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Title: Über allgemeine Landesbewaffnung - insbesondere in Beziehung auf Württemberg
Author: Prittwitz, Moritz von
Language: German
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                                 Über
                              allgemeine
                           Landesbewaffnung,

                            insbesondere in
                      Beziehung auf Württemberg,

                                  von

                         Moritz v. Prittwitz,

          Oberstlieutenant im K. preußischen Ingenieur-Corps
      und K. württembergischer Baudirektor der Bundesfestung Ulm.


                              Ulm. 1848.

        Geislingen, gedruckt in der M. Ils’schen Buchdruckerei.

      In Commission in der Stettin’schen Sortiments-Buchhandlung
                                in Ulm.



Dieser Aufsatz wurde bereits vor mehreren Jahren geschrieben. Die
Cottasche Vierteljahrschrift wollte ihn nur mit mehreren Veränderungen
aufnehmen. So blieb er bis zum Herbste 1847 liegen, wo er in der
vorliegenden Form mehreren hochstehenden Personen vorgelegt wurde. Ein
unveränderter Abdruck desselben in jetziger Zeit dürfte vielleicht durch
die neuesten Ereignisse und die dadurch herbeigeführten Debatten über
denselben Gegenstand gerechtfertigt sein.

Ulm im August 1848.



Bei der jetzt in mehreren deutschen Staaten zur Sprache gekommenen
Frage, in wie weit das Preußische Militairsystem angemessen in denselben
Anwendung finden könne, wird es vielleicht zeitgemäß seyn, mit einigen
Worten auf das Wesentliche dieses Systems aufmerksam zu machen, indem
darüber noch mancherlei irrige Meinungen herrschen, auch oft
unwesentliche Theile desselben für wesentliche angesehen werden.

Man muß darin nemlich zwei ganz von einander verschiedene und ganz
unabhängige Grundzüge sondern:

a) _die allgemeine und persönliche Militairpflicht_ für alle Klassen der
Unterthanen des preußischen Staats (mit alleiniger Ausnahme der
Standesherrn und Mennoniten) der zu Folge Niemand sich durch einen
Remplaçant oder Einsteher ersetzen lassen kann, und

b) _das Landwehrsystem_, nach welchem die Mannschaften, welche bei der
Linie ausgedient haben, noch eine Zeitlang zum Landwehr-Dienst _in
eigenen Landwehrregimentern_ verpflichtet sind.

Von diesen beiden Einrichtungen ist die erste eine _wesentliche_,
während das Landwehrsystem mehr auf einer bloßen Form beruht, ein
Umstand, der sehr häufig verkannt wird.

Es muß hier als bekannt vorausgesetzt werden, und bedarf keiner weiteren
Geschichtserzählung, wie in Preußen, in Folge des Tilsiter-Friedens,
unter dem Namen, »_Krümper_«, eine Menge Leute ausexerzirt, in ihre
Heimath zurückgeschickt, durch neue ersetzt, und somit ohne Vermehrung
des stehenden Heeres, die Bildung der aus diesen Krümpern im Jahre 1813
neu errichteten Reserveregimenter vorbereitet, und als deren Zahl sich
noch als unzureichend zeigte, eine Anzahl Landwehrregimenter aus
gänzlich rohen und unexerzirten Mannschaften gebildet wurde, die
manchmal in’s Gefecht kamen, ohne vorher je zur Übung einen scharfen
Schuß gethan zu haben. Es genügt, hier zu erwähnen, daß durch die
Gesetze vom 17. Juli 1813, – 3. Septbr. 1814 und 21. Novbr. 1815 die
Verpflichtung jedes Preußischen Unterthanen ausgesprochen wurde,
persönlich und ohne Stellvertretung drei oder 1 Jahr in’s stehende Heer
einzutreten; dann 2 Jahre als Kriegsreservist oder Beurlaubter jederzeit
zum Wiedereintritt bereit zu seyn; demnächst während mehrerer Jahre in
der Landwehr zu dienen, die jedoch im Frieden jährlich nur 2 Wochen in
größeren Abtheilungen und ausserdem an mehreren Sonntagen des Jahres in
kleineren Abtheilungen zusammentritt; endlich im Fall des Kriegs vom 33.
bis 39. Jahre in die Landwehr 2ten Aufgebots, und demnächst sogar
nöthigenfalls auch im Landsturm zur Vertheidigung des Vaterlandes
mitzuwirken. Von dieser Verpflichtung entbindet nur körperliche
Untüchtigkeit. Ausserdem finden noch einige Erleichterungen statt, von
denen folgende die wichtigsten sind:

Wer sich freiwillig zum Dienst meldet, kann sich selbst die
Waffengattung und den Truppentheil wählen. Ausserdem können Freiwillige,
durch Dienstleistung während eines Jahres, ihrer Dienstpflicht im
stehenden Heere genügen, wenn sie einen bestimmten höhern Bildungsgrad
nachweisen (namentlich also Studirende) und sich selbst equipiren und
verpflegen.

Da ausserdem eine größere Zahl von dienstfähigen jungen Leuten vorhanden
ist, als eingestellt werden können: so finden auf besondere Verwendung
der Lokalbehörden, in dringenden Fällen, einzelne Zurückstellungen
statt, und unter den übrigen entscheidet das Loos. _Die Stellung eines
Ersatzmannes ist aber unter keinen Umständen zuläßig._

Um jedoch die wegen Überzahl nicht in der Linie anzustellenden
Mannschaften wenigstens einigermaßen auszubilden, bestand eine Zeitlang
die Einrichtung, daß dieselben nur 6 Wochen bei den Fahnen blieben und
dann zur Landwehr übertraten. Später ist jedoch hierin dadurch eine
Abänderung getroffen worden, daß die wirkliche Dienstzeit bei der
Infanterie auf 2 bis 1½ Jahr verkürzt wurde, wodurch es nunmehr möglich
ist, viel mehr Mannschaften auszubilden. Dem ungeachtet werden von etwa
90,000 Mann dienstfähigen jungen Leuten jährlich nur etwa 35,000
eingestellt und die übrigen sind frei vom Linien- und Landwehrdienst und
sollen im Kriege als Rekruten in die Ersatzbataillone eintreten.[1]
Hiernach verdient das Preußische Landwehrsystem eigentlich den Namen
»Volksbewaffnung« nur darum, weil die Verpflichtung zum Kriegsdienst
allgemein ist und nicht auf einen anderen übertragen werden kann. Diese
Verpflichtung wird aber jetzt schon so gern getragen, namentlich von den
jungen Leuten aus den gebildeten Klassen, daß diese meist vorziehen,
freiwillig sich einen Truppentheil zu wählen, als den Versuch zu machen,
sich durch das Loos vom Militair-Dienst befreit zu sehen.

