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Title: Kulturgeschichte der Deutschen im Mittelalter
Author: Steinhausen, Georg
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


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    dargestellt=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.

[Illustration: EX·LIBRIS]



Wissenschaft und Bildung

Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens

Im Umfange von 150–180 Seiten

Geh. 1 M. · In Leinenband 1.25 M.


Die Sammlung bringt aus der Feder unserer berufensten Gelehrten
in anregender Darstellung und systematischer Vollständigkeit die
Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung aus allen Wissensgebieten. ::
:: :: ::

Sie will den Leser schnell und mühelos, ohne Fachkenntnisse
vorauszusetzen, in das Verständnis aktueller wissenschaftlicher
Fragen einführen, ihn in ständiger Fühlung mit den Fortschritten der
Wissenschaft halten und ihm so ermöglichen, seinen Bildungskreis
zu erweitern, vorhandene Kenntnisse zu vertiefen, sowie neue
Anregungen für die berufliche Tätigkeit zu gewinnen. Die Sammlung
»_Wissenschaft und Bildung_« will nicht nur dem Laien eine belehrende
und unterhaltende Lektüre, dem Fachmann eine bequeme Zusammenfassung,
sondern auch dem Gelehrten ein geeignetes Orientierungsmittel sein, der
gern zu einer gemeinverständlichen Darstellung greift, um sich in Kürze
über ein seiner Forschung ferner liegendes Gebiet zu unterrichten. Der
weitere Ausbau der Sammlung wird planmäßig durchgeführt. Abbildungen
werden den in sich abgeschlossenen und einzeln käuflichen Bändchen nach
Bedarf in sorgfältiger Auswahl beigegeben.

❀

Über die bisher erschienen Bändchen vergleiche den Anhang.



    Wissenschaft und Bildung

    Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens

    88

    Kulturgeschichte
    der Deutschen

    im Mittelalter

    Von

    Prof. ~Dr.~ Georg Steinhausen

    Bibliotheksdirektor in Cassel

    Zweite neubearbeitete Auflage.

    [Illustration]

    1916

    Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig



Alle Rechte vorbehalten.


    Altenburg
    Pierersche Hofbuchdruckerei
    Stephan Geibel & Co.



Inhaltsverzeichnis.


                                                                   Seite

    _Einleitung_: Kultur und Volkstum                                  1

    _Erstes Kapitel_: Zusammenstoß und erste Auseinandersetzung
        urdeutschen Wesens mit der Weltkultur                          3

    _Zweites Kapitel_: Erste Fortschritte deutschen Lebens im
        Rahmen deutscher Eigenart unter wachsender Führung
        der Herrenschicht (Ländlich-kriegerische Kultur)              21

    _Drittes Kapitel_: Die stärkere Durchdringung deutschen
        Lebens mit der antik-kirchlichen Kultur unter zunehmender
        Beeinflussung durch die Romanen: Aristokratisches
        Zeitalter                                                     58

    _Viertes Kapitel_: Ausbildung einer allgemeineren Laienkultur
        volkstümlichen Charakters: Bürgerlich-demokratisches
        Zeitalter                                                    113



Einleitung.

Kultur und Volkstum.


Eine nationale Kulturgeschichte muß vor anderen Gesichtspunkten
das Verhältnis von Kultur und Volkstum in den Vordergrund stellen.
Kaum einem Volke ist es beschieden gewesen, eine Kultur ganz aus
sich heraus zu entwickeln, am wenigsten aber den Völkern, die auf
jugendlich-barbarischer Entwicklungsstufe in den Bann der antiken,
d. h. der orientalisch-griechisch-römischen Weltkultur gerieten. Je
zäher und kräftiger das Volkstum, je ausgeprägter seine Eigenart ist,
um so schwieriger wird die Auseinandersetzung mit einer siegreichen
fremden, überragenden Kultur. Insbesondere ist das deutsche Volk
schwerer und später als andere Völker zu einem solchen Ausgleich und
damit zu einer einheitlichen höheren Kultur gelangt. Die Entwicklung
des Volkstums, dessen Wurzeln zu einem guten Teile in den natürlichen
Bedingungen des Bodens und des Klimas liegen, dem aber weiter durch
langdauernde wirtschaftliche und soziale Verhältnisse frühzeitlichen
Lebens ein Stempel für spätere Zeiten aufgedrückt wird, ist mit
jenem natürlichen Grundstock und den in frühester Zeit erworbenen
Zügen nicht abgeschlossen. Das Volkstum wird auch durch die äußere
Geschichte, durch die äußere politische Zusammenfassung selbst ganz
verschiedener Völkerteile, durch die Gemeinsamkeit der Geschicke
ebenso wie der kulturellen Verhältnisse in seiner Entwicklung infolge
der Neubildung gewisser Wesenszüge, der Änderung oder des Schwindens
anderer bestimmt[1]. Werden auf der einen Seite die fremden Elemente
höherer Kultur durch das Volkstum aufgenommen und verarbeitet, und
bewirkt die Verbindung beider Faktoren wie das Sichdurchsetzen des
Volkstums das Entstehen einer eigenen nationalen Kultur, so wird
wieder das Volkstum durch die angeeignete Kultur beeinflußt. Aber
der Verlauf der Auseinandersetzung wird eben mit dem größeren oder
geringeren ursprünglichen Abstand der beiden Faktoren, mit der
größeren oder geringeren Anpassungsfähigkeit des Volkes, mit der
größeren oder geringeren Neigung, seine Eigenart zu bewahren, ein
sehr verschiedener. Er kann überaus wechselvoll und mannigfaltig, im
einzelnen vielfach besonders charakteristisch werden. Und das ist bei
der Kulturentwicklung der Deutschen der Fall. Man versteht diese nicht,
wenn man nicht als bestimmende Faktoren die nationale Eigenart, das
bodenständige Volkstum mit seinen Anlagen, Trieben und alten Lebens-
und Kulturüberlieferungen einerseits und die sich auf alle Weise
durchsetzende Weltkultur, deren Eindringen auch wieder durch einen
jener zähkonservativen Art entgegengesetzten Trieb der Deutschen zu
höherer Kultur, durch einen überaus bezeichnenden Lerneifer gefördert
wird, andererseits ansieht. Wie das Verhältnis beider Faktoren den Gang
der Kulturentwicklung und seine größere oder geringere Schnelligkeit
bestimmt, wie aber aus diesem Verhältnis gerade auch die deutsche
Kultur der einzelnen Zeiten selbst als Ergebnis hervorgeht, das ist ein
Hauptgesichtspunkt der nachfolgenden Darstellung, die durchaus nicht
etwa einen Auszug aus meiner großen »Geschichte der Deutschen Kultur«
darstellt. Gerade die Geschichte der deutschen Kultur im Mittelalter
ist von jenem Gesichtspunkt aus besonders merkwürdig. Am Schluß des
Mittelalters war dann ein Ausgleich beider Faktoren bis zu einem
gewissen Grade erreicht. Aber mit dem Einbruch neuer Wellen der höheren
Kultur ergab sich ein neues Aus- und Nebeneinander, bis das bewußte
Streben nach höherer und feinerer Kultivierung den Sieg davontrug
und zu einer Kulturblüte führte, die dem lange kulturell abhängigen
Deutschland die Führung im Reigen der Völker gab. Das wird uns später
in einer Darstellung der Geschichte deutscher Kultur in der Neuzeit
beschäftigen.


Fußnote:

    [1] Vgl. die näheren Ausführungen in meinem Aufsatz: Kultur und
        Volkstum im »Archiv für Kulturgeschichte« Bd. VIII, Heft 2.



Erstes Kapitel.

Zusammenstoß und erste Auseinandersetzung urdeutschen Wesens mit der
Weltkultur.


Das Gebiet des heutigen Deutschen Reiches ist bekanntlich keineswegs
von jeher von germanischen Menschen bewohnt gewesen. Den Hauptteil
des Westens, den Süden und den Südosten hatten vielmehr, von den
Germanen durch die Gebirge Mitteldeutschlands geschieden, lange die
Kelten inne. Den Osten scheinen andererseits Letten und Slawen bewohnt
zu haben, aber sehr frühzeitig zurückgedrängt zu sein. Die ersten
Sitze der Germanen selbst sucht man, nicht ganz ohne Widerspruch
einzelner, in den Gebieten der westlichen Ostsee und auch der östlichen
Nordsee. Mächtige Bewegungen der Germanen, hervorgerufen u. a. durch
die Übervölkerung infolge der Beschränktheit des Kulturlandes,
sind also auf dem Boden unseres Vaterlandes bis kurz vor Beginn
unserer Zeitrechnung vor sich gegangen, und auch später zeigt sich
deutlich eine außerordentliche kriegerische Beweglichkeit der
Stämme, bis zur Völkerwanderungszeit eine zweite, noch gewaltigere
Durcheinanderrüttelung und Wanderung einsetzt. Erst nach dieser Zeit,
deren Endergebnis im Verhältnis zu den heute deutschen Gebieten auch
ein gewaltiger Verlust im Osten durch das Vordringen der Slawen war,
beginnt eine zusammenhängende Entwicklung des späteren »Deutschlands«.

Eine Kulturgeschichte der _Deutschen_ kann erst mit dem Abschluß
der Völkerwanderung oder eigentlich erst mit der Herausbildung
eines »deutschen« Volkes in Staat und Kultur einsetzen. Die einst
germanischen Gebiete im Osten können überhaupt erst seit ihrer
späteren Kolonisierung in Betracht kommen; denn an die einstige
Siedelung der Ostgermanen kann die spätere deutsche Kulturgeschichte
nirgends anknüpfen. Im Westen und Süden waren freilich die früher
keltischen Gebiete bis zum Rhein und über den Main hinaus bei dem
Zusammenstoß mit den ein weiteres Vordringen zunächst verhindernden
Römern schon mehr oder weniger lange von Germanen besetzt, die
ziemlich frühe den Niederrhein, gegen die Mitte des 1. Jahrhunderts
v. Chr. auch den Mittelrhein überschritten, später nach Böhmen und
Ungarn drangen. Vor allem ist ferner das »alte Volksland« zwischen
Weser und Elbe seit alters germanisch gewesen. Auch hier hat aber
die Völkerwanderung, die nur wenige Stämme, wie die Friesen, nicht
mitgemacht haben, störend eingegriffen. Immerhin haben wir im ganzen
in diesem Gebiet eine ununterbrochene Entwicklungslinie, und so mögen
einige kurze Bemerkungen über die germanischen Zustände vorangeschickt
werden[2]. Für unsere Betrachtung müssen freilich gerade die kulturell
fortgeschrittensten Germanen im Westen und Südwesten, die zu dem
römischen Besetzungsgebiet gehörten oder mit ihm in kultureller
Berührung standen, ausscheiden. Einerseits handelt es sich hier nur zum
Teil um germanische, viel mehr um keltische Bevölkerung, andererseits
fielen diese Gebiete in der Völkerwanderungszeit der Zerstörung anheim,
und nur ganz mittelbar wirkten die einstigen entwickelteren Zustände
des römischen Germaniens in ihren Resten später nach.

Die _Anschauungen über die Kultur der Germanen_, wie sie gang und gäbe
sind, leiden meist an _zwei Grundfehlern_. Man mißt ihr einerseits
eine _viel zu große Eigenart_ bei, und man _unterschätzt_ doch
andererseits wieder _die bereits erreichte Höhe_. Viele angeblich
eigenartige Züge der Germanen sind den meisten Völkern auf niedriger
Stufe gemein. Der Erscheinung der großen, aus unzureichendem
Kulturland erwachsenen Wanderungen, die schon Thukydides für die
Urzeit vieler Völker bezeichnend gefunden hat, entspricht der
rücksichtslose Eroberungsgeist solcher Zeiten. Die natürliche, aber
auch durch wirtschaftliche Gründe bedingte Raublust zeitigt Viehraub
wie Frauenraub. Aus dem letzteren entspringen überall die Fehden des
beleidigten Stammes oder der Sippe, und ebenso tritt überall bei
den damals leicht vorkommenden Totschlägen die Sippe des Getöteten
als Rächerin an der Sippe des Mörders auf (Blutrache). Aus dem
kriegerisch-räuberischen Zug ergibt sich auch die überall verbreitete
Sklavenhaltung. Ursprünglich verfielen diese erbeuteten Menschen dem
Tode, was aber mit sakralen Gedanken zusammentraf: das feindliche
Leben wird den Göttern geopfert. Menschenopfer sind auch für die
Germanen nicht zu leugnen. Menschenleben, fremde wie eigenes, spielen
auf dieser Stufe überhaupt keine Rolle, daher die Todesverachtung
des Kriegers, die Tötung von Greisen, das Aussetzen von Kindern, die
Grausamkeit des Vaters gegen ein zu strafendes Kind, die blutige Härte
des primitiven Strafrechts. Auch gewisse innere, seelische Zeugnisse
der ungebändigten Naturkraft sind Gemeingut der primitiven Völker,
so der Mangel an Selbstbeherrschung (im Trunk – die Trinkfreude hat
bei den Germanen freilich besondere Ausgestaltung erfahren –, im
Spiel), weiter die Unbeständigkeit, das Fallen von einem Extrem ins
andere, aus »wilder Bewegtheit« in »starre Ruhe«, in die vielberufene
»Trägheit«. Dem entspricht überhaupt eine große Wankelmütigkeit, ein
rasches Aufflammen im Zorn, eine schnelle Beruhigung. Groß ist sodann
die Übereinstimmung auf religiösem Gebiet (Ahnenkult, Seelenglaube,
die Abwehr der Seelengeister durch Zaubersegen bei Krankheit usw.,
die Verehrung von Bäumen, Hainen, Bergen, Gewässern, die aus dem
Seelenglauben sich ergebenden Totenbräuche, die Gräberbeigaben, die
Totenopfer und Totenschmäuse, das Weissagungswesen [Befragen der
beschworenen Seelen], die Gewinnung der höheren Gewalten durch Opfer,
die Verbindung von Festen [Tänzen] und Schmäusen [Gelagen] mit den
Opfern). Gewisse sittliche Züge entspringen ebenfalls allgemein
den primitiveren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, so
die Gastfreundschaft. Auch die germanische Achtung vor der inneren
Überlegenheit der Frauen, die immerhin als eigenartig gelten darf, ist
doch nicht ganz ohne Parallelen bei den klassischen Völkern (Frauen bei
Homer). Andererseits ist bei vielen primitiven Völkern und so auch bei
den Germanen die Frau die Hauptträgerin der Arbeit. Überall gilt auch
die selbstherrliche Macht des Hausvaters, der Frau und Kinder in einer
bei den Germanen schon etwas gemilderten Rechtlosigkeit unterstehen.
Die Vielweiberei der Naturvölker bestätigt Tacitus für die germanischen
Vornehmen. Deren Hauptmachtmittel, die keltisch-germanische
Gefolgschaft, findet sich in wenigstens vergleichbarer Form bei den
Griechen (die ἑταῖροι der Großen). Feste Formen haben die staatlichen
Verhältnisse bei allen Völkern auf dieser Stufe noch nicht angenommen.
Herrscher mit bestimmten Rechten sind die »Könige« der Germanen
nicht: die versammelte Masse der Freien ist souverän. Noch äußert
auch, wie überall, der Verband der Sippe, der auch Kriegs- und
Wirtschaftsverband ist und im Rechtsleben als ausschlaggebender Faktor
an Stelle des Einzelnen tritt, seine große Bedeutung, wenn auch bei
den Germanen bereits die Anfänge locker-staatlichen Lebens diese
Bedeutung einschränken. Auch für die wirtschaftlichen Verhältnisse, die
vielumstrittenen Agrarzustände der Germanen vor allem, ließen sich, je
nach dem Standpunkt, bei anderen Völkern genug Parallelen finden. So
vor allem bezüglich des Gemeineigentums am Boden.

Die _wirtschaftliche Kulturstufe_ der Germanen darf man im
übrigen nicht zu niedrig _einschätzen_. Heute ist man über eine
verhältnismäßige _Höhe des Ackerbaus_ bei den Germanen im ganzen
einig. Sein hohes Alter ist ebenso nachweisbar wie eine sehr frühe
Seßhaftigkeit der Germanen. Die dem entgegenstehende, nicht zu
leugnende Beweglichkeit, die man als Beweis für nomadische Zustände
angesehen hat – auch wegen des anscheinenden Übergewichts der
Viehzucht –, meint man heute, wie schon Waitz, als Begleiterscheinung
jenes kriegerischen Vorwärtsdringens auffassen zu sollen, wie man ja
auch in der Völkerwanderung wieder zu halbnomadischen Zuständen kam.
»Den jährlichen Wechsel der Feldmarken und Wohnsitze innerhalb der
Sippen eines Gaus zur Zeit Cäsars« muß man dann mit Hoops als »einen
kriegerischen Ausnahmezustand« ansehen.

Der wirtschaftlichen Kulturstufe entsprechen eine nicht mehr ganz
primitive _Lebenshaltung_ (Woll-, Leinen- und Pelzkleidung, Block-
und Fachwerkhäuser, mannigfacher Hausrat, vor allem aus Holz) und
eine neben der hauswirtschaftlichen Erzeugung etwas entwickeltere
_gewerbliche Tätigkeit_ (Böttcherei, Schnitzerei, bessere Töpferei,
Schmiedekunst, in Friesland Weberei). Eine gewisse künstlerische
Betätigung zeigt die altnationale Holzschnitzerei und Holzbemalung. Dem
Holzschnitzwerk sind auch manche Formen, wie der Kerbschnitt, in der
Metalltechnik nachgeahmt: vielleicht ist das dem antiken Stilgefühl so
entgegengesetzte Flecht- und Verschlingungswerk, das später noch für
den Völkerwanderungsstil als charakteristisch gilt, gleichen Ursprungs.

Vom _geistigen_ Leben der Germanen ist nicht allzu viel zu sagen. In
die Frühzeit darf man nicht allzu viel hineindeuten, am wenigsten
auf Grund der viel späteren Blüte des nordischen Geisteslebens mit
seiner gewaltigen Vorstellungswelt. Die Formenfülle der Sprache, deren
Klang den Römern naturgemäß höchst barbarisch und rauh erschien, ist
nichts eigenartiges. Auch die poetisch-sakrale Pflege der Sprache
in rhythmischer Form bei feierlichen Akten ist primitiven Völkern
gemeinsam (mit Tanz, d. h. feierlichem Schreiten im Kreise verbundene
sakrale Chorgesänge). Aus den Totenklagen durch einzelne Vorsänger
entwickelten sich episch-balladenartige Gesänge einzelner. Episch
eingeleitet wurden auch wohl die Zaubersprüche, die Beschwörungen,
episch gefärbt war auch die sonstige Spruch-, vor allem die
Rätseldichtung, deren uralte Übung jedenfalls auf kein niederes
geistiges Leben hindeutet. Eigenartig ist vor allem die rhythmische
_Form_ der poetischen Rede bei den Germanen gewesen, die Alliteration,
die wir mit Sicherheit für eine sehr frühe Zeit annehmen dürfen.

Trotz der betonten starken Gleichförmigkeit der Menschen und ihrer
Einrichtungen auf primitiven Stufen haben sich uns für die Germanen
überhaupt _manche eigenartigen Züge_ ergeben. Auch was über den
späteren deutschen Menschen im allgemeinen gesagt werden kann,
darf vielfach schon auf Züge aus germanischer Zeit zurückgreifen,
insbesondere muß der Individualismus, wenn auch nur eine rohe und
unausgeglichene Form desselben, bereits für die Germanen hervorgehoben
werden. Für diesen individualistischen Zug seien noch einige Belege
hinzugefügt. Cäsar (~D. b. g. IV~, 1) schon hat ihn besonders betont;
er spricht von der »Ungebundenheit des Lebens, da sie, von Kindheit an
an keine Pflicht oder Zucht gewöhnt, nichts gegen ihren Willen tun«.
Und Tacitus (Ann. XIII, 54) fügt, als er von zwei Häuptlingen spricht,
die die Friesen »regierten«, ironisch hinzu: »soweit Germanen überhaupt
regiert werden.« Ein andermal (~Hist. IV~, 76) heißt es bei ihm: »Die
Germanen lassen sich nichts befehlen noch sich regieren, sondern tun
alles miteinander rein nach ihrem Belieben.« Stärker kann der neben der
Innerlichkeit wichtigste Zug der späteren Deutschen nicht gut betont
werden.

Es kamen die Zeiten der näheren _Berührung mit den Römern_, die Zeiten
des friedlichen Eindringens der Germanen in das Heer und schließlich
den Beamtenstaat der Römer, weiter die Ansiedelung germanischer
Stammesteile in dem entvölkerten Römerreich, endlich der kriegerische
Ansturm gegen dasselbe und dessen Zertrümmerung während der sogenannten
Völkerwanderung, deren Anstoß aus dem fernen Osten kam. Für die
Entwicklung der späteren deutschen Kultur ist es nun von größter
Bedeutung, _wie weit die Innergermanen_ – nur um diese handelt es
sich für uns – _in diesen Jahrhunderten von der römischen, d. h. der
Weltkultur bereits beeinflußt wurden_.

Hierbei ist zunächst festzustellen, daß südliche Einwirkungen durch
den Handel schon lange vorher bestanden. In der Bronzezeit kamen
die Bronze und das Gold nach Norden wie der begehrte Bernstein
in das südliche Europa auf alten, häufig durch reiche Depotfunde
feststellbaren Handelswegen, die, meist Flußläufen folgend, über Land
Europa durchquerten. Viel südliches vermittelten auch die Kelten. Jetzt
soll es sich aber um unmittelbare römische Einflüsse handeln. Da sind
einmal die Jahrhunderte schärfer als bisher auseinanderzuhalten. Es
ist ferner wohl zu beachten, ob es sich um Übernahme rein äußerlicher,
durch den Handel eingeführter Dinge oder um innere, wirklich kulturelle
Beeinflussung handelt. In der Tat waren die _Einwirkungen anfänglich_
recht _gering_, die Beeinflussung des eigentlichen Germaniens rein
äußerlich. Die frühen Römerzüge in das Innere blieben ohne Nachwirkung.
Folgenreicher war die germanische Reisläuferei: mancher Söldner mochte
allerlei Römisches später in die Heimat bringen. Das wichtigste bleibt
aber der _Handel_. Der Handelsverkehr zwischen Römern und Germanen
scheint sich früh besonders auf den Menschen-(Sklaven-)handel erstreckt
zu haben; für Menschen wurde Wein eingeführt. Natürlich haben die
römischen, uns auch durch Cäsar und Tacitus bezeugten Händler, die
kühn sogar weit nach Norden drangen – selbst in Skandinavien kannte
man römisches Geld –, bald auch andere Dinge gebracht, wie die Funde
zeigen, vor allem Metallgeräte und -gefäße, Schmucksachen, Waffen,
vielleicht auch Pfeffer.

Eben die _Funde_ helfen uns besser über die Einzelheiten des römischen
Einfuhrgutes unterrichten als die Lehnwörter, auf die man sich sonst
stützt. Von den Funden zeigen zunächst die Münzen, daß stärkerer
römischer Handel vor Nero nur bis an die Ems drang und nach dem
eigentlichen Innergermanien erst gegen Ausgang des 2. Jahrhunderts
einsetzt. An eingeführten römischen oder provinzialrömischen
Gegenständen kommen in Betracht: Bronzegefäße (italische [kapuanische
Bronzeeimer und Kasserollen], später gallische, besonders vom
Niederrhein stammend), Gläser, Tongefäße (~Terra sigillata~), daneben
seltener und meist erst später Gürtelschnallen, Fibeln u. dergl.,
möglicherweise auch Trinkhornbeschläge, die aber ebenso wie die
Hängezierate unter römischem Einfluß in Germanien selbst hergestellt
sein können. Daß derlei im germanischen Norden und auch im inneren
Deutschland begehrt wurde, bestätigt wieder, was bereits über die
nicht zu unterschätzende Lebenshaltung und Kulturstufe der Germanen
gesagt wurde. Die Gefäße scheinen übrigens durchweg mit dem Weinhandel
zusammenzuhängen. Was wir sonst von Entlehnungen wissen, betrifft die
_römischen_ Besetzungs- und _Grenzgebiete_ an Rhein und Donau, von
denen sie erst viel später durch Vermittlung des fränkischen Staates
und der Kirche ins Innere drangen. Dahin gehören die römisch gearteten
Bezeichnungen der Wochentage (zum Teil nur Übersetzungen) und die
Übernahme der römischen Zeitrechnung; die Germanen zählten sonst nach
Nächten (noch im 16. Jahrhundert Briefschlußformel: Hiermit viel
guter Nächt) und hatten das Mondjahr. Dahin gehört alles, was mit der
Weinkultur, mit der feineren Obst- und Gemüsekultur, der Kochkunst,
auch schon mit dem Steinbau zusammenhängt; dahin die Reihe der Münz-
und Gewichtsbezeichnungen u. a. In jenen Gegenden wird aber infolge der
innigen Berührung auch eine starke, freilich nicht zu übertreibende
und im eigentlichen Sinne wesentlich nur für die westlichsten,
wirklichen Grenzgebiete (Moselland) geltende[3] Romanisierung des
ganzen Lebens bis zu einem gewissen Grade behauptet werden können,
und das Fundmaterial soll sogar zeigen, daß gerade die wenigen
germanischen Stämme dieser Gebiete derselben viel geringeren Widerstand
entgegensetzten als die keltischen. Wie der Saterdag (Saturntag, engl.
~saturday~) nur in niederrheinischen Landen vorkommt, so ist dieses den
Römern (Plinius) am besten bekannte Gebiet auch sonst eine Hauptstätte
römischen Einflusses, wie sich diesem ja schon früh die Ubier oder,
wie sie sich lieber nennen hörten, die Agrippinenser gern hingaben. Im
übrigen verfielen hier aber diesem Einfluß weniger Germanen als Kelten;
von ihnen kam durch Händler manches Römische auch zu den Friesen und
weiter zu den übrigen Küstengermanen, viel mehr als zu den anscheinend
allem Römischen und Keltischen mehr abgeneigten Germanen am rechten
Ufer des Niederrheins.

Wohl zu unterscheiden von diesem römischen Einflußbereich ist aber
_Innergermanien_, vor allem Nordwestdeutschland. Hier ist, wie gesagt,
in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. von wirklichem _römischen
Einfluß keine Rede_, auch noch kaum von römischer Handelsware. Auch
Tacitus bestätigt für seine Zeit, daß nur die Grenzgermanen allerlei
Römisches annahmen und erhandelten, nicht die Innergermanen. Der
Überlandverkehr im Osten (Bernstein) hat dorthin allerdings namentlich
seit Neros Zeiten schon viel römisches Handelsgut gebracht; ebenso
mag der Seehandel den Küstengermanen mancherlei eher vermittelt
haben als denen im Binnenlande. Vor allem zeigt dies die fehlende
Beeinflussung der heimischen Keramik. Im Laufe der Zeit aber wuchsen
die Einflüsse infolge der Beziehungen zu den römischen Provinzen
und des wachsenden Einströmens von Germanen in römische Dienste. In
spätrömischer Zeit muß z. B. die Wein- und Obstkultur schon weiter
nach Osten gedrungen sein. Man hat in Pfahlbauten in Fulda aus dieser
Zeit Trauben- und Pfirsichkerne gefunden. Später wirkten sodann
Einflüsse von der Donau her. Die die Grenzen bedrängenden Markomannen
mochten auch durch friedliche Berührungen mannigfache Einwirkung
erfahren. Am meisten gewannen in dieser Beziehung die Goten, zumal in
der von ihnen besetzten dazischen Provinz, von der höheren Kultur,
bekanntlich auch bereits vom Christentum. Im Westen aber waren es die
neuauftretenden großen Stämme der Franken und Alemannen, die immer
heftiger die römischen Grenzlande bedrängten und sie weiter und weiter
in Besitz nahmen oder sich durch Einwanderung festsetzten. Franken
und Alemannen stellten auch das Hauptkontingent als Söldner für das
römische Heer, das zu Ende des 4. Jahrhunderts überhaupt überwiegend
germanisch war. Trotzdem nun die Alemannen als die typischen Barbaren,
als rohe, wilde Zerstörer galten, zeigen sie ebenso wie die Franken
bald erheblichere römische Einwirkungen. Beide wurden nun zu wirklichen
Bauernvölkern; die Lebenshaltung nahm mancherlei Römisches an. Die
Alemannen hatten nach Ammianus Marcellinus um die Mitte des 4.
Jahrhunderts nach römischer Art erbaute Dörfer, d. h. sie wohnten z.
T. schon in Steinhäusern oder verwendeten bei ihren Häusern wenigstens
schon stärker die Steine. Ganz anders steht es aber noch immer bei
den Stämmen des _Nordwestens_, den Friesen und den jetzt ältere
Stämme vereinigenden Sachsen. Immer bleibt es zwar bei dem erwähnten
römischen Einfuhrgut: sonst ist aber weder von höherer Landwirtschaft,
Obst- und Weinkultur, Steinbau noch von sonstigen vorgeschritteneren
Kulturerscheinungen wichtiger Art die Rede. Indessen ist auch für die
zum Teil stärker romanisierten Westgermanen, insbesondere die Franken,
festzuhalten, daß die germanische Eigenart trotz allen äußerlichen
Entlehnungen durchaus bewahrt wird. Das zeigt im Kunsthandwerk vor
allem jener sogenannte »Völkerwanderungsstil«, auf den hier nicht
näher eingegangen sei.

Das zeigt aber auch Art und Wesen der _Franken_ selbst dann noch, als
sie nach den Stürmen der Völkerwanderung ihr großes Reich gegründet
hatten. Es sollte von all den Reichsgründungen auf römischem Boden
– von dem Sonderreich der Angelsachsen abgesehen – allein dauernden
Bestand haben und für die späteren Deutschen eine grundlegende
kulturelle und staatliche Bedeutung gewinnen. Vom Standpunkt der
Weltkultur aus gesehen bedeutete die Zeit der _Völkerwanderung_,
der Zertrümmerung des römischen Reiches, zweifellos eine schwere
Erschütterung. Immerhin ist von einer _Vernichtung_ der bisherigen
Kultur _nicht_ die Rede. Die Zeitgenossen empfanden nichts von einem
Abschneiden der bisherigen Entwicklung. Das römische Reich ist in den
Augen der Völker nicht zugrunde gegangen: Kaisertum und Christentum
blieben lebendig. Die kulturellen Überlieferungen lebten vor allem in
der Kirche fort, abgesehen von Byzanz, dem eigentlichen Rückzugsort
der Kultur und des staatlichen Wesens der Antike. Für den neuen
Entwicklungsabschnitt des Abendlandes war eine eigenartige Mischung von
Römertum, dem mit ihm schon verbundenen Christentum und germanischem
Barbarentum bezeichnend. Aber als kriegerisch-politische Macht von
urwüchsiger Kraft hat gerade das Frankenreich die Verhältnisse des
gesamten Abendlandes neu gefestigt: als karolingisches Universalreich
trat es auch äußerlich an die Stelle des römischen Reiches. Für
die romanische Welt bedeutete das Frankenreich die Fortdauer der
Barbarenherrschaft, die Franken selbst aber wurden gelehrige Schüler
der Romanen, ohne doch ihre Eigenart aufzugeben. Als sich später ein
östliches, eigentlich deutsches Reich bildete, blieb wieder bei diesem
die militärisch-politische Vorherrschaft, und die Idee der Fortdauer
des römischen Reiches haftete auch an ihm: aber für Franzosen und
Italiener blieben die Deutschen die »Barbaren«, und diese suchten von
jenen immer wieder zu lernen, als den Erben der auch in ihren Trümmern
überlegenen alten Kultur.

Schon im Frankenreiche selbst bestand ein ähnliches Verhältnis. Der
kulturelle Schwerpunkt lag in seinem romanisierten Westen, aber der
politisch wirksame Teil war der schon ganz germanisch gewordene Osten
mit seiner frischeren Volkskraft. Dazu kam nun die Richtung der
kulturell-politischen Betätigung des Frankenreichs nach Osten, wodurch
auch die auf altem Germanenboden gebliebenen Stämme, zuletzt die
urwüchsigsten von allen, die Sachsen, dem Frankenreich einverleibt
wurden. Für diese Stämme bedeutete das eine (nach Osten immer
geringere) Annäherung an die höhere römisch-germanische, fränkische
Kultur, einen neuen Abschnitt der Entwicklung. Das fränkische
Reich wurde der Vermittler der von ihm aufgenommenen Elemente der
römisch-christlichen Kultur. Freilich handelt es sich um eine aus
den verschiedenen Elementen neu schaffende, eigenartige fränkische
Mischkultur. Trotz der Durchdringung römischen und germanischen Wesens
ist es aber nützlich, kurz die _römischen Elemente_, die zunächst dem
_Frankenreich_, dann durch dieses und vor allem später durch die Kirche
den Deutschen vermittelt wurden, für sich zu überblicken, wie ich das
ausführlicher in meiner »Geschichte der deutschen Kultur« (I², S. 74
ff.) getan habe.

In der äußeren Lebenshaltung handelt es sich da zunächst um
den (übrigens auch im Frankenreich noch sehr beschränkten)
Steinbau, um Hausgerät (Tafeltuch, Kissen, Sack, Flasche, Kelch,
allerlei Metallgeschirr, Metallspiegel, Schlüssel, Kette u. a.),
Beleuchtungsgerät (Kerze, Öllampe), von Trachtstücken nur um das
Hemd und die Socke und gewisses Schuhwerk, um allerlei Schmuck und
Zierat, um den Kopfputz der Frauen, den Siegelring, weiter um neue
oder veränderte Waffen (Hakenlanze, Langschwert), um Verfeinerung
der Körperpflege (Haar- und Bartpflege) und des Badewesens, um die
Bekanntschaft mit einer vorgeschritteneren ärztlichen Kunst, um neue
Musikinstrumente (Pfeife, Fiedel) und Spiele (Brettspiel). Man lernte
sodann eine feinere Kochkunst, namentlich auch die bald übertriebene
Verwendung neuer Gewürze – vom Pfeffer war schon die Rede –, eine
feinere Backkunst, gewöhnte sich z. T. auch an leichtere Kost (Gemüse,
Früchte, Fische), worauf später auch die Kirche hinwirkte, und an
größere Mäßigkeit im Essen, namentlich bezüglich des Frühmahls. Am
Wein, den man auch würzte, fand man immer mehr Geschmack; das Bier
galt seit der Christianisierung zunächst als heidnisches Getränk. Die
Weinkultur drang immer weiter vor, im 7. Jahrhundert in die Pfalz,
nicht minder die gleichfalls von den Römern übernommene Obst- und
Gemüsekultur, auch das Okulieren und Pelzen. Man lernte zu den früher
schon eingedrungenen Arten neue weitere kennen. Von den Römern übernahm
man ferner die Wiesenkultur, die Düngung des Bodens, die Wassermühle,
bessere Butter- und Käsebereitung, die Wollschur. Weiter beruhte
der Handel vielfach auf römischen Elementen. Für das fränkische
Münzwesen war Rom selbstverständlich das Vorbild: von einer wirklichen
Geldwirtschaft konnte bei den wieder ganz naturalwirtschaftlichen
Zuständen sonst keine Rede mehr sein. Zu den heimischen, übrigens
jetzt vielfach vervollkommneten Gewerbsarten kamen neue hinzu, die der
Maurer, der Glaser, der Schlosser.

Gewisse Elemente höherer Technik, etwa beim Straßenbau (~strata~),
und auch der großen Kunst retteten sich aus der Antike in die spätere
Überlieferung. Letzteres geschah wesentlich durch die Kirche. Schon
der Kirchenbau geht in seiner Grundform, der Basilika, auf die
Antike zurück, und selbst in den eigenartig entwickelten späteren
Kirchenstilen, dem romanischen vor allem, ist doch an römische
Grundelemente angeknüpft. Aber eben nur die von der Kirche übernommenen
Kunstelemente konnten noch wirken, nicht mehr die eigentliche Antike.
Ganz treffend weist Dehio darauf hin, wie verständnislos die Barbaren
die römischen Baudenkmäler in den Rheinlanden anblickten. Aber immerhin
wirkte die antike Kunst auch in der kirchlichen Vermittlung doch eben
noch als lebendige, wenn auch beschnittene und verkümmerte Antike, so
zuletzt in der karolingischen Renaissance.

In sozialer Beziehung blieben bei der nunmehr sich bildenden
Grundherrschaft – die eindringenden Germanen setzten sich von Anfang an
als große und kleine Grundherren fest – die Abhängigkeitsverhältnisse
der Zinsleute nicht ohne römische Beeinflussung (durch die
Domänenwirtschaft und die Übertragungsformen der Precarei [von der
Kirche ausgebildet] sowie die eigentliche Kommentation, durch die
sich einer in den Schutz eines Mächtigen begab) (s. S. 38 f.). An die
römische Immunität knüpfte sich später eine bedeutsame Entwicklung
(s. S. 42). Das Staatswesen, die Verfassung und die Auffassung der
öffentlichen Ämter blieben im Grunde germanisch, aber, soweit es die
sich immerhin entwickelnden Verhältnisse erforderten, waren römische
Einrichtungen doch nicht ganz ohne Einwirkung. Dem entwickelten
Finanz- und Steuerwesen waren die Franken, wie ja in Westeuropa
nun allgemein ein naturalwirtschaftlicher Rückschlag hereinbrach,
nicht gewachsen, aber das später so wichtige Zollwesen behielten
sie dauernd. Infolge der Verwendung im öffentlichen Leben vor allem
übernahmen sie die römischen Monatsnamen. Die Verwaltung der späteren
Zeit zeigt in manchen Dingen Spuren römischen Einflusses, vor allem
die Kanzlei. Gewisse Einzelheiten des Beamtenstaats ferner, die man
aber auch noch umgestaltete, wurden übernommen (Grafenamt) oder mit
germanischen Dienstverrichtungen verknüpft. Das seit der Wanderungszeit
viel fester ausgebildete Königtum wurde nun römisch gefärbt, wenn
auch sein Grundcharakter, ebenso wie der der fränkischen Verfassung
überhaupt, germanisch bleibt. Es wirkte aber die absolutistische
Auffassung der Romanen; die Ausübung der Regierungsgewalt ähnelte mehr
und mehr dem Wesen des Imperiums, dem man auch gewisse Titel entnahm.
Die Salbung und die Insignien wie Zepter und Krone kamen später auch
hinzu. Schließlich ist dann der Begriff des universalen Kaisertums
selbst wieder aufgetaucht, wohl durch den Einfluß der Kirche, und als
eine sehr hochgehaltene Erbschaft von den Germanen dauernd bewahrt
worden. Das römische Recht war zu entwickelt und fremdartig, als daß
es auf die Germanen übergehen konnte. Das geschah erst im ausgehenden
Mittelalter. Die Kirche lebte aber natürlich nach römischem Recht,
und in Italien war es überhaupt nicht nur einigermaßen lebendig
geblieben, sondern auch weiter entwickelt. Aus dem Strafrecht gingen
übrigens das Gefängniswesen (Kerker, Kette) und die Folter früh auf die
Franken über. Die entwickelteren Verhältnisse erforderten ferner die
Aufzeichnung des heimischen Rechts, d. h. der einzelnen Stammesrechte.
Sie erfolgte unzweifelhaft nach römischem Beispiel – wie denn auch die
Zeitfolge der Aufzeichnungen der stufenmäßigen Annäherung der Stämme an
die höhere Kultur entsprach, von der noch unter Chlodwig (Ende des 5.
Jahrhunderts) niedergeschriebenen ~Lex Salica~ bis zu der erst unter
Karl d. Großen erfolgten Aufzeichnung des friesischen und sächsischen
Rechts. Sie erfolgte auch durch lateinisch gebildete Leute und in
lateinischer Sprache.

Das war insofern kaum anders möglich, als schreiben noch lange
nur lateinisch schreiben bedeutete. Dieses Schriftwesen mit
dem damals so wichtigen Urkundenwesen war eine der wichtigsten
Kulturerrungenschaften, die die Franken und die späteren Deutschen
dem Römertum verdankten, aber es blieb lange ein fremder, bald mit
Respekt, bald mit Scheu betrachteter Bestandteil im deutschen Leben,
wie die gesamte höhere Bildung und die völlig römisch-romanische
Wissenschaft überhaupt. Schrift-, Schul- und Bildungswesen wie die
Gelehrsamkeit waren unter gründlicher Minderung des in Gallien
erreichten Hochstandes auf den eigentlichen Träger der Romanisierung,
auf den Klerus, als Monopole übergegangen und wurden in elementaren
Formen weiter überliefert. Der Geistliche pflegte allein die Sprache,
die das Mund- und Ausdrucksstück für alle diese höheren Dinge war und
die Grundlage aller Bildung und Kultur darstellte, das Latein, das sich
freilich immer mehr den neuen Ansprüchen anpaßte und von Klassizität
weit entfernte. Da das entwickeltere Leben die Beurkundung so vieler
Vorgänge erforderte, wurde der Geistliche als Handhaber der Schrift
auch der Beherrscher der weltlichen, der staatlichen Verwaltung,
der Kanzlei. Aber das unerhörte Joch dieser fremden Sprache war vor
allem deshalb dauernd aufgerichtet, weil sie die Sprache derjenigen
Macht war, die als ein fremdes, orientalisches Element schon der
Antike siegreich eingefügt war, die nun als durchaus romanisch von
vornherein zu dem germanisch gebliebenen Staat wie erst recht zu
dem eigentlichen Volksleben im Gegensatz stand, gleichwohl, wenn
auch ihrerseits beeinflußt und »barbarisiert«, auf beide einen immer
stärker beherrschenden Einfluß ausübte, der christlichen _Kirche_.
Sie war das Gefäß des _neuen Glaubens_, der freilich schon wie der
Steinbau vor der Gründung des Frankenreichs von den Römerstädten
am Rhein und in Noricum aus sich ein wenig verbreitet hatte, zum
Teil in der Form des Arianismus, wie manche griechische Lehnwörter
(Kirche, Engel, Pfingsten, Samstag u. a.) zeigen sollen[4], der nun
aber allgemein, wenn auch zunächst nur äußerlich, auf die Franken
und Deutschen überging. Seine Verbreiter, die Geistlichen, schon
durch ihre römische Tracht vom Volk geschieden, waren überhaupt die
Vertreter des fremden Kulturgeistes, der später auch über das zunächst
_bei seiner Art bleibende deutsche Volk_ kommen sollte, Erzieher zu
höherer Religion und Sittlichkeit, zu geistiger Kultur, ebenso aber
Träger antiker künstlerischer Überlieferungen sowie vor allem jener
segensreichen wirtschaftlichen Fortschritte und Bereicherungen. Aber
diese Geistlichen, anfangs aus Romanen ergänzt, waren schließlich auch
Deutsche, und so färbte denn wieder deutsche Volksart auch sie, und man
kam miteinander aus.

Bei der Übermittelung der Elemente der höheren Kultur, also bei der
Romanisierung, war die Kirche überhaupt sehr bald die eigentlich
treibende Kraft geworden, nicht um der Kulturmission selbst, vielmehr
um der Ausbreitung des Christentums willen, bei der jene Mitteilung
der absichtslos bewahrten Kulturgüter sich ganz von selbst ergab. Das
erste ist also immer die _Christianisierung_, und so haben denn auch
die späteren »deutschen« Stämme aus dem Frankenreich von all dem
genannten römischen Gut zuerst nur gerade das am wenigsten antike,
aber um so mächtigere Element des Christentums übernommen, trotzdem
ihrem jugendlich-frischen Geist der starr-fanatische orientalische
Gottesglaube, das formalistische, metaphysische Gedankengewand, das
ihm der überkultivierte hellenistische Geist in seinem Absterben,
die Kulturmüdigkeit des späteren Altertums, gegeben hatte, das
hierarchische Organisations- und Machtsystem, das Rom hinzugefügt
hatte, geradezu entgegengesetzt waren. Aber wie der Frankenkönig
Chlodwig das Christentum wesentlich nur aus äußeren Gründen annahm, so
konnte auch die später vom Frankenreich ausgehende Christianisierung
der innerdeutschen Stämme nur _äußerlich_ sein. Der langsame äußere
Fortgang der Christianisierung bleibe hier beiseite. Unter Karl d. Gr.
erreichte sie endlich auch die Sachsen. Auf die Art des Christentums
kommen wir im nächsten Kapitel (S. 28 ff.) noch zurück.

Die Christianisierung ist also in ziemlich früher Zeit für das spätere
Deutschland äußerlich vollendet, von _sonstiger Romanisierung_
kann man aber noch auf lange hinaus _nicht_ sprechen. Mit Ausnahme
gewisser Äußerlichkeiten waren die Stämme eben doch für die höheren
Kulturelemente einfach noch unempfänglich. Die Romanisierung machte
schon im _Osten_ des eigentlichen _Frankenreichs_, der selbst ziemlich
weit links des Rheines überwiegend germanisch geworden war, nur
langsame Fortschritte. Der Hauptteil der Franken blieb überhaupt nicht
nur städte-, sondern auch bildungsfeindlich. Es waren Bauern geworden
auf eigenen Höfen mit eigenen Äckern, Bauern, die nun auch schon Wein,
Obst und Gemüse bauten, aber noch ihre Waffen nicht abgelegt hatten;
sie lebten in der Markgenossenschaft als Nachbarn in gemeinsamer,
alle bindender Ausübung der Wirtschaft mit gemeinsamen Rechten an der
Allmende. Der Sippenverband hatte mit den Zeitverhältnissen freilich
schon an Bedeutung verloren, aber fest stand das alte Gefüge der
eigentlichen Familie. Schon hatte aber größere soziale Ungleichheit
durch vermehrten Besitz, Verleihung von Königsland usw. Platz
gegriffen. Schon suchte der neue Adel kleine Leute zu Zinsbauern
herabzudrücken, oft mit Gewalt. Andererseits trieben wirtschaftliche
Nöte oder Kriegslasten manchen in den Schutz eines Mächtigen oder der
Kirche. Eine Sonderung der Stände ist indes noch nicht eingetreten.
Von der souveränen Macht der Gesamtheit der Freien ist freilich nicht
mehr die Rede: außerordentlich ist die Königsmacht, die auch die
Mitwirkung des Volkes im Rechtsleben in gewisser Weise schmälerte[5],
gewachsen – sogar über die Befugnisse der alten Volksgemeinde hinaus –,
aber auch schon die Macht der Großen. In deren Lebenshaltung ging auch
mehr Römisches über als in die der übrigen Franken, die auch in der
Tracht trotz einiger Zutaten (dem leinenen Hemd), der Ausbildung des
Gürtels und mancher Vervollkommnung germanisch blieben, freilich nicht
mehr, wie jetzt nur noch der König, das Haar herabwallen ließen und
nur einen Lippenbart trugen. Der Luxus im Gürtelschmuck, in Spangen,
Ringen, Halsschmuck, beim Hausrat und bei den Waffen, die Verwendung
von Perlen, Edelsteinen, Silber und Gold bleibt auf die Vornehmeren
beschränkt. Dergleichen Zierat verstanden aber die Franken bereits
selbständig herzustellen; und in der Verzierungsweise bewahrten sie
durchaus germanische Eigenart (Flecht- und Verschlingungswerk). Echt
volkstümlich war die alte Gelagefreude, war der alte Brauch der
Chorgesänge, die Bewahrung der Zauberlieder, war die Freude an epischen
Vorträgen. Gerade aus den sturmreichen Zeiten der Völkerwanderung
heraus war erst bei den Goten und dann bei den übrigen Stämmen der
Heldensang erblüht, getragen von einer Art Sängerstand.

Alles dies gilt wesentlich von den östlichen Franken: die westlichen,
die unter einer viel stärkeren romanischen Bevölkerung saßen, haben
sehr rasch viel mehr von romanischer Art angenommen, ähnlich den
Goten usw. Wenn nun aber von dieser Art schon durch die Zugehörigkeit
zum Frankenreiche allmählich vieles auch auf die östlichen Franken
überging, so folgten dieser Entwicklung die übrigen _östlichen und
nördlichen Stämme_ doch viel, viel langsamer. Anders liegt die Sache
naturgemäß nur im Süden, im einstigen Noricum und Raetien, also
auch in Teilen, die jetzt die Bayern besetzt hatten. Hier war von
der romanisch-keltischen Bevölkerung, trotzdem Odoaker große Teile
nach Italien hatte bringen lassen, doch viel sitzen geblieben, so in
den »Walchenorten« (mit Walch-, Wal- zusammengesetzte Ortsnamen),
so in dem wesentlich von Romanen bewohnten Regensburg, das ganz als
römische Stadt weiter bestand. Vieles von der römischen Kultur blieb so
ungestört erhalten. In den eigentlichen Alpenländern, in Oberbayern,
dem heutigen Tirol und der rätischen Schweiz, steigt der romanische
Anteil und damit die romanische Beeinflussung der Lebenshaltung, die
sich in manchen Resten (wie in der Sprache) noch heute zeigt. Die
Almwirtschaft ist wesentlich romanisch; ebenso trieb man den Weinbau
in den Talgegenden in römischer Weise weiter und verbreitete ihn auch
nach Norden. Romanische Einflüsse zeigt weiter nördlich überhaupt die
Landwirtschaft, aber auch Handwerk und Kunstgewerbe, wie die weiter
blühende Waffenindustrie in Regensburg. Römische Münzen liefen noch
lange um. Auch in den nunmehrigen Sitzen der Alemannen (Schweizer
Vorlande, Schwaben, Baden, Elsaß) wirkte zum Teil die Kultur der einst
keltischen, dann romanisierten Bevölkerung einigermaßen nach (vgl.
schon oben S. 10). Diese Alemannen, ein einheitlicher Stamm, wie ihr
Recht und wie die nur ihnen eigene Kultur des Dinkels zeigen, kamen
den Franken am nächsten, aber waren durchaus die Empfangenden ebenso
wie die Bayern. Wieder etwas mehr zurück standen die Thüringer, die
im übrigen von den Franken besonders beeinflußt wurden, noch mehr
zurück die erst spät dem fränkischen Reich angegliederten Friesen,
die trotz ihres frühen Seeverkehrs, ihrer Wollweberei und ihres
Tuchhandels, trotz ihrer ständigen Berührung mit den Franken und
ihrer frühen Bekanntschaft mit den Erzeugnissen höherer Kultur zäh
am Alten hingen, und die Sachsen, die das Gegenbild zur fränkischen
Kultur darboten. Auch bei den vorgeschrittensten Stämmen ist aber
von einer Romanisierung nicht die Rede. Folgenreich war nur, daß sie
alle, die Sachsen unter Trennung von den mit ihnen enger verbundenen,
noch länger ihre volle Eigenart bewahrenden Nordgermanen[6], zu einem
politischen Ganzen, zunächst gewaltsam, vereinigt und an das jetzige
Ausgangsgebiet höherer Kultur angegliedert wurden. Damit waren die
Möglichkeiten, die die starken Stammesgegensätze, die wenig beschränkte
politische Selbständigkeit z. B. der Bayern, Alemannen usw. und die
große kulturelle Verschiedenheit in sich bargen, beseitigt und auch
die Grundlage zu einer späteren, zunächst nur christlichen, noch nicht
nationalen Kulturgemeinschaft gegeben. Andererseits war ja auch der
politische Charakter des Frankenreichs überwiegend germanisch geworden,
nur die Kirche stellte das Romanentum dar. Das Werk Karls d. Gr. war
dann noch jene Angliederung der Sachsen. Die nunmehr im Frankenreich
vereinigten großen Teile germanischer Herkunft konnten freilich auf die
Dauer mit den romanischen Teilen im Westen nicht vereinigt bleiben.
Aus dem fränkischen Reich und der karolingischen Universalmonarchie,
die bald zerfiel, blieb aber die dauernd wirksame Grundanschauung
bestehen, daß die später im ostfränkischen, dann im deutschen Reich
vereinigten »Barbaren« bezüglich der höheren Kulturelemente auf den
romanischen Westen bzw. Süden angewiesen waren.

Bewußt nahm diese Aufgabe der »Kultivierung«, d. h. der Romanisierung
_Karl_ d. Gr., der als Ostfranke weit mehr als einst die romanisierten
Merowinger seine eigene Zurückgebliebenheit empfand, trotz aller
Vorliebe für das germanische Volkstum in Angriff. Die von ihm
geförderte Bildungsbewegung, die man nicht ganz treffend als
karolingische Renaissance bezeichnet – denn noch war die Antike eine
von selbst wirkende Kraft, und es handelt sich um ein letztes Zeichen
dieser unmittelbaren Wirkung –, ist insofern besonders geartet, als
Karl durch die Verbindung mit Italien wieder auf die reineren Elemente
der Antike zurückging. Besser als in Gallien, wo allerdings die
Kirche die Reste der verfallenden römischen Bildung rettete, hatte
sich diese bei den Angelsachsen gehalten; auf sie, die überhaupt auf
die Franken einen bedeutenden kulturellen Einfluß übten, d. h. auf
Alkuin stützte sich auch Karl. Aber es war doch eine rein auf der
Person des großen Herrschers beruhende, durchaus höfische Bewegung.
Und der wichtigste Faktor dieser karolingischen Kulturpolitik war
doch die mächtiger gewordene orthodoxe Kirche, die schon Pipin viel
zu verdanken hatte und die von Karl äußerlich und innerlich gestärkt,
freilich selbst in rein kirchlichen Fragen noch völlig beherrscht
wurde. Seine wesentlich formalen Bildungsbestrebungen (Neubelebung
des Lateinischen) waren auch durchaus von christlichem Geiste erfüllt
und sollten namentlich den Geistlichen zugute kommen. Eben diese
christliche Zielsetzung aller Bildungspflege entstammte vor allem dem
Geiste Alkuins. Die Kirche sah andererseits, was auch für die spätere
Aufnahme des Kaisertums durch die Ottonen, überhaupt für das ganze
Mittelalter bestimmend wurde, im fränkischen Reich ihre Stütze, wie
ja gerade das Papsttum erst durch die Verbindung mit den »nordischen
Barbaren« groß geworden ist, und zugleich das berufene Organ für die
Durchführung ihrer Ideen. Karl sah wieder im Christentum das gegebene
Mittel, seine Völker zu höherer Gesittung und Bildung zu bringen;
seine Schulbestrebungen gehen nur auf christliche Unterweisung aus.
Und wenn Karl, dessen »Renaissance«streben später rasch vergessen
wurde, gerade durch seinen persönlichen Eifer die kulturelle
Betätigung der Kirche förderte, stärkte, ja diese Betätigung ihr
als selbstverständliche Aufgabe ein für allemal einprägte, überhaupt
die eigenartige Verquickung des Christlichen mit dem Weltlichen im
Mittelalter begründete, so kam die Zeit, wo alle höhere Kultivierung
und damit eben die Romanisierung allein von der Kirche ausging. Selbst
die auf romanische Vorbilder zurückgehende Hebung der wirtschaftlichen
Kultur, für die Karl eifrig tätig gewesen war, wenn auch seine
vielgerühmten Musterwirtschaftsordnungen im ganzen nur für Westfranken
in Betracht kommen, wurde nun wesentlich Sache der Kirche, insbesondere
der Klöster, die z. B. von den Agilulfingern in Bayern geradezu wegen
der Rodung und Kolonisierung des Wildlandes gefördert wurden. So war
es auch mit den romanischen Überlieferungen der äußeren Zivilisation,
z. B. mit dem Steinbau. Wesentlich von der Kirche und dem Hofe des
Herrschers gerettet, beeinflußten sie zunächst nur die Herrenschicht.
Dem Volke blieben diese Dinge noch lange fremd, gingen auch nur
sehr langsam auf weitere Kreise über, zu allerletzt die geistigen
Kulturgüter. Die spätere Übertragung dieser wie der wirtschaftlichen
römischen Kulturgüter sollte, vor allem durch das Klosterwesen, das
Werk der Kirche sein, die durch ihren internationalen Charakter, durch
ihre römische Spitze ja auch fortwährend innige Berührungen mit dem
französischen und italienischen Klerus und so mit den besser erhaltenen
antiken Überlieferungen der romanischen Länder hatte, im übrigen aber
auf das Volk als Inbegriff alles Höheren einen überwältigenden Einfluß
üben mußte.


Fußnoten:

    [2] Im übrigen sei auf mein Büchlein: »Germanische Kultur in
        der Urzeit«, 3. Aufl., verwiesen.

    [3] Es sei auf das in dieser Sammlung (Nr. 112) erschienene
        treffliche Bändchen von H. Dragendorff, Westdeutschland zur
        Römerzeit, verwiesen.

    [4] Vgl. dazu _Steinhausen_, Geschichte der deutschen Kultur
        I², S. 87.

    [5] Vgl. _Steinhausen_, Gesch. d. d. Kultur I², S. 84.

    [6] Das ist ein wichtiger Vorgang. Bis dahin hängen das
        skandinavische und das südliche Germanentum noch eng
        zusammen.



Zweites Kapitel.

Erste Fortschritte deutschen Lebens im Rahmen deutscher Eigenart unter
wachsender Führung der Herrenschicht.

(Ländlich-kriegerische Kultur.)


In dem großen fränkischen Reiche war der einstige Gegensatz zwischen
»Römern« und fränkischen Barbaren zu einem kulturellen Gegensatz des
überwiegend romanischen, kultivierteren Westens (Neustriens) zu dem
rückständigeren germanischen Austrasien, dem nun die innerdeutschen
Stämme angegliedert waren, geworden. Nationale Gefühle spielten dabei
noch nicht mit. Die Germanen selbst empfanden zwar ganz dumpf eine
gewisse Verwandtschaft, aber der Franke sah den Sachsen doch keineswegs
als Glied eines gemeinsamen Gesamtvolkes an, und die Angliederung und
Christianisierung der Sachsen vollzog sich so blutig und grausam, wie
später etwa die Sachsen gegen die Slawen vorgingen. Man empfand nur
den Gegensatz zwischen Christen und Heiden. Das nationale Moment war
auch nicht für die Abtrennung des ostfränkischen, später deutschen
Reiches entscheidend: aber es war doch nicht bedeutungslos, daß in ihm
sprach- und stammverwandte Völker, wenn auch nur äußerlich, vereinigt
und im wesentlichen von den Romanen geschieden waren. Freilich bestand
auch ein Sprachgegensatz der Franken zu den Sachsen, die ebenso
wie die Friesen und Niederfranken die sogenannte Lautverschiebung
nicht mitgemacht hatten, also der für die Zukunft so wichtige
Sprach-(überhaupt Kultur)gegensatz zwischen Ober- und Niederdeutschen,
aber er wurde doch weniger empfunden als der nun deutlich werdende
Sprachunterschied von den Romanen, der bei der Eidesleistung zu
Straßburg 842 schon beachtet wurde. Karl der Kahle schwor in ~teudisca
lingua~. Von der Volkssprache her kam man denn auch zu der Bezeichnung
der »Deutschen«. Das Wort, zuerst 786 vorkommend, bezeichnet zunächst
nur den Gegensatz zur lateinischen Sprache. Es bezeichnet die
»_volkstümliche_« (~thiudisc~) Mundart, zunächst auch nur die des
betreffenden Stammes. Als Gesamtname wird »~Teutisci~«, das Walahfrid
Strabo schon 840 für deutschsprechende Leute anwendet, zuerst bei den
Romanen, so 845 in einer Trienter Urkunde, gebraucht. Erst im 10.
Jahrhundert beginnen die Deutschen in ihrer Gesamtheit sich selbst als
»Deutsche« (~Teutonici~) zu bezeichnen.

