina=:

  +Emberiza citrinella+
  +Certhia familiaris+
  +Prunella modularis+
  +Ficedula albicollis+
  +Jynx torquilla+
  +Turdus philomelos+
  +Phylloscopus collybita+
  +Phylloscopus sibilatrix+
  +Phoenicurus phoenicurus phoenicurus+
  +Columba oenas oenas+.

=Bis zur Linie Belasiča Planina -- Mala Rupa -- Baba Planina=:

  +Parus communis+
  +Saxicola rubetra+
  +Alauda arvensis+.

=Bis zur Wardarmündung=:

+Passer montanus+.

=Bis Nordgriechenland=:

+Sturnus vulgaris+.

Neben einer südöstlichen Einwanderung (von Kleinasien her) und einer
nördlichen (von Mitteleuropa her) hat auf der Balkanhalbinsel nach
aller Wahrscheinlichkeit auch eine solche von Nordosten, d. h. von den
Tiefländern am Nordrand des Pontus her bestanden. Die Mehrzahl der
Arten, die wir hierzu rechnen, hat die doppelte Schranke, welche ihnen
Balkan-Gebirge und Thrakische Masse auf ihrem nach dem Adriatischen
und Ägäischen Meer gerichteten Vordringen entgegenstellten, nicht zu
überwinden vermocht. Zu den wenigen, die bis nach Mazedonien gelangten,
gehören vielleicht +Melanocorypha calandra+, +Lanius minor+, +Falco
vespertinus+, +Asio flammeus+, +Otis tetrax+.‟

Auch über den Vogelzug konnte manche Beobachtung gemacht werden. Es
ist wohl keine Frage, daß eine wichtige Zugstraße durch Mazedonien
führt. Manche Vögel, die hier vorkommen, müssen aus den verschiedenen
Gebieten des Nordens stammen. Bei manchen ist wohl mit Sicherheit
anzunehmen, daß sie nordrussischer Herkunft sind. So erscheinen mit
großer Regelmäßigkeit als Wintergäste in Mazedonien der Bergfink, die
Singdrossel sowie +Falco columbarius aesalon+ und +Anser albifrons+.

Bemerkenswert ist die Tatsache, daß im Frühjahr die Vögel kaum früher
ankommen als in Mitteleuropa. Die Mehrzahl der Zugvögel kommt bei
Monastir, Veles und Üsküb kaum 14 Tage früher als bei Wien oder München
an, oft ist der Unterschied noch geringer.

Beim Herbstzug zeigt sich dagegen ein gewisser Unterschied, indem in
Mazedonien die Vögel länger zögern. Manche Art, wie z. B. +Sylvia
hippolais+, +Sylvia atricapilla+, +Sylvia curruca+, +Saxicola
rubetra+ findet man noch im Lande, nachdem sie aus Mitteleuropa schon
wochenlang vollkommen verschwunden sind. Regelmäßig überwintern, von
den spezifisch südosteuropäischen Arten und +Phylloscopus collybita+
abgesehen, in Mazedonien ungefähr dieselben Arten wie am Niederrhein.
Das ist ein Unterschied gegenüber Griechenland mit seinem maritim
beeinflußten Klima, wo z. B. die Mönchsgrasmücke und +Phylloscopus
trochilus+ den Winter in großen Scharen zubringen. Manche Arten
scheinen auch auf Frühjahrs- und Herbstzug länger Station in Mazedonien
zu machen. Ich erwähnte in einem früheren Kapitel die ungeheuere
Menge von Wildgänsen und Enten, die einige Wochen vor Weihnachten im
Wardartal und an den Seen verweilten, ehe sie definitiv verschwanden.

Von den Beobachtungen, welche Professor _Müller_ über die _Reptilien_
und _Amphibien_ in Mazedonien gemacht hat, habe ich in den früheren
Kapiteln schon manches angeführt. Ganz interessant waren seine
Feststellungen, daß manche Arten, die früher für Varietäten gehalten
wurden, hier so konstant gemeinsam miteinander vorkommen, ohne daß man
je eine Kreuzung antrifft, daß seine Befunde wohl sicher als Beweise
dafür dienen können, daß es sich um gute Arten handelt. Das gilt z.
B. für die große Smaragdeidechse (+Lacerta major+ Blgr.), welche sehr
häufig mit +Lacerta viridis+ Laur., gemeinsam lebt. Auch für die
gestreifte mazedonische Eidechse gilt dies, die mit der eigentlichen
Mauereidechse in großer Anzahl auf demselben Gelände vorkommt, sobald
man über 500 m in die Höhe steigt. Prof. _Müller_ hat das besonders
am Babunapaß schön beobachtet, wo beide Arten auf den Steinen des
Izvorsticabaches durcheinander wimmelten, ohne daß man auch nur eine
einzige Zwischenform finden konnte. Es handelt sich in dieser Eidechse
um eine Lokalform einer hauptsächlich auf den Cykladen lebenden
Eidechsenart. Jene Art hat den Namen +Lacerta milensis+ de Bedr.; der
mazedonischen Form wird Prof. _Müller_ einen neuen Namen geben.

Sehr interessant waren folgende Eidechsenfunde von uns: +Lacerta
agilis+ auf dem Peristeri, was den südlichsten bisher bekannten Fundort
darstellt. Ebenso die Entdeckung von +Lacerta vivipara+ und der
Schlange +Vipera macrops+ im Schardakh. Dort haben wir ja auch +Rana
temporaria+ gefunden.

Im Babunagebiet fand sich +Ablepharus pannonicus+. Sonst sind die
interessanten Funde meist in früheren Kapiteln besprochen worden.

Im allgemeinen besteht die Reptilien- und Amphibienfauna aus Formen,
die auch in Mitteleuropa vorkommen. Südliche Elemente unter den
charakteristischen Bewohnern Mazedoniens sind +Rana graeca+, +Molge
vulgaris graeca+, +Clemmys caspia rivulata, estudo graeca und ibera+,
+Gymnodactylus kotschyi+, +Ophisaurus apus+, +Lacerta major+, +Lacerta
milensis+, +Typhlops vermicularis+, +Eryx jaculus+, +Zamenis dahli+,
+Coluber leopardinus+, +Coluber quatuorlineatus+, +Tarbophis fallax+,
+Coelopeltis monspessulana+, +Vipera ammodytes+ (Abb. 268).

Soweit wir feststellen konnten, gehen von diesen Formen im Wardartal
nur folgende nordwärts über Demir Kapu hinaus: +Molge vulgaris graeca+,
+Testudo graeca+ und +Testudo ibera+, +Lacerta major+ und +milensis+,
+Coluber quatuorlineatus+ und +Vipera ammodytes+.

Von östlichen Formen sind hervorzuheben: +Lacerta taurica+, +Ablepharus
pannonicus+ und +Zamenis caspius+. Auch der große Lachfrosch kann als
östliche Form angesprochen werden.

Eine vollständige Liste der von uns beobachteten Amphibien und
Reptilien ist im Anhang zu diesem Kapitel verzeichnet.

[Illustration: Dr. _Opitz_ phot. Abb. 268. Sandviper (+Vipera
ammodytes+ L.) n. d. Leben.]

Auch den Süßwasserfischen konnten wir aus mancherlei Gründen kein allzu
vertieftes Studium widmen. Immerhin wurden eine ganze Anzahl Fische
erbeutet, die sich auf 5 Familien, 14 Gattungen verteilten und 20 Arten
angehörten. Sie wurden bei Schilderung des Fanges in den einzelnen
Kapiteln schon erwähnt und zum Teil in Lebensgewohnheiten geschildert.
Eine Liste ist in den Anmerkungen zu diesem Kapitel angeführt. Aus ihr
geht hervor, daß es sich wesentlich um Formen mitteleuropäischer und
Mittelmeerflußgebiete handelt.



ACHTUNDDREIZIGSTES KAPITEL

Ochrida


Die Stadt _Ochrida_ und der blaue See, an dem sie liegt, galt in der
Armee als der Glanzpunkt von Mazedonien. Jeder, der ihn dienstlich
hatte sehen dürfen, wurde beneidet, und als im Sommer des Jahres 1918
den Offizieren Erholungsausflüge im Bereich des Kriegsschauplatzes
gewährt wurden, war Ochrida das beliebteste Ziel. Das verdiente
es auch, denn mit der reizvollen Lage der Stadt verband sich die
Schönheit des Sees und ein angenehmes Klima. Dazu kam der Reichtum an
historischen Erinnerungen, welcher die Stadt zu einem Nationalheiligtum
der Bulgaren machte.

Der Weg nach Ochrida, welcher gewöhnlich eingeschlagen wurde, führte
vom Endpunkt der Feldbahn in Lera, am Nordende des Prespasees vorbei
über die Stadt _Resna_. Diese flach in der Ebene nördlich des
Prespasees gelegene Stadt war von reichtragenden, gut bewässerten
Feldern und Gärten umgeben. Sie wurde als Geburtsstadt _Enver Paschas_
bezeichnet. Doch war auch sie von vielen Bulgaren bewohnt und oft
ein Zentrum nationaler Bewegungen gewesen. Von ihr aus führte eine
ganz ordentliche Straße über das _Petrinagebirge_, welches in einer
Paßhöhe von etwa 900 m überschritten wurde. Dort war ein stattlicher
Buchenwald, der in der Höhe von Tannen abgelöst wurde. Auch dies
Gebirge machte einen interessanten Eindruck und es wäre eine lockende
Aufgabe gewesen, seinen Übergang ins Gebiet des Tomoros zu verfolgen.
Doch hieß es diesmal eilen; denn von Ochrida hatten in Resna aufregende
Nachrichten uns ereilt.

Die Feinde hatten wieder einmal am schwächsten, westlichen Flügel
unserer Stellungen, an der albanischen Grenze, eine Offensive
eingeleitet. Diese hatte bei den schwachen österreichischen Truppen,
welche diesen Flügel hielten, kaum Widerstand gefunden. Zwei
französische Divisionen sollten im Vorrücken sein und hätten schon
Pogradeč und damit das Südende des Sees in Händen. So sollte auch
dieser See mir nur teilweise zugänglich sein. Da galt es zu eilen, um
überhaupt noch Forschungen auf dem See durchführen zu können; denn die
Feinde sollten heftig weiter vorstoßen. Einen sehr deprimierenden
Eindruck hatte mir der österreichische Kommandant gemacht, den ich
im Offiziersheim in Resna auf der Flucht angetroffen hatte. Er hatte
offenbar nach seiner Niederlage vollkommen Nerven und Besinnung
verloren und war abgesetzt und zurückbefohlen worden.

[Illustration: OCHRIDA, von Osten über die Seebucht.]

Sehr gespannt auf die Zustände, die ich in _Ochrida_ antreffen sollte,
setzte ich meine Fahrt mit möglichster Beschleunigung fort. Die Straße
hatte an den Abhängen des Gebirges einen großen Bogen nach Norden
gemacht. Bei der Fahrt das Gebirge abwärts verfolgten wir das schöne
Tal der _Opinča_ eine längere Strecke. Dieser starke, klare Bach fließt
rauschend zwischen Steinblöcken dem Ochridasee zu; seine malerischen
Ufer sind von stattlichen Pappeln und Weiden bestanden. Zahlreiche
_Wasseramseln_ flogen über sein Wasser von Stein zu Stein, von unserem
Wagen aufgeschreckt. Wir hatten auf unserer Fahrt ein gut Stück der
römischen _Via Egnatia_ befahren.

Trotz allen Staubes und der herbstlichen Trockenheit machte die
Umgebung von _Ochrida_ einen freundlichen Eindruck, als die Stadt sich
vor uns erhob; ein großer Teil von ihr bedeckte die Hänge eines steil
ansteigenden Hügels, die von den Mauermassen einer großen türkischen
Festung gekrönt sind. Wie schön leuchtete uns die blaue Fläche des Sees
zwischen den weißen Mauern entgegen, als er endlich vor uns auftauchte.
Das war nun wirklich ein blauer See. Er war blauer als der Gardasee, so
blau wie die Adria oder der indische Ozean. Er versprach mir Wunder von
Schönheit, als ich etwas erregt in die belebten, von Truppen wimmelnden
Straßen der Stadt einfuhr.

Es war für Mazedonien eine große Stadt, auch zur Zeit meines Besuchs
muß sie über 10000 Einwohner beherbergt haben. Das Auto fuhr mich
durch die holprigen Straßen bis an den Hafen herunter, wo sich ein
prachtvoller Blick auf die weite Fläche des Sees und die blauen Berge
eröffnete, die ihn umrahmen.