  [1] Vrgl. ausführlicher hierüber die neueste Denkschrift des
  General v. _Müffling_: »Die Vermehrung der Wehrhaftigkeit des
  Volks betreffend.«

Das Vorstehende ergiebt, daß in Preußen die Linienregimenter eigentlich
nur die Schule sind, durch welche die Militairpflichtigen durchgehen, um
demnächst in die Landwehr, als dem eigentlichen Kern der Armee
einzutreten, und daß mithin die jetzige preußische Landwehr von der
Landwehr des Jahres 1813 ganz verschieden ist.

Als zuerst durch die vorgedachten Gesetze die Dienstzeit im stehenden
Heere auf 3 Jahre festgesetzt wurde, fand dies vielen Widerspruch. Eine
Menge, namentlich der ältern Militairs, an die frühere lange Dienstzeit
gewöhnt, erklärten es für unmöglich, in so kurzer Zeit einen tüchtigen
Soldaten auszubilden. Mit Recht wurde ihnen entgegnet, daß die
preußischen Reserveregimenter und Landwehren vom Jahre 1813, bei Weitem
nicht einmal eine so lange Vorbildung erhalten hatten; ferner daß in
allen Kriegen der neuern Zeit die nachgesandten Ersatzmannschaften wohl
niemals so lange vorher ausgebildet waren, vielmehr diese Kriege
größtentheils mit Soldaten geführt wurden, die, als sie zum erstenmal
in’s Feuer kamen, in der Regel nur erst nothdürftig ausgebildete
Rekruten waren; endlich daß der Friedensdienst niemals einen
kriegserfahrenen Soldaten bilde, möge er auch noch so lange dauern. Auch
hat seitdem dies Vorurtheil viele von seinen Anhängern verloren; selbst
in der russischen und östreichischen Armee fängt man an, davon
zurückzukommen; in der Preußischen hat, wie erwähnt, seitdem die
Dienstzeit bei der Infanterie bereits eine weitere Ermäßigung erfahren,
und in der Württembergischen Armee besteht schon seit längerer Zeit die
Einrichtung, daß die Rekruten, die nicht Schützen werden sollen, nachdem
sie 6 Monate bei den Fahnen gewesen sind, wieder entlassen und dann nur
noch wieder auf kurzen Zeitraum einberufen werden, so daß die wirkliche
Dienstzeit derselben, auf 10-12 Monat anzunehmen ist. Indessen wird
überall die Nothwendigkeit anerkannt, bei einer solchen kurzen
Dienstzeit der Mehrzahl, einen Stamm oder Cadre von länger gedienten
Soldaten bei den Fahnen zu behalten, zu denen namentlich auch die
Unteroffiziere zu rechnen sind. In der preußischen Armee hat man dies
dadurch zu erreichen gesucht, daß diejenigen, welche auf eine weitere
Dienstzeit im stehenden Heere freiwillig eine Kapitulation eingehen,
eine Zulage erhalten, und ausserdem alle Unterbeamtenstellen im Lande,
ebenso die Gensdarmerie- und Grenzaufseherposten _nur_ mit solchen
Capitulanten und Unteroffizieren besetzt werden. In den ärmern Provinzen
des Preußischen Staats genügt diese Maasregel; ja es giebt Regimenter,
wo die Zahl der Kapitulanten hat beschränkt werden müssen, um nicht den
Zweck: möglichst viel Mannschaften für die Landwehr auszubilden, zu
verfehlen; in anderen Provinzen dagegen ist der Mangel an Kapitulanten
sowohl, als an Unteroffizieren sehr fühlbar.

Auch geht die Meinung mancher ausgezeichneten Militairs dahin,
(namentlich ist darüber von einem erlauchten General, Fürst W.
_Radziwill_, ein interessantes Memoir bearbeitet und den höchsten
Stellen vorgelegt worden): daß die Zahl dieser Stammmannschaften noch
überhaupt zu gering sey; daß sie verstärkt werden müsse, und daß
dagegen, um die Kosten nicht zu vermehren, die _gewöhnliche_ Dienstzeit
in der Linie vermindert werden könne, was noch ausserdem den Vortheil
hätte, daß desto mehr Mannschaften für die Landwehr ausgebildet werden
würden, und desto weniger vom Militairdienst im Frieden befreit blieben.
Es ist nicht zu läugnen, daß in dieser Beziehung das preußische
Militairsystem noch einer großen Verbesserung bedarf, da es trotz seiner
bedeutenden Kosten, wie wir oben schon gesehen haben, noch so
unvollständig die Idee einer allgemeinen Volksbewaffnung realisirt. Es
scheint, daß dies am Einfachsten geschehen könnte:

1) Wenn die Bedingungen, unter denen jetzt der Eintritt als 1 jähriger
Freiwilliger gestattet ist, bedeutend erweitert würden, um auf diese
Weise eine viel größere Zahl der Wohlhabenderen, ohne Kosten für den
Staatsschatz auszubilden. Auch ist bereits wirklich in diesem Sinne von
den preußischen Provinzialständen ein Antrag gemacht worden.