Der Ausgangspunkt war also wieder ein kultureller, der Gegensatz der
Volkssprache zur lateinischen Kultursprache, des Volkstums zur höheren
Kultur. Wie diese Volkssprache sich nicht besiegen läßt, so ist es mit
dem ganzen Leben. Das romanische, internationale Kulturelement ist
dem deutschen Volke eingefügt; man empfindet seine Übermacht und läßt
es in seinem höheren Bereich wirken: aber ebenso bleibt man, für die
Aufnahme jener Kultur in weiterem Maße noch gar nicht reif, in Wesen
und Art durchaus bei der _eigenen Kultur_ und entwickelt diese, meist
nur äußerlich (und zwar besonders im Westen) romanisch beeinflußt,
langsam weiter. So wenig gestört und so eigenartig germanisch verlief
diese Entwicklung nicht wie im skandinavischen Norden, wo trotz der
später auch dahin gelangten christlichen und antiken Einflüsse Poesie
und Mythologie eine Welt großartig-gewaltiger Eigenart widerspiegeln.
Auf der anderen Seite schloß die Bodenständigkeit der deutschen Stämme
ein Erliegen gegenüber der höheren Kultur wie bei den in das römische
Reich eingedrungenen Germanen aus. In der Hauptsache müssen wir also
für die nun sich kräftig entwickelnden deutschen Stämme von einer
_eigenen Kultur_ reden. Die später so bezeichnende Bildungskluft
freilich bestand schon. Ein Teil des Volkes, damals der Klerus, lebte
in einer ganz anderen Kulturwelt als der andere, so wenig seine Glieder
sich von ihrem eigentlichen Volkstum völlig freimachen konnten. Viele
Elemente der romanischen Lebensverfeinerung gingen sodann immer stärker
auf die Herrenschicht, die sich dadurch wieder in einen Gegensatz zu
der unteren Schicht setzte, über; an der höheren Bildung aber nahm auch
diese Herrenschicht, abgesehen von ihren weiblichen Gliedern, die meist
im Kloster erzogen wurden, nicht teil, dachte und fühlte vielmehr im
wesentlichen wie das Volk. So entwickelte sich in der großen Masse der
Laien bis etwa zu den Kreuzzügen im wesentlichen alles aus dem Alten
heraus, wenn auch der Pfahl im Fleisch saß und der geistige, sittliche,
künstlerische, wirtschaftliche Einfluß des Klerus langsam auf eine
Erziehung zu höherer Kultur hinwirkte. Freilich war der großen Masse
des Volkes gegenüber der Frühzeit vieles genommen. Von einer Mitwirkung
im öffentlichen Leben war nicht mehr die Rede; Könige und Herren,
gestützt auf die Geistlichen, waren allein ausschlaggebend. Die große
Masse beschränkte sich auf ein _bäuerliches_ Dasein, das sich im Rahmen
der Markgenossenschaft abspielte. Die Landwirtschaft war auch die
Grundlage des Lebens der Herren, freilich mit einem starken Einschlag
kriegerischer Interessen. Mit den rasch fest gewordenen Sitzen hatte
nach der Völkerwanderung, der letzten großen Störung organischer
Fortentwicklung, ein langes _Zeitalter des Ausbaus_ der deutschen
Stammesgebiete begonnen, vom 6. Jahrhundert bis zum 13. reichend
und vor allem durch gewaltige _Rodungen_ charakterisiert, durch
die Erschließung immer neuen Kulturlandes für die immer zunehmende
Bevölkerung. Man rodete in der Sucht nach Neuland auch auf solchen
Gebieten, die sich zum Ausbau nicht eigneten und daher später wieder zu
Wüstungen wurden. Allmählich hielten sich Wildland und Kulturland etwa
die Wage, aber die Waldmasse bleibt lange noch stark und schreckend
genug. Im übrigen litt der Wald auch unter rücksichtslosester Nutzung
(Weide, Holzverbrauch usw.) Von der Bruchlandschaft der Flußtäler blieb
das Kulturland noch ziemlich lange fern. Das Gesamtergebnis war aber
eine außerordentliche Vermehrung dieses Kulturlandes.

Zunächst hatte nun das junge »deutsche« Leben noch große äußere
Fährnisse zu bestehen. Das ostfränkische Reich bedrohten die
Normanneneinfälle, weniger freilich als das westfränkische, weiter
das Vorfluten der Slawen, die zerstörenden Ungarneinfälle, die vor
allem in Bayern auch die Bevölkerung stark mitnahmen. Dazu kam die
dauernde Schwächung der Reichsgewalt durch die einst von Karl d.
Gr. unterdrückten, jetzt neuerstandenen Stammesherzogtümer. Aus dem
Chaos rettete Reich und Volk eigentlich erst die Übertragung der
Königswürde an den Sachsenherzog Heinrich. Gerade dadurch wurde der
deutsche Charakter von Staat und Kultur erst recht befestigt; von einem
ostfränkischen Reich ist nicht mehr die Rede, so sehr auch Hof, Kanzlei
und Verwaltung an die fränkische Grundlage anknüpften.

Jenes Übergewicht der Stammesherzöge hängt mit der Bedeutung der
Stämme überhaupt zusammen. Die neue deutsche Volkskultur ist zunächst
_Stammeskultur_. Politisch ist weder von einem Nationalbewußtsein noch
von einem Einheitsstaat die Rede. Franken und Sachsen, einst gleichsam
zwei feindliche Völker, sind nur äußerlich vereinigt. »Das Reich der
Sachsen und Franken« hieß jetzt das Reich. So haben auch die fremden
Völker des öfteren die mittelalterlichen Deutschen je nach dem Stamm
bezeichnet, der ihnen gegenübertrat, als Alemannen (Allemands), als
Sachsen (so im Norden), als Schwaben. Der Unterschied der Stämme
beruhte zum Teil auf der schon hervorgehobenen Verschiedenheit des
Kulturgrades. Im ganzen glichen sie sich freilich in jener einfachen
ländlichen Haltung. Überall hatte sich nun der Eigenbesitz des
einzelnen völlig durchgesetzt; es herrschte Naturalwirtschaft, und von
irgendwie bedeutendem Handel und Verkehr ist noch keine Rede. Aber
je weiter nach Westen und auch nach Süden, um so weiter war man. Vom
Westen her kamen vor allem, wie schon erwähnt, Obstkultur und Weinbau,
von Westen her schritt der Steinbau fort, von dort kamen allerlei
Fortschritte und Verfeinerungen des Lebens sowie die von der Kirche
gepflegten Elemente geistiger Bildung und künstlerischen Schaffens,
kamen die Formen der staatlichen Verwaltung.

Dieses wichtige westliche Vermittlungsgebiet, das neben der materiellen
namentlich auch seine geistlich-geistige Kultur dauernd an das Innere
Deutschland weitergab, war jetzt in dem künstlich entstandenen
Herzogtum _Lothringen_, das ja zum Teil mehr westfränkischen
Charakters war, begriffen; Cöln, Aachen, Trier, Metz gehörten dazu.
Dagegen stellte das neugegründete jetzige Herzogtum _Franken_ mit den
Hauptorten Mainz, Frankfurt, Worms, Speier sowie Würzburg im Osten
nur einen Teil des fränkischen Gebiets dar und war schon mehr von
der unmittelbaren Berührung mit dem romanischen Westen abgedrängt.
Allmählich machten sich nun aber auch stärkere Beziehungen zu dem
italienischen Süden bei den ohnehin z. T. auf altem Römerboden
sitzenden Schwaben (Alemannen) und Bayern (s. S. 17) geltend. Freilich
traten die Schwaben zunächst vor den _Bayern_, die ja schon im
ostfränkischen Reich auch eine kräftigere politische Rolle gespielt
hatten, zurück. Wichtiger als jener, die spätere Handelsgröße des
Südens langsam vorbereitende Verkehr über die Alpen waren aber in
dieser Zeit die Beziehungen der Bayern nach Südosten. Die Donau
verband sie mit der überragenden Handels- und Kulturstätte Byzanz,
und Regensburg gewann besondere Bedeutung. Das Wesentliche war
aber natürlich auch in Bayern die ländliche Haltung, und der Stand
des Ackerbaus und der Viehzucht wird schon in einer Quelle des 8.
Jahrhunderts sehr gerühmt. Die wirtschaftliche Kultur machte auch durch
zahlreiche frühzeitige Klostergründungen Fortschritte. Gerade in
Bayern bildete sich auch ziemlich früh die große Grundherrschaft aus,
während bei den Alemannen die Siedelungen vollfreier Bauern weit länger
vorherrschen. Immerhin sind es neben den noch zu nennenden Sachsen
gerade die Bayern, die ihre volkstümliche Eigenart am meisten bewahren,
trotzdem sie z. T. früh von der römischen Kultur beeinflußt sind. Aus
Sachsen und Bayern stammt, wie Vogt hervorgehoben hat, unser Besitz an
deutscher Alliterationsdichtung, bei Sachsen und Bayern-Österreichern
lebt in der mittelhochdeutschen Zeit die alte nationale Epik wieder
auf. Es ist daher auch nicht wunderbar, daß den Westdeutschen wie die
Sachsen, so auch die Bayern später als rückständig galten. Selbst
ein Bayer, Wolfram von Eschenbach, hat ironisch den »Preis« (»Lob«)
der Bayern einmal auch den »Wâleisen« zuerteilt: »die sind toerscher
(noch einfältiger) denne beiersch her.« In unserem Zeitalter lebten
auch große Teile namentlich der nördlichen Bayern in sehr einfachen
Verhältnissen. Dasselbe gilt von den _Schwaben_ im Schwarzwald und
anderswo, während im Bodenseegebiet und im Westen (Straßburg) wie
auch im Osten (Augsburg) sich alte Kulturstätten befanden. Erst viel
später sollten die Schwaben in politischer wie in kultureller Beziehung
eine Zeitlang an die Spitze der Stämme treten. Ziemlich primitiv
waren sodann die Zustände der mitteldeutschen Stämme der _Hessen_
und der _Thüringer_, von denen jene, mit diesen zum Teil gemischt
und am wenigsten von den Stürmen der Völkerwanderung berührt, einen
Teil des fränkischen Herzogtums bildeten, diese aber jetzt zu dem
sächsischen, dem größten und eigenständigsten aller, gehörten. Die
_Sachsen_ hatten immerhin trotz ihrer zähkonservativen Art, mit der
sie die früheren Zustände bis ins 9. Jahrhundert bewahrten, einige
Fortschritte gemacht. In fränkischer Zeit hatten sie auch äußerlich in
ihrer weiten Leinentracht mit dem langwallenden Haar noch der Frühzeit
nahegestanden, hatten ohne Könige unter einer alten Führeraristokratie
ziemlich zersplittert und nur durch den Kult zusammengehalten gelebt,
treu der alten Sitte und trotz der (nur äußeren) Christianisierung
treu dem alten Glauben an Wotan und Donar und Saxnot, überaus stolz
und unbändig. Römerreste, Städte und Castelle, gab es im Lande nicht.
Ihre großen Fluchtburgen waren besonders eigenartig ausgebildet. Der
Ackerbau hatte seit germanischer Zeit nicht allzugroße Fortschritte
gemacht, die Viehzucht war noch vielfach bevorzugt. Vom Meer waren
sie, seit Karl d. Gr. ganze Stämme aus ihren Küstensitzen fortgeführt
hatte, fast ganz abgedrängt. Das Herzogtum, das sich bei ihnen über
jene Aristokratie erhoben hatte, war durchaus bodenständig und
kraftvoll. Aber es war ein besonders begabter Stamm, und als die
Berührung mit der fränkischen Kultur lebhafter wurde, vor allem jedoch,
als die deutsche Königswürde an die Sachsenherzöge überging, da
erblühte in diesen sächsischen Landen eine nicht zu verachtende Kultur,
die indes weit mehr als die des Westens durchaus jenen eigenständigen
Charakter, freilich auch eine gewisse Spröde und Herbheit bewahrte. Ja,
diese sächsische Frühkultur wurde nun vielfach maßgebend für den jetzt
feindlich gesinnten germanischen Norden; vor allem aber trat sie, wie
die bayerische in der südlichen Ostmark, den Slawen überlegen entgegen
und beeinflußte sie. Weitaus am rückständigsten von den deutschen
Stämmen waren die _Friesen_, die jetzt fast die ganze Küste der Nordsee
besetzt hatten und zum Teil in ihrem alten kühnen Seefahrer- und
Strandräuberleben aufgingen – schon im 9. Jahrhundert waren sie zu gut
gebauten, hochbordigen Segelschiffen (Koggen) ohne Rudereinrichtung
gekommen –, die aber auch als Bauern ihre Unabhängigkeit und Freiheit
gegenüber der im Binnenlande immer auffälligeren Herabdrückung der
Freien durch die Grundherrschaft tapfer aufrechterhielten. Es war
ein rohes und trotziges Volk, das sich um die Kirche nicht viel und
immer weniger auch um das Reich kümmerte. Die Friesen standen noch
viel später in bösem Rufe. Der westliche Teil hatte sich freilich früh
über das rein ländliche Dasein erhoben. Diese Friesen verhandelten
die selbsthergestellten groben und die feineren englischen Tuche
weit in die Lande, trieben daneben auch früh sonstigen Handel, z.
B. Weinhandel. Vermittler mit England, aber auch mit Skandinavien,
gingen sie ihrerseits den Rhein hinauf und sonst in die aufkommenden
westdeutschen Städte, wo es zum Teil besondere Friesenviertel gab.

Es sind nun nicht nur die kulturellen Unterschiede, die die wichtige
Verschiedenheit der einzelnen Stämme ausmachen: es ist auch eine
besondere Art und Veranlagung, die aus langem Zusammenleben anfangs
nur äußerlich vereinigter Gruppen entsteht, aber auch an Himmel
und Boden gebunden und aus dem Urgrund des Volkstums entsprungen
ist (vgl. S. 1). Die Verschiedenheit der äußeren wirtschaftlichen
Verhältnisse (Viehzucht, Besitzformen), weiter der Landschaft, des
Bodens, der Stammesart, auch z. T. römische Beeinflussung bringen
dann die Mannigfaltigkeit der später zäh festgehaltenen Haustypen
hervor, die hier nicht im einzelnen besprochen werden können und deren
Ausbildung etwa in unser Zeitalter (10./11. Jahrh.) fällt. Sie sind
gewissermaßen das äußere Hauptmerkmal der gerade damals so wichtigen
Stammesunterschiede, obwohl die Benennung der Haustypen nach Stämmen
mit gutem Recht angefochten wird und die Hausformen durchaus nicht
ausschließlich an einen bestimmten Stamm gebunden sind.

Diese Stammesunterschiede, namentlich bezüglich der größeren oder
geringeren Annäherung an romanisch-fränkische Traditionen, sind nun
immer im Auge zu behalten, wenn jetzt im _allgemeinen_ dargelegt
werden soll, daß trotz der erwähnten Einflüsse das nun erblühende
_deutsche Kulturleben_ – gerade die äußere Zusammenfassung ergibt,
abgesehen von dem überhaupt Gemeinsamen, auch wieder Annäherung und
Ausgleich – eine _große Eigenart_ bewahrte. Die _Art der Menschen_
zunächst, die auch physisch noch im wesentlichen den germanischen Typus
zeigten, hatte noch immer viel Ursprüngliches, Triebhaftes. Die alte
_individualistische Unbändigkeit_ ward freilich mehr und mehr für die
Herrenschicht bezeichnend, von deren Unbotmäßigkeit und gegenseitigem
ewigen Hader die Geschichte genug Belege gibt. Und mochte es ähnlich in
kleinen Kreisen gelegentlich zugehen, so war für die niederen Schichten
doch jene Herabdrückung der kleinen Freien ebenso ein beschränkendes
Moment wie die Gebundenheit durch den genossenschaftlichen Charakter
nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des sozialen Lebens.
Gewalttätige Übergriffe der Herrenschicht gegen die Niederen wurden
immer häufiger. Freilich hatte die Gewalttat unter diesen natürlich
auch ihre Stätte, und selbst den Herren gegenüber fehlte trotziger
Widerstand und Rachedurst nicht. Die Freien trugen alle noch Waffen,
auch sonst die besseren Abhängigen, und nur der ganz Niedere mußte
sich schon waffenlos ducken. Blutige Szenen waren nirgend selten,
namentlich durch die alte Trunksucht hervorgerufen. Auch die
Geistlichen verleugneten vielfach solche Züge nicht. Der rohe Barbar,
bei dem die natürlichen Leidenschaften zum offenen Ausdruck kommen, ist
noch vollkommen erkennbar, im Westen freilich weniger. Der Lothringer
urteilte über den Sachsen schon nach Art der Romanen. Wie man sich
etwa im geschlechtlichen Leben unbefangen und naturwüchsig gab, so
herrschte auch sonst kräftige Derbheit. Ein rauher, fast brutaler Zug
ging durch das Dasein. Auf Menschenleben legte man wie früher keinen
besonderen Wert, auch auf das eigene nicht. Den persönlichen Feind
schlug einer nieder, wo er ihn traf. Man griff noch immer leicht zur
Selbsthilfe, kannte auch kaum ein Billigkeitsgefühl. Die unsicheren
Zeiten des ostfränkischen Reiches hatten ferner eine starke Neigung zu
gewalttätigen Räubereien, namentlich bei den Herren, hervorgerufen.
Auch niedere Räuber fuhren zahlreich umher. Hier griff die unter den
Sachsen erstarkte Königsgewalt, von der man vor allem eine gesicherte
Rechtspflege erwartete, schärfer durch, namentlich unter Otto d. Gr.
und Heinrich II., der streng strafte. In den Strafen war man noch
grausam wie in der Urzeit, ebenso im Behandeln der Kriegsgefangenen,
die man zuweilen erst folterte und dann hinmordete. Solche Wildheit war
naturgemäß mit der alten Kampfesfreude eng verbunden, und unbändige
Tapferkeit war ein Zug, den die anderen Völker, vor allem die sich
überlegen dünkenden Italiener, den Deutschen als hervorstechendsten
zugestanden. Nach dem nunmehrigen christlichen Schutzpatron der
Kämpfer, dem heiligen Michael, dessen Namen die Mannen im alten
Schlachtgesang, ähnlich wie im germanischen Barditus, brüllten,
benannte man die Deutschen selbst. Von sonstigen barbarischen Zügen
mag die alte, häufig belegte Treulosigkeit hervorgehoben werden, die
neben sympathischen Eigenschaften, Treuherzigkeit und Gutmütigkeit,
durchaus einherging. Selbstverständlich ist, den noch immer primitiven
Verhältnissen entsprechend, die Gastlichkeit, die in weitgehendem Maße
nunmehr vor allem auch von den Klöstern geübt wurde.

Wie stand im übrigen eben die Kirche zu diesem von Naturtrieben
erfüllten deutschen Menschen? Unzweifelhaft hat sie bereits eine
gewisse Milderung des barbarischen Wesens herbeigeführt, zum Teil
freilich nur mittelst Formen, die das gewaltige Naturmenschentum auf
andere Weise sich übertrieben ausströmen ließen. Aber vorher ist zu
fragen: hat das _Christentum_ überhaupt eine innere Umwandlung des
deutschen Menschen bewirkt? Schon das oben Angeführte zeigt, daß
davon nur in geringem Maße die Rede sein kann. Es ist andererseits
eine überaus starke Beeinflussung des geistigen und des Gemütslebens
ganz selbstverständlich, ohne daß jedoch alte, tiefgewurzelte
Vorstellungen und Gemütsregungen vernichtet wurden. Es kam vielmehr
zu einer ganz _eigenartigen Mischung_, ohne die wir das ganze spätere
Geistesleben des Volkes nicht verstehen können. Wenn noch im Italien
der Renaissancezeit das antike Heidentum innerhalb der katholischen
Kirche in allerlei mehr oder weniger abergläubischen Formen und
Auffassungen fortlebte, wenn man dasselbe noch zum Teil von der
heutigen Volksreligion im romanischen Süden sagen kann, so wird man
nicht erwarten dürfen, daß die Christianisierung der deutschen Stämme
die wirkliche Annahme eines Glaubens, für den jene noch lange nicht
reif waren, bedeutete. Das erwartete die Kirche damals selbst nicht.
Getreu der Anweisung Gregors d. Gr. an einen Missionar der Angelsachsen
begnügte man sich vielfach mit einer christlichen Verbrämung
heidnischer Bräuche, mit einer äußerlichen Umwandlung alter Kultstätten
in christliche Gotteshäuser, der Verquickung heidnischer Naturfeste mit
christlichen Festen, der Göttergestalten mit christlichen Heiligen.
Man darf in solcher Gleichsetzung freilich nicht zu weit gehen. Dem
alten Volksglauben an Seelen und Dämonen, deren schädigende Macht man
durch Zauberspruch und Opfer bannen oder zum Heil, zur Wohltat wenden
könne, kam ferner der schon von der fränkischen Kirche ausgebildete
Wunderglaube und Heiligenkult geradezu entgegen und hatte die Heiligen
schon damals volkstümlich gemacht. So sah man auch jetzt im Gebet, im
Bekreuzigen, im Besprengen mit Weihwasser treffliche Zaubermittel. Die
Wundersucht zeigt jetzt natürlich eine rein kirchliche Beeinflussung
in Anlehnung an die biblischen Wundererzählungen: zugleich nimmt
sie außerordentlichen Umfang an. Die Tätigkeit der Heiligen wird in
der Hauptsache als Wundertun insbesondere zur Heilung der Gebrechen
und Krankheiten aufgefaßt, ihre Reliquien dienen nur diesem Zweck.
Dabei erhalten die Wundergeschichten einen jugendlich rohen, stark
übertriebenen Charakter. Die Geistlichen förderten die ganze Sache,
trieben den bösen Dämon aus, suchten durch Handauflegen und Gebet eine
Heilwirkung zu erzielen, priesen die geschehenen Wunder der Reliquien
usw. Wenn aber die Kirche andererseits streng ein Abschwören der
heidnischen Götter verlangte, ja diese mit dem Schimmer des Bösen,
des Teuflischen umgab, so blieb in Sinn und Brauch des Volkes doch
noch lange Zeit vieles auch von dem Heidentum bewahrt, das die Kirche
nicht verchristlicht hatte oder sonst nicht duldete. Man ersetzte
auch wohl in einem alten Zauberspruch Götternamen durch Christus
oder Maria, bewahrte aber ebenso oft entstellt auch jene Namen (z.
B. Wodan). Freilich brachte jene Verfluchung das Scheuverborgene,
Unheimlich-Düstere in den nicht christlich verbrämten alten
Volksglauben, und wer den christlichen Zauber nicht kräftig genug
erachtete – trotzdem im ganzen eben der Zauber des neuen Gottes und
seiner Heiligen in den Augen des Volkes die Kraft der alten Gestalten
übertraf –, der begab sich heimlich nächtlich zu den Bewahrern oder,
man denke an die weisen Frauen der Germanen, den greisen Bewahrerinnen
heidnischen Zaubergutes, die die Kirche nun ihrerseits heftig verfolgte
und grausam strafte. Manche wieder machten gerade diese heidnischen
Zauberer für Schädigungen und Übel verantwortlich und feindeten sie,
ganz im Sinne der Kirche, obwohl diese solchen Glauben verwarf,
ingrimmig an. Im übrigen herrschte ja bereits in vorchristlicher
Zeit der Glaube an zauberisch schädigende Menschen (Weiber), und man
verbrannte sie schon damals. Umgekehrt ging wieder auf den Geistlichen
der Nimbus des mit geheimnisvollen Kräften Begabten über, und ebenso
ist es im Grunde das Vertrauen auf die Zauberkraft der Kirche, wenn
man ihr Schenkungen machte, d. h. opferte. Diese Opferung erweiterte
sich jetzt vor allem zur Hingabe von Landbesitz, der eigentlichen
Machtquelle jener Zeit. Dazu trieb nun aber jetzt besonders auch der
neue Gedanke an das Jenseits. Man stimmte die dämonische Macht nicht
nur wie einst für das irdische Leben günstig, bannte Schädigungen usw.,
man erkaufte sich auch den Himmel. Der Sporn dazu war die von der
Kirche als wirksames Mittel namentlich später benutzte Sorge um das
Seelenheil, die Furcht vor der Verdammnis, die andererseits die noch zu
schildernde aufgeregte, zum Teil krankhafte Stimmung der Zeit mächtig
förderte.

So war also die Christianisierung zunächst kein so ungeheures Erlebnis
der Deutschen, vielmehr blieb dabei wieder die alte Eigenart zum guten
Teil bewahrt. Wenn nun weiter die Geschichte des Heilandes den von
jeher auf das Hören alter Geschichten erpichten Deutschen in einfachen
Formen erzählt wurde, so fesselte sie solche Rede sicherlich. Aber
ihrem Geschmack entsprach sie nicht: da wurde nicht von Helden aus
edlem Geschlecht gesagt, nicht von kriegerischen Taten, rauher Härte
und ruhmvollem Ende, sondern von Menschenliebe, von demütiger Ergebung
und Duldung und ungerächtem, bitterem Leidenstod. Aber man machte
wohl durch manche Zutaten diese Kost schmackhafter. Davon zeugen
die von Geistlichen getragenen ersten dichterischen Gestaltungen
des Lebens Christi in deutscher Sprache, Otfrieds Dichtung und der
niedersächsische Heliand, in denen deutlich nationale Töne anklingen,
kriegerischer Geist noch lebendig ist. Aber selbst diese Dichtungen
entsprachen nur dem Verständnis der schon mehr geistlich geschulten
Deutschen, nicht etwa dem der Masse überhaupt. Auch Heiligenlegenden
wurden wohl also zugestutzt, die Heiligen selbst gewannen zum Teil in
der Vorstellung des Volkes das Ansehen von Helden und wurden so, wie
St. Michael und St. Georg, Lieblingsgestalten des Volkes.

Daß die Kirche nun überhaupt ihre Macht im Volke immer mehr befestigte,
das lag an ihrer praktischen Wirksamkeit, an ihrem fördernden Einfluß
in wirtschaftlicher Beziehung, an ihrem humanitären Charakter, an
ihrer Fürsorge für die Armen, der Organisation der Krankenpflege,
an dem Schutz, den sie Bedrängten lieh, der größeren Wertung des
Menschenlebens, an der Zurückdrängung der Todesstrafe wie der Sklaverei
u. a. Ebenso festigten natürlich der äußere Pomp, das feierliche
Drum und Dran das Ansehen der Kirche, deren Machtgeheimnis aber vor
allem ihre feste Organisation und die unbeirrbare Folgerichtigkeit
ihres Vorgehens waren. So konnte von einem Widerstand gegen die
eigentliche Lehre, deren Elemente namentlich seit Karls d. Gr.
»volkserzieherischen«, d. h. lediglich christianisierenden Bestrebungen
auch weiter in die Masse gedrungen waren, um so weniger die Rede sein,
als das Dogma und dogmatische Erörterungen damals und später eine
sehr geringe Rolle spielten. Man nahm die Lehre gläubig hin, unklar
aufgenommen oder unverstanden. Eine selbständige Erfassung derselben
war ausgeschlossen. Praktisch sie zu betätigen, daran dachte man wenig,
wie ja noch heute. Aber die Kirche hatte im Zusammenhang mit ihrer
auf eine hohe Kulturstufe gegründeten Sittenlehre, überhaupt ihren
kulturellen Überlieferungen noch jene andere, kulturgeschichtlich
sehr wichtige und in der Verbindung von Sittlichkeit und Religion
ganz neue Aufgabe, die _Sittigung_ des noch immer wenig gebändigten,
halbbarbarischen Menschen. Und mit dieser zunächst durch Lehre und
Predigt, weiter durch das geistliche Beispiel erstrebten inneren
Umwandlung kam der härteste Zusammenstoß mit der nationalen
Eigenart. Hier griff die Kirche auch durch ihre Strafmittel, durch
die Kirchenzucht ein. Und wirklich erreichte die Kirche viel, im
wesentlichen freilich nur eine gleichmäßige äußerliche Handhabung
gewisser Ausdrucksformen für eine im Grunde wenig vorhandene neue
Gesinnung. Mit einem gewissen Erfolg bekämpfte sie die Gewalttaten
(Mord und Raub) und auch die tiefeingewurzelte Selbsthilfe durch
schwere Bußen; sie drängte die Vielweiberei stark zurück, mäßigte
etwas die Habgier durch Erziehung zur Opferwilligkeit für die Kirche
usw. Vergeblich war ihr Kampf gegen die Trunksucht. Die am meisten
ungermanische Forderung der Kirche war die Demut. Hochfahrender Stolz
und Leidenschaftlichkeit sollten verschwinden, Heldenruhm und Glanz
nichts mehr gelten, Rache am Feinde ein Frevel und Wehrlosigkeit kein
Übel sein. Solche Anschauungen konnten unmöglich durchdringen. Aber
schon im 10. Jahrhundert begann man bei bestimmten Vorgängen auch
außerhalb der geistlichen Kreise Formen gewohnheitsmäßig anzuwenden,
die unterwürfige Demut, etwa wenn man Verzeihung oder Hilfe heischte
oder Reue zeigte, oft übertrieben ausdrückten. Wichtig ist dabei, daß
auf Stufen früher Entwicklung überhaupt alle Empfindung überkräftig
ausgedrückt und von lebhaften Gesten begleitet wird, ohne daß eine
seelische Erschütterung vorliegt. Man denke an die Klageweiber an der
Leiche. So flossen die Tränen damals überaus häufig als stehendes
Ausdrucksmittel nicht nur der Geistlichen, auch der hochgemuten Helden.
Auch ein Akt der Barmherzigkeit wird von den Tränen des Helfers
begleitet. Höchst ausgebildet ist die Sprache der Hände; der Kuß
spielt ebenfalls eine große Rolle. Die äußeren Formen haben damals und
später eine um so größere Wichtigkeit, als sie das Mittel der »Zucht«
waren, als die Wildheit der Menschen durch strenge Beachtung vor allem
bestimmter Verkehrsformen gezähmt werden sollte. Aber jene starken
Ausdrucksformen zeigen doch immerhin wieder die sonst mühsam bekämpfte
jugendliche Leidenschaftlichkeit der Hingabe an eine Sache.

Dasselbe gilt von der zur _Askese_ gesteigerten Frömmigkeit, die damals
viele Menschen ergriff. Auch die Askese sollte der Bändigung der
natürlichen Leidenschaften dienen, aber war doch selbst ein Erzeugnis
fanatischer Hingabe. Der Durchschnitt der Deutschen lebte nur in einem
äußerlich erfaßten Christentum; es hielt sich z. T. noch das reine
Heidentum, so in Sachsen; man hat noch im 11. Jahrhundert Spuren
von Baumkult, von Verehrung heiliger Steine. Auf der anderen Seite
hatte aber die Jenseitsrichtung des Christentums allmählich weitere
Kreise gemütlich erfaßt, wie es schon die Ergänzung der Geistlichen
z. T. voraussetzt. Diese Hingabe nahm seit dem 9. Jahrhundert eben
jene jugendlich-leidenschaftliche Form an. Eine von der älteren
orientalisch-antiken Askese verschiedene naiv-massive Art derselben
griff ansteckend um sich. Es war die erste Stufe einer tieferen
Annahme eines neuen Glaubens, aber doch auch noch äußerlich; es war
das Streben, Frömmigkeit so kräftig-grell zum Ausdruck zu bringen,
als es der Kraft und Naivität des damaligen Menschen entsprach.
Dieser übrigens wieder erst von Westen kommende Geist spornte im 10.
Jahrhundert vor allem die Klostergeistlichen zu immer schärferer
asketischer Betätigung, zu Bußübungen und peinvollen Entsagungen
an: aber er veranlaßte auch immer mehr Leute, der Welt zu entsagen
und in ein Kloster zu treten. Ja, auch unter der großen Masse der
Laien verbreitete sich zum Teil asketischer Geist, ein Aufsichnehmen
besonderer Fasten und Bußübungen, geschlechtlicher Enthaltsamkeit.
Besonders charakteristisch wird die Klausner- und Klausnerinnenmode,
die gegen das Jahr 1000 sehr zunahm, namentlich in Lothringen, aber
auch z. B. in der Nähe St. Gallens. Es ist kein Zufall, daß gerade
Frauen sich diesem Geist zahlreich und mit besonderer Wärme hingaben.
Die gemütliche Seite des Christentums hat schon früh auf die Frauen
am meisten gewirkt, und in der Zeit der Christianisierung mag manche
Frau ihren Gatten dem Heidentum abspenstig gemacht haben, wie schon
die Burgunderin Chrodechilde den Frankenkönig Chlodwig. Frauen und
Geistliche wurden früh Bundesgenossen. Nicht nur von den vornehmen
Frauen gilt das, wie uns so viele Beispiele aus der sächsischen Zeit
beweisen, sondern auch von den niederen. Eben die Klausnerinnen zeigen
den Einfluß, den nun die asketische Bewegung auf sie gewann, wie
auch von den 300 Klöstern, die es zu Beginn des 10. Jahrhunderts in
Deutschland gab, ein erheblicher Teil, ein Viertel, auf Frauenklöster
kam.

Aber diese ganze Bußstimmung hat für den großen Durchschnitt der hohen
und niederen Laien wenig zu besagen, trotz der häufigen Bewunderung
solcher Vorbilder. Und auch sonst ist von einer tieferen inneren
Umwandlung der Gesamtheit doch nur in den Anfängen zu sprechen. Es
mußte ja freilich auch in der Masse nachwirken, daß der irdische
Besitz, daß die natürlichen Freuden des Lebens in ihrem Wert nunmehr
erniedrigt waren; es mußte die nunmehrige sittliche Weihe der
Arbeit, die ja durch das bäuerliche Dasein in Wirklichkeit schon die
größte Bedeutung erlangt hatte, die Anschauungen der Menschen stark
befruchten; das Evangelium der Nächstenliebe, etwas ganz Neues, mußte
einen tieferen Wandel des Denkens und Fühlens herbeiführen. Aber alles
das wirkte doch nur allmählich. Rascher trug die Kirche dazu bei, die
alte Hochhaltung der persönlichen Freiheit zu mindern, und wenn sie
schon durch die Organisationsformen ihres Besitzes die Ausbildung der
Abhängigkeitsverhältnisse gefördert hatte, wenn sie dann dadurch, daß
die Hingabe des Besitzes an die Kirche, die Stellung unter ihren
Schutz als etwas Verdienstliches angesehen wurde, die Zahl der sich
ihrer Freiheit begebenden stark vermehrte, so begünstigte sie damit
eine Entwicklung, die sich überhaupt seit längerer Zeit vorbereitet und
durchgesetzt hatte. Ohne tiefere Beeinflussung durch die Kirche blieb
endlich zunächst noch das eigentliche Geistesleben, die Denkarbeit der
Menschen. Die Bekanntschaft mit der fremden Welt der gottesdienstlichen
Formen, des Inhalts des Evangeliums, der Heiligengeschichte erweiterte
natürlich etwas den geistigen Gesichtskreis; die elementaren
christlichen Grundlehren vermittelten auch eine ganz andere Art des
Denkens: aber von einem Verständnis für das Denk- und Lehrsystem der
Kirche, in das die geistlich gewordenen Volksgenossen freilich mittelst
der kirchlichen Schulung und später mit Hilfe der Romanen mit immer
größerer Hingabe eindrangen, konnte keine Rede sein.

Vielmehr zeigt auch das _geistige_ Leben der Deutschen vom 9. bis zum
11. Jahrhundert durchaus das Gepräge der _Eigenart_. Vom Standpunkt
der Weltkultur aus sieht man nur die mühsame, unendlich lange
dauernde Schule, die die Deutschen, zunächst die geistig führende
Geistlichkeit, nunmehr in der fremden Bildung durchmachten. Man sieht
nur den Tiefstand, sogar die Bildungsfeindlichkeit der großen Masse
der Laien und das Bildungsmonopol der oft auch nur in geistigen
Niederungen bleibenden, ein unklassisches »Mönchslatein« handhabenden
Geistlichkeit. Man sieht meist nicht das freilich immer mehr gestörte
eigenartige nationale Geistesleben, aus dem doch wieder das Beste
an der später erblühenden Kunstdichtung entsprang. Das Unheilvolle
war eben die Kluft zwischen der auf die Antike gegründeten höheren
Bildung, deren Träger, ebenso wie auf dem Gebiet der Kunst, nach Karl
d. Gr. nicht mehr der Hof, sondern lediglich die Geistlichkeit an
den Bischofssitzen wie in den Klöstern war, und dem Geistesleben des
Volkes, dessen Schöpfungen von den Bildungsträgern tief verachtet
waren und darum auch bei den höheren Laien immer mehr an Achtung
verloren. Noch lebten im Volke die alten Gesänge, neue in diesem
Geist kamen hinzu. Den alten Sänger der Vorzeit und der fränkischen
Zeit hat nun der Spielmann abgelöst, der auch die Zeitereignisse in
dichterischer Form mitteilte und in die abgeschlossene ländliche
Welt des Deutschen allerlei neue Kunde brachte, ebenso wie andere
Fremde, der Krämer, der Bote, der Mönch, die, unbeschadet alter
Gastlichkeit, gerade deshalb besonders willkommen sind, weil man von
ihnen Neuigkeiten erwartete. Mit den Spielleuten mischten sich die
Gaukler, die ~joculatores~, die Nachkommen der fahrenden Leute aus
dem römischen Reiche, und manch verkommener Kleriker. Durch letztere
war wohl auch der der Kirchenpoesie entstammende romanische Reim
schließlich die stehende äußere Form der Dichtung geworden. Schwänke
und Lügendichtungen, auch allerlei, vielleicht früh die Geistlichkeit
verhöhnende, derbe Geschichten wurden von diesen Spielleuten gepflegt
und behagten den Hörern. So kam es denn früh zu einer Bekämpfung
dieser Volksdichtung durch die Geistlichkeit. Um den »unzüchtigen
oder mindestens eitlen Sang der Laien zu verdrängen«, schrieb im 9.
Jahrhundert der Mönch Otfried von Weißenburg sein Evangelienbuch; aber
das deutsche Gewand dieser geistlichen Reimdichtung zeigt ebenso wie
die noch alliterierenden Kunstdichtungen der altsächsischen »Genesis«,
des niedersächsischen »Heliand«, des oberdeutschen »Muspilli«, daß die
Geistlichen doch auch schon früh die nationale Sprache benutzten, um
im Sinne der Kirche, in deren Dienst man überhaupt alles zu stellen
suchte, auf das Volk zu wirken oder durch heimische Sänger wirken zu
lassen. Andererseits bedeutet diese nationale Färbung doch wieder eine
erste Annäherung der Kultur an das Volkstum. Der alte Heldensang, der
nach Karl d. Gr. lediglich unter dem Gesichtspunkt des Heidnischen
von der Kirche bekämpft wurde, hielt sich am längsten wieder in
Sachsen: hier sagte und sang man noch lange von Dietrich von Bern
und Ermanrich. Aber im ganzen wird er immer mehr zur Volkskost, bis
er im 12. Jahrhundert, wohl unter dem Einfluß der neuen weltlichen
romanischen Dichtung, auch in vornehmeren Kreisen wieder Boden gewann.
Im übrigen werden solche alten Gesänge auch von Leuten aus dem Volke
selbst vorgetragen sein, und ebenso erzählte man sich sonst alte Sagen
und Märchen, Tierfabeln u. dgl. oder pflegte überkommenes Rätselgut und
Spruchweisheit. Natürlich blühte der mit Tanz verbundene Volksgesang
weiter, bei dem meist einer vorsang und die Menge nur beim Refrain
einfiel.

Den geistigen Gesichtskreis des Volkes, der sonst im einem durchaus mit
der Natur verbundenen, auf alter Erfahrung und Überlieferung fußenden
Arbeitsleben unter der naiven Vorstellung einer Belebtheit der Natur
mit guten und bösen Wesen beschlossen war – ein gemütliches Verhältnis
hatte man insbesondere auch zur Tierwelt, vor allem zur Vogelwelt –,
mag man niedrig nennen. Das gilt auch von den niederen Geistlichen,
die bei ihrer äußerst notdürftigen Bildung sich geistig kaum von
der übrigen Masse, mit der sie in volkstümlicher Weise lebten,
unterschieden. Aber auch der Gesichtskreis der höheren Laienwelt war
ziemlich derselbe, nur daß sich die Interessen der Großen auch auf
Machtfragen, auf Einzelheiten der Verwaltung und wie die der übrigen
Herren auf kriegerische Dinge, wenigstens kriegerische Ausbildung und
Übung, und auf die Jagd als Hauptunterhaltung erstreckten. Diese wurde
mehr und mehr ein Vorrecht der Herren, die ihrer Jagdleidenschaft auch
dann huldigten, wenn sie geistlichen Standes geworden waren und hohe
Kirchenämter bekleideten.

Ein wichtiges Gebiet war damals noch ein gemeinsames Geistesgut
der Hohen und Niederen, das _Recht_, dessen Lebendigkeit und
Volkstümlichkeit wiederum ein Zeugnis der Bewahrung der Eigenart
ist. Es war Stammesrecht, aus altem Herkommen erwachsen. Je nach
der Entwicklung hatte sich nacheinander eine Kodifikation desselben
ergeben (vgl. S. 14), aber die fremde Sprache und Schrift machten
einen volkstümlichen Gebrauch der Rechtsbücher selbst unmöglich. Wo
man eine bestimmte Entscheidung nötig hatte, gab ein Mann geistlicher
Bildung in einem Kloster oder an einem Herrensitz Auskunft: denn
Handschriften der Rechtsbücher liefen genug umher. Es scheint aber,
als ob im 10. Jahrhundert ein Teil der vornehmeren Laien soweit
der lateinischen Schulbildung teilhaftig wurde, daß man gerade die
Rechtsbücher lesen konnte. Im Volk lebte die Rechtskenntnis durch
Überlieferung weiter, ja das Volk wirkte wie in der Vorzeit auch
rechtsbildend und rechtsschöpferisch, vor allem in seinen ländlichen
Gemeindegerichten. Noch lebte auch die volkstümliche Organisation
der Hundertschaftsgerichte. Die Entwicklung der Zustände machte im
übrigen manche Weiterbildung des Rechtes erforderlich: so bezüglich der
Verhältnisse der zahlreichen Abhängigen, bei denen bald ein Streben
nach aufwärts einsetzte. Bei der Ausübung der Rechtspflege war ja schon
seit der fränkischen Zeit das Volk, das in den Hundertschaftsgerichten
die Urteilsfinder, die Schöffen, stellte, durch die wachsende Macht
des leitenden Richters, des vom König eingesetzten Grafen, der den
gewählten Volksrichter allmählich verdrängte, einigermaßen beschränkt.
Jetzt mochten den Richter auch schon hier und da aus dem kanonischen
Recht stammende römische Rechtsanschauungen beeinflussen, wie es z.
B. die strengeren Strafen zeigen. Im ganzen aber bleibt es bei einer
lebendigen Anteilnahme des Volkes.

Weiter bestätigt die _Namenwelt_, daß die alte Eigenart durchaus weiter
lebte, sich freilich nicht mehr in Neuschöpfungen betätigte. Die
germanische, überaus reiche, vor allem die Kampfes- und Kriegsfreude
widerspiegelnde Namenwelt ragt noch in die jetzige Zeit, bis ins 12.
Jahrhundert, kraftvoll hinein. Ja, die naturgemäß mit dem Christentum
einströmenden fremden Namen (insbesondere Heiligennamen), die zuerst
unter dem hohen Klerus und bei den geistlichen Frauen auftreten, gehen
im 10. und 11. Jahrhundert wieder zurück.

Auch das _soziale_ Leben hält sich im ganzen von Beeinflussung durch
die fremde Kultur frei. Jene frühzeitlichen Zustände, die vielfach
denjenigen bei anderen primitiven Völkern entsprachen, entwickeln
sich nun langsam und ziemlich ungestört weiter. Das Familienleben
zeigt noch das alte Gefüge, wenn auch die Bedeutung der Sippe stark
geschwunden ist; so traten, wenn auch nicht bei allen Stämmen
gleichmäßig, die Sippensiedelungen vor den nur örtlich verbundenen
Siedelungsgenossenschaften zurück. Der Hausvater herrscht mit alter
Gewalt; in niederen Kreisen ist die Frau noch oft Arbeitstier; selbst
in höheren muß sie gelegentlich Züchtigungen erdulden. Sentimentale
Gefühle walten bei der Eheschließung nicht, wie andererseits keine
Weichheit den Kindern gegenüber besteht und in sächsischen Gegenden
noch im 11. Jahrhundert Mißgeburten gelegentlich getötet werden. Die
Ehe kam durch lange Verhandlungen der beiderseitigen Familienvertreter
zustande; äußere, praktische, materielle Gründe sind, wie noch viel
später, entscheidend. Mehr und mehr ist dank der Einwirkung der Kirche
die Einwilligung der Braut erforderlich geworden. Die kirchliche
Einsegnung dringt nur langsam durch und ist noch viel später nicht
völlig allgemein. Frauenraub ist jetzt ein strafwürdiges Verbrechen.
Das Eheleben verläuft in unbefangener Naturwüchsigkeit. Von einer
besonderen Keuschheit ist jetzt noch weniger die Rede als früher,
zumal nunmehr die Geistlichen häufig die Verführer spielten. Untreue
war nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen häufig.
Wohlhabende Grundherren hielten auch ungehindert Beischläferinnen.
Aus den unehelichen Kindern mochte sich vielfach die Geistlichkeit
ergänzen. Eigentliche Sittenlosigkeit herrscht auch im Westen jetzt
weit weniger als zu fränkischer Zeit, am wenigsten sonst in Sachsen,
wo auch die frühere Achtung vor Geist und Gemüt der Frauen noch am
lebendigsten erhalten ist.

Unverkennbar tritt im sozialen Leben die Stärke des deutschen
_genossenschaftlichen_ Geistes hervor. Sie zeigen vor allem seit
uralter Zeit die Gilden, die sich vielleicht aus den germanischen
Geschlechtsverbänden entwickelt, von ihnen als wichtigen Kern des
Zusammenlebens die Opfergelage – daher die Bedeutung der Gelage in
späterer Zeit – übernommen haben und wie ein familiärer Verband eine
feste Schutzgemeinschaft für den einzelnen in allen Verhältnissen
bildeten, durch Eidschwur zusammengehalten, später christlich gefärbt
und den christlichen Brüderschaften angenähert. Sie zeigt ferner die
nach Schwinden der Sippensiedelungen eintretende nachbarschaftliche
natürliche Organisation mit ihren wirtschaftlichen Grundlagen und
Zielen, sie zeigt die größere Markgenossenschaft. Ebenso tritt
aber auch das scheinbare Widerspiel dieses Geistes hervor, der
_Individualismus_. Er ist es, der staatlicher Zusammenfassung, der
Bildung einer straffen Zentralgewalt noch immer widerstrebt. Nicht
nur das Fürsichleben der Stämme ist dafür bezeichnend, sondern vor
allem die egoistische Machtgier der einzelnen Großen, die trotz Karls
d. Gr. Einschreiten später immer aufs neue den Königen und in den
Stammesgebieten wieder den Herzögen widerstanden.

Noch war auch das alte Machtmittel der einzelnen Großen lebendig,
die Gefolgschaft, gestützt auf die für die germanische Sittlichkeit
bezeichnende Mannentreue, die später noch die Epik der Spielleute
feiert. Wie sich in den Kämpfen der Frühzeit immer nur die einzelnen
Führer mit ihren Gefolgschaften als Hauptpersonen, ihre Stämme und
Völker nur nebenbei gegenüberstanden, wie dann in der Heldensage
der Gegensatz zwischen Goten und Römern völlig zurücktritt vor der
Geschichte des einzelnen Helden mit seinen Getreuen, also vor allem
Dietrichs von Bern (Theodorichs), so ist es vielfach noch jetzt. Jene
Gefolgschaft hat aber nunmehr, wie schon seit fränkischer Zeit, neue
Formen angenommen; sie steckt in der (so seit dem 8. Jahrhundert
mit einem keltischen Wort bezeichneten) Vasallität, für die wieder
die gallische Kommentation (s. S. 13), die Ergebung von unfreien,
landlosen und schutzbedürftigen Leuten in den Schutz eines Mächtigen,
vor allem zum Dienst in Not und Krieg, eine Vorstufe gebildet hatte.
Diese Klasse der Vasallen wurde immer zahlreicher, ergänzte sich
auch immer stärker aus Freien und bildete nicht nur die Umgebung
des Königs, sondern auch die anderer Großer. Sie waren durch eine
formelle Bindung (Treueid seit Mitte des 8. Jahrhunderts) vor allem zum
Kriegsdienst verpflichtet, weshalb auch die geistlichen Organisationen
Vasallen an sich fesselten. Da der Landbesitz durch die Ausbildung des
Sondereigens die Grundlage des Daseins, seine Erträge die Hauptform
des Unterhalts darstellten, war die Übergabe von Grund und Boden
zur Nutzung die natürliche Entlohnung. Das Austun von Land auf Zeit
gegen Abgaben hatte zuerst die Kirche für ihren wachsenden Grundbesitz
in der Form der römischen Precarei angewandt. Bei der Belehnung der
Vasallen fielen aber die Abgaben fort: es war bloße Guttat, und so
hieß das Lehen Benefizium. Bald gewann nun diese Belehnung dauernden,
erblichen Charakter, und dies reizte immer mehr Leute zum Eintritt
in die Vasallität an. So entsteht aus der Verbindung von Vasallität
und Benefizialwesen das _Lehnswesen_, das zunächst nur der Schaffung
eines Kriegs-(Reiter-)heeres diente – wie der König Land an Große
verlieh, so verliehen diese es wieder an niedrigere Freie, um Reiter
zu erhalten –, das aber schließlich alle öffentlichen Verhältnisse im
Mittelalter tiefgehend beeinflußte (s. S. 105). Neben dem Kriegsdienst
lag den Vasallen nämlich früh die Versehung von Ämtern ob, wie schon
im germanischen Gefolge gewisse Verrichtungen verteilt gewesen sein
werden, und die Entlohnung erfolgte ebenfalls durch Benefizium. Aus
der tatsächlichen, nicht rechtlichen Erblichkeit der Benefizien ergab
sich schließlich eine Erblichkeit der Ämter, schon gegen Ende der
Karolingerperiode (s. S. 42).

Die ganze Erscheinung ist nun aber bezeichnend für das _zielbewußte
Macht- und Besitzstreben einer aristokratischen Schicht_, die sich
ebenfalls schon seit fränkischer Zeit über die Masse der Volksfreien
erhoben hatte. Diese Heraushebung eines Adels ist eine natürliche
Entwicklung bei den meisten Völkern, und wenn sie bei den Sachsen
aus bestimmten Gründen schon vor alters eingetreten war, so ist
dieser Vorgang für die Franken und die ihnen angegliederten Stämme
wieder nur ein Beweis der selbständigen Eigenentwicklung auf Grund
der fortschreitenden wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse:
die Erscheinung trat daher noch später bei den Nordgermanen ein. Der
Vorgang geht naturgemäß Hand in Hand mit einer Herabdrückung der Freien
mit mäßigem Grundbesitz. Noch zu Beginn der fränkischen Zeit und später
bildeten diese die große mittlere Masse, auf denen das öffentliche,
das soziale Leben, der Kriegsdienst im wesentlichen ruhten. Über ihnen
eine kleine Klasse von Großen, die durch Beute, durch Tapferkeit oder
Klugheit, durch altes Ansehen in den Wanderungszeiten Macht erworben
hatten und vom König aus dem eroberten Land umfassender beschenkt
worden waren. Unter den Freien wieder eine größere Menge Unfreier,
vielfach Romanen und Kelten. Ähnlich waren die Verhältnisse noch viel
später in den innerdeutschen Gebieten, bei den Alemannen, Bayern usw.,
wo die Freien mit kleinem Besitz noch lange in den Volksversammlungen
in alter Weise zusammenkamen, überhaupt den Ausschlag gaben. Aber
gerade in den eroberten Landen, im Frankenreich, hatte schon eine mit
dem Eroberungsgeist einzelner und den auch weiterhin kriegerischen
Zeiten zusammenhängende Umwälzung eingesetzt. Wir sahen bereits (S.
16), wie hier ein neuer Dienstadel Freie in Abhängigkeit brachte, oft
durch Mißbrauch der amtlichen Gewalt, wie diese dann auch von selbst
sich oft in ein Schutzverhältnis begaben und ihren Besitz als Lehnsgut
unter bestimmten Verpflichtungen wiedererhielten. Die Entwicklung, die
übrigens noch ganz in den Anfängen war, ging in karolingischer Zeit
weiter: schon Karl d. Gr., der sich auf den neuen Adel für Krieg und
Verwaltung stützen mußte, konnte nur gelegentlich offene Übergriffe
strafen und kämpfte vergeblich gegen das System, mittelst dessen etwa
der Graf den Freien, der ohnehin in den kriegerischen Zeiten durch die
Heerespflicht (Reiterausrüstung, da das Heer immer mehr zum Reiterheer
wurde), durch häufige Naturalverpflegung von Großen, durch den Zehnten
der Kirche bedrückt war, durch schikanöse Anwendung des Heeresbannes u.
dgl. ruinierte oder in Abhängigkeit brachte. Die persönliche Freiheit
galt auch immer weniger; wichtiger war der Landbesitz, selbst wenn
er belastet war; auch sonst versprach das Abhängigkeitsverhältnis
Vorteile. Am leichtesten aber begab man sich in den meist bequemen
Schutz der seligmachenden Kirche, deren steigender Grundbesitz auch
immer mehr der Bewirtschaftung durch Zinsbauern bedurfte. Der Vorgang
kommt in karolingischer Zeit keineswegs zum Abschluß, darf überhaupt in
seiner Bedeutung und Ausdehnung nicht, wie lange, überschätzt werden.

Grundbesitz war die Quelle der Macht und des Wohlstandes: daher die
Gier der schon Mächtigeren nach dessen weiterer Vermehrung, daher die
Rodungslust der großen Grundherrschaft. Die Größe des Grundbesitzes
aber erforderte wieder die Verfügung über Arbeitskräfte, d. h., da
man nicht Lohnarbeiter haben konnte, über abhängige Leute, die als
persönlich Unfreie dem Herrenhof selbst dienten oder als Zinspflichtige
das Einkommen vermehrten, die üppigere Lebenshaltung sicherten und zu
allerlei Diensten Arbeitskräfte stellten, auch zur Erschließung des
Wildlandes. Soweit es herrenlos war, machte dieses neben dem eroberten
und dem konfiszierten Land den mächtigen, anfangs im Wirtschaftsleben
weit voranstehenden Besitz des Königs aus, der aber wieder durch
Weiterbegabung die Hauptquelle für den Grundbesitz des Adels und durch
Schenkung für den der Kirche war. Das Gut der letzteren nahm der
Herrscher freilich zu Zeiten wieder wie Königsgut zur Belehnung anderer
in Anspruch, was aber durch neue Schenkungen früher oder später ersetzt
wurde. Das Königsland, das sich bald nicht mehr wie früher vermehren
konnte, wurde durch jene Verleihungen allmählich stark gemindert.
Die Kirche aber erhielt ebenso wie vom König auch von den Herzögen,
weiter auch vom Adel überhaupt immer neue Schenkungen. Meist handelte
es sich dabei freilich um Wildland, dessen planmäßige Kultivierung
die überlieferungsgemäß überlegene Wirtschaftskunst der Kirche am
besten verstand. Gerade deswegen wurden die Klöster von Fürsten und
Grundherren gefördert, damals also die der Benediktiner. Dazu kam
der von der Kirche immer (s. S. 33 f.) angeregte Schenkungs- und
Übertragungseifer der Kleinbesitzer. Diese Übertragung von Gütern war
übrigens meist eine bedingte, d. h. sie geschah oft unter dem Vorbehalt
der Nutznießung auf Lebenszeit. Oft verlieh die Kirche zu Nießbrauch
mehr zurück, als sie erhielt. Im ganzen ist für den geistlichen wie
übrigens auch für den weltlichen Besitz eine _Verstreutheit_ der Güter
(Streubesitz) charakteristisch. Die besitzlosen Abhängigen gebrauchte
man zu Arbeitsdiensten, zur Rodung u. a. und setzte sie als Zinsbauern
auf Neuland an, wie es auch die weltlichen Grundherren taten. Denn
der diesen verliehene Besitz war auch meist Wildland. Seine weitere
Vermehrung geschah dann oft auf die oben geschilderte Weise der
Abhängigmachung anderer Freien.

So hatte sich denn mittelst der Zusammenfassung größerer Mengen von
Grund und Boden die sozial und wirtschaftlich wichtige weltliche und
geistliche _Grundherrschaft_ gebildet. Neben dem eigenbewirtschafteten
Fronhof bestand sie aus mehreren, dem hofrechtlichen Verband eng oder
lose angeschlossenen Zinsgütern, aber auch aus solchen, die außerhalb
desselben ausgetan waren. Die Zahl der eigentlichen geschlossenen
Grundherrschaften bleibt aber gering gegenüber der Masse der (mehr
oder weniger abhängigen) bäuerlichen Wirtschaften. Den Zusammenhang
der Grundherrschaft mit der fortschreitenden Kultur mag man daraus
erkennen, daß ihr Gebiet in erster Linie die am frühesten kultivierten
Lande, der Westen und Süden, vor allem die eigentlich fränkischen Teile
sind. Ihre Hauptzeit reicht etwa bis zum Ende des 12. Jahrhunderts.
Ihre Bedeutung, die man eine Zeitlang viel zu hoch eingeschätzt hat,
liegt einmal in der systematischen Erschließung des Wildlandes, zu
der es eben einer Organisation bedurfte, weiter in der Durchführung
höherer Wirtschaftsformen, der Einführung von Spezialkulturen und der
wirtschaftlichen Erziehung der in der Mehrheit wirtschaftlich immerhin
selbständigen bäuerlichen Bevölkerung, die aber von der Grundherrschaft
oft auch unbeeinflußt blieb, sodann in der Hebung und Verfeinerung der
äußeren Lebenshaltung, wozu eben die größeren Einkünfte die Möglichkeit
boten, also auch in einer Förderung der Kunst, endlich in der Übernahme
einer Reihe von öffentlichen und Verwaltungsaufgaben, die ihr schon
die Karolinger notgedrungen immer mehr überlassen hatten, zu deren
Lösung aber auch die schwache Zentralgewalt in einem weiten Reich mit
sehr unentwickelten Verkehrsverhältnissen noch nicht fähig war. In
letzterer Beziehung kam nun die in karolingischer Zeit immer häufigere,
als Entlohnung aufzufassende Verleihung von Hoheitsrechten bedeutsam
hinzu, vor allem die der Immunität (s. S. 13), die zunächst Verbot des
Eintrittes der öffentlichen Beamten in ein geistliches, bevorrechtetes
Gebiet, weiter Erhebung der öffentlichen Abgaben durch den
Immunitätsherrn und Ausübung der Gerichtsbarkeit über die Insassen des
Gebiets bedeutete. Weiter ist dann der Zusammenhang von Grundherrschaft
und Lehnswesen wichtig. Viele Lehnsträger wurden durch die erwähnte
Erblichkeit der Lehen zu Grundherren; andere Grundherren vermehrten
ihren Besitz durch die Lehen. Vor allem aber trug die eingetretene,
freilich erst später anerkannte Erblichkeit der zu Lehen gegebenen
Ämter, besonders des Grafenamts, dazu bei, daß die damit belehnten
Grundherren, deren Macht noch durch die Erlangung der erwähnten
Hoheitsrechte und ausgedehnten sonstigen Besitz gehoben wurde,
sich schließlich zu Landesherren auswuchsen. Auch die geistlichen
Grundherren erhielten durch jene Hoheitsrechte diesen Charakter.

Die mächtigsten, zu kleinen Staaten gewordenen Grundherrschaften haben
dann die alten _Gaue_, die zwar wesentlich geographische Bezirke sind,
aber doch eine gewisse Grundlage des öffentlichen Lebens bildeten,
beseitigt, völlig etwa mit dem 11. Jahrhundert, wenn auch ihre Namen
zum Teil im Volke ziemlich zähe weiterlebten. Anfangs fielen die
Grafschaften mit den alten Gauen auch oft zusammen, freilich nur in
beschränktem Maße. Wie es keinen Gau und keine Gauversammlung der
Freien mehr gab, so war auch die große Masse der Freien nicht mehr
der Träger des öffentlichen Lebens. Es herrschte eine auf großen
Grundbesitz gestützte Aristokratie, wenn man auch die Macht der
_staatlichen_ Gewalt nicht unterschätzen und ebensowenig vergessen
darf, daß auch die ländliche Gemeinde nicht ganz bedeutungslos war.

Gewiß hatte die Entwicklung ein gutes Stück alten Lebens vernichtet.
Auf der anderen Seite ist aber _von_ einer _Vernichtung_ der kleinen
_bäuerlichen Besitzer_ gar _keine Rede_. Im Gegenteil war die
Übertragung des Eigens an Herren oder Kirche und seine Wiedergewinnung
gegen Abgaben und Leistungen (Dienste) vielfach nur eine Sicherung vor
dem Ruin in der kriegerischen und gewalttätigen Zeit. Gerade auf diesen
Zinsbauern beruht auch die eigentlich wirtschaftliche Leistung dieses
Zeitabschnittes, freilich unter Führung der Grundherrschaft. Denn an
dem Eigenbau der Grundherrschaft ist in dieser älteren Zeit durchweg
festzuhalten. Die Zinsbauern – von den »Hörigen«, die Grundzins
zahlen, unterscheiden sich oft selbst die persönlich Unfreien, die
Kopfzins zahlen, in ihrer Lage nicht – lebten auch in so mannigfach
abgestuften Verhältnissen, daß die bevorzugtesten sich von Freien
nur wenig unterschieden, zumal die »Freiheit« jetzt wenig bedeutete.
»Freie Leiheformen« kommen früh vor. Ferner hielten sich aber auch
die _eigentlichen_ Freien in den Alpenländern, in den Marschgebieten
der Nordsee, auch in Westfalen, zum Teil von den grundherrlichen
Wirtschaftsfortschritten nicht berührt und daher rückständig. Man
hat neuerdings auch für andere Gebiete die Minderung der Freien
durch die Grundherren bestritten. Die Vermehrung der Lasten war im
übrigen durch eine frühe Festlegung derselben mindestens erschwert.
Wie angedeutet, kamen sogar persönlich Unfreie durch jenes Austun von
Land zu Zinsgütern, verbesserten also ihre Lage. Die besser gestellten
Zinsleute aber hoben sich immer mehr und galten schließlich bei
freieren Abhängigkeitsverhältnissen als frei. Allmählich geht auch der
Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit von den Herrenhöfen auf die
kleineren Zinsgüter über. Davon werden wir später (S. 94 f.) hören.