_Ochrida_ spielt in der Geschichte Mazedoniens eine nicht geringe
Rolle. Fast 900 Jahre lang war es der Sitz des bulgarischen
Patriarchen. Im 10. Jahrhundert war es die Hauptstadt des damals einen
großen Teil der Balkanhalbinsel umfassenden bulgarischen Reiches.
Auch der letzte bulgarische _Zar Samuel_ residierte hier; nach der
Vernichtung des bulgarischen Reiches durch den byzantinischen Kaiser
_Basileios II Bulgaroktonos_ verlor Ochrida jede politische Bedeutung.
Aber es behielt für den Balkan ein großes kirchliches Ansehen, denn
sein Erzbischof blieb das unabhängige Oberhaupt der bulgarischen Kirche
und nannte sich als solches Patriarch „von ganz Bulgarien, Serbien,
Albanien und dem westlichen Meere‟. Das hatte allerdings oft nur
bildliche Geltung.

[Illustration: Abb. 269. Oberstadt von Ochrida.]

Die historische Bedeutung der Stadt spricht sich in dem Bestand von
altbulgarischen kirchlichen Gebäuden aus, an denen Ochrida und seine
Umgebung reich ist. Schon gleich bei meiner Ankunft bekam ich den
Eindruck des Überwiegens bulgarischer Bevölkerung. Die Namen der Listen
des Quartieramtes waren zumeist bulgarisch. Auch mein Quartierwirt war
Bulgare mit Namen Kazareff, doch stellten die Frauen des Hauses sich
als _Aromunen_ heraus. Die Männer aus ihren Familien waren wegen der
Bedrückungen vor Jahren nach Rumänien ausgewandert. Auch die Nachbarn
waren Aromunen und in ihrem Haus sah ich die schönste Frau, die ich auf
dem Balkan angetroffen habe; es war eine stolze, schlanke Erscheinung
mit schönen Gesichtszügen, großen dunklen Augen, braunem Haar und so
eigenartig geschmackvoll gekleidet, daß sie auffallen mußte. Ich hatte
den Eindruck, daß griechisches oder römisches Blut in ihren Adern
fließen müsse.

Außer Aromunen spielen Albaner in der Bevölkerung von Ochrida eine
große Rolle; nächst den Bulgaren sind sie an Zahl vorherrschend. Jetzt
nach der Besetzung durch die verbündeten Truppen wagten sie sich nicht
mehr hervor, früher hatten sie die Christen in Ochrida sehr schlecht
behandelt, gequält und geknechtet, wie noch aus Berichten aus den
Jahren 1889 und 1904 hervorgeht.

Mein Quartier war besonders schön und günstig gelegen; es war ein
großer Saal in einem stattlichen Haus am Hang des Vorgebirges, an
welchem die Stadt am weitesten in den See hineinreichte. Aus den großen
Fenstern hatte ich einen prachtvollen Blick über einen Teil der Stadt,
auf den Hafen und weithin über den See hinaus. Die Einrichtung war die
übliche, doch auffallend gut erhalten und reinlich, die Wirte ganz
besonders freundlich.

[Illustration: Abb. 270. Hafen von Ochrida mit „Auslegerbooten‟.]

Verpflegung fand ich in der österreichischen Offiziersmesse, Hilfe
für wissenschaftliche Untersuchungen in dem kleinen Laboratorium des
österreichischen Lazaretts. Von den Zuständen, die ich dort vorfand,
muß ich einiges erzählen, da sie so außerordentlich charakteristisch
sind und deutlich zeigen, warum Österreich im Krieg nicht durchhalten
konnte.

Die Offiziersmesse der Österreicher lag dicht am Hafen; sie war nett
und sauber eingerichtet; man merkte die Frauenhand, die in ihr waltete.
Bei der ersten Mahlzeit lernte ich in der Leiterin eine Grazerin,
Tochter eines mir wissenschaftlich bekannten Zoologen kennen, die
mit großer Energie nicht nur diese Verpflegungsanstalt in Ordnung
hielt, sondern auch mit einer anderen österreichischen Frau tapfer
in dem Lazarett mitarbeitete. Abends hatte man Gelegenheit mit den
österreichischen Offizieren zu sprechen, welche alle mutloser und
zielloser waren als diese Frauen; weniger bereit auszuharren als
diese. Offenbar war die Leitung an dieser Front energielos und unfähig
gewesen. Malaria und andere Seuchen hatten die Truppen sehr geschwächt;
bei vielen Abteilungen waren 60-80% der Mannschaften krank. Die
sanitären Maßregeln wurden bei weitem nicht so streng und konsequent
durchgeführt als bei den deutschen Truppen.

Zudem bestanden die Truppen aus Kroaten, Dalmatinern und Bosniern, die
alle nicht wußten, wofür sie hier kämpfen sollten. Auch die Offiziere
waren nur zum Teil gut und tüchtig; es waren schneidige, begabte,
tüchtige Männer unter ihnen, aber durchweg spielte die Neigung zu
gutem und behaglichem Leben eine allzugroße Rolle. Die Gespräche am
Abendtisch zeigten, wie planlos und schwächlich diese Männer meist
dachten. Merkwürdig stach von ihnen die Tatkraft und das energische
Denken der beiden Frauen ab.

Daß die Front solange sich noch gehalten hatte, war den kleinen
deutschen Abteilungen zu verdanken, welche mit Aufopferung trotz
großer zahlenmäßiger Unterlegenheit die Feinde aufgehalten hatten, bis
deutsche und bulgarische Hilfe herankam. Ein blutjunger Leutnant, der
den Ruinenhügel bei Pogradeč gegen eine große feindliche Abteilung mit
seinen Maschinengewehren so lange gehalten hatte, bis der Rückzug über
den See gedeckt war, saß an dem zweiten Abend bei mir und erzählte in
bescheidenster Weise von seinen Erlebnissen. Er war blaß und erregt,
bis er den letzten seiner Mannschaft glücklich in Ochrida gelandet
wußte.

Unterdessen kamen immer mehr deutsche Truppen an. Auch für ihre
Offiziere sorgten die österreichischen Damen; der Stab der
neugebildeten Ochridadivision unter ihrem General _Posseldt_, den wir
schon aus dem Hain Mamre kennen, wurde in den ersten Tagen in der
österreichischen Offiziersmesse mit den österreichischen Offizieren
verpflegt. Und alles klappte vorzüglich.

Bald brachte die Division die Feinde am Seeufer im Westen, bei _Lin_
zum Stehen und damit war Ochrida gerettet. Für mich war also die
Möglichkeit gegeben, meine Arbeiten fortzusetzen. Der Stab verließ
bald die Offiziersmesse und siedelte sich in einem kleinen weißen Haus
unterhalb meines Quartiers an. Es stand auf einer Terrasse, welche hoch
über den See aufgebaut war, zu dem steile Treppen hinunter führten.
Das Haus wurde Schloß genannt war, während das Land serbisch war, für
den König von Serbien gebaut worden und jetzt im Besitz des Zaren von
Bulgarien. Ich werde nie die höfische Komödie vergessen, welche sich
um die Verwendung des Schlößchens als Stabsquartier telephonisch und
telegraphisch abspielte, bis das Haus schließlich doch vom Stab geräumt
werden mußte.

[Illustration: Aus _Filow_. Abb. 270 a. Ostseite der Sophienkirche in
Ochrida.]

Während all dieser Ereignisse hatte ich Zeit genug gehabt, mich in der
Stadt Ochrida umzusehen und ihre Umgebung zu durchstreifen. Die Stadt
verdient eine knappe Beschreibung; denn sie ist in mancher Beziehung
recht eigenartig.

Sie ist in der Hauptsache auf zwei Hügeln aufgebaut, welche beide
von Ruinen türkischer burgartiger Befestigungen gekrönt sind. Ein
großer Teil der Stadt erstreckt sich im Tal bis an den Seestrand und
hinter den Hügeln weithin in die Talebene. Steile Gassen mit steinigem
holperigem Pflaster führen den Hügel hinan; bis zur Zitadellenruine
hinauf ist es eine gehörige Kletterei. Die Häuser in den Straßen
sind die üblichen mazedonischen Bauwerke mit den vorragenden oberen
Stockwerken, die Gassen meist eng und schattig. Am See wohnen Fischer
und Schiffer; am Hafen zieht sich eine lange Reihe großer weißer
Gebäude hin, welche damals meist als Büros und Lazarette verwandt waren.

Als muhamedanische Stadt würde man Ochrida nicht ohne weiteres
erkennen; Moscheen und Minarets spielen im Stadtbild keine wesentliche
Rolle. Vom See aus z. B. sieht man kein einziges Minaret, sie liegen
alle im Teil der Stadt hinter dem Kastellhügel. Aber auch die
interessanten, alten christlichen Kirchen ragen nicht stark hervor;
sie sind relativ klein und bescheiden. Am meisten treten hervor eine
neuere viertürmige Kirche ohne besonderen Charakter und ein sehr
geschmackloses grelles Schulgebäude, welches ein wertvolles altes
Tabernakel verdrängt hat.

Wie bei den meisten mazedonischen Städten bringt auch in Ochrida mehr
die Landschaft mit der Fülle der gleichartigen Häuser die malerische
Wirkung hervor, als irgend welche Bauprinzipien oder architektonisch
hervorragende Gebäude. Bei Ochrida wird die farbige Wirkung des Bildes
dadurch erhöht, daß zu den roten Ziegeldächern viele mit gelbgrauen
Steinplatten gedeckt hinzukommen. Dabei wirkt natürlich sehr stark der
blaue See mit, der immer wieder durch die Gassen emporleuchtet. Sehr
eigenartig sind im mazedonischen Städtebild die vielen gleichmäßigen
Fenster der Häuser, welche vielfach zu zweien oder dreien gruppiert die
Häuserflächen charakteristisch modellieren.

[Illustration: Abb. 271. Unterstadt von Ochrida mit Burgberg.]

Wie von unten die gewaltigen Mauermassen des Kastells über die kleinen
Häuser der Stadt dominieren, so boten sie auch mit ihren Ruinen,
Türmen, Mauerlöchern und Torbögen reizvolle Umrahmungen für die
Blicke hinab auf den dunkelblauen See oder die reiche Landschaft. Wie
weit die Reste dieser, wie der anderen dieser mazedonischen Burgen,
auf die Trutzbauten der bulgarischen Zaren gegen die Byzantiner
zurückgehen, und wie weit sie türkischen Ursprungs sind, dürfte schwer
zu entscheiden sein. Das Haupttor der Burg soll aus dem Ende des 10.
Jahrhunderts, also aus der Zeit des Zaren Samuel stammen.

Von bulgarischer Kunst in Mazedonien haben wir schon im 24. Kapitel
bei der Besprechung des Klosters _Neresi_ gehört. _Ochrida_ als
jahrhundertelanger Sitz des bulgarischen Patriarchats beherbergt
manche Reste altbulgarischer kirchlicher Kunst. Besonders interessant
sind die Kirchen Hagia Sofia und Sveti Climent. Erstere liegt nahe
dem See, in dem Stadtteil unterhalb des Schlößchens an einem freien
Platz. Es ist ein stattlicher Bau, der hauptsächlich aus einer
dreischiffigen, gewölbten Pfeilerbasilika besteht, dem ein Querbau
mit zwei Seitentürmen westlich vorgelagert ist. Das Innere war recht
vernachlässigt. An der Nordwand des Hauptbaues waren weiße Säulen als
Rest einer offenen Halle zu erkennen. Immerhin waren Schritte zu einer
Restaurierung dieses Nationalheiligtums schon während des Krieges
geschehen; so vor allem war ein Teil der Fresken, die in alter Zeit
alle Wände der Kirche bedeckten, wieder freigelegt. Die Kirche hatte
nämlich während der Türkenzeit als Moschee gedient. In dieser Zeit
waren die Fresken übertüncht gewesen. Was man von ihnen vor allem
in dem oberen Raum des Querbaues sehen konnte, machte einen sehr
interessanten Eindruck.

[Illustration: Aus _Filow_. Abb. 272. Haupttor der Burg von Ochrida.
Ende des 10. Jahrhunderts.]

Die Kirche scheint prachtvoll ausgestattet gewesen zu sein; darauf
weisen in ihr aufgefundene Reste der Marmorumrahmung der Ikonostasis
und andere mit Reliefs versehene Marmorplatten hin. Solche sind auch
in den türkischen Mimbar eingebaut, dessen außerordentlich reich
verzierte Bekrönung ein marmorner Baldachin mit zarten Säulchen und
feiner auf den Orient hinweisenden Ornamentik bildet, offenbar die
einstige Kanzel der Kirche (Abb. 273).

[Illustration: Aus _Filow_. Abb. 273. Marmorner Oberteil der Kanzel in
der Sophienkirche von Ochrida. 14. Jahrh.]