2) Wenn die Handhabung der Waffen zu einem Gegenstand des
Schulunterrichts und der Jugendbildung gemacht würde, wie es bereits in
den Militairschulen geschieht, indem dadurch die Möglichkeit gegeben
wäre, die Dienstzeit in der Linie bedeutend abzukürzen, ohne die
militairische Ausbildung zu beeinträchtigen. Dieser Punkt wird weiter
unten noch einmal berührt werden.

In anderen Armeen, namentlich in der Württembergischen, wird der Stamm
von Leuten mit längerer Dienstzeit dadurch gebildet, daß der
intelligentere Theil der eingezogenen Mannschaften länger (und zwar in
Württemberg etwa 1½ Jahre als Schützen) bei den Fahnen bleiben muß, und
daß als Remplaçants, Ersatzmänner oder Einsteher für diejenigen, welche
ihre Dienstpflicht nicht selbst ableisten wollen, so viel als möglich
nur solche Leute angenommen werden, welche bereits früher ihrer
Dienstpflicht genügt haben und als Soldaten ausgebildet sind. Und da
hier die Unteroffiziere bei Weitem nicht so sehr, wie im Preußischen,
durch die Aussicht auf Civilanstellung zum Weiterdienen als
Unteroffiziere vermocht werden: so giebt nur die Gelegenheit, als
Einsteher von neuem gegen ein kleines Kapital für einen anderen
einzutreten, Veranlassung, daß viele Unteroffiziere als Einsteher
fortdienen, wodurch allein es möglich wird, eine genügende Zahl von
Unteroffizieren mit längerer Dienstzeit zu erhalten. Dieser Umstand
wird in Württemberg vorzugsweise als Rechtfertigungsgrund für das
Einstehersystem angegeben.

Allein, man sieht sogleich, daß dies nur eine einfache Geldfrage ist:
denn wenn man den Capitulanten eine Zulage und andere Vortheile
zuwendete, wie in Preußen (da in Württemberg erst nach einer 20 jährigen
Dienstzeit eine tägliche Zulage von 4 kr. gewährt wird), warum sollte
man denn nicht auch eine genügende Zahl von Unteroffizieren erhalten?
und dies würde um so mehr der Fall seyn, wenn nach Beseitigung jedes
Remplaçements, auch die Gebildeteren und Reicheren bei den Fahnen
eintreten müßten, und dadurch nicht blos eine größere Zahl von zu
Unteroffizieren Qualifizirten vorhanden wäre, sondern auch für diese
keine solche Veranlassung mehr vorläge, sich dem Dienst zu entziehen,
wie jetzt, wo jeder wohlhabende Kaufmannssohn, jeder Sohn eines höheren
Beamten, ja jeder wohlhabende Bürgers- und Bauernsohn, es für
unanständig hält, persönlich zu dienen, diese Last vielmehr durch den
für ihn vielleicht unbedeutenden Aufwand von einigen hundert Gulden los
zu werden sich beeilt; ja, wo _förmliche Assekuranzen bestehen, um sich
gegen das Unglück des Soldatenwerdens, wie gegen eine Landes-Calamität,
durch Geldbeiträge zu schützen!_

Welchen nachtheiligen Einfluß dieses Einsteher-System auf den Geist der
Armee, auf die Stellung derselben, dem ganzen Volke gegenüber, und auf
die Achtung, welche jene bei diesem genießt, haben muß, ist einleuchtend
und wird namentlich _dem_ in einer Menge kleiner Züge fühlbar, der
Gelegenheit hat, im Detail die Dienstverhältnisse in zwei Armeen kennen
zu lernen, von denen die eine das Remplaçement gestattet, die andere
nicht.

Das preußische Militair ist in dieser Beziehung im entschiedenen
Vortheil gegen alle andere Armeen. Während in der preußischen Armee es
dem aus den niederen Ständen hervorgegangenen Soldaten ein erhebendes
Gefühl ist, in Reihe und Glied dem Reichsten und Vornehmsten gleich zu
stehen, und dies ihn nothwendig stolz auf seinen Stand macht; während
dort in Folge dessen die Überzeugung von der Nothwendigkeit der
allgemeinen Militairverpflichtung so sehr alle Klassen durchdrungen hat,
daß jetzt schon die höhern Stände eine Ehre dareinsetzen, Soldat zu
seyn, und eine Stelle in der bewaffneten Macht zu bekleiden, und dadurch
zugleich den Vortheil zu genießen, den wirklichen Soldaten gegenüber
einen militärischen Rang zu haben, und als Landwehroffiziere die Rechte
und Annehmlichkeiten des Offizierstandes zu theilen: – nimmt dagegen
diejenige Armee, wo Ersatzmänner zuläßig sind, unvermeidlich mehr oder
weniger den Charakter einer geworbenen Armee an; alle Gebildeten, alle
Wohlhabenden ziehen sich von derselben zurück; es ist keine Ehre,
sondern _nur_ eine Last, eine Calamität, Soldat werden zu müssen; der
militärische Geist dringt nicht in die Massen der Bevölkerung ein; jeder
Spießbürger, der einen Ersatzmann stellen kann, hält sich für besser,
als den Soldaten, und hütet sich wohl, sein Muttersöhnchen in einen
Stand eintreten zu lassen, den er nur als ein nothwendiges Übel ansieht,
oder sucht durch alle Mittel und Verwendungen seinen Sohn dem
Militair-Dienst zu entziehen, und wenn dies nicht gelingt, ihm
wenigstens bald Urlaub auszuwirken, und allgemein spricht sich bei jeder
Veranlassung diese Antipathie oder wenigstens der Gegensatz zwischen
Armee und Bürgerstand aus, so daß auch das geachtetste und tapferste
Offizierscorps immer mehr oder weniger mit, unter dieser ungünstigen
Stellung der Armee zur Nation leiden muß!

Es wäre wahrlich nicht schwer, schon aus den Kammerverhandlungen der
meisten deutschen Staaten und namentlich auch den württembergischen
Kammerverhandlungen, Belege genug für die vorstehenden Behauptungen
aufzufinden, während auf dem letzten preußischen Landtage auch nicht
eine Stimme gegen das Militair-Budget aufgetreten ist, die Armee
vielmehr eine Menge eifriger Vertheidiger auf demselben gefunden hat.