Zunächst aber erfüllte die Grundherrschaft, überhaupt die
_Herrenschicht_, jene _kulturelle Aufgabe in wirtschaftlicher_
Beziehung wie in Hinsicht höherer Lebenshaltung. Damit setzt die am
Anfang aller höheren Kulturentwicklung stehende soziale Sonderung
stärker ein: ihrem Fortschreiten steht wieder das Streben nach
Annäherung gegenüber. Die Beeinflussung der großen Menge bleibt
freilich gering, und auch innerhalb der Herrenschicht werden die
roheren Zustände oft nur durch Einzelheiten ein wenig verfeinert. Die
Fortschritte verdankte man im wesentlichen romanischen Einflüssen, auch
die wirtschaftlichen, abgesehen natürlich von der gewaltigen Rodungs-
und Ausbautätigkeit selbst, einem Hauptverdienst der Grundherrschaft.
Es war ein mehr quantitatives Verlangen nach immer neuem Kulturland,
und die _Kirche_ wurde diesem Verlangen vor allem dienstbar gemacht.
Bei ihr war auch sonst die _Führung_, vor allem bei den _Klöstern_,
wesentlich, weil sie italienische und westfränkische, also im Grunde
antike Überlieferungen in das innere Deutschland verpflanzten. Sie
haben vor allem Muster für eine Wirtschaftsorganisation in größerem
Maßstabe gegeben, wie einst der große Organisator Kaiser Karl. Unter
ihrer Leitung wurde systematisch gerodet, der Körnerbau eifriger
gepflegt, der Gemüsebau bereichert, der Gartenbau und die Obstkultur
gehoben, ein sorgfältig betriebener Weinbau verbreitet. Der Garten
in unserem Sinne, neben dem Baum(Obst)garten der Gemüse-, dann der
Heilkräutergarten und damit der Anfang zum Ziergarten, geht recht
eigentlich von den Klöstern aus, auch gerade seine regelmäßige
Anlage, die allmählich künstlicher wurde. Der Weinbau dehnte sich in
karolingischer Zeit schon weiter nach Osten und Nordwesten aus und
später selbst in die Koloniallande des Ostens bis ins Ordensland,
insbesondere wegen der gottesdienstlichen Verwendung des Weines von
den Klöstern eingeführt. Wassermühlen verbreiteten sich durch sie
von Westen her; in den klösterlichen Brauhäusern wurde besseres
Bier gebraut, dabei der Hopfen (wohl aus Gallien) eingeführt, in
den Backhäusern feineres Brot gebacken (schon wegen des Abendmahls,
das auch den Wein verlangte). Die Fastenspeise zu gewinnen, legte
man Teiche an und pflegte die Fischzucht. Die feinere Kochkunst ist
wesentlich klösterlichen Ursprungs, ebenso die bessere Butterbereitung.
Besondere Förderung fand die gewerbliche Arbeit, vor allem das Bauwesen
(Steinbau), bis hinauf zu künstlerischer Tätigkeit. Die antike
Überlieferung führte auch zu Wasserleitungen, und Brückenbauten waren
häufig.

Solcher Verdienste, namentlich nach der organisatorischen Seite,
entbehrt auch die _weltliche Grundherrschaft_ nicht, wenigstens folgte
sie vielfach dem geistlichen Vorbild (Gemüse-, Weinbau u. a.). Die
Düngung ward jetzt die Regel – die Dreifelderwirtschaft war es seit
langem –, der Wiesenbau verbreitete sich stärker im Zusammenhang mit
der Stallfütterung. Die Viehzucht hob sich entsprechend ständig, wenn
sie auch im allgemeinen jetzt mehr zurücktrat. Sehr gepflegt wurde
die Pferdezucht (für Krieg und Reisen); wegen der Wolle nahm die
Grundherrschaft auch die Schafzucht mehr und mehr in die Hand. Die
Betriebsformen des Ackerbaus blieben aber, wie noch lange, ziemlich die
alten. Im ganzen sind, z. B. bezüglich des Obst- und Gemüsebaues wie
der Bevorzugung des Weizenbaues, Unterschiede zwischen dem Westen und
Osten noch immer bemerkbar. – Die _Kleinwirtschaft_ stand natürlich
hinter der Grundherrschaft zurück, namentlich bezüglich der gartenmäßig
angebauten Früchte (Gemüse, Hanf, Flachs, Hopfen, Waid usw.) wie des
Weinbaus, der Wiesenkultur, der Viehzucht. Das Schwein blieb das
Haupttier des kleinen Mannes; ebenso war die Geflügelzucht wesentlich
bäuerlich. Man muß aber bedenken, daß die Zinsbauern doch die
eigentlichen Träger des Betriebes der Grundherrschaft waren. Im ganzen
kann von einer noch lange dauernden, ziemlich gleichmäßigen Einfachheit
des wirtschaftlichen Lebens, das meist wohl gedieh, gesprochen werden.

Und diese Einfachheit zeigen im wesentlichen auch jetzt noch die
allgemeinen _Lebensverhältnisse_, so sehr die Steigerung der
Gegensätze auf diesem Gebiet betont werden muß. Das Charakteristische
ist das Überwiegen wie die Gemeinsamkeit der _landwirtschaftlichen
Interessen_, entsprechend der naturalwirtschaftlichen Gesamthaltung
der Zeit. Damit ist aber nicht jede Bedeutung von Gewerbe und Handel
ausgeschlossen[7]. Auch das ländlich-kriegerische Leben bedarf beider.
Das _Handwerk_ war größtenteils etwas vorgeschrittene Hausarbeit,
besonders die Weberei. In der Grundherrschaft wurde nun die Weberei zu
einem größeren Betrieb, dessen Trägerinnen aber die Frauen blieben, und
auch sonst entwickelte sich dort eine umfassendere und zum Teil auch
durch Arbeitsteilung spezialisierte gewerbliche Tätigkeit, namentlich
nach der landwirtschaftlichen Seite hin (Stellmacher, Müller, Bäcker,
Brauer, auch Maurer). Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt aber nicht
bei der Grundherrschaft mit ihrer oft falsch aufgefaßten Organisation,
sondern bei den mehr oder weniger selbständig arbeitenden einzelnen
Leuten, die, obwohl vielfach zinspflichtig, doch in einem herkömmlich
erlernten Gewerbe oder in einer selbsterworbenen Kunstfertigkeit für
andere, insbesondere auch für Grundherren, in freier Weise tätig sein
konnten. So gab es von altersher Schmiede, insbesondere Waffenschmiede,
so Töpfer, Böttcher, Drechsler, Seiler, Gerber und Sattler, so sehr
früh jene friesischen Weber. Das höhere Kunstgewerbe, wie Erzguß,
Edelmetallbereitung, Malerei, höhere Baukunst, aber auch fremdartige
Techniken, wie die Glasbereitung, blieben freilich wesentlich auf die
Klöster beschränkt.

Knüpfte schon früh an die nicht an Ort und Stelle zu deckenden
Bedürfnisse ein primitiver _Handel_ an, heftete sich dieser früh auch
an bestimmte, örtlich spezialisierte Erzeugnisse wie die friesischen
Tuche oder an Waffen u. a., so war bei wachsenden Lebensansprüchen
der Herrenschicht der Handel mit kostbaren Stoffen, Schmuck und
Gerät, prächtigen Rüstungsstücken, feineren Genußmitteln und
Gewürzen auch in einem ländlichen Dasein bald notwendig. Neben dem
an Versammlungsstätten, bei Festen, an alten Verkehrspunkten früh
einsetzenden Markthandel mit den Erzeugnissen der Landwirtschaft, des
Hausfleißes oder jener selbständigeren Handwerker entwickelte sich der
Handel mit den begehrten Waren der Fremde, des Orients insbesondere,
aber auch mit gewissen Rohstoffen des Auslandes immer lebhafter. Er
wird auch, abgesehen von gelegentlichen, herumziehenden Händlern,
z. B. Mönchen, immer mehr von einer bestimmten Schicht getragen. Es
überwiegen zunächst freilich die fremden Händler, die Juden vor allem,
die Italiener, im Osten anfangs sogar die Slawen. Aber es gab auch
früh einheimische Kaufleute; insbesondere vertrieben die Friesen (s.
S. 26) nicht nur ihre friesischen groben Tuche, sondern vor allem
auch die feineren englischen Tuche über die Lande und über See. Nach
Osten hin herrschte bald der deutsche Kaufmann, auch nach Norden. Ein
wesentlicher Zug des gerade in den Zeiten unentwickeltem Verkehrs ganz
unentbehrlichen Kaufmanns ist sein Umherfahren; das gilt zum Teil auch
für die verkaufenden Handwerker. Mit dem von den Herren geförderten
Zuge in die Städte wurden diese Kaufleute seßhafter, für die Händler
mit Fernwaren, die nun zum Teil zu Großhändlern wurden, blieben aber
die Fahrten in die Fremde bezeichnend und notwendig, insbesondere in
den Seestädten. Alle Welt schätzte auch den Kaufmann; er stand auf der
Fahrt in des Königs Schutz, es wurden ihm besondere Privilegien in den
Städten verliehen. Freilich war er auch als Gegenstand der Belastung
mit Zöllen begehrt, und das ursprünglich königliche Recht der
Zollerhebung wurde von den Herren mehr und mehr in Beschlag genommen
und in mannigfaltigster Weise ausgebildet.

Am meisten förderte den Handel das Aufkommen eben der _Städte_,
also ständiger Marktorte, mit einer dichteren, ungleichartigen,
verschiedene Bedürfnisse entwickelnden Bevölkerung. Auch für jene
selbständigeren Handwerker bedeutete der Zug in die Städte eine
ganz neue Stufe: die größere Bevölkerung und die höheren Ansprüche
förderten das Handwerk innerlich und äußerlich; auf ihm beruhte ja
auch ein großer Teil des städtischen Handels. Die äußere Entstehung
der Städte ist zu einem guten Teil, ebenso wie im Altertum, an die
_Burgen_ (s. S. 49) anzuknüpfen, vor allem in Sachsen, dem neu in die
Entwicklung getretenen Lande. Die unsicheren Zeiten treiben die Leute
zu Siedelungen im Umkreise einer schützenden Burg; durch Gewerbe und
Handel vermehrt sich die Bevölkerung; der natürlich zunächst dem Herrn
der Burg gehörige Ort erhält jenen Marktcharakter. Die anfangs sehr
unentwickelte sichernde Befestigung, die sich in den unruhigen Zeiten
oft auch in Dörfern (Kirchhöfe) wie bei Klöstern findet, dehnt sich
auf den Ort selbst aus. »Burg« bleibt die eigentliche Bezeichnung
für das neue Gebilde, wie zahlreiche Städtenamen beweisen; »Bürger«
heißen die Einwohner. Ebenso wichtig ist nun aber die Entwicklung aus
einem befestigten Dorf heraus, das durch günstige wirtschaftliche
Bedingungen, als Salzort z. B., durch die Lage an Flußübergängen,
Straßenkreuzungen usw. Bedeutung hatte. Oder die Marktsiedelung
gliederte sich an ein Kloster an (wie ja auch Dorfsiedelungen sich
früh um Kapellen [Zellen], die Wallfahrtsorte waren, bildeten), so
in Hersfeld oder Gandersheim, oder an einen Bischofssitz (Bremen,
Magdeburg, Paderborn), vor allem aber an eine königliche Pfalz (Goslar,
Dortmund). Letztere wie die Bischofssitze befanden sich im Süden
und Westen aber zunächst in den alten Römerstädten, die trotz ihrer
Vernachlässigung immerhin Marktorte geblieben waren. Namentlich als
Bischofssitze hatten sie besondere Anziehungskraft. Ihr Anlageplan, die
rechteckige Castrumsform mit rechtwinklig sich schneidenden Straßen
wirkte dann wohl auch auf die älteren Neugründungen von Städten (s. S.
48). Immerhin handelt es sich im Westen häufig nicht um Gründungen,
die übrigens meist neben einer älteren Siedelung erfolgten, sondern um
allmähliche Entstehung, und häufiger als ein regelmäßiger Grundplan ist
die Unregelmäßigkeit der dörflichen Wohnweise zu erkennen.

Der Mittelpunkt ist immer der Marktplatz. Nach außen charakterisieren
die Stadt die Mauern. Bei den Römerstädten waren diese lange
vernachlässigt, erst das 9. und 10. Jahrhundert führten zu ihrem
Wiederaufbau. Das aus dem Burgcharakter der Stadt hervorgehende weitere
bedeutsame Entwickelungsmoment ist nun der Burgfrieden (Königsfrieden);
an ihn knüpft der Stadtfrieden, ein die Stadt heraushebender
Rechtsumstand, der auch das wirtschaftliche Leben schützt und fördert,
vor allem Gewerbe und Handel. Der Königsfrieden ermöglicht erst den
Charakter der Stadt als Marktort; er wird auch an Märkte, die ohne
Burgenschutz an Verkehrspunkten aufkamen, verliehen. Der Frieden
bewirkt auch den Schutz der zuziehenden Unfreien: Stadtluft macht frei.
Der Marktcharakter wird immer bedeutungsvoller für die Stadt; ein
eigenes kaufmännisches Gewohnheitsrecht bildet sich aus; »~mercatores~«
heißen die Bürger, worunter freilich nicht lediglich Kaufleute
von Beruf zu verstehen sind. Zunächst überwiegen überhaupt jene
verkaufenden Handwerker. Aber alles bleibt doch in landwirtschaftlichem
Bannkreise. Grundbesitz war die erste Bedingung auch für den Bürger,
wenngleich sich die Grundbesitzverhältnisse bald eigenartig (Zins an
den Grundherrn ohne persönliche Beschränkung) gestalteten. Kaufmann und
Handwerker trieben oft auch noch Ackerbau und Viehzucht; die Städte
blieben zunächst Ackerbaustädte, und Stadtgemeinde und Landgemeinde
unterschieden sich anfangs auch in den Römerstädten nicht. Größerer
Verkehr wurde am ehesten durch die kirchliche Bedeutung einer Stadt
herbeigeführt. Keineswegs ist sodann die Überwindung der alten
Städtefeindlichkeit nur aus den Bedürfnissen höherer Wirtschaft,
überhaupt nicht aus der freien Volkskraft herzuleiten, wenigstens
nicht vorwiegend. Die _Städte_ sind vielmehr zunächst ein _Werk der
Herren_, aus egoistischen Gewinn- und Machtinteressen heraus sind
sie auf dem Boden der Herren gegründet. Denn nicht nur im Osten bei
dessen beginnender Kolonisation, sondern auch im Westen sind schon
im 12. und namentlich im 13. Jahrhundert Städte durch weltliche und
geistliche Fürsten planmäßig gegründet worden. Bei der eifrigen
Ausbau- und Rodungstätigkeit hatte man übrigens auch schon Dörfer
nach einem gewissen Schema gegründet, die regelmäßigen Reihendörfer
rechts und links der Straße mit dem Ackerstreifen dahinter (Wald- oder
Hagenhufen), wenn auch das unregelmäßige Haufendorf das Gewöhnliche
blieb. Die regelmäßige Anlage von Dorf und Stadt wird dann im Osten
die Regel. Von den Herren wurden die Städte auch sonst gefördert,
der Zuzug in sie oft künstlich herbeigeführt, Marktprivilegien
erworben, Befestigungen ausgeführt, Kaufstätten errichtet,
Verwaltungseinrichtungen getroffen. Die Marktverwaltung ging dann
freilich früh an den aufkommenden städtischen Rat (s. S. 99) über.

Und dieses _Hervortreten der Herren_ ist nun überhaupt das
Charakteristische. Auch äußerlich sondern sie sich jetzt schärfer
von der Masse ab. Seit dem 10. Jahrhundert wohnen die Herren bei den
immer kriegerischeren Zeitläuften immer längere Zeit, schließlich
dauernd in den _Burgen_, zunächst in den alten »Fluchtburgen«, die
es in Sachsen noch lange gab; die Herrenhöfe in deren Nähe werden
bloße Wirtschaftshöfe. Andere Herren befestigen diese selbst –
anfangs bedurfte es zu Befestigungen der Einwilligung des Herrschers
– oder führen, wenn ihnen keine Fluchtburg zur Verfügung steht, immer
häufiger auf Bergen oder Erhöhungen Befestigungen auf, anfangs sehr
einfacher Natur, legen Besatzungen hinein, folgen aber bald selbst
mit den Ihrigen. Auch in der Ebene errichtet man Burgen mit Wall und
Graben, meist im Schutz umgebenden Wassers. Neben königlichen und
herzoglichen Burgen entstanden solche Adelsburgen erst im 11., 12. und
13. Jahrhundert zahlreicher. Es ist damit ein gewisses Heraustreten der
Herren mindestens aus der landwirtschaftlichen Eigenbetätigung gegeben.
Es zieht die Herrenschicht immer weniger zu dieser Arbeit, mehr zum
Genuß und vor allem zum _Kriegsleben_ (s. S. 36). Der Kriegsdienst
ist ein besondere ritterliche Übung erfordernder Beruf geworden. Von
einem Volksheer ist keine Rede mehr: den niedrigeren Leuten liegen
kriegerische Interessen größtenteils fern. Immerhin ist das Dasein
im ganzen noch kein friedliches; die Zeit zwingt auch die niederen
Schichten, wehrhaft zu bleiben. Aus dem gleichen Sicherungsbedürfnis
heraus entsteht die Burg und damit schließlich die feste Stadt. Aber
in den landwirtschaftlichen Interessenkreis bleibt doch auch die
Herrenschicht durchaus gebannt. Ein Teil ist mit dem Wirtschaftsleben
noch tätig leitend eng verbunden; aber auch für den anderen ist doch
die Grundlage des Lebens die bäuerliche Tätigkeit wenigstens der
Zinspflichtigen. Mit dem wirtschaftlichen Gedeihen, mit dem Steigen
der Naturallieferungen wächst dann aber die Neigung, ein bequemes
Herrendasein zu führen, die _Lebenshaltung_ üppiger zu gestalten.

Aber noch überwiegt doch, wie betont, im inneren Deutschland zumal,
der Charakter altheimischer Einfachheit. Noch lange ist die _Wohnung_
nach germanischer Weise aus _Holz_ gebaut. In den Dörfern mochten die
Bauten zuweilen sogar dürftig sein: das niedersächsische Bauernhaus
ist noch heute zum Teil ein Fachwerkbau, dessen Zwischenräume mit Lehm
beworfenes Flechtwerk bildet. In den innerdeutschen Städten überwogen
die Holzbauten noch bis tief ins Mittelalter. Und auch der Herrenhof
zeigt zunächst den Wohnbau aus Holz, ebenso wie die Burg, für die erst
die Einflüsse der Züge nach Italien und später der Kreuzzüge einen
Wandel brachten. Auch dann blieben ungefüge Mauern aus Sammelsteinen
noch häufig. Der Steinbau, auf dessen römischen Ursprung alle mit
ihm zusammenhängenden Worte hindeuten, wie alle auf den Holzbau
bezüglichen Worte (Balken, Brett, Halle u. a.) deutsch sind, dringt
aus dem fränkischen Westen und dem Süden nur langsam in das Innere,
d. h. zunächst nur, wie es auch dort die Regel ist, für die Pfalzen,
Klöster und Kirchen. Letztere sind in Sachsen noch im 11. Jahrhundert
meist aus Holz (Fachwerk). Aber das Holzhaus der Herren zeigte doch
immerhin schon seinen besonderen Charakter. Wie die jetzt gewöhnliche
Mehrräumigkeit an Stelle der alten Einräumigkeit zuerst im Hause der
Vornehmen ausgebildet sein mag – die Absonderung einzelner Räume
geschah zunächst durch Vorhänge (Wand) – und die Einräumigkeit nur noch
in der Halle erhalten bleibt, so zeichnet sich dieses Haus auch sonst
durch stattlichere Bauart, allmählich vielleicht durch ein steinernes
Untergeschoß, bald wohl auch durch größere Seitenfenster aus.

Einen entsprechenden Unterschied von der großen Masse zeigt dann vor
allem die Ausstattung des Herrenhauses. Die in jüngeren Gesellschaften
auftretende Prunkliebe – der Reichtum wie die Macht müssen sich
äußerlich zeigen, auch in dem Halten zahlreicher Dienerschaft – äußert
sich in dem Verstecken der einfachen Holzflächen (in ihrem Bedecken
mit weichen, wärmenden Stoffen zeigt sich aber ebenso das praktische
Bedürfnis nach Wärme bei den nur mangelhaften Heizeinrichtungen):
Teppiche deckten den Fußboden, wurden aber auch, von Frauenhand
gewirkt und mit bildlichen Darstellungen geschmückt, an die Wände
gehängt. Weiche Kissen lagen auf den Sesseln und Bänken. Das Bett
war reich mit Federkissen, auch mit Decken versehen; zu dem vielfach
noch lange gebrauchten Strohsack des Unterbetts paßten schlecht die
prunkvollen Bettvorhänge. Althergebracht war sodann die Vorliebe für
kostbare Waffen wie für sonstige Arbeiten aus Metall, vor allem aus
edlem, überhaupt die hohe Schätzung des letzteren sowie der aus dem
Orient stärker einströmenden Edelsteine. Edelsteinbesetzte Goldgefäße,
Elfenbeingeräte u. dgl. besaß vor allem wieder die Kirche. In die
mittlere Herrenschicht mochte dergleichen schon seltener kommen. Und
den vereinzelten kostbaren Bechern, Schalen und Trinkhörnern, den
allgemein üblichen Teppichen und Kissen gegenüber war der sonstige
Hausrat doch von der alten Einfachheit, ja Dürftigkeit, selbst bei
weltlichen und geistlichen Fürsten, entsprechend den sonstigen
Unvollkommenheiten der Wohnung (s. unten S. 85). Die Möbel (Bänke,
Tische und Truhen) mochten freilich reicher geschnitzt sein, auch zum
Teil Metallbeschläge haben. Besonders dürftig blieb, wie noch lange,
die Beleuchtung (Kienspäne, Fackeln, Näpfe mit Fett und Docht, selten
noch Kerzen). Nach unten hin minderte sich der Hausrat natürlich erst
recht.

In der _Kleidung_ zeigten sich bessere Lage und größere Ansprüche
wieder in einer prunkenden Stoffülle, die zugleich auch wieder wie
das teure, aber begehrte Pelzwerk das Wärmebedürfnis befriedigen
soll, weiter in der Sucht nach selteneren, goldgewirkten Stoffen oder
kostbarem Besatz und in der ausgiebigen Verwendung von Gold-, Silber-
und Edelsteinschmuck an den Gewändern, auch an Schuhen und Hüten wie am
Körper selbst (Ohrringe, Ketten usw.). Gürtel und Rüstung sind öfter
vergoldet. Jugendlich-natürlich ist die Vorliebe für bunte, oft grelle
Farben, überhaupt die Farbenfreude. Über einen farbigen Ärmelrock
zieht man einen andersfarbigen ärmellosen; Mantel, Rock und Hosen sind
verschiedenfarbig; die Grundfarbe eines Stückes beleben kleine Flicken
in mannigfachen Formen von anderer Farbe; auch die Schuhe sind meist
bunt. Trotz des Wechsels der Mode, insbesondere der bald weiten, bald
engen Kleidung, herrscht in der Tracht noch im ganzen volkstümliche
Gleichförmigkeit innerhalb der Stämme. Freilich, der kleine Mann blieb
von jenem Prunk weit entfernt, wie ihm auch Stoffe von bescheidenen
Farben (braun und gelb) zukamen. Schon trug er aber die früher seltene
Kopfbedeckung (Stroh- oder Stoffhut oder Mütze). Haar und Bart wurden
jetzt allgemein kurz, d. h. nicht nach Art der Knechte ganz kurz,
getragen, nur anfangs bei den Sachsen noch nicht.

Auch in der _Nahrung_ bestanden große Unterschiede zwischen der
Herrenschicht und der großen Masse. Hing diese noch an der alten,
einfachen, in dem bäuerlichen Dasein natürlich reichlichen Speise, an
dem Brei, besonders an dem volkstümlichen Hirsebrei, an gewöhnlichem
Brot, Milch und Käse, an dem übrigens nicht regelmäßig genossenen
Fleisch, besonders an Schweinefleisch, an festlichem, freilich
nicht gehopftem (Hafer-)Bier, war ferner die Fischnahrung (auch der
Genuß getrockneter Fische) wegen der kirchlichen Fasten auch im
Binnenland stärker verbreitet, so war die Herrennahrung doch schon
vielfach verfeinert. Das Muster gaben wieder die Klostergeistlichen
als Verbreiter feinerer Backkunst, besser zubereiteter und gewürzter
Gerichte, leckerer Eierspeisen, häufigen Gemüse- und Salat- und
vermehrten Obstgenusses (auch des Genusses fremder Früchte). Braten,
vor allem Wildbret und Geflügel, waren, wie früher, dem Herrentisch
besonders eigen. Die Neigung zu (den teuren) fremden Gewürzen ging früh
über das Maß hinaus. Die stark gewürzten Speisen vermehrten den Durst.
In der Trink- und Gelagefreude blieb man national und unterschied sich
von dem kleinen Mann auch nicht in der rohen Vielesserei. Aber neben
dem nunmehr auch gehopften Weizen- und Gerstenbier trank der Vornehme
bei dem starken Weinbau schon häufiger Wein (Würzwein), selbst fremden,
beides wieder nach geistlichem Muster, aber auch noch Met, der freilich
feiner zubereitet war.

Man kann fragen, ob nicht die beginnende Verfeinerung des Lebens der
Herrenschicht eine lebhaftere _künstlerische_ Betätigung hervorgerufen
hat. Indes ist diese höhere künstlerische Ausschmückung des Daseins
wesentlich fremden Ursprungs. Wenn die einen neuerdings viel von
einer eigentümlich germanisch-deutschen Kunst sprechen, die anderen
trotz aller Phantasie, die die Germanen besonders in ihrer Dichtkunst
bewährten, »jene feinere sinnliche Reizbarkeit, die zur bildenden
Kunst führt,« leugnen (Dehio), so können jene in der Hauptsache nur
auf die altnationale Übung der Holzschnitzerei und der Bemalung des
Schnitzwerks hinweisen. Andererseits wären selbst nach Dehio die
späteren Kunstleistungen der Deutschen nicht zu begreifen, wenn nicht
»in einem sehr verborgenen Winkel der germanischen Volksseele auch
ein Keim zu künstlerischer Anlage bereit« gelegen hätte. Aber er
sei lange unsichtbar geblieben. Es ist die antike, von der Kirche
vermittelte Kunst, auf der die höheren Kunstschöpfungen, wie der
Romanen, so auch der Deutschen zunächst allein beruhen (s. S. 13).
Aber jetzt ist doch das bereits in karolingischer Zeit von den Franken
gewonnene Verständnis vor allem für die Baukunst schon bedeutend
fortgeschritten, sind die Eindrücke der fremden Bauten selbst in den
sächsischen Gebieten erheblich tiefer geworden. National war freilich
nur der Holzbau, an dem man noch lange (s. S. 50) festhielt; aber er
entwickelte sich, auch in der weiteren Entfaltung durch den Steinbau
gehindert, nur in beschränktem Maße und war zudem den auf feste Dauer
und äußeren monumentalen Eindruck hindrängenden Anforderungen der
weltbeherrschenden Kirche nicht gewachsen. Entscheidend war aber sein
Widerspruch zu der antik-kirchlichen Überlieferung. Sie wurzelte im
Steinbau, und dieser wurde auch der Träger der höheren, von der Kirche
beeinflußten Baukunst. Zunächst lernte man die Technik in Anlehnung
an die bessere romanische Übung langsam und schwerfällig, aber immer
vollkommener beherrschen: erst im 12. Jahrhundert ist diese Zeit der
Aufnahme, in der indes viele höhere Elemente der späteren Zeit bereits
wurzeln, zu Ende. Weiter aber wurde der Steinbau doch dem nationalen
Empfinden vertrauter. Einerseits mußte auch für die große Menge der
ständige Anblick der allmählich häufigeren Steinbauten ebenso wie der
Innenschmuck derselben besonders durch die religiöse Wandmalerei eine
innere Inanspruchnahme auch nach der künstlerischen Seite zur Folge
haben. Andererseits kam aber der die Kunst tragende geistliche Teil des
Volkes zu einer Weiterentwicklung des Überlieferten in _nationalem_
Geist, zu einer Verschmelzung bodenständiger Eigenart mit dem fremden
Gut.

Gerade das am meisten kunst- und kulturarme sächsische Gebiet geht in
der Ausbildung eines wirklichen Kunstlebens voran. Hier erblühten unter
Bischof Bernward, freilich einer Ausnahmeerscheinung, in Hildesheim der
Erzguß und andere Künste. Hier, in Gernrode und wieder in Hildesheim,
entstanden die ersten Denkmäler des neuen _romanischen Baustils_,
dessen Grundelemente der späten, christlichen Antike verdankt werden.
Man darf trotz der ähnlichen Entwicklung in Italien und Westeuropa den
Stil als einen wesentlich, freilich nicht durchaus deutschen ansehen.
Ungeschlachte, breit hingelagerte Massigkeit, urwüchsige Kraft, Ernst,
Einfachheit und strenge Herbheit wie die individuelle Gestaltung in den
einzelnen Landschaften beweisen seine Bodenständigkeit. Dazu kommen
eigenartige Züge wie der Stützenwechsel, bei dem Säulen und Pfeiler
abwechseln. Als sich unter den salischen Kaisern der Schwerpunkt des
Reiches wieder nach Westen und Süden neigte, geht die Entwicklung
entsprechend der reicheren Gestaltung des Lebens und der Lebenshaltung
weiter. Die Bauten wachsen in die Höhe, namentlich das Mittelschiff,
die immer zahlreicher angebrachten und immer höheren Türme werden ein
bedeutsamer, wechselnd geformter Faktor des Ganzen, die Fenster werden
höher, die Außenflächen nunmehr auch sonst belebter, gegliederter,
dekorativer ausgebildet. Überhaupt hat die Gestaltung der Außenseiten
des Baus von vornherein in romanischen Stil eine höhere Bedeutung
gehabt als bei dem ursprünglichen Kirchenbau. Im Innern erhöht sich
die Wirkung durch die aus dem Steinbau sich ergebende Wölbung der
Schiffe, die vorher eine flache Holzdecke abschloß. Dies Problem löst
völlig freilich erst die Gotik. Die Kathedralen von Speier und Worms
zeigen alle diese Veränderungen eindrucksvoll. Ganz dem Geist der
Zeit entsprechend trägt auch der romanische Stil _aristokratischen_,
vornehmen Charakter, selbst an künstlerisch nicht hochstehenden
Bauten. Auch in äußerlicher Beziehung zeigt sich eine Verbindung mit
der aristokratischen Welt. Die Herrscher, deren Hof ja nicht an einen
festen Ort gebunden war, spielen bei den großen Bauten eine nicht
unwesentliche Rolle. Dehio hat auch darauf hingewiesen, daß die großen
Bauherren, die Bischöfe, meist dem Hofklerus entstammen. Leitung und
Ausführung lagen bei allen Bauten, wie gesagt, in den Händen der
Geistlichen, so wenig deren Können über die hergebrachten Mittel lange
Zeit hinauskam. Aber mit jenen gewaltigen Schöpfungen mußte die neue
Kunst doch auch tiefer und tiefer in das Innere der Gesamtheit dringen,
und mehr und mehr wuchs auch der Anteil der technisch allmählich besser
ausgebildeten Laien am Bau selbst.

Weit fremder – deshalb auch nicht wie die Kunst nationaler gestaltet
– blieben, wie wir (S. 34) sahen, der hohen und niederen Masse der
Deutschen die von der Kirche geretteten _geistigen Elemente der alten
Kultur_. Die karolingischen Bestrebungen waren bald zurückgegangen, an
Stelle des Hofes war überhaupt die Kirche als wesentlichste Kulturmacht
getreten, aber auch innerhalb derselben wurden die Studien nur von
einzelnen Benediktinerklöstern weitergepflegt, von St. Gallen, der
Reichenau, vor allem von Fulda unter Hrabanus Maurus. Jetzt aber
zeigen sich wieder Spuren eines größeren, natürlich von Geistlichen
angeregten Interesses an den geistigen Schätzen der _Antike_ auch in
Laienkreisen, wie damals ja auch in politischer Hinsicht das römische
Kaisertum neu belebt wurde. Die neue Verbindung mit _Italien_ unter den
Ottonen wirkte da mit, wie schon auf künstlerischem Gebiet, wie auch
auf dem des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Das war ja
überhaupt das kulturell Wichtige der ganzen _Kaiseridee_, der politisch
so unheilvollen italienischen Politik der deutschen Könige, daß die
Deutschen dadurch von neuem an die höhere antik-christlich-romanische
Kultur geknüpft wurden, daß deren Ausgleich mit dem nationalen Faktor,
dem eigenen Volkstum, abermals einen Anstoß erhielt. Andererseits
sind die italienischen Kultureinflüsse für jene Zeit nicht zu hoch
einzuschätzen. Italien stand damals keineswegs hoch und spielte in
politischer und anderer Beziehung dem führenden mächtigen Deutschen
Reich gegenüber durchaus eine untergeordnete, zum Teil empfangende
Rolle. An italienische Einflüsse knüpft immerhin die ottonische
_Renaissance_, wie zum Teil einst die karolingische, gleichfalls zum
Teil an, ebenso wie jene politisch in dem neuen Kaisertum gipfelnd.
Sie ist aber nicht mehr an eine große Persönlichkeit gebunden wie
jene. Einzelne Italiener beeinflußten jedenfalls das geistige Leben
Deutschlands. Italienisch gebildet war auch Ottos I. Gemahlin
Adelheid von Burgund. Durch sie kamen dann aber auch die wichtigeren
französischen Einflüsse zur Geltung; diese förderte auch der
hochbedeutende Gerbert von Reims (der spätere Papst Silvester II.), der
schon an Ottos I. Hofe, länger an dem Ottos II. weilte, und mit dem
Otto III. als sein Schüler vertraut verkehrte. Westfränkisch beeinflußt
war sodann Ottos I. Bruder und Kanzler Brun, später Erzbischof von
Köln, die Seele des neuen Lebens, zugleich aber bezeichnend dafür,
daß dieses im wesentlichen von Geistlichen getragen wurde. An den
deutschen Bischofssitzen und in den Klöstern, vor allem in St. Gallen,
der Reichenau, Tegernsee, Gandersheim, begann eine gesteigerte Pflege
der lateinischen Sprache und eine eifrige Beschäftigung mit den
römischen Schriftstellern, und der geistliche Schulunterricht nahm
einen starken Aufschwung. Lebhaft beteiligten sich an dieser Bewegung
auch die geistlichen Frauen, weiter aber gewannen die Geistlichen auch
an vornehmen weltlichen Frauen gelehrige Schülerinnen. Die Kaiserin
Adelheid förderte die Bildungsbewegung am Hofe Ottos I. eifrig; von
späteren gelehrten Fürstinnen ist durch Scheffels »Ekkehard« Hedwig von
Schwaben allgemein bekannt. Das Interesse an der lateinisch-geistlichen
Kultur steigerte sich bei den Herrschern selbst immer mehr. Otto I.
zwar konnte nur wenig Latein und blieb ein ~homo illiteratus~, sein
geistlich gebildeter Sohn aber konnte ihm schon lateinische Briefe
übersetzen und liebte die Bücher über alles, und bei Ottos II. und
seiner griechischen Gemahlin Theophano Sohn Otto III. kam der
Studieneifer, die Wertschätzung nicht nur der römischen, sondern auch
der griechischen Bildung auf den Höhepunkt. Unverhüllt strebte er sich
von »der Roheit unserer sächsischen Natur« loszumachen.

Es war hier also zu einer _bewußten unnationalen Abwendung von der
heimischen halbbarbarischen Eigenart_ gekommen. Diese in der Hauptsache
formale Bildungsbewegung war freilich eine durchaus höfische wie die
karolingische. Immerhin reichte sie doch weiter in die Aristokratie
hinein; nicht nur Frauen versuchten sich in lateinischen Gesprächen.
Aber der eigentliche _Träger_ und Pfleger des Ganzen war doch der
_Geistliche_. Indessen begegnete ihm bereits, soweit er dabei zu sehr
ins Weltliche und Heidnische sich verlor, ein starker neuasketischer
Widerstand aus seinen Kreisen, eine strenge Reformbewegung (s. S.
65 ff.), die die sich segensreich entfaltende weltlich-kulturelle
Betätigung der Kirche überhaupt heftig bekämpfte. Zunächst aber diente
noch die Kirche mit Eifer aller höheren wirtschaftlichen, geistigen
und künstlerischen Kultur, die freilich immer geistlich gefärbt blieb
und nur von geistlichen Zielen ihre Berechtigung empfing. Und wenn
die ottonische Renaissance zeigt, daß die von der Kirche getragene
fremde Kultur nun etwas tiefer in die deutsche Welt eindrang, so war
zugleich die Machtstellung der Kirche selbst und ihre Bedeutung im
Leben der Nation eine ganz außerordentliche geworden. _Welt und Kirche
waren freilich noch vereint_; die Herrscher förderten die Kirche durch
Schenkungen, Immunitätsverleihungen u. a. wie durch die Gründung neuer
Bistümer und zahlreicher Klöster auf alle Weise, zur Ehre Gottes,
aber auch, um sie zu benutzen und sich auf sie zu stützen. Es war
ein bewußtes System Ottos d. Gr., unter dem die deutsche Kirche ihre
glänzendste Zeit zu erleben begann, die Kirche dem Staat dienstbar zu
machen, dem christlichen Staat natürlich. Insbesondere stützte er sich
auf die Bischöfe, die er auswählen konnte und überall förderte und
begünstigte, die aber auch dem Herrscher am Hofe, in der Verwaltung
und im Kriege dienten wie weltliche Vasallen und dabei zuverlässigere
Stützen seiner Politik waren als jene, deren Machthunger stets einer
kräftigen Reichsgewalt widerstrebte. Deren Ziel war immer die gerade
bei den Bischöfen ausgeschlossene Erblichkeit der erlangten Ämter und
Machtmittel, die der erste Schritt zur Unabhängigkeit war.

Noch war die Kirche überhaupt in der Hand der weltlichen Herren,
die ja auch die hohen Kirchenämter mit ihren Angehörigen zu besetzen
strebten. Wie das mit dem Eigenkirchengedanken zusammenhängt, sei
hier nicht weiter ausgeführt. Vor allem aber war sie jetzt in der
Hand des Kaisers, der eben mit diesem Titel damals als der oberste
Herr der ganzen Kirche erschien. Die Kirche ihrerseits glaubte gerade
im Schutz des Kaisertums ihre universalen Bestrebungen am meisten
gesichert. So war sie die beste Stütze des neugegründeten _römischen
Reiches deutscher Nation_, das unter den Sachsenherrschern in seiner
verhältnismäßigen Geschlossenheit die unbezweifelte _Vorherrschaft in
Europa_ erlangte, zugleich auf ein kräftiges nationales Leben gegründet
war, dabei zunehmendes wirtschaftliches Gedeihen und bäuerlichen
Wohlstand sah, das sodann unter den salischen Königen weniger
idealistisch erfaßt, fester ausgebaut und gekräftigt wurde und unter
Heinrich III. auf den Gipfel seiner Macht kam. Die Kirche war aber
auch das treibende Element in der kulturellen Aufwärtsbewegung, die
Deutschland, dieses durchaus bäuerlich-kriegerisch lebende Land, damals
im Gegensatz zu den in ihrer Entwicklung zeitweise stillstehenden
romanischen Ländern erlebte.


Fußnote:

    [7] Vgl. die ausführliche Darstellung in meiner Gesch. d. d.
        Kultur I², S. 160 ff.



Drittes Kapitel.

Die stärkere Durchdringung deutschen Lebens mit der antik-kirchlichen
Kultur unter zunehmender Beeinflussung durch die Romanen:
Aristokratisches Zeitalter.


Wir nähern uns dem Höhepunkt des Mittelalters, und die Züge, die das
eigentliche _Wesen der mittelalterlichen Kultur_ ausmachen, treten
schärfer in die Erscheinung. Das Mittelalter ist das _kirchliche_
Zeitalter der Völker Europas. Aber wenn man auch sonst in der
Entwicklung der Kulturvölker auf der Stufe bäuerlichen Daseins eine
überwiegende Rolle priesterlicher Gewalt angenommen hat, so hat die
mittelalterliche Kirche doch ihre besondere kulturgeschichtliche
Bedeutung dadurch, daß sie, im Bereich der germanischen Völker
wenigstens, als eine völlig fremde Macht, als Trägerin der Reste der
Überlieferungen der bisherigen Weltkultur zu halbbarbarischen Menschen
gekommen war und so die große Aufgabe des Ausgleichs zwischen deren
natürlich-roher Art einerseits, den hohen sittlich-religiösen Idealen
des Christentums und jenen Überlieferungen einer höheren weltlichen
Kultur andererseits übernahm. Dieser Ausgleich, nur langsam vor sich
gehend, hat das ganze »Mittelalter« hindurch gedauert bis zum 15.
Jahrhundert. Wie stark lange das Widerstreben des nationalen Wesens
und wie entschieden die Bewahrung der natürlichen Eigenart war,
haben wir eben gesehen. Aber mit der Zusammenfassung der kirchlichen
Macht und ihrer strafferen Organisation, mit dem Hervortreten der
universalen Bestrebungen, die zunächst auch jener weltlich-politischen
Einheit der Christenheit bedurften, wie sie wenigstens in der Idee des
neubelebten Kaisertums lag, wuchs der Einfluß der Kirche. Eben durch
jene kulturellen Überlieferungen wurde sie nicht nur zur Erzieherin
der Völker, sondern erlangte durch ihre mit höheren Mitteln auch
äußerlich organisierte Überlegenheit überhaupt ihre große Macht im
ganzen mittelalterlichen Leben. War sie ursprünglich nur als ein Teil
der römischen Kultur gekommen, so war später die Kultur nur eine
Begleiterscheinung der Kirche, nur im Rahmen der christlichen Kirche
denkbar. So beherrschte die Kirche eben wegen ihrer Verbindung mit dem
Weltlichen die Welt, umsomehr, als der Feudalstaat als Kulturbringer
versagen mußte: alle Kultur wurde von ihr bestimmt, gipfelte in ihr.

Zunächst die Kunst. Daß überhaupt »die Künste, welches auch ihr
Ursprung sei, jedenfalls ihre wichtigste, entscheidende Jugendzeit im
Dienste der Religion zugebracht haben«, hat Jakob Burckhardt in seinen
»Weltgeschichtlichen Betrachtungen« aufs neue betont. Vor allem bleiben
die bildenden Künste lange in diesem Bannkreis, während die Dichtung
sich rascher frei macht. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts war so
auch in Deutschland die ohnehin volksfremde _Kunst_ nur die _Dienerin
der Kirche_. Mit dem kirchlichen Wesen waren ja auch die Künste eng
verbunden. Es war ganz natürlich, daß gerade das Kirchengebäude dem
Volke die gewaltige Stellung, welche die Kirche als Mittelpunkt
der mittelalterlichen Welt hatte, zum sichtbaren Ausdruck brachte.
Wir sahen bereits (S. 52 f.), wie sich die _Baukunst_ an dieser
Aufgabe geschult und entwickelt hatte; sie wurde zugleich aber auch
zur ersten Kunst und stellte die übrigen in ihren und ihrer hehren
Aufgabe Dienst. Nur so hatte die ja ohne jeden Zusammenhang mit dem
volkstümlichen Geist rein aus der antik-christlichen Überlieferung
erwachsene _Malerei_ ihre Bedeutung. Ihre Aufgabe war einmal, die
großen Innenflächen der Kirchen zu schmücken. Schon in karolingischer
Zeit pflegte man eifrig die Wandmalerei, aber erst aus späterer
Zeit, vor allem aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind uns Denkmäler
erhalten. Aber nicht dem Kirchenschmuck allein, sondern den eigentlich
kirchlichen Zwecken diente die Malerei. Sie brachte die Gestalten und
Vorgänge aus der heiligen Schrift wie der Geschichte der Heiligen dem
Volke nahe und religiöse Gedanken und Gefühle zu greifbarer Anschauung,
lediglich schon um der Belehrung willen, im übrigen an feste alte
Formen völlig gebunden. Die monumentale Plastik tritt noch völlig
zurück, dagegen diente seit langer Zeit die Kleinplastik, durch die
Einfuhr zahlreicher Geräte immer von neuem namentlich aus dem Osten,
besonders wieder seit den Kreuzzügen, angeregt und fremde Elemente
vermittelnd, eifrig gepflegt der Ausstattung und schönen Gestaltung der
Kirchengeräte, in erster Linie die Elfenbeinplastik. Ihr nahe steht
die früh entwickelte Goldschmiedekunst, wie überhaupt die Kleinkünste
das erste Betätigungsfeld des künstlerischen Schaffens gewesen waren,
aus primitivem Schmuckbedürfnis heraus. Auch ein Zweig der Malerei
hatte im Rahmen der Kleinkunst seit langem eifrige Pflege genossen,
die Buchmalerei, wie das Schriftwesen natürlich ganz im Dienste der
Kirche. Sie kam in der romanischen Zeit, zumal in deren glanzliebender
Blütezeit, auf ihre Höhe. Ganz zur Kleinkunst gehörten nach Dehios
treffendem Urteil stilistisch und technisch auch die »nur durch ihre
Funktion monumentalen« Erzeugnisse des bereits länger geübten Erzgusses
in den romanischen Kirchen, wie die Türen der Hildesheimer Domkirche.
Aber es war doch der Anfang der monumentalen Plastik. Man kam dann zu
gegossenen Figuren auf Grabplatten und auch zu solchen aus anderem
Material; auch sonst macht sich die Skulptur im Inneren der Kirche
allmählich stärker geltend. Vor allem aber beginnt sie das Portal mit
Steinfiguren zu schmücken. – Der Kirche dienten die bildenden Künste,
in ihrem Dienst stand auch die Musik. Gesang wie Orgelspiel und zum
Teil auch Instrumentalmusik waren eng mit dem Gottesdienst verbunden.

Unzweifelhaft verlieh diese religiöse Grundlage aller Kunstpflege
besonders der Malerei und der Musik einen tieferen Gefühlsgehalt.
Dieser Charakter der Kunst hatte auch sonst seine Vorteile. War die
kirchliche Gedanken- und Gestaltenwelt bis zu einem gewissen Grade
Allgemeingut, so hatte die Kunst, die sich nur in diesem Kreise
bewegte, sogleich einen aller Welt verständlichen Charakter. Die
hergebrachte Gleichartigkeit der Kunst beförderte doch wieder,
was auch Burckhardt betont, die Bildung von Stilen und verbürgte
eine zusammenhängende Entwicklung. Andererseits ergab die immer
wiederkehrende Behandlung derselben Dinge einen gewissen Wetteifer,
also eine immer gesteigerte Kunstpflege, weiter aber auch eine
durch Einseitigkeit geförderte größere technische Vollendung im
einzelnen. Eine wirklich schöpferische Betätigung wurde durch jene
Gebundenheit freilich stark gehemmt: am ehesten konnte die Baukunst
sich freier entfalten. Die Anknüpfung an die Überlieferung ließ den
Wirklichkeitssinn, die Lebenswahrheit nur sehr langsam aufkommen,
wie die Wandmalerei zeigt besseres wird in der weniger gebundenen
Buchmalerei geleistet. Viel reicher entwickelt sich alles Ornamentale.

Mit dem zunehmenden kirchlichen Sinn, vor allem im 11. Jahrhundert,
gewinnt auch die _poetische_ Betätigung wieder stärker
kirchlich-religiösen Charakter: von der heftigen Befehdung der
nationalen weltlichen Dichtung war schon (S. 35) die Rede. Jetzt wurde
als kirchliches Erziehungs- und Lehrmittel auch die deutsche Dichtung
von den Geistlichen im 11. und 12. Jahrhundert eifrig gepflegt, und
ihre lateinische Poesie konnte wenigstens in der Form des damals
zuerst auftauchenden geistlichen Spiels (in der Kirche, dann auf den
Kirchhöfen) auf das Volk wirken.

Gänzlich _geistlich bestimmt_ und von Geistlichen getragen war die
gesamte _höhere geistige Kultur_, die lateinische Bildung, dem
nationalen Wesen, wie gesagt, noch fremder als die Kunst. Alle Bildung
wurzelte in der Beherrschung der lateinischen Sprache, die Kirchen-
und Kultur-, Urkunden- und Geschäftssprache war. Sie war also noch
in lebendigem Gebrauch und erfuhr demgemäß manche Umformung, ja
Entstellung. Aber das Muster für die Bildung blieb doch immer die
Sprache der römischen Autoren und der Vulgata, der lateinischen
Bibelübersetzung. Ihre Handhabung war für die Deutschen natürlich
schwerer als für die Romanen, die deshalb auf deren oft barbarisches
Latein herabsahen. Aber das gerade in der Zeit der ottonischen
Renaissance zu völliger Monopolstellung durchgedrungene Latein _mußte_
erlernt werden. Die _Schule_ war das Mittel. Das dem späten römischen
Altertum entnommene und in fester Überlieferung fast ungeändert durch
das Mittelalter fortgepflanzte Schulwesen war völlig in geistlichen
Händen und geistlichen Zielen unterworfen. Die alten Disziplinen
des (elementaren) Triviums: Grammatik, Rhetorik, Dialektik und des
(höheren) Quadriviums: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie,
einst für weltliche Bildung berechnet, blieben das feste Schema auch
für die Heranbildung der Geistlichen. Indessen waren von diesem
spätantiken System der sieben freien Künste die formalen Wissenszweige
des Triviums für die Meisten die Hauptsache, bei den spärlichen
Lehrkräften oft nur einer dieser Zweige, vor allem die Grammatik, die
aber nicht nur die Beherrschung der Prosasprache, sondern auch das im
Mittelalter wichtige Versemachen in sich schloß. Nach dem elementaren
Unterricht (Donat und Priscian waren die Haupthandbücher) las man,
unter ständiger Übung im Lateinschreiben, römische Autoren, vor allem
Vergil und Cicero. Die Rhetorik lief auf die Kunst, Urkunden und
Briefe abzufassen, hinaus (~ars dictandi~), wofür immer zahlreichere
Formelbücher die Grundlage bildeten. Auf ihr beruhte die Herrschaft der
Geistlichen in der Kanzlei der Großen. Die Dialektik gewann erst später
zur Zeit der Scholastik größere Bedeutung. Von den »realen« Fächern
des Quadriviums erlernte die große Mehrzahl nur einiges Elementare,
namentlich aus der Astronomie ein wenig von der für die Datierung
der Feste, vor allem des Osterfestes, wichtigen Kalenderberechnung
(~computus~). Hierzu hatte man auch von der Arithmetik etwas
Rechenkunst, deren Elemente überhaupt allgemein gelehrt wurden, nötig.

Im ganzen beschränkte sich der Schulbetrieb auf das Notdürftigste, der
Kirche Unentbehrliche; gelehrte Meister zogen daher auch Schüler von
weit her an. An Stelle der römischen Grammatiker- und Rhetorenschulen
waren in fränkischer Zeit allmählich Kloster- und Bistumsschulen
getreten. Die Angelsachsen förderten dann das fränkische Schulwesen
besonders, die Hauptsache tat wieder, auf den Angelsachsen Alkuin
gestützt, Karl d. Gr., freilich rein zum Zweck der Bildung von
Geistlichen. Nach einer Periode des Verfalls nahmen die Schulen in
sächsischer Zeit wieder einen neuen Aufschwung. Von den vor allem den
Benediktinern verdankten Klosterschulen kamen viele zu großer Blüte,
und von den Domschulen, die seit Ausgang des 10. Jahrhunderts mehr
hervortraten, aber später mit der Verweltlichung des Stiftsklerus
verfielen, nicht wenige desgleichen. Bei beiden war übrigens auch bis
zu einem gewissen Grade für die Bildung der Laien gesorgt; es gab für
sie besondere »äußere« Schulen. Man erwartete von ihnen, die in der
Regel höherer und meist guter Herkunft waren, einen gewissen Entgelt
durch Schenkungen der Eltern. Auch dieser Laienunterricht war vor
allem von kirchlichen Interessen geleitet. Es scheint sich nun (s. S.
36) in den ottonischen Zeiten eine gewisse Schulbildung bei vornehmen
Laien etwas weiter verbreitet zu haben, im Gegensatz zu den Zeiten
nach Karl d. Gr. Daß die Frauen, die häufig in einem Frauenkloster der
geistlichen Schulbildung teilhaftig wurden, die Männer aber in dieser
Beziehung weit überragten, schon vor den ottonischen Zeiten, deuteten
wir bereits (S. 22, 55) an. Die Gemahlinnen aller sächsischen und
salischen Herrscher sind dafür ein Beweis. Das war erst recht der Fall,
als nach jener Episode bei den Männern die alte Abneigung gegen die
Bildung wieder durchbrach. Diese wird in der Mitte des 11. Jahrhunderts
von Wipo als charakteristisch für die deutschen Herren hingestellt
und war es sicherlich auch, früher und später. Das zeigt sich u. a.
darin, daß jedesmal beim Erscheinen eines neuen Herrschergeschlechts
der erste (Heinrich I., Konrad II.) völlig ungebildet war und erst
den Nachfolgern die geistliche Bildung in ihrer Jugend übermittelt
wurde. Bei der ganzen Laienbildung lief es nun im besten Fall auf
ein Lesenkönnen der »Briefe« (Urkunden) wie der Bücher und eine
gewisse mündliche Beherrschung der lateinischen Sprache hinaus: rein
geistliches Monopol blieb aber das Schreiben.

Auch die Schreibetätigkeit stand im Dienste der Kirche. Nur durch
das Abschreiben konnte man, wie im großen einst im Altertum, die
geistige Überlieferung festhalten und weiterverbreiten. Dies war die
verdienstliche Pflicht vor allem der Mönche. Zu den aus dem späten
Altertum eben durch die Kirche geretteten Handschriften mußten immer
neue treten, die dann die Bibliothek des Klosters bildeten, vor allem
Abschriften der Bibel, der Werke der Kirchenväter usw., weiter der für
den Gottesdienst nötigen Bücher, der Meßbücher, der Evangeliare, der
Antiphonarien usw., sodann der kirchenrechtlichen Sammlungen, aber
doch auch der heidnischen Autoren, der griechischen (Aristoteles,
Euklides) in lateinischer Übersetzung, nicht um ihrer selbst, sondern
um des Studiums der lateinischen Sprache und nötiger sachlicher
Kenntnisse (Baukunst, Heilkunst usw.) willen. Ferner schrieb man die
erwähnten grammatischen und sonstigen, vor allem die enzyklopädischen
Handbücher für das Studium der freien Künste ab, ebenso endlich die
großen Geschichtschroniken (Hieronymus usw.). Dazu trat nun die
Schreibetätigkeit für die geschäftlichen Bedürfnisse des Lebens, die
Anfertigung von Urkunden und Registern, die Abfassung von Briefen usw.
Weiter übten dann die höherstrebenden Geistlichen auch eine eigene
schriftstellerische Tätigkeit aus: dieser erging sich in geistlichen
Dichtungen, in der Regel sehr schulmäßigen, formalen Charakters, jener
schrieb die Annalen seines Klosters oder Bistums, ein anderer die
Geschichte seines Heiligen, ein vierter erläuterte die heilige Schrift
oder war groß in theologischen, kirchenrechtlichen, kirchenpolitischen
Traktaten. Der Schreibunterricht war also für den Geistlichen
äußerst wichtig, und seit dem Wirken Alkuins unter Karl d. Gr. wurde
auch die Schönheit der Schrift eifrig gepflegt, ebenso wie man die
Handschriften durch Illuminierung, d. h. zunächst durch Rotmalen der
Initialen und deren weitere Verzierung durch Ornamentmalerei, dann
auch durch figürliche Bildchen, prächtiger ausstattete und die mühsam
hergestellten Werke kunstvoll band, selbst in Elfenbein mit kostbaren
Beschlägen.

Es ist klar, daß das Studium der Geistlichen, dessen Krönung immer
die Theologie war, zum Teil einen weltlichen Charakter tragen mußte.
In der ottonischen Zeit zeigte sich bei der (S. 54 f.) erwähnten
Verbindung mit Italien nicht nur überhaupt ein stärkeres Interesse an
den Handschriften antiker Autoren, die man zahlreich nach Deutschland
brachte, sondern auch eine ausgesprochene Vorliebe für den Inhalt der
Dichtungen eines Terenz, Ovid, Horaz, Martial, Juvenal, Persius. Ovids
Liebeskunst wurde auch von Nonnen nicht immer mit Abscheu gelesen.
Strengere Gemüter hatten früh vor der Beschäftigung mit den heidnischen
Autoren gewarnt. In der ottonischen Zeit mehrten sich derartige
Stimmen. Die asketische Weltanschauung führte diese Strömung dann
völlig zum Siege. Die Beschäftigung mit der Antike, die man bisher
wenigstens als formales Hilfsmittel duldete, galt nun überhaupt als
Teufelswerk. Im 12. Jahrhundert wollte man selbst von den juristischen
und medizinischen Autoren nichts mehr wissen, ohne daß in Wirklichkeit
freilich die Beschäftigung mit der Antike entbehrt werden konnte.

Das Verhältnis zu ihr ist kulturgeschichtlich mehrfach bemerkenswert.
Die _Antike_ ist immer nur äußerlich geschätzt worden. Ihr Geist
schreckte wegen seiner häufigen »Sündhaftigkeit« immer ab. Von ihrer
geistigen Freiheit, die etwa anstecken könnte, ahnte man nichts. Die
Antike war vielmehr, soweit sie übernommen war, eine Autorität, die
das Geistesleben genau so band wie die Autorität der Kirche. Man
schöpfte aus der durch jene Enzyklopädien vermittelten Überlieferung
schematisch unkritisierbaren formalen und sachlichen Bildungsstoff.
Auch was gedanklich von der Antike übernommen war, blieb feste
Norm. Waren nun die beiden Autoritäten der Antike und der Kirche
in unauflöslicher Verbindung bestimmend für das mittelalterliche
Geistesleben, so muß jener Widerspruch zwischen beiden das wichtigste
Problem der mittelalterlichen Weltanschauung berühren. Die Sache
liegt einfach. Die Antike ist in Kunst, Technik, Wissenschaft und
Dichtung zwar Grundlage der von der Kirche vermittelten Kultur,
aber immer nur Dienerin der Kirche. Denn alles Können und Wissen
hat seine Berechtigung nur in Gott. Soweit die Antike aber der
Weltlichkeit dient, ist sie verwerflich, ist des Teufels. Es war
der die mittelalterliche Weltanschauung charakterisierende große
_Gegensatz zwischen Gott und Welt_, der zur Verneinung der Welt
überhaupt führte oder doch zu dem Bestreben, das irdische Dasein dem
augustinischen Ideal des christlichen Gottesstaates nach Möglichkeit
zu nähern. Diese Aufgabe hatte die Kirche, die von Gott eingesetzte
Heilsanstalt, die im Interesse des Heils der Menschheit auch die Welt
beherrschen mußte. Bisher hatte die Kirche praktisch auch im Dienste
staatlicher Aufgaben gestanden und hatte neben der Verbreitung des
Christentums die weltliche Kultur stark gefördert. Es beginnt nun mit
dem 11. Jahrhundert eine _staatsfeindliche_ und (teilweise wenigstens)
kulturfeindliche _Haltung der Kirche_ sich geltend zu machen.