Einer späteren Periode gehören die anderen altbulgarischen Gotteshäuser
in Ochrida an. Sie entsprechen als _Kreuzkuppelkirchen_ dem Typus, den
wir in _Neresi_ kennen lernten, von dem uns _Varos_ bei Prilep ein
Beispiel gab, und der auch sonst in Mazedonien wie in Altbulgarien
häufig vertreten ist. So sah ich in _Tirnowo_ eine ganze Anzahl von
Repräsentanten dieses Typus. In dem zweiten Reich der Bulgaren baute
man keine großen Basiliken mehr wie die Sofienkirchen in Sofia und
Ochrida. Man baute viel mehr, dafür aber viel kleinere Kirchen,
die fast alle Kreuzkuppelkirchen waren und viel reicher ornamental
geschmückt waren als die Monumentalbauten des ehrgeizigeren alten
Reichs.

Von den Kirchen aus dieser Zeit ist in Ochrida besonders die dem
heiligen _Climent_ geweihte zu erwähnen, Sie liegt oben am Berg und
sie ist eine Kreuzkuppelkirche, deren Kuppel auf schweren Pfeilern
ruht (Abb. 274). Gerade in der Gegend von Ochrida fanden die beiden
Apostel des Christentums _Climent_ und _Naum_ eine große Verehrung. Sie
hatten im Auftrag des Zaren _Boris_ unter den Bulgaren Mazedoniens
das Christentum verbreitet, nachdem sie im Jahre 885 nach dem Tode
Methodis aus Mähren, wo sie als Schüler Cyrills und Methodis sich
entwickelt hatten, an dessen Hof gekommen waren. Leider konnte ich
infolge des Vordringens der Feinde das Kloster Sv. _Naum_ bei Pogradeč
nicht besuchen, dessen Kirche besonders durch seine Malereien berühmt
war, und welche das Grab dieses Heiligen beherbergt. Doch auch in Sv.
_Climent_ fanden sich sehr schöne Malereien vor allem am Ikonostas. Ein
segnender Christus aus dem 13.-14. Jahrhundert fiel besonders auf (Abb.
275).

[Illustration: Aus _Filow_. Abb. 274. Ostseite der Kirche Sveti Climent
in Ochrida. Gebaut 1295.]

Im Kloster _Sveti Climent_ hat seinerzeit der Jenenser Professor
_Gelzer_ für die Kirchengeschichte des Balkans wichtige Dokumente
entdeckt. Wo mögen diese mittlerweile hingeraten sein?

Sehr schön und interessant sind in Sv. Climent auch die
Holzschnitzereien und Metallarbeiten, welche überhaupt in den
bulgarischen Kirchen eine große Rolle spielen und auch durch die
Türkenzeit hindurch eine gute Tradition bewahrt haben.

Von den zahlreichen anderen Kirchen Ochridas möchte ich noch eine
erwähnen, welche infolge ihrer malerischen Lage manchem Besucher wie
mir in unvergeßlicher Erinnerung geblieben sein wird. Es ist die am
westlichen Ende auf einem in den vorragenden Felsenvorsprung erbaute
kleine Kirche Sveti Jon, dem heiligen Johannes geweiht. In der Armee
wurde sie meist als die Fischerkapelle bezeichnet, wohl wegen ihrer
Lage bei den Fischerhäusern am See.

Sv. Jon ist eine kleine Kreuzkuppelkirche aus Haustein mit roten
Zwischenlagen von Ziegeln gebaut. Hohe Strandmauern sind auf den
schroffen Felsen zu ihr emporgebaut, um die Plattform herzustellen,
auf der sie steht. Treppen führen durch diese zu einem felsigen Strand
hinab, an welchem ich manches köstliche Bad in dem klaren Wasser des
Sees genossen habe. Mächtige alte Bäume ragen vor den Felsen auf
und erhöhen die malerische Schönheit des Bildes, welches die Kirche
darstellt, die sich wundervoll vom Himmel und dem dunkelblauen Wasser
des Sees abhebt, wenn man im Kahn von der Stadt her sich ihr nähert.

[Illustration: Aus _Filow_. Abb. 275. Segnender Christus. Ikone aus der
Climentkirche in Ochrida. 13.-14. Jahrh.]

Nicht weniger schön stellt sie sich dar, kommt man über die Felsen den
Pfad von der Stadt her zu ihr herabgestiegen. Wie wunderbar hob
sich ihr Umriß vom goldglühenden Abendhimmel ab, wenn drüben jenseits
der nördlichen Seebucht die albanischen Berge in tiefen blauen und
violetten Tönen verdämmerten. Aus der Tiefe rauschte die Brandung des
an die Felsen anschlagenden Sees herauf. Weit erstreckte sich der
Blick von den Treppen, die zur Kirche führten, oder von dem kleinen
über den See hinausgebauten Balkon aus über die weite Fläche des
Sees. Wie seltsam flimmerte der Wiederschein des Abendhimmels von den
dunkelblauen Wellen, wie zart verschwammen seine Grenzen im fernen
Süden; welch schönen Abschluß des Bildes gaben die harmonischen Umrisse
des Tomoros und Malisat!

[Illustration: KIRCHE SV. JON AM OCHRIDASEE.]

[Illustration: Dr. _Nachtsheim_ phot. Abb. 276. Sveti Climent, St.
Clemenskirche in Ochrida auf der Varoshöhe.]

Auch die Einwohner von Ochrida besaßen Verständnis für die poetische
Schönheit der Örtlichkeit. Abends wandelten junge Leute, Liebespaare
hier heraus, genossen die Abendstimmung, saßen auf den Felsenklippen
und sangen ihre schwermütigen Lieder.

Es war fast der einzige Ort in Mazedonien, wo ich die alten Lieder
singen hörte. Hier konnte man auch an Frieden und geruhsame Zeiten
denken, wenn die Dämmerung niedersank, der Spiegel des Sees dunkel
wurde und nur die Berggipfel und die wandernden Wolken am Himmel noch
die letzten roten Gluten der Sonne wiederstrahlten.



NEUNUNDDREISSIGSTES KAPITEL

DER OCHRIDASEE


Der schöne See mit seinen malerischen Ufern bot auch dem Naturforscher
manche Probleme und so setzte ich denn alle meine Kräfte daran, von
seiner Natur, seiner Tier- und Pflanzenwelt möglichst viel zu erkunden.
So streifte ich seine Ufer ab, suchte durch Fischer möglichst viel von
seiner Tierwelt zu erwerben und auf eigenen Fahrten sie zu erforschen.
Im Jahre 1918 kam mir Dr. _Nachtsheim_ zuhilfe, der einen großen
Teil seiner Zeit und Arbeitskraft speziell der Durchforschung der
Wasserbiologie Mazedoniens widmete.

Meine Ziele wurden sehr gefördert durch die österreichische Flottille,
die den Wachdienst auf dem See unter sich hatte. Ihre Motorboote,
Kähne und Fischerboote wurden mir zur Verfügung gestellt, und ich kann
die Tüchtigkeit und Schneid ihrer Offiziere und Mannschaften aufs
höchste anerkennen. Nicht nur bei der Verteidigung dieser gefährdeten
Front, beim Transport unserer Division und ihres Materials haben sie
Treffliches vollbracht, auch mir haben sie sehr wesentliche Dienste
geleistet.

Der Ochridasee liegt in Meereshöhe von 687 m, also fast 200 m tiefer
als der 857 m hoch gelegene Prespasee. Seine Oberfläche erreicht 270
Quadratkilometer gegenüber den 288 des etwas größeren Prespasees. Wie
der Prespasee liegt er zwischen hohen Bergen, die sich hier weiter
nördlich erstrecken als bei jenem. Seine größte Tiefe, etwa in der
Mitte seiner Längenausdehnung, erreicht 285 m, er ist also beträchtlich
tiefer als der Prespasee, der nur 54 m als größte Tiefe besitzt.

Der Seeboden fällt an vielen Stellen steil zu größeren Tiefen ab, was
an der dunklen Farbe des Wassers erkennbar ist. Nur am Nordende, vor
der Stadt Ochrida und ganz im Süden lassen grüne Streifen des Wassers
auf seichte Stellen schließen. Vor allem der sandige Nordstrand gegen
Struga hin senkt sich langsam ab. Hier, wie in der Bucht südlich
von Ochrida wird der See von schmalen Schilfstreifen eingefaßt, die
nirgends die Mächtigkeit erreichen, wie am Prespa- und Doiransee.

Vielfach fallen die Felsenufer steil zum See ab, was den malerischen
Reiz der Strandlandschaften bedingt. Das ist vor allem direkt nördlich
der Stadt Ochrida der Fall sowie auf langen Strecken des Ost- und
Westufers.

Von allen Seiten strömen kurze Bäche aus den Bergen dem See zu; ganz
kurz ist der Hauptzufluß, der _Drin_, welcher als richtiger _Karstfluß_
in der Nähe des Klosters Sv. Naum als starker Bach entspringt, um sich
nach ganz kurzem Lauf in den See zu ergießen. Das entspricht dem im 33.
Kapitel geschilderten Charakter des Tomorosgebirges als Karstgebiet.
Es ist wohl die Ursache zu der in der Bevölkerung verbreiteten Sage
von einer unterirdischen Verbindung des Ochridasees mit dem Prespasee,
durch welche man die Niveauschwankungen des letzteren erklären will. Zu
einer solchen Annahme liegen aber keine wirklichen Grundlagen vor.

Bei _Struga_ entströmt der _Drin_, als relativ mächtiger Fluß, dem See,
fließt eine lange Strecke nach Norden, um sich dann nach Westen und
teilweise nach Süden zu wenden und südlich des Skutarisees im Dringolf
ins Adriatische Meer zu münden.

Die Ufer des Sees lernte ich auf verschiedenen Exkursionen kennen. Ein
Ritt in Begleitung von zwei mir mitgegebenen Blücherhusaren führte mich
nach _Struga_ an das Nordende des Sees zum Ausfluß des Drin. An einem
Kloster und einigen Dörfern vorbei ging der Ritt in flottem Trab zum
kiesigen und sandigen Flachstrand des Sees; nördlich von ihm dehnte
sich eine fruchtbare Ebene aus, im Anfang begrenzt von einem seltsamen
purpurroten Felsenberg, vor welchem Ruinen eines Dorfes lagen.

An dem Binsenufer flogen vor unsern Pferden, die flott durch das
seichte Wasser galoppierten, Kormorane, Bleßhühner und Enten auf. In
den Büschen waren, trotz der Herbstzeit, noch zahlreiche Grasmücken
in Bewegung. Vor mir lag bald das große Dorf _Struga_, vollkommen
eingehüllt in Weiden und Pappeln. Unterhalb des Ortes am Drin liegen
ausgedehnte Sümpfe. Diese sind von Weiden, Röhricht und mancherlei
Sumpfpflanzen dicht bewachsen; auch Schilf mit seinen braunen Kolben
bedeckt große Flächen. Struga war ein in der Armee berüchtigtes
Fiebernest.

Im Schatten von Weiden liegen im hier recht breiten _Drin_ die so
wohlbekannten breiten Boote mit ihren unförmlichen Seitenwülsten;
unterhalb des Dorfes ist die ganze Breite des Flusses durch Zäune und
Gatter aus Schilf und Reisig abgesperrt. Zwischen ihnen sind Reusen
aufgestellt, um die Fische, welche zwischen Fluß und See wechseln,
abzufangen. Schon vor vielen Jahren wurden diese Weidengeflechte und
die bei ihnen aufgestellten Hütten mit ihren Dächern aus Röhricht von
Besuchern erwähnt. So hat sie z. B. der Aromunenforscher _Weigand_ im
Jahre 1889 gesehen. Dieser erwähnt, daß damals schon die Fischerei in
Struga um 100000 M. auf 2 Jahre verpachtet war.

Das muß sie wohl getragen haben; denn während meines Aufenthaltes in
Ochrida sah ich oft die Ausbeute enormer Fänge. Nicht selten werden
an einem Tag Hunderte von Zentnern von Aalen in Struga erbeutet. Es
ist ein imposanter Eindruck, wenn man Haufen von vielen Hundert der
armsdicken, mehr als einen Meter langen Fische sich durcheinander
winden sieht, wenn ihre weißen Bäuche aufblinken, während sie ihre
blauschwarzen Rücken nach unten kehren.

[Illustration: Abb. 277. Bootshafen am Drinaausfluß aus dem Ochridasee.]

Vielerlei kleine und größere Fische sah ich im Wasser umherhuschen,
als ich mit meinen Husaren ins Sumpfgelände hineinritt, um mit einem
von ihnen, der ein gelernter Fischer war, _Krebse_ zu fangen. Während
unsere Pferde an einer trockenen Stelle grasten, zog der Mann sich
aus, sprang ins Wasser und holte unter den Pflanzenpolstern an der
Uferwand einen ganzen Sack von Flußkrebsen heraus. Während sie anfangs
frei herumschwammen und, auf dem Schlamm sitzend, erspäht werden
konnten, zogen sie sich bald in ihre Löcher zurück. Auf diese mußte das
ganze Ufer und alle Rohrinseln abgesucht werden, was mein Husar sehr
geschickt und sachverständig ausführte.