Noch mehr wird und muß aber diese Verschiedenheit bei ausbrechendem
Kriege hervortreten; denn während in diesem Fall, bei einer Armee, wo
das Remplaçement statt findet, die reicheren und intelligenteren Klassen
der Gesellschaft sich nach Möglichkeit dem Dienste zu entziehen suchen,
oder, wenn sie dennoch dazu gezwungen werden, dann eine sehr traurige
Stelle darin spielen, stellt sich in Preußen bei ausbrechendem Kriege,
sogleich der ganze begüterte, einflußreiche und intelligente Theil der
Nation an die Spitze der Armee, und es kann deshalb mit Gewißheit
vorausgesetzt werden, daß, sollte Preußen noch jemals in den Fall
kommen, seine Nationalkraft gegen einen auswärtigen Feind zu entwickeln,
dies auf eine noch viel glänzendere Weise als im Jahre 1813 geschehen
werde, wo Alles improvisirt werden mußte, während jetzt Alles dazu
vorbereitet und vollständig organisirt ist, und während jetzt namentlich
die Landwehr aus lauter ausgewachsenen und ausgebildeten Soldaten
besteht, so daß sie jetzt unstreitig als der Kern der Armee anzusehen
ist. Was man auch auf Rechnung des Rausches der Begeisterung im Jahre
1813 schreiben möge – abgesehen davon, daß diese Begeisterung auch in
einem anderen Falle der Art nicht ausbleiben würde, wofür die
ungeschwächte Lebhaftigkeit bürgt, mit welcher noch alle Jahre die
Erinnerung an die Zeit von 1813-1815 erneut wird: – so ist der
militairische Geist bereits jetzt in Preußen so allgemein in die ganze
Nation, trotz aller provinciellen Verschiedenheiten, von der Saar bis
zum Pregel, von der Ostsee bis zu den Karpathen eingedrungen, daß ein
anderes Militairsystem als das jetzige in diesem Staat gar nicht mehr
möglich und denkbar ist, und daß sogar Verbesserungen desselben, die
wohl möglich und auch in Vorschlag gekommen, ja ohne Zweifel, wie oben
bereits angedeutet wurde, sehr wünschenswerth und dringend sind, überall
mit der größten Ungunst ausgenommen werden, wie dies namentlich auch
wirklich schon jedesmal geschehen ist, wo von einer veränderten
Organisation der Landwehr die Rede war.

Und dies führt uns unmittelbar auf den zweiten Punkt, nemlich auf eine
Prüfung des Wesentlichen in dem Preußischen _Landwehrsystem_.

Die Entstehung der preußischen Landwehr ist schon oben kurz angedeutet
worden. Es ist aber schon oft zur Sprache gekommen, ob eine andere
Organisation derselben, namentlich eine engere Verschmelzung mit der
Linie, so daß die Landwehrmänner, die Kriegsaugmentation oder Reserve
der Letztern bildeten, nicht angemessener und wohlfeiler wäre. Es ist
hier nicht der Ort, die Gründe dafür und dagegen zu entwickeln, um so
mehr, da hierbei sehr Vieles auf individuelle Ansichten ankommen möchte:
so viel ist aber gewiß, daß die Idee der allgemeinen Volksbewaffnung,
wie sie dem preußischen Militairsystem zu Grunde liegt, sehr wohl
verwirklicht werden kann, ohne gerade das preußische Landwehrsystem
nachzuahmen, welches gewiß noch gar mancher Verbesserungen fähig ist; –
und daß es hiernach eine Thorheit wäre, bei einer Armee, deren
Einrichtung sich mehr für eine andere Form der Volksbewaffnung eignet,
gerade jenes System annehmen zu wollen, in so ferne nur die
Hauptgrundsätze festgehalten werden:

a) daß jeder persönlich zum Kriegsdienst verpflichtet ist, ohne einen
Ersatzmann stellen zu dürfen;

b) daß so viel junge Leute wie möglich in der Linie zum Waffendienst
ausgebildet werden;

c) daß die ausgebildeten und aus der Linie entlassenen Mannschaften in
einem schon _vorher_ im Frieden _vollständig_ organisirten
Militairverbande bleiben, da der Feind in den meisten Fällen nicht
hinreichende Zeit lassen wird, diesen Verband erst bei eintretender
Gefahr neu in’s Leben zu rufen; und daß

d) ebenso auch diese Kriegsreserve alle Jahre, oder alle 2 Jahre
wenigstens, eine kurze Zeit hindurch (14 Tage dürften dazu vollkommen
genügen) in jenem förmlichen Militair-Verbande zusammen gestellt und in
den Waffen geübt werde.

Der von Mehreren aufgestellten Ansicht, im Falle der Noth werde sich
ebenso wie in Preußen 1813 die Landwehr von selbst bilden, und es seien
daher keine solche Opfer für dieselbe während des Friedens nothwendig,
muß entschieden entgegen getreten werden. Hätte Preußen schon 1813 seine
jetzige Landwehr gehabt, dann hätte es nicht mehrere Monate zu seinen
Formationen gebraucht; der Feldzug konnte 3 Monate früher am Rhein,
statt an der Elbe eröffnet und alle die Schlachten des Jahres 1813
durften nicht geschlagen werden, um nur erst bis an den Rhein
vorzudringen. Wer hieran noch zweifeln kann, lese und studiere die
Beiträge zur Geschichte des Jahres 1813 von einem höheren Offizier der
preußischen Armee! –