Es ist eine Bewegung, die auf der in der menschlichen Entwicklung immer
wieder auftretenden Erscheinung des Widerspiels beruht, ebenso wie der
eben ablaufende nationale Lebensabschnitt zum Teil eine Gegenströmung
gegen den ersten Akt der Aufnahme des kirchlichen Romanismus darstellt.
Die Kirche hatte die Anfangszeit ihrer Eroberung der deutschen Lande
hinter sich. Aber sie war dabei als Bringerin der Kultur wie als Stütze
des Staates stark über das rein religiöse Gebiet hinausgegangen.
Weiter hatte aber auch die engere Verbindung mit dem deutschen Wesen
gewirkt. Die Geistlichen konnten in Lebensauffassung und Lebenshaltung
ihre deutsche Eigenart nicht ganz verleugnen, nicht nur die oft
adligen Bischöfe und Äbte, nicht nur die Weltgeistlichen, sondern
auch die Mönche. Hier die kriegerischen und politischen, dort die
landwirtschaftlichen Interessen taten auch das ihre. Die Kirchenämter
wurden als höchst einträglich von Adligen durch allerlei Mittel, auch
durch Kauf zu erwerben gesucht: ebenso dienten die Frauenklöster, die
überdies jene Aufgabe der Erziehung der vornehmen Töchter hatten,
der Versorgung der unverheirateten Frauen. Das Ergebnis war seit dem
9. Jahrhundert eine starke Verweltlichung der Kirche, neben der aber
alsbald jene schon erwähnte asketische Gegenbewegung einherging und
sogar die Laien ergriff. Waren die Stiftsgeistlichen und die niederen
Pfarrgeistlichen einem weltlichen Leben zugetan, so lebten auch die
Mönche, zumal bei den reichen Einkünften vieler Klöster, vielfach
materiell recht gut, unter größerer oder geringerer äußerlicher
Beachtung der Regel, waren eifrige Landwirte oder Gelehrte oder
Künstler, im Punkt der Sitten duldsam und unbefangen.

Das Papsttum versagte diesen Zuständen gegenüber durchaus: es lag im
10. Jahrhundert äußerlich und innerlich darnieder. Viel mehr waren
die Herrscher zur Abhilfe bereit, wie sie ja auch ihren späteren
Gegner, das Papsttum, selbst erst wieder gehoben und gestärkt hatten.
Otto I. ernannte Freunde der _kirchlichen Reformen_ zu Bischöfen
und begünstigte eine Bewegung, die von Lothringen, dem so oft für
das übrige Deutschland maßgebenden Lande, sich ausbreitete und vor
allem das entartete Klosterleben seiner »Regel« wieder entsprechend
zu gestalten suchte. Nach einem zeitweiligen Rückgang der Bewegung
drang sie dann zu Beginn des 11. Jahrhunderts stärker durch, jetzt
von Frankreich her, getragen von dem Kloster Cluny, das an der
Spitze einer ganzen Kongregation von Reformklöstern stand und durch
eine entsprechende, von Richard von Verdun geleitete lothringische
Kongregation Deutschland beeinflußte. Auf Heinrich III. wirkte dann
später Cluny unmittelbar ein, jetzt aber schon durch den Einfluß eines
reformerisch gesinnten Papstes. Unter Heinrich IV. endlich waren das
treibende Element die nun ebenfalls reformeifrigen Bischöfe; die
Führung hatte jetzt völlig das Papsttum.

Die cluniacensische Bewegung hatte nicht mehr das Grob-Massive der
früheren Askese: sie war äußerlich kultivierter (in Kleidung, Nahrung
und Verkehrsformen), dafür aber innerlich fanatischer, finsterer,
raffinierter (blutige Selbstgeißelung, Ausdehnung des Schweigegebots,
ständiger Gottesdienst), straffer, kurz – _romanisch_. Echt romanisch
war aber auch das Zentralisierte der Bewegung. Eben im Papsttum, es
zugleich dadurch stärkend und leitend, hatte Cluny, dessen Ideen dann
neugegründete Orden (Prämonstratenser, Cistercienser) fortsetzten und
verschärften, eine unmittelbare Spitze für die von unten kommende
Bewegung unter Ausschaltung der bischöflichen Macht gesucht und
gefunden. So war die Bewegung eine neue Welle der Romanisierung des
in seiner Eigenart und Unbotmäßigkeit noch immer nicht gebrochenen
Germanentums. Und sie ergriff, freilich in einer ihr durch Wilhelm von
Hirsau gegebenen gröberen, dem deutschen Wesen angepaßten Form, nun
auch Deutschland in ausgedehntem Maße, vor allem machte sie gerade auf
die Laienkreise Eindruck. Immer neue Klöster, aber auch immer stärkerer
Andrang zu den Klöstern. Und daneben das neue Institut der Laienbrüder,
die in verschiedenen Abstufungen halbklösterlich lebten und sich
aus hohen und niedrigeren Kreisen ergänzten, übrigens vor allem die
wirtschaftliche Tätigkeit auf sich nahmen. Innerhalb der Kirche setzte
sich die Bewegung jetzt völlig durch, zumal das Papsttum sie als
Stärkung seiner eigenen Macht erkannt hatte. Die Weltgeistlichen der
Stifter wurden immer klösterlicher organisiert. Vor allem griff man
auch bei den Pfarrern, die zum größten Teil wie die Bauern lebten,
verheiratet waren usw., durch, freilich unter heftigem, lange dauerndem
Widerstand, besonders gegenüber dem nun streng gebotenen Zölibat. Jetzt
kam auch jener Kampf gegen die Antike als weltliches Element auf den
Höhepunkt, und damit trat ein arger Verfall der gelehrten Studien
überhaupt ein, ebenso der künstlerischen Bestrebungen. Auch der Laie
sollte rein kirchlich denken und nicht mehr an weltlicher Unterhaltung,
wie sie die heimischen Spielleute boten, nicht mehr an üppigem Leben,
wie es damals einsetzte, Gefallen finden. Der Krieger sollte, wenn denn
schon gekämpft werden mußte, für die Kirche kämpfen. Vor allem aber
sollte _die_ Macht der Kirche untertan werden, die nun einmal die Welt
regierte, die weltliche Obrigkeit, der Staat. Der Kampf um diesen Preis
_mußte_ ausgefochten werden, vor allem dem großen Reich gegenüber, das
gerade auf Betreiben der in seinem Schatten sich Macht und Sicherheit
versprechenden Kirche die Überlieferungen des römischen Universalreichs
wieder aufgenommen hatte, dem deutschen Reich. Bisher lag, germanischer
Auffassung entsprechend, die Herrschaft über die Kirche in den Händen
seiner Könige. Otto I. hatte überdies eine nationale Kirche von
ziemlicher Geschlossenheit, gestützt auf die Bischöfe, mit der bloßen
Dekoration eines unselbständigen Papsttums geschaffen; Otto III.
hatte sich mit den eigentlich kirchlichen Ideen so erfüllt, daß er
das Papsttum in seinem eigenen Bereich zu beherrschen unternahm; die
späteren Herrscher versuchten schon eine »Germanisierung des römischen
Papsttums« (unter Heinrich III. vier deutsche Päpste)[8]. Jetzt hatte
die Kirche selbst die Ziele des alten römischen Universalreichs
aufgenommen, aber sie wirklich universal gestaltet. Sie hatte jetzt in
dem Papst einen wirklichen absoluten Herrscher und zugleich die früher
landschaftlich auseinandergehenden Kirchen mit einem einheitlichen,
disziplinierten kirchlich-fanatischen Geist erfüllt. Der Papst über
dem Kaiser, das war nun die Folge der Losung: Gott, nicht Welt. Den
Kampf führte ein Papst, der die ursprünglich von solchen Zielen freie
Reformbewegung sowie die Zentralisation der gereinigten Kirche erst
eigentlich vollendet hatte, Gregor VII. Gestützt auf die isidorischen
Fälschungen, die einst, freilich lediglich im Interesse der Bischöfe
gegenüber den landeskirchlichen Gewalten, die einheitliche Oberhoheit
des Papsttums hatten sichern wollen, griff man, ausgehend von der
Möglichkeit simonistischen Mißbrauchs, die Laieninvestitur auf, um
durch ihr Verbot, d. h. das Verbot der Besetzung namentlich der
Bistümer durch den Herrscher, den Streit zu beginnen.

Der Deutschland zerrüttende, das eigentlich kirchliche und das
sittliche Leben stark schädigende Kampf hat dem Papsttum den erstrebten
Sieg letzten Endes nicht gebracht, wohl aber die Kirche dauernd
zu einer straff organisierten Hierarchie gemacht und sie ganz der
Herrschaft des Papstes unterworfen: eine Landeskirche gab es nicht mehr.

Wie die auf ihren Höhepunkt gelangte Macht der Kirche auch äußerlich
die Welt leiten und bewegen konnte, das zeigten nun vor allem
_die Kreuzzüge_, so sehr bei vielen Teilnehmern weltliche Motive
mitspielten. Im Grunde eine Fortsetzung dauernder Kämpfe mit dem Islam
einerseits, großer Massenpilgerfahrten andererseits, zum Teil auch
durch die Handelsbestrebungen der Italiener angeregt, unmittelbar
endlich hervorgerufen durch die Bedrückungen der seit dem 11.
Jahrhundert immer zahlreicheren Pilger zum heiligen Lande und durch
die Bedrängung des Kaisers in Byzanz, waren sie doch eine Auswirkung
kirchlichen Einflusses, ein päpstliches Unternehmen. Das Ziel war die
Eroberung des heiligen Grabes, des hehrsten Ortes der Welt, die auch
ihren geographischen Mittelpunkt nach mittelalterlicher Anschauung in
Jerusalem hat. Gerade der erste Kreuzzug brachte mit seinen Erfolgen
dem Papsttum eine gewaltige Stärkung des Ansehens, schon durch seinen
Einfluß auf die neuen geistlichen Ritterorden: aber bereits der zweite
Kreuzzug, bei dessen Einleitung der Wille des Papstes vor der Macht der
Idee völlig zurücktrat, fiel in seinem unglücklichen Ausgang wieder mit
einem Niedergang der päpstlichen Herrlichkeit zusammen.

Für diesen zweiten Kreuzzug war durch Bernhard von Clairvaux auch der
deutsche König gewonnen worden – zu seinem Unheil –, dem ersten stand
aber Deutschland, abgesehen von Lothringen, das ja immer westlich
beeinflußt war, im ganzen noch kühl gegenüber, wenn auch größere
Scharen aus West- und Süddeutschland mitzogen. Die Erscheinung war eben
im Grunde wieder _romanischen_ Ursprungs. Romanisch war auch, wie wir
sahen, die kirchliche Reformbewegung überhaupt, romanisch natürlich
ebenso die Idee der päpstlichen Weltherrschaft, die im Grunde die
Herrschaft der Italiener über die Germanen und die Vernichtung der
äußeren Machtstellung Deutschlands, der von ihm gewonnenen Führung
des »Römischen Reiches« bedeutete. Gleichzeitig handelte es sich
um eine neue tiefgreifendere Eroberung des deutschen, noch nicht
gebrochenen Wesens durch die romanische Kirche. Aber so sehr diesem
neuen Geist sich zahlreiche Gemüter in Deutschland hingaben, so sehr
widersprach er doch dauernd und im tiefsten Grunde den lebendigen,
natürlichen Trieben eines jugendlichen, kräftigen Volkes, wenn auch
dieser Widerspruch schon geringer geworden war als bei dem ersten
Zusammentreffen des weltenstürmenden und weltfrohen Germanentums mit
der weltabgewandten Kirche des müden Altertums. Immer wieder bäumte
sich auch die Welt gegen den Zwang des kirchlichen Ideals auf, und
immer wieder suchte umgekehrt dieses sich gegen jene durchzusetzen.
Freilich hat die Kirche, wie sich früh gezeigt hat (s. S. 29), den Weg
des Kompromisses grundsätzlich keineswegs ausgeschlossen und ihn auch
immer wieder betreten.

Der Kern der Sache liegt auf sittlichem Gebiet. Hier ist gegenüber der
leidenschaftlichen germanischen Gewaltnatur doch viel von der ethischen
Macht des Christentums, die dank der kirchlichen Organisation auch den
kleinsten Kreisen fühlbar wurde, erreicht worden. Nicht die Ideale des
Kriegers, nicht die natürlichen Richtgedanken des Landmannes, nicht die
Interessen der Heimat und der Familie sollten als höchste Lebensziele
gelten, sondern jenseitige Ideale. Friedlichkeit, Mäßigkeit und Demut
wurden dabei von den gewalttätigen, egoistischen Menschen gefordert.
Man fand sich mit solchen Forderungen durch äußere, übertriebene
Formen, wie wir (S. 32) sahen, ab. Aber die sittliche Erziehung durch
die Kirche modelte mehr und mehr doch auch das Innere um. Die Sorge um
das Seelenheil führte zu einem ständigen Beachten der eigenen Gefühle
und Regungen; den Trieben wurden innere Stimmen feind: das ganze
seelische Leben wurde angeregt, erweitert, vertieft. Das Geheimnis des
Erfolges liegt in der alles niederzwingenden göttlichen Autorität der
Kirche und ihrer Lehre, zugleich wieder in der eindrucksvollen Macht
ihrer ganzen Organisation und in ihrer kulturellen Überlegenheit.
_Der_ fertigen, geschlossenen, großartigen _Weltanschauung der Kirche
gegenüber_ war _das deutsche Volkstum hilflos_ und konnte aus eigener,
unentwickelter Denkkraft heraus kein anderes geistig-sittliches Ideal
von annähernd gleicher Kraft schaffen: daß ein solches in der von der
Kirche bekämpften Antike verborgen lag, ahnte der Laie nicht entfernt.
Dem Stand des nationalen Fühlens und Lebens würde dieses Ideal ja auch
nicht entsprochen haben. Eine im nationalen Denken und Fühlen wurzelnde
geistige Erfassung und Deutung der Welt und der sie beherrschenden
Mächte, eine Gewinnung sittlicher Maßstäbe auf Grund solcher Auffassung
und entsprechend der jeweiligen Kulturstufe: dieses notwendige
Ziel jeder Volksentwicklung zu erreichen, wurde den Deutschen früh
erschwert. Eben die gewaltige Überlegenheit der schlechthin gegebenen
kirchlichen Weltanschauung, so stark weite Kreise ihr bewußt und
unbewußt widerstrebten, hat infolge ihrer ungestörten Dauer die
Möglichkeit der Bildung einer anderen Weltanschauung auf lange hinaus
gehemmt. Man dachte in allen höheren Beziehungen nur in der Denkweise
der Kirche. Außerkirchliche geistige Bewegungen waren, soweit sie bei
der alles umfassenden Kulturbetätigung der Kirche überhaupt möglich
waren, von vornherein machtlos. Wer Menschen und Welt und auch die
Kirche bessern wollte, griff doch immer nur auf reinere Überlieferungen
eben der Kirche zurück.

Andererseits konnte die kirchliche _weltverneinende Weltanschauung_
doch trotz allen Preisens keineswegs das _allgemeine Ideal_ sein,
ist es auch _niemals gewesen_. Ganz richtig hat man sie als ein
geistliches Standesideal bezeichnet. Freilich war dieser Stand der
kulturell führende. Schon äußerlich durch seine Tracht, durch seine
Sprache, durch seine Lebensweise wie durch seine Bildung, seine Ideale
von der übrigen Nation abgesondert und geschieden, losgerissen von
der Familie, verkörperte er dauernd und anschaulich die dem Volkstum
fremde, ihm jedoch überlegene antik-kirchliche Kultur. Aber da er
sich aus den Großen der Welt wie aus der Masse des Volkes ergänzte,
so war dieser Fremdkörper doch auch wieder mit dem Volk innerlich
verbunden, wie es auch äußerlich bisher manch hoher Kirchenfürst durch
seine kulturelle, wirtschaftliche und z. T. politische Betätigung
und manch niederer Pfarrer durch sein ganzes Leben gewesen war. Mit
seiner zunehmenden Zahl, mit der Fülle der Stifter und Klöster und
ihrem Besitz wuchsen Macht und Einfluß des Geistlichen im Volk ebenso
wie sein Selbstbewußtsein. Vor allem verlieh ihm aber die große
Heilsanstalt selbst, deren Vertreter er war, einen gewaltigen Nimbus.
Was er lehrte, war die Wahrheit an sich, der sich jeder Laie beugen
mußte; er vermittelte das Seelenheil, um das ängstlich zu sorgen
die Kirche immer eindringlicher die Laien anhielt. Übernatürliche
Kräfte mochte alter Volksglauben noch immer bei ihm suchen, wenn auch
weniger als früher. Und wenn nun auch trotz des Schweigens unserer
doch meist kirchlichen Quellen sicherlich auch nach den ersten Zeiten
äußerlicher Christianisierung die übrige Welt oft genug eine innerliche
Opposition gezeigt und im übrigen sich in ihrer Weltlichkeit wenig
wird haben stören lassen, so war doch das geistliche Übergewicht so
sicher gegründet, daß das von der Kirche getragene Ideal immer als das
höchste und erstrebenswerteste auch von der Laienwelt anerkannt wurde.
Durchgeführt konnte es von dieser, die deshalb immer als unvollkommen
galt und aus der Sünde zu erretten war, niemals werden, freilich auch
nicht von der Masse der Weltgeistlichen. Die vorbildliche Durchführung
des Ideals hatte sich vielmehr das Mönchstum zum Ziele gesetzt, das
grundsätzlich für die übrigen Geistlichen als ständiges Muster diente,
immer wieder ferner in der mit der Welt notwendig verbundenen Kirche
für die kräftige Erneuerung des Ideals sorgte, endlich der Laienwelt
als die Verkörperung dieses christlichen Ideals sichtbar gegenübertrat.
Freilich, wenn, wie es immer wieder geschah, die Mönche selbst entgegen
diesem Ideal lebten, luden sie um so mehr den Zorn der Laien auf sich.
Gerade die frommen Laien haben in Zeiten religiöser Erregung auch immer
am meisten zu den das Ideal streng erneuernden eifernden Mönchen als
den konsequentesten Vertretern christlicher Forderungen gehalten, und
gerade in unserem Zeitabschnitt, da die Mönche mit der Reformbewegung
die ganze Kirche beherrschten, haben diese jenes Ideal auch tief in die
Laienwelt getragen und selbst asketische Anwandlungen und zerknirschte
Bußstimmungen in weiten Schichten geweckt, überhaupt die gewaltige
Macht der Kirche tiefer in den Gemütern auch vieler Weltkinder
befestigt.

Muß nach alledem die Kirche als der wesentlichste Faktor der
mittelalterlichen Kultur angesehen werden, so liegt darin zugleich
ausgesprochen, daß diese _Kultur_ einen stark _internationalen_
Charakter trug. Soweit wenigstens die Welt in der Papstkirche
vereinigt war, also vom Osten abgesehen, entwickelte sich ihre Kultur
ziemlich einheitlich und gleichartig, eben weil diese Kultur mit der
überall gleichförmigen Kirche eng verbunden sowie von der überall
gleichmäßig gebildeten Geistlichkeit getragen und der übrigen Welt
vermittelt wurde. Natürlich hat es im übrigen in dieser geschlossenen
Kirche, wie in jeder menschlichen Organisation, von jeher auch innere
Parteiungen, Gegensätze und Kämpfe gegeben, aber darauf kommt es
hier nicht an. Jener abgeschlossenen Stellung der Geistlichen im
eigenen Volk entspricht wieder der internationale Zusammenschluß
derselben in der päpstlichen Hierarchie, die Zusammengehörigkeit mit
der Geistlichkeit der anderen Völker: die Romanen waren freilich der
führende Teil. Gerade jetzt wurde Rom erst recht der Mittelpunkt und
aller Heimat; im italienischen Kloster konnte der deutsche Mönch sich
ebenso zu Hause fühlen wie in einem heimischen, was freilich wohl
nicht immer der Fall war. So war denn alle höhere Bildung und ihre
Sprache international, international auch noch später die zunächst
immer von Geistlichen getragene Gelehrsamkeit, wie sie sich in den
Universitäten organisierte. Und als dann seit dem 13. Jahrhundert
eine nationale Scheidung sich schärfer geltend machte, stärkte den
internationalen Charakter der gelehrten Bildung im 15. Jahrhundert
wieder die humanistische, d. h. die Antike neubelebende Bewegung.
International war auch die Kunst, weil wiederum alle Kunstübung, ihre
Ziele und Aufgaben in der Kirche beschlossen waren. Allerdings war
das eigentliche Kunstleben auf bestimmte Länder beschränkt, gerade
auf diejenigen, die durch das Eindringen der Germanen frisches Blut
empfangen hatten, außer Deutschland und Burgund Nordfrankreich und
Oberitalien.

Im Grunde beruhte die Internationalität der mittelalterlichen
Kultur natürlich auf dem internationalen Charakter des Römischen
Reiches und seiner Kultur, deren Erbe die Kirche war, auf der
Eroberung dieses Reiches durch die Germanen und der durch die
Kirche beförderten Aufnahme des universalen Kaisertums durch diese
wie auf der Durcheinanderwirbelung germanischer und romanischer
Volkselemente. In politischer und sozialer (ständischer) Beziehung
hatten die germanischen Einrichtungen daher überall das Übergewicht.
Diese gesellschaftliche und staatsrechtliche Einheitlichkeit
germanischen Ursprungs, zum Teil freilich wieder mit römischen
Einflüssen durchsetzt, ergänzte jene durch die römische Kirche
und die antike Erbschaft gegebene kulturelle Gleichförmigkeit.
Überhaupt bestand auch über das kirchliche Gebiet hinaus eine
starke _Kulturgemeinschaft_ unter den _germanisch-romanischen_
Völkern: fortwährend wurden Kulturgüter, zumal solche äußerer Natur,
ausgetauscht. Der mittelalterliche Handel ist vorwiegend international.
Von den Städten hat schon Ranke gesagt, daß sie sich als Bestandteile
einer europäischen Gemeinschaft fühlten. Die Internationalität
erstreckte sich ebenso auf die schon vor ihnen als Kulturträger
auftretende soziale Schicht des Rittertums. Beruhte sie in sozialer
Beziehung auf jener Gleichförmigkeit der ständischen Gliederung, so
ergab sich eine internationale Geltung der höfischen Lebenshaltung
wie der gesellschaftlichen Lebensanschauungen und -ideale aus dem
kulturellen Übergewicht, das wir die Franzosen erlangen sehen werden.
Der Austausch wurde besonders begünstigt durch die von dem ganzen
abendländischen Rittertum getragene Kreuzzugsbewegung, also wieder
durch eine Bewegung kirchlichen Charakters. Machten sich aber bei den
Rittern der einzelnen Völker genug nationale Unterschiede trotz aller
Nachahmung des französischen Vorbildes geltend, so trugen gerade wieder
die geistlichen Ritterorden den durchaus internationalen Charakter der
Kirche, auch in ihrer Zusammensetzung.

Aber eben das Rittertum als Kulturfaktor führt uns nun darauf,
daß das Mittelalter doch nicht nur kirchlich bestimmt und bedingt
ist. Überhaupt ist immer im Mittelalter die _Welt_ auch da
gewesen, schon vor der Ausbildung einer weltlich-ritterlichen
und weltlich-bürgerlichen Kultur. Wieder ist es das _Volkstum_,
das Beachtung heischt. Man meint in der Regel, nur politisch und
kriegerisch habe sich die deutsche Volkskraft bewähren können,
kulturell habe man nur von der Kirche gezehrt, und geistig hätte bei
Geistlichen wie Laien völlige Gebundenheit geherrscht. In Wahrheit
zeigt das Mittelalter – wir sahen es zum Teil schon – das _kräftigste
Eigenleben_ und selbständige Vorwärtsentwicklung. In dieser gerechteren
Beurteilung des Mittelalters nähern wir uns heute wieder der Auffassung
der Romantik, ohne aber in deren phantastische Illusion, einseitige
Bewunderung und unhistorische Übertreibung zu verfallen. Auf der
anderen Seite ist die Anschauung von der inneren Gebundenheit des
Mittelalters, die sich vor allem auf das oben betonte ungeheure
Übergewicht der Kirche gründet, nicht völlig falsch, so wenig wie Jakob
Burckhardt und vor ihm schon Georg Voigt mit ihrer Entdeckung des
ausgeprägten Individualismus der italienischen Renaissance und mit der
Annahme einer seit dem 15. Jahrhundert erfolgenden Übertragung dieses
Geistes auf die übrigen abendländischen Kulturvölker, bei denen er sich
freilich ganz anders gestaltete, im Unrecht sind. Aber genau gesehen,
handelt es sich doch nur um die gesteigerte Ausdrucksmöglichkeit
für solchen Geist. In Briefen und Reden, in ernster und witziger
Dichtung, in der Gestaltung von Bildnissen und Bildwerken, kurz in
den stilistisch und technisch entwickelten Ausdrucksarten einer
hochstehenden Kultur kann sich die einzelne Persönlichkeit in ihrer
ganzen Individualität zeigen (wobei man aber wieder leicht vergißt,
wie solche Weise alsbald wieder zur allgemeinen Mode, zum Stil, zur
Manier, der Individualismus gewissermaßen zur Gebundenheit wird). Von
den Menschen des früheren Mittelalters dagegen wissen wir über ihr
Fühlen und Denken nur wenig; aus der Ferne sieht man auch nur das
Gemeinsame, Allgemeine. Zu schriftlichem Ausdruck ihres Inneren waren
sie noch wenig imstande, die Laienwelt gar nicht, und künstlerisch rang
man noch allzusehr mit den technischen Schwierigkeiten individueller
Persönlichkeitsdarstellung. Aber wir wissen doch wenigstens zum
Teil, wie die Menschen gehandelt haben, und einzelne Züge verraten
zuweilen, und öfter können wir darauf schließen, wie sie wirklich
gewesen sind. Derselbe Burckhardt, aus dessen genialer Beobachtung
ein epigonenhafter, aber desto mehr von seiner Bedeutung überzeugter
Historiker dann ein mechanisches System mit den nötigen Erweiterungen
konstruierte, hat doch an anderer Stelle wieder auch dem Mittelalter in
gewisser Weise _Individualismus_ zuerkannt: »Zwar ist das Individuelle
noch gebunden, aber nicht innerhalb des geistigen Kreises der Kaste,
hier konnte die Persönlichkeit sich frei zeigen ..., und so bestand
denn wirklich sehr viele und echte Freiheit. Es gab einen unendlichen
Reichtum noch nicht von Individualitäten, aber von abgestuften
Lebensformen.« Der Individualismus zeigt sich also zunächst in dem
_ständischen_ Sonderleben (s. S. 107). In der Tat, welche Fülle
von individuellen Sondergebilden, welche Vielgestaltigkeit in der
räumlich doch nur kleinen mittelalterlichen Welt des Abendlandes, auch
innerhalb der Kirche! Und hat diese Kirche auch _geistig_ wirklich
alles _gebunden_? Hat es nicht zu allen Zeiten in der mittelalterlichen
Kirche Opposition und Sonderströmungen gegeben? Und wissen wir
denn, wie oft sich einer im frühen Mittelalter auch innerlich gegen
diese Autorität erhob? In der angeblich so gebundenen Scholastik
sind dann später bereits die schwerwiegendsten Probleme zweifelnd
erörtert worden. Umgekehrt ist _nach_ dem Mittelalter geistige
Gebundenheit ebensogut zu finden, nicht nur innerhalb der katholischen
Kirche, und die Konvention beherrscht selbst gebildete Kreise noch
in der Gegenwart. Die ständische Gliederung, die ebenso wie der
genossenschaftliche Geist die Menschen damals auch innerlich gebunden
haben mag, ist doch heute nur äußerlich geschwunden. Wie starr liegen,
ähnlich der »bindenden« Geisteswelt der mittelalterlichen Kirche, heute
die offiziellen politischen und kirchlichen Anschauungen auf dem Ganzen
trotz aller lauten und stillen Abweichungen!

So konnte man eine »Rückständigkeit« des Mittelalters wohl gegenüber
den abgelebten Resten seiner Einrichtungen in dem aufgeklärten 18.
Jahrhundert behaupten, in Wahrheit ist das Mittelalter aber reich
an neuen kraftvollen Bildungen und Organisationen auf allen Gebieten
des Lebens, tatkräftig und unternehmungslustig, von Schaffensdrang
erfüllt und vor allem ein Feld für die Betätigung des einzelnen.
Überall begegnen tatkräftige, frei und freudig »sich auslebende«
Persönlichkeiten, insbesondere in der Herrenschicht. Und die Herrscher,
von denen wir noch am meisten wissen, sind so wenig gleichmäßige Typen
wie nur zu irgendeiner Zeit sonst. So würden uns auch bei näherer
Kenntnis der einzelne Mönch wie der einzelne Ritter oder Kaufmann als
Leute von größerer oder geringerer Individualität erscheinen. Welch
außerordentlicher Selbständigkeitsdrang zeigt sich bei einzelnen
wie bei den Ständen, Gruppen und Genossenschaften! Die Stärke des
Trieblebens, des rücksichtslosen Egoismus haben wir wiederholt betont,
die Neigung zur Selbsthilfe ist noch deutlich genug, das Gehorchen ist
dem Mittelalter ein ziemlich unbekannter Begriff, Trotz und Pochen
auf das eigene Recht, auf Sonderrechte allgemein. Man will überhaupt,
wie man richtig betont hat, immer nur Rechte, von Pflichten hört
man ungern. Die deutsche Sonderart erlebt ihre Blütezeit eben im
Mittelalter; aus seinem vielgestaltigen politischen Sonderleben haben
sich erst langsam in neuerer Zeit größere staatliche Gebilde entwickeln
können.

Wo bleiben bei alledem die von Lamprecht konstruierten Stufen
gebundenen Geisteslebens? Die Annahme einer »typischen« Stufe ist z.
B., wie Kemmerich nachgewiesen hat, gegenüber der frühmittelalterlichen
Porträtmalerei gar nicht haltbar. Dasselbe hat Zoepf auf Grund
der Literatur der Heiligenleben des 10. Jahrhunderts bewiesen und
genug individuelle Spuren aufgezeigt. Was aber die weitere, etwas
freiere Stufe »konventioneller« Gebundenheit betrifft, so ist eine
gewisse _konventionelle_ Haltung des späteren Mittelalters schon vor
Lamprecht in meiner »Geschichte des deutschen Briefes« für die Briefe
nachgewiesen, und auch sonst zeigt sie sich vielfach, so in dem ganzen
Gebaren der höfischen Ritter. Aber das Konventionelle ergibt sich
lediglich wie zu allen Zeiten aus dem _Zwange_ einer dem natürlichen
und nationalen Wesen nicht entsprechenden, mehr oder wenig künstlich
übernommenen _fremden_ Kultur. Das Bewegen in der ästhetisch-höfischen
Kultur der Romanen _konnte_ nur modisch-konventionell sein, und die
Handhabung des geistlichen Schriftwesens seitens eines bürgerlichen
Laien des 14. Jahrhunderts konnte auch nur konventionelle Stilformen
gleichsam als Hilfsmittel ergeben. Aber welche Höhe der individuellen
Gestaltung erreichte bereits im 13. Jahrhundert die Kunst! Man denke
nur an die Statuen des Naumburger Doms. Wo man aber sich volkstümlich
geben kann, da ist man individuell im höchsten Maße. Gerade die
_Volkstümlichkeit_ wird als ein _charakteristisches Element_ des
Mittelalters in der Regel übersehen. Die spärlichen Quellen lassen sie
für das frühere Mittelalter nur nicht recht erkennen. Burckhardt hat
recht, wenn er vom Mittelalter sagt: »Unser Leben ist ein Geschäft,
das damalige war ein Dasein; das Gesamtvolk existierte kaum, das
Volkstümliche aber blühte.«

Lange erscheint uns dieses volkstümliche Wesen nur als Unterströmung.
Daß es dann auf der Höhe des Mittelalters stärker hervortrat, war
_zunächst_ nur mittelst der höheren Schichten der Nation und in einer
kultivierten Form möglich. Es hatte sich jetzt ein _weltlicher Stand_
von maßgebendem Einfluß gebildet, dessen nationaler Kern aber erst
durch einen größeren kulturellen Inhalt und eine fremde kulturelle
Färbung gewissermaßen kulturfähig geworden war und der durch Anlehnung
an die religiöse und geistige Macht der Kirche einen größeren Halt
gewonnen hatte, das _Rittertum_.

Die Bildung dieses Standes steht im Zusammenhang mit einer stärkeren
_sozialen Scheidung_ der Volksgruppen überhaupt. Mit der stetigen
Umwandlung der großen Masse zu einem friedlichen Bauernvolk hatte sich
neben dem zuerst geschlossen als Berufsstand auftretenden geistlichen
Stand eine Schicht herausgehoben, die die ursprünglich allgemeine
kriegerische Betätigung als ihre Sonderaufgabe ansah, zumal sie an
den besondere Anforderungen stellenden Reiterdienst geknüpft war. Das
Ganze ist eine auch sonst im Völkerleben zu beobachtende natürliche
Gliederung. Schon machten sich daneben die Anfänge eines handel- und
gewerbetreibenden Bürgertums geltend, das aber noch stark bäuerlich
gefärbt war, wie ja auch der Grundbesitz die Grundlage der Macht der
weltlichen Herren wie der kirchlichen Organisation war, wie ferner
auf dem Lehnswesen – Landbesitz für Leistungen – Staat, Verwaltung
und Heeresdienst mit beruhten. Im 12. Jahrhundert nun gliedert sich
alles schärfer. Auch äußerlich, in Sitz und Wohnung trennen sich
die Stände, es sondert sich der Herrensitz vom Dorf, von diesem die
Stadt, wie schon seit langem der Geistliche in Klöstern und Stiften
sich abschließt. Mit der Sonderung der weltlichen Stände ergibt sich
nun auch eine vielseitigere Ausgestaltung des Lebens, eine schärfere
Betonung der besonderen Aufgaben und Interessen, die Entstehung
besonderer Kulturkreise – bei den Rittern tritt zu der kriegerischen
Grundlage eine gesellige Kultur als Lebenselement – und so überhaupt
ein stärkeres Hervortreten des _Weltlichen_. Unterdrückt konnte dieses
niemals werden. Die Lust der Welt war größer als alle Ansteckungskraft
der Askese, die Kraft der Triebe, die Roheit und Gewalttätigkeit, die
Untreue und Habgier aber auch noch immer stärker als das neue sittliche
Gebot. Das noch eng mit der Natur verbundene ländliche Leben wie das
kriegerische und jagdfrohe Schweifen der Herren über Wälder, Täler und
Höhen ließen ferner die selbst den Mönchen nicht fremde Schönheit der
Natur in den Menschen zu tief wurzeln, als daß eine Abwendung von ihr
hätte stattfinden können – überhaupt darf man ein tieferes Naturgefühl
auch dem früheren Mittelalter keineswegs absprechen[9]. Nun kam die
stärkere Entwicklung der ständisch organisierten weltlichen Interessen
kraftvoll hinzu. Das wirtschaftliche Leben hatte die Kirche selbst
durch ihre Kulturtätigkeit mächtig gefördert, jetzt verlor sie mehr
und mehr die Führung an die Laienwelt, zumal die bäuerliche Schicht.
Mit den von ihr vermittelten Elementen höherer Lebenshaltung hatte die
Kirche zu größerer Üppigkeit insbesondere der Herren beigetragen. Mit
den politischen und Verwaltungsinteressen hatte sie eng im Zusammenhang
gestanden; der Kampf zwischen Kirche und Staat hatte das staatliche
Bewußtsein geweckt; das ohnehin seit der ottonischen Zeit vielseitigere
politische Leben erschien gerade durch die politischen Bestrebungen
der Kirche wichtiger und wertvoller. Die immer häufigere kriegerische
Betätigung, die sie eigentlich bekämpfte, hatte die Kirche mit den
Kreuzzügen selbst in ihren Dienst gestellt und damit geweiht. Gerade
die Kreuzzüge, der Höhepunkt des kirchlichen Einflusses, bedeuteten
überhaupt die größte Förderung der weltlichen Interessen.

Der kulturgeschichtliche _Einfluß_ der _Kreuzzüge_ sei hier nicht im
einzelnen erörtert[10]. Sie haben zunächst auf die romanischen Völker
und dann durch diese in abgeschwächter oder veränderter Weise und
meist erst später auf das deutsche Volk gewirkt. Es war ein ungeheuer
belebender Einfluß, den der Orient auf das Abendland damals ausübte.
Zum Teil war es freilich wieder die Antike, deren altes Gut nun durch
neue Kanäle übertragen wurde. _Byzanz_, das einst die antike Kultur
besser vor dem barbarischen Ansturm hatte retten können als Rom, hatte
immer mehr auf den Osten gewirkt als auf den Westen, trotzdem es
früh für diesen der Ausstrahlungspunkt des Handels mit den begehrten
orientalischen Stoffen usw. war. Die später in der ottonischen Zeit
vermehrten byzantinischen Einflüsse sind stark überschätzt worden. Von
einer tieferen Beeinflussung der Kunst ist auch keine Rede, sondern nur
von einer gewissen Übertragung äußerer Elemente und technischer Dinge
wesentlich im Zusammenhang mit dem Hereinkommen von Gegenständen der
Kleinkunst (Elfenbeinschnitzereien, Goldschmiedearbeiten, Emailsachen
usw.) zumal durch Pilger und Kreuzfahrer.

Zum großen Teil war Byzanz nur der _Vermittler_ orientalischer
Luxusartikel, und der eigentliche Ursprung des »Byzantinischen«
war schon früher nicht Byzanz, sondern Kleinasien. Italien hatte
schon vor den Kreuzzügen mit der Levante unmittelbar gehandelt,
jetzt wuchs dieser unmittelbare, auch von Südfranzosen getragene
Levantehandel außerordentlich. Aber auch auf andere Weise kam in den
Kreuzzügen die _islamitische Kultur_ den Abendländern näher. An den
alten Schätzen des Orients genährt, indisch, persisch und jüdisch
befruchtet, von Byzanz und den Resten der hellenistischen Kultur
in Kleinasien geistig, politisch-militärisch und sonst beeinflußt,
stand diese nicht minder von eigener Kraft getragene Kultur hoch
über der abendländischen. Sie hatte auf diese zum Teil schon vor den
Kreuzzügen von den Mauren in Spanien und den Sarazenen in Süditalien
aus gewirkt, namentlich auf dem Gebiet höheren (eigentlich antiken)
Wissens und ästhetisch-gesellschaftlicher Kultur. Jetzt strömten neue
Kulturgüter aller Art ins Abendland, materielle (Kulturpflanzen,
Gewürze, Spezereien, Farben, feine Gewebe und kostbare Stoffe,
Teppiche, Schmuckwaffen, allerlei Gegenstände des Luxus und bequemer
Lebenshaltung), militärisch-technische, zum Teil römisch-griechischen
Ursprungs (namentlich auf dem Gebiet der Befestigung), überhaupt
technische (Nautik), kommerzielle (Handelswissenschaft, Ziffern),
geistige, die Antike neubelebend (auf den Gebieten der Astronomie,
Mathematik, Medizin, Philosophie). Dazu kamen stofflich-literarische
Einflüsse (Sagen und Wundergeschichten) usw. Das künstlerische Leben
erfuhr in dieser Zeit einen Antrieb durch eine mächtige Belebung der
Phantasie, die namentlich durch die glänzende, zierliebende Bauart des
Orients angeregt wurde. Die regere Phantasie (Wunder und Zauber des
Orients) befruchtete auch das dichterische Leben, schädigte freilich
durch ihr Übermaß das geistige (Aberglaube und Wundersucht); doch
nützte diesem um so mehr die große Erweiterung des Gesichtskreises.
Auf das religiöse Leben dagegen wirkte die arabische Duldsamkeit
zunächst gar nicht; das gesellschaftliche beeinflußten sehr stark die
zierliebende wie die sinnlich-weiche Art des Orients und seine feineren
Sitten. Der gesteigerte Handelsverkehr schließlich sollte eine völlige
Umwälzung des wirtschaftlichen Lebens herbeiführen.

Es ist klar, daß durch all dieses die _Ausbildung_ einer höheren
_weltlichen Kultur_ gefördert werden mußte. Negative, den kirchlichen
Einfluß herabmindernde Momente kommen hinzu. Wer, wie die heimkehrenden
Kreuzfahrer, so weit herumgekommen war, brachte andere Begriffe von
Welt und Menschen nach Hause, war geistig regsamer, kritischer gegen
die alten Mächte, die sein inneres Leben bestimmt hatten. Man hatte
andererseits die »Heiden« kennen gelernt, sie waren auch Menschen;
man wußte jetzt auch von griechischen, nicht mehr bloß von römischen
Christen. Dem kirchlichen Sinn waren ferner die Fahrten selbst nicht
zuträglich. Viele hatten sie ohnehin nur aus weltlichen Motiven
unternommen. Fromme Gemüter wieder fühlten sich abgestoßen und gaben
die Schuld zum Teil der Kirche, die als Urheberin der als verdienstlich
hingestellten Züge solche Weltlichkeit duldete. Die Mißerfolge, das
Scheitern der ganzen Bewegung, die der erste Kreuzzug erfolgreich
eingeleitet hatte, wurden ihr auch angerechnet, und bei der Mehrzahl
der Heimkehrenden beförderte die Enttäuschung solche Stimmung. Daheim
hatte der kirchliche Sinn ohnehin durch die Kämpfe zwischen Kirche und
Staat gelitten. Daß es auch innerhalb der Geistlichen eine Partei gegen
den Papst gegeben hatte, war ebenfalls folgenreich. Dazu kam die äußere
Einbuße der Kirche an Besitz und die starke Verwirrung, oft Zerstörung
des inneren kirchlichen Lebens. So sank das Ansehen der Kirche
bedeutend, gerade als der Sinn der Laien sich stärker auf die Dinge
dieser Welt eben infolge der Kreuzzüge lenkte. Noch war die Kirche die
Hauptmacht des Mittelalters, die höheren geistigen Kultureinflüsse
der Araber haben z. B. naturgemäß gerade Geistliche vermittelt und
gepflegt, aber die Kirche war nicht mehr ausschließlich maßgebend für
eine höhere Kultur.

Eine solche Kultur weltlichen Charakters brachte zunächst das
_Rittertum_ hervor. Als sie sich herauszubilden begann, und als auch
schon in den Anfängen des Bürgertums die Keime neuer kultureller
Gebilde sproßten, bot _Deutschland_, wie das Abendland überhaupt, im
ganzen zunächst _kein erhebendes Bild_. Die große mittelalterliche
Hauptmacht, die Kirche, hatte bedenklich gelitten: Verweltlichung,
Verkommenheit und Unbildung machten sich bei den Geistlichen breit,
obwohl höhere Bestrebungen nicht fehlten. Der Adel ging in Krieg und
Raub und rohem Leben auf. Von einer gesellschaftlichen Kultur war
auch nicht in den Anfängen die Rede. Die alte Unbändigkeit zeigten
die Menschen auch sonst. Die wirtschaftlichen Zustände stockten: es
herrschte bei dem Herrendruck und aus anderen Ursachen oft Armut und
Not, bis sich der Bevölkerung ein Neuland im Osten zeigte. Vielfach
lebten die niederen Schichten dumpf dahin, oft zeigten sich auch
abschreckende Zustände. Auf diesem Hintergrunde entwickelte sich jene
Kultur, die man ihrerseits nun freilich auch nicht in allzu idealem
Lichte sehen darf.

Der ritterliche Stand, der sie trug, hatte sich im Rahmen des
Lehnswesens gebildet durch Angliederung an die kleine, abgeschlossene
Schicht der großen Herren, der späteren Landesherren, von denen noch
(S. 105 f.) die Rede sein wird, also an den Hochadel, die Herzöge und
Grafen, bei denen der Gedanke eines vom Könige übertragenen Amtes
längst zurückgetreten war, weiter an die geistlichen Fürsten und
natürlich auch an den König. Der Stand setzte sich zusammen aus den
Lehnsträgern eines Großen, d. h. kleineren Grundherren, daneben sonst
landsässigen Freien, die teils aus Not und Zwang, teils aus Ehrgeiz
Lehnsleute wurden. Dazu kamen aber immer zahlreichere Unfreie, die
sich als Reisige, auch als Träger von Verwaltungsfunktionen an einem
Bischofs- oder Fürstenhofe emporgeschwungen hatten und schließlich mit
einem Dienstgut, als Grundlage für Leben und Leistungen, belehnt waren,
die immer größere Klasse der kriegerischen Ministerialen also, die auch
als Gefolge den Glanz ihres weltlichen oder geistlichen Herren hoben,
im übrigen aber wie kleine Grundherren auf jede Weise ihren Besitz zu
mehren trachteten und sich den freien Rittern näherten. So entstand
ein ritterlicher Dienstadel, der in den kriegerischen und politisch
bewegten Zeiten immer mehr an Bedeutung gewann, immer wieder auch Freie
und Adlige anzog, sich bei der Gleichmäßigkeit der Anschauungen und
Interessen in altem genossenschaftlichen Drang immer mehr zusammen- und
abschloß und schließlich bei der durchgesetzten Erblichkeit der Lehen
aus einem Berufsstand bis zu einem gewissen Grade zu einem Geburtsadel
wurde. Freilich blieben daneben die sozialen Abstufungen bestehen, und
wenn sich auch ein ritterlicher Ministeriale durch seine Ritterwürde
über jeden freien Nichtritter, der noch so hoch stand, erhaben glaubte,
so konnte er sich doch niemals dem Ritter von edlem Herkommen gleich
dünken, war selbst auch nicht etwa frei.

Die Gleichmäßigkeit der im Frankenreich begründeten
germanisch-romanischen sozialen Organisation, die auf dem Lehnswesen
beruhte, die überall gleiche Rolle des Reiterdienstes machten das
Rittertum zu einer überhaupt abendländischen Erscheinung. Seine
Grundlage blieb immer das Kriegerische, aber der altgermanischen
Kriegsfreude waren gewissermaßen romanische Zügel angelegt; alles
war geregelt und in Formen gebracht. Auf eine Bändigung des
Nurkriegerischen wirkte ebenso die Kirche hin, gleichfalls durch
bestimmte Formen. Von den ritterlichen Schichten, wie sie auch sonst
bei den Völkern sich finden, unterschied sich diese abendländische
durch ihre kirchlich und gesellschaftlich bedingte Internationalität
(s. S. 72 f.). Zunächst hatten aber die Franzosen die eigentlichen
Formen des ritterlichen Lebens seit dem 11. Jahrhundert in einer
Mischung normannischer und provenzalischer (zum Teil maurischer)
Elemente ausgebildet. Romanisch war auch das gesuchte Sichabsondern,
die Verachtung der bäuerlichen Arbeit, während in dem erstrebten
Herrenleben, dem Leben von den Lieferungen der Untertanen sich auch ein
germanischer Zug finden mag. Den Abschluß der ganzen Standesbildung
gaben die Kreuzzüge, einmal durch die damalige innigere Berührung der
Ritter verschiedener Länder, die eine nähere Bekanntschaft mit den
gesellschaftlichen Formen des führenden und von den deutschen »Tölpeln«
bewunderten französischen Rittertums herbeiführte, ferner aber durch
den Glanz und die Bedeutung der Fahrten selbst, die ihren Trägern,
den Rittern, einen außerordentlichen Nimbus verliehen, endlich durch
die religiöse Weihe, die das Rittertum auf ihnen empfing und die erst
jene Betonung kirchlicher Formen und religiöser Ziele vollendete
sowie das Ideal des Ritters als christlichen Ritters befestigte. Ohne
Zweifel stammt aus der zunächst religiösen Schwärmerei der Kreuzzüge
der durch die Romantik des Orients noch beförderte schwärmerische
Zug des Rittertums überhaupt, der bei dem hingebenden, sentimentalen
Minnedienst vor allem zutage trat. Nicht mit Unrecht hat man aber auch
die Empfindelei und Verstiegenheit des Minnetums an sich mit der
gewaltigen Steigerung des religiösen Gefühlslebens zusammengebracht.

Der Hauptzug der ritterlichen Standeskultur, die Verbindung des
kriegerischen Grundelements mit _gesellschaftlich-ästhetischen_
Idealen, ist also _romanisch_, insbesondere französisch. Und romanisch
mutet auch das gesamte ritterliche Leben in seinen Formen an. Wie
_Frankreich_, das schon auf geistlich-geistigem Gebiet im Abendland
voranstand, auch ein gesellschaftliches Übergewicht erlangte, ist
in meiner Geschichte der deutschen Kultur (I², S. 312 ff.) näher
dargelegt: jedenfalls war alles Französische in Deutschland Mode
geworden. Nicht nur daß viele das Französische wenigstens verstanden,
auch die deutsche Sprache füllte sich mit französischen Fremdwörtern,
Gruß- und Verkehrsformeln, die zum größten Teil freilich später wieder
daraus verschwanden. Viele Fremdwörter kamen mit den Sachen selbst,
so mit Kleidungsstücken und Stoffen, Waffen und Rüstungsteilen,
Speisen und Getränken, Instrumenten, Liedformen und Tänzen, ebenso
mit übernommenen Sitten, z. B. solchen der Jagd und vor allem mit dem
ganzen französischen Turnierwesen, mit gesellschaftlichen Spielen
usw. Die Tracht hatte sich übrigens schon im 11. Jahrhundert der
französischen genähert; jetzt trug man alles nach »französischem
Schnitt«. Französisch waren die dem Deutschen so ungewohnten Regeln
des nunmehr höchst wichtigen äußeren Benehmens, die Anstands- und
Tischregeln; der Ehrbegriff erhielt ebenfalls etwas Französisches und
ebenso das nunmehr sehr verfeinerte Schönheitsgefühl; der ästhetische
Charakter des Lebens war französisch. Der Minnesang entlehnte seine
Formen immer mehr den Provenzalen, und auch die epische Heldendichtung
nahm die nordfranzösische z. T. zum Vorbild. Stark französisch gefärbt
war endlich der Frauendienst, der sich zunächst aber im Deutschland
wohl unabhängig entwickelt hat. Überhaupt waren die Deutschen nicht
nur Nachahmer (s. S. 73 und 93), was z. B. auch die Ritterweihe zeigt.
Eigenartige Züge hat man neuerdings ferner aus dem Übergewicht der
Ministerialen im deutschen Rittertum hergeleitet; das französische
bildeten vor allem freie Vasallen.

Die _neue Rolle der Frau_ ist ein kulturgeschichtlich wichtiges
Moment. In geistigen Dingen hatte sich schon der Germane der sonst
ein demütiges Arbeitsdasein lebenden Frau gebeugt. Später war dann
auf dem Gebiet geistiger, freilich immer noch elementarer Bildung
die vornehme Frau die beste Bundesgenossin des Geistlichen gewesen.
Jetzt gewann sie, über den geistlichen Einfluß hinweg, eine ganz
neue weltlich-gesellschaftliche Macht über den Mann, der sich
seinerseits, wenn er ein modischer Ritter sein wollte, gleichzeitig
dem Frauendienst wie dem ungewohnten Zwang feinerer gesellschaftlicher
Bildung unterwerfen mußte. Der eigenen Frau gegenüber blieb freilich
auch in den ritterlichen Schichten das frühere, nicht selten brutale
Regiment bestehen; das junge Mädchen ferner blieb in hergebrachter
häuslicher Zucht und klösterlicher Lehre; die Heirat war in der
Regel ein nüchternes Geschäft wie früher. Andererseits steckt in
dem zum Teil schon auf den Kreuzzügen von den Romanen überkommenen
Kultus der fremden verheirateten Frau bei der derben Genußfreude
und Ungebundenheit der Deutschen lange ein sehr unideales, rein
sinnliches Element. Erst allmählich bequemte man sich jenem romanisch
verfeinerten und gekünstelten, schwärmerisch-idealen Minnedienst
an, durchaus freilich in konventioneller Weise. Und wenn man auch
nicht das verzwickte, man möchte sagen scholastisch und zugleich
überspannt-asketisch ausgebildete Minnesystem der provenzalischen
Troubadours übernahm, so zeigte der Minnedienst doch über die übliche
konventionell-phantastische Aufmachung hinaus auch in Deutschland
bei einzelnen Modehelden wie Ulrich von Lichtenstein übertrieben
schwärmerische Formen. Einen schmachtend sentimentalen, natürlich auch
verschwiegenen, heimlichen Charakter aber trug der Frauendienst, wobei
die Frau stets als Zurückhaltende, Versagende erscheint, später immer
allgemeiner, eben weil es sich meist um verheiratete Frauen – ganz ist
Mädchenminne nicht ausgeschlossen – handelte und der Ehebruch nicht
entfernt die Regel war. Manche Dichter wie Wolfram oder ein Reinmar
von Zweter haben auch gerade die eheliche Liebe innig gepriesen. Aber
auch jetzt handelte es sich immerhin zum großen Teil um wirkliche
Liebesabenteuer. Indes ist vor allem dies wichtig, daß das ritterliche
Leben überhaupt unter dem Zeichen der Frauen steht.

Die notwendige Folge ist das Aufkommen einer ganz _neuen
gesellschaftlichen Kultur_. Männergeselligkeit, wie sie die bisherigen
Deutschen kannten, in den Freuden der Gelage und der Jagd aufgehend,
konnte nur derbe Formen haben – Ausnahmeerscheinungen, wie der
karolingische Bildungskreis und zum Teil der der Ottonen, bleiben außer
Betracht. Vielleicht haben zuerst jene geistlich gebildeten vornehmen
Frauen neben den Geistlichen selbst in der ottonischen Zeit eine Art
feinerer Geselligkeit hervorgebracht. Dann aber kamen jene romanischen
Einflüsse, und mehr oder weniger geschickt verstand die Frau die ihr
dadurch gegebene gesellige Herrschaft auszuüben. Ihre größere Bildung
mochte ihr den Gebrauch der gerade von ihr verlangten feineren Formen
auch leichter machen als dem Manne. Wichtig ist nun aber weiter, daß
dieser neuen Geselligkeit ein belebendes geistiges Element nicht
fehlte, das war die fast obligatorische Pflege der Dichtung. Auch
bei ihr drehte es sich freilich in der Regel um die Minne, und auch
sie war ein Gewächs der Mode. Aber sie kam gleichwohl auf eine Höhe,
wie sie noch lange nachher nicht wieder erreicht wurde. Die bisher
allein als Bildung geltende geistliche Bildung verlor in dieser Zeit
bedeutend an Geltung. Der gesellschaftlich vollendete Ritter mußte
in den Formen des Turniers, der Jagd usw. wohlgeübt sein, in seinem
Benehmen die höfischen Formen voll beherrschen, gewandt und fein mit
Damen sich unterhalten, auch wohl ein Liedlein dichten oder doch
vortragen können und dergleichen: aber lesen und schreiben brauchte
er nicht zu können, wenn es auch mehr Ritter fertig brachten, als man
glaubt. War ferner die bisherige Bildung von der Kirche ausgegangen, so
waren die Mittelpunkte der neuen gesellschaftlichen Bildung natürlich
weltlicher Art. Der _Hof_ der Fürsten und großen Herren (s. S. 105 f.)
trat wieder in seine kulturellen Rechte, wie sich ja an diese Großen
das ganze Rittertum auch sozial angliederte. »Höfisch« heißt daher die
ganze Kultur, die hövescheit (~courtoisie~) ist der Inbegriff der an
den rechten Ritter gestellten gesellschaftlichen Anforderungen. An den
Hof wird der junge Ritter gesandt, um die beste Erziehung zu erhalten.
Am Hofe entfaltet sich der eigentliche Glanz ritterlichen Lebens mit
seinen Turnieren und Festen.

In der Hauptsache ist die neue Bildung rein äußerlich, aber sie hat
doch auch zur _inneren Kultivierung_ der führenden weltlichen Schicht
Deutschlands einigermaßen beigetragen. So wurde doch eine gewisse
Wandlung des rohen und unbändigen Deutschen vor allem durch die streng
geforderte ~mâze~ (Selbstbeherrschung, maßvolle Haltung) herbeigeführt,
die sich den schon früher von der Kirche verlangten Geboten äußerer
Sittigung nunmehr anreihte, und die man nur infolge ständiger rechter
»Zucht« erlangen konnte. Die alte Leidenschaftlichkeit sollte nun
kalter Glätte und Ruhe weichen, das Ungeschlachte sich in zierliche
Formen zwingen lassen, Trunksucht und Derbheit waren verpönt. Für
die Mehrzahl blieb es freilich eine Zwangsherrschaft, die man später
rasch wieder abwarf. Auch die geforderten schon mehr innerlichen
Eigenschaften, die Milde (Freigebigkeit), die Treue u. a., laufen in
der Hauptsache auf Erfüllung konventioneller, äußerer Pflichten hinaus;
ebendarum handelt es sich bei dem Ehrbegriff und der Frömmigkeit
des Ritters. Die Schicklichkeit (die ~fuoge~, die ~site~) ist das
wesentliche, sie ist auch der Kern der ganzen »~tugent~«. Immerhin
schlägt die in den Dichtungen und den zahlreichen Lehrschriften
gepredigte ritterliche Ethik auch tiefere Saiten an. Die Treue wird
edler gefaßt, die mutige Wahrheitsliebe gepriesen, ein humaner Sinn
ist nicht selten, der durch alle Widrigkeiten sich hindurchkämpfende
Wille zum Guten, die Stärke des tüchtigen Charakters, also die ~stæte~,
erscheint wenigstens in Wolframs Parcival, freilich einer für die
allgemeine Auffassung nicht bezeichnenden Dichtung, als Ideal. Ein
schwärmerischer _Idealismus_ ist sicherlich dem für Gott oder für eine
Herrin kämpfenden, auf stolze Kampfesehre dringenden Rittertum nicht
abzustreiten. Wie zum Teil in der Kreuzzugsbewegung wird ferner auch
sonst die äußere Frömmigkeit oft zu einer tieferen Religiosität.

Aber äußerliche _Konvention_ bleibt trotz alledem ein
Hauptcharakteristikum der ritterlichen Kultur, auch der Minne und
der ritterlichen Dichtung, selbst des Waffenberufs. Ein Kriegs- und
Kampflied hat die Zeit nicht hervorgebracht. Mancher sah nicht im
ernsten Kampf, sondern im modischen Waffenspiel, dem freilich durchaus
nicht ungefährlichen Turnier, die Hauptsache. Äußerlich ist überhaupt
die ganze Lebensauffassung des Ritters. Sein Ideal, die ~sælde~, geht
auf ein äußeres Glück, auf reichen Besitz und ein Leben voll Genuß,
Prunk und Glanz, auf Weltfreude.

Indes hat diese Strömung nun doch zivilisatorisch wie kulturell
wichtige Seiten. Zunächst wurde durch sie jene schon (S. 49 ff.)
beobachtete _Verfeinerung_ der Lebenshaltung außerordentlich gefördert.
Die Glanz- und Prunkliebe äußert sich freilich in der Form eines
übertriebenen, zuweilen noch rohen Luxus, der oft mit technischer und
hygienischer Unvollkommenheit des Daseins verbunden war. Letztere
zeigte sich z. B. in der Wohnweise. Im Gegensatz zu verbreiteten
romantischen Vorstellungen waren die Burgen oft recht unwohnlich,
dunkel wegen der kleinen, tiefen Fenster, kalt, da man diese nur
schlecht zu schließen verstand und die stark rauchenden Kamine nur
schlecht heizten, unbequem wegen der oft engen und beschränkten
eigentlichen Wohnräume. Hierzu wie zu dem meist nicht geringen Schmutz
bildete der Wohnungsprunk, wie ihn die damaligen Dichtungen in weit
übertriebener, höchstens für die Reichsten Geltung habender Weise
schildern, einen grellen Gegensatz. Der Prunk äußert sich bei den
Festgemächern der Großen in der reichen Verwendung von kostbaren
Wandbehängen, Decken, Kissen und Polstern, in der Bemalung der Wände
und der Holzmöbel, die auch schön geschnitzt sein mochten, weiter
in dem Belag des Fußbodens mit seltenen Steinarten oder Tonfliesen,
in prächtigen Kaminen, Kronleuchtern, in einzelnen Geräten aus
edlem Metall, besonders in prächtigen Trinkgefäßen und Tischgeräten
und entsprechend in feinen Tischtüchern. Solchen zunehmenden Luxus
zeigte nun auch die schon von den Klöstern gehobene Kochkunst in der
Zubereitung der Speisen wie in der Herstellung von Schaugerichten:
alles das gilt aber meist nur für festliche Gelegenheiten. Auf Menge
und Fülle der Gerichte und starke Verwendung von Gewürzen legte man im
übrigen häufig, wie früher, den Hauptwert.

Diese Unentwickeltheit des Luxus zeigt vor allem auch die Kleidung.
Recht kostbare Stoffe, besonders Seide, zur Schau zu tragen, ist
allgemeines Bestreben: dem entspricht die übertriebene Anbringung von
Goldborten, goldenen Schellen sowie von wertvollen, oft goldgefaßten
Steinen als Besatz sowie die Verbrämung der Kleider mit teurem
Pelzwerk, mit dem man nun auch den Mantel innen fütterte. Bezeichnend
sind ferner die Vorliebe für auffallende Farben und die Vielfarbigkeit
der Kleider. In ihrem eitlen, gefallsüchtigen Charakter näherte sich
die männliche Tracht zum Teil schon der weiblichen, auch in der Mode,
lange Locken zu tragen. Manche Männer machten sogar die jetzt bei
den Frauen aufgekommene Sitte, das Haar mit Seiden- und Goldbändern
zu durchflechten, mit. Die Frauen ihrerseits gaben den Männern an
Putzsucht nichts nach, begannen sich auch immer allgemeiner zu
schminken. Eine große Hauptsache war der Kopfputz.