Unterdessen umschwammen ihn Wasserkäfer, Schwimmwanzen und allerhand
Getier, zum Glück fehlten aber hier die Blutegel. Libellen vieler Arten
umschwirrten uns während unserer Fischerei. Der Krebs stellte sich als
eine auch bei uns verbreitete Art des _Flußkrebses_ heraus (+Astacus
fluviatilis+ L.). In der Umgebung herrschte ein reiches Vogelleben.
Allerhand Arten von Rohrsängern und anderen rohrbewohnenden Kleinvögeln
huschten durch das Schilf.

[Illustration: Abb. 278. Fischsperre in der Drinmündung bei Struga am
Ochridasee.]

In der nächsten Umgebung flogen auf oder ließen sich nieder
_Fischreiher_ und _Purpurreiher_. Besonders schön zu beobachten war
ein ganzer Flug von weißblinkenden _Edelreihern_. _Uferläufer_ und
andere Stelzvögel, _Enten, Teichhühner_ und viel anderes Wassergeflügel
war in Mengen vorhanden. Ich bedauerte sehr, damals keinen Präparator
bei mir zu haben; denn ich scheute mich, die Tiere zu schießen, ohne
Belegstücke für wissenschaftliche Zwecke mitnehmen zu können.

Eine ähnlich reiche Vogelwelt fand sich auch südlich von Ochrida am
Strand des Sees, den ich mit meinen Begleitern nach Wassertieren
absuchte. Dabei erwies sich als besonders ergiebig das Ufer und
seitlich liegende Tümpel bei Goriza und gegen Sv. Stefan. Dort wurden
viele Muscheln aus den Gattungen +Unio+ und +Anodonta+ gefangen.
Auffallend war im See das Massenvorkommen der Muschel +Dreissensia+,
welche bekanntlich vor einigen Jahrzehnten eine Wanderung durch
ganz Westeuropa vom Osten her gemacht hat und jetzt auch bei uns
in Deutschland im Süßwasser heimisch geworden ist. Bemerkenswert
war später beim Fang des Planktons, in welch ungeheuren Massen
Muschellarven, wahrscheinlich meist solche von +Dreissensia+, das
Wasser des Sees in allen Schichten belebten.

Auch Schnecken aus den Gattungen +Lymnaeus+ und +Paludina+ waren
in großen Mengen zu finden; dabei allerlei Wasserinsekten, Käfer,
Schwimmwanzen und Larven vieler Arten. An den Felsen und Steinen,
besonders unterhalb der Kirche Sv. Jon, fanden sich massige Krusten
eines Süßwasserschwammes.

Um die Fische des Sees zu bekommen, mußte ich mich mit den am See
ansässigen Fischern in Verbindung setzen; denn ich selbst hatte keine
Fischereigeräte zur Verfügung. Dazu sollte mir eine Empfehlung eines
bulgarischen Politikers dienen, welche dieser mir an den Erzbischof
mitgegeben hatte. In dessen Haus wurde ich sehr liebenswürdig empfangen
und die Erfüllung meiner Wünsche mir versprochen. Das war aber
offenbar in jenen Tagen nicht ganz leicht. Die Stadt war infolge der
kriegerischen Ereignisse von Militär überflutet, welches alles Eßbare
und damit auch die Fische für sich beanspruchte.

So war es denn wichtig, daß mir ein Polizist zugewiesen war, der
die Fischer gut kannte und vor allem in ihrer Sprache sich gut mit
ihnen verständigen konnte. Dabei sprach er ganz gut deutsch, mit sehr
ausgesprochen österreichischem Akzent. Als ich ihn frug, wo er denn
sein Deutsch gelernt habe, erzählte er mir, er sei Jahre lang in
Karlsbald und Franzensbad gewesen. Auf meine weitere Frage, was er
dort gemacht habe, antwortete er mit spitzbübischem Lächeln: „Ich war
dort Honigtürke!‟ Wieso? „Ja, ich stand mit einem Fez oder Turban an
der Promenade und verkaufte türkischen Honig. Die meisten Honigtürken
in Deutschland und Österreich sind mazedonische Bulgaren. Aber dort
ist vorteilhaft Türke zu sein, man setzt einen Fez auf, auch wenn man
slavischer Christ ist und die Leute dort können doch türkische und
bulgarische Sprache nicht unterscheiden. Wenn man Chef des Geschäfts
ist, verdient man viel Geld, weniger als Straßenverkäufer!‟

Dieser Helfer sorgte dafür, daß die Fischer mir Fische aus dem
Ochridasee heranbrachten.

Außer den _Aalen_ gab es auch reichlich _Karpfen_ im See; allerdings
so stattliche Exemplare fanden sich hier nicht, wie ich sie seinerzeit
im Wardar erbeutet hatte. Von Weißfischen wurden eine ganze Anzahl
gebracht, so die mit unserem _Aitel_ verwandten +Squalius illyricus+
H. u. K., und +Sq. dobula+ H. Auch die gleiche Art von _Barben_,
welche ich im Wardar und seinen Nebenflüssen gefunden hatte, kam hier
reichlich vor (+Barbus plebejus+ Val.). Bei Struga hatte ich selbst
einen unserer _Nase_ verwandten Fisch, in Italien Stric genannt
(+Chondrostoma genei+ Bon.) erbeutet. Dort fingen wir auch den
_Gründling_ (+Gobio vulgaris+ Cw.). In Ochrida selbst wurden die Arten
+Chondrostoma phoxinus+ Heck. u. +Ch. soetta+ H. u. K. von den Fischern
gebracht.

Eine heimische Erscheinung ist der _Schiet_ (+Aspius rapax+ Ag.),
während die _laubenähnlichen_, silbrig blinkenden +Alburnus alborella+
H. u. K. und +A. scoranzoides+ H. u. K. echt südliche Formen sind.
Dasselbe gilt von +Leuciscus adspersus+ Heck.

Der beliebteste Fisch auf dem Fischmarkt von Ochrida, gerühmt von
allen Besuchern der Stadt und in normalen Zeiten weithin versandt,
ist die _Ochridaseeforelle_. Es ist das ein prachtvoller Vertreter
der Lachsfische mit allen Vorzügen dieser Gattung, der prachtvollen
Färbung wie dem guten Geschmack des Fleisches. In stattlichen 50-70
cm langen Exemplaren sah man das Tier in jenen Tagen manchmal bei
den Österreichern und bei den Blücherhusaren auf dem Kasinotisch.
Die _Seeforelle_, von den Eingeborenen _Latzniza_ genannt, wird
wissenschaftlich als +Salmo dentex+ Heck. bezeichnet; doch hat
_Steindachner_ die Form aus dem Ochridasee als +Salmo ochridanus+
Steind. abgetrennt.

Daß mit diesen 11 Fischarten, von den 14 Arten aus dem Ochridasee,
welche frühere Reisende auf dem Fischmarkt von Ochrida konstatiert
haben wollen, drei fehlen und dazu vielleicht noch manche andere,
die zu entdecken gewesen wäre, hat seine Ursache in einem seltsamen
Mißgeschick. Die große Auswahl von Seefischen, welche durch die Sorge
des Erzbischofs für meine wissenschaftliche Sammlung bestimmt war,
fiel leider durch Dummheit des Fischers und durch die Energie des
Kasinovorstandes des Offizierkasinos der deutschen Division diesem in
die Hände und wurde dort verzehrt.

Vor allem von den Seeforellen Ersatz zu schaffen, war in jenen Tagen,
also Mitte September, sehr schwer, da sie nur mit komplizierten
Apparaten einer Fischerflottille in der Tiefe des Sees gefangen werden
konnten, wo sie sich in dieser Jahreszeit aufhielten. Stürmisches
Wetter hinderte in den Tagen, die ich damals noch in Ochrida weilte,
das Ausfahren dieser Boote.

Andere Forschungen gaben die Möglichkeit, eine Erklärung des
Tiefenvorkommens der Seeforelle in diesem Teil des Jahres zu finden.
Ich hatte mich mit Apparaten ausgerüstet, um auch in diesem See
_Plankton_ zu fangen. Um das auch in größeren Tiefen ausführen
zu können, hatte ich mir von der Telegraphenabteilung in Prilep
Kabel und dünne, feste Stahldrähte in der Länge von mehreren 100
Metern verschafft, mit denen Lotungen und Fänge in größeren Tiefen
durchgeführt werden konnten.

[Illustration: Abb. 279. Auslegerboot auf dem Ochridasee.]

Fahrten auf dem See zum Zwecke solcher Forschungen wurden mehrere
noch in diesem Herbst von mir unternommen; im Jahre 1918 übernahm Dr.
_Nachtsheim_ diesen Teil der Untersuchungen. Ich will nur kurz über
meine Fahrten berichten, um dann die wesentlichen Resultate unserer
Forschungen darzustellen.

Im Hafen von Ochrida, wie in allen Orten am See, lagen jene
eigenartigen, schweren Ruderboote, welche für diesen See ganz besonders
charakteristisch sind. Es sind breite, plumpe Schiffe mit erheblichem
Rauminhalt, welche an beiden Seiten in ausgehöhlten Baumstämmen
eine Art von Auslegern besitzen. Sie machen die Boote ziemlich stabil,
aber schwer beweglich. Auch sind sie bei hohem Seegang für das Boot
durch ihre dünnen Wandungen nicht ungefährlich, da starke Wellen,
Anstoß an harte Gegenstände, diese leicht durchschlagen und damit das
Boot zum Sinken bringen. Das Rudern ist in ihnen sehr beschwerlich
und kommt gegen starken Wind und Wellengang nicht an. Gesegelt wird
in diesen Booten nicht, wie denn überhaupt das verschönende Motiv des
Segelschiffs auf diesem malerischen See vollkommen fehlte.

[Illustration: BLICK ÜBER DEN OCHRIDASEE. -- Im Hintergrund Tomoros und
Malisat.]

Mit einem solchen Boot machte ich verschiedene kürzere Fahrten, bei
denen vor allem das Plankton der Oberfläche in Landnähe, also über
geringeren Tiefen studiert wurde. Das Oberflächenplankton war im
Ochridasee meist bräunlich oder braun, Fänge in der Bucht von Struga
waren durch Algen grünlich gefärbt. Sehr viel reicher als in den
Oberflächenschichten war das Plankton aus Tiefenfängen von 30 m Tiefe
ab.

Um solche auszuführen, mußte man weiter auf den See hinaus. Sollte
das nicht allzuviel Zeit rauben, so brauchte man dazu die Hilfe eines
Motorbootes. In jenen bewegten Tagen standen diese aber nicht zur
Verfügung, und da ich im September 1917 noch solche Fänge durchsetzen
wollte, mußte ich mich in einem der großen Eingeborenenboote mit einem
kleinen Motorkahn hinausschleppen lassen; in letzterem wäre nicht Platz
genug für meine Apparate und meine Hilfskräfte gewesen. Dies Motorboot
hatte sofort eine Panne und mußte liegen bleiben, während wir uns durch
Rudern langsam südwärts arbeiteten. Wir langten schließlich gegenüber
Lin vor einem roten Vorgebirge an. Dort ergab eine Lotung eine Tiefe
von über 100 m. Darauf wurde ein Fang mit dem Planktonnetz in etwa 80 m
Tiefe ausgeführt. Dieser ergab eine ganz riesige Ausbeute; das Glas
war mit einem Brei von vielen Tausenden von kleinen Tieren gefüllt,
unter denen Krebse vorherrschten, deren Färbung den ganzen Tierbrei
paprikarot erscheinen ließ.

Dies Resultat war nicht ohne große Not erreicht. Während wir
arbeiteten, erhob sich ein starker Wind von Norden. Er fegte über die
Oberfläche des Sees und erregte hohe Wellen. Es war ein prachtvoller
Anblick, wie der See sich immer dunkler färbte und die mächtigen
Wellen, mit weißen Schaumkämmen gekrönt, sich zu uns heranwälzten.

Vergebens suchten wir durch Rudern gegen diesen gewaltigen Seegang
anzukämpfen. Die meterhohen Wellen warfen unser plumpes Boot hilflos
umher; es war unheimlich, sie krachend gegen die dünnen Seitenwände
anprallen zu hören. Es kostete die größte Mühe, das Boot wenigstens
gegen die Wellen zu stellen; ein Rückwärtsrudern nach Ochrida zu
war ganz unmöglich. Wir sahen beim Blick gegen das Land, daß wir,
statt nordwärts voranzukommen, immer weiter nach Süden abgetrieben
wurden. Wir kamen schließlich über _Pescani_ und immer weiter über die
feindliche Front hinaus. Das Boot schwankte hin und her, stieg hoch auf
die Wogenkämme hinauf, um mit Krachen und Gepolter in die Wellentäler
hinabzustürzen.