Alle Zwecke der Landwehr könnten z. B. in einer Armee, wie die
Württembergische, auf folgende einfache Weise ohne wesentliche
Mehrkosten erreicht werden, wenn (wie hier übrigens nur ganz beiläufig
und beispielsweise angedeutet wird) –

a) Die erste Dienstzeit für den größten Theil der Mannschaft wie bisher
auf 6 Monate beschränkt bliebe, und sie nur später wieder auf kurze Zeit
einigemal einberufen würde, um in der Übung zu bleiben;

b) den jungen Leuten aus den wohlhabenderen Ständen gestattet würde,
ihrer Dienstpflicht durch eine kürzere Dienstzeit als Freiwillige bei
einem von ihnen selbst zu wählenden Truppentheile zu genügen, insofern
sie

  aa) sich selbst equipirten, besoldeten und verpflegten,

  bb) einen gewißen Grad von höherer Schulbildung und

  cc) ebenso bereits eine genügende militairische Vorbildung (z. B.
      durch Privatunterricht im Exercitium) nachwiesen, wofür ihnen
      dann auch wie in Preußen vorzugsweiße die Aussicht eröffnet werden
      müßte, zu Unteroffizieren oder Offizieren in der Kriegsreserve
      oder Landwehr befördert zu werden.

c) Bei den jährlichen oder zweijährlichen Übungen der Kriegsreserve, die
Linientruppen die Cadres bildeten, so daß z. B. aus je 2 Compagnien oder
jeder Compagnie der Linie ein Kriegs-Bataillon gebildet oder die
Kopfzahl der Compagnien auf dem Friedensfuß, für den Kriegs- oder
Übungsfuß verdoppelt würde.

d) Endlich die erforderliche Zahl der Offiziere für die Übungszeit durch
Beiziehung der Offiziere der Kriegsreserve oder Landwehr vervollständigt
würde, die dann auf ganz gleichem Fuß mit den Linienoffizieren und mit
diesen untermischt, den Dienst thun müßten (wie dies in Preußen
allgemein mit dem besten Erfolg bei den Landwehrübungen statt findet).

Auf diese Weise würden die Wohlhabendern, die sich jetzt durch Stellung
eines Einstehers loskaufen, durch den unentgeldlichen Dienst als
Freiwillige dasselbe pekuniäre Opfer, nur unter einer andern Form
bringen, und dabei nicht dem Militairdienst entzogen werden; und bei
möglichster Begünstigung der Freiwilligen auf kürzere Dienstzeit ist es
wohl denkbar, daß auf diese Weise die Zahl derselben sich so mehrte, um
so viele Ersparnisse dadurch zu erlangen, daß daraus, unter Beseitigung
des ganzen Einsteherwesens, eine genügende Zahl von altgedienten
Unteroffizieren durch Gewährung hinreichender Zulagen gewonnen werden
könnte, indem denselben zugleich noch besondere Aussichten auf
Beförderungen im Civil, und in der Kriegsreserve oder Landwehr eröffnet
werden müßten.

Diese Unteroffiziere würden wahrscheinlich besser seyn, als die jetzigen
Einsteher, die darin nichts weiter als einen Erwerbs-Zweig sehen, und
nicht einmal durch die Aussicht auf künftige Beförderung und Anstellung,
wie in Preußen, einen Sporn finden, sich ihres Standes besonders würdig
zu zeigen, eben so wie auch selbst in Preußen die gewöhnlichen
Capitulanten, welche nicht zu Unteroffizieren qualificirt sind,
keineswegs als derjenige Theil der Armee angesehen werden können, in
denen der beste militairische Geist herrscht. Was die Anstellung der
länger (nemlich 12 Jahr) gedient habenden Unteroffiziere in Civilstellen
betrifft: so sind in Preußen alle Civilbehörden gern geneigt, die
Unterbeamtenstellen mit solchen Unteroffizieren zu besetzen, weil diese
Leute meist an eine viel strengere Ordnung gewöhnt sind, als junge
Leute, die, wie in Württemberg, ihre Carriere blos »als Schreiber«
machen.

Was die Möglichkeit anbelangt, bei so kurzer Dienstzeit die Mannschaften
genügend auszubilden: so ist schon oben auf die geringe Vorbildung
hingewiesen worden, mit der bisher fast in allen größeren Kriegen, die
nachrückenden Ersatzmannschaften zu der Armee gestoßen sind, wie nicht
minder auch das Beispiel der Römer hierbei geltend gemacht werden kann,
bei denen die Handhabung der Waffen ohnstreitig viel schwieriger war,
als bei uns, ohne daß man etwas von Ausexerzieren und Exerzierzeit bei
den alten Schriftstellern fände, ohnstreitig deswegen, weil die
Handhabung der Waffen schon einen integrirenden Theil der Volkserziehung
bildete, – eine Einrichtung, die gewiß auch in unsern europäischen
Staaten zum großen Vortheil der Budgets der Kriegsministerien sich
realisiren ließe, und noch realisiren wird, namentlich wenn, wie vorhin
angedeutet wurde, diejenigen Freiwilligen, welche _vollständig_
ausexerziert einträten, gewisse Vorzüge genößen. Denn sollte es eine so
sehr abentheuerliche Maasregel seyn, bei den öffentlichen Schulen, neben
oder statt der Turnanstalten, Exerzierschulen unter der Leitung alter
gedienter Unteroffiziere und Offiziere einzurichten, und so die
männliche Jugend schon so zeitig zum Waffendienst anzulernen, daß der
Dienst in der Linie und die Übungen bei der Kriegsreserve nur als
Vervollständigung oder als Wiederholung dienten, um sie in der Übung zu
erhalten und in größere Massen zusammenzustellen?

Bereits in einem Entwurfe vom Jahre 1808 spricht General von Scharnhorst
folgende Ansichten hierüber aus (vrgl. Beiheft zum Militair Wochenblatt
pro Januar bis Oktober 1846.)

    »Die bisherigen (militair.) Erziehungs-Institute werden immer
    nicht diesen Endzweck erfüllen: sie sind nur für einen Theil der
    Zöglinge der stehenden Armee bestimmt, und ohnehin, wie sie
    jetzt sind, sehr schlecht.

    »Aus diesen Gründen glaubt die Organisations-Kommission, daß es
    von Nutzen sein möchte, wenn die Stadtschulen zugleich eine
    militairische Richtung erhielten, und gewissermassen eine
    Vorbereitungsschule für den Unteroffizier und Offizier
    (insbesondere der Miliz) würden, ohne daß sie deswegen in ihrer
    jetzigen Bestimmung verlören.