Trotz der geringen Durchbildung dieser Prunksucht, die für die weniger
Reichen übrigens sehr einzuschränken ist, steckt doch in der Art, wie
man seine äußere Erscheinung zur Geltung zu bringen suchte, zum Teil
schon ein feineres _Schönheitsgefühl_. Eine eigentliche Überladung mit
Schmuck beginnt man hie und da schon zu vermeiden. Vor allem ist aber
jede Plumpheit der Gestalt verhaßt. Feiner Wuchs soll auch zur Geltung
kommen. Daher die schon seit längerer Zeit eingetretene Verengung der
Taille der Frauen, aber auch der Männer. Deren Rock, der zunächst
nur oben eng war und in seiner großen Länge und unteren Weite wieder
etwas Weibliches hatte, ward allmählich kürzer, die nun hervortretenden
Hosen wurden enger, die Schuhe ebenfalls enger und spitzer. Kraft
und Stärke durften bei dem Ritter nicht vermißt werden: aber alles
Ungefüge sollte, wieder nach romanischem Muster, im Äußeren des Mannes
schwinden. Vor allem aber sollte die Frau ein feines, schlankes, zartes
Geschöpf sein, und der für sie geltende romanische Schönheitsmaßstab
wird von den Dichtern schließlich auch an den Mann angelegt. Eine
Grundbedingung solchen Schönheitsstrebens war natürlich eine
gesteigerte, keineswegs freilich aus hygienischen Gründen hervorgehende
Körperpflege. Unsauberkeit der Wohnung war geduldet, Unsauberkeit des
Körpers verpönt. Häufiges Baden war ja althergebracht: jetzt machte man
daraus einen feineren Toilettenvorgang und nahm Wohlgerüche hinzu, die
man jetzt überhaupt liebte. Häufiger wechselte man sodann die Kleider,
gewiß aus stärkerer Abneigung gegen unschönen Geruch. Man pflegte nun
aber auch sorgsam das Haar, die Zähne, die Nägel wie die Hände. Das
schon lange übliche Handschuhtragen war zur Bewahrung der Sauberkeit
durchaus notwendig. So bedeutet denn die aristokratische Verfeinerung
der ritterlichen Gesellschaft zugleich eine größere Ästhetisierung des
Lebens. Darauf geht ja auch jenes neue gesellschaftliche Ideal der
~mâze~, der unleidenschaftlichen Schicklichkeit, aus, darauf die Fülle
jener Anstandsregeln, darauf die erstrebte Zierlichkeit des Verkehrs.
Auch die Sprache hob sich zu größerer Schönheit, vor allem seitdem
die Dichtung durch die romanische Mode zu einem wichtigen Element
des ritterlichen Lebens wurde und aus dieser Gesellschaft heraus
auch zahlreiche Dichter erstanden, unter ihnen solche von hoher und
höchster Bedeutung, die über die modischen Nachahmer der Franzosen weit
hinausragten.

So gewinnt denn die ritterliche Kultur zum Teil schon einen
_künstlerischen_ Charakter. Auch die bildenden Künste nehmen
jetzt, freilich nicht allein im eigentlich ritterlichen, mehr die
Kleinkunst verwendenden Bereich, sondern überhaupt in den großen
kirchlich-weltlichen Kreisen unter dem Einflusse der Romanen
einen außerordentlichen Aufschwung. Seit längerer Zeit war in der
Herrenkultur eine Neigung zu größerem Glanz verbreitet, und das
machte sich gerade künstlerisch geltend. Jene eifrige Bautätigkeit,
die die salischen Herrscher im Wetteifer mit den Bischöfen die
großen romanischen Kathedralen in den rheinischen Städten schaffen
ließ, entsprach der politischen Machtstellung des Reiches und seinem
größeren Reichtum. Man ersetzte die einfacheren Bauten früherer
Zeit durch prächtigere. Wie wir von Anfang an in den romanischen
Bauten den _aristokratischen_ Zeitgeist sich spiegeln sahen (s.
S. 54), so entfaltet sich dieser Charakter in der Blütezeit des
Stils noch mehr und kommt zu glänzenderem, leichterem, feinerem
Ausdruck. Auch weltliche Bauten der vornehmen Schicht, Pfalzen,
Burgen und Patrizierhäuser, werden nun zu Denkmälern dieses
vornehm-geschmackvollen Stils. Vor allem ist es die Hohenstaufenzeit,
in der sich dieser Glanz recht entwickelt. Auch jetzt wurde eifrig
gebaut, freilich entstand weniger von Grund aus Neues als eine Fülle
von Zutaten und Umgestaltungen. In der Zeit vom Ende des 12. bis zur
Mitte des 13. Jahrhunderts wird nun jene Neigung zum Glanz immer mehr
zu einer stark _dekorativen_ Strömung: auf prächtige Außenbauten wird
Wert gelegt, auf zierlichen Schmuck im einzelnen. Bezeichnend sind etwa
die Blendarkaden der spätromanischen Bauten dieser Zeit des Überganges
zur Gotik. Die Bauten der Cistercienser richteten sich bewußt gegen
diese Strömung.

Die eigentliche _Gotik_, in Frankreich aus zum Teil bereits vorhandenen
Elementen unter Führung Nordfrankreichs ausgebildet, weist auch als
Hauptzug die Dekoration auf, so sehr die technisch-konstruktive Seite,
nämlich die Lösung des Gewölbeproblems, das Kreuzrippengewölbe, die
Bedeutung des neuen Stils ausmacht. Trotzdem die deutsche Baukunst
lange schon Fühlung mit der aufstrebenden französischen Kunst hatte,
öffnete sie sich diesem Stil keineswegs rasch, was ja bei der Höhe
der in Deutschland erreichten Entwicklung auch verständlich ist. Erst
um 1250 hat er sich, langsam und auf verschiedene Weise eindringend,
völlig in Deutschland eingebürgert, eben im Zusammenhang mit der
internationalen kulturellen Vorherrschaft Frankreichs. Auch in
Deutschland entwickelte sich nun eine feine und reiche Formengebung,
wenn auch das Bürgertum mit der Entfaltung des Luxus bei den Franzosen
nicht wetteifern konnte und die Bauten bald nach der einfachen Seite
hin beeinflußte. Aber welche künstlerische Höhe, welche Entwicklung
des Schönheitsgefühls zeigen nun doch die Hauptbauten der Gotik
im 13. Jahrhundert! Ein phantastisches Streben in die Höhe, eine
liebevolle Ausgestaltung des einzelnen sind charakteristisch. Es
schwindet zugleich die Bedeutung der Wandmalerei; die Malerei wird
nun auf die hohen Fenster als Objekt beschränkt; schon vor dem 13.
Jahrhundert erreicht diese Glasmalerei ihre Blüte. Das ganze Innere
wird nun in ein geheimnisvolles Licht getaucht, das wieder eine
dekorative Seite hat, vor allem aber eine ganz eigenartige Stimmung
hervorbringt. Die Gestalten der heiligen und kirchlichen Geschichte
den Gläubigen nahezubringen, wurde nun vor allem Aufgabe der nicht
mehr auf das Portal beschränkten Plastik, die zugleich für den
erstrebten reichen Innenschmuck und die dekorative Gestaltung der
Säulen, Pfeiler, Galerien usw. sorgen, dauernd freilich dabei die
Dienerin der Herrscherin Architektur bleiben mußte. Die hochentwickelte
französische Plastik war das Vorbild der deutschen, aber die schönsten
deutschen Denkmäler sind doch zugleich Erzeugnisse deutschen Geistes
und geben dem deutschen Individualismus wie dem neuen realistischen
Sinn künstlerisch wunderbaren Ausdruck. So hat denn Dehio das 13.
Jahrhundert, in dem außer der Dichtkunst auch die übrigen Künste
zu gleichmäßiger Entfaltung kamen, »das am meisten ästhetische
Jahrhundert« genannt, »das wir erlebt haben«, wie es überhaupt
kulturell überaus hoch stand.

Diese ästhetische Seite zumal der ritterlichen Kultur hat nun freilich
ihre Kehrseite. Der Niederschlag dieser Kultur in einer reichen, sie
verherrlichenden Dichtung täuscht leicht darüber, daß diese Welt
zum Teil doch nur in der dichterischen Phantasie lebte. Es war im
ganzen eine Welt des _Scheins_. Zum höfischen Leben mangelte vielen
nicht nur der genügende Besitz, sondern auch die Neigung, selbst den
Frauen. Abgesehen von der ständigen höfisch-kriegerischen Umgebung der
Fürsten und Herren und einem stark abenteuerlichen Element »fahrender«
ritterlicher Turnierer und Sänger mochten unter den übrigen Rittern
viele sein, die daheim das grob-ländliche, nicht gerade üppige
Herrenleben führten, die Hausfrau, die selten genug die Modedame war,
nach alter Weise walten ließen und wenig höfisch behandelten, in der
Geselligkeit den Trunk mit ihren Genossen als Hauptsache ansahen und
in ihren Sitten alles zu wünschen übrig ließen. Manche mochten das
eine draußen tun und das andere daheim nicht lassen, fühlten sich
dann aber in höfischer Aufmachung nichts weniger als behaglich, und
selbst in der eigentlichen höfischen Schicht herrschte, wie schon
gesagt, in erster Linie der Zwang der Konvention, der Mode. Das
zeigte sich vor allem später, als der weiter unten (S. 116 f.) zu
charakterisierende wirtschaftliche und soziale Rückschlag kam. Da
waren die gepriesenen Ideale rasch vergessen, oder man übertrieb noch
ihre Äußerlichkeit und schloß sich um so hochmütiger ab. Die ohnehin
derb und plebejisch werdende Zeit färbte auch beim Ritter ab, die
Frau trat gesellschaftlich völlig zurück, die Trunksucht stieg wieder
mächtig. Die Anzeichen dieses Verfalls begegnen ziemlich früh. Schon
in Ulrich von Lichtensteins »Frauendienst« finden wir rohe Raubritter
geschildert, andererseits auch wirtschaftlich gesonnene, philiströse
ländliche Ritter, die dem Dichter ebenso unhöfisch scheinen wie jene.
Er selbst zeigt in seiner phantastischen Verzerrung des Frauendienstes
die früh eingetretene Entartung desselben; man sah das Wesen der Sache
jetzt in der extremen Übertreibung. Andererseits war dem Rittertum noch
später ein längerer Glanz in einzelnen Gegenden beschieden, wie in
Tirol oder dort, wohin die neuen Ideale am spätesten gedrungen waren,
im Norden und Osten, und auch sonst behielt es vielfach einen höheren
Nimbus, noch im 15. Jahrhundert, z. B. in Franken, bewahrte jene
Ästhetisierung des Lebens freilich nur in geringen Äußerlichkeiten.

Kulturgeschichtlich bedeutsam ist vor allem der _weltliche_ Grundzug
des Rittertums. Wir sahen zwar (S. 81), daß der Ritter theoretisch
immer der christliche Ritter ist. Man kann weiter an die Bedeutung
der Gralsage erinnern, auf die Grundanschauung im »armen Heinrich«
hinweisen, manchen Ritter, der im Kloster endete, nennen und viele
Züge echter Religiosität bei den Dichtern anführen. Gleichwohl ist
die ritterliche Kultur eine erste höhere _Laien_kultur, freilich
ohne Opposition gegen die Kirche oder auch nur gegen die asketische
Anschauung derselben. Beim Rittertum gipfelten diese weltlichen
Standesideale eben in jener ausgeprägten Weltfreude, in dem Preis der
Frauenliebe, in genußsüchtiger Lebenslust. Diese Weltlichkeit hat nun
freilich auch teilweise zu einer stärkeren Gegensätzlichkeit gegen
die Kirche und ihren Geist geführt. Wir können von einer gewissen
Humanität, einer ausgesprochenen Duldsamkeit den Heiden und Juden
gegenüber reden. Die Töne, die dann Walter von der Vogelweide dem
Papst gegenüber gefunden hat, zeugen von größerer innerer Freiheit,
wenn auch natürlich nicht von Unkirchlichkeit. Die volkstümlichen
Spielmannsdichtungen gehen übrigens den Idealen des Mönchstums
gelegentlich schärfer zuleibe.

Aber von einer Scheidung zwischen Rittertum und Kirche ist in keiner
Weise die Rede. Die äußere Kirchlichkeit wird besonders betont.
Überdies war die Anziehungskraft der ritterlichen, »höfischen« Kultur
so groß, daß sich selbst die Glieder der führenden Kulturmacht, der
Kirche, ihr nicht ganz verschlossen. Diese an den weltlichen Höfen
ihre Mittelpunkte findende Kultur war trotz ihrer geschilderten
Schwächen mit einem glänzenden idealen Schimmer umgeben, wenn die Welt
auch nur kurze Zeit eine wirkliche Blüte edler, höfisch gebildeter
und doch männlich-kräftiger Ritterschaft gesehen haben mag, etwa um
die Zeit des Mainzer Festes 1184 unter Friedrich I. Rotbart. Nun ist
freilich richtig, daß sich das Rittertum eben mit dem Abschluß der
Standesorganisation und der völligen Ausbildung der kriegerischen und
gesellschaftlichen Standesideale immer schärfer _absonderte_, die
Ebenbürtigkeit zur Bedingung der Zugehörigkeit erhob und sich vor
allem vom Bauer, dem »Törper«, »Tölpel«, dessen ländliche Arbeit man
nun hochmütig verachtete, zu unterscheiden suchte, obwohl mancher
Ritter mit Bauern zechte und mit Bauernmädchen tanzte. Gleichwohl
bestrebte sich jene nichtritterliche Welt auf alle Weise, dem
Rittertum wenigstens äußerlich nachzuahmen. Und damit gelangt die
_aristokratische Richtung_ dieser Jahrhunderte auf ihren Höhepunkt.
Das Rittertum, in dem sie sich verkörperte, war zunächst die in
allen weltlichen Dingen maßgebende Schicht. Die Fürsten, an die es
sich angliederte, zählten sich doch wieder selbst zu den Rittern.
Innerhalb des landwirtschaftlichen Lebenskreises, in dem Deutschland
noch aufging, waren die Ritter Führer und Herren, aber auch in den
aufkommenden Städten gaben noch die ritterlichen Ministerialen, die
Geschlechter den Ton an und waren den ländlichen Rittern nicht selten
näher verbunden.

Der Adel, insbesondere auch der niedere Adel, war in politischer,
militärischer und sozialer Beziehung der wichtigste Stand. Aber man
darf auch seine geistige Rolle nicht unterschätzen (vgl. S. 93). Vor
allem war er aber der Träger einer neuen bewunderten gesellschaftlichen
Kultur geworden. Diese ästhetische Verfeinerung des Lebens, die
an sich schon einen aristokratischen Charakter trug, wurde zum
_allgemeinen kulturellen Vorbild_. _Geistliche_ zunächst hatten
schon früh – sie waren ja allein die Schriftgelehrten – französische
höfische Dichtungen, freilich nicht ohne geistlichen Einschlag, ins
Deutsche übersetzt, und später fehlte es nicht an Geistlichen, die die
eigentlich ritterliche Dichtung pflegten oder ihre Ideale priesen.
Auch in den Klöstern mochte sich mancher Mönch an der ritterlichen
Epik wie am Minnesang erfreuen. Vor allem fanden aber die Bischöfe
und geistlichen Würdenträger, die ja in der Regel aristokratischer
Abkunft waren, Gefallen daran und zogen Sänger an ihre Höfe, die
überhaupt den weltlichen Höfen in ritterlichem Glanz, in Festen und
Turnieren, denen die Geistlichen natürlich nur zuschauten, oft wenig
nachstanden. – Daß die reichen _Bürger_ sodann, wenigstens damals, in
der ritterlichen Kultur die einzig erstrebenswerte sahen, geht schon
aus der aristokratischen Zusammensetzung des städtischen Patriziats
hervor. Auch der gerade in frühen Stadien rasch reich werdende Kaufmann
spielte in ihm bald eine Rolle und tat es dem grundbesitzenden
städtischen Adel und den Ministerialen gleich. Gottfried von Straßburg
entstammt diesen Kreisen der städtischen Aristokratie, und in Konrad
von Würzburg sind wohl ritterliche und bürgerliche Elemente vereinigt.
Die Geselligkeit, die Tracht waren durchaus höfisch, man hielt auch
Turniere ab, so 1226 zu Magdeburg einen »Gral« für alle »Kaufleute,
die da Ritterschaft wollten üben«. Andererseits ist die große, auch
im übrigen Abendland zu beobachtende Rolle der Patrizierherrschaft in
den Städten, von der wir (S. 102) noch hören werden, an sich schon
ein Zeichen jenes aristokratischen Zeitgeistes und schon deshalb
natürlich und zeitgemäß gewesen. So gab es eine, geistliche und
bürgerliche Elemente heranziehende, wesentlich ritterliche Gesellschaft
aristokratischer Färbung, die für ihre Zeit bezeichnend war, der
zwar hin und wieder die geistlichen Asketen grollten, die in einem
ausgeprägten Gegensatz aber nur zu einer Schicht stand, auf der gerade
alles wirtschaftliche Gedeihen damals noch beruhte, zur _bäuerlichen_.
Aber auch diese Schicht suchte in ihrem reicheren Teil dem allgemein
bewunderten Lebensideal um so mehr nachzueifern, je näher dieser Teil
dem landsässigen Ritter stand und je häufiger er sich, so namentlich in
Bayern und Österreich, mit ihm berührte. Manch ritterlich-bäuerliche
Heirat kam zustande, mancher Ministeriale war ursprünglich
bäuerlichen Standes. Reiche Bauern, namentlich die junge Generation,
machten nicht nur in der Kleidung, Wappnung und im Lebensprunk die
französiert-aristokratische Mode mit, sie tanzten auch nach höfischer
Weise und begehrten ritterlichen Sang zu hören, sie übten sich
sogar selbst, zum Spott der Ritter, gelegentlich im Minnedienst und
anscheinend auch im Turnier.

Natürlich ging das alles mit jenem Verfall des ritterlichen
Lebensideals selbst vorüber, aber immerhin war in diesem Zeitalter für
_das ganze Abendland der Grund zu einer höheren gesellschaftlichen
Kultur_ gelegt, und ihre Überlieferungen wurden vor allem von der
ritterlich-adligen Gesellschaft auch weiter gepflegt, trotz des
Aufkommens einer neuen demokratisch-volkstümlichen Zeit.

Es erhebt sich die Frage, ob dieser Blütezeit der aristokratischen
Kultur das _volkstümliche_ Element ganz gefehlt hat, und damit berühren
wir wieder unser Hauptproblem. Nicht zunächst der aristokratische
als vielmehr der un- und internationale französierte Charakter der
ritterlichen Kultur spricht gegen ihre Volkstümlichkeit, ebenso aber
der daraus sich ergebende konventionelle Zug, die »Verbildung«.
Nationale Elemente fehlen indes nicht ganz (s. auch S. 82): die
Kampflust wie die Jagdleidenschaft, die der Ritter mit dem Herrn
des frühen Mittelalters teilt, sind trotz der französischen Färbung
mancher Kriegs- und Jagdsitten altgermanisch, auch gewisse Elemente
der männlichen und weiblichen Erziehung. In dem naiven Verhältnis zur
Natur, der einfachen Naturfreude, der Frühlings- und Sommerlust, zeigt
auch die Dichtung alte volkstümliche Züge. Öfter, wie bei Walter von
der Vogelweide, verrät sie schon ein feineres Inbeziehungtreten des
menschlichen Innern zur Natur. Gekünstelt dagegen ist die äußerliche,
auf Glanz und Wunder hinarbeitende Naturbeschreibung der Epen, von
Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg etwa abgesehen.
Natürlich zeigt aber die Dichtung trotz der fremden Einflüsse auch
sonst vielfach deutsche Färbung, und ihre schönsten Erzeugnisse, wie
die Lieder Walters oder der Parcival Wolframs, sind doch vor allem als
Blüten deutschen Wesens, größerer Innerlichkeit und Tiefe aufzufassen.
Trotz allen fremden Firnisses war man doch wieder auf die deutsche Art
stolz. »Deutsche Zucht geht vor ihnen allen«, heißt es bei Walter. Von
der Bedeutung, die gerade der niedere Adel für die Mündigwerdung der
nationalen Sprache über die Dichtung hinaus hatte, werden wir noch (S.
112) hören. Trotz jenes Gegensatzes zum unkultivierten Bauern zeigen
sich nun weiter innerhalb der höfischen Dichtung selbst ausgesprochen
volkstümliche Neigungen. Ihr Hauptträger ist der Bayer Neidhart von
Reuental mit seinen realistischen Liedern, die unzweifelhaft in Form
und Inhalt mit alten ländlichen Tanzliedern zusammenhängen, aber
sich doch im Rahmen der höfischen Kunstdichtung halten, wie denn
auch der Bauer darin dem Spott des Ritters dient. Walter war über
solche »Unfuge« entrüstet, aber manche höfischen Dichter folgten doch
Neidharts Spuren und zeigten mit ihrer »höfischen Dorfpoesie« eine
volkstümliche Gegenströmung gegen die überfeinerte Minnedichtung
(siehe unten S. 139).

Man darf überhaupt über dem in unserem geschichtlichen Bewußtsein
alles überragenden Glanz der höfisch-aristokratischen Kultur nicht
die Bedeutung und die still wirkende Betätigung der niedrigeren
Volkskreise übersehen. An sich weist ja schon das _Rittertum
selbst_ wenigstens in seinen aus unfreien Ministerialen erwachsenen
Teilen auf eine seit längerem zu beobachtende _Aufwärtsbewegung
der niederen Schichten_ hin. Noch deutlicher und allgemeiner zeigt
sich diese in der wirtschaftlichen und sozialen Hebung der breiten
_bäuerlichen Schicht_ gegenüber der Grundherrschaft und in der
Festigung und wachsenden Bedeutung des städtischen Bürgertums. Gerade
der aristokratische Zug der Zeit führte ebenso wie die gesteigerte
Lebenskultur und die kriegerisch-politischen Interessen zu einer
Abwendung der Herrenschicht – vom Osten ist zunächst nicht die Rede
– von der persönlichen landwirtschaftlichen Betätigung, die zum Teil
völlig aufhörte. Man lebte lieber von Lieferungen und Naturalabgaben,
die sich dann mit der aufkommenden Geldwirtschaft zum Teil in feste
Geldabgaben, freilich in sehr ungleicher Weise, wandelten. Bei dem
allmählichen finanziellen Verfall namentlich des niederen Adels
setzte allerdings bald wieder die Sucht ein, diese Abgaben zu erhöhen
und den Bauern auszupressen: aber zunächst war die Höhe der Abgaben
gering (über die Gründe ihrer Minderung wie der Schonung der Bauern
s. S. 96). Besonders die Fronden traten stark zurück. Die Zinsbauern
wurden durch die Festlegung der Leistungen, die weiteren Ansprüchen
vorbeugte, selbständiger. Überhaupt kam man namentlich bei großen
Grundherrschaften eben aus wirtschaftlichen Gründen dazu, den großen
Betrieb mehr zu dezentralisieren und durch Zerlegung des Herrenlandes
in Zinsgüter den Ertrag zu steigern. Im Westen gab es große Besitze
schließlich überhaupt nicht mehr: alles war in bäuerliche Betriebe
aufgelöst. Günstig für die Bauern war zum Teil die Entwicklung der
Landesherrschaft. Die Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber einem
Grundherrn, der Landesherr war, wurden dadurch, wie man mit Recht
hervorgehoben hat, zu öffentlich-rechtlichen. Die Verschiedenartigkeit
derselben trat zurück vor der Einheitlichkeit der Untertanenschaft: der
einzelne wurde persönlich und wirtschaftlich unabhängiger.

Bei den größeren Grundherrschaften, insbesondere den geistlichen,
war die wirtschaftliche Leitung nun zum Teil auf die ursprünglichen
Verwalter oder Vertreter, auf die _Meier_ übergegangen. Sie
vermittelten die Lieferungen bestimmter Zinsbauern, d. h. sie gaben
bald nur ein Bestimmtes, sie bewirtschafteten eine Art Vorhof,
natürlich das beste und größte der Güter ihres Bezirks. Gerade sie
zeigen nun auch zuerst eine Aufwärtsbewegung, sie vermehren ihr Gut
durch Rodung, auch durch Übernahme von Herrenland gegen Zins, ihr Gut
wird erblich, sie behalten die Zinsabgaben zurück, sie nähern sich den
Rittern, die ja, wie sie meist selbst, zum guten Teil Ministeriale
waren, oder werden nahezu freie Gutsbesitzer. Sie machen es also
nicht anders als die Vögte, als überhaupt alle, die für Leistungen
und Amtsverrichtungen mit Land belehnt waren und dieses Lehnsgut zur
erblichen, immer möglichst zu erweiternden Herrschaft gemacht hatten.
Dabei wird über die unverschämten Übergriffe der Meier des öfteren
geklagt. Entsprechend handelte nun auch schließlich die Klasse der
besseren _Zinsbauern_. Bei der Lockerung der Grundherrschaft nahmen sie
auch, was sie kriegen konnten, an Nutzberechtigungen wie Landstücken,
umgingen die Meier und lieferten dem Herrn unmittelbar, suchten die
Abgaben zu mindern oder sich ihnen zu entziehen, gewannen jedenfalls
bei deren Festlegung als Geldabgaben durch das Sinken des Geldwerts
und näherten sich, wenn die Erblichkeit ihres Zinsguts erreicht war,
den noch bestehenden Resten der vollfreien Bauern, abgesehen eben von
ihren Abgaben, soweit sie diese nicht ganz zu beseitigen verstanden.
Und selbst die Kopfzins zahlenden, auf dem Herrenhof fronenden
unfreien Zinsbauern, deren Abstufungen überhaupt sehr mannigfaltig
sind, gewannen durch jene Festlegung der Leistungen. Dadurch, daß man
weiteres Herrenland gegen Zins auch an sie austat, wurden sie zum Teil
allmählich zu »freien« Zinsbauern. Durch Ansetzung auf einer Hufe wurde
aber auch schließlich der eigentliche Unfreie, der immer seltenere
Leibeigene ohne Land, zum Zinsbauern, wenn auch zum unfreien.

Im ganzen handelt es sich nicht um etwas durchaus Neues, die bäuerliche
Schicht war auch früher von größerer Bedeutung, als man lange annahm,
aber es hat doch jetzt eine stärkere soziale Hebung der ländlichen
Schichten eingesetzt, wobei von allgemeiner Gleichförmigkeit der
gewonnenen Stellung freilich in keiner Weise die Rede ist, und für das
13. und zum Teil das 14. Jahrhundert läßt sich entschieden von einer
Zeit _bäuerlichen Gedeihens_ sprechen. Die Abgaben stiegen nicht,
wohl aber der Wert und Ertrag des Bodens. Wie wäre es sonst möglich
gewesen, daß etwa der österreichische Bauer in äußerem Prunk zuweilen
dem Ritter gleichzutun suchte. Freilich hatte sich gerade durch die
freiere Güterbewegung, insbesondere durch die Hufenteilung, neben den
reicheren, größeren Bauern eine zahlreiche Klasse von Kleinbesitzern
gebildet, denen es vielfach schlecht ging. Bezeichnend ist aber die
Wiederbelebung des alten genossenschaftlichen Geistes besonders auch
durch die freieren Zinsbauern; sie regelten wie die Reste der freien
Bauern ihre Angelegenheiten wieder mehr und mehr selbst, nachdem
schon früher die Feststellung eines besonderen Hofrechts seitens der
Grundherrschaft sich als notwendig ergeben hatte. Von neuem erwuchs
die enge Lebensgemeinschaft der Dorfgenossen, die dem einzelnen
wirtschaftlichen, sittlichen und sozialen Halt gab, ihn auch freilich
in allen Dingen gängelte und dem ganzen Dasein etwas Starres gab. Auch
am Gerichtsleben nahm der Bauer noch teil: diese höheren und niederen
Dorfgerichte, im Freien tagend, wurzelten durchaus im Volk, und in
den später zahlreich aufgezeichneten »Weistümern«, die ja freilich
vor allem das wirtschaftliche Leben regeln, steckt auch noch ein
gut Teil rechtsschöpferischer Kraft. Mächtig hatte sich auch wieder
das Selbstbewußtsein der ländlichen Bevölkerung gehoben. Die milden
Saiten, die die Grundherren seit längerem im ganzen ihren Grundholden
gegenüber aufgezogen hatten, erklären sich aus der Erkenntnis, daß
man auf sie angewiesen war. Man mußte sie gegenüber der zunehmenden
Abwanderung, die zuerst gelegentlich der Kreuzzüge, dann nach dem
Osten, dessen Kolonisation zu einer gewaltigen Bewegung geworden
war, endlich infolge der Anziehungskraft der neuen städtischen
Gebilde einsetzte, zu halten suchen. Eben dieser Umstand festigte
den bäuerlichen Geist. Man ließ einen weltlichen Grundherrn, der
die Bauern drückte, alsbald im Stich und nahm von einer geistlichen
Herrschaft ein Zinsgut; aber man leistete auch dieser gegenüber nur
das Nötigste. Die Grundherren minderten ihre Ansprüche ständig und
sahen sich auch vielfach gezwungen, die freieren Formen der Erbpacht
und Zeitpacht, die, an sich doch wohl älter, sich vor allem auf
dem Neuland im Osten unter den freieren Verhältnissen entwickelt
hatten, in größerem Umfang anzuwenden, und so hob wieder die größere
Selbständigkeit das bäuerliche Selbstgefühl. Den vielfach auftretenden
verarmten Bauerndrückern und Raubrittern gegenüber griff der Bauer z.
B. in Bayern und Österreich zuweilen zu gewalttätiger Vergeltung. Trotz
der Verbote ging er dort auch meist gewaffnet einher, trug das Haar
lang usw. und sah in seinem Wohlstand auch wohl mit Verachtung auf
einen »armen Hofmann« herab. In Westdeutschland verweigerte der Bauer
gelegentlich den Zins und so fort.

Wenn also der Bauer meist gedieh, so war doch seine _Wirtschaftsweise_
trotz mancher grundherrschaftlichen Einflüsse keineswegs besonders
fortgeschritten. Es ist im Grunde der herkömmlich fortgepflanzte
Betrieb alter Zeit, an dem man auch die späteren Jahrhunderte hindurch
zäh festhielt. Dieses Gepräge hergebrachter _Einfachheit_ trug
überhaupt das ganze bäuerliche Leben. Jenes Mitmachen der höfischen
Mode war doch eine auf bestimmte Kreise beschränkte und vorübergehende
Erscheinung. Die gewöhnliche Kleidung war überaus bescheiden, die
graue Arbeitstracht, die dem Bauern nach allgemeiner Anschauung auch
allein gebührte. Bei seinen Festen, insbesondere den Hochzeiten, mochte
er sich ungebührlich kleiden und sonst einen rohen, massigen Luxus
entfalten, sich z. B. tagelang der Völlerei ergeben: aber wenn er auch
sonst eine barbarische Gefräßigkeit zeigte, so war seine Nahrung doch
ohne Abwechslung und beschränkte sich auf die alten Speisen. Auch
der Wein ist für ihn ein seltenes Getränk geblieben. Ganz nach altem
Gepräge waren Haus und Hausrat. Der ästhetische Sinn der Zeit tritt
beim Bauern nicht hervor; insbesondere war die Körperpflege gering und
die Reinlichkeit wenig geschätzt. Ebenso fern steht er den geistigen
Interessen, die sich auch in Laienkreisen zu verbreiten beginnen, wie
der elementaren, von Geistlichen vermittelten Bildung.

Sein inneres Leben ist einförmig und wird wiederum von Arbeit und
Wirtschaft beherrscht, zugleich aber von dem vertrauten Verbundensein
mit der Natur und alten Glaubensvorstellungen beeinflußt. In einfacher,
oft derber Natürlichkeit äußern sich seine Triebe, und seine Feste
sind vielfach die alten Naturfeste. Dazu war das Kirchweihfest, die
Kirmes getreten. Seine Lebensfreude kommt bei Festen und an Feiertagen
vor allem in der Form des alten Tanzreihens, den Tanzlieder, dem
Vorsänger vom Chor nachgesungen, begleiten, zum Ausdruck. Man tanzte
im Sommer kranzgeschmückt im Freien. Hohe Sprünge und dergleichen
gehörten dazu, und an Handgreiflichkeiten fehlte es nicht. Wie in
der Vorzeit hörte man aber auch zur Unterhaltung gern alte Mären und
alte Lieder. Ebenso hatte bei den Bauern anderes halb poetisches Gut,
namentlich Spruchgut, eine dauernde Stätte, mit dem Menschenleben, der
Wirtschaft und dem Wandel der Natur zusammenhängend, dazu aber jene
vielfach schon entstellte alte Glaubenswelt, die in Sagen und Segen
wie in einer Unzahl alter Bräuche, wieder mit Leben und Arbeit oft
poetisch verbunden, zutage trat. Feinere Gefühle liegen dieser ganzen
Art fern. Nüchterner, geschäftlicher Sinn und praktischer Erwerbsgeist,
die auch die Schließung der Ehe bestimmen, treten scharf hervor; auch
eine Neigung zu listigen Praktiken, vielleicht schon durch die Abgaben
und Lieferungen hervorgerufen, zeigt sich später beim Verkauf der
Erzeugnisse in der Stadt. Im übrigen beherrschte das Leben, wie es bei
halbkultivierten Menschen der Zwang des Zusammenlebens schließlich von
selbst ergibt, alte Sitte, also ein gewisses Maß streng gehüteter,
selbst erworbener, aber auch durch die Kirche anerzogener, in der
Hauptsache volkstümlicher Anschauungen und Regeln.

Der ländlichen Welt des Beharrens steht die _städtische_ des
Fortschritts und der Bewegung gegenüber; sie gerade zeigt am
deutlichsten jene Hebung der niederen Schichten. Die planmäßigen
Gründungen im Westen wie seit der einsetzenden Kolonisation im Osten
vermehrten die Zahl der Städte stark. Sind um das Jahr 1000 etwa 80
nachweisbar, so hatten sie sich um 1100 etwa verdoppelt, um 1200
verdreifacht, um dann rasch zuzunehmen und um 1400 beinahe die Zahl zu
erreichen, zu der es das Mittelalter überhaupt gebracht hat, d. h. etwa
1000. An Umfang und Volkszahl waren sie natürlich sehr verschieden: die
Entwicklung richtete sich nach der wirtschaftlich günstigen Lage, nach
den Schätzen und Erträgen des Bodens usw. Mit dem Aufkommen der Städte
wurde auch das anfangs spärliche Straßennetz immer dichter, besonders
in staufischer Zeit. Wieder brachten die Vorteile aus Zöllen, Geleit
usw. die Herren zur Errichtung neuer Straßen – von einem wirklichen
Straßenbau ist aber keine Rede –, bis dieselben Beweggründe zu einem
Rückschlag, zu einer Art Straßenmonopol führten. Mit der Vermehrung
der Straßen war natürlich auch die Errichtung zahlreicher Brücken
verbunden. – Landwirtschaftlich gerichtet oder gefärbt wie alles
übrige (s. S. 48), werden die Städte doch immer mehr zu Sitzen von
Gewerbe und Handel (s. S. 45 ff.). Die entsprechenden Bedürfnisse
und Lebensbedingungen führen wieder zu größerer sozialer Freiheit.
Die neben Freien zahlreich zuziehenden Unfreien bilden mit freien
Grundbesitzern, Handwerkern und Kaufleuten bald eine in gewissem Sinne
gleichartige Masse, mit großen Unterschieden freilich des Besitzes
und Einflusses, aber mit immer stärkerem Schwinden der Unterschiede in
Bezug auf die persönliche Freiheit. Die bald empfundene Gemeinsamkeit
der Interessen treibt gleichzeitig zur Loslösung von den Stadtherren,
denen doch die Städte zunächst alles verdankten (s. S. 48). Ohne
Rücksicht auf deren Organe hatten schon im 11. Jahrhundert die
einerseits als feste Plätze bedeutenden, andererseits wirtschaftlich
erstarkten Städte am Rhein im Bewußtsein ihrer Volkskraft eine
selbständige kriegerisch-politische Rolle zugunsten der salischen
Könige, wie auch später, gespielt. Das wachsende Selbstbewußtsein
führte dann, zumal bei der Schwäche der Reichsgewalt, immer mehr
dazu, größere Selbständigkeit zu erstreben; es kam besonders in den
Bischofsstädten zu Kämpfen, die natürlich ungleich verliefen: das
Ergebnis war für die Hauptmasse der Städte, in Anknüpfung an ältere
Vertretungsformen unter den Stadtherren, eine eigene Verfassung,
Verwaltung und Gerichtsbarkeit, die _Ratsverfassung_, deren Bedeutung
sich äußerlich in dem Bau der Rathäuser widerspiegelt. Diese im 12.
und 13. Jahrhundert durchgesetzte, häufig genug freilich durch Geld
erworbene Selbstverwaltung (Finanzen, Steuern, Polizei usw.) wurde
später technisch vorbildlich.

Wirtschaftlich und sozial überwiegen in den Städten zunächst noch
durchaus die _Handwerker_, d. h. vor allem auch die verkaufenden
Handwerker. Jene schon erwähnten mannigfaltigeren Ansprüche der
wachsenden und verschieden gestellten Bevölkerung führten eine
bedeutende Vermehrung der Gewerbetreibenden namentlich auf dem Gebiet
der Nahrungsmittelgewerbe, der Weberei und der Bekleidungsgewerbe
und ein Zurückdrängen der hauswirtschaftlichen Erzeugung herbei; die
bauliche Ausdehnung der Stadt, besonders aber die größeren Bauten der
Kirchen und Rathäuser förderten die Baugewerbe, der größere Reichtum
der oberen Bürgerklasse rief auch allerlei Sondergewerbe hervor. Im
ganzen ergab sich neben einem Zurücktreten der bäuerlichen Betätigung
und einer Beschränkung der einzelnen auf ein bestimmtes Handwerk eine
größere Spezialisierung innerhalb der Handwerke und, zum Teil unter
fremden Einflüssen, eine immer bessere Technik und Kunstfertigkeit.
Eine große Bedeutung für das innere Leben und die wirtschaftliche
Betätigung der Handwerker wie für ihre Geltung nach außen hin hatte
ihre hier nicht näher zu erörternde genossenschaftliche Organisation in
_Zünften_, der der Zunftzwang von Anfang an die nötige Geschlossenheit
verlieh. Die Obrigkeit der Stadt sah die Zünfte als die eigentlichen
Organe der Bürgerschaft an, wie sie auch für deren militärische
Gliederung und Verwendung wichtig waren. Der einzelne Bürger bedeutete
eigentlich erst etwas als Glied einer Zunft.

So bildeten die Handwerker die eigentliche Masse der Bürgerschaft,
nach deren Interessen sich die städtische Politik richtete; sie waren
jedoch zum größten Teil auch Verkäufer und vertraten zugleich die
Interessen des _Handels_. Aber neben ihnen und trotz der seit Ende des
12. Jahrhunderts eingeschlagenen, sich abschließenden Richtung auf
ein rein örtliches, Stadt und Umgebung umfassendes Wirtschaftsgebiet
hatten doch auch die eigentlichen Kaufleute (s. S. 46) von Anfang an
allergrößte Bedeutung; einmal wegen der Einführung der vom Gewerbe
gebrauchten Rohstoffe aus der Ferne, weiter wegen des Vertriebes
gewerblicher Sondererzeugnisse nach außen, vor allem aber auch als
Vermittler der örtlich nicht zu gewinnenden oder herzustellenden,
begehrten fremden Erzeugnisse und Stoffe, der Gewürze und Tuche
vor allem wie der Luxuswaren. Die kleineren Kaufleute, die Krämer,
standen den verkaufenden Handwerkern nahe und bildeten Zünfte wie
sie, waren aber anfangs nicht besonders angesehen. Dagegen traten
die eigentlichen Kaufleute, die sich namentlich in Norddeutschland
zu Gilden zusammentaten, früh in einen gewissen Gegensatz zu den
Handwerkern. Es waren vor allem die Tuchhändler, die Gewandschneider,
die großes Ansehen genossen, infolge ihres häufig bedeutenden
Wohlstandes auch mit den »Geschlechtern« zusammenwirkten und die
Stadtpolitik bestimmend beeinflußten. Kleinhandel in Lauben, Gewölben
usw. trieben in der Heimat auch diese größeren Kaufleute, aber
einzelne von ihnen kamen doch auch zu einer bestimmenden Teilnahme
am großen internationalen Verkehr, zu einem Großhandel, bei dem sie
sich natürlich keineswegs auf den Tuchhandel beschränkten, sondern die
Einfuhr der orientalischen Waren aus Italien und Flandern, ihren und
der deutschen Waren Vertrieb nach Norden und Osten (von wo man wieder
namentlich Rohstoffe hereinbrachte) eifrig pflegten und große Gewinne
davon hatten. Der deutsche Kaufmann wetteiferte nun in internationalen
Handelsfahrten mit dem Italiener, der den Levantehandel schon seit
längerem von Byzanz weg an sich gerissen hatte, diese orientalischen
Waren auch selbst in Westeuropa, auf den Messen der Champagne, in
England und Flandern, vertrieb und dafür Tuche und Wolle eintauschte
– von seiner Rolle im Geldverkehr, der zunächst vor allem an die
Champagner Messen anknüpfte, ganz abgesehen. Mit Deutschland, das
ja nicht allzuviel an den von ihnen begehrten Erzeugnissen bot,
scheinen die Italiener doch weniger unmittelbar gehandelt und seltener
sich dort niedergelassen haben, als man früher annahm. Der Deutsche
seinerseits, der nun auch den Juden aus den Gilden und von den Messen,
d. h. aus dem Warenhandel verdrängte, tauschte gegen seine Rohstoffe
usw. die orientalisch-italienischen Waren vielmehr auf den Messen der
Champagne von dem Italiener ein; bald aber sicherte sich wenigstens der
süddeutsche Kaufmann die Teilnahme am italienischen Welthandel auch
durch Fahrten nach Italien selbst, vor allem nach Venedig, vielleicht
schon im 11. Jahrhundert. Völlig entwickelte sich dieser Verkehr erst
später nach dem Rückgang jener Messen.

Die Anfänge einer dauernden Festsetzung im Ausland fallen in das 12.,
weitere Niederlassungen folgen im 13. Jahrhundert. Das Vorgehen der
deutschen Kaufleute, die draußen ebenso wie daheim Genossenschaften,
Gilden bildeten und eigene Höfe einrichteten, entspricht der Art der
Niederlassung in Höfen, wie sie im Mittelmeergebiet seit Beginn des
Mittelalters orientalische Kaufleute vielfach gegründet, wie sie
dann vorgeschrittenere Abendländer, vor allem wieder die Italiener,
ebenfalls eingerichtet hatten. In der Fremde konnte eben nur die
genossenschaftliche Organisation dem Kaufmann ein durch Privilegien
geschütztes Tätigkeitsfeld sichern. In Italien hatten die Deutschen
bereits 1228 den ~Fondaco dei Tedeschi~ in Venedig erhalten. Freilich
waren hier die Deutschen die Abhängigen und Beaufsichtigten und von
den Italienern nur in deren eigenem Interesse geduldet. Der Handel
mit Italien blieb vor allem das Feld der süddeutschen Kaufleute. Ein
früher Anziehungspunkt für die west- und nordeuropäischen Kaufleute
war wegen seiner Wolle und Tuche England. Hier und in Flandern und
weiter in Wisby auf Gotland, von wo es wieder ins russische, eine
Fülle von Rohstoffen bietende Handelsgebiet ging, bildeten deutsche
Kaufleute Vereinigungen (in Westeuropa nannte man solche niederdeutsch
Hanse), zuerst nach Heimatsorten und unter gegenseitigen Reibungen,
dann im notwendigen Zusammenschluß als »deutsche Kaufleute«. Dieser
Zusammenschluß der Kaufleute insbesondere in Flandern scheint dann
einen solchen der Heimatsstädte selbst zunächst für das dortige
und dann unter Führung Lübecks auch für das nichtflandrische
Interessengebiet bewirkt zu haben. Die Hauptaufgabe dieses großen
Bundes, dessen äußere Geschichte hier nicht erzählt werden soll,
der bezeichnenderweise lange den Namen »der gemeine Kaufmann« führt
und erst seit der Mitte des 14. Jahrhunderts als »_deutsche Hanse_«
bezeichnet wird, »war immer die Förderung des Auslandhandels und die
Sicherung der auswärtigen Handelsniederlassungen«. Natürlich spielten
aber beim Hansabund, dessen Grundlage die Schiffahrt bildete, auch
die Sicherung des Handelsverkehrs im Binnenlande, die Förderung der
Verkehrsinteressen gegenüber den Zollplackereien, der rechtliche Schutz
der einzelnen, die Durchsetzung des Landfriedens in jener raub- und
kriegslustigen, unsicheren Zeit ihre Rolle.

Darin entspricht er den nicht minder von handelspolitischen Interessen
hervorgerufenen, zugleich aber stark politisch gefärbten, großen
binnenländischen Städtebünden, dem Mitte des 13. Jahrhunderts
entstehenden rheinischen Städtebund und dem ein Jahrhundert später sich
bildenden schwäbischen. Es bedeuteten diese Städtebünde einen neuen
Abschnitt der aufsteigenden Entwicklung der Städte überhaupt, ihrer
Selbständigkeitsbestrebungen und ihrer bereits früher beobachteten
politischen Betätigung. Ein starker Gegensatz zum Adel, aber auch
mehr und mehr zu den Landesherren, den Fürsten, tritt hervor. Das
neue Wirtschaftsleben, dessen Sitze die Städte sind – von der neuen
Geldwirtschaft werden wir noch (S. 117 f.) hören –, setzt sich auch
äußerlich, politisch durch, wie auf seinem Boden auch neue soziale
Verhältnisse sich bilden und eine eigenartige Kultur entsteht. Eine
neue, demokratisch gefärbte Zeit ist im Anzuge, aber zunächst überwiegt
auch in den Städten jene _aristokratische_ Zeitfarbe. Ritterlich
lebende Patrizier waren, wie wir (S. 92) sahen, die maßgebende Schicht
in ihnen. Sie sind trotz ihres Kastengeistes und ihrer Herrschsucht
die eigentlichen Gründer der städtischen Macht und Kultur gewesen.
Diese Männer haben die bedeutenden Befestigungen, die großen Kirchen
und öffentlichen Bauten, denen ihre stolzen Steinhäuser entsprachen,
in erster Linie angeregt und vollendet, sie haben den Grund gelegt zu
der städtischen Selbstverwaltung wie zu der selbständigen städtischen
Politik nach außen.

Das auf dem Gebiet höherer Kultur führende Element bleibt aber auch
in den Städten die Geistlichkeit, die allerdings immer stärker
von bürgerlich-demokratischem Geist erfüllt wird, bis ihr die
Laienschicht die Kulturpflege nach und nach abnimmt. Zunächst
triumphiert überhaupt in der Welt des 13. Jahrhunderts neben der
ritterlichen führenden Schicht, neben dem bäuerlichen urtümlichen
Element und dem bürgerlichen Träger der Zukunft die _Kirche_ als
_alte Kulturmacht_ noch durchaus. Aus Frankreich war nicht nur die
siegreiche weltlich-höfische Kultur gekommen, sondern vorher auch jener
strengkirchliche Geist, der dann aber auch einen neuen Aufschwung
kirchlich-kulturellen Lebens einleitete. _Gotik_ (s. S. 88) und
Scholastik sind die großen aus Frankreich stammenden Erscheinungen, in
denen man zunächst Kulturschöpfungen der Geistlichkeit sehen muß, in
denen viel von dem Geist der neuen Zeit nach den Kreuzzügen verarbeitet
ist. Wenn man in den hochragenden gotischen Kirchen der Städte später
gewiß auch das mächtig aufstrebende Bürgertum sich widerspiegeln
sehen darf, wenn sie sich zum Teil gerade aus den Ansprüchen der
wachsenden städtischen Bevölkerung, denen die romanischen Bauten
nicht mehr gerecht wurden, entwickelt haben, wenn an ihrer Errichtung
und Gestaltung in immer größerem Maße Laien beteiligt waren, so sind
jene Bauten doch in erster Linie die erhabensten Zeugen der Macht des
priesterlichen Elements, des kirchlichen Geistes im Volke und des
kulturellen Könnens der Geistlichen, nicht eines der Welt zugewandten
Sinnes. Auf Gott und das Überirdische war ihrem ganzen Wesen nach
auch die _Scholastik_ gerichtet, die wie die Gotik die künstlerische,
so die geistige Höhe der geistlichen Kultur darstellt (im übrigen
aber eine noch nicht genug erforschte, lange Vorgeschichte hat). Auch
in ihr steckt andererseits etwas vom laiischen, freier gerichteten
Geist. Der Mittelpunkt des geistlich-geistigen Lebens blieb die
Theologie, aber eine Theologie, deren Glaubenssätze philosophisch
durchdacht und gerechtfertigt wurden, die zu einem philosophischen
Gedankensysteme erblühte. Unzweifelhaft entspringt diese Strömung zu
einem wesentlichen Teil den geistigen Einflüssen des Islam, denen sich
seit den Kreuzzügen das Abendland geöffnet hatte und durch die diesem
vor allem wieder die griechischen Philosophen und sonstigen Autoren
unter spanisch-jüdischer Vermittlung bekannt wurden. Zurück traten, vor
allem gegenüber den metaphysisch-logischen Zweigen, die schon durch
jene asketische Bewegung bekämpften poetisch-grammatisch-literarischen
Studien. Der große Meister der Wissenschaft wurde Aristoteles, die
Quelle der Wahrheit, freilich durchaus theologisch zurechtgestutzt und
namentlich formalistisch verwertet. Von Bedeutung wurde er insbesondere
auch für die Dialektik, die nun meist der Hauptunterrichtsgegenstand
und in dem nunmehr höchst wichtigen, wiederum formalistisch geführten
Schul- und Meinungsstreit die eigentliche Methode der Scholastik
wurde. Man darf über diesem, eben vor allem durch _schulmäßige_
Übung entwickelten, zugespitzten, künstlichen, äußerlich-formalen,
alles begriffsmäßig zustutzenden, auch wieder stark verfeinerten,
dekorativen Treiben nicht das wesentliche Moment übersehen, daß damit
doch eine sehr bedeutende Schulung des Verstandes einherging, daß
überhaupt das Denken, die Vernunft eine entscheidende Rolle spielte.
Man gelangte doch zu einem selbständigeren wissenschaftlichen Denken.
Es handelt sich wirklich um Philosophie, freilich um mittelalterliche
Philosophie. Ihr Hauptziel war die Vereinigung von Glauben und Denken,
Theologie und Philosophie, wobei sie selbst aber die Dienerin war.
Eben _Frankreich_, wo das »~studium~« überhaupt blühte, ist wieder die
Hauptpflegestätte der Scholastik, und auch als solche äußert es seinen
damals gewaltigen Einfluß auf Deutschland. In Paris lehrte auch lange
der ~Doctor universalis~, Thomas von Aquino, der in seinem System mit
Hilfe des Aristoteles jene erstrebte Vereinigung erzielt zu haben
glaubte. Wie ihm dann Gegner erstanden, wie überhaupt die Scholastik,
die Universitätswissenschaft des späteren Mittelalters, sich weiter und
freier entwickelte, wird uns noch (S. 145 f.) beschäftigen.

Jedenfalls bestätigt auch das geistig-geistliche Leben, wie wichtige
Keime sich gerade im _13. Jahrhundert_, das ja auch im übrigen
Abendland eine der fruchtbringendsten Perioden war und besonders
für Frankreich eine Zeit des Glanzes darstellt, entfalteten. Es ist
in der Tat eine Zeit _allgemeiner Geltendmachung der Kräfte_. Es
bahnt sich bereits eine Ausgleichung zwischen den Mächten höherer
Kultur und den starken Fähigkeiten des Volkstums an. Es ist eine Zeit
materiellen Gedeihens, wie es vor allem durch die sich kraftvoll
hebenden niederen Volksschichten, den Bauer und den Bürger, oft
mit hartem, rücksichtslosem, gewalttätigem Egoismus erstrebt und
durchgesetzt wird. Die alte Ungebändigtheit – Papst Paschalis II.
fürchtete die Wildheit der Deutschen! – tritt dabei noch immer zutage;
sie zeigt auch der Ritter, je mehr er die höfische Verbildung von sich
abstreift. Auch die alte kriegerische Ader ist noch stark bemerkbar,
nicht nur beim Ritter, der den Waffenberuf ausschließlich für sich
in Anspruch nahm. Der Bauer kennt noch Wehr und Waffen; der Bürger
ist noch kein stubenhockender Philister. Die Städte sind Burgen,
Festungen; die Zünfte sind Wehrkörper; die Waffenübungen spielen eine
große Rolle. Aber der Schwerpunkt der bäuerlichen und bürgerlichen
Tätigkeit liegt nun doch ausschließlich in der wirtschaftlichen Arbeit.
Allmählich beeinträchtigt die aufblühende städtische Entwicklung
jene ländliche Gesamthaltung. Weniger zeigt sich der Einfluß des
Bürgertums zunächst im geistigen und künstlerischen Leben. Dagegen
sahen wir eine Laienkultur ästhetisch-gesellschaftlichen Charakters
sich im Rittertum entfalten. Der ästhetische Charakter der Zeit zeigt
sich ferner in jenem großartigen Aufblühen der bildenden Künste (s.
S. 87 ff.). Diesem zuletzt (S. 103 f.) auch für das geistige Leben
beobachteten kulturellen Gedeihen entspricht im politischen Leben
wenigstens teilweise noch eine Fortsetzung des staufischen Glanzes.
Aber bereits der von der feinsten Kultur seiner Zeit erfüllte Friedrich
II. wehrte der politischen Zersplitterung kaum noch: die sich aus
den großen Lehnsträgern entwickelnden Landesherren wurden vielmehr
in ihrer Machtstellung anerkannt. Mehr und mehr hatten sich die
zerstörenden Wirkungen des _Lehnswesens_ (s. S. 39) auf den Staat
gezeigt, wenn es auch andererseits durch die von ihm untrennbare
Treue, die Gegenseitigkeit, das mittelalterliche Staatswesen
zusammengehalten und dessen Macht gestärkt hat. Ausschließlich hat es
aber niemals geherrscht, nach v. Below am meisten noch gegen Ende des
12. Jahrhunderts. Der letztere empfiehlt daher auch die Vermeidung
der Bezeichnung Lehnsstaat und will insbesondere für die Zeit vom
Ende des 12. bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts den Ausdruck
_Feudalstaat_ angewandt wissen, dessen Hauptzüge die Veräußerung der
Hoheitsrechte und die Bedrohung der durch die weite Ausdehnung des
Reiches gehemmten Königsgewalt durch die örtlichen Gewalten sind. Neben
den Landesherrschaften sind die Einungen, die örtlichen Bündnisse
(s. S. 107), die selbständige Entwicklung der Städte u. a. für diese
Zeit bezeichnend. In der kaiserlosen Zeit, als eine Reichsgewalt
überhaupt fehlte, nahm das freie Spiel der Kräfte, vor allem auch die
gewalttätige Raublust, einen gefährlichen Charakter an.

Die deutsche Vorherrschaft in Europa war damit um so mehr erschüttert,
als gerade andere Staaten in dieser Zeit zu fester nationaler
Zusammenfassung gelangten, Frankreich vor allem, England und Spanien.
Auch in Italien zeigt sich ein Aufschwung des Nationalgefühls. In
Deutschland ging die Richtung auf immer größere Machtvollkommenheit
der verschiedenen _Landesherren_, die die in Frankreich so wirksame
Einziehung erledigter Lehen durch den König verhinderten und ihn
von jeder Einmischung in die Ausübung der erblich gewordenen Ämter
durch sie ausschlossen. Wie kräftig die Landesherrschaft sich
schon im 13. Jahrhundert entwickelt hatte, hat Spangenberg näher
ausgeführt. Daß etwa der Adel, der seine Ämter als erbliche Lehen
betrachtete, die Landesherren ebenso ohnmächtig machte, wie es der
Reichsgewalt von ihnen widerfahren war, hinderten diese, indem sie
hofrechtlich gebundene Ministerialen zum höfischen, militärischen und
Verwaltungsdienst gegen Besoldung durch Geld oder gegen Verleihung
nicht erblicher Lehen und sonstiger Benefizien und Einkünfte
heranzogen, überhaupt die Verfügung über erledigte Lehen immer
in ihrer Hand behielten. Im übrigen suchten sie ihren Besitz als
Machtmittel aber ständig zu vermehren und möglichst ein geschlossenes
Territorium zu schaffen. Sie erreichten (s. S. 80), daß der Adel, um
sich die Vorteile des Fürstendienstes nicht entgehen zu lassen, in
die Ministerialität eintrat. Diese wurde ihrerseits dadurch gehoben –
wir hörten schon (S. 80) von der Zusammenschmelzung der verschiedenen
Elemente zu ritterlichen Lehnsmannen. Diese Ministerialen wurden
nun als Amtleute usw. die Träger einer bald ziemlich straffen und
weitsichtigen Verwaltung des Territoriums, dessen Geschlossenheit
freilich geistliche und reichsunmittelbare Gebiete unterbrachen.
Ebenso drängten sie im fürstlichen Rat Geistlichkeit und Adel mehr
und mehr zurück: es bildete sich später ein ständiger oberster Rat
als Zentralverwaltung über der örtlichen Amtsverwaltung. Dieses
Beamtentum nahm nun schon die meisten der späteren fürstlichen
Aufgaben erfolgreich in Angriff, die Durchführung direkter Steuern,
die Ordnung von Münze, Maß und Gewicht, die Fürsorge für Wirtschaft
und Verkehr, und machte sich im Heer- und Gerichtswesen auch schon der
Kirche gegenüber geltend. Aber nach wenigen Jahrzehnten wurde alles
unterbrochen. Die Ritter suchten sich doch vom Landesherrn unabhängig
zu machen, sie bildeten selbstbewußte Körperschaften und benutzten
dieselben Mittel wie die Fürsten gegenüber dem König. Die Städte hatten
sich schon vorher immer selbständiger entwickelt, und ebenso hielt die
Geistlichkeit immer zäher an ihren alten Privilegien und Freiheiten
fest. Es war der frisch aufstrebende _ständische_ Staat, vor dem die
junge Landesherrschaft auf lange Zeit hinaus sich beugen und ihre
Machtmittel preisgeben mußte, bis später die allgemeine Zerrüttung
wieder zum Eingreifen des erstarkten Fürstentums führte.

Zunächst liegt in dem gegenseitigen Widerstreben der vielen
kleinen Gewalten – an sich ein Zeichen kräftigen Lebens in allen
Schichten und Vorbedingung für die großen Schöpfungen der Hansa u.
a. – der bezeichnende Zug politischen Lebens. Es war wieder der
alte _Individualismus_, verbunden mit oft unbändigem Egoismus, mit
Habgier und Nichtachtung der sittlichen Bande. Vergeblich waren
die gegen die Fehde- und Raublust schon im 12. Jahrhundert und
später immer wieder von der geschwächten Reichsgewalt aufgenommenen
Landfriedensbestrebungen, zumal bei der brüchigen Lehnsverfassung.
Gegen das räuberische Treiben, gegen die Fehdelust und das zum
wirklichen, formell ausgebauten Recht gewordene Fehderecht, kurz gegen
die allgemeine Unsicherheit fand man nur wieder in der Selbsthilfe ein
Mittel, freilich in einer mit dem alten genossenschaftlichen Geist
verbundenen Selbsthilfe, in der _Vereinigung_ der durch gleiches
Interesse Verbundenen. Fürsten, Städte, auch das wegen seiner
Verarmung unruhigste Element, die Ritter, schlossen sich zu Bünden
zusammen, in der Schweiz freie Bauern zur Eidgenossenschaft. Doch
liegt der Höhepunkt dieser Entwicklung im 14. Jahrhundert, als die
Fehde- und Raublust immer zunahm. Das 13. Jahrhundert sah noch nach
dem Interregnum die tatkräftige Friedensförderung durch Rudolf von
Habsburg. Im ganzen wird aber der politische Sondergeist mehr und
mehr zum Zeichen der Zeit, und das deutsche Reich als solches besteht
eigentlich mehr durch das Schwergewicht seiner Überlieferung als
durch wirkliche Machtstellung. Es ist nun nicht nur das selbständige
Gebaren aller, auch der kleinen politischen Gewalten und eigenständigen
Bildungen, sondern auch die außerordentliche Absonderung der einzelnen
Stände, die das allgemeine Auseinander, namentlich der späteren Zeit,
hervorruft. Wie die Stände, fast unabhängigen Staaten gleich, nach
besonderem Recht leben, die einen nach geistlichem (kanonischem), die
anderen nach ritterlichem Lehnsrecht, die dritten nach Stadtrecht, so
gibt sich auch die _Kultur_ gewissermaßen _ständisch_ (s. S. 74). Wir
können das später z. B. in der Literatur deutlicher verfolgen, in den
Gattungen der geistlichen, ritterlichen, bürgerlichen Dichtung. Die
Kultur dieser und der folgenden Zeit ist »Partialkultur«, wie sie J.
Burckhardt genannt hat. Ein kräftiges kulturelles Leben ist zum Teil
gerade dadurch hervorgerufen worden.