Die See wurde immer schwerer, die Wellen erreichten eine Höhe von fast
zwei Metern. Selbst auf dem Meer hatte ich in kleinem gebrechlichen
Boot selten etwas Derartiges erlebt. Schließlich wurde ich sogar
seekrank, was mir selbst auf dem Meer unter ähnlichen Umständen
nicht passiert war. Zu unserer Freude nahte jetzt unser Motorboot,
das repariert worden war. Kaum hatte es, wie toll von den Wellen
herumgeworfen, das Tau zu uns herüber geworfen und gerade angefangen
uns nordwärts zu fahren, als neue Havarie eintrat. Der Motor versagte,
die Leine verfing sich in die Schraube des Bootes, beide Boote
taumelten hilflos auf den Wellen umher und stießen wiederholt heftig
aneinander.

Die Situation wurde immer kritischer und trotzdem genoß ich den
prachtvollen Anblick, als der Matrose des Motorbootes sich auszog und
nackt sich ins Wasser stürzte, um zu tauchen und unter Wasser mit
einem Messer die Leine aus der Schraube herauszuschneiden. Rot wie ein
Krebs tauchte er aus dem indigoblauen Wasser empor. Ich zitterte für
sein Leben; aber mit bewunderungswerter Gewandheit brachte er, was er
wollte, fertig und stieg heftig atmend ins Boot zurück. Aber bei dem
schweren Wogengang kam er nicht mit dem Motor zurecht.

Woge auf Woge brauste gegen uns heran, der Nordwind wurde immer
stärker. Der Abend sank hernieder. Leuchtend hoben sich die Wogenkämme
von dem schwarzblauen Wasser ab. Rot lag der Abendschein auf den
Hängen des Tomoros und seinen Kalkfelsen. So weit waren wir nach Süden
getrieben und schon weit hinter den feindlichen Linien. Schon berieten
wir, der mich begleitende Husarenleutnant und meine Matrosen, wie wir
wohl ans Land kommen und uns durch die feindlichen Linien in der Nacht
hindurchschleichen könnten.

Da nahte ein kritischer Augenblick; wir hörten einen Motor
arbeiten; aus dem Dunst tauchte ein Patrouillenboot auf. War es
feindlich? Sie hielten uns jedenfalls für Feinde; denn sie machten
ihre Maschinengewehre klar. Da im letzten Moment erkannte der
österreichische Oberleutnant, der das Patrouillenboot führte, mich und
sein Boot, das er mir am Morgen geliehen hatte. Wir waren gerettet.
Das starke Motorboot nahm uns ins Schlepptau und nun ging es in
sausender Fahrt nordwärts gegen den Wind und die Wellen auf Ochrida
los. Der Nordwind brauste uns um die Ohren, der Gischt spritzte über
uns und unser ganzes Boot. Als wir in Ochrida anlangten und unsere
Ausbeute nebst den Instrumenten heil an Land brachten, wartete eine
vielhundertköpfige Menge am Kai auf das „erbeutete feindliche Boot‟.
Soldaten und Zivilisten waren sehr enttäuscht, daß es nur Gelehrte
waren, die da eingebracht wurden. Unsere Fahrt hinter die feindliche
Front bildete eine Zeitlang das Armeegespräch an der westlichen Front
in Mazedonien.

Eine Reihe harmloserer Fahrten brachten mir und im nächsten Jahr
Dr. _Nachtsheim_ die erwünschten Aufschlüsse über das Plankton
des Ochridasees. Es erwies sich als viel ärmer an _pflanzlichen_
Bestandteilen als dasjenige des Doiran- und Prespasees. Das hing wohl
mit der größeren Tiefe des Sees zusammen.

Das tierische Plankton war dagegen außerordentlich reich. Vor allem in
größeren Tiefen enthielt es ein Gewimmel von kleinen Krebsen aus den
Gruppen der _Copepoden_ und _Daphniden_. Dazu kamen große Massen von
_Muschellarven_, wohl Glochidien der im See so häufigen _Dreissensia_.
Die Copepoden gehörten zu den Arten +Cyclops strenuus+ und +Diaptomus
Steindachneri+ und +D. vulgaris+. Von Daphniden sind es _Bosminen_,
Arten von _Scapholeberis_ u. dgl. _Leptodora_, welche im Doiran- und
Prespasee häufig vorkam, vermißten wir im Ochridasee.

Von Interesse ist die Tatsache, daß zu der Zeit, in der die Seeforellen
in der Tiefe sich aufhielten und dort von den Fischern gefangen wurden,
in diesen Tiefen die großen Massen von Planktontieren lebten. So fanden
denn die Fische dort ihren gedeckten Tisch, ihre reichen Weidegründe.
Die Magenuntersuchung bewies, daß tatsächlich das Plankton zu dieser
Zeit ihre Hauptnahrung ist. So zeigt also ihre Verbreitung in den
verschiedenen Tiefen des Sees ähnliche Gesetzmäßigkeiten wie sie z. B.
für die Fische des Bodensees, besonders für die Felchen nachgewiesen
worden sind.



VIERZIGSTES KAPITEL

ENDE DES FELDZUGES UND DER FORSCHUNGSARBEITEN IN MAZEDONIEN


Im August 1918 hatte ich, durch persönliche Verhältnisse gezwungen und
ermüdet durch 7 Monate intensiver und strapazenreicher Arbeit, für
einige Wochen nach Deutschland zurückkehren müssen. Im September war
ich, gut ausgerüstet für neue große Unternehmungen, auf der Rückreise
zu meinem Standquartier in Üsküb. Unglücksschwangere Nachrichten hatten
mich schon unterwegs erreicht. Der Sommer war ja schon von bösen
Ahnungen erfüllt gewesen. Aber noch hoffte ich, daß es gelingen würde
zu meiner Arbeitsstätte zu gelangen und weiter arbeiten zu können.

Noch während der Reise aber mußte ich alle Hoffnung aufgeben; General
_von Krane_, den ich als Mitpassagier im Balkanzug in Ungarn traf, riet
mir sogar sofort umzukehren. Ich beschloß aber, soweit wie möglich
weiter zu fahren und meine Mitarbeiter, meine Ausrüstung, und das, was
von Sammlungen noch in Mazedonien war, nicht im Stich zu lassen.

Glücklich gelangte ich noch nach Serbien, aber nicht über _Nisch_
hinaus. Schon war _Üsküb_ unerreichbar. Die Front war durchbrochen und
in voller Aufrollung begriffen. Dort, wo schon im Frühjahr die Bulgaren
eine schwere Schlappe erlitten hatten, an der Front südlich der _Mala
Rupa_, war dem Feind der Durchbruch gelungen. In diesem Gebiet hatten
schon im Sommer bulgarische Regimenter gemeutert. Die Bulgaren haben
zuerst versagt. Hier an der Front begann der Zusammenbruch, der alle
Fronten erfassen sollte.

Die Ursachen sind durchsichtig. Daß die Bulgaren zusammenbrechen
mußten, war vorauszusehen. Wer unter ihnen lebte, mußte es voraussagen.
Das Volk war zermürbt durch fast ein Jahrzehnt Kriegszustand. Drei
Kriege hatte es hintereinander bestehen müssen, die ihm Viele seiner
Besten gekostet hatten. Das ganze bulgarische Heer war kriegsmüde.
Kaum klammerte es sich noch an die alten mazedonischen Traditionen und
Hoffnungen. Die Kraft versagte, die Organisation versagte, Nachschub
und Verpflegung versagten. Als der Hunger an der Front nagte, versagten
auch die Verbündeten; auf die Türken und Österreicher war schon längst
kein Verlaß mehr.

Nun hatten noch wir, diejenigen ihrer Verbündeten, die bis jetzt sie
gestützt und versorgt hatten, sie im Stich gelassen. Die ungeheueren
Kämpfe an der Westfront hatten die oberste Heeresleitung gezwungen
ein Regiment nach dem anderen, eine Batterie nach der anderen von
der mazedonischen Front wegzunehmen. Schließlich waren nur noch die
Spezialwaffen übrig geblieben.

Da hatten die Feinde gegen die zermürbte Front einen energischen Stoß
gerichtet, waren durch einsame Wälder und Gebirge von dem Gebiet der
Dudica durch die Marianska Planina und die Ketten südlich Drenovo
unbemerkt bis _Demirkapu_ vorgestoßen und hatten damit mit einem Schlag
die ganze Front aufgerollt. Die Wardarfroht war abgeschnitten, die
einzige normale Rückzugslinie bedroht.

Als ich in Nisch anlangte erfuhr ich, daß schon Veles genommen
und Üsküb bedroht sei. Nun galt es auch für mich, zu retten, was
zu retten war. Schon hatte ich telephonisch und telegraphisch
Verbindung mit meinen Mitarbeitern erzielt. Mein Eigentum,
Sammlungen, Laboratoriumsausrüstung war gerettet, meine Leute alle in
Sicherheit. Allmählich sammelten sie sich um mich; Kisten und Koffer
langten mit den verschiedensten Transportmethoden in Nisch an. Das
Heerespferdedepot, meine freundlichen Nachbarn auf dem Zitadellenberg
in Üsküb, hatten mit all dem ihrigen auch mein Laboratorium gerettet.

Nun galt es selbst mit all diesen Dingen aus dem Wirrwar, das sich nun
entwickelte, nordwärts zu entrinnen. Die Stäbe rückten an, brauchten
alle Quartiere und allen Raum. Für uns und unsere Schätze war kein
Platz mehr. So war man froh, uns mit einem leeren Güterwaggon zufrieden
zu stellen; den ließ ich in der Folge an alle möglichen Güter- und
Personenzüge anhängen und fuhr so langsam durch Serbien nordwärts
und sammelte unterwegs allmählich Menschen und Besitztümer der
mazedonischen Forschungskommission auf.

Es waren noch qualvolle Tage, die ich in _Paracin_ und schließlich
in _Semendria_ verbrachte, immer wartend auf Menschen, eintreffende
Sammlungen, Instrumente und vor allem auf die mit Spannung erwarteten
Nachrichten von Freund und Feind. Immer weiter verschob sich die Front,
die gehalten werden sollte, nach Norden. An einem Ort nach dem anderen
sausten die Autos der hohen Stäbe weiter nordwärts an uns vorbei.

Mein Bursche, meine Präparatoren, Prof. _Müller_, Dr. _Nachtsheim_,
langten bei mir an, oder kamen für kurze oder längere Zeit mit mir
zusammen. So erhielt ich nach und nach Nachrichten von den befreundeten
Abteilungen. Ich hörte vom _Hain Mamre_ und den Truppen der dortigen
Front, daß sie nach Osten ausgebogen seien und nach Zerstörung
wichtiger Vorräte durch Bulgarien nordwärts strebten. Hauptmann
_Jungmann_ kam kurz vor der Besetzung noch aus Veles heraus; ich war in
Semendria mit ihm beisammen, wo er eine Kiste mit Säugetierfossilien
noch unter dem Arm trug, die er gerettet hatte.

Ein Rest unserer Armee bei _Prilep_ und am _Ochridasee_ hatte sich
westwärts wenden müssen und schlug sich durch Albanien ans Adriatische
Meer durch und kam über Fiume nach Ungarn. Mein Bursche war noch im
verlassenen Üsküb gewesen, der Pionierpark in Hudova, die großen
Magazine in Gradzko waren in die Hände der Feinde gefallen.

Ach, was war da zerstört und vernichtet; wie lag man am Boden nach all
den Träumen, mit denen man einst südwärts gezogen. Da galt es den Kopf
aufrecht zu halten. Und ich mit meinen Leuten hatte alles Recht dazu.
Alles wirklich Wesentliche von unseren Resultaten, ja sogar der größte
Teil der Ausrüstung war gerettet. Fast alle Sammlungen waren schon in
der Heimat, vieles rollte auf dem Wege dorthin oder war unter meiner
Obhut. So galt es jetzt mit Energie diese Schätze noch über die Donau
zu bringen. Dann hatte man seine Pflicht erfüllt, hatte sich in die
Heimat zu begeben und dort neuer Aufgaben zu harren.

Als alles gerettet war, alle Sammlungen in der Heimat angelangt,
gesichert und geordnet waren, da galt es für jeden einzelnen der
Mitglieder der Forschungskommission in seine Stellung und Pflichten
als Staatsbürger wieder einzutreten. Jeder hatte zu arbeiten, um im
Land nach der Niederlage und den Wirren der Revolution wieder Ordnung
schaffen zu helfen.

Trotz der gehäuften beruflichen Arbeit, trotz der schwierigen
Lebensverhältnisse, trotz der Last, die vor allem auf der Seele all
der beteiligten Männer lastete, gelang es doch in den zwei seit der
Niederlage verflossenen Jahren einen guten Teil unserer Resultate
zu verarbeiten. Manches davon ist in den Kapiteln dieses Buchs
niedergelegt.