    1) daß in ihnen mehr reine Mathematik als bisher gelehrt würde;

    2) daß in jeder Schule eine völlig militairische Disciplin
    eingeführt würde, und daß in den höheren Klassen der Geist
    dieser Disciplin und der militairischen Gesetze erklärt würden.

    3) _daß jede Schule ihren Exerziermeister hätte und in den
    Erholungsstunden sich in dem Gebrauch der Waffen übte_; daß jede
    Schule sich in Compagnien formirte, ihre Capitaine u. s. w.
    wählte und unter ihren Offizieren die Grundsätze der
    Kriegsdisciplin im Kleinen ausüben lernte;

    4) daß jede Schule zur Erholung der Schüler, gewisse
    Leibesübungen hätte, welche auf den Krieg und die Abhärtung des
    Körpers Bezug haben, als Fechten, Schwimmen, Voltigiren
    u. s. w.«

Der Minister von Stein hatte hierzu folgende Randbemerkungen gemacht:

    »Man wird in allen Stadtschulen Anstalt treffen können, um
    Kenntniß des Gebrauchs der Waffen und der Bewegung größerer
    Menschenmassen zu bewirken. Auch wird man mehr Gewohnheit zur
    Reinlichkeit, Ordnung und zum Gehorsam veranlassen können. Wegen
    Einführung gymnastischer Übungen in den Schulen ist Vieles in
    Schnepfenthal geschehen und könnten sie allgemein gemacht
    werden.«

Wenn man sieht, wie leicht in Cadetten- und Waisenhäusern die Knaben die
Elemente des Exercitiums und des Militair-Dienstes lernen; so kann an
der leichten Ausführbarkeit einer solchen Maasregel nicht gezweifelt
werden. Auch ist die Ausführung dieser Idee in den Turnanstalten
vorbereitet, und in Stuttgart bestand bereits ein Verein von Vätern, die
ihre Buben in den Freistunden zum Zeitvertreib und als Spiel, zugleich
aber als körperliche Übung und Erziehungsmittel in dem militairischen
Exercitium unterrichten ließen, eine Maasregel, die der allgemeinsten
Beachtung werth ist. Auch erheben sich immer mehr Stimmen dafür, solche
Übungen als wesentlichen Bestandtheil in den Kreis der Jugendbildung
aufzunehmen, so daß die Realisirung dieser Idee mit der Zeit bestimmt zu
erwarten ist. (Vrgl. z. B. Mönnich das Turnen und die Turnkunst; ferner
einen Aufsatz in der deutschen Vierteljahrsschrift 1843. IV.)

Wenn es hiernach erwiesen sein dürfte, daß sich die Idee der allgemeinen
Volksbewaffnung und der persönlichen Militairpflicht, auch in den
übrigen deutschen Staaten außer Preußen, dem Wesen nach und
wahrscheinlich ohne erhebliche Erhöhung des Militair-Budgets durchführen
lasse; daß dadurch der militairische Geist in diesen Staaten, so wie die
Stellung der Armeen merklich gewinnen müßte; daß hiernach jede
Regierung, die es mit ihrer Armee gut meint, und jeder Militair in
diesen Staaten wünschen muß, daß diese Einrichtung in’s Leben trete: so
ist endlich nicht zu verkennen, daß die politischen Gründe, welche in
den kleinern deutschen Staaten für die Einführung einer solchen
allgemeinen Landesbewaffnung sprechen, noch viel erheblicher sind, ja
diese Einrichtung dringend und unabweislich fordern, wenn diese Staaten
ihren Anspruch auf Unabhängigkeit und Selbstständigkeit behaupten
wollen, und daß namentlich der kriegserfahrene und erlauchte Feldherr
auf Württembergs Throne kein schöneres Blatt in seinen Lorbeerkranz
flechten könnte, als wenn er sich als Vorbild an die Spitze einer für
die Vertheidigung von Süddeutschland so wichtigen Maasregel stellte.

Zweimal bereits (und es liegt der Erwähnung dieses geschichtlichen
Faktums gewiß keine gehäßige Absicht zu Grunde) sind fast alle deutschen
Staaten zweiten Ranges, Baiern nicht ausgenommen, in der Nothwendigkeit
gewesen, der Übermacht des eingedrungenen mächtigern Feindes sich
anzuschließen, und nur zu ihrem eigenen Nachtheil versäumten einige, den
günstigsten Zeitpunkt dazu zu wählen. Diese Abhängigkeit von den
Ereignissen, diese politische Ohnmacht, der sie unterlagen, ist kein
Vorwurf für sie, sondern eine nothwendige Folge ihrer Lage und ihrer
Größe. Am übelsten von allen in Bezug hierauf befinden sich aber die
südwestlichen deutschen Staaten des 8ten Armeekorps, die dem ersten Stoß
des feindlichen Nachbars ausgesetzt sind, der ihn noch dazu um so
sicherer gerade gegen sie führen wird, je mehr er darauf rechnen kann,
hier den geringsten Widerstand zu finden.

Nur zwei Mittel giebt es, diese Staaten mehr oder weniger dagegen zu
schützen: die Anlage angemessener Befestigungen im südlichen
Deutschland, und die ausgedehnteste Entwickelung ihrer militairischen
Nationalkraft!

Es leuchtet ein, daß so lange noch ein badisches Bataillon in Rastatt,
ein Württembergisches in Ulm den Kampf gegen den Feind fortsetzt, die
Regierungen dieser Länder noch faktisch bestehen, wäre auch das ganze
übrige Land vom Feinde überschwemmt, und dies ist ein sehr wichtiger
Umstand, da 2-3 Monate in dieser Beziehung sehr viel ausmachen. Wenn
daher auch die Anlage der gedachten Bundesfestungen diesen Ländern, und
namentlich die Befestigung von Ulm dem Lande Württemberg im Kriege
manchen Nachtheil zu bringen scheint: so trägt sie doch wesentlich zur
Sicherung der Selbstständigkeit dieser Staaten bei, und es ist nicht
unbillig, vorauszusetzen, daß die Staaten des 8. Armeekorps außerdem
noch für die Befestigung des oberen Schwarzwaldes verhältnismäßig aus
eigenen Mitteln so viel thun könnten, als Preußen für die Sicherung des
Unter-Rheins durch Festungen gethan hat.