Andererseits tragen nun die Stände selbst wieder jenen stark
_internationalen_ Zug, natürlich unter Beschränkung auf das christliche
Abendland, seit jeher der geistliche Stand, aber, wie wir (S. 72)
sahen, auch das Rittertum, das Bürgertum, besonders der Kaufmann.
Internationalen Charakter trug überhaupt zum Teil die gesamte Kultur.
Zu den schon besprochenen gemeinsamen Erscheinungen waren nun die
stärkeren Berührungen mit dem Orient hinzugetreten, die zunächst bei
den Romanen, dann auch im übrigen Abendland zu einem Ausgleich zwischen
den heimischen Kräften und den neuen Anregungen führten. Höfische
Kultur, Scholastik und Gotik zeugen davon, alle mehr als nationalen
Charakters.

Ist also die Kultur damals teilweise Standeskultur, andererseits wieder
vielfach international gefärbt, so ist sie weiter zu einem guten Teil
auch insofern nicht nationale Gesamtkultur, als die _Stammesgegensätze_
noch immer ihre Rolle spielen. Der Hauptgegensatz ist jetzt weniger
der zwischen den _Sachsen_ und den Franken als der zwischen Sachsen
und »_Schwaben_«, d. h. zwischen Niederdeutschen und Oberdeutschen. Er
tritt schon hervor unter den salischen Herrschern, namentlich unter
Heinrich IV. und V., wobei auch die Thüringer zu den Sachsen hielten;
er spielt dann aber auch in den politischen Gegensatz zwischen den
(ursprünglich süddeutschen) Welfen und den schwäbischen Staufern
hinein. Gerade zur Stauferzeit wurde Schwaben das politisch und
kulturell führende Land. Die Schwaben haben im Heer das Vorstrittrecht,
sie führen die Reichssturmfahne, bei ihnen besonders blüht die höfische
Seite des ritterlichen Wesens, die gesellschaftliche Bildung und der
Minnesang. Aber die allgemein anerkannte »Werdekeit« der »stolzen«
Schwaben fand am ehesten bei den Sachsen Gegnerschaft, und wenn in
der »schwäbischen« Kultur manches Romanische steckt, so vertreten
die _Sachsen_ unzweifelhaft mehr das _altnationale_ Element, so sehr
sich in der Zeit der sächsischen Kaiser ihr kulturelles Leben gehoben
hatte. Eine wirkliche Annäherung an die oberdeutsche Kultur trat
eigentlich erst mit dem Sturze Heinrichs des Löwen ein, wodurch den
zentralen Mächten Kirche und Reich wieder größerer Einfluß gesichert
wurde. Im ganzen war aber für universalistisch-romanistische Strömungen
hier in Sachsen kein Boden. Die nationale Kraft der Niederdeutschen
zeigt sich weiter in ihrem kolonisatorischen Vordringen gegenüber
dem Slawentum, bei dem sie zugleich ihren praktisch-nüchternen Sinn
und ihren wirtschaftlichen Unternehmungsgeist, der ja auch die
niederdeutschen Kaufleute auszeichnete, bewährten. Die Sachsen waren
es ferner, die zuerst im praktischen Rechtsleben die heimische Sprache
auch für die schriftliche Abfassung eines Rechtsbuches anwandten,
des Sachsenspiegels, den um 1230 der Ritter Eicke von Repgowe auf
Veranlassung seines Herrn, des Grafen Hoyer von Falkenstein, ins
Niederdeutsche übertrug, nachdem er ihn ursprünglich lateinisch
niedergeschrieben hatte.

Aber gerade diese beiden gewaltigen Äußerungen volkstümlichen
Aufschwungs, die Germanisierung und Kolonisierung des slawisch
gewordenen Ostens und das allgemeine Durchdringen einer deutschen
Schriftsprache, sind nun doch auch wieder für das Gesamtvolk
bezeichnend, sind Beweise der _nationalen Gesamtkraft_. Über die
_Kolonisation des Ostens_, die schon im 12. Jahrhundert einsetzte und
im 14. noch andauerte, seien hier alle Einzelheiten beiseitegelassen.
Mit der im 12. Jahrhundert im ganzen abgeschlossenen Germanisierung
oder vielmehr Bajuvarisierung des Südostens hat diese Bewegung nichts
zu tun. Aber auch mit der früheren, vor allem durch den Slawenaufstand
von 983 um ihre Erfolge gebrachten, infolge der italienischen Ziele
überhaupt zurückgetretenen Slawenpolitik der sächsischen Könige hängt
sie nur sehr lose zusammen. Freilich ein Gesichtspunkt stand auch
jetzt, wenigstens angeblich, im Vordergrund, der der Christianisierung,
wie ja auch einst die Sachsen von den Franken christianisiert, d.
h. zugleich unterworfen wurden. Und wie einst die Benediktiner vom
romanisierten Westen und Süden aus in das innere Deutschland nicht bloß
als Bekehrer, sondern auch als Kolonisatoren vordrangen und von den
Herrschern gerade deshalb gefördert wurden, so erfüllten jetzt zunächst
die Prämonstratenser und dann vor allem die Cistercienser die gleiche
Aufgabe der planmäßigen Rodung und Besiedelung im waldstarrenden Osten.
Und wie damals der Landgewinn und die wirtschaftlichen Vorteile der
die Bewegung treibenden Fürsten und Herren im Vordergrund standen, so
war es auch jetzt bei den Landesherren der den Slawen benachbarten
Gebiete in fast noch höherem Grade der Fall, nur daß die Landesherren
nicht allein durch die Mönche, sondern vor allem durch eine eigene,
planvoll systematische Unternehmerpolitik die Kolonisation förderten,
wie Albrecht der Bär und Heinrich der Löwe. Selbst slawische Fürsten,
so in Schlesien, begünstigten die deutschen Siedelungen und wünschten
sie. Wirtschaftlich-politische Interessen, daneben religiös-kirchliche
Beweggründe sind also ausschlaggebend, nicht bewußt-nationale.

Ein nationales Werk war das Ganze aber dennoch: mit ihm wurden weite
Gebiete dem Deutschtum – das deutsche Reich war bis dahin nicht
allzugroß – wieder gewonnen; es waren ferner bei ihm doch weite
Kreise des Gesamtvolks freiwillig beteiligt, freilich wieder aus
wirtschaftlichen Beweggründen, um nämlich im Neuland ein besseres
Gedeihen zu finden. Vor allem suchten die Holländer ihre in der Heimat
geschulte Fähigkeit, zu entwässern und zu meliorieren, in ähnlichen
Gegenden zu verwerten und waren früh von den Cisterciensern wie
von den Fürsten gesuchte Leute. Namentlich seit der Mitte des 13.
Jahrhunderts überwog die Freiwilligkeit der Bewegung. Für Holland mag
die Bedrängung durch Überschwemmungen, für die Rheinfranken mögen
wirtschaftliche Nöte in Betracht gekommen sein, bei den meisten West-
und Mitteldeutschen aber, den Franken, den Sachsen und Thüringern, muß
die Bewegung als eine _Fortsetzung der_ alten _Ausbautätigkeit_ im
_westlichen_ Deutschland angesehen werden, des allgemeinen Rodungs-
und Siedlungseifers. Bei der zunehmenden Bevölkerung, dem Überschuß
an Kraft (der Menge der jüngeren Söhne), strebte man begierig immer
nach Neuland und fand solches nunmehr im Osten reichlich. Zugleich
erhoffte und fand man dort größere persönliche Unabhängigkeit.
Die Kreuzzüge aber hatten das Volk beweglich gemacht. Auch die
Städtegründungen, die ja erst nach der bäuerlichen Besiedelung möglich
waren und vor allem im 13. Jahrhundert sich häuften, sind eine
Fortsetzung der großen Städtegründungsperiode im Westen (s. S. 48).
Die Städte waren sichernde Burgen und Märkte zugleich. Aber neben den
Herren traten nun auch die Kaufleute als Städtegründer auf, wie sie
überhaupt in den neugegründeten Städten eine Hauptrolle spielten,
zugleich aber besonders wichtig für die Germanisierung waren. Die
schematisch-regelmäßig angelegten Städte wurden, je weiter nach Osten,
um so mehr die eigentlichen Mittelpunkte der deutschen Kultur und des
Fortschritts, da das Land noch lange nur dünn besiedelt und mit einer
großen slawischen Unterschicht besetzt war. Am meisten gilt dies vom
Ordenslande, wo der Ordensritter, ein Kreuzfahrer gegen die slawischen
Heiden, der letzte Vertreter der großen Zeiten des Rittertums, vor
allem kriegerisch und weiter landwirtschaftlich sich betätigte.
Natürlich stellte der niedere Adel, bzw. das Ministerialenelement, auch
für den übrigen Osten sein Kontingent bei der Besiedelung: der Osten
bot für jüngere Söhne oder besitzlustige Reisige die beste Gelegenheit,
Grundherr zu werden. Und zwar setzte hier im Gegensatz zum Westen
mit seinem bäuerlichen Kleinbetrieb auch wieder ein herrschaftlicher
Eigenbetrieb ein, der bei den weiten in Besitz genommenen Flächen
alsbald zum Großbetrieb wurde. Im Osten bildete sich auch später
ein besonders geartetes Herrentum aus. Zunächst kam die gewaltige
Ausbreitung jedenfalls allen Klassen des Volkes zu gut und war ein
Zeichen ihrer Kraft.

Jene zweite Erscheinung nationalen Aufschwungs, die _Mündigwerdung der
deutschen Sprache_, war zunächst eher ein Zeichen, daß die Kultur des
deutschen Volkes so weit gereift war, daß sie des Zwanges einer fremden
Kultursprache entbehren konnte, aber doch auch ein Beweis stärkeren
Nationalgeistes. Gerade die Kreuzzüge, die doch zur Ausbildung einer
gemeinsamen feineren europäischen Kultur beitrugen, hatten, wie wir
(S. 73) sahen, durch die nähere Berührung der Völker das Gefühl
für die nationalen Unterschiede geschärft. Dazu kam nun aber die
ebenfalls mit und nach den Kreuzzügen eintretende stärkere kulturelle
Durchbildung. Volkstum und höhere Kultur hatten einander jetzt so
sehr durchdrungen, daß die _Kultur_ notwendig einen _volkstümlichen_
Ausdruck gewinnen mußte. Und bezeichnenderweise gingen da wieder die
kulturell fortgeschritteneren Romanen den Deutschen voran. Das Joch
der lateinischen Schriftsprache, in dichterischen Schöpfungen unter
dem Druck natürlichen, ursprünglichen Empfindens bereits vielfach
abgestreift, wurde nun auch für _das geschäftliche und politische_
Leben abgeworfen, und auf dem Gebiet der schönen Literatur drang die
_nationale Schriftsprache_ nun völlig durch.

Das geschieht in Deutschland, trotz des frühen Beispiels jenes
niederdeutschen Rechtsbuches, für die Urkunden- wie später auch für
die Briefsprache zunächst im kultivierten Westen und Süden. Hier hatte
sich für die neuerblühende höfische Dichtung wieder nach französischem
Muster die schriftliche Aufzeichnung verbreitet, natürlich mit Hilfe
der schreibkundigen Kleriker. Den Dichtungen folgen nun schon vor der
Mitte des 13. Jahrhunderts, wenn man von vereinzelten Fällen früherer
Zeit absehen darf, in jenen Gegenden deutsche Urkunden, nachdem zuerst
einzelne Wendungen, dann ganze Sätze deutsch gewesen waren. Um 1300
hat die deutsche Urkundensprache sich hier vollständig durchgesetzt,
während es damit in Mitteldeutschland länger und in Niederdeutschland
etwa noch ein halbes Jahrhundert dauert. Die Stadtrechte zeigen seit
der Mitte des 13. Jahrhunderts das Vordringen des Deutschen, noch
mehr die Dienstrechte. Und nicht lange nach dem frühen Beispiel des
Sachsenspiegels folgt (1235) die Veröffentlichung eines lateinisch
geschriebenen Reichsgesetzes, des Mainzer Landfriedens, zugleich
in deutscher Übersetzung, während das oberdeutsche Gegenstück
zum Sachsenspiegel, der deutsche Schwabenspiegel, erst 1275
abgefaßt wird. Der Hauptgrund der Anwendung des Deutschen war ein
praktisch-wirtschaftlicher, wie auch bei der Kolonisation nicht der
nationale Gedanke im Vordergrund steht. Man will in seinen Geschäften
und rechtlichen Verhältnissen nicht mehr abhängig sein von einer
Sprache, die man nicht vollkommen versteht.

Solche Ansprüche durchzusetzen, konnte dem Bauern nicht und noch kaum
dem Bürger gelingen: sie wurden vielmehr gegenüber dem lateinischen
Monopol der Geistlichen vor allem von derjenigen Schicht durchgesetzt,
die damals führte, dem ritterlichen, dem _niederen Adel_. Seine
soziale und kulturelle Geltung, sein kriegerisches und herrenmäßiges
Selbstbewußtsein ließen eben nicht mehr die lateinische Bildung für die
Geschäfte der Welt als unerläßlich erscheinen. Seine Privaturkunden,
sein Dienstrecht wollte er so haben, daß er sie verstand, gerade wie er
nicht lateinische, sondern deutsche Dichtungen pflegte und schätzte.
Daß die Schreiber und Abfasser Geistliche waren, tut nichts zur Sache.

So steckt denn in der aristokratischen Kultur der Zeit jener schon
betonte volkstümliche Zug. Umgekehrt zeigt aber der ausschlaggebende
Einfluß, den der Adel auch bei der Durchsetzung der Volkssprache übte,
wie sehr die Führung in dieser ganzen Zeit noch bei ihm war. Die
großen Herren andererseits, die Landesherren, sahen wir als leitende
und bestimmende Faktoren in jener großen Kolonisationsbewegung wirken,
wenigstens zu Anfang. Und so wird wieder der oben (S. 91) betonte
aristokratische Charakter dieses ersten selbständigeren kulturellen
Aufschwungs der Deutschen bestätigt. Aber wir sahen auch schon, wie
stark sich die niederen Volksschichten bemerkbar machten: es sollte
bald die Zeit kommen, wo sie dem Adel die Führung abnahmen.


Fußnoten:

    [8] Vgl. _Berger_, Die Kulturaufgaben der Reformation ² S. 264.

    [9] Vgl. _Steinhausen_, Gesch. d. d. Kultur I², S. 189 ff.

    [10] Ebenda I², S. 296 ff.



Viertes Kapitel.

Ausbildung einer allgemeineren Laienkultur volkstümlichen Charakters:
Bürgerlich-demokratisches Zeitalter.


Wir treten jetzt in eine Zeit, die nicht allein eine starke
Durchdringung von Volkstum und Kultur zeigt, sondern in der das
eigentlich charakteristische Moment das _Überwiegen volkstümlicher
Elemente_ ist. Die anfangs nur schwer als Unterströmung erkennbare
Volkstümlichkeit hatte sich zunächst in der aristokratischen
Laienkultur des Rittertums trotz aller romanisch-konventionellen
Züge zu immerhin greifbarer Erscheinungsform durchgerungen. Auch die
bäuerliche Schicht, der große Born der nationalen Kraft, das Element
zäher Beharrung in Leben, Fühlen und Denken, trat um diese Zeit stärker
und eindrucksvoller hervor. Aber die geistige Abgesondertheit und
kulturelle Rückständigkeit des Bauerntums ließ dieses, trotzdem es am
besten alles Volkstümlich-Natürliche bewahrte, bei dem nun folgenden
Aufschwung auch der niederen Volksschichten doch nicht oder, besser,
bei dem Fortschritt der Zeiten nicht mehr zur bestimmenden Macht für
das Gesamtleben der Nation werden. Das wurde vielmehr die Bevölkerung
der Städte, und als nachmals das Bauerntum, nicht nur wegen vermehrter,
namentlich öffentlicher Lasten und sozialer Nöte, sondern auch aus
einem gewissen geistig-persönlichen Drange nach größerer Geltung heraus
sich selbst gewaltsam durchzusetzen suchte, da war es zu spät.

Hingegen hatte das _Bürgertum_ die Vorteile seiner größeren geistigen
Beweglichkeit, des weiteren Gesichtskreises, fortgeschrittener
wirtschaftlicher Betätigung und einer zum erstenmal dauernd in die
Erscheinung tretenden engeren Vereinigung von Massen. Die allmählich
immer zunehmende höhere, recht eigentlich städtische Kultivierung
fiel bei dem starken Zusammenhang von Land und Stadt nicht so ins
Gewicht, daß der Städter etwa die Gemeinsamkeit volkstümlichen Denkens
gegenüber dem Landvolke zu verlieren begann; am wenigsten konnte dies
bei den niederen städtischen Schichten der Fall sein. Dazu kam der
Einfluß eines damals sehr wichtigen Volksteils, der sich aus Land und
Stadt, auch aus den Klöstern ergänzte, eine Zeitlang in den Städten
hauste, aber dann wieder auf den Landstraßen innigen Zusammenhang mit
der Natur fand, des Elements der fahrenden Leute. Es waren die Sänger
und Spielleute, Gaukler und Fechter, die, von den Burgen verbannt, von
der Kirche verfolgt, ihr Publikum nun im eigentlichen Volk hatten;
dazu kamen herumziehende Geistliche und Scholaren, mit denen sich
Bettler und schlimmes Volk, auch niedere Reisende sonst mischten. Diese
Fahrenden verbanden Stadt und Land, sie bildeten den besten Nährboden
für alte volkstümliche Neigungen, sie waren die Hauptträger des
Volksliedes.

Immerhin ist doch vor allem die Stadt der eigentliche Untergrund
für die nun sichtbare stärkere Geltung volkstümlichen Geistes. Seit
längerer Zeit war jene _Aufwärtsbewegung der unteren Schichten_
eingetreten, die sich in einer Hebung der bäuerlichen Klassen,
in dem Aufkommen eines unabhängigen Bürgertums, aber auch in der
Zusammensetzung des Rittertums äußerte. Aber wie der Ritter alsbald
zu einer abgeschlossen-aristokratischen Kultur gelangt ist, so
beobachteten wir auch sonst zunächst ein allgemeines Übergewicht des
aristokratischen Geistes, auch in den Städten (S. 102). In ihnen
setzt nun gerade der Umschwung am deutlichsten ein, d. h. eigentlich
die Fortsetzung jener Aufwärtsbewegung, an der nun immer niedrigere
Schichten teilnahmen. Noch war eben das ganze Volk selbstbewußt und
stark, noch die alte Unbändigkeit nicht ertötet; der allgemeine
Drang nach Besitzmehrung und Geltung äußerte sich auch in den
niedrigen Kreisen, und zwar vor allem in der _Stadt_, wo das Volk
sich schon durch seine größere Masse wie durch seine wirtschaftliche
Bedeutung fühlte. Zunächst trat nicht das eigentlich niedere Volk
hervor, sondern diejenige Schicht des Bürgertums, die nach wie
vor seinen Kern ausmachte, die der _Handwerker_. Sie hatten das
vortreffliche Machtmittel ihrer wirtschaftlich-genossenschaftlichen
Organisationen, die zugleich zur Grundlage der politisch-wehrhaften
Organisation der Bürgerschaft geworden waren und durch ihre Bedeutung
bereits Verbote des Kaisers (Friedrich II.) wie der Landesherren
heraufbeschworen hatten, der Zünfte. Jene in den Städten herrschende
Geschlechteraristokratie war nicht nur durch ihre Lebenshaltung
und durch ein protzenhaftes Zur-Schau-tragen des Reichtums
den unteren Klassen anstößig, sondern auch durch mannigfache
Gewalttaten und ein die Handwerker bedrückendes, sie mit Steuern und
Kriegsdiensten belastendes egoistisches Regiment geradezu verhaßt
geworden. So kam es im 13. und besonders im 14. Jahrhundert zu
oft blutig-leidenschaftlichen Bewegungen der Handwerker gegen die
Geschlechter. Sie endeten nur zum Teil mit einer Demokratisierung der
städtischen Verfassung, und selbst wo ein erheblicher Anteil der Zünfte
am Stadtregiment durchgesetzt wurde, ergab sich im Laufe der Zeit doch
wieder eine Herrschaft weniger, so daß immer von neuem eine grollende
Opposition einsetzte, die dann freilich oft nur von den niedersten
Schichten getragen wurde.

Aber über diese inneren Gegensätze in den Städten hinaus – ein solcher
bestand z. B. auch zwischen den Gilden der Kaufleute und den Zünften,
und vielleicht muß man eine gewisse Handelsfeindlichkeit der Zünfte
mehr als bisher betonen – macht sich der mehr _demokratische_ oder
wenigstens bürgerliche Geist der Zeit in dem wachsenden _Gegensatz_
zwischen den _Städten_ überhaupt und den _Fürsten_ sowohl wie
dem _Adel_ immer deutlicher fühlbar. Derjenige zu den _Fürsten_
ist mehr politischer Natur und hängt mit der erneuten Ausbildung
der landesherrlichen Macht zusammen. Wir sahen (S. 106), wie dem
tatkräftigen Aufstieg der Landesherrschaft im 13. Jahrhundert gegen
Ende desselben durch die Unabhängigkeitsgelüste der Stände eine Zeit
der Beschränkung fürstlicher Macht, der Abhängigkeit von den Ständen
folgte. Durch die fortgesetzte Schmälerung der Einkünfte, durch
Verweigerung der Steuern und anderer Abgaben brachen insbesondere
arge Geldnöte und Verschuldung über die Fürsten herein. Durch die
Selbstherrlichkeit der Städte, der geistlichen Herrschaften und der
durch ihre Bünde sich geltend machenden kleinen ritterlichen Herren
wurde die begonnene einheitliche Verwaltungstätigkeit zerstört und
diese auf den unmittelbaren Besitz der Fürsten beschränkt. Um das
landesherrliche Gericht kümmerte man sich nur, wenn man es brauchte.
Der Heerespflicht entzogen sich die Ritter immer häufiger, und immer
mehr war der Fürst auf Söldner angewiesen. Auf wirtschaftlichem Gebiet
spielten die Hauptrolle die Städte, die sich auch völlig selbständig
wie kleine Staaten verwalteten, ihre eigene Gerichtsbarkeit hatten,
das Münzrecht übten, in ihrer jetzt ausgebildeten geschlossenen
Stadtwirtschaft egoistische Zollpolitik trieben, aber auch eigene
Fortschritte in der Verwaltung (s. S. 118) machten. Aber eben die schon
geschilderten Folgen der großen Zahl der selbständigen Kräfte, die
Wirren und die Unsicherheit, die sich aus ihrem freien Spiel und ihrer
Zersplitterung ergaben, das Verlangen nach einer ordnenden Obrigkeit
erleichterten den Landesherren bei dem Versagen der Reichsgewalt
den neuen Aufschwung ihrer Macht. Er setzt im 15. Jahrhundert ein,
auf Kosten des Adels, der geistlichen Herren wie der Städte. Die
auf verschiedene Weise entstehenden ständischen Verfassungen setzen
doch auch wieder die feste Zusammenfassung der Stände unter einer
Landesherrschaft voraus. Den inneren Halt der Herrschaft sicherten
jener schon früher organisierte Beamtenstaat und zum Teil (s. S. 148)
das neueindringende römische Recht. Die notwendige Grundlage des
Ganzen, insbesondere die einer militärischen Machtentfaltung, war eine
finanzielle Kräftigung, auf die man eifrig bedacht war (Landessteuer).
In der Verwaltung lernte man jetzt viel von den Städten und ihrer
geldwirtschaftlichen Organisation: doch gelang die Durchführung
solcher Aufgaben für wichtige Gebiete meist erst im 16. Jahrhundert,
zumal gegenüber der wirtschaftlichen Macht der Städte. Jetzt, im 15.
Jahrhundert, sollten zunächst die sich mächtig entwickelnden Städte
als politisch mehr oder weniger unabhängige Faktoren beseitigt, ihre
Kräfte und Mittel den Fürsten dienstbar gemacht werden. Im späteren 15.
Jahrhundert setzten diese Kämpfe erst eigentlich ein, wurden auch bald,
wenngleich völlig erst viel später, zugunsten der Fürsten entschieden.

Eine geradezu haßerfüllte Stimmung entwickelte sich aber, besonders
wieder im 15. Jahrhundert, zwischen dem Bürger und dem niederen _Adel_.
Auf jenen wirkte der immer hochmütigere und peinlichere Abschluß
gerade des verfallenden Rittertums verbitternd. Andererseits ergab die
zunehmende Verarmung des Adels, der überdies bei dem späteren Aufkommen
des Fußvolks, auch einem demokratischen Zug, seine militärische
Bedeutung und zugleich den lohnenden Söldnerdienst einbüßte, einen
zornigen Haß gegen die immer reicheren städtischen »Pfeffersäcke«, die
ihrerseits nach Art der Emporkömmlinge es zum Teil dem Adel gleichzutun
suchten. Diese Verarmung ließ den Adel den Bauerndruck erneuern,
dem geistlichen Gut nachstellen, den Nachbarn befehden, ließ ihn in
tiefe Verschuldung bei den Juden geraten und im Fürstendienst in Hof
und Verwaltung oder für die jüngeren Söhne in den Domkapiteln ein
Unterkommen suchen; sie trieb ihn aber auch, sich an dem Kaufmann in
Fortsetzung der hergebrachten Räubereien durch Wegelagerei schadlos
zu halten, sich an dem vermeintlich zu Unrecht erworbenen Reichtum
des Bürgers mit Gewalt seinen Anteil zu sichern und den Pfeffersack
zugleich für seine Anmaßung zu züchtigen. Mancher mußte aber üble
Rache der Städter erdulden. Wenn sich überhaupt das bürgerliche
Selbstbewußtsein gegenüber dem Adel kräftig äußerte, so bewahrte dieser
dennoch seinen gesellschaftlichen Vorrang, und manch reicher Bürger
strebte schon damals nach dem Adel, während der Ritter seinerseits
reiche bürgerliche Heiraten nicht verschmähte. Im kolonialen Osten
bestand andererseits damals noch nur ein sehr geringer Gegensatz
zwischen dem verbauerten oder handeltreibenden Junker und dem Städter.

Mit dem _Bürgertum_ war eine neue große Schicht des Volkes mündig und
für die Gesamtheit mit von bestimmendem Einfluß geworden. Vieles,
was eine höhere und freiere Kultur modernen Geistes bedingte,
entwickelte sich mit dem Eintritt des Bürgertums in die Geschichte.
Zunächst darf man freilich dessen _kulturelle Bedeutung nicht
überschätzen_. Ausgangspunkt und Grundlage der Entwicklung sind rein
wirtschaftlich. Der Kern der Sache ist, daß das Bürgertum der Träger
der wiederauflebenden _Geldwirtschaft_ wurde, die einst in Mittel-
und Westeuropa mit der Germanenherrschaft zusammengebrochen war und
nun infolge der Berührungen mit dem Orient und der entsprechenden
Ausbreitung des Handelsgeistes zunächst in Italien, dann in Frankreich
sich wieder einbürgerte und schließlich auch den deutschen Westen, zum
Teil schon vor dem 12. Jahrhundert, beeinflußte. Mit dem städtischen
Wesen, mit der Rolle des Handels vor allem mußte diese Wirtschaftsform
von selbst kommen und die versagende Naturalwirtschaft überwinden.
Während aber in Frankreich und England, wohl in Anknüpfung an die
kirchliche Verwaltung und andere, noch nicht genügend geklärte
Einflüsse, vor allem aber auf die städtische Entwicklung gestützt, die
Zentralgewalt mit und seit den Kreuzzügen eine geldwirtschaftliche
Verwaltung einzurichten begann, waren es in Deutschland die
Landesherren, deren zunächst im 13. Jahrhundert aufblühende Verwaltung
(s. S. 106) sich der Geldwirtschaft anpaßte. Steuern, Zölle und
sonstige Einnahmen brachten Geld, und die Ausgaben für den höfischen
Prunk wie für das neue Beamtentum und das aufkommende Söldnerheer
waren wieder größtenteils in Geld zu leisten. Vor allem entwickelten
aber dann – der deutsche Orden ist übrigens auch hervorgetreten –
eben die Städte die neue Wirtschaftsform, stärker schon im 13., ganz
freilich erst im 15. Jahrhundert. Diese Geldwirtschaft führte eine
höhere materielle Kultur herbei, eine gesteigerte Lebenshaltung, mit
der die adlige und z. T. selbst die fürstliche nicht wetteifern konnte,
eine größere Genußsucht, eine Neigung zum Luxus und damit wieder
eine Förderung der künstlerischen Lebensverschönerung, eine Blüte
bestimmter, auf diesem Boden gedeihender Künste. Man kam ferner, wie
gesagt, zu einer praktisch organisierten Verwaltung, zur Ausbildung der
indirekten Steuern, zu einer in alle Einzelheiten eingreifenden inneren
Polizeigesetzgebung, zur Ausbildung des Verantwortlichkeitsgefühls.
Weiter ergaben sich eine größere Beweglichkeit und geistige Regsamkeit
– von der Fürsorge für die Schulen werden wir noch (S. 143 f.) hören –,
eine individuellere Lebensauffassung, wie sich überhaupt mit den
praktischen, realen, wirtschaftlichen Interessen und der Erweiterung
des Gesichtskreises wie schon mit dem Berechnen eine stärkere Übung des
Verstandes, ebenso aber eine größere Abneigung gegen die asketische
Weltanschauung und gegen kirchliche Bevormundung verband – kurz man
gelangte zu den _Elementen einer wirklichen Laienkultur_.

Aber alles das entwickelte sich doch nicht sogleich und nicht überall,
und man darf andere Züge nicht übersehen. So eifrig man sich den neuen,
rasch hervortretenden Erfordernissen des wirklichen Lebens zuwandte:
großzügig war der _Geist dieses Bürgertums_ durchaus nicht, eher
_engherzig-egoistisch_. Es liegt das daran, daß den Kern des Bürgertums
schon durch ihre Zahl die _Handwerker_ ausmachten. Zum Teil, vor allem
in Süddeutschland, blieb überhaupt das Gewerbe ein wichtigerer Faktor
als der Handel. Was die Handwerker selbst erzeugten, durften die
Kaufleute nicht einführen. Andererseits hatte der Handel die Aufgabe,
für die Rohstoffe zu sorgen, die eben das Handwerk brauchte. Der
bürgerliche Geist deckt sich zum Teil mit dem Geist der Zunft. Diese
hat die Handwerker wirtschaftlich, persönlich und sittlich gehoben,
aber je länger je mehr auch einen kleinlichen, dem Wettbewerb und der
freien Betätigung des begabten Individuums, schließlich überhaupt
dem Fortschritt feindlichen Charakter gezeigt. Die Zunft bedeutete
für das gewerbliche Leben etwas Ähnliches wie die Markgenossenschaft
für das landwirtschaftliche. Zu dieser, Sicherung und Berechtigung
gewährenden Zunftform strebten auch die neu entstehenden Gewerbe mit
allen Mitteln hin. Mit genossenschaftlichem Zwang sorgte die Zunft wie
die Markgenossenschaft für gleichmäßige Erzeugungsbedingungen und so
für das Wohl aller; mehr noch als jene förderte sie die Wertschätzung
und die Güte der persönlichen Arbeit, die als gewerbliche ja technisch
schwieriger war als die bäuerliche, und erzog den einzelnen durch
bestimmten Lehrgang für seinen Beruf. Auch das Selbstgefühl ihrer
Glieder stärkte sich eben durch den Stolz auf das durch Überlieferung
und Aufsicht gesicherte Können, auf die »Kunst«, zugleich freilich
durch die Teilnahme an der Stadtverwaltung und Stadtverteidigung.
Höchst wertvoll in der noch immer leidenschaftlichen und ungebundenen
Zeit war wie der Zwang an sich, so besonders die streng formalistische
und zeremonielle Art des Zusammenlebens und der Verhandlungen, die
einerseits eines poetischen Zuges nicht entbehrte, andererseits aber,
wie ja schon die ästhetisch-gesellschaftlichen Regeln des Rittertums,
die unentbehrliche »Zucht« dem einzelnen einprägen sollte. Und weiter
hat dieser Handwerkergeist durch seine scharfen Ansprüche an die
äußere »Ehrbarkeit«, an ehrliche, deutsche Herkunft, freie Geburt
und sittliche Unbescholtenheit, durch die Anerkennung allein des
Erwerbs mittelst tüchtiger Arbeit die Grundlage zu den bürgerlichen
Anschauungen über Ehre und Rechtlichkeit gelegt, die natürlich
zum Teil durch die kirchliche Ethik beeinflußt waren. Freieren
Anschauungen war dieser Geist eigentlich unzugänglich, und, wie die
Zunft, die in mittleren Zeiten zunächst zur Blüte des Gewerbes, ebenso
wie die Markgenossenschaft zu der der Landwirtschaft beitrug, bei
fortschreitender Entwicklung fast so wie jene durch die Ausschaltung
der freien Beweglichkeit Rückständigkeit und Erstarrung herbeiführte,
so erhielten auch die sittlichen Anschauungen bald etwas Starres.
Freilich war bei der zunehmenden Unsittlichkeit und Genußsucht das
Dringen der Handwerker auf Ehrbarkeit ein gewisses Gegengewicht gegen
die allgemeine Laxheit und beeinflußte auch die Stadtverwaltungen.

Auf sittlich-kirchlichen Anschauungen beruhte z. T. auch die
Gegnerschaft der Handwerker gegen den entwickelten Handel, vor allem
gegen den spekulativen, nicht gegen den Handel überhaupt. Denn sie
selbst verkauften ja auch, und keineswegs waren sie den Krämern
feindlich. Wie sie grundsätzlich bei allen Zunftgenossen gleichen
Wohlstand, aber bei keinem Reichtum erzielen wollten, so war ihnen der
rasche Gewinn des Kaufmanns ein Dorn im Auge. Aber dieser vor allem
auch von der Kirche (s. S. 134) und besonders vom Adel mißachtete
_Kaufmann_ war nun doch ein sehr _wichtiges Element_ des städtischen
Lebens, spielte durch seinen Reichtum oft die führende Rolle und
bildete das Patriziat. Der Handel, einerseits der nunmehr (s. S.
101) vor allem an die Verbindung mit Italien geknüpfte oberdeutsche,
andererseits der hansische, war es ja doch, der den eigentlichen Glanz
der führenden Städte, Nürnbergs, Augsburgs, Ulms, Frankfurts, Kölns,
Lübecks u. a., begründete. Er bestimmte auch vielfach ihre Politik,
und namentlich seit Ausgang des Mittelalters führte der Aufschwung
des Handels auch ein mächtiges Zuströmen der Bürger zum Beruf des
Kaufmanns herbei. Aber wenn nun bei dieser Klasse des Bürgertums
zweifellos ein kühner Unternehmungsgeist, ein weiter Blick in die
Ferne, dessen ja auch der Handwerker infolge seines Wanderns als
Geselle nicht ganz entbehrte, und eine große Tatkraft hervortreten,
das Bürgerlich-Engherzige fehlt auch ihr nicht. Die städtische
Handelspolitik, von den Interessen der Handwerker bestimmt, war nach
einem verkehrsfreundlichen Zeitalter seit längerem (s. S. 100) meist
eine von monopolistischem Geist getragene Sonderpolitik zugunsten der
Eingesessenen geworden. Jede Stadt schloß sich wirtschaftlich ab,
der fremde Kaufmann wurde im Handel beschränkt und zum Vorteil der
Bürger ausgenutzt (Stapelrecht), die Zufahrtstraßen allein wurden
gebessert usw. Nur einzelne weitsichtige Städte wie Nürnberg sicherten
durch Begünstigung der fremden den heimischen Kaufleuten gleiche
Vorteile draußen. Ebenso wurde das umliegende Land zugunsten der Stadt
wirtschaftlich beschränkt und ausgenutzt.

Aber noch in anderer Beziehung entbehrt die bürgerliche Kultur lange
freierer und glänzenderer Züge. Der geschäftliche, wirtschaftliche
Hauptzug bringt auch eine große _Nüchternheit_ mit sich, die namentlich
das 14. Jahrhundert charakterisiert und erst im 15. Jahrhundert
einer zwar groben, aber doch weitherzigeren Lebensfreude weicht. Mit
dem Niedergang des aristokratischen Geistes war auch der Schwung
des Lebens zunächst dahin: er kam ebenso wie die Poesie später am
meisten noch aus dem niederen Volk. Nicht nur die Lebensauffassung,
die von praktisch-berechnendem Sinne, von der Regel und Ordnung des
Arbeits- und Geschäftslebens beeinflußt wurde, sondern überhaupt
das geistige Leben atmete jene Nüchternheit und ward dadurch ärmer.
Das Gefühl spielt in den bürgerlichen Schichten keine große Rolle,
wenigstens ist es nicht sichtbar. Daß es in manchen Kreisen damals
sogar überschwenglich lebendig war, zeigen die Briefe der geistlichen
Mystiker, die aber in ihrer feineren Form und Ausdrucksweise mehr wie
ein Nachklang der höfischen Zeit wirken. Die kahlen und nüchternen
Briefe des Bürgertums, die ja meist erst aus späterer Zeit stammen,
beweisen an sich noch keinen Mangel an Gefühl, weil sie in der
Hauptsache Geschäftsbriefe sind und die Bildung zu gering war, als
daß man sich im schriftlichen Ausdruck frei hätte geben können. Aber
nüchtern-geschäftsmäßig ist auch die Geschichtsschreibung, nüchtern
namentlich auch die Dichtung, die ja in der Form die Überlieferungen
der geistlichen, der höfischen und der Spielmannsdichtung weiter führt,
aber ohne wirkliches Formgefühl, ohne Phantasie und Schwung, vielmehr
bürgerlich gerichtet und gestaltet ist. Bezeichnend ist die besondere
Pflege der Lehrdichtung, der gegenüber die aufkommende Derbheit
immerhin weniger langweilig ist.

Nüchternheit atmet weiter die Namengebung, die anstatt des früheren
stark poetischen Namenreichtums (S. 37) eine große Dürftigkeit
zeigt. Die alten deutschen Namen waren infolge des in die Masse
gedrungenen kirchlichen Geistes vor den Heiligennamen, die, einst
schon zurückgedrängt, im 13. Jahrhundert wieder aufkamen, gegen Ende
des 14. Jahrhunderts bedeutend zurückgetreten. Es zeigt sich ferner,
zum Teil infolge des Aufkommens von Beinamen, eine außerordentliche
Einförmigkeit der Namen; man beschränkt sich immer mehr auf einzelne
alte deutsche Namen (Heinrich, Konrad), vor allem aber auf den frommen
Namen Johannes (Hans).

Auch die Kunst, vor allem die wichtige Baukunst, spiegelt den
nüchternen Zeitgeist wider. Wie in der Dichtung werden die Formen der
vorhergehenden Periode in äußerlicher Weise schülerhaft fortgepflanzt,
wie dort fehlen Glanz, Phantasie und Schwung. Die starke Bautätigkeit
entspricht mehr dem praktischen Bedürfnis der bürgerlichen Masse:
es entstehen die einfachen Hallenkirchen. Freilich prägt sich das
bürgerliche Selbstbewußtsein gleichzeitig in den oft unverhältnismäßig
hohen Türmen aus. Andererseits tritt mehr und mehr ein handwerksmäßiger
Charakter hervor; man suchte in technischen Einzelheiten seine
kleine Meisterschaft zu zeigen. Das 15. Jahrhundert erhebt sich dann
bedeutend über das vorhergehende. Das beste wird indes im Norden und
Osten geleistet, in den herben, aber eigenartig entwickelten mächtigen
Backsteinbauten der Kirchen, doch auch in den oft schmuckreicheren
weltlichen Bauten gleicher Technik.

Weiter bedeutet nun die bürgerlich-städtische Kultur gegenüber der
ersten, wesentlich auf die aristokratische Schicht beschränkten
Entwicklung einer Laienkultur zunächst eine starke _Vergröberung_.
Die feine ästhetische Gestaltung des Lebens schwand ebenso dahin
wie die höhere gesellschaftliche Bildung. Dem ungebundenen
Sichgehenlassen gegenüber hielt zwar auch die bürgerliche Kultur an
den errungenen Vorschriften einer sittigenden gesellschaftlichen Lehre
in verbürgerlichter Form fest: es wird gerade jetzt, wie wir schon
für die Genossenschaften sahen, der Zwang konventioneller Formen
für das ganze Leben dieser noch halbbarbarischen Gesellschaft als
unerläßlich empfunden. Aber jene Ungebundenheit wurde doch wieder das
Charakteristische, die Derbheit siegte über die Feinheit, das rohe
Schwelgen in materiellen Genüssen über die Mäßigkeit, das Plebejische
über das Aristokratische. Gesellschaftlich steht das neue Zeitalter
also im Zeichen der Rückständigkeit, je mehr vor allem die niederen
Volksschichten sich bemerkbar machen. Charakteristisch sind die üblen
Tischsitten, das gierige Schlampampen wie das unsaubere Umgehen mit
Speisen und Speiseresten, von den Trinksitten ganz abgesehen. Die
höfischen Anstandslehren werden jetzt – auch ein Zeichen der materiell
gewordenen Zeit – vor allem in »Tischzuchten« fortgesetzt. Wie der
plebejische Ton auch auf die aristokratischen Kreise schließlich
übergriff, zeigen später die Hofordnungen des noch unflätigeren
16. Jahrhunderts mit ihren Verboten des Knochenwerfens und des
Begießens mit Bier. Das alte Hauptstück der Geselligkeit, der Tanz,
verlor wieder den höfischen Charakter und nahm in den Städten noch
vergröberte bäurische Formen an. Die Tanzlieder wie das Gebaren beim
Tanz wurden dabei vielfach sehr bedenklich, und die neuen Tänze aus
der Fremde, die man in den Städten übernahm, verschärften noch diesen
Zug. Charakteristisch ist weiter das Zurücktreten der Frau aus der
Geselligkeit und das Schwinden ihres sittigenden Einflusses. Schon
gegen Ausgang der Minnezeit trat dieser Rückschlag ein. Aber die Stadt
mit ihrer zahlreicheren weiblichen Bevölkerung, die sogar überwog, mit
den schlechten Elementen darunter und der größeren Freiheit sinnlichen
Genusses verstärkte diese Strömung und bannte die ehrbare Frau wieder
ins Haus: nicht die Dame, sondern die tüchtige deutsche Hausfrau wurde
das bürgerliche Ideal der Frau.

Alles das hängt mit dem auf das _Materielle_ gerichteten Sinn der
Zeit zusammen, und dieser Zug wird gerade durch die bürgerliche
Kultur sehr gefördert. Materiell war ja doch diese Kultur in erster
Linie, nicht in dem Sinne, daß der Genuß die Hauptsache war – im
Gegenteil, wir lernten schon die Arbeit als den beherrschenden Faktor
des städtischen Lebens, im Gegensatz zum ritterlichen Weltfreuden- und
mönchischen Jenseitsideal, kennen. Aber im Vordergrund des Sinnens und
Trachtens stand – und zwar nicht nur in der kaufmännischen Schicht –
der Gelderwerb. Das allgemeine Ziel ist der Wohlstand, ein mäßiger
nach den Anschauungen der Handwerker, ein möglichst großer nach
denen der Kaufleute, aber damit doch wieder eben der Lebensgenuß,
der entsprechend der Massengeselligkeit und der geringen Entwicklung
feineren Innenlebens von selbst gemeine Formen annahm. Und auch über
die höheren Fragen des Lebens entschied immer der materiell-praktische
Gesichtspunkt, die Kirchlichkeit wurde bei der Mehrheit äußerlicher als
je, der materielle Gedanke von Leistung und Gegenleistung war zum Teil
ausschlaggebend.

Das arbeitsame, erwerbslustige, grober Lebensfreude zugetane
deutsche Bürgertum war in seinen noch _einfachen Verhältnissen_
mit dem romanischen Bürgertum, vor allem mit dem italienischen
der Renaissancezeit, nicht zu vergleichen. Schon das eigentlich
Städtische, das ja erst neben dem Höfischen eine höhere Ausgestaltung
der Kultur verbürgte, hatte sich, wie wir (S. 98) sahen, in den
stark bäuerlich gefärbten Sitzen des deutschen Bürgertums noch gar
nicht völlig durchgesetzt, von den vielen kleinen Landstädten ganz
abgesehen. Freilich machten sich eine immer stärkere Gleichartigkeit
der städtischen Interessen und noch mehr der Lebensbedingungen sowie
eine immer zunehmende Vielseitigkeit der Berufe geltend, und gerade
im Nichtbäuerlichen lag die Anziehungskraft der Städte. Eine rein
städtische Kultur war dagegen in Frankreich und Italien erblüht,
gewiß noch in Anknüpfung an längst unterbrochene Überlieferungen. In
Italien hatte sich weiter jene hochstehende geistige, künstlerische
und Lebenskultur entfaltet, der gegenüber die deutschen Bürger wie die
Deutschen überhaupt doch noch immer als barbarische Leute erscheinen
mußten, trotz ihrer wirtschaftlichen und materiellen Errungenschaften.
Wenn wir dann aus dem 15. Jahrhundert zahlreiche, teilweise begeisterte
Schilderungen deutscher Städte besonders auch durch Italiener besitzen,
so liegt ihnen gewiß das Erstaunen zugrunde, das diese über die
unerwartete Höhe der äußeren Kultur in dem mißachteten Deutschland
empfunden hatten. Überdies stammen die Urteile meist erst aus der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als der _steigende Wohlstand_ den
Städten vielfach ein glänzenderes Aussehen gegeben hatte als früher.
Denn im ganzen boten die mittelalterlichen Städte so wenig ein Bild
luxuriöser Pracht wie etwa die Burgen, und auch das Dasein selbst
trug trotz jener doch ziemlich groben Üppigkeit noch den Stempel der
Einfachheit. Die öffentlichen Gebäude und die Häuser der Reichen
zwar, die seit dem 14. Jahrhundert häufig den Hof des Stadtherrn sich
zum Vorbild genommen hatten, gewannen schon im 15. Jahrhundert eine
reichere Gestalt, namentlich aber dann unter italienischen Einflüssen
im 16., bis die Sucht nach künstlerischer Verzierung der Steinbauten
wie der niedersächsischen Holzbauten fast übertrieben wurde. Die Häuser
der weniger Bemittelten standen natürlich weit zurück. – Auch im
Innern der Häuser und im Hausrat zeigte sich erst im 15. Jahrhundert
eine reichere Entwicklung. Einmal war das Bürgerhaus immer zugleich
Arbeitshaus und diente dem Gewerbe oder dem Handel, andererseits wich
das Enge, Unbequeme, technisch Unentwickelte nur langsam. Das zeigen
die kleinen und niedrigen Räume, der schlechte Fensterverschluß, die
mangelhafte Heizung und Beleuchtung. Im 15. Jahrhundert entwickelten
sich bei den Reichen Prunkräume mit Glasfenstern, kunstvoll
gearbeiteten Öfen, schön geschnitzter Wandtäfelung (an Stelle jenes,
den höfischen Wohnstätten nachgemachten Behängens mit Wandteppichen),
mit wundervoll gearbeiteten, aber schweren Kunstmöbeln (Truhen, von
den Schränken später verdrängt, Tischen und Bänken). Manches davon
ging auch mehr und mehr auf die eigentlichen Wohnräume über; ferner
gab es in den Schlafzimmern große Betten mit schön geschnitztem Dach
und prächtigen Decken. Seit dem ausgehenden Mittelalter fand man auch
vielfach Wanduhren im Bürgerhause.

Unterschiede zwischen dem Patriziat und dem mittleren und kleinen
Bürger muß man auch bezüglich der Nahrungsweise machen, und selbst
bei jenem beginnt der größere Luxus erst wieder gegen Ende des 15.
Jahrhunderts. Stärker als auf dem Lande, überhaupt sehr bedeutend
war in der Stadt freilich der Fleischverbrauch. Bei der Fleischkost
war wie schon früher der Verbrauch von scharfen Gewürzen zur Brühe
außerordentlich, auch in romanischen Ländern. Diese mittelalterliche
Weise hat der konservative Engländer zum Teil noch heute bewahrt, ein
Zeichen eines wenig entwickelten Geschmacks. Im ganzen entbehrte
die städtische Küche trotz der überladenen Üppigkeit festlicher
Genossenschafts- und privater Mahle noch lange größerer Feinheit.
Eine bedeutende Rolle spielten die Gewürze sodann bei der von
Klöstern und Höfen übernommenen feineren Bäckerei, und bald bildeten
sich in einzelnen Städten Besonderheiten von Pfeffer-(Gewürz)kuchen
unter verschiedenen Namen aus, wie überhaupt das bessere Gebäck die
mannigfaltigsten örtlichen Formen annahm. Im übrigen war natürlich
die Brotnahrung die wichtigste und allgemeinste. Fleischer und Bäcker
waren bei dem großen Verbrauch die stärksten Gewerbe, sie erfreuten
sich auch seitens der fürsorglichen städtischen Obrigkeit besonderer
Beaufsichtigung sowohl hinsichtlich der Güte der Erzeugnisse wie der
Preise und des Gewichts.

Mit der stark gewürzten Nahrung steigerte sich zum Teil der
Getränkeverbrauch, wie andererseits die Gewürze die Vielesserei
erleichterten. Das Bier spielte eine Hauptrolle in den norddeutschen
Städten, in denen sich neben der Haus- und der Reihumbrauerei vielfach
ein leistungsfähiges Braugewerbe, damit eine bessere Bierbereitung und
ein lebhafter Bierhandel – denn von den vielen Sondersorten hatten
einzelne bald einen großen Ruf erlangt – entwickelten. Das norddeutsche
Bier wurde zum Teil schon in den Süden, wo sonst der Wein vorherrschte,
eingeführt. Doch braute man z. B. in Nürnberg auch selbst. Umgekehrt
war der Weinhandel nach Norden viel stärker, namentlich der
Rheinweinhandel. Denn der im Norden und Osten selbst gebaute Wein
(vgl. S. 44) wird doch nicht allzu sehr geschätzt gewesen sein, trotz
der Ausfuhr z. B. von Gubener Wein. Auf dem Lande trank man im Süden
neben Obstwein gewöhnlichen Landwein, und zwar als Most oder als jungen
Wein. Auch die süddeutschen Städte versorgte der Handel (namentlich
von Ulm aus) mit den begehrten guten Sorten, dem Rhein-, Frankenwein
usw., aber auch schon mit südlichen Weinen. Weinpantscherei war dabei
sehr häufig. Landwein suchte man durch aromatische Kräuter und Würzung
oder Zuckerung zu verbessern. So gab es in Deutschland genug des
Trinkbaren. Bei Beratungen, bei Kaufhandlungen (Weinkauf), bei den
Zusammenkünften der vielen Genossenschaften, bei den großen städtischen
Mahlen, bei den Familienfesten liebte man einen guten Trunk. Die
einzelnen gesellschaftlichen Kreise hatten auch ihre Trinkstuben, die
Patrizier wie die Zünfte; für das niedere Volk gab es die Schenken und
Tavernen, deren Zahl immer zunahm. Und die Trinkfreude stieg mit dem
ausgehenden Mittelalter immer mehr, vor allem im Biergebiet, in Sachsen
(Niederdeutschland), wie die Vielesserei, die _Genußsucht_ überhaupt.
Voll und toll zu werden, war geradezu ein Ziel, das man namentlich mit
dem »Zutrinken« zu erreichen suchte. Es war das Sichaustoben eines
überkräftigen Volkes, das seinen alten Ruf des Barbarentums freilich
dadurch bei den mäßigeren und gesellschaftlich kultivierteren Romanen
aufs neue kräftigte.

Dieselbe Zügellosigkeit zeigte sich in geschlechtlicher Beziehung.
Und wenn neben der Trunksucht auch z. T. die Sittenlosigkeit damals
eine Schwäche des Gesamtvolks gewesen ist und schon damals von
Obrigkeit und Kirche bekämpft zu werden begann, so tritt dieser Zug
doch besonders bei der städtischen Bevölkerung hervor, schon weil die
Quellen für deren Zustände reichlicher fließen, dann aber auch, weil
sich die Gelegenheit und die Mittel zu solchem Treiben in den Städten
leichter fanden, übrigens auch für den umwohnenden Adel, und sich
aus dem Zusammenleben einer stärkeren Bevölkerung leichter ergaben.
Ja, es scheint, als ob das erstmalige Zusammenfassen größerer Massen
in Städten ein jugendliches Volk von selbst in dieser Beziehung sich
voller ausleben läßt. In sittlicher Hinsicht ist dann das leichtere
Zusammenströmen schlimmer Elemente, die in den Dörfern und Burgen
meist keinen dauernden Aufenthalt haben konnten, in den Städten von
Einfluß. Man war übrigens nicht nur den Junggesellen gegenüber, wie
hergebracht, duldsam, sondern auch gegenüber den Ehemännern. Die
verheirateten Frauen andererseits hatten besonders die Nachstellungen
der Geistlichen zu fürchten. Die sinnlichen Neigungen der Zeit –
früh hatte auch die eifernde Sucht der Kirche, das Natürliche, das
Nackte anstößig zu machen, gerade die Lüsternheit verbreitet – wurden
in den damaligen Städten besonders durch die Badstuben und die nur
in den Städten mögliche, notgedrungene Organisation der Unzucht,
durch die Frauenhäuser, gefördert. Bäder waren dem Mittelalter seit
je unerläßlich, zumal man das bloße Waschen vernachlässigte. Die
Furcht vor dem Aussatz förderte überdies das heiße Baden, das man
als Gegenmittel ansah. Die für den Massenverkehr in den Städten
eingerichteten Badstuben wurden nun bald Stätten der Geselligkeit,
wo man auch aß und trank, Feste feierte und dergleichen. Es ergab
sich dann gelegentlich Schlimmeres, wenn auch das auf Bildern häufig
dargestellte Zusammenbaden der Geschlechter kaum allgemein üblich
gewesen ist. Im ganzen ging gegen Ende des Mittelalters das Badewesen
stark zurück, zum Teil wegen der damals auftretenden Syphilis, mit der
man sich im Bade anzustecken fürchtete. Diese um 1495 mit furchtbarer
Gewalt auftretende »Franzosen«-Seuche, die diesem (nach Paracelsus)
der »Luxuria« und der »Venus« ergebenen, materiellen Geschlecht wie
eine strafende Rächerin ihrer Sünden erscheinen mußte, trug vor allem
aber zum Rückgang jener Frauenhäuser bei, deren Insassinnen in den
Städten fast als wohlberechtigte Gewerbetreibende galten und deren
Besuch ganz offen stattfand und niemand schändete. Feindlich waren
diesem Treiben zum Teil die Ehrbarkeit pflegenden Handwerker, die sich
überhaupt über die Sittenlosigkeit der höheren Kreise wie des Pöbels
entrüsten mochten. Sie mochten auch das Hauptpublikum der geistlichen
Sittenprediger bilden, die heftig gegen die sündhafte Zeit eiferten
und dabei auch der großen Sünder aus der verweltlichten Geistlichkeit
keineswegs schonten.

_Gröbliche Übertreibung_ – sie ist vielfach das Zeichen _dieser
materiellen Kultur_ der Städte. Wie es beim Trinken und Essen
noch ganz wie beim Bauern vor allem auf die Menge ankam, wie man
sich bei amtlichen, genossenschaftlichen und Familienfestmahlen
in üblem Wetteifer nicht genug tun konnte in der Zahl der Gänge
und der Gäste, wie die Schwelgefreude immer neuen Anlaß zu Festen
suchte, so entfaltete man den abstoßenden Luxus des Zuviel auch
beim äußeren Menschen, in der Kleidung. Vergeblich suchten allen
diesen Erscheinungen die Luxusordnungen der Städte und Landesherren
zu steuern; gegen den Kleideraufwand richteten sich um 1500 auch
Reichsordnungen, vor allem, um bei dem ständigen Nachobenstreben
der einzelnen Klassen die ständischen Unterschiede in der Tracht
aufrecht zu erhalten. Aber gerade der reiche Bürger, der Hauptträger
der materiellen Richtung der Zeit, ließ sich in seinem protzenhaften
groben Aufwand, den weniger reiche dann auch nachmachten, nicht stören.
Recht großer Besitz an Gewändern, recht überladene Kleidung, recht
teure Stoffe und Schmucksachen und recht auffallende Tracht – das war
die Losung der Zeit, die auch einen unglaublich raschen, sich ständig
in Extremen oder geradezu in Narrheiten bewegenden Wechsel der Mode
herbeiführte, wesentlich freilich unter französischen und burgundischen
Einflüssen. Einfachheit war jedenfalls verpönt, »altfränkisch«. Es
zeigten sich die abstoßenden Schattenseiten einer emporkömmlinghaften
Geldkultur, vor allem auch bei den Männern, die sich zum Teil weibisch
trugen, andererseits aber auch noch naive Züge, wie jene Vorliebe für
grelle Farben und das Durcheinander verschiedener Farben (S. 51).

Die grob-materielle Lebenskultur des Bürgertums hat Fürsten, Adel und
Geistlichkeit und auch zum Teil die Bauern vielfach zur Nachahmung
angeregt, soweit es nach den Mitteln überhaupt möglich war. Auf der
anderen Seite lag die derbe Lebenslust damals überhaupt in der Luft.
Wie scharfe Stimmen erhoben sich schon im 13. Jahrhundert gegen die
Sittenlosigkeit und den Luxus der Geistlichkeit, wie schnell entartete
nach dieser Richtung die höfische Kultur, wie sehr wird schon früh dem
Bauern Üppigkeit und Unehrbarkeit vorgeworfen! Also die Stadt förderte
nur diese allgemeine Strömung, allerdings in bedeutendem Maße.

An dieser übersprudelnden Weltfreude wollte nun auch das niedere
städtische Volk seinen Anteil haben, und so beschränkt die Mittel
waren, so laut und gröblich brachte es sich zur Geltung. Dieses
_niedere Volk_ wird nun aber überhaupt in den Städten ein _wichtiger
Faktor_. Zusammen mit den mittleren Schichten brachte es den
_Massengeist_ zu einer bis dahin unbekannten Bedeutung. Auch die
nichtstädtische Masse ist damals, wie schon angedeutet, lebhafter
in die Erscheinung getreten. Aber die Städte bleiben doch die Orte,
wo diese Masse geschlossener auftritt, wo sie Führer findet, nicht
zum wenigsten unter den niederen geistlichen Elementen, wo sie sich
stärker zum Ausdruck bringen kann, wo die Bedeutung der Stadt als
solcher auch ihr Selbstgefühl verleiht, wo aber auch durch die ständige
Berührung mit den reicheren Kreisen begehrliche und angriffslustige
Stimmungen genährt werden. Andererseits hofften in den Städten gerade
die verschiedenartigen niederen Schichten, zum Teil noch bäuerlichen
Charakters, selbst die Fahrenden, vor allem immer darauf, schnell
heraufzukommen, ihr Glück zu machen. Die Geldentlohnung endlich
machte auch die kleinen Leute selbständiger, selbstbewußter und
fähiger, an ihrem Teil an der allgemeinen Genußfreude teilzunehmen.
So verstärkte sich denn jener _demokratische_ Geist, der schon die
Zunftkämpfe hervorgerufen hatte, mehr und mehr. Etwas Demokratisches
liegt von vornherein in dem städtischen _Zusammenwohnen_ einer
aneinander gepferchten größeren Masse, ebenso wie in dem Ritterleben
auf Burgen etwas dem Treiben der Menge Abholdes. Ob dem Ritter
immer die aristokratische Vereinzelung behagte, ob er überhaupt das
Aristokratische darin empfand, ist eine andere Frage.