Niemals ist es natürlich in einer so kurzen Zeit möglich, die
wissenschaftlichen Ergebnisse reicher Sammlungen und vieler Tagebücher,
vieler Beobachtungen und Gedankenarbeit in abgeschlossenem Zustand zu
überliefern. Noch manches Jahr mag darüber hingehen, bis alle Resultate
der verschiedenen Forscher, die teils in dem fernen Lande mitgearbeitet
haben, teils an unseren Sammlungen als Bearbeiter einzelner Gruppen und
Probleme mitwirken, fertig vorliegen.

Ein Buch, wie das vorliegende, soll mit seinem vorläufigen Ergebnis ein
Zeugnis davon ablegen, wie in dem zerstörenden Krieg aufbauende Arbeit
mit Hilfe der Armee geleistet wurde. Es soll ein bisher unbekanntes
Land, einen weißen Fleck auf der Karte Europas dem Verständnis unseres
Volkes näher führen und zeigen, was dort für alle Zweige unseres
Wissens und unserer Kultur noch zu suchen ist.

Und so schließe ich dies Buch in dankbarer Gesinnung gegen alle, welche
mir zur Erreichung meiner Ziele in Mazedonien Hilfe geleistet haben.
Wie viele Namen durfte ich in diesem Band nennen von Heerführern,
Offizieren, Mannschaften, von Kollegen und Mitarbeitern, von Deutschen,
Österreichern, Bulgaren, die mithalfen, all das auszuführen, was in
diesem Buch beschrieben ist. Ihnen allen sei mein Dank ausgesprochen
und die Hoffnung, daß der Inhalt des Bandes ihnen schöne, wertvolle
Erinnerungen an das farbige, eigenartige Land Mazedonien erwecke.



ANMERKUNGEN ZU DEN KAPITELN.


=Anmerkungen zum 1. und 2. Kapitel.=

=Frühling in Mazedonien und Kaluckova und das Forscherhaus.=

=Pflanzen bei Kaluckova.=

  Thymian +Thymus lanuginosus+ Mill.
  Kamille +Anthemis austriaca+ Jacq.
  Rosa Cistrose +Cistus villosus+ L.
  Strohblume +Xeranthemum annuum+ L.
  Labkraut +Galium verum+ L.
                  { +Silene racemosa+ Otte.
  Lichtnelken     { +Lychnis coronaria+ Lam.
  Goldklee +Trifolium campestre+ Schreb.
  Rote Wicke +Vicia tenuifolia+ Roth.
  Gelbe Schafgarbe +Achillea coarctata+ Schreb.
  Großes Zittergras +Briza maxima+ L.
  Diptam +Dictamnus albus+ L. var. +macedonicus+ Borb.
  Aronsstab +Dracunculus vulgaris+ Schott.
  Stacheleiche +Quercus coccifera+ L.
                               { +Quercus macedonica+ L.
                               { +Quercus pubescens+ L.
  Weichblätterige Eichen       { +Quercus lanuginosa+ Lam.
                               { +Quercus conferta+ WK.
  Esche +Ornus fraxinus+ L.
  Judendorn +Paliurus spina cristi+ Miller.
  Flockenblume, rot +Centaurea scabiosa+ St. +Jurinea sp.+
  Rittersporn +Delphinium consolida+ var. +micranthum+ Boas.


=Anmerkungen zum 3. Kapitel.=

=Pflanzen der Ebene von Hudova.=

  Große, gelbe Wolfsmilchart +Euphorbia virgata+ WK.
  Rote Wicke +Vicia tenuifolia+ Roth.
  Heckenrose +Rosa canina+ L.
  Dort Urform der Gartenhyazinthe +Hyacinthus orientalis+ L.
  Kornblume +Centaurea cyanus+ L.
  Roter Mohn +Papaver rhoeas+ L.

Bockkäfer.

  +Clytus ornatus+ Herbst.
  +Cl. rhamni+ Germ.
  +Argalia punctata+ L.
  +Stromatium unicolor+ Oliv.
  +Agapanthia cynarae+ Germ.
  +Cerambys miles+ Bon.
  +C. cerdo+ L.
  +C. coronatus+ Kust.
  +Morimus funereus+ Mals.
  +Aromia moschata+ L.
  +Clytus floralis+ Pall.
  +Purpurica badensis+ Götze.

Ich erwähnte in den Kapiteln 2 und 3 den großen Reichtum an Asiliden
(Raubfliegen) im Frühling.

Ich füge hier eine Liste der auffälligsten Formen bei, deren Bestimmung
ich Herrn _Engel_, München verdanke.

  +Dymachus fuscipennis+ Mg., Üsküb, Kaluckova.
  +Stichopogon scaliger+ Lw., Prilep.
  +Protophanes punctatus+ Mg., Wodno.
  +Heligmon munda+ Lw., Mrawinca.
  +Entolmus setibarbus+ Lw., Kaluckova.
  +Andrenosoma maroccanum+ Stip., Kaluckova, Plaguša Planina.
  +Laphria flava+ L., Gopes.
  +Stenopogon sabandris+, Üsküb.
  +St. elongatus+ Mg., Kaluckova.
  +St. coracinus+ Lw., Üsküb, Kaluckova, Piravo.
  +Asilus crabroniformis+ L., Lisec.
  +Promachus leoninus+ Lw., Doiransee.
  +Dysmachus bimucronatus+ Lw., Mala Rupa, Üsküb.


=Anmerkungen zum 4. Kapitel.=

=Mravinca und sein Feldlazarett.=

Die große _Libellensammlung_ ist noch nicht durchgearbeitet und daher
sind von den meisten Libellenarten noch keine genauen Namen angegeben.
Die Bearbeitung liegt in den Händen von Dr. _Ris_, Rheinau (Schweiz).

Die _Rhynchoten_ werden von Dr. _Schumacher_, Berlin bearbeitet.
Ein Teil ist schon bestimmt. Auch sonst liegen von _Schumacher_
Publikationen über Balkanrhynchoten vor.

Die Fische sind von Prof. Dr. _Zugmayer_, München bestimmt.

Die reiche Sammlung von Mollusken ist noch unbearbeitet; sie befindet
sich in den Händen von _K. Hesse_, Venedig.


=Anmerkungen zum 5. Kapitel.=

=Plaguša Planina.=

=1. Vögel.=

  Kuckuck +Cuculus canorus canorus+ L.
  Nachtigall +Aēdon megarhynchos megarhynchos+ Brehm.
  Haubenlercbe, Balkanhaubenlerche +Galerida cristata meridionalis+ Brehm.
  Feldlerche, südeuropäische +Alauda arvensis cantarella+ Bp.
  Feldsperling +Passer montanus montanus+ L.
  Turteltaube +Streptoptila turtur turtur+ L.
  Zaungrasmücke +Sylvia curruca curruca+ L.

Vgl. _E. Stresemann_, Avifauna macedonica. München 1920.

=Pflanzen.=

Häufige Büsche.

  +Helianthemum vulgare+ L., bei uns in Gärten.
  Blasenstrauch +Colutea arborescens+ L.
  Salbei mit violetten Hochblättern +Salvia sclarea+ L.
  Pfingstrose +Paeonia decora+ Anders.
  Natternkopf +Echium italicum+ L.
  Weißdorn +Crataegus oxyacantha+ L.
  Buschbildender Ehrenpreis +Veronica austriaca+ L.
  Königskerze +Verbascum pulverulentum+ M. B.
  Frauenmantel +Alchemilla acutiloba+ Stev.

Bäume.

  Platane +Platanus orientalis+ L.
  Feldahorn +Acer campestre+ L.
  Hainbuche +Carpinus duinensis+ Scop.
  Silberlinde +Tilia tomentosa+ Monsch.
  Türkischer Haselbaum +Corylus colurna+ L.
  Birke +Betula pubescens+ Ehrh.


=Anmerkungen zum 6. Kapitel.=

=Nikolatal.=

Pflanzen.

  Platane +Platanus orientalis+ L.
  Feldahorn +Acer campestre+ L.
  Hainbuche +Carpinus duinensis+ Scop.
  Sanddorn +Hippophaë rhamnoides+ L.
  Silberlinde +Tilia tomentosa+ Monsch.
  Türkischer Haselbaum +Corylus colurna+ L.
  Eichenarten { +Quercus macedonica+ L.
              { +Quercus pubescens+ L.
  Wachholder +Juniperus communis+ L.
  Weißdorn +Crataegus oxyacantha+ L.
  Salbei +Salvia sclarea+ L.
  Heckenrose +Rosa canina+ L.
  Johanniskraut +Hypericum olympicum+ L.
  Rote Skabiose +Knautia macedonica+ Grieseb.
  Weiße Lilie +Lilium candidum+ L.
  Esche +Ornus fraxinus+ L.
  Orchidee +Himantoglossum caprinum+ M. B.


=Anmerkungen zum 7. Kapitel.=

=Fahrt in die Mala Rupa.=

=1. Pflanzen aus der unteren Region.=

  Tausendguldenkraut +Erythraea centaureum+ Pers.
  Hornkraut +Stellaria holostea+ L.
  Walderdbeeren +Fragraria vesca+ L.
  Kriechender Wachholder +Juniperus nana+ Willd.

=2. Pflanzen aus der alpinen Region.=

  Weißtanne +Abies alba+ Mill.
  Birke +Betula pubescens+ Ehrh.
  +Viola orphanites+ Boas.
  +Sempervivum batens+ Grieseb.
  Nelke +Dianthus silvestris+ Wulf.
  Erika +Bruckenthalia spiculifolia+ Salisb.
  Taubenkopf +Silene venosa+ Asch.
  Kriechender Günsel +Ajuga genevensis+ L.
  Gundermann +Glechoma hirsuta+ W. K.
  Weißes Galium +Galium mollugo+ L.
  +Achillea millefolium.+
  Weiße Kornblume +Centaurea orbelica+ Wel.
  +Lamium striatum+ S. S.
  Habichtskraut mit wolligen Blättern +Hieracium pannosum+.
  Kleine dunkelrote Rose +Rosa orientalis+.

=3. Schmetterlinge.=

Die _Parnassius_-Art und die _Mnemosyne_ konnten noch nicht sicher als
Unterarten benannt werden.

  +Erebia tyndarus balcanica+ Reb.
  +E. euryale+ Erp.
  +E. medusa+ F.
  +E. melas herzegowinensis+ Schar.
  +Coenonympha arcania+, welche bei uns in der Ebene fliegt,
    in der Mala Rupa Gebirgsschmetterling.
  +Lycaena argus+ L.
  +L. semiargus+ Rott.
  +L. meleager+ Gip. in Koinsko.
  +L. arion obscura+ Frey. in 2600 m.

=4. Vögel.=

  Buchfink +Fringilla coelebs coelebs+ L.
  Kleiber +Sitta europaea caesia+ Wolf.
  Kohlmeise +Parus major major+ L.
  Amsel +Turdus merula aterrimus+ Med.
  Singdrossel +Turdus musicus+ L.
  Pirol +Oriolus oriolus oriolus+ L.
  Häher +Garrulus glandarius glandarius+ L.


=Anmerkungen zum 8. Kapitel.=

=Regenwürmer und Ackererde in Mazedonien.=

Die in diesem Kapitel erwähnten Regenwürmer wurden von Prof. Dr. H.
_Ude_, Hannover bestimmt.

_Zitierte Werke_:

  _Ch. Darwin_, Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit
                der Würmer. Stuttgart 1899.
  _Hensen._
  _Michaelsen_, Oligochaeta, 10. Lief. des Tierreichs. Berlin 1900.


=Anmerkungen zum 9. Kapitel.=

=Das geliebte Veles.=

Bei Veles und in den Schluchten kommen von _Käfern_ folgende Formen in
großen Mengen vor:

  +Anomala bicolor+ var. +dichroa+ Reit.
  +Amphicoma vulpes+ Fabr. in orangegelber Form.
  +Dorcadion lineatocolle+ Kraatz.

Von _Dipteren_ die Bombyliden

  +Bombylius fuliginosus+ Wd.
  +B. discolor+ M. Km.
  +B. analis+ Pb., auf S. 138 abgebildet.

Von _Schmetterlingen_ sind hervorzuheben

  +Papilio alexanor+ Esp.
  +Euchloë groni+ H. S.
  +E. cardamines+ L.
  +Argynnis latonia+ L.
  +A. aglaia+ L.
  +A. niobe f. eris+ Mg.
  +A. pandora+ Schiff.
  +Satyrus anthelea amalthea+ Fried.
  +Lycaena cyllarus.+
  +Allopea thaumas+ Hufn.
  +A. lineola+ Ochs.