Aber es ist auch nicht zu verkennen, daß diese Staaten der an sie in
ihrem eigenen Interesse zu machenden Anforderung, ihre Militairmacht
aufs Äußerste zu entwickeln, bisher nur sehr unvollständig entsprochen
haben. Während das 8te deutsche Armeecorps die Avantgarde des südlichen
Deutschlands bildet; während es daher vorzugsweise gegen den ersten Stoß
von Westen gerüstet sein müßte (da Preußen und Österreich viel eher
einen ersten Echec aushalten können) finden wir hier in den
Ständeversammlungen mit wenigen Ausnahmen, eine entschiedene Tendenz,
die Last des Militairbudgets von sich zu wälzen, und der Reichere dankt
Gott, wenn er sich von der persönlichen Verpflichtung zur
Landesvertheidigung durch das Opfer von ein paar hundert Gulden
loskaufen, und die Erfüllung dieser heiligen Pflicht einem armen Teufel
von Einsteher aufbürden kann! Und dabei nehmen in diesen Staaten, wie es
namentlich in Baden, bei Gelegenheit der Verhandlungen über die
Befestigung von Rastatt geschehen ist, Staatsmänner, Publicisten und
Privaten keinen Anstand, den deutschen Großmächten und vorzugsweise
Preußen, den Vorwurf zu machen, daß dieses sie im Kriege im Stich lassen
wolle und werde. Wie? Preußen[2] verwendet auf seinen Militair-Etat
verhältnismäßig doppelt so viel und stellt ohne die Landwehr 2ten
Aufgebots 1½ mal so viel, und mit ihr 2 mal so viel Truppen in’s Feld
als Ihr; Preußen erbaute und unterhält 27 Festungen; Preußen giebt einen
Beitrag von 5 Millionen Gulden zum Bau der Bundesfestung Ulm; in
Preußen sind die edelsten Söhne und die Blüthe der ganzen Nation bereit,
sich beim ersten Kriegsruf an die Spitze der Landwehren zu stellen, um
ihren bedrohten deutschen Brüdern zu Hilfe zu eilen: und Ihr wollt ihm
den Vorwurf machen, Euch im Stich zu lassen, während Ihr selbst in
träger Ruhe die Kreuzer berechnet, die es Euch kosten würde, wenn Ihr
dieselben Anstrengungen machen solltet, die Euch wahrlich bei Eurer
politischen Lage mehr noth thun, als Preußen und Österreich; während ihr
engherzig, ja spießbürgerlich den Geldausfall herauscalculirt, den ein
feindlicher Einfall Euch mehr oder weniger kosten würde, als ein höheres
Militairbudget, ohne dabei irgend auf die politischen und moralischen
Wirkungen eines solchen Einfalls Rücksicht zu nehmen; und während Ihr
unumwunden in Euren Kammern erklärt, absichtlich nicht mehr zu thun,
damit die größern deutschen Staaten nicht veranlaßt werden, Euch auf
Eure eigenen Hilfsmittel zu verweisen, und Euch weniger zu
unterstützen!! –

  [2]
             Einwohnerzahl.     Militairmacht.       Militairbudget.

  Preußen     14,907,091   176,719 stehendes Heer    23,721,000 Th.
                           154,193 Landwehr _I._     41,511,750 Th.
                          --------
                           330,912
                           121,000 Landwehr _II._
                          --------
                           451,912

  Württemberg  1,682,338   Contingent 13,955      132,372 Milt. Pensionen
                           Reserve     6,987    1,992,378
                                      ------    ---------
                                      20,942    2,124,750 fl.

Und sind die Bedenken, die Ihr zur Beschönigung Eurer Trägheit und
Knauserei in dieser Beziehung vorbringt, in Preußen in Erfüllung
gegangen? Ist Preußen verarmt? Hat es keine Bauern und Bürger, die das
Feld bauen und das Gewerbe treiben? Hat es keine Männer der Kunst und
der Wissenschaft? Hat es bei den Ereignissen des Jahres 1831. weniger
Liebe für sein Herrscherhaus bewiesen? Hat seine ganz nationale Armee
etwa gefährliche liberale oder republikanische Ideen an den Tag gelegt,
die der Monarchie nachtheilig werden könnten? – Ha! wahrlich, es kann
sich in allen diesen Dingen, trotz seines hohen Militairbudgets und
trotz seines Landwehrsystems dreist mit Euch messen!

Darum also, Ihr Regierungen, Ständeversammlungen und Stammgenossen des
südwestlichen Deutschlands: wenn Ihr nicht beim ersten Anlauf des
mächtigen Nachbars über den Haufen gerannt werden wollet; wenn Ihr den
Stand des Kriegers wirklich zu ehren und erheben beabsichtigt; wenn Ihr
würdig seyn wollt, eine wirkliche Macht zu werden, ebenso wie es Preußen
gegenüber den 4 andern europäischen Großmächten durch möglichste
Entwickelung seiner kriegerischen Nationalkraft zu thun genöthigt ist;
wenn Preußens, aus allen Klassen der Gesellschaft hervorgegangene
Krieger nicht mit Selbstgefühl auf Eure erkauften Einsteher blicken,
vielmehr Eure Reihen, als ganz ebenbürtig begrüßen sollen, was sie mit
der lautersten, herzlichsten und uneigennützigsten Gesinnung thun
werden: so zeigt, daß Ihr vom Höchsten bis zum Niedrigsten bereit seid,
den Waffenrock zu tragen, und Gut und Blut für den deutschen Namen daran
zu setzen; duldet nicht, daß bei ausbrechendem Kampfe blos den
Proletariern die Vertheidigung des Vaterlandes überlassen bleibe; ruft
vielmehr Eure ganze kriegerische Nationalkraft auf; werft statt der
30,000 Mann des 8ten Armeekorps, bei dem Feuerschein des ersten
Kriegsfanals am Rhein, 90,000 Mann wohlbewaffnet, und wohlgeübt dem
Feinde in den Schluchten des Schwarzwaldes entgegen; seid überzeugt, daß
Preußens Heer diesen Entschluß mit lautem Jubel begrüßen, ein neues
kräftiges Band zwischen sich und Euch darin finden, und bereitwilligst
in den Tagen der Gefahr wie Brüder an Eure Seite eilen werde; – zögert
nicht damit, bis der Friedensschlaf Euch wieder ganz übermannt hat: es
handelt sich um Eure Ehre, Eure Selbstständigkeit, ja um Eure politische
Existenz in den Tagen der Gefahr!