Wie wichtig die _Masse_, insbesondere die städtische, nun im
ausgehenden Mittelalter wurde, das zeigt sich auf den verschiedensten
Gebieten. Zunächst auf dem für das Mittelalter bedeutsamsten,
auf _religiös-kirchlichem_ Gebiet und zwar nicht sowohl im Sinne
einer stärkeren Abwendung von der Kirche infolge Geltendmachung
der weltlichen Ansprüche der niederen Laien als in Richtung einer
volkstümlicheren Haltung der Kirche selbst und eines mächtig
gesteigerten religiösen Volksbedürfnisses. Jene früher (S. 79)
beobachtete Opposition gegen die Kirche war insbesondere durch die
Spielleute auch in niederen Volksschichten genährt worden. Aber auch
ein geistliches Element förderte dieselbe, das der »Vaganten«, der
durch die Lande fahrenden Scholaren, die namentlich von Frankreich
her kamen, in einem höchst weltfreudigen Leben ihr Ideal fanden,
immer zu scharfem Spott über ihre heilige Kirche und den habgierigen
höheren Klerus geneigt waren und daher von der offiziellen Kirche
scharf verfolgt und schließlich beseitigt wurden. Diese anfangs feiner
gerichteten und auf ihre lateinische Bildung sehr stolzen Vaganten
waren gegen Ende des 13. Jahrhunderts, kurz vor ihrem Verschwinden,
bereits in einen gemeinen und rohen Ton verfallen und haschten jetzt
nach dem Beifall der von ihnen oft durch Hokuspokus genasführten
niedersten Schichten in Stadt und Land, haben auf diese Schichten aber
sicherlich auch manche ihrer Anschauungen übertragen. Ganz zweifellos
haben sodann die großen internationalen, vor allem romanischen
Ketzerbewegungen des 12. und 13. Jahrhunderts, die in immer neuen
Formen und Verbrüderungen sich auch später fortsetzten und in einem
volkstümlich-religiös-sittlichen Massendrang aus dem verdorbenen und
verweltlichten Katholizismus hinausstrebten, tief in das niedere Volk
übergegriffen. Deutschland war besonders im Süden und Westen von dieser
Bewegung erfaßt, und vor allem im Landvolk fand sie viele Anhänger,
sicherlich aus einem überquellenden religiösen Bedürfnis heraus, aber
vielleicht auch infolge einer immer noch im Verborgenen vorhandenen
Abneigung gegen die Kirche, die Überwinderin des alten heidnischen
Volksglaubens. Wenn Bertold von Regensburg dem Landvolk gegenüber von
den »frumen steten« spricht, so meint er damit den damals kirchlicheren
Geist der Städte.

Aber diese _Kirchlichkeit_ war wieder wesentlich eine _äußerliche_.
Das Mitmachen der kirchlichen Gebräuche war etwas ganz
Selbstverständliches, um so mehr, als die offizielle Kirche alles
tat, den weltfreudigen Neigungen wie den praktischen Interessen der
Städter möglichst gerecht zu werden. Der Klerus selbst verweltlichte
dabei immer mehr: hatte er erst der ritterlichen Kultur sich teilweise
angeschlossen, so schwamm er jetzt lustig in dem materiellen
städtischen Leben. Im übrigen paßte sich die Kirche nunmehr ganz der
größeren Volksmenge und ihrer Art an, immer in dem Bestreben, im
Mittelpunkte des ganzen Lebens zu stehen. Es begann einerseits die
gegen 1500 ihren Höhepunkt erreichende Zeit eines immer ausgedehnteren,
vor allem von Laien getragenen Kirchenbaues, so daß die Zahl der
Kirchen in den Städten auf lange Zeit hinaus genügte, andererseits
wurden die Kirchen weiträumiger und trugen dem Massenbesuch Rechnung.
Zu ihrem Bau wie zu ihrer prunkvollen Ausstattung steuerte mit
gewaltigem Schenkungseifer das ganze Bürgertum, nicht nur das reiche,
bei. Diese Kirchen wurden der Treffpunkt der Bürger, hier ging man
ungezwungen aus und ein, schwatzte, lachte, schrie, hielt Waren feil;
hier trugen die Frauen ihren Putz zur Schau. Auf den Kirchhöfen setzte
sich das Treiben fort, an die Kirchen klebte man Verkaufsbuden usw.
Am großartigsten trat dieser volkstümliche Charakter der Kirche bei
den großen Festen, den Prozessionen usw., hervor, deren Gepränge und
Pomp wie ein Schauspiel für das ganze Volk wirkten und die auch als
Feste des Volkes angesehen wurden. Umgekehrt waren die weltlichen Feste
immer auch etwas kirchlich gefärbt, wurden z. B. von feierlichen Messen
eingeleitet. Die vielen Bruderschaften und Genossenschaften waren
regelmäßig mit der Kirche verbunden, hatten zum Teil ihre besonderen
Altäre und waren immer um das Seelenheil eines verstorbenen Genossen
durch Stiftung von Messen usw. besorgt. Auf die Zünfte wie auf die
Gesellenverbände hatten meist bestimmte Geistliche Einfluß. Die enge
Verbindung der Kirche mit allen Ständen ergab sich im übrigen von
selbst aus den Beziehungen der zahlreichen Kleriker, Mönche und Nonnen
zu ihren alten Angehörigen, die sie auch zu Schenkungen und Stiftungen
für die Kirche fortgesetzt anzuregen wußten.

Aber was nun insbesondere die _niedere_ Masse betrifft, so hat
der städtische _Massengeist_ auch die _geistliche_ Macht zum
Teil durchsetzt und entsprechende Bildungen und Erscheinungen
hervorgerufen. Zunächst hing ja schon die niedere Geistlichkeit eng
mit dem eigentlichen Volk zusammen, lebte in dessen Interessen- und
Anschauungskreis und war auf dem Lande völlig verbauert, in der Stadt
ebenfalls mit den kleinen Leuten verbunden, teilte oder schürte oft
den Haß gegen die Reichen, kümmerte sich aber um ihre seelsorgerischen
Pflichten wenig. Ganz auf dem Boden des armen und geplagten Volkes,
zunächst der romanischen Städte, standen dann die gerade um _sein_
kirchliches Heil besorgten _Bettelorden_ des 13. Jahrhunderts, die
weder Grundbesitz noch Einkünfte haben, vielmehr von frommen Almosen
leben sollten, und die aus ihrer Mitte hervorgehenden volkstümlichen
Prediger. Die Bettelorden waren eine neue Erscheinung der ewig
fruchtbaren romanischen Askese, den neuen Zeitverhältnissen angepaßt
und gegen die aufkommende Kapitalmacht gerichtet. Sie waren bald über
die Christenheit verbreitet, zumal sie, klug von der Kurie benutzt,
nicht unter den Bischöfen standen, sondern überall predigen und für
Papst und Kirche gegen die Ketzer kämpfen sollten. Gerade durch
ihre liebevolle Sorge für die Armen gruben sie in den Städten der
Ketzerbewegung den Boden ab, so daß bald der Kampf gegen die Ketzer
zurück- und der Kampf gegen die materielle Genußsucht, gegen die Sünden
der Reichen, gegen den »Wucher« der Kaufleute, aber auch gegen die
sittlichen Mißstände überhaupt in den Vordergrund trat. Diese Mönche
sind denn auch in Deutschland rasch volkstümlich geworden, besonders
die Franziskaner gegenüber den feineren, zugleich auf gelehrte Bildung
gerichteten Dominikanern, so der gewaltige Bertold von Regensburg mit
seiner von den Bettelorden überhaupt gezeigten Abneigung gegen die
damals herrschende aristokratisch-höfische Kultur. Im 14. Jahrhundert
hat durch diese Prediger dann gerade der strengere kirchliche, aber
auch der wirklich religiöse Geist im Volke stark zugenommen. Doch
setzten bereits damals starke Verfallserscheinungen ein. Mehr und
mehr machten sich jene Prediger abhängig von der Stimmung der Masse,
verweltlichten schließlich ebenso wie die offizielle Kirche und
verdarben selbst die früh bemerkbare religiöse Bewegung gegen die
überströmende Weltfreude und materielle Genußsucht.

Diese Gegenbewegung hatte zunächst stark überspannte oder mystische
Formen angenommen. Im niederen Volke lebten seit langem aufgeregte
religiöse Stimmungen. Hatten schon die frühere große asketische und
die Kreuzzugsbewegung das Volk in weiten Schichten ergriffen, so
gingen im 13. und 14. Jahrhundert wahre Schauer in der Form gewaltiger
Bußepidemien durch die Massen. Es scheint so, als ob erst jetzt die
fremde Religion mit ihrem teilweise sinnverwirrenden kirchlichen
Apparat das Volk allgemeiner innerlich ergriffen und zunächst wie in
einem jugendlichen Körper krankhafte Erschütterungen hervorgerufen
habe. Eine Zeit _grob-primitiver Religiosität_ brach herein, religiösen
Rausches. Die Kreuzzugsbewegung hatte bereits zu Verirrungen wie den
Kinderkreuzzügen geführt, jetzt setzten, wieder von den romanischen
Ländern her, die Bußfahrten der fanatischen Geißler ein. Die Kirche
trat dabei ganz zurück, das niedere Volk der Laien hatte sich seine
eigenen, über alles Maß gehenden Religionsübungen geschaffen, und so
berührt sich die Bewegung mit der Ketzerbewegung, wurde auch von der
Kirche verfolgt wie diese. Die verzweifelte Stimmung förderten allerlei
Naturereignisse, ferner die Unsicherheit der Zeit, der Mongoleneinfall,
der Kampf zwischen Kaiser und Papst – charakteristisch sind die
Prophezeiungen über das Kommen des Antichrist –, zuletzt die gewaltige
Pest von 1349, der schwarze Tod. Dessen Schrecken hatten die Geißler
zu ihren Bußfahrten besonders veranlaßt, die Gefahr wurde aber gerade
dadurch gesteigert. Gleichzeitig setzten gewaltige Judenverfolgungen
ein – die Juden sollten die Urheber der Pest sein –, gewiß wieder
zum Teil als religiöse Ausschreitungen aufzufassen. Völlig krankhaft
waren dann die das niedere Volk ansteckenden Tänze religiös verzückter
Massen, die Erscheinungen der sogenannten Tanzwut. Hand in Hand mit
diesen religiösen Aufregungen, diesem groben Enthusiasmus, ging
andererseits ein Wiederaufleben barbarischer Wundersucht und damit des
alten volkstümlichen Zauber- und Aberglaubens, dem wiederum die Kirche
trotz ihres eigenen Teufelsglaubens scharf entgegentrat. Freilich hat
sie nicht wie in den romanischen Ländern auch die Ketzer systematisch
als Zauberer verfolgt.

Jene religiösen Massenepidemien dauern zum Teil noch im 15. Jahrhundert
fort, aber auch dann bleibt das Land der Hauptboden für sie. In der
Stadt nimmt dieser religiöse Massengeist weniger überspannte Formen
an. Daneben besteht aber in manchen Kreisen der niederen städtischen
Schicht, freilich keineswegs in ihnen allein, eine stillere,
_gefühlsmäßige Religiosität_ in Opposition gegen die materielle
Genußsucht, den praktisch-realen Sinn und die äußerliche Weltlichkeit
wie gegen die ebenfalls nur äußerliche Kirchlichkeit der Volksmehrheit.
Diese schroff entgegengesetzten Strömungen der Innerlichkeit und der
Genußfreude charakterisieren den Geist des ausgehenden Mittelalters.
Die Anfänge der stillen Religiosität hatten wieder einen feineren, zum
Teil sogar aristokratischen Charakter gehabt. Es sind die _Mystiker_
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, zum Teil wieder Bettelmönche,
die, dem verstandesmäßig-formalen Treiben der Scholastik abgewandt,
zugleich in entsagendem Gegensatz gegen die neuauflebende Weltlust,
sich in ein innerliches Leben, einen schwärmerischen inneren Verkehr
mit Gott versenkten. Eben wegen dieser Innerlichkeit kann man die
Mystik als die erste wahrhaft volkstümliche Erfassung des Christentums
durch die Deutschen ansehen. Ihr Gemüt zu offenbaren, trieb es die
Mystiker zum Gebrauch der Muttersprache. Sie handhabten sie in einer
Formvollendung, die noch an der Dichtung der höfischen Zeit geschult
war. An die höfische Zeit erinnert auch die starke Beteiligung der
Frauen, freilich von Klosterfrauen, deren jetzige Rolle jedoch
allein in dem reichen weiblichen Gefühlsleben begründet war. Über
die bloße Empfindsamkeit und Verzücktheit hinaus kamen die ersten
und größten Mystiker zu wirklicher Tiefe der Gedanken und zeigten
aristokratischen Schwung des Geistes. Ein zukunftsreiches Moment liegt
in der besonderen Berücksichtigung der Laien seitens der Mystiker und
in der Begeisterung der Laien für die neuen Männer. Ein gewaltiger
Volksprediger war vor allem Johannes Tauler. Einerseits wurde nun diese
mystische Strömung allmählich vergröbert, andererseits verquickte
sie sich mit jenen volkstümlichen Zielen der Bettelorden, mit jener
breiten kirchlich-sozialen Bewegung, die sich mit den Nöten der Masse
beschäftigte. Charakteristisch bleibt aber für diese natürlich vor
allem im Klöstern vertretenen mystischen Geister die starke Gefühls-
und Stimmungsrichtung, die dann auch die Religiosität kleinerer und
größerer Volkskreise beeinflußte und z. B. für das Verständnis der
Kunst des ausgehenden Mittelalters höchst wichtig ist. Aber auch ohne
diesen mystischen Zug sind nun frommer Überschwang und inbrünstiges
religiöses Verlangen, gerichtet auf die Nachahmung Christi und der
Heiligen, gerade in der Masse lebendig geworden und ergreifen zum Teil
auch die höheren Schichten.

Andererseits nimmt diese Massenreligiosität stärker jenen
_halbheidnisch-volkstümlichen_ Charakter an. Recht viel gute Werke,
recht viel Gebete, recht viel Heiltum (Reliquien) in den Kirchen
– es ist dieselbe _plebejische Wertschätzung des Massenhaften_,
die wir schon in der materiellen Lebenshaltung des städtischen
Durchschnitts beobachteten; es ist zugleich die alte, nun noch
geförderte _nüchtern-geschäftliche_ Auffassung (s. S. 120 f.). Auch
die Bettelorden wurden, wie (S. 131) erwähnt, immer weniger die Führer
einer eigentlich religiösen Strömung. Die Predigt war nun oft auf den
äußeren Eindruck berechnet, sie warb vielfach nur um den Beifall der
Masse. Viele Bettelmönche kümmerten sich um das Seelenheil nur in der
sonst üblichen äußerlichen Weise. Sie hoben auch nicht mehr das Volk
innerlich, sondern huldigten ganz seiner groben, vielfach noch mit
den Resten der heidnischen Volksreligion verbundenen Denkweise. Dabei
wurden sie von der herrschenden Genußsucht und Sittenlosigkeit in
starkem Maße angesteckt, machten sich auch durch ihr nichtstuerisches
Leben und ihre zudringliche Bettelei verhaßt und verfielen so zu einem
guten Teil dem Spott und der Verachtung. An Bettelmönchen, die es mit
ihrer Aufgabe ernst nahmen, fehlte es freilich auch jetzt nicht. Als
soziale Kritiker, in ihrer Parteinahme für jene _sozialen Nöte der
Masse_, blieben die Orden eben ein wirksames Element.

Daß sich die Kirche der Armen annahm, war ja im Grunde durchaus nicht
neu. Diesen alten Zug hatte die große asketische Bewegung mit ihrer
Verachtung des irdischen Besitzes und der irdischen Macht, mit dem
Preise der Armut nur gefördert. Das Ideal der mittelalterlichen Kirche
blieb aber überhaupt immer der mäßige Besitz: sie verwarf den gierigen
Erwerb auf Kosten anderer und betonte die Pflicht des Reichen, den
Ärmeren in großem Umfang abzugeben. Und daß dieses Ideal immerhin auch
tief in die Volksmasse drang, zeigen z. B. die oben (S. 119) erwähnten
Anschauungen der Zünfte, zeigt aber auch die allgemeine Mißachtung,
die nicht etwa nur den Juden wegen ihres »Wuchers«, sondern auch dem
eigentlichen Kaufmann von Adel, Klerus, Handwerkern, niederem Volk
entgegengebracht ward. Gegen das sogleich mit gewaltigen Erfolgen
auftretende Kapital und seinen aristokratischen Übermut regte sich
schon im 13. Jahrhundert ein gewaltiger Haß. So geldwirtschaftlich die
Kirche selbst vielfach gerichtet war, so blieb das Zinsverbot doch
ihr großer Grundsatz. Schließlich wurde die ganze neue Geldwirtschaft
theoretisch zum »Wucher« gestempelt, insbesondere auch der Handel,
der auf spekulativen Gewinn ausging. Zahlreich sind die mehr oder
weniger autoritativen geistlichen Stimmen, die in jener Zeit den
_Handel_, soweit er nicht der notwendigen Lebensfürsorge (wie derjenige
der ihre Erzeugnisse verkaufenden Bauern und Handwerker) diente,
_verwarfen_ und die Kaufleute, denen wohl auch viel vorgeworfen werden
konnte, allgemein als Sünder hinstellten. Später, als vor allem die
oberdeutschen Kaufleute neben dem Warenhandel auch das Geldgeschäft
pflegten, nahmen solche schon zurückgetretenen Stimmungen wieder zu.
Das wegen der unendlichen Zersplitterung des Münzwesens durchaus
notwendige Wechselgeschäft, der Geldhandel, aber auch das sich aus dem
Geldvorrat von selbst ergebende Ausleihen von Geld gegen Zinsen war
früher den Juden, die ja nicht an die kirchlichen Anschauungen gebunden
waren, und den Italienern (den sogenannten Lombarden) überlassen.
Jetzt waren jene durch die blutigen Verfolgungen zurückgeworfen
und diese als lästige Wettbewerber vielfach verdrängt worden. Den
deutschen Kaufleuten erleichterte die Übernahme des gewinnbringenden
Geldgeschäfts zudem der Silberhandel, der sich aus dem damals besonders
aufblühenden Bergbau und ihrem Anteil daran ergab. Der Übergang zum
Geldhandel, überhaupt zu einem rein spekulativen Handel vollzieht sich
stärker erst mit Beginn des 16. Jahrhunderts und hat schließlich zum
Verderben des hochstehenden deutschen Handels mit beigetragen. Der
ausgesprochene Kapitalismus _dieser_ Zeit erregte auch, jetzt wegen der
sozialen Folgen, die öffentliche Meinung stärker als je, insbesondere
die zunehmende und sich auch auf notwendige Lebensmittel richtende
Monopolisierungssucht. Wir haben die härtesten Äußerungen über die
»Schinder des Volks«, die »Christenjuden«, über den Raub und Wucher
der Kaufleute von Geiler von Kaisersberg, Sebastian Brant, Hans Sachs,
Erasmus, Luther. Auch Beschlüsse der Städte, der Land- und Reichstage
wandten sich gegen die Aufkäufer und Preissteigerer. Gerade die Armen
mußten nun bei Teuerungen am meisten leiden, und hier und da sind auch
gegen Ende des 15. Jahrhunderts Aufstände dadurch hervorgerufen worden.

Aber bei diesen Bewegungen spielte überhaupt der _Gegensatz zwischen
Reich und Arm_ eine immer größere Rolle. Schon im 13. Jahrhundert war
dieser Gegensatz über das bloße Mitleid mit den Armen hinaus von den
Bettelmönchen, so in ziemlich heftiger Form von Bertold von Regensburg,
betont und gesteigert worden. Ende des 14. Jahrhunderts finden wir bei
Dichtern und in Chroniken bezeichnende Stellen. Mehr und mehr trat
dann eine wieder in den Lehren des Urchristentums begründete Teilnahme
an der Lage des ärmeren Landvolks, dessen Arbeit nun gepriesen ward,
hervor. Der _Bauer_ wurde jetzt trotz des wirtschaftlichen Niedergangs
des Adels weniger von diesem als von den klösterlichen Grundherren
bedrückt, vor allem aber vom Staat immer stärker belastet, überdies
vom Städter mißachtet. Dazu kam der Groll über die rücksichtslose
wirtschaftliche Herrschaft der Stadt über das Land, den der Bauer
mit dem Adel teilte. Sodann zündete die hussitische Bewegung mit
ihren gleichmacherischen Ideen auch in Deutschland. Weiter dauerte
die Hetzerei der niederen Geistlichkeit an. Bei dem großen Prediger
Geiler von Kaisersberg finden sich stark agitatorische Äußerungen. Am
ehesten mochten solche Stimmungen, soweit sie gegen die Reichen an sich
gingen, Ableitung in jenen Judenverfolgungen finden, die freilich in
erster Linie auf die Auswucherung der in weiten Kreisen verschuldeten
Bevölkerung zurückgingen. Aber auch der reiche Besitz der Kirche
wurde immer schärfer aufs Korn genommen, je mehr der höhere Klerus
verweltlichte, die Pfründenjägerei um sich griff und die Habgier der
Kirche das Volk aussaugte. Auch hier spielte wie zum Teil bei den
Judenverfolgungen die Hetzarbeit der niederen Geistlichkeit und der
Volksprediger eine Rolle. Eine besonders haßerfüllte Stimmung gegen
die nichtstuerischen und schlemmenden »Pfaffen« herrschte auf dem
Lande, wo schon der Zehnte sehr widerwillig gegeben wurde, wo man aber
erst recht jene grundherrlichen Lasten für Klöster und Stifter als
bitteren Druck empfand. Ohne Zweifel kamen die alten kirchenfeindlichen
Strömungen hinzu. Wie die Ketzerbewegungen früherer Zeit (s. S. 129)
fand gerade beim Landvolk auch die hussitische Bewegung Anhänger. Sie
stellte zugleich einen furchterregenden Ausbruch der gegen die Reichen
und Mächtigen und auf Erhebung der Armen und Niedrigen gerichteten
Strebungen der Masse dar. Gerade sie wandte sich aber auch gegen
das Kirchengut. Und so erklärt es sich, daß bei den bäuerlichen
aufrührerischen Bewegungen, die schon im 15. Jahrhundert lange vor dem
großen Bauernkrieg begannen, sich der Haß besonders auch gegen die
Pfaffen richtete. Daß im übrigen auf der Pfaffen Gut sich auch die
lüsternen Blicke des niederen Adels richteten, daß der Kirche reicher
Besitz auch den höheren Klassen in den Städten ein Dorn im Auge war,
gehört nicht in diesen Zusammenhang, hat aber bei der Reformation
später eine Rolle gespielt. Von dieser hat dann auch jene wesentlich
unter den Bauern um sich greifende religiös-soziale Strömung, bei der
im 15. Jahrhundert theokratisch-kommunistische Ziele immer stärker
hervortraten und bei der die auf Befreiung von Druck und Lasten
gerichteten Ideen unter religiösen Schlagworten wie »die Gerechtigkeit
Gottes« und »christliche Freiheit« sich eindrucksvoller verbreiteten,
das Heil erwartet, freilich vergeblich, wie der große Bauernkrieg,
dessen Grundursachen im übrigen auf anderen Gebieten liegen, zeigte.

Auch bei gewissen _städtischen Bewegungen_ um 1500 haben – von den
Judenhetzen abgesehen – der Haß gegen die Reichen und die Begierde
nach ihrem Gut eine Rolle gespielt, aber es scheinen hier doch
mehr die freilich auch kapitalfeindlichen, alten zünftlerischen
Anschauungen, hinter denen zum Teil geistliche Scharfmacher standen,
von Bedeutung gewesen zu sein. Besonders mochten die Geistlichen die
ärmeren Handwerker beeinflussen, die sich namentlich dort von den
eigenen, reicheren Zunftgenossen beschwert fühlten, wo diese Anteil
am Stadtregiment hatten. Sie litten zum Teil unter der Engherzigkeit
der Zunft ähnlich wie die Gesellen, denen bei der zunehmenden
Übersetzung des Handwerks und dem stärkeren Gewinnstreben der einzelnen
das Meisterwerden außerordentlich erschwert wurde. Die überall das
Mittelalter beherrschende genossenschaftliche Form führte namentlich
gegen Ende des Mittelalters zu Gesellenverbänden, die zielbewußt,
nach Art der Zünfte organisiert, die älteren Bruderschaften zur
gegenseitigen Unterstützung, zur Fürsorge für das Seelenheil usw.
verdrängten und auch zur Anerkennung seitens des Rates und der Meister
gelangten. Die oft gar nicht so schlecht gestellten Gesellen zeigten
ein starkes Selbstbewußtsein, waren wehrhafte Leute und veranstalteten
gern öffentliche Umzüge und Feste, die von ihrer angesehenen
Stellung innerhalb der Bürgerschaft zeugen. Sicherlich haben sie
bei Zusammenrottungen auch ihr Kontingent gestellt; dazu kamen dann
aber vor allem die Tagelöhner, allerlei niedrige Arbeiter und der
eigentliche städtische Pöbel als wirkliche Arme.

So hat denn die materielle Kultur der Zeit ihr recht bedenkliches
Gegenbild. Aber wie diese Kultur selbst durch massengeistartige,
unfeine, naive Momente zum Teil bestimmt wurde, so _hat_ auch die
niedrige _Masse_ in der Hauptsache doch die _genußsüchtigen Ideale
geteilt_, wenngleich meist nur sehnsüchtig nach ihnen aufgeblickt.
In ihr herrschten doch nicht nur Unzufriedenheit, mystisch-religiöse
Eigenbrödelei, Neigung zu lärmender Gewalttätigkeit, sondern auch
Lebenslust und Genußfreude, rohester Form freilich. Auch dem niederen
Volk boten ja die großen kirchlichen und weltlichen Feste reichlich
Gelegenheit zur Teilnahme. Es waren immer wirkliche Volksfeste. Die
Geselligkeit ist in erster Linie _Massengeselligkeit_. Ein allgemeiner
Festtaumel ergriff die Menschen besonders zur Fastnachtszeit. Hier
kam auch nicht nur die Freude am Schlemmen, sondern auch die alte
naive, volkstümliche Laune zum Ausdruck, und uralter Mummenschanz,
der auch von Weihnachten bis Epiphanias allgemein üblich war,
verstärkte die lustige Ungebundenheit. Als derbkomische Unterhaltung
des ganzen Volkes hatten sich ferner zum Teil die Fastnachtsspiele als
weltliche Spiele neben den geistlichen Spielen an hohen kirchlichen
Festtagen auf verschiedene Weise entwickelt, und die der Zeit mit
ihren Beschwerden entspringende Neigung zu satirischer Verspottung
der Stände kam in ihnen zum Ausdruck (s. S. 139). Weiter gab es noch
die alten volkstümlichen Feste im Freien, wie die allerdings mehr
auf dem Lande üblichen Maitänze, überhaupt die sommerlichen Tänze an
Feiertagen mit ihrem Singen und Springen. Man vergnügte sich auch noch
auf Wiese und Anger an den alten Kraftübungen, dem Ringen, Steinwerfen
u. a. Sodann boten die Kirchenfeiern Anlaß zu immer neuer Festeslust.
Die Kirchweihen bildeten vor allem auf dem Lande den Höhepunkt der
Festfreude, fehlten aber auch in der Stadt nicht. Hier kamen dann
Handwerkerfeste und -tänze als etwas besonderes hinzu, vor allem aber
die großen bürgerlichen Waffenfeste, die Schützenfeste, ursprünglich
mit Aufzügen und nachfolgendem Gelage verbundene Waffenübungen. Die
Hauptsache bei ihnen wurden aber allmählich die Festlichkeiten und die
Preise, die man erringen konnte. Die patrizischen Kreise versuchten
noch jetzt, sich durch Turniere hin und wieder ein ritterliches Ansehen
zu geben, sehr zum Mißfallen des Adels, dessen Turniere aber natürlich
auch meist in der Stadt abgehalten wurden und der Masse wenigstens ein
glänzendes Schauspiel boten. Alle diese Feste waren also, wie auch
die Familienfeste, zugleich Massenfeste, bei denen die ständischen
Unterschiede mehr oder weniger zurücktraten. Umgekehrt boten die
Fahrenden, die etwa bei Turnieren und Schützenfesten zusammenströmten,
keineswegs nur dem niederen Volk Unterhaltung.

Trotz aller verbitternden sozialen Gegensätze herrscht damals doch noch
ein außerordentlich starkes _volkstümliches Gesamtgefühl_. Der oben
erwähnte Massengeist ist nicht nur der Geist der niedrigen, sondern
der der Gesamtmasse, dem freilich eben wegen der großen Rolle des
niederen Volkes keine feinen Züge eignen können. Die Art der niederen
Volkskreise zieht vielmehr die der höheren zu sich herab. Nicht nur,
daß die Bildungsunterschiede in der Laienwelt damals noch immer stark
zurücktreten und hoch und niedrig sich in einer durchaus volkstümlichen
Ausdrucksweise (die natürlich nichts Neues ist, sich jetzt nur in
den Quellen stärker kundgibt) ergeht: es ist auch an Stelle der
höfischen Art in den aristokratischen Kreisen eine freilich ebenfalls
immer vorhanden gewesene und nur durch jene modische Verbildung
überfirnißte Neigung zur _Derbheit_ und zu grober Redeweise getreten.
Schon der Minnedichtung sahen wir (S. 93) in der höfischen Dorflyrik
ein volkstümliches Gegenbild erstehen. Herr Steinmar hat jene dann
geradezu verspottet und zog vor, »in daz luoder« zu »treten« und sehr
materielle Genüsse zu preisen. Ein _plebejischer Geschmack_ bringt die
_Literatur_ dann immer mehr herunter. Alles feinere Schönheitsgefühl
schwindet, der Ton wird immer niedriger, der Stoff immer realistischer,
die Ausdrucksweise immer derber. Die Schwänke, oft zotig und gemein,
werden zur Lieblingskost. Vor allem in jenen Fastnachtsspielen, und
zwar den Nürnbergern besonders, machen sich Derbheit und Roheit mit
vollstem Behagen breit. Es war im Grunde lächerlich, wenn in ihnen der
Bauer als komische und mißachtete Figur wegen seiner Freßgier, seines
Saufens, seines Schmutzes und seiner Roheit herhalten mußte. Der Inhalt
der Spiele zeigt die gleiche Freude gerade des Städters am Rohen, z.
B. an Prügelszenen, und in seiner materiellen, groben, oft gemeinen
Genußsucht unterschied er sich vom Bauer nur durch die ihm zu Gebote
stehende größere Mannigfaltigkeit und gewisse äußerliche Feinheiten.
Seine Neigung zur Unflätigkeit beweisen wiederum die Spiele. Um diese
Zeit wurde ein zotiger, unanständiger Ton aber überhaupt allgemein
Mode. Die ganze Art nennt man nach dem von Sebastian Brant als
Modeheiligen hingestellten St. Grobian _Grobianismus_. Der Zug nahm
im 16. Jahrhundert noch sehr zu. Mit ihm sind eine geflissentliche
Mißachtung des überhaupt (s. S. 122) schon arg heruntergekommenen
gesellschaftlichen Anstandes und eine teilweise fast zynische
Behandlung des weiblichen Geschlechts verbunden.

Die Maßlosigkeit und Ungebundenheit der Zeit, die sich in dem
genußsüchtigen Sichausleben, in der Sinnlichkeit wie noch immer in
Raub, Mord und Grausamkeit, überhaupt im Hang zu Gewalttätigkeiten
und in der allgemeinen Habgier äußert, zeigt sich auch in diesem
Gebaren. Strotzende Kraft, jugendlich-naive Unkultiviertheit toben
sich mit allem Behagen in ihrer Art aus: eben dies ist immer die Weise
des niederen Volkes. Aber diese griff damals hoch hinauf. Wenn uns
nun weiter aus jenen Spielen und Schwänken, aus der Redeweise, der
Spruchweisheit, den Inschriften, den Namen und so vielem anderen,
auch aus den Briefen derjenigen, die über die Steifheit des üblichen
förmlichen Stils hinaus gelernt haben, zu schreiben, wie sie reden
(wie vor allem Luther und Albrecht Achilles), nicht nur Derbheit,
sondern immer auch lustige, launige Derbheit entgegenblitzt, so kommen
wir auf das Erhebende in dieser ganzen Erscheinung, auf das befreiende
Lachen, das uns aus alledem entgegendröhnt und zeitweise auch die
sozialen Bitternisse übertönt, auf den _Humor_ der Zeit. Keine andere
war je so lachlustig, so launig selbst in Not und Tod. Und auch das
Heilige, das Ernste mußten sich das Eindringen des Komisch-Possenhaften
gefallen lassen. Wie sich am Osterfest mancher Prediger dazu hergab,
durch allerlei Scherze die Lachlust zu erregen, so schoben sich in die
geistlichen Schauspiele, die sich ja vom Lateinischen nun zu einem
volkstümlichen Deutsch gewandt hatten, komische Zwischenspiele ein. Bei
den Kirchenbauten benutzte man die Wasserspeier zu humorvollen, oft
satirischen, selbst gegen Mönch und Nonne gerichteten Darstellungen,
und drinnen an Holzgestühl und Steinsäulen wurden allerlei lustige
Bildwerke angebracht. So erscheinen auch Recht und vor allem Moral
gern in humoristischem Gewande. Rechtssprache und Rechtssätze zeugen
davon, ferner gewisse Strafen. Dem gefürchteten Galgen gibt der
Volkshumor eine Fülle launiger Bezeichnungen. So oft ferner Sünden
und Schwächen mit ernsten Worten gegeißelt werden, so häufig ist doch
im 15. Jahrhundert ihre humoristische Auffassung. Ihre Träger werden
als »Narren« hingestellt, wie zum Teil in den Spielen, wie vor allem
in dem Narrenschiff Brants. Das Laster verfällt der Lachlust, dem
Spott. Die Figur des »Narren« in besonderer Tracht übernimmt auch
im wirklichen Leben diese spöttische Geißelung der Schwächen, und
charakteristisch ist, daß diese volkstümliche Figur zu einer ständigen
Einrichtung an den Höfen und oft auch beim Adel wird. Ebenso gab
es natürlich Volksnarren bei Festen und Umzügen. Andererseits tat
man sich in Narrengesellschaften zusammen, um zu Zeiten mit vollem
Behagen »närrisch« zu sein. Wenn irgendein Zug für die volkstümliche
Grundstimmung der Zeit spricht, so ist es der Humor. Das Volk lacht
gern, gemessene Bildung und Moral haben ihm die Laune nicht verdorben.
Noch heute ist der Hauptzug aller Dialektdichtungen der Humor; noch
heute wählt der volkstümliche Scherz weniger die Schriftsprache als
eben den Dialekt. Gewiß hat der Humor ebenso wie die anderen erwähnten
volkstümlichen Züge auch im früheren Mittelalter das ganze Volk
durchdrungen, und die erst später zahlreicher werdenden Zeugnisse
für ihn dürfen nicht dazu verleiten, ihn als Merkmal nur dieser
späteren Zeit hinzustellen. Es ist eben nunmehr die Möglichkeit, ihn
zum Ausdruck zu bringen und auch schriftlich kund zu tun, für weite
Laienkreise außerordentlich gewachsen. Aber dennoch liegt viel an dem
jetzt eingetretenen Übergewicht der Art der breiten Masse, durch das
die noch immer starke und nur durch die Stammesunterschiede beschränkte
Einheitlichkeit des Innenlebens aller der sonst so zerrissenen und
einander feindlichen Kreise außerordentlich befördert wird.

Ein letztes Zeugnis für den volkstümlichen Gesamtgeist der Zeit ist das
_Volkslied_, das damals seine Blütezeit erlebte. Freilich wurde es,
besonders von den Spielleuten entwickelt und getragen, vor allem von
den niederen Schichten gepflegt und gesungen, aber keineswegs nur von
diesen. Es ist sicherlich Gemeingut des ganzen Volkes gewesen und zeugt
von dem innigen poetischen Gefühlsleben der ganzen Zeit. Zugleich ist
es in seinem Preisen eines naiven Glückseligkeitsideals materieller
Färbung (Liebe, Gesang, Naturfreude, Schlemmerei, kurz »gutes Leben«)
wieder für die Genußsucht der Zeit charakteristisch. Aber es steckt in
dieser volkstümlichen Weltfreude doch auch ein poetischer Schwung, der
der bürgerlichen Nüchternheit gar nicht entspricht. Das Volkslied zeugt
weiter dafür, daß der demokratische, der Massencharakter nun auch die
Literatur nicht nur, wie (S. 139) geschildert, in Ton und Geschmack
beherrscht, sondern sich auch in der Bevorzugung bestimmter Gattungen
äußert. Diese Volkslieder wurden auch nicht mehr von einzelnen
Volkssängern, sondern mehrstimmig gesungen. Eine solche Gattung, in
der fast niemals einzelne Verfassernamen glänzen, stellen ferner die
Volksbücher dar, die die alten ritterlichen Stoffe nun in breiter
Prosa, oft in Anlehnung an französische Muster, darboten und zunächst
in den höheren Schichten verbreitet waren, dann aber mehr und mehr
zur Unterhaltung der Volkskreise dienten und von diesen lange bewahrt
wurden. Auch die reiche Entwicklung und volkstümliche Gestaltung
der jetzt deutschen geistlichen Schauspiele wie die Ausbildung der
weltlichen Fastnachtsspiele sind hier anzuführen, zumal auch an jenen
die Laien sowohl bezüglich der Texte wie vor allem bei der Aufführung
immer stärker beteiligt sind. In diesem Zusammenhang ist auch wieder
die deutsche Volkspredigt zu erwähnen.

Holzschnitt und Kupferstich sodann, vor allem der erstere, tragen gegen
Ausgang des Mittelalters der Verbreitung der _Kunst_ unter der _Masse_
Rechnung. Zugleich geben sie durchaus volkstümliche Darstellungen und
entnehmen ihren Stoff dem gesamten Volksleben, wie es ja auch die
bürgerliche Dichtung tat. Mit dieser Richtung auf das wirkliche eben
entwickeln sich dann auch Malerei und Plastik in ganz anderer Weise
als früher – der wichtigste Zug des Aufschwungs dieser Künste ist das
Streben nach Naturwahrheit – und machen sich von der Beherrschung durch
die Architektur frei. Zweifellos beweist das alles ein Eindringen der
höheren, jetzt freilich volkstümlich gefärbten Kunst in die Masse, ein
_Bedürfnis nach Kunst_, wie es sich nun auch in der Gestaltung des
Hausrats im Bürgerhause, in der Anfüllung der Kirchen mit geschnitzten
Altären, mit Grabmälern an den Wänden und Pfeilern zeigt. Jene
mechanische Vervielfältigung durch Holzschnitt und Kupferstich ist
überhaupt von vornherein demokratisch gerichtet, und ganz dasselbe
gilt auf dem Gebiet des _Bildungswesens_ von der neuen Erfindung der
_Buchdruckerkunst_. Nicht zwar gerade für die niedersten Schichten,
aber doch für die breitere Masse war diese technische Errungenschaft
des Bürgertums, die übrigens das sehr entwickelte Abschreibegewerbe
nur folgerichtig ablöste, das willkommene Verbreitungsmittel der
jetzt allgemeiner geschätzten Bildung, die zunächst freilich durchaus
mittelalterlichen Charakter bewahrte. Die neue Kunst war zugleich ein
Hauptmittel religiöser Erbauung und Belehrung und kam, ebenso wie zum
guten Teil der Holzschnitt und Kupferstich, jenem tiefen religiösen
Bedürfnis der Masse entgegen. Sie war endlich ein Sprachrohr der
Stimmungen und Strebungen dieser Masse, wie sie auch der volkstümlichen
Unterhaltung diente.

So hat denn gerade zu Ausgang des Mittelalters, bis ins 16. Jahrhundert
hinein, volkstümlicher Geist das ganze Leben beherrscht wie niemals
wieder. Aber eben damals machten sich schon _Strömungen_ bemerkbar, die
_dem Volkstum_ innerlich _feindlich_ waren, zum Teil freilich zunächst
wegen der damals allgemeinen volkstümlichen Ausdrucksweise diese
Richtung noch nicht deutlich zeigten. Es sind naturgemäß Strömungen
_höherer Kultur_, die letzten Endes wiederum in der _Antike_ wurzeln,
der Humanismus, das Römische Recht, die künstlerische Renaissance. Sie
sind zum Teil verbunden mit einer später ebenso volkstumsfeindlichen
sozialen Entwicklung, der ständigen Steigerung der landesherrlichen
Gewalt, die schließlich im Absolutismus mündete. Die antike Kultur
ist seinerzeit eine volkstümliche Kultur gewesen, die griechische vor
allem, aber das gewöhnliche Volk hat doch meist eine gewisse Mißachtung
erfahren. Namentlich seit dem Ausgang der Republik hat der gebildete
Römer sich über alles Plebejische weit erhaben gefühlt, keinerlei
Interesse für Strömungen im niederen Volk gehabt. Diesen Geist der
feineren Kulturmenschen haben dann auch die Menschen der italienischen
Renaissance gezeigt, er wurde gerade durch den Zug zur antiken
Literatur genährt. Von dieser wurden in solcher Richtung dann auch die
deutschen Juristen und Humanisten mehr und mehr beeinflußt. Nun gaben
aber gerade die niederen Klassen zu jener Zeit vielfach den Ton in
Deutschland an, und je mehr man sich von ihnen und ihrer Art, die ja
auch immer grobianischer wurde, abwandte, um so mehr wandte man sich
vom Volkstümlichen überhaupt ab. Im 16. Jahrhundert überwog freilich
dieser volkstümliche Geist noch lange, die Verrohung ergriff sogar
bekanntlich immer höhere Schichten, so daß eine Gegenströmung heilsam
war, aber das schließliche Ergebnis war eine tiefe Kluft zwischen den
»Gebildeten«, also den Kulturmenschen, und dem niederen Volk.

Anfangs, als sich in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters
überhaupt eine _allgemeinere Laienbildung_ zu verbreiten begann, war
die vermehrte geistige Schulung durchaus _nicht unvolkstümlich_, der
Drang nach besserem Wissen allgemein gewesen. Zunächst keineswegs
aus einem höheren und feineren Streben heraus. Es handelte sich
lange nur um jene elementare Bildung, deren aus geistlicher Hand
früher schon mancher Edle, mancher reiche Bürger und noch mehr die
Frauen dieser Stände teilhaftig geworden waren, nach der nun auch
die praktisch-nüchterne Masse des Bürgertums aus wirtschaftlichen
Gründen verlangte. Der Kaufmann und auch der verkaufende Handwerker
konnten das Schreiben und Rechnen nicht mehr entbehren. Anfangs
lateinisch und selten, dann deutsch und immer allgemeiner wurden
Notizen in Geschäftsbücher und kurze Geschäftsbriefe geschrieben; in
den Genossenschaften, den Zünften und Gilden, wollte man allmählich
bei der Führung der Listen und Bücher nicht mehr auf den hilfreichen
Geistlichen angewiesen sein; für die städtische Gesamtheit wurde die
selbständige Führung der Verwaltung auch in bezug auf das Schriftwesen
notwendig, und ebenso wie aus den Kanzleien der Fürsten wurden die
zum Teil noch lange unentbehrlichen Geistlichen aus den städtischen
Schreibstuben durch schrift- und immer häufiger auch rechtskundige
weltliche Beamte verdrängt. Und natürlich mußten auch die Leiter der
Verwaltung, die Mitglieder des Rats, eine bessere Bildung haben.

Diese allgemeinere Laienbildung konnte zunächst nur aus den (äußeren)
_Schulen_ der Klöster und Stifter stammen, aber das wachsende
Bedürfnis ließ sehr bald von der Stadt selbst ins Leben gerufene
Schulen entstehen, so eine ganze Anzahl schon im 13. Jahrhundert,
noch mehr im 14. Über ihre Verwaltung erhoben sich an diesem oder
jenem Ort scharfe Streitigkeiten mit der Geistlichkeit, wobei aber
natürlich nicht an innere Gegensätze zur Kirche zu denken ist.
Jedenfalls ging die Aufsicht immer mehr auf die städtische Obrigkeit
über. Allmählich entwickelten sich aus ziemlich niedrig stehenden
Schulen die städtischen Lateinschulen, die im 15. Jahrhundert schon
recht zahlreich waren. Mit dem steigenden Bildungsbedürfnis besuchten
diese auch immer mehr Schüler aus niedrigen Kreisen, die dann in
ihrer Armut oft von Almosen leben, ihr Brot ersingen mußten und als
fahrende Schüler von Schule zu Schule wanderten, häufig von berühmten
Lehrern angezogen. Diese Schulen waren, so mäßig ihr Unterricht war,
für die niederen Klassen in der Allgemeinheit natürlich zu hoch. Diese
bedurften seit dem Eindringen der Volkssprache in den Schriftverkehr
nur eines deutschen Elementarunterrichts: ihn vermittelten notdürftig
private »deutsche« Schulen, die von Schreibern und Rechenmeistern
gehalten wurden. Aber diese »deutschen« Schulen wurden von der
städtischen Obrigkeit wie von der Geistlichkeit durchaus nicht
begünstigt, und darin zeigt sich bereits ein unvolkstümlicher, mit
einem Bildungshochmut zusammenhängender Zug.

Dieser Zug steigerte sich mit der immer größeren Zahl Höhergebildeter,
die aber ihre Bildung nun nicht nur den mehr vorbereitenden
Lateinschulen, sondern den _Universitäten_ verdankten. Diese
Universitäten waren ganz aus der geistlichen Bildungsluft
hervorgegangen; sie bedeuteten eine Erweiterung des stiftischen
Schulwesens, das den Fortschritten des von arabischen Einflüssen
neu angeregten Geisteslebens seit der Ausbildung der scholastischen
Theologie und Philosophie, einer höherstrebenden Jurisprudenz und
einer erneuerten Medizin nicht mehr zu folgen vermochte. Aber Lehrer
und Schüler blieben geistlich. Natürlich konnten solche Hochschulen
zunächst nur in den höher entwickelten romanischen Ländern entstehen.
Deren Kultur bedurfte in praktischer Hinsicht immer mehr der Juristen,
Ärzte und Lehrer, und in geistiger Hinsicht war mit der Scholastik ein
tieferes philosophisch-systematisches Wissensbedürfnis entstanden. Die
Deutschen blieben auf die romanischen Universitäten, die berühmten
Rechts- und Ärzteschulen wie die großen theologisch-philosophischen
Lehrstätten, angewiesen. Aber vor allem das praktische Bedürfnis
infolge der Entwicklung der landesherrlichen Macht wie der städtischen
Kultur ließ dann auch in Deutschland Universitäten erstehen, zuerst
1348 diejenige zu Prag, der dann seit Ausgang des 14. Jahrhunderts noch
vierzehn, zum Teil aus höher entwickelten Stiftsschulen heraus und
durchaus in Anlehnung an das fremde Vorbild, folgten.

Jener geistliche Charakter der Universität blieb noch lange
gewahrt, wie ihn ja auch noch die ganze höhere Bildung trug. Die
großen Gelehrten des ausgehenden Mittelalters waren Geistliche,
Ordensgeistliche vor allem. Hauptträger der Wissenschaft waren die
Dominikaner, die aber auch Kunst und Dichtung pflegten. Die Juristen
und Ärzte waren zunächst Geistliche, bis allmählich das Laienelement
unter ihnen stärker wurde. Die Zucht in den Kollegien der Lehrer und
den Bursen der Studenten entsprach der der Klöster, wenn auch das Leben
der Bursenbewohner in Wahrheit äußerst wild war und immer weltlicher
wurde. In dem geistig-wissenschaftlichen Leben selbst war zwar eine
größere Spezialisierung eingetreten, und von gewissen Ansätzen freierer
Entwicklung werden wir sogleich hören. Aber im übrigen herrschte auch
jetzt die _kirchlich bedingte Universalität_ des Mittelalters. Noch
war trotz der erwähnten Erweiterung die Summe des abendländischen
Wissens so gering, daß es der einzelne durch alle Fakultäten hindurch
bewältigen konnte, eben mit Hilfe des formal-logischen Betriebes, der
lehrhaften Zustutzung in maßgebenden Kompendien, der philologischen
Bearbeitung der Stoffe. Dem entsprach ein unkritisches, dogmatisches
Aufnehmen. Letzten Endes war aber alles theologisch zugespitzt, in der
Theologie gipfelte alles. Nur in Gott hat das irdische Wissen Wert,
die Philosophie soll die göttlichen Wahrheiten beweisen, die Natur
ist nur als Niederschlag der großen Taten Gottes und seiner Weisheit
aufzufassen. Höchst bezeichnend ist die Natursymbolik, zugleich ein
Beweis für das Spielerisch-Äußerliche des mittelalterlichen Denkens.
Alle Dinge auf Erden haben ihre symbolische, zunächst an die Bibel
geknüpfte, christlich-moralische Bedeutung, Tiere, Pflanzen, Steine.
Die entsprechenden Eigenschaften, die man wesentlich mit ihnen
verbunden glaubte, spielten dann in der praktischen Anwendung des
Wissens eine Rolle. Noch immer ist eben mit dem Geistesleben ein
übersinnlich gerichteter Zug innig verknüpft.

Auf der anderen Seite darf man das _Geistesleben_ des ausgehenden
Mittelalters auch _nicht unterschätzen_. Die Universitäten sind wie
das ganze höhere Geistesleben von der Scholastik (s. S. 103 f.)
beherrscht. Aber diese Philosophie des Mittelalters trug immerhin
schon wissenschaftlichen Charakter, bedeutete Ausbildung systematischen
Denkens und lehrte Abstraktes fassen. Und wenn schon die Kirche
überhaupt der Wissenschaft in ihrer damaligen Form keineswegs feindlich
war, vielmehr gerade durch ihre Pfründen, obwohl unabsichtlich, manchem
die äußere Möglichkeit gab, ganz den Studien zu leben, so waren auch
die von der Kirche ausgegangenen und behüteten Universitäten, die
ja selbständige privilegierte Körperschaften waren, schon geordnete
Vertretungen der Wissenschaft. Es waren geistige Gemeinschaften und
Verkörperungen geistiger Bestrebungen auch über das theologische und
das weltlich-praktische Bedürfnis hinaus. In der Scholastik selbst,
die überhaupt nichts Starres und Gleichförmiges ist, entwickelte sich
ferner im späteren Mittelalter eine freiere Richtung, die zu großen
Spaltungen führte. In dem entschiedenen Nominalismus, der in den
allgemeinen Begriffen »Namen« und nur in den Einzeldingen Wirklichkeit
sah, der die Glaubensgeheimnisse nicht mehr für beweisbar hielt,
kam man wenigstens theoretisch zur Unvereinbarkeit von Glauben und
Wissen, also zum Gegenteil des eigentlichen Zieles der Scholastik. Man
arbeitete zum Teil mit einer damals übrigens nicht zuerst auftauchenden
Annahme, die andererseits erst in nachscholastischer Zeit schärfer
formuliert wurde, mit der »zwiefachen Wahrheit«, der theologischen und
der philosophischen. Aber damit wäre die Theologie nicht mehr, was man
doch erstrebte, philosophisch beweisbar und die Scholastik in ihrem
Kern vernichtet gewesen. In Wirklichkeit blieb überhaupt trotz mancher
kritischer Keckheiten und ernsterer Reibungen das Dogma unangetastet.
Man begnügte sich mit der äußerlichen, dialektischen Betätigung der
Vernunft, mit der formalen Logik, und jenen Gefahren suchte die spätere
Scholastik mit einem um so schrofferen kirchlichen Eifer zu begegnen.

Gewiß mußte die scholastische Methode schon der Theologie und
Jurisprudenz, noch mehr der Philosophie auf die Dauer wirkliche
Fortschritte unmöglich machen, gewiß war sie, der Gegensatz zu
exakter, empirischer Forschung, vor allem ein Hemmschuh für die
Naturwissenschaften und die Medizin. Aber man muß doch feststellen,
daß es in diesen Jahrhunderten weder an wissenschaftlicher
Beobachtung noch an praktischen Fortschritten gefehlt hat,
worauf ja auch schon die arabischen, die Antike neu belebenden
naturwissenschaftlich-medizinischen und philosophischen Einflüsse
hingeleitet hatten. Mit dem Namen des Albertus Magnus verbinden sich
doch nicht nur Phantasterei und Aberglaube, vielmehr deutliche Anfänge
eigener Beobachtung und kritischen Unterscheidungsvermögens, mit dem
des Roger Bacon immerhin schon Andeutungen der induktiven Methode.
Es hat sodann, wie Dietrich Schäfer hervorhebt, das Mittelalter die
Erweiterung der Erdkenntnis, »den gewaltigen Aufschwung, mit dem es
abschloß, aus sich herausgenommen, die Alten weit überflügelnd und ohne
nennenswerte antike Beeinflussung«. Ganz zweifellos erhob sich auch die
Heilkunde auf eine höhere Stufe. Von dem aus der antiken Überlieferung
seine medizinische Weisheit schöpfenden Klostergeistlichen unterschied
sich der studierte Arzt, zunächst noch meist aus geistlichem
Stande, freilich insofern wenig, als auch er sich vor allem auf
Buchgelehrsamkeit stützte. Eben deswegen fühlte er sich über den alten,
teils empirischen, teils abergläubischen volkstümlichen Heilbetrieb,
namentlich von Frauen, hoch erhaben, ebenso über die umherziehenden
Quacksalber, aber auch über die ungelehrten niederen Wundärzte, die
gerade in den Städten bald zahlreich wurden und vor allem dem damals
so wichtigen Aderlaß oblagen: er suchte deren Betrieb auch bald zu
beschränken. Aber andererseits bedeutete der neue Ärztestand doch einen
wirklichen Fortschritt. Zuerst hatten die Höfe fremde studierte Ärzte,
häufig und lange noch Juden, herangezogen, dann förderten allmählich
die Städte die Ausbildung dieses Standes, zumal seit der Entwicklung
von Universitäten in Deutschland. Stadtärzte begegnen schon im 14.
Jahrhundert, damals auch schon Ordnungen und Taxen für sie. Immer
stärker wurde auch das Laienelement unter ihnen.

Das war nun weiter ebenso bei den _Juristen_ der Fall, deren Zahl
immer größer wurde. Fürsten und Städte brauchten sie vor allem für
die _Kanzlei_, den Mittelpunkt der weltlichen Verwaltung, einst die
Domäne der Geistlichen. Die Stadtschreiber, gewissermaßen die Kanzler
der Städte und im Gegensatz zu den Inhabern der städtischen Ehrenämter
besoldet, die eigentlichen Träger der Verwaltungsgeschäfte, ergänzten
sich andererseits auch bald aus den »Artisten«, der anfangs mehr
propädeutischen Fakultät der freien Künste, aus der auch die Lehrer
der Lateinschulen hervorgingen. Durch die Beherrschung der Kanzlei
hat sich nun früh eine Verbindung der Juristen mit der Verwaltung,
aber auch mit der Politik ergeben, und dies Moment erklärt auch den
immer stärkeren Zudrang des Adels zum juristischen Studium. Die
Wichtigkeit der Juristen führt auf die _neue Bedeutung des Römischen
Rechts_, das ja freilich für das kanonische Recht immer die Grundlage
gewesen war. Die Gründe seiner _Übernahme_, sicherlich vor allem
durch die jetzt starken Kultureinflüsse Italiens (s. S. 149) bewirkt,
seien hier nicht erörtert. Die Begünstigung der Juristen durch die
Fürsten schrieb sich zum Teil wenigstens aus der von ihnen erwarteten
Unterstützung des fürstlichen Machtstrebens, vor allem aber aus ihrer
Brauchbarkeit im neuen Beamtenstaat her. Im übrigen war die Zeit für
ein Berufsrichtertum auch in Deutschland gekommen, und eine heimische
Rechts_wissenschaft_ gab es nicht. Man zog die Juristen langsam aus
dem Rat in das kaiserliche und die fürstlichen Hofgerichte. Damit nahm
die Anwendung des römischen Rechts in schwierigen Fällen gegenüber dem
zersplitterten deutschen Recht zu. Die Juristen eroberten schließlich
die Gerichte überhaupt, und man »reformierte« die Land- und Stadtrechte
im römischen Sinne.

Diese Wandlungen vollzogen sich langsam seit der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts. 1495 nahm das Reichskammergericht das römische Recht
an. Aber wenn die Juristen in ihrem Kulturbewußtsein auf das »rohe,
bäurische« Recht der Laien herabsahen, so hing das Volk an diesem
letzten Rest seiner öffentlichen Betätigung, an dieser Schöpfung
seines Geistes und Wesens noch zäh genug, um nicht über den Wandel
in eine tief erregte Stimmung zu geraten. Der übrigens nicht zu
übertreibende _Volkshaß_ richtet sich freilich weniger gegen die
römischen als die Juristen, die Berufsrichter an sich. Die beklagte
Rechtsunsicherheit wurde zunächst nur noch größer. Die früheren, für
die niederen Schichten besonders empfindlichen Mißbräuche, vor allem
die Käuflichkeit der Richter, schwanden auch jetzt nicht; gerade der
des neuen Rechtes Kundige konnte sein Schäfchen ins Trockene bringen,
ebenso, wer rechtskundig tat, wie der Gerichtsschreiber oder der
Fürsprech, der Advokat.

Aber die Juristen haben für jene Zeit noch eine andere Bedeutung
gehabt, wieder im Sinne der Einbürgerung einer im Grunde
volkstumsfeindlichen höheren Kultur: sie waren die ersten Vermittler
und in Verbindung mit ihrer Kanzleiherrschaft die ersten Förderer
der geistigen Bewegung des _Humanismus_. Sie, die um ihrer besseren
Ausbildung willen und bei ihrer starken Begehrtheit in immer größerer
Zahl nach Italien zogen, selbst als es schon deutsche Universitäten
gab, wurden hier von der humanistischen Strömung ergriffen, die
besonders auch die oberitalienischen Universitäten erobert hatte.
Es handelt sich zunächst nur um eine mehr äußerliche literarische
Beeinflussung in Richtung des Stils, der formalen Kultur, nicht um
Annäherung an das Wesen der eigentlichen Renaissance. Diese faßt
man neuerdings zutreffend überhaupt nicht einfach als Neubelebung
antiken Geistes auf – wie ja auch schon Burckhardt neben der Antike
als zweiten Faktor den italienischen Volksgeist hinstellte –, sondern
als reifste Frucht der mittelalterlichen Kultur selbst, als Leistung
der christlichen wie der volkstümlichen Kräfte des Mittelalters. Die
stärkere Wendung zur Antike, die ja (vgl. S. 64) immer ein belebendes
Element des Mittelalters gewesen ist, trug die Keime zu einer neuen,
unmittelalterlichen Entwicklung in sich, aber sie ist doch ein
_Fortschritt_, den _das Mittelalter_ selbst machte. Man hat z. B. von
französischer Seite Frankreich, das alte Land des »~studium~«, als
eigentlichen Ausgangspunkt der Renaissance hingestellt, und sicherlich
sind auch gewisse Elemente derselben zuerst dort entwickelt worden. Die
stärkere Hinneigung zur Antike war aber in letzter Linie die Folge der
arabischen Befruchtung, und dieser Zug mußte dann in _Italien_ um so
mehr hervortreten, als überhaupt das Bildungsübergewicht Frankreichs
auf das mächtig seine Kräfte entwickelnde Italien überging, vor allem
im 15. Jahrhundert, und dieses Land überdies durch die Denkmäler der
Antike auf seinem Boden, durch seine Sprache und das niemals erstorbene
römische Recht noch mit der Antike wirklich zusammenhing. Dieser
Zusammenhänge wurde man sich bei dem vermehrten Studium der Antike
stärker bewußt, für deren Geist aber um so empfänglicher, als die
hohe geldwirtschaftliche Entwicklung Italiens nicht nur die äußeren
Lebensverhältnisse, sondern auch Weltanschauung und Lebensauffassung
auf einen Stand brachte, der sich dem der Antike wenigstens näherte.
In der entsprechenden Gestaltung wirkte das Studium der Antike von
Italien aus auf die übrigen Länder dann wie eine neue Offenbarung, auf
Deutschland freilich, wie gesagt, zunächst nur nach der formalen Seite.
Hatte Italien auf Deutschland schon durch die Folgen der Kaiserpolitik
und die Römerzüge vielfältige Wirkung geübt, machte dann der immer
regere Handelsverkehr nicht nur den deutschen Kaufmann zum Schüler des
italienischen, sondern beeinflußte auch wie der sonstige Verkehr, z. B.
infolge der ausgedehnten Söldnerdienste deutscher Ritter, die äußere
Kultur mehr und mehr, so wurde auf geistigem Gebiet Italiens Einfluß
an Stelle des französischen immer maßgebender. Der Zug der Studenten
ging, wie gesagt, immer stärker nach Italien, ohne daß aber derjenige
nach Frankreich aufhörte.