=Anmerkungen zum 10. Kapitel.=

=Am Doiransee.=

Von Dipteren sind die Stratiomyiden

  +Lasiopa tenuirostris+ Loew.,
  +Stratiomyia erythrocera+ Egger,

von Käfern die Bostrychide

  +Capnosa tenebriosa+ Sal.

Die Chironomiden sind noch nicht bearbeitet.


=Anmerkungen zum 11. Kapitel.=

=Die mazedonischen Ameisen und ihre Bauten.=

Eine ausführlichere Arbeit über die mazedonischen Ameisen ist vom
Verfasser veröffentlicht unter dem Titel:

_F. Doflein: Mazedonische Ameisen._ Beobachtungen über ihre
Lebensweise. Jena 1920, Gustav Fischer.


=Anmerkungen zum 12. Kapitel.=

=Schluchten des Balkan.=

Deutsche Schmetterlinge.

  Großer und kleiner Fuchs +Vanessa urticae+ L. und
  +V. polychloros+ L.
  Tagpfauenauge +Vanessa Jo.+ L., das weiße C. +V. C. album+ L.
  Distelfalter +Vanessa cardui+ L.
  Weißlinge: +Pieris brassicae+ L. der große Kohlweißling, +P. rapae+
             L. der Rübenweißling, +P. rapi+ L. Grünader,
             +P. daplidice+ L. der Resedafalter

Wasserwanzen aus den Schluchten.

  +Hydrometra stagnorum.+
  +Velia rivulorum.+
  +Limnotrechus lateralis.+
  +Limnotrechus lateralis+ var. +costae+.
  +Nepa cinerea.+
  +Notonecta glauca+ var. +furcata+.
  +Corixa striata.+

Die gleichen Arten kommen in den meisten Schluchten vor.


=Anmerkungen zum 13. Kapitel.=

=Im Hain Mamre.=

Von _Käfern_ sind hervorzuheben

  +Cerambyx cerdo+ L.
  +Leptura moesiaca+ Dan.
  +Trichius gallicus+ Herr.
  +Dorcadion lugubris+ Kraatz.
  +Chlorophanus axinus+ Fabr.
  +Rhynchita hungarica+ Neb.

Von _Schmetterlingen_ war sehr häufig

  +Lycaena icarus+ L.

Im Hain nicht selten

  +Catocala nymphagoga+ H. S.

Über die europäischen Termiten findet sich Näheres in:

    _Escherich, K._, Die Termiten oder weißen Ameisen. Eine biologische
    Studie. Leipzig 1909.

Am ausführlichsten in:

    _Grassi_, B. e _Sandias_, A., Costituzione e sviloppo della società
    dei Termitidi. Catania 1893, Topografia Galatola.


=Anmerkungen zum 14. Kapitel.=

=Die Expedition in den Schardakh.=

Über die Flora des Schardakh finden sich ausführliche Darstellungen in:

_A. Griesebach_, Reise durch Rumelien und nach Brussa im Jahre 1839.
Göttingen 1841, Vandenhoek und Ruprecht.


=Anmerkungen zum 15. Kapitel.=

=Die Bevölkerung Mazedoniens.=

Es gibt wenig wirklich zuverlässige Literatur über die Verteilung der
Bevölkerung Mazedoniens. Die serbischen und bulgarischen Schriften sind
fast stets national gefärbt und daher parteiisch.


=Anmerkungen zum 16. Kapitel.=

=Üsküb als Standquartier.=

Von historischen Daten, welche Üsküb und Mazedonien angehen, wurden
im Führer für den Hochschulkurs in Üsküb (25. März bis 6. April 1916)
folgendes angegeben:

  359-336 v. Chr. Philipp II. König von Mazedonien.
  336-323 Alexander der Große.
  146 Mazedonien römische Provinz. Skupi Mittelpunkt
      der _dardanischen_ Provinz.
  323-337 =n. Chr.= Konstantin der Große (geb. in Nisch).
  395 Gründung des oströmischen (byzantinischen) Reiches.
  527-565 Justinian I. (geb. in Taor bei Selenikovo).
  7. Jahrhundert Einfall der Slaven in Mazedonien.
  679 Gründung des bulgarischen Reiches unter Isperich
      (auch Asparuch genannt). Allmähliche Ausdehnung auf Mazedonien.
  907-929 größte Ausdehnung des bulgarischen Reiches unter Zar Simeon.
  1019 Mazedonien kommt unter die Herrschaft von Byzanz.
  Seit 1026 Verfall des byzantinischen Reiches.
  1205 Mazedonien kommt zu dem neuen Bulgarenreich;
       dessen höchste Blüte unter Zar Asen II. (1218-41).
  1331 Mazedonien unter Serbien; dessen höchste Blüte unter
       Zar Stefan Duschan (1331-55), Üsküb dessen Hauptstadt.
  1371 Einfall der Türken in Mazedonien.
  1389 Sieg der Türken unter Murad I. über die Serben auf dem Amselfelde.
  1375-1912 türkische Herrschaft über die Slavenstaaten
       des Zentralbalkan und damit über Mazedonien.
  1912 I. Balkankrieg. Sieg der Serben über die Türken bei Kumanovo.
       Besetzung von Üsküb durch die Serben 24. Okt. 1912.
  1913 II. Balkankrieg. Vertreibung der Bulgaren aus Mazedonien nach
       der Schlacht an der Bregalnitza 8. Juli 1913.
  25. Okt. 1915 die Bulgaren rücken in Üsküb ein.
  1915-1918 Mazedonien unter bulgarischer Verwaltung.
  Sept. 1918 Üsküb von Ententetruppen besetzt und seither
        wieder serbisch.


=Anmerkungen zum 17. Kapitel.=

=Die Bulgaren in Mazedonien.=

=und zum 18. Kapitel.=

=Der Tschifflik von Bardowce.=

Wichtigste allgemeine Literatur über Mazedonien.

_Ami Boué_, La Turquie d'Europe. Paris 1840. Herausgegeben von der
Boué-Stiftungskommission. Wien 1889.

_v. d. Goltz, C._, Ein Ausflug nach Mazedonien. Berlin 1894. R. v.
Deckers Verlag, O. Schenck (enthält eine Liste älterer Literatur).

_Mazedonien._ Ein Erinnerungswerk für die Mitkämpfer auf dem
mazedonischen Kriegsschauplatz. Herausgegeben vom Armee-Oberkommando
der XI. Armee. Berlin 1918, Dietrich Reimer.

_Kaßner, K._, Bulgarien, Land und Leute. Bibliothek des Ostens, Bd. II.
Leipzig 1916, Werner Klinkhardt.

_Ischirkoff_, Bulgarien, Land und Leute. Bulgarische Bibliothek I.
Leipzig 1916, Iwan Parlapanoff.


=Anmerkungen zum 19. Kapitel.=

=Beobachtungen an mazedonischen Spinnen.=

Die Bestimmungen der mazedonischen Spinnen wurden durch Dr. _Roewer_,
Bremen durchgeführt.


=Anmerkungen zum 23. Kapitel.=

=Der Wodno.=

=Pflanzen vom _Wodno_.=

  Fettkraut +Sedum acre+ L. var. +sartorianum+ L.


=Anmerkungen zum 24. Kapitel.=

=Neresi.=

Zu dem archäologischen und kunstgeschichtlichen Inhalt dieses Kapitels
sowie des 29. Kapitels über Prilep und des 38. über Ochrida lieferten
Material:

    1. _Strzygowski, J._, Die bildende Kunst des Ostens in: Bibliothek
    des Ostens, Bd. III. Leipzig 1916, Werner Klinkhardt.

    2. _Filow, B. D._, Die altbulgarische Kunst. Bern 1919, Paul Haupt,
    Akademische Buchhandlung vorm. Max Drechsel.


=Anmerkungen zum 25. Kapitel.=

=Bienen Mazedoniens.=

Die Bearbeitung der von mir gesammelten Bienen Mazedoniens durch Dr.
_Friese_, Schwerin erscheint in den Zoologischen Jahrbüchern, Abteilung
für Systematik.


=Anmerkungen zum 26. Kapitel.=

=Die Erforschung der Golesniza Planina.=

=Hummelarten der Hochregion oberhalb des Waldes.=

  +Bombus terrestris+ var. +lucorum+ L., Lisec, Pepelak, Begova.
  +B. machrocatus+ Gerst.
  +B. pratorum+ L., Lisec.
  +B. soroensis+ F., Lisec.
  +B. derhamellus+ K.
  +B. lapidarius+ L.
  +B. muscorum+ F.
  +B. hypnorum+ L.
  +B. agrorum+ F.

Eine monographische Darstellung der Expedition in die Golesniza Planina
durch Geologen, Botaniker und Zoologen ist von Dr. _Gripp_, Prof.
_Bornmüller_, Prof. _Doflein_ und Dr. _Nachtsheim_ geplant.


=Anmerkungen zum 28. Kapitel.=

=Klima und Seuchen in Mazedonien.=

Die wichtigsten von mir in Mazedonien beobachteten Bremsen (Tabaniden)
sind folgende:

  +Tabanus graecus+ Fb., Nikolatal, Plaguša Planina, Lisec.
  +T. gigas+ Hbst., Markova.
  +T. ater+ Rossi, Topolkaschlucht.
  +T. bifarius+ Lw., Prespasee.
  +T. tergestinus+ Ess., Mala Rupa.
  +T. auripilus+ v. +aterrimus+ Mg., Lisec.
  +T. umbrinus+ Mg., Demir Kapu, Doiransee.
  +T. spadopterus+ Mg., Nikolatal.
  +T. autumnalis+ L., Kaluckova.
  +Haematopota pluvialis+ L., Kaluckova.


=Anmerkungen zum 29. Kapitel.=

=Prilep und seine Pässe.=

=Mazedonische Wachholderarten.=

  1. +Juniperus communis+ L.
  2. +J. excelsa+ M. B.
  3. +J. nana+ Willd.


=Anmerkungen zum 30. Kapitel.=

=Ameisenlöwen.=

Die Arbeit des Verfassers über den deutschen Ameisenlöwen ist:

    _Der Ameisenlöwe._ Eine biologische, tierpsychologische und
    reflexbiologische Untersuchung, Jena 1916, Gustav Fischer.


=Anmerkungen zum 31. und 32. Kapitel.=

=Krusevo als Aromunenstadt und Gopes.=

Außerordentlich wichtig zur Kenntnis der romanisch sprechenden Völker
des Balkans ist das Werk

_Weigand_, Die Aromunen.


=Anmerkungen zum 32. Kapitel=

=Gopes.=

Von +Melitaea didyma+ kommt bei Gopes die nördliche Form vor, während
bei Kaluckova die südliche flog. +Melitaea athalia mehadiensis+ Gah.,
welche bei Gopes und am Lisec gefangen wurde, ist eine Gebirgsform.
Dort flog auch +Pararge roxellana+ Kr. und +Cephyrus rubi+ L., die
unten fehlten. Von Lycaenen +L. meleager+ Erp. und +L. amandus+ Schn.


=Anmerkungen zum 33. Kapitel.=

=Mazedonischer Sommer.=

=Sommerpflanzen.=

  Flockenblumen +Centaurea scabiosa+ L.
                +Jurinea+ Sp.
  Rittersporn +Delphinium consolida+ var. +micranthum+ Boas.
  Disteln +Carduus leiophyllus+ Petr.
          +Silybum marianum+ L.
  Königskerzen +Verbascum pulverulentum+ M. B.
  Natternkopf +Echium italicum+ L.


=Anmerkungen zum 34. Kapitel.=

=Der Peristeri.=

Pflanzen aus der Matten- und Alpenregion des _Peristeri_ sind von
_Griesebach_ 1839 in seinem Buch über Rumelien beschrieben. Vgl.
Anmerkung zum 14. Kapitel.

Neue Veröffentlichungen über die Flora Mazedoniens sind von Prof.
_Bornmüller_, Weimar zu erwarten.


=Anmerkungen zum 35. Kapitel.=

=Am Prespasee.=

=Bienen am Prespasee.=

  +Halictus sexcinctus+ F.
  +H. tetragonicus.+
  +H. morbillosus+, Kriechbiene, rein östl. Art. Ungarn bis weit nach
    Kleinasien.
  +H. leucozonius+ K.
  +H. albipes+ Sm.
  +H. malachurus+ K.
  +H. maculatus+ Sm.
  +H. minutus+ K.
  +Andrena carbonaria+ Scop., 2. Gen.
  +Melitta melanura+ var. +nigrohirta+ Alfk.

Alle am 22. August 1917 gefangen.


=Anmerkungen zum 36. Kapitel.=

=Ritt über den Tomoros.=

Da auf dem Tomoros noch kaum gesammelt wurde, will ich eine etwas
reichere Liste von Insektenvorkommen hier einfügen.

=Käfer.=

  +Cerambyx cerdo+ L.
  +Proceros gigas+ L.
  +Cetonia aurata+ var. +tunicta+ Reit.
                   var. +viridiventris+ Reit.
  +Rosalia alpina+ L.