       *       *       *       *       *

Was auch Wahres und Falsches, Richtiges und Unrichtiges in den
vorliegenden Bogen enthalten sein möge, der Verfasser wollte blos
darthun, daß es im Interesse der südwestlichen deutschen Staaten liege

a) die Militairpflicht zu einer persönlichen, nicht mit Gelde
abzukaufenden, zu machen;

b) Möglichst viel junge Leute zum Waffendienst auszubilden.

c) Die so geschaffene Volksbewaffnung schon im Frieden vollständig zu
organisiren und in Übung zu erhalten.

Hat der Verfasser diesen Zweck erreicht, so giebt er alle Details des
vorstehenden Aufsatzes bereitwilligst preis, und überläßt die Maasregeln
zur Ausführung sehr gern besser Unterrichteten und mit den
Landes-Verhältnissen Vertrauteren; fügt indessen im Nachstehenden die
Grundzüge eines nach seiner Ansicht anzuordnenden Systems allgemeiner
Volksbewaffnung bei:

Jeder waffenfähige Mann ist dienstpflichtig vom 19. Jahre an. Eine
Stellvertretung ist unzuläßig.

Die Übung im Waffendienst macht einen Bestandtheil der Volksschulbildung
aus.

Jeder, der sich selbst ausrüstet und bereits in den Waffen geübt ist,
kann sich den Truppentheil wählen, dient 1 Jahr im stehenden Heere und
zwar ½ Jahr im angestrengten Dienst ohne Unterschied und sonstige
Begünstigung gegen die übrige Mannschaft.

Wer sich nicht selbst ausrüstet, dient wenigstens ebenso lange, darf
sich den Truppentheil nicht beliebig wählen und wird aus der Linie nach
2 Jahren entlassen, wenn der Etat nicht früher durch andern Zuwachs
gedeckt ist.

Die längste Dienstzeit im Frieden beträgt hiernach in der Linie 2 Jahre.
Bis zum 25. Jahr bleibt jeder für den Fall eines Kriegs zum Dienst in
der Linie verpflichtet, und muß bis dahin auch noch jährlich 14 Tage an
deren Übungen Theil nehmen.

Bei jedem Truppentheil wird ein Cadre von Leuten mit längerer Dienstzeit
und freiwilliger Capitulation gebildet.

Vom 25ten bis zum 32ten Jahre tritt die Dienstpflicht in der Landwehr
ein.

Im Frieden darf jeder Landwehrmann nur alle 2 Jahre 14 Tage zu den
Waffenübungen herangezogen werden.

Die Landwehr ist auch zum Dienst außerhalb des Landes verpflichtet.

Vom 32. bis 50. Jahr tritt die Dienstpflicht in der Bürgerwehr ein.

Die Landwehrmänner können, wenn sie es wollen, in der Linie fort dienen,
und die Bürgerwehrmänner ebenso in der Landwehr. Namentlich findet dieß
Anwendung auf die Unteroffiziere und Offiziere.

Zu Unteroffizieren und Offizieren können nur solche befördert werden,
die den an sie gestellten wissenschaftlichen und moralischen
Anforderungen vor einer ernannten Prüfungs-Commission genügen.

Die Unteroffiziere werden vom Regiments-Commandanten, die Offiziere vom
Landesherrn ernannt.

Jedoch muß bei den Erstern das Corps der Unteroffiziere bei Letztern das
Corps der Offiziere nichts gegen sie einzuwenden haben, und deren
Erklärung abgefordert werden.

Diese Corps wählen unter den Bewerbern von gleichen Ansprüchen.

Die Beförderung zu den weitern Offiziersgraden in der Linie und Landwehr
erfolgt abwechselnd: einmal nach dem Dienstalter, einmal durch Wahl der
Offiziers-Corps, einmal durch Ernennung Seitens des Landesherrn unter
den Ältesten der vorhergehenden Dienstcharge.



Anmerkungen zur Transkription: Die Umlaute Ae, Oe und Ue wurden durch Ä,
Ö, Ü ersetzt. Die Fraktur-Ligatur für »u. s. w.« wurde durch »u. s. w.«
ersetzt. Kleinere Unregelmäßigkeiten in der Schreibweise wurden
beibehalten. Die nachfolgende Tabelle enthält eine Auflistung aller
gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen.

Transcriber’s Note: The Umlauts Ae, Oe and Ue have been replaced by Ä,
Ö, Ü. The ligature for “u. s. w.” has been replaced by “u. s. w.” Minor
spelling inconsistencies have been maintained. The table below lists all
corrections applied to the original text.

S. 1: Oberstlieutnant -> Oberstlieutenant
S. 4: größeren Abtheilungen nnd ausserdem -> und
S. 4: etwa 90000 Mann -> 90,000
S. 4: nur etwa 35000 -> 35,000
S. 6: Fürst W. Raziwill -> Radziwill
S. 9: Entstehung der preußichen Landwehr -> preußischen
S. 14: den deutschen Grosmächten -> Großmächten
S. 15: als Preußen und Östreich -> Österreich