So war die Übertragung der humanistischen Strömung, mit deren
italienischen Trägern man zum Teil auch durch den Aufenthalt einiger
derselben in Deutschland selbst bekannt wurde, etwas durchaus
Natürliches. Sie knüpft indes eben vor allem an die in Italien
gebildeten _Juristen_. Es wurde insbesondere die zum Teil mit
Juristen besetzte _Kanzlei_ zur Pflege- und Vermittlungsstätte der
neuen, wesentlich formalen Richtung. Auch in Italien pflegten ja
gerade in ihr die Humanisten die Eloquenz, den neuen klassischen
Stil. Ein italienischer Humanist, der bekannte Aeneas Sylvius, war
dann auch in Deutschland selbst in der kaiserlichen Kanzlei tätig
und von großem Einfluß auf manchen Deutschen. Die formale Seite hat
aber auch auf jenes geistlich-gelehrte Studium, das in der Theologie
gipfelte, gewirkt. Vielleicht im Zusammenhang mit einer stärkeren
Berücksichtigung der antiken Autoren schon seitens der älteren
Schulwissenschaft ist vor allem in den Niederlanden eine durchaus
religiös gerichtete, aber den klassischen Autoren zugewandte Bildung
erblüht, die auch den deutschen Nordwesten und Westen beeinflußte und
zugleich stark pädagogisch gerichtet war. Niederländischer und langer
italienischer Aufenthalt haben auf den trefflichen Rudolf Agricola
gewirkt, der neben gewissen abenteuerlichen Wanderaposteln der Mitte
des 15. Jahrhunderts, wie Petrus Luder, zuerst den Humanismus um seiner
selbst willen vertrat und ihm in Heidelberg außerhalb der Universität
eine Stätte gründete. Die Seele des neuen Lebens, das sich dort
entfaltete – daneben wären noch andere südwestliche kleinere weltliche
und geistliche Höfe zu nennen –, war der Kanzler Johannes v. Dalberg,
der spätere Freund Celtes’ und Reuchlins. Wichtig wurde dann vor allem
die seit etwa 1470 beginnende Eroberung einzelner Universitäten durch
die Humanisten, was zunächst nichts weiter besagte als Fürsorge für
den Unterricht in der neuen Eloquenz, besonders auch im Interesse der
Kanzleien. Die Pflege reinen Lateins erstreckte sich zugleich immer
auf die Dichtung – diese war noch wie früher ein Betätigungsfeld der
gelehrten Bildung –, bedeutete also überhaupt eine neue _literarische_
Richtung.

Aber es handelte sich doch mehr und mehr nicht nur um eine neue
Form, sondern um einen neuen, an der Antike genährten Geist, der
auch das Leben der jüngeren Humanisten »modern« gestaltete. Mit
dem jugendlichen Hochmut einer neuen, zukunftsfreudigen Richtung,
mit stolzer Verachtung des Alten, mit radikaler Kritik und großen
Tiraden ging diese jüngere Schule vor. Es kam etwa seit 1500 an
den Universitäten naturgemäß zu scharfen Kämpfen, zur Abwehr der
Eindringlinge, die im übrigen auch ihre ernsten Ziele hatten. Es
ging doch schon um die _Beseitigung_ des _bisherigen scholastischen
Bildungsideals_. Insbesondere handelte es sich jetzt um die
Neugestaltung der Artistenfakultäten (s. S. 147). Um 1520 hatte die
neue Strömung, gefördert von Fürsten und Städten und von der Jugend
begrüßt, in der Hauptsache über den verzopften Scholastizismus gesiegt.
Ein beachtenswertes Moment ist übrigens die Einfügung des Griechischen
in den Studienkreis. Früher als die Universitäten wurden zum Teil die
Lateinschulen humanistisch gefärbt. Im ganzen war es in Deutschland
eine _wesentlich gelehrte_, dabei stark formale und äußerliche
Bewegung, keine allgemeinere geistige Umwandlung, wenigstens nicht
zunächst. Der freiere naturwissenschaftliche Geist schon des 16., dann
namentlich des 17. Jahrhunderts, die verstandesmäßige Aufklärung,
die Ideale der Freiheit und Humanität, der schönen Bildung im 18.
Jahrhundert und die politischen Ideale dieses und des 19. Jahrhunderts
sind jedoch teilweise Folgeerscheinungen der Neubelebung der antiken
Kultur. Was aber die notwendige Herbeiführung einer _Verweltlichung_
betrifft, so hat der Humanismus die in ihm steckenden Keime dazu
vorerst nicht entwickeln können. Er sah wohl das moderne, in der
Antike ruhende Ideal des freien Menschentums, aber es lag ihm zu
fern. Er ist im 16. Jahrhundert zum Diener der Theologie geworden,
wie ihn ja auch die Kirche in seinen Anfängen nicht bekämpft hat. Die
Antike hat ferner einen neuen patriotischen, _nationalen_ Geist in
manchem Humanisten erweckt, wozu auch der Gegensatz zu den hochmütigen
italienischen Leuchten beitrug, aber im Grunde bewahrte der Humanismus
die Internationalität mittelalterlichen Geisteslebens, die auf das
gemeinsame Band der Kirche zurückgeht. Er hat den _Verstand_ von der
äußerlichen Übung seitens der Scholastik auf die Betrachtung der
Menschen und des Lebens gelenkt, und ein Mann wie Erasmus zeigt auch
den höheren Dingen gegenüber rationalistische Haltung (s. S. 155 f.).
Der Humanismus hat auch einen neuen _kritischen_ Geist entwickelt, der
aber zunächst auf die gelehrte Kritik und die Weckung geschichtlichen
Sinnes sich beschränkte, im übrigen ebenso von anderen Strömungen der
Zeit geweckt war. Er hat die Bildung durch tieferes Eindringen in
die Schätze der Antike stofflich erweitert und die Lebensauffassung
und die Moral, ohne sie auf neue Grundlagen zu stellen, gewandelt und
vertieft. Er hat endlich auch eine _individuellere_ Geisteshaltung
gefördert, aber zum Teil nur infolge seiner _bewußten_ Weltlichkeit
und der Wertschätzung eigener geistiger Kräfte. Wir haben ferner
bereits (S. 74) festgestellt, daß das Mittelalter schon lange vorher
solcher Haltung keineswegs bar ist. Gerade zu Ausgang desselben
wirkten überdies auch andere Strömungen und die Zeitverhältnisse in
der bezeichneten Richtung[11]. Zu einem schrankenlosen Individualismus
nach italienischem Muster sind im übrigen unter den Humanisten selbst
nur wenige radikale Köpfe gekommen. Aber unterschätzen darf man die
Wirkungen des Humanismus auch nicht. Die Persönlichkeit zum Ausdruck
zu bringen, ist sein Bestreben, sei es auch nur durch die äußeren
Mittel der Eloquenz. Der Stolz auf die feine Bildung hat zugleich etwas
Aristokratisches. Er wird aber später zu jenem volkstumsfeindlichen
Bildungshochmut. Durch Latinisierung und Gräzisierung der Namen fällt
man ganz aus dem Volkstum heraus. Es erfolgt eine Neubelebung der
lateinischen Schriftsprache, ein neues Zeitalter des lateinischen
Briefes setzt ein, der den deutschen freilich nicht mehr verdrängen
konnte.

Das feinere Schönheitsideal, das die Humanisten literarisch-stilistisch
pflegten, drang gegen den volkstümlichen Geist, der auch diese
neuen Kulturmenschen zum Teil noch unter die derbe Volksart beugte,
erst langsam durch: noch langsamer erobert dieses antik-südliche
Formempfinden die noch durchaus volkstümliche Kunst, der dann freilich
schließlich das Rückgrat gebrochen wurde. Das gehört nicht mehr in die
Geschichte des Mittelalters. Niemals aber wurde diese _künstlerische
Renaissance_ von unserem Volk wirklich innerlich erfaßt. Sie entsprach
dem äußerlichen Prunk, den die reichen Kaufherren und dann die wiederum
zu kulturellen Mittelpunkten sich aufschwingenden Höfe entfalteten.
Auch dieser _neue Fürstenstaat_, den das ausgehende Mittelalter
entstehen sah, gehört in seiner ausgebildeten, unvolkstümlichen
Art nicht mehr in das Mittelalter und ebensowenig die _völlige
Herabdrückung_ des Standes, der der älteste Born des Volkstums war,
_des Bauern_, der ja allerdings in der höfischen Zeit schon der
Gegenstand des ritterlichen Spottes gewesen und zu Ausgang des
Mittelalters ein solcher für den auf seine Zivilisation stolzen Städter
geworden war. Aber zu Ende des Mittelalters war er trotz allen Druckes
noch kraftvoll genug wie das niedere Volk überhaupt. Aus solchen
Kreisen stammte Luther.

Die bestimmende Macht des Mittelalters war die abendländische _Kirche_.
Mit der Erschütterung dieser überragenden Macht geht das Mittelalter
zu Ende. Hat die _Reformation_ diese entscheidende Bedeutung gehabt?
Insofern sie die Universalität dieser Kirche, ein wesentliches Moment
ihrer Herrschaft, zerstörte, gewiß. Diese Universalität war schon
durch die nationalstaatliche Machtentwicklung im Westen und Norden
Europas gefährdet, und die aufsteigende Entwicklung der deutschen
Landesherren hatte auch bereits gewisse Selbständigkeitsbestrebungen
in kirchlicher Hinsicht gezeitigt. Es war kein Zufall, daß die
Reformation mit den _Landesherren_ paktierte. Deren Macht verlieh
der großen Spaltung Dauer und Festigkeit. Der kräftigere Staat hat
dann auch in _der_ Richtung das eigentlich mittelalterliche, d.
h. kirchliche Zeitalter zu Grabe zu tragen geholfen, als er, wie
schon die Städte, die Macht, die die Kirche über das gesamte Leben
ausübte, ihre weltlich-politisch-kulturelle Wirksamkeit mehr und mehr
beschränkte. Das ausgehende Mittelalter war überhaupt auf dem Wege
zu einer _Säkularisation_ des Lebens. Aber die Reformation ist in
Wahrheit doch der Hemmschuh der weiteren Säkularisation gewesen, und
das _Mittelalter_ ist mit ihr im Grunde _nicht zu Ende_ gegangen.
Trotz der kirchlichen Herrschaft hatte es ja ein volkstümliches
weltliches Leben immer gegeben. Aber die bäuerlich-kriegerische
Laienkultur des frühen Mittelalters zunächst war doch in allen
höheren Beziehungen von der Kirche geleitet. Ein erstes Freimachen
bedeutete dann die ästhetisch-gesellschaftliche Kultur des Rittertums.
Wichtiger wurde die breitere Laienkultur des auf wirtschaftliche
Interessen gegründeten Bürgertums mit der Durchsetzung des modernen
Elements der Geldwirtschaft und der Zerstörung des Lehnswesens,
der bisherigen sozialen Hauptgrundlage. Besonders durch den Handel
und Verkehr war auch das Gebiet der weltlichen Interessen immer
vielseitiger geworden. Zu dem Krieger und dem Bauern hatten sich der
Handwerker und vor allem der Kaufmann mit seinem durchaus weltlichen
Gesichtskreis gesellt. Mehr noch als die Städte, die neuen Mittelpunkte
einer allseitigen Kulturpflege, war dann der territoriale Staat
infolge der durchgreifenderen Zusammenfassung äußerer Kräfte im
Gegensatz zu dem längst verfallenen feudalen Gesamtstaat fähig,
Träger höheren weltlichen Kulturlebens zu sein. Bereits hatten sich
auch die Anfänge eines neuen weltlichen Beamtenstandes entwickelt,
der höhere Kräfte aus Adel und Bürgertum zu nicht von der Kirche
bestimmten Aufgaben heranzog. Stadt- und Staatsverwaltung weckten ein
Gefühl der Verantwortlichkeit ohne kirchlichen Hintergrund; ein neuer
Gesichtspunkt war das allgemeine Wohl um seiner selbst willen. In der
Lebensauffassung hatte sich in der ritterlichen wie in der bürgerlichen
Kultur ein von der letzteren vergröbertes Ideal des Weltgenusses dem
kirchlich-asketischen Ideal nachdrücklich entgegengestellt.

Auch die _Kunst_ löste sich aus ihrer kirchlichen Bindung. Schon im
aristokratischen Kulturzeitalter war sie mehr und mehr in den Dienst
des Luxus der Herren getreten, und derjenige der reichen Städter
erweiterte noch diese weltlichen Aufgaben. Es wurde überhaupt die
städtische Entwicklung der Geldwirtschaft und der immer ausgebildeteren
technischen und gewerblichen Arbeit folgenreich, insbesondere für die
führende Baukunst. Schon in der romanischen Zeit war die Bedeutung
der Laien stärker geworden, je mehr die technischen Ansprüche
stiegen. Noch entscheidender war der Laienanteil bei der Gotik. Die
reiche Ausarbeitung der Bauten zeigt die stärkere Rolle der Technik.
Dehio weist treffend darauf hin, daß dieser Stil dreimal weniger
Material, aber zehnmal mehr Arbeit verlangt als der romanische. Die
meist namenlosen Meister der gotischen Bauten sind auf dem Boden
internationaler technischer Überlieferung erwachsen, auf dem Boden
vor allem des fortgeschrittenen städtischen Handwerks. Auf diesem
Boden erwuchsen auch die großen Maler und Bildhauer des ausgehenden
Mittelalters. Die Künstler waren durchaus Handwerker, daher die
Volkstümlichkeit ihrer Kunstübung, daher freilich auch eine gewisse
Bürgerlichkeit und Schulmäßigkeit, über die hinaus nur einzelne zu
höherer Freiheit, zu idealerem Schwung gelangten. Das bürgerliche
Leben selbst erweitert im übrigen die Aufgaben der Kunst, insbesondere
der Malerei (Porträtmalerei u. a.). – Noch wichtiger wurde die
_geistige_ Entwicklung. Seit dem 12. und 13. Jahrhundert war die
Laienbildung in immer weitere Kreise gedrungen. Es war freilich
nur die geistlich bestimmte Bildung, aber das Bildungsmonopol der
Geistlichen war gefallen, die Schranken zwischen Geistlichen und Laien
waren niedergebrochen. Mehr und mehr kamen in diese Bildung dann rein
weltliche Bestandteile, denen sich der Klerus selbst nicht versagte;
vor allem beobachteten wir die neue Bedeutung des Römischen Rechts.
Die für das ganze Mittelalter so wichtige Antike gewinnt überhaupt über
die kirchliche Zurechtstutzung hinaus Geltung, und an ihre Weltlichkeit
knüpfen sich zunächst durch den Humanismus trotz seines formalistischen
Charakters wenigstens die Ansätze zu einem neuen, freien, zum Teil
kaum noch an das Christentum gebundenen geistigen Lebensinhalt (s.
S. 151). Der geistige Aufschwung der Laien im Zusammenhang mit den
fortgeschritteneren Erfordernissen des Lebens äußert sich weiter in den
Anfängen eines weltlichen Gelehrtenstandes mit besonderen Berufszielen.

Und endlich hatte das Laientum auch auf das _religiöse_ Gebiet selbst
hinübergegriffen. Daß die religiöse Wahrheit nur in den Lehren der
Kirche beschlossen sei, war die charakteristische Auffassung des
Mittelalters. Dagegen hatten sich immer neue Sektenbildungen und
Ketzerbewegungen ständig erhoben: aber die Kirche blieb siegreich,
zumal sie seit der stärkeren Zunahme solcher Bewegungen (s. S. 129) zu
den scharfen Abwehrmaßregeln der Inquisition und der Ketzergerichte
gegriffen hatte. Die allgemeine Opposition des ausgehenden Mittelalters
gegen die Mißstände innerhalb der Kirche, vor allem gegen das geldliche
Aussaugungssystem der Kurie hatte mit einer Abwendung von der Kirche
selbst, die ja viel zu sehr mit dem ganzen Leben verknüpft war, nichts
zu tun. Der gewaltige Haß gegen die Pfaffen und ihre Sittenlosigkeit
namentlich ist eine rein soziale Erscheinung und hat seinen Grund in
der seit langem beklagten und von den kirchlichen Reformern selbst
immer wieder bekämpften Verweltlichung der Kirche, die wieder mit dem
neuen weltlich-politisch-juristischen System der Papstkirche und dem
gewaltigen Besitz der Kirche zusammenhängt. Die Streitigkeiten der
Städte mit den kirchlichen Behörden sind nur die Folge des Ernstes
der städtischen Verwaltung, des Aufsichts- und Regelungsrechts der
Städte wie des Grundsatzes der gleichen bürgerlichen Rechte und
Pflichten: deshalb suchten die Städte das Schulwesen, die Armen- und
Krankenfürsorge in die Hand zu bekommen, deshalb bekämpften sie den
gerichtlichen Sonderstand der Geistlichen und ihre Ansprüche auf
Freiheit von Abgaben und Ungeld. Sonst aber herrschte gerade in den
Städten eine übertriebene äußere Kirchlichkeit (s. S. 129 f.). Selbst
bei den Vertretern der neuen geistigen Bewegung, den Humanisten, ist
von wirklicher Kirchenfeindlichkeit trotz allen Spottes über den faulen
und dummen Klerus nicht die Rede, höchstens bei den späteren von einem
religiösen Indifferentismus. Ansätze zu einem gewissen Heidentum
sind freilich, wie gesagt, ebenso wie die Anfänge verstandesmäßiger
Aufklärung bei ihnen vorhanden. Aber Ketzer wollten sie nicht sein und
ja nicht mit der religiös aufgeregten Masse gehen. Mit Luthers erstem
Auftreten gegen den Papst waren sie einverstanden wie alle Welt, vor
allem auch mit seiner Wendung gegen die Klöster und die Askese. Bald
aber wurden sie in der Mehrheit Gegner der Bewegung: Luther dachte ja
vielfach unfreier, kirchlicher als die damaligen Päpste. Auf Befreiung
von einem _geistigen_ Bann zielte er durchaus nicht hin, sie selbst
freilich auch kaum.

Luther wieder knüpfte an den Humanismus nur in Verwertung der neuen
philologischen Kritik und Sprachkenntnis wie in dem Zurückgehen auf die
Quellen an. Sein Ziel war neben der allgemein geforderten Beseitigung
der Verdorbenheit und der äußeren Mißstände der Kirche ihre innere
Besserung, weil er ein Herz für die Kirche hatte. War er in jener
Beziehung der gewaltige Stimmführer des allgemeinen Hasses gegen die
römische Kurie, sah die gärende sozial-religiöse Massenbewegung der
Zeit in ihm den ersehnten Führer, so war er auch als Reformer nur der
Vollender längst vorhandener Strömungen. Abgesehen von dem allgemeinen
geistigen Unbehagen und der beginnenden Skepsis der Gebildeten,
herrschte doch auch im Gegensatz zu den abergläubischen Aufregungen
und Stimmungen der Masse, aber in einem gewissen Zusammenhang mit dem
beobachteten tieferen religiösen Bedürfnis derselben besonders in
Deutschland ein verständiger systematisch-reformerischer Geist auch
innerhalb der geistlichen Kreise, vor allem bei den Gelehrten der
Universitäten. Er richtete sich, nicht ohne den Einfluß nationaler
Abneigung, namentlich auch gegen die Kurie und bekundete sich in
einer starken reformerischen Literatur ebenso wie in den großen
Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts. Selbst in der Kritik der Lehre
gefielen sich später einzelne Gelehrte, vor allem manche der Kurie
deshalb verdächtige Humanisten. In dieser Beziehung hatten radikalere
Geister aber längst tiefer gegriffen, Wicliff und vor allem Hus,
der völlig mit der römischen Kirche brach. Und eben an die Wurzeln
des Systems griff nun auch Luther: er mußte zum Abfall kommen. Aber
weiter war Luther außer von jenem allgemeinen religiösen Drang von
der echt deutschen, innerlichen religiösen Stimmung ergriffen, die
bereits die Mystiker im Gegensatz zur äußeren Kirche gepflegt hatten.
Die innerliche Versenkung in Gott unmittelbar, das unmittelbare
Verhältnis des Individuums zu Gott, ist das Wesentliche auch bei
Luther, der alles allein auf das Wort Gottes setzt, ohne menschliche,
priesterliche Autorität. Das germanische Persönlichkeitsgefühl, immer
(s. S. 74 f.) lebendig und stark, jetzt (s. S. 152) überhaupt mächtig
angeregt, dringt nun auch in die von der Kirche behütete christliche
Glaubenswelt. In der Einsetzung der Gemeinde als Trägerin der
christlichen Ordnung liegt gleichzeitig der Sieg des Laientums auch
innerhalb der Kirche.

Auf allen Gebieten war so die jahrhundertelange Auseinandersetzung
des Volkstums mit den fremden Kulturelementen zu einer gewissen
Entscheidung gekommen. Das Deutsche, Antiromanische der Reformation
liegt nicht in der Reformbewegung selbst, auch nicht im Gegensatz
zur Papstkirche – diese Strömung ist keineswegs auf Deutsche
oder Germanen beschränkt –, sondern in dem innerlichen und dem
selbständig-individuellen Charakter des Protestantismus, in dem Betonen
der Persönlichkeit. Aus diesem deutschen, echt volkstümlichen Kern der
Reformation entwickelte sich dann später der Gegensatz zum Romanismus
noch schärfer und bewußter. Schließlich ist es auch bezeichnend, daß
gerade die germanischen Völker überhaupt zum Abfall von der römischen
Kirche kamen. An sich war der Bruch mit der mittelalterlichen Kirche
die notwendige Folge der größeren geistigen Reife der Menschen. Daß
nun eben die Deutschen zu einer tieferen geistigen Religion, freilich
nur grundsätzlich, kamen, war eine erste für die Gesamtkultur wichtige
höhere Kulturtat. Grundsätzlich war von Luther, gegenüber der Askese,
auch das Recht der Welt festgestellt, waren Religion und Welt reinlich
geschieden, freilich sollte die letztere durchaus von christlichem
Geist erfüllt sein. Die tatsächliche Entwicklung war aber die, daß
die Geistigkeit arg verhüllt ward, daß die Innerlichkeit von einer
spitzfindig-dogmatischen äußerlichen Kirchlichkeit zurückgedrängt, daß
die individuelle Freiheit und die Weltlichkeit von den theologischen
Interessen und kirchlichem Ernst überwuchert, daß endlich die
Volkstümlichkeit auch seitens der neuen Kirche durch ihre gelehrte
Färbung wie durch ihren Bund mit dem neuen Staat bedrängt wurde.


Fußnote:

    [11] Vgl. _Steinhausen_, Gesch. d. deutschen Kultur II², S. 194
        f.



Register.


    Abgaben 39, 42, 94 f., 135 f.

    Abhängigkeitsverhältnisse 13, 16, 26 f., 33 f., 36, 39 ff., 43,
        94 ff., 135 f.

    Ackerbau 6, 12, 16, 24 f., 42, 44 f., 48, 97.

    Adel 16, 25, 39 ff., 80 f., 91, 94, 106, 110, 112, 115 ff., 126,
        128, 133 f., 138.

    Ärzte 144 f., 147.

    Ästhetische Kultur 78, 82, 86 ff., 105.

    Äußerlichkeit 84 f., 89, 123, 129, 133 f., 145 f.

    Alemannen 10, 18, 24 f., 40.

    Antike 11, 13, 19, 34, 44, 52 ff., 63 f., 69, 72, 78, 142 f.,
        149 ff., 155.

    Arabische Einflüsse 78 f., 103, 144, 146, 149.

    Arbeit 97 f., 105, 119, 123, 154.

    Aristokratischer Geist 54, 87, 91 ff., 94, 102, 112, 114, 120, 128,
        132.

    Arme, Armut 31, 131, 134 ff., 155.

    Askese 32 f., 56, 64 ff., 71, 90, 118, 131, 134, 156 f.

    Ausbau des Landes 23, 40, 44, 110.


    Backkunst 12, 52, 125.

    Badewesen 87, 126 f.

    Bäuerlich-ländliche Haltung 23 f., 45, 48 f., 57, 76, 91, 98, 123.

    Bauer, bäuerliches Leben 16, 43, 76, 92, 94 ff., 104, 107, 113,
        127 f., 135 f., 139, 152 f.

    Bauernaufstände 136.

    Baukunst 46, 52 ff., 59 f., 63, 78, 87 f., 99, 102 f., 121, 142,
        154.

    Bayern (Stamm) 17 f., 24 f., 40.

    Beamtentum 13, 106, 116 f., 143, 154.

    Befestigung 47 ff., 104.

    Beleuchtung 51, 124.

    Benehmen 82, 84, 87, 89, 122, 139.

    Bettelorden 131, 133 f., 145.

    Bier 12, 44, 52, 122, 125.

    Bildung 14, 19, 24, 54 ff., 61 ff., 72, 78, 142 ff., 152;
        siehe auch Frauenbildung, Laienbildung.

    – geistliche 34, 54 ff., 61 ff., 84, 112, 144.

    – gesellschaftliche 83 f.

    Bischöfe 47, 54 ff., 62, 65 ff., 87, 91, 131.

    Briefe, Briefverkehr 61, 63, 75, 121, 139, 152.

    Brot 44, 52, 125.

    Bruderschaften 38, 130, 137.

    Buchdruck 142.

    Buchmalerei 60, 63.

    Bürgertum 47 f., 76, 80, 92, 94, 98 ff., 102, 104, 107, 113 ff.

    Burg 47, 49 f., 85 f., 88, 128.

    Byzantinische Einflüsse 78.


    Christianisierung 10, 15 f., 19, 21, 25, 28 ff., 33, 69 f., 109.


    Demokratischer Geist 115 f., 128, 142.

    Derbheit 27, 90, 121 f., 139 f.

    Deutsch (Volksbezeichnung) 21 f.

    Deutsche Sprache s. Sprache, Schriftsprache.

    Deutscher Orden 110, 117 f.

    Deutsches Reich 3, 23 f., 57, 67 f., 107 ff.

    Dialektik 61, 103.

    Dichtung 7, 17, 25, 30, 34 f., 60 f., 82, 84 f., 87, 91, 93 f., 107,
        111 f., 121, 139 f.

    – lateinische 61, 63 f., 150.

    Dorf 10, 47 f., 50.


    Egoismus 69, 104, 106, 115, 118, 120.

    Ehe 37, 83, 98.

    Eigenart, nationale 7, 16 ff., 22, 25 ff., 34 ff., 53, 58, 66 f.,
        69, 73, 75 f., 82, 89, 93, 108, 148, 157.

    Einfachheit 45, 50 f., 97, 123 f.

    Eloquenz 150, 152.

    England 100 f., 105, 117.

    Erblichkeit der Ämter 39, 42, 56, 106.

    – der Güter 95 f.

    – der Lehen 39, 42, 80.

    Erziehung 22, 93.


    Fahrende 34 f., 114, 128, 138.

    Familie 5, 16, 37.

    Farbenfreude 51, 86, 128.

    Fasten 33, 44, 52.

    Fastnachtsspiele 138 f., 141.

    Feste 97, 125 ff., 130, 137 f.

    Fischnahrung 52.

    Fischzucht 44.

    Fleischnahrung 52, 124.

    Fluchtburgen 25, 49.

    Formalismus 32, 119, 122.

    Franken (Stamm) 10 ff., 21, 23 f., 39 f., 52, 81, 108 f.

    – Herzogtum 24.

    Frankreich 66, 82, 103 ff., 117, 123, 129, 149 f.

    Französische Einflüsse 55, 73, 81 f., 88 f., 92 f., 103, 111, 127,
        141, 149 f.

    Frauen 5, 30, 33, 37, 82 ff., 86 f., 89, 122, 126, 133, 139, 147.

    Frauenbildung 22, 55, 62, 82 f., 143.

    Frauenhäuser 126 f.

    Frauenraub 4, 37.

    Freie 5, 16, 27, 38 ff., 42 f., 80 f., 98.

    Friesen 4, 7, 9 f., 18, 21, 26, 46.

    Fronden 40 f., 95.

    Fürsten s. Landesherren.

    Fußvolk 116.


    Garten 44.

    Gau 42.

    Gebundenheit 27, 73 f.

    Gefolgschaft 5, 38.

    Gefühlsleben 32, 120 f., 132 f., 141; s. auch Gemütsleben.

    Geistesleben 6 f., 34 ff., 54 ff., 61 ff., 78 f., 97 f., 103 f.,
        118, 141 ff.

    Geistliche 14 f., 22 f., 30, 33 ff., 37, 54 ff., 61 ff., 65 f., 70,
        80, 83, 91, 102 f., 106 f., 111 f., 114 ff., 126, 128 ff.,
        133 f., 143 ff., 147, 155 f.

    – niedere 128, 130, 133 ff.

    Geldwirtschaft 13, 94 f., 102, 117 f., 128, 134, 154.

    Gelehrtenstand 155.

    Gemüsebau 9, 12, 44 f.

    Gemütsleben 28, 33, 35, 98.

    Genossenschaftlicher Geist 27, 37 f., 80, 96, 119.

    Genußsucht 85, 90, 118, 122 f., 126 ff., 131 f., 137, 139, 141.

    Gerichtswesen 36, 42, 96, 106, 115, 148.

    Germanen 3 ff., 69, 81.

    Geselligkeit 83 f., 89, 92, 122, 127, 137 f.

    Gesellschaftliche Kultur 72, 77, 79, 82 ff., 91, 122.

    Gewalttätigkeit 27, 31, 77, 96, 139.

    Gewerbe 6, 13, 18, 45 f., 98 f., 118.

    Gewürz 8, 12, 46, 52, 78, 86, 100, 124 f.

    Gilde 37 f., 100 f., 115.

    Glasmalerei 88 f.

    Glaubensleben, volkstümliches 28 ff., 97 f., 130, 134.

    Gotik 88 f., 103, 108, 154.

    Grafen 13 f., 36, 40, 42, 80.

    Grausamkeit 5, 28.

    Grobianismus 122, 139.

    Grundbesitz 38 ff., 48, 76, 94.

    Grundherrschaft 12, 25 f., 41 ff., 94 ff.


    Haartracht 17, 25, 51, 86, 97.

    Habgier 31, 77, 107, 114, 123, 136 f., 139.

    Handel 8 ff., 12, 24, 26, 46 f., 72, 78 f., 98, 100 ff., 117 ff.,
        125, 134 f., 149.

    Handelspolitik 102, 120.

    Handschriften 63.

    Handwerker 45 f., 48, 99 f., 114 f., 118 ff., 127, 134, 137, 154.

    Hansa 101 f., 107, 120.

    Haus(bau) 6, 27, 50, 97, 124.

    Hausrat 6, 12, 50 f., 86, 97, 124.

    Hauswirtschaft 99.

    Heerwesen 38 ff., 108, 115 ff.

    Heidentum 25, 28 ff., 79.

    Heilkunde 12, 63, 78, 144 ff., 147.

    Heldensang 17, 34 f., 38, 82.

    Herrenhof 40 f., 43, 49, 76.

    Herrenklasse 16, 20, 22 f., 27, 36, 39, 43 f., 46, 48 ff., 87, 94,
        111.

    Hessen (Stamm) 25.

    Höfische Kultur 73, 84, 91, 108, 128, 133.

    Hof, fürstlicher 54, 84, 91, 116 f., 140.

    Holzbau 6, 50, 53, 124.

    Holzschnitt 141 f.

    Holzschnitzerei 6, 52, 124.

    Humanismus 72, 142, 148 ff., 155 f.

    Humanität 31, 85, 151.

    Humor 137 f., 140 f.

    Hus, Hussiten 136, 156.


    Idealismus 85.

    Immunität 13, 42.

    Individualismus 7, 27, 38, 73 ff., 89, 107, 152.

    Innerlichkeit 7, 93, 132 f., 156 f.

    Internationalität 71 ff., 81, 107 f., 151.

    Italien 24, 28, 54 f., 63, 78, 100 f., 105, 117, 120, 123, 148 f.

    Italienische Einflüsse 54 f., 124, 148 f.


    Jagd 36, 82 ff., 93.

    Juden 46, 101, 116, 132, 134 ff., 147.

    Juristen 144, 147 f., 150.


    Kaisertum 11, 14, 19, 55, 57, 72, 149.

    Kanzlei 15, 61, 143, 147 f., 150.

    Kapitalismus 131, 134 f.

    Karl d. Gr. 16, 19 f., 23, 25, 31, 34 f., 38, 40, 44, 62 f.

    Kaufleute 8, 46, 48, 92, 100 f., 110, 115 ff., 119 f., 131, 134 f.,
        143, 153.

    Ketzer 129, 131 f., 155.

    Kirche 13 ff., 19 f., 28 ff., 40 f., 52, 54, 56 ff., 64 ff., 69 ff.,
        79 f., 90 f., 103, 108, 119, 129 ff., 134, 136, 153 ff.

    – und Kultur 15, 20, 44, 56, 58 f., 64 ff., 72, 77, 79, 102 f.,
        145 f.

    – und Staat 56, 65, 67 f., 77, 79, 106, 153.

    – und Welt 59, 70 ff.

    Kirchenbauten 13, 50, 53 f., 59, 87 ff., 99, 102, 121, 130, 140.

    Kirchlichkeit 90, 121, 129 f., 132, 155.

    Kleidung 6, 12, 17, 51, 82, 86 f., 97, 127; s. auch Tracht.

    Kleinkünste 59 f., 78, 87.

    Klöster 20, 25, 33 f., 41, 44, 47, 50, 52, 54 ff., 62, 65 f., 70,
        125, 136.

    Kochkunst 9, 12, 44, 52, 86, 124 f.

    Königtum 14, 16 f., 28.

    Körperpflege 12, 87, 97.

    Kolonisation des Ostens 48, 96, 98, 109 ff.

    Konventionalismus 75 f., 83, 85, 89, 93, 122.

    Kreuzzüge 22, 68, 73, 77 ff., 81, 96, 103, 110, 131 f.

    Kriegerischer Geist, kriegerische Interessen 4, 23, 28, 36 f., 49,
        76, 80, 93 f., 104.

    Kultur und Volkstum s. Volkstum.

    Kultureinflüsse s. Antike sowie arabische, byzantinische,
        französische, italienische, römische Einflüsse.

    Kunst 13, 24, 44, 52 ff., 59 f., 72, 76, 78, 87 ff., 103, 118, 121,
        133, 141 f., 152, 154.

    – und Kirche 59 f.

    Kunstgewerbe 17, 46, 59 f.

    Kupferstich 141 f.


    Laien 70 f., 132 f.

    Laienbildung 35 f., 62, 118, 143 ff., 154 f.

    Laienkultur 77, 79 ff., 90, 105, 118, 154 f.

    Laienkunst 54, 103, 154.

    Laienreligion 133, 155 ff.

    Landesherren 42, 80, 91, 94, 105 f., 109, 112, 115 f., 142, 153.

    Landfriede 107.

    Lateinische Sprache 14 f., 19, 55, 61, 111 f., 150.

    Lebenshaltung 6, 17, 42 f., 49 ff., 78, 86 f., 97, 118, 122 ff.

    Lebensideal 69 ff., 85, 91 f., 154.

    Lehnswesen 39 ff., 80, 105 f., 153.

    Leidenschaftlichkeit 5, 27, 32, 77, 84, 119.

    Lothringen, Lothringer 24, 27, 33, 65, 68.

    Luther 135, 139, 153, 156 f.

    Luxus 17, 50 f., 78, 86 ff., 96 f., 118, 124, 127, 154.


    Malerei 46, 53, 59 f., 75, 142, 154.

    Markgenossenschaft 16, 23, 38, 118 f.

    Markt(orte) 46 ff.

    Massengeist 128 ff., 156.

    Materieller Geist 118, 122 f., 127 f., 132 f., 141.

    Mauern 48, 50.

    Meier 95.

    Messen, Champagner 100 f.

    Met 52.

    Metallgewerbe 46.

    Milchwirtschaft 18, 52.

    Ministerialen 80 ff., 91 f., 106, 110.

    Minnedienst 81 ff., 90, 92.

    Minnesang 82, 84, 91 ff., 108, 139.

    Mode 51, 89, 92, 97, 127.

    Möbel 51, 124.

    Mönche 46, 63, 65 f., 71, 77, 91, 108 f., 130.

    Münzen, Münzwesen 8 f., 13, 18, 106, 135.

    Musik 12, 60 f., 82.

    Mystiker 121, 132 f., 156.


    Nahrung 51 f., 82, 97, 124 f.

    Namen 37, 121, 152.

    Nationalgefühl 21, 105, 111, 151.

    Naturalwirtschaft 13, 24, 45, 117.

    Naturgefühl 77, 93, 97.

    Natursymbolik 145.

    Naturwissenschaft 146 f.

    Niederdeutsche 21, 108 f.

    Niedere Klassen 80, 120, 128 ff., 137 ff., 141 f., 153.

    – Hebung derselben 94 ff., 98 f., 114.

    Nordgermanen 6, 18, 22, 26, 39, 101.

    Nüchternheit 98, 120 f.


    Obstbau 9 f., 12, 16, 24, 44 f.

    Ornamentik 17, 60.

    Ostfranken 21, 23 f.


    Papsttum 65 ff., 131 f., 155 ff.

    Patriziat 92, 102, 114 f., 120, 124.

    Persönlichkeit 74 f., 152, 157.

    Pfalzen 47, 88.

    Phantasie 52, 78 f., 121, 147.

    Philosophie 78, 103 f., 144 ff.

    Plastik 59 f., 89, 142, 154.

    Predigt 131, 133 f.


    Rat, fürstlicher 106, 148.

    Ratsverfassung, städtische 49, 99, 115 f.

    Raub 26, 28, 80, 90, 105, 107, 117.

    Rechnen 62, 143 f.

    Recht 14, 17, 36, 96, 108 f., 111 f., 140, 147 ff.

    – römisches 14, 116, 142, 148 f., 155.

    Rechtspflege 28, 148.

    Reformation 136, 153, 156 f.

    Reformbewegung, klösterliche (asketische) 56, 65 ff., 71.

    Reichtum 92, 100, 119 f., 127, 131, 135 ff.; s. auch Kapitalismus.

    Reiterheer 40, 76, 81.

    Religiosität 85, 90, 129, 132 f., 142, 156.

    Renaissance, italienische 73, 123, 143, 149.

    – karolingische 19, 54.

    – ottonische 55 f., 61.

    Renaissancekunst 142, 152.

    Rittertum 72 f., 76 f., 79 ff., 104 ff., 110, 116 f.

    Rodung 23, 40 f., 44, 110.

    Römerstädte 15, 17, 47 f.

    Römische Einflüsse 4, 7 ff., 12 ff., 25, 50, 72; s. auch Antike.

    Romanische Einflüsse 22, 24, 27, 34 f., 44, 66, 68, 72, 83, 87, 108;
        s. auch französische, italienische Einflüsse.

    Romanischer Stil 53 f., 103.


    Sachsen (Stamm), 10, 12, 16, 18, 21, 24 ff., 35, 37, 39, 47, 49 f.,
        108 ff., 126.

    Säkularisation der Kultur 153 ff.

    Sänger 17, 35, 89, 92, 114.

    Schauspiel, geistliches 61, 138, 140 f.

    Schenkungen 34, 41, 56, 62, 130.

    Schiffahrt 26, 78, 102.

    Schmuck 8, 12, 17, 46, 51, 78, 86, 127.

    Schönheitsgefühl 82, 86 f., 152.

    Scholastik 74, 103 f., 108, 145 f., 151.

    Schriftsprache, deutsche 35, 107 f., 111 f., 133, 144.

    Schriftwesen 14 f., 61, 63, 84, 142 ff.

    Schulwesen 14, 55, 61 f., 143 f.

    Schwaben (Stamm) 24 f., 108.

    Seelenglaube 5, 29.

    Seeverkehr 10, 18, 26.

    Selbstgefühl 70, 96, 99, 114, 117, 119, 121, 128, 137.

    Siedelungen 37 f., 47, 109 f.

    Sippe 5 f., 16, 37.

    Sittenlosigkeit 37, 119, 126 f., 139.

    Sittenprediger 127 f., 131.

    Sittigung 28, 31 f., 69, 84 f., 119.

    Sittliche Anschauungen 85, 119, 127.

    Slawen 3, 21, 23, 26, 46, 108 ff.

    Sonderart 25 f., 75; s. auch Individualismus.

    Sondergeist 107, 120.

    Soziales Leben 5, 13, 37 ff., 72, 76 f., 80 f., 94 ff., 98 f., 102.

    Spielleute 34 f., 38, 67, 114, 129, 141.

    Spottlust 129, 140.

    Sprache 6, 21 f., 82, 87, 93, 111.

    Staat, staatliches Leben 6, 13 f., 39, 59, 77, 105 f., 148, 152 ff.

    Stadt, Städtewesen 46 ff., 72, 91, 98 ff., 102 ff., 107, 110,
        113 ff., 127 f., 147, 153, 155.

    Stadtherren 48, 99.

    Stadtverwaltung 99, 115 f., 118 f., 143, 147.

    Stände, ständischer Staat 106, 115 f.

    Stammesgegensätze 18, 21, 26 f., 38, 108.

    Stammeskultur 23 ff., 108.

    Standesideal 70 f., 90.

    Standessonderung 43, 70, 76, 81, 91, 107, 116, 127.

    Steinbau 9 f., 12, 15, 20, 24, 44, 50, 53 f., 102, 124.

    Steuern 13, 99, 106, 116 ff.

    Straßen 13, 98, 120.


    Tanz 5 f., 35, 82, 93, 97, 122.

    Tapferkeit 28.

    Teppiche 50, 124.

    Theologie 103, 144 ff., 150 f., 157.

    Thüringer (Stamm) 18, 25, 108, 110.

    Tischsitten 122.

    Tracht 17, 25, 51, 82, 86, 92, 97, 128.

    Treue 38, 85, 105, 119.

    Trinkfreude 5, 17, 27, 31, 52, 90, 125 f.

    Tuchhandel 18, 26, 46, 100 f.

    Turnier 82, 84 f., 89, 92, 138.


    Unbändigkeit 5, 7, 27, 80, 104, 114, 122, 139.

    Unbildung 62, 97.

    Universitäten 144 ff., 148 ff.

    Unmäßigkeit 52, 97, 122, 126 f., 139.

    Unsicherheit 23, 28, 102, 107.

    Unvolkstümliche Strömungen 142 f., 148, 152, 157.

    Urkunden 61, 63, 111 f.


    Vaganten 129.

    Vasallität 38 f., 82.

    Verfassung 13, 39; s. auch Lehnswesen, Staat.

    Verfeinerung 42, 50 ff., 86 f.

    Verkehr 42, 46 ff., 106.

    Verwaltung 13, 42, 49, 99, 106, 116 ff., 143, 154.

    Verweltlichung der Kirche 63 f., 65, 79, 129 ff., 136, 155.

    Viehzucht 6, 24 ff., 45, 48.

    Völkerwanderung 3 f., 7, 11, 17, 23, 25.

    Volkslied 114, 141.

    Volksprediger 133 f., 136, 141.

    Volkstümlicher Geist 73, 76, 93, 114, 128 ff., 137 ff., 140 ff.,
        153 f.

    Volkstum und Kultur 1 f., 22, 34 f., 53, 69 f., 104, 111, 113, 148,
        157.


    Waffen, Bewaffnung 12, 17 f., 27, 46, 50, 82.

    Wandmalerei 53, 59, 88.

    Weberei 6, 18, 26, 45 f., 99.

    Wein 8, 12, 26, 52, 125.

    Weinbau 9 f., 12, 16 f., 24, 44 f., 52, 125.

    Weltfreudenideal 85, 90, 120, 123, 128, 137, 141, 154.

    Weltlichkeit 65, 69 f., 73, 77, 79, 90, 128 f.

    Weltverneinung 70 f.

    Wolle 6, 18, 45, 100 f.

    Wundersucht 29, 79, 132.


    Zauberei 7, 29 f., 132.

    Zinsbauern 16, 40 f., 45, 94 ff.

    Zölle, Zollwesen 13, 46 f., 98, 102, 115, 117.

    Zunft 99 f., 104, 114 f., 118 f., 128, 130, 134, 137.



Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig


Der deutsche Staat des Mittelalters

Ein Grundriß der deutschen Verfassungsgeschichte von Geheimrat
Professor ~Dr.~ _G. v. Below_

        2 Bände. 1. Band 407 Seiten. Gebunden M. 10.—
        2. Band in Vorbereitung.

Das vorliegende Werk, welches als eine Einführung in die Fragen der
deutschen Verfassungsgeschichte jeden Historiker in Anspruch nimmt,
wendet sich zugleich an die Nationalökonomen und Juristen, und von
diesen nicht bloß an die Rechtshistoriker, sondern nicht weniger
an die Vertreter eines systematischen Staatsrechts, für welches es
zweifellos wichtige Beobachtungen zur Verfügung stellt. Im Mittelpunkt
der Darstellung steht die so oft erörterte Frage, ob dem Mittelalter
ein öffentliches Recht bekannt gewesen sei, ob die ältere deutsche
Verfassung staatlichen Charakter gehabt habe. Sie wird zum erstenmal in
umfassender Weise, literargeschichtlich wie systematisch untersucht.
In erster Linie werden die Verhältnisse des Mittelalters behandelt,
aber die sachlichen Zusammenhänge nötigen den Verfasser, auf die
Verfassungsverhältnisse der Urzeit wie die der neueren Jahrhunderte
mit einzugehen. So bedeutet das Buch _einen Gang durch die deutsche
Verfassungsgeschichte_ mit einem bestimmten Zielpunkt.

Der vorliegende erste Band enthält die Literaturgeschichte des
Problems, einen knappen Überblick über die wirtschaftlichen Grundlagen
der mittelalterlichen Verfassung und die Darstellung eines Teils der
Reichsverfassung. Es sind eingehend behandelt das Reichsgebiet und
seine Teile, der Herrscher, der König und die Reichspersönlichkeit,
der Staatszweck. Die Erörterung der bedeutsamen Tatsache der
Durchbrechung des Reichsuntertanenverbandes gibt den Anlaß zu einer
großen Schilderung des Feudalismus und seiner Ursachen. Mit einer
zusammenfassenden Würdigung der Kaiserpolitik im Mittelalter schließt
dieser Band.


Deutsche Kaisergeschichte

im Zeitalter der Salier und Staufer

Von Prof. ~Dr.~ _K. Hampe_. 3. Aufl. 302 S. In Lbd. M. 4.40

»_Ein prächtiger, wohlgelungener Versuch_, ein Lern- und Lesebuch
für ein Vierteljahrtausend deutscher Geschichte zu schaffen. An
wissenschaftlichen zusammenfassenden Lehrbüchern der deutschen und
mittelalterlichen Geschichte herrscht wirklicher Mangel ... Aber zum
Lesen locken beide nicht allzuviel. Darauf soll programmäßig diese neue
Geschichtsbibliothek hinarbeiten, und _ein Muster_ ist nach dieser
Hinsicht Hampes Erstlingsband ... Seine Darstellung wirkt auch dort –
ich habe es an mir selbst erprobt –, wo der Fachmann alles zu kennen
glaubt: Tatsachen, Urteile und Probleme. So selbstverständlich im
Grunde die Disposition erschien, der Verfasser weiß auch hier wie bei
der Geschichte Friedrichs I. eigene Wege zu wandeln. Die Form seiner
knappen, quellenkundlichen Einleitungen der einzelnen Abschnitte wird
in ihrer Übersichtlichkeit den Examenskandidaten Freude machen ...
Es ist keine Phrase, wenn ich sage, ich erwarte mit großem Interesse
und mit einer gewissen Spannung von H. die fernere Darstellung des
ausgehenden Mittelalters.«

            H. Finke, Literarische Rundschau.


Deutsche Geschichte

vom westfälischen Frieden bis zum Untergang des römisch-deutschen
Reiches.

Von Prof. ~Dr.~ _O. Weber_. 212 S. In Leinenb. M. 3.40

»Diese _vorzügliche_ Arbeit schildert in anschaulicher _klarer_
Darstellung die Entwicklung der deutschen Geschichte in der
Zeit zwischen dem Ende des großen Krieges und der Auflösung des
römisch-deutschen Kaiserreiches. Dem Plan der Sammlung entsprechend
ist der politischen Geschichte ein überwiegender Platz eingeräumt,
doch zugleich der Versuch gemacht worden, auch der künstlerischen und
volkswirtschaftlichen Ausgestaltung des deutschen Volkes in dieser
Zeit gerecht zu werden ... Verfasser hat es _vorzüglich verstanden_,
bei einer kurz zusammengedrängten Darstellung die richtige Verteilung
einzuhalten und eine Scheidung von dem mehr oder minder Wichtigen
vorzunehmen ... Wir können W.s gehaltvolle Studie jedermann _auf das
angelegentlichste_ empfehlen.«

            Lit. Zentralbl. f. Deutschland.



Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig

    Geb. M. 1.80    Naturwissenschaftliche Bibliothek    Geb. M. 1.80
                    für Jugend und Volk

Herausgegeben von _Konrad Höller_ und ~Dr.~ _Georg Ulmer_

=Reich illustrierte= Bändchen im Umfange von _=140 bis 200 Seiten=_


=Der deutsche Wald.= Von Prof. ~Dr.~ _M. Buesgen_. 2. Aufl.

»Unter den zahlreichen, für ein größeres Publikum berechneten
botanischen Werken, die in jüngster Zeit erschienen sind, beansprucht
das vorliegende ganz besondere Beachtung. _Es ist ebenso interessant
wie belehrend._«

            Naturwissenschaftliche Rundschau.


=Die Heide.= Von _W. Wagner_.

»Alles in allem – _ein liebenswürdiges Büchlein_, daß wir in die
Schülerbibliotheken eingestellt wünschen möchten; denn es gehört zu
jenen, welche darnach angetan sind, unserer Jugend in _anregendster
Weise Belehrung_ zu schaffen.«

            Land- u. Forstwirtsch. Unterrichtszeitung.


=Im Hochgebirge.= Von Prof. _C. Keller_.

»Auf 141 Seiten entrollt der Verfasser ein so intimes, anschauliches
Bild des Tierlebens in den Hochalpen, daß man schier mehr Belehrung
_als aus dicken Wälzern_ geschöpft zu haben glaubt. Ein treffliches
Buch, das keiner ungelesen lassen sollte.«

            Deutsche Tageszeitung.


=Vulkan und Erdbeben.= Von Prof. ~Dr.~ _Brauns_.

Es ist erfreulich, daß hier eine erste Autorität des Faches ihre
Wissenschaft in den Dienst der Allgemeinheit gestellt hat. Der
behandelnde Stoff ist von allgemeinstem Interesse, besonders seit auch
bei uns in Deutschland wiederholt größere Erderschütterungen sich
einstellten und das Woher und Warum sich auf aller Lippen drängt.


=Aus Deutschlands Urgeschichte.= Von _G. Schwantes_. 2. Aufl.

»Eine _klare_ und _gemeinverständliche Arbeit_, erfreulich durch die
weise Beschränkung auf die gesicherten Ergebnisse der Wissenschaft;
erfreulich auch durch den lebenswarmen Ton.«

            Frankfurter Zeitung.


=Aus der Vorgeschichte der Pflanzenwelt.= Von ~Dr.~ _W. Gothan_.

Der Verfasser bespricht zunächst die geologischen Grundbegriffe,
geht dann auf die Art der Erhaltung der fossilen Pflanzenreihe ein
und schildert die Vorgeschichte der großen wichtigsten Gruppen des
Pflanzenreiches der Jetzt- und Vorzeit.


=Tiere der Vorzeit.= Von Rektor _E. Haase_.

Dies Buch bietet Schilderungen einer Reihe besonders interessanter
Vorwelttiere in Wort und Bild dar. Ohne sich auf trockene
Beschreibungen einzulassen, erzählt es vor allem von dem Leben
jener Tierwelt. Es ist nicht nur für die erste Einführung geeignet,
sondern wird auch solchen Lehrern, die sich schon mit dem Gegenstande
beschäftigt haben, eine Fülle neuer Anregungen bieten.


=Die Tiere des Waldes.= Von Forstmeister _K. Sellheim_.

»Die Sehnsucht nach dem Walde ist dem Deutschen eingeboren ... Aber wie
wenig wird er dabei das Tierleben gewahr, das ihn da umgibt. Da wird
dieses Buch _ein willkommener Führer und Anleiter_ sein.«

            Deutsche Lehrerzeitung.


=Unsere Singvögel.= Von Professor ~Dr.~ _A. Voigt_.

»Mit nicht geringen Erwartungen gingen wir an Professor Voigts neuestes
Buch. Aber als wir nur wenige Abschnitte gelesen, da konnten wir mit
Freude feststellen, _daß diesmal der Meister sich selbst übertroffen_.«

            Nationalzeitung.


=Das Süßwasser-Aquarium.= Von _C. Heller_. 2. Aufl.

»Dieses Buch ist nicht nur _ein unentbehrlicher Ratgeber_ für jeden
Aquarienfreund, sondern es macht vor allen Dingen seinen Leser mit den
interessantesten Vorgängen aus dem Leben im Wasser bekannt ...«

            Bayersche Lehrerzeitung.


=Reptilien- und Amphibienpflege.= Von ~Dr.~ _P. Krefft_.

»Die einheimischen, für den Anfänger zunächst in Betracht kommenden
Arten sind _vorzüglich geschildert_ in bezug auf Lebensgewohnheiten und
Pflegebedürfnisse – die fremdländischen Terrarientiere nehmen einen
sehr breiten Raum ein.«

            O. Kr. Pädagogische Reform.


=Bienen und Wespen.= Von _Ed. Scholz_.

»Das Interesse der Naturfreunde wendet sich meist den farbenprächtigen
Schmetterlingen und Käfern zu. Darum freut es um so mehr, daß ein
gründlicher Kenner einmal die Ergebnisse jahrelanger Beobachtung der
Stechimmen in einem so volkstümlich geschriebenen Buche niederlegt«.

            Landwirtschaftl. Umschau.


=Die Ameisen.= Von _H. Viehmeyer_.

»Viehmeyer ist allen Ameisenfreunden als _bester Kenner_ bekannt. Von
seinen Bildern kann man sagen, daß sie vom ersten bis zum letzten Wort
der _Natur geradezu abgeschrieben sind_.«

            Thüringer Schulblatt.


=Die Schmarotzer der Menschen und Tiere.= Von ~Dr.~ _v. Linstow_.

»Es ist eine unappetitliche Gesellschaft, die hier in Wort und Bild vor
dem Leser aufmarschiert. Aber gerade jene Parasiten ... verdienen von
ihm nach Form und Wesen gekannt zu sein, weil damit der erste wirksame
Schritt zu ihrer Bekämpfung eingeleitet ist.«

            K. Süddeutsche Apotheker-Zeitung.


=Die mikroskopische Kleinwelt unserer Gewässer.= Von _E. Reukauf_.

»Nur wenige haben eine Ahnung von dem ungeheuren Formenreichtum und
eine auch nur annähernd richtige Vorstellung von dem Wesen jener
Mikroorganismen, die unsere Gewässer bevölkern. Als ein Schlüssel
hierzu wird das vorliegende Bändchen _vorzüglich geeignet_ sein.«

            Deutsche Zeitung.


=Unsere Wasserinsekten.= Von ~Dr.~ _G. Ulmer_.

Für Freunde des Wassers, für Liebhaber von Aquarien ist dies Buch
geschrieben. Es bietet eine _Fülle von Anregungen_ und wird den Leser
veranlassen, selbst hinauszuziehen in die Natur, sie mit eigenen Augen
zu betrachten.


=Aus Seen und Bächen.= Von ~Dr.~ _G. Ulmer_.

Zusammen mit Ulmers Wasserinsekten bildet die Schrift ein kleines
Lehrbuch der Hydrobiologie. Der erste Teil bringt in reichillustrierten
Einzeldarstellungen das niedere Tierleben unserer Binnengewässer zur
Anschauung. Der zweite Teil handelt von dem Tierleben der einzelnen
Gewässerformen, mit besonderer eingehender Berücksichtigung des
Plankton.


=Wie ernährt sich die Pflanze?= Naturbeobachtungen draußen und im
Hause. Von _O. Krieger_.

Entgegen dem alten Brauche, den Tätigkeitstrieb der Jugend in die
Bahnen des Naturaliensammelns zu lenken, will dies Buch den Leser zu
einer selbsttätigen Beschäftigung mit der Natur anleiten. Durch Wald
und Feld, durch Wiese und Garten wird er geführt, um Beobachtungen zu
sammeln und mittels einfacher Vorrichtungen Versuche anzustellen.


=Niedere Pflanzen.= Von Prof. ~Dr.~ _R. Timm_.

»In dieser Weise führt das kleine Büchlein den Leser in die _gesamte
Welt_ der so mannigfachen Kryptogamen ein und lehrt ihn, sie
verständnisvoll zu beobachten.«

            Naturwissenschaftliche Rundschau.


=Häusliche Blumenpflege.= Von _Paul F. F. Schulz_.

»Der Stoff ist mit großer _Übersichtlichkeit_ gruppiert, und der
Text ist so _faßlich_ und _klar_ gehalten, außerdem durch eine Fülle
von Illustrationen unterstützt, daß auch der Laie sich mühelos
zurechtfinden kann ... Dem Verfasser gebührt für seine reiche, anmutige
Gabe Dank.«

            Pädagogische Studien.


=Der deutsche Obstbau.= Von _F. Meyer_.

»Der Obstbau ist ein Zweig der Bodenkultur, der heute mit besonderer
Energie gefördert wird. Dieses Buch möchte weiteren Kreisen einen
Einblick geben in die Betriebsweise des gegenwärtigen deutschen
Obstbaues, es will insbesondere auch dem Besitzer des kleinen Gartens
ein Ratgeber und Wegweiser sein.«


=Chemisches Experimentierbuch.= Von _O. Hahn_.

Das Buch will jedem, der Lust zum chemischen Experimentieren hat, mit
einfachen Apparaten und geringen Mitteln eine Anleitung sein, für sich
selbst im Hause die richtigsten Experimente auszuführen.


=Die Photographie.= Von _W. Zimmermann_.

»Das Buch behandelt die theoretischen und praktischen Grundlagen der
Photographie und bildet ein _Lehrbuch bester Art_. Durch die populäre
Fassung eignet es sich ganz besonders für den Anfänger.«

            »Apollo«, Zentralorgan f. Amateur- u. Fachphotogr.


=Beleuchtung und Heizung.= Von _J. F. Herding_.

»Ich möchte gerade diesem Buche seiner _praktischen, ökonomischen
Bedeutung_ wegen, eine weite Verbreitung wünschen. Hier liegt, vor
allem im Kleinbetrieb, noch vieles sehr im argen.«

            Frankf. Zeitung.


=Kraftmaschinen.= Von Ingenieur _Charles Schütze_.

»Schützes Kraftmaschinen sollten deshalb in _keiner Schülerbibliothek_,
weder an höheren noch an Volksschulen, _fehlen_. Das Büchlein gibt aber
auch dem Lehrer Gelegenheit, seine technischen Kenntnisse schnell und
leicht zu erweitern.«

            Monatsschrift für höhere Schulen.


=Signale in Krieg und Frieden.= Von ~Dr.~ _Fritz Ulmer_.

»Ein interessantes Büchlein, welches vor uns liegt. Es behandelt das
Signalwesen von den ersten Anfängen im Altertume und den Naturvölkern
bis zur jetzigen Vollkommenheit im Land- und Seeverkehr.«

            Deutsche Lehrerzeitung.


=Seelotsen-, Leucht- und Rettungswesen.= Ein Beitrag zur Charakteristik
d. Nordsee u. Niederelbe. Von ~Dr.~ _F. Dannmeyer_.

»Mit über 100 guten Bildern interessantester Art, mit Zeichnungen
und zwei Karten versehen, führt das Buch uns _das Schiffahrtsleben_
in anschaulicher, fesselnder Form vor Augen, wie es sich täglich an
unseren Flußmündungen abspielt.«

            Allgemeine Schiffahrts-Zeitung.


=Naturgeschichte einer Kerze.= Von _M. Faraday_. 5. Aufl. Mit einem
Lebensabriß Faradays. Herausgeg. v. Prof. ~Dr.~ R. Meyer. 202 S. mit
zahlr. Abbildg. In Leinenbd. M. 2.50.

»Im übrigen ist ›die Naturgeschichte einer Kerze‹ geradezu zu _einem
klassischen Buche für die Jugend_ geworden, in dem der Verfasser an
einem begrenzten Stoffe in lebendig wirkender, anregender Darstellung
fast alle im Weltall wirkenden Gesetze behandelt und die Leser in das
Studium der Natur einführt.«

            Zeitschrift für lateinlose höhere Schulen.


Verlagskataloge, Verzeichnisse der Sammlungen

Wissenschaft und Bildung / Naturwissenschaftliche Bibliothek

versendet unentgeltlich und portofrei der Verlag

Quelle & Meyer in Leipzig, Kreuzstraße 14



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Die erste Katalogseite der »Naturwissenschaftlichen Bibliothek«
    wurde nach hinten zum restlichen Katalog verschoben.

    Korrekturen:

    S. 147: Baco → Bacon
      mit dem des Roger {Bacon}




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