=Dipteren.=

  +Phthiria paedii+ Mg.

=Schmetterlinge.=

  +Melanargia larissa+ vic. +taurica+.
  +Satyrus hermione+ L.
  +S. briseis maior+ Obthr. (südliches Tier)
  +S. actaea cordula+ Fabr.
  +Epinephele lycaon+ Rot.
  +Thecla spini+ Schiff.
  +Th. ilicis+ Esp.
  +Cephyrus quercus+ L.
  +Lycaena argus+ L.
  +L. astrarche+ Bgrtr.
  +L. admeta+ Erp.
  +Hesperia cinare+ Rbr.
  +Carcharodus altheae+ Hb.

=Bienen.=

  +Chalicodoma lefeburei+ var. +tristis+ Friese.
  +Bombus soroensis+ F.
  +B. agrorum+ J. var. +obscuriventris+ Friese.
  +B. pomorum+ L.
  +B. hortensis+ L.
  +Dasypoda pyrotricha+ var. +nigra nov.+ var. Friese.


=Anmerkungen zum 37. Kapitel.=

=Wirbeltiere Mazedoniens.=

Liste der mazedonischen Amphibien und Reptilien, welche von den
Mitgliedern der mazedonischen landeskundlichen Kommission und ihren
Helfern 1917 und 1918 beobachtet wurden.

=Batrachia salientia.=

  +Rana ridibunda+ Pall., Seefrosch, Lachfrosch.
  +R. temporaria+ L., Taufrosch.
  +R. graeca+ Blgr., griechischer Braunfrosch.
  +R. agilis+ Thom., Springfrosch.
  +Bufo viridis+ Laur., Wechselkröte.
  +B. vulgaris+ Laur., Erdkröte.
  +Hyla arborea+ L., Laubfrosch.
  +Bombinator pachypus+ Bonap., gelbbäuchige Unke.

=Batrachia gradientia.=

  +Salamandra maculosa+ Laur., Erdsalamander.
  +Molge cristata cristata+ Laur., Kammolch.
  +M. vulgaris graeca+ Wolterstorff, griechischer Teichmolch.

(+M. vulgaris graeca+ wurde von Prof. _Müller_ bei Veles in einer
Zwergform gefangen. Ob er überhaupt nur in dieser Form in Mazedonien
vorkommt, konnte er nicht ermitteln, da er ihn nur bei Veles fand.
Auffallend ist, daß von dem Kammolch eine mitteleuropäische und von dem
Teichmolch eine südöstliche Form in Mazedonien vorkommt.)

=Chelonia.=

  +Clemmys caspia rivulata+ Vol., kaspische Sumpfschildkröte
    (nur bei Mravinca gefunden, kommt auch im Doiransee vor, geht aber
    offenbar nicht nördlicher als Mravinca).
  +Emys orbicularis+ L., europäische Sumpfschildkröte.
  +Testudo graeca+ L. und +Testudo ibera+ Pall.

=Lacertilia.=

  +Gymnodactylus kotschyi+ Std., europäischer Nacktfinger (geht nicht
    über den Kessel von Hudova nach Norden hinaus).
  +Ophisaurus apus+ Pall., am Doiransee nicht selten, auch bei Hudova
    gefunden (Dr. _Fehringer_ leg.).
  +Anguis fragilis+ L., im Nikolatal, sonst nur in höheren Lagen.
  +Lacerta viridis+ Laur., kleine Smaragdeidechse.
  +L. major+ Blgr., große Smaragdeidechse.
  +L. agilis agilis+ L., Zauneidechse.
  +L. taurica+ Pall., taurische Eidechse.
  +L. muralis muralis+ Laur., Mauereidechse.

+L. muralis+ sowie +L. viridis+ leben erst von etwa 600 m an. +L.
viridis+ geht ausnahmsweise in kühlen feuchten Tälern (Nikolatal) bis
zum Wardar.

    +L. vivipara+ Jacqu., Bergeidechse.
    +L. milensis maz.+ var. Überall in tiefen wie in höheren Lagen.
    Lebt in einzelnen Stücken, z. B. auf dem Malarupa-Gipfel.
    +Ablepharus pannonicus+. In einem Exemplar bei Han Abdipasa
    gefangen. Angeblich auch bei Gopes beobachtet.

=Ophidia.=

  +Typhlops vermicularis+ Merr., ein Exemplar vom Doiransee
    (_Burgeff_ leg.).
  +Eryx jaculus+ L., zwei Exemplare vom Doiransee (_Burgeff_ leg.).
  +Tropidonotus natrix persa+ Pall., Streifenringelnatter.
  +Tr. tessellatus+ Laur., Würfelnatter.
  +Zamenis caspius+ Iwan., Balkennatter.
  +Coluber leopardinus leopardinus+ Bonap., Leopardnatter.
  +C. quatuorlineatus quatuorlineatus+ Lacep., Vierstreifennatter.
  +C. longissimus+ Laur., Äskulapnatter (Dr. _Sternfeld_ leg.).
  +Coronella austriaca+ Laur., Glattnatter. Nur im Gebirge
    (Malarupa, Golesniza).
  +Tarbophis fallax+ Fleischm., Katzenschlange.
  +Coelopeltis monspessulana+ Herm., Eidechsennatter.
  +Vipera macrops+ Méhely, Großaugenviper.
  +V. berus+ L., Kreuzotter. Nur auf der Golesniza gefangen.
  +V. ammodytes+ L., Sandotter.

=Fische=, welche von der mazedonisch-landeskundlichen Kommission im
Jahre 1917 und 1918 beobachtet wurden (5 Familien, 14 Gattungen, 20
Arten).

  =+Anguillidae+=   +Anguilla fluviatilis+ Ag., Ochridasee.
  =+Cottidae+=      +Cottus ferrugineus+ H. & K., Wardar.
  =+Salmonidae+=    +Salmo dentex+ Heck., Wardar.
                     „   +obtusirostris+ Heck., Ochridasee.
  =+Cobitidinae+=   +Cobitis elongata+ H. & K., Miletkovo.
                     „     +taenia+ L., Miletkovo.
  =+Cyprininae+=    +Cyprinus carpio+ L., Ochrida und Wardar.
                    +Squalius illyricus+ H. & K., Ochrida.
                     „      +dobula+ H., Ochrida.
                    +Barbus plebejus+ Val., Wardar, Nikola, Ochrida.
                    +Chondrostoma genei+ Bon., Wardar und Struga.
                     „        +phoxinus+ Heck., Ochrida.
                     „        +soetta+ H. & K., Ochrida.
                    +Phoxinus laevis+ Ag., Wardar.
                    +Aspius rapax+ Ag., Ochrida.
                    +Alburnus alborella+ H. & K., Struga und Wardar.
                     „    +scoranzoides+ H. & K., Struga und Wardar.
                    +Abramis melanops+ Heck., Wardar.
                    +Gobio vulgaris+ Cuv., Struga.
                    +Leuciscus adspersus+ Heck., Ochrida.

_Ochridasee_: +Anguilla fluviatilis, Salmo obtusirostris, Cyprinus
carpio, Squalius illyricus, Squ. dobula, Barbus plebejus, Chondrostoma
phoxinus, Ch. soetta, Aspius rapax, Leuciscus adspersus+.

_Wardar_: +Cottus ferrugineus, Salmo dentex, Cyprinus carpio, Barbus
plebejus, Chondrostoma genei, Phoxinus laevis, Alburnus alborella, A.
scoransoides+, Abramis melanops, Silurus glanis+ L.

_Andere Fundorte_: +Cobitis elongata, C. taenia, Gobio vulgaris+ (det.
_Zugmayer_ 1919).


Druck von Ant. Kämpfe, Jena.


Fußnoten:

[1] _F. Doflein_. Der Ameisenlöwe. Eine biologische, tierpsychologische
und reflexbiologische Untersuchung. Jena. Gustav Fischer 1916.



Anmerkungen zur Transkription:

Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die
Korrektur.

S. VIII

  Sechsunddreißigstes Kapitel: Ritt über den Tomoros 336
  Sechsunddreißigstes Kapitel: Ritt über den Tomoros 536

S. 20

  da flogen die Bienen unablässig ein nnd aus.
  da flogen die Bienen unablässig ein und aus.

S. 29

  Teils unter den Maulbeerbäumen, teils zwischen ihnen dehnten sicht
  Teils unter den Maulbeerbäumen, teils zwischen ihnen dehnten sich

S. 50

  Erscheinungen zeigten mir, das ich einen Sonnenstich erlitten hatte
  Erscheinungen zeigten mir, daß ich einen Sonnenstich erlitten hatte

S. 54

  ein Springbrunen von 10-20 m Höhe
  ein Springbrunnen von 10-20 m Höhe

S. 62

  Türke mit seinem primitiven Pflug beim Plügen eines Ackers
  Türke mit seinem primitiven Pflug beim Pflügen eines Ackers

S. 78

  SECHTES KAPITEL
  SECHSTES KAPITEL

S. 86

  Ich stieg durch ein flaches Nebental hinan, in welchem zwischem den
  Ich stieg durch ein flaches Nebental hinan, in welchem zwischen den

S. 116

  auffallenden Planzen
  auffallenden Pflanzen

S. 117

  den wir zur Hinfart benützt hatten
  den wir zur Hinfahrt benützt hatten

S. 206

  welche auffallend den berühmten Erdpyramiden bie Bozen glichen
  welche auffallend den berühmten Erdpyramiden bei Bozen glichen

S. 234

  eine prächtiges braunes Gemsenfell
  ein prächtiges braunes Gemsenfell

S. 239

  Von den Bläulingen erwähne ich +Lycaeaa damon+ Schiff.
  Von den Bläulingen erwähne ich +Lycaena damon+ Schiff.

S. 253

  ein gewisse Rolle als Dirne spielte,
  eine gewisse Rolle als Dirne spielte,

  aber auch von füchterlichen Eifersuchts
  aber auch von fürchterlichen Eifersuchts

S. 256

  zwei bulgarische Armeeen
  zwei bulgarische Armeen

S. 266

  Haus eines entlegenen Stadteiles ansehen.
  Haus eines entlegenen Stadtteiles ansehen.

S. 292

  und Repräsentationshaus des Herrn charakteristiert.
  und Repräsentationshaus des Herrn charakterisiert.

S. 315

  und langdauernden Anästhetien nach Skorpionsstichen berichtet.
  und langdauernden Anästhetien nach Skorpionstichen berichtet.

S. 317

  besondes in den Maulbeerpflanzungen.
  besonders in den Maulbeerpflanzungen.

S. 323

  Da noch viele andere wichtigen Elemente
  Da noch viele andere wichtige Elemente

S. 330

  Ardea pupurea
  Ardea purpurea

S. 339

  und gemeinütziges Überwintern
  und gemeinnütziges Überwintern

S. 348

  auf das Ausfliegen der Weibehen gewartet hatten.
  auf das Ausfliegen der Weibchen gewartet hatten.

S. 390, Abbildung

   BLICK ÜBER PEGELAK SÜD ZUR BEGOVA UND SOLUNSKA.
   BLICK ÜBER PEPELAK SÜD ZUR BEGOVA UND SOLUNSKA.

p. 412

  wuchsen auf den Wiesen schneeweise Blattrosetten
  wuchsen auf den Wiesen schneeweiße Blattrosetten

S. 436

  dieser Parasit durch bie Haut des Menschen
  dieser Parasit durch die Haut des Menschen

S. 479

  Fig. 239.
  Abb. 239.

S. 488

  In alle den Jahrhunderten
  In allen den Jahrhunderten

S. 495

  der diesmal beoachteten Arten,
  der diesmal beobachteten Arten,

S. 506

  Heusckrecken gehören zu Mazedonien
  Heuschrecken gehören zu Mazedonien

S. 511

  bald ragte das Sklelet
  bald ragte das Skelett

S. 528

  so ist bei den Pflanzen der Felsen ein charkteristischer Wohnort
  so ist bei den Pflanzen der Felsen ein charakteristischer Wohnort

S. 548

  Hervorheben möchte ich schließlich noch einmal in diesem Zusammmenhang
  Hervorheben möchte ich schließlich noch einmal in diesem Zusammenhang

S. 552

  Südliche Elemente unter den charakterisitschen Bewohnern
  Südliche Elemente unter den charakteristischen Bewohnern

S. 574

  und gerade angefangen uns norwärts zu fahren,
  und gerade angefangen uns nordwärts zu fahren,

S. 591

  C. longissinus Laur., Äskulapnatter
  C. longissimus Laur., Äskulapnatter


Errata

Abbildung 255 gibt es nicht.

S. 301: Abbildung 152 ist nicht numeriert.

Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält wie
das gelesen werden soll.

S. 582

  Pflanzen
  2. Pflanzen sein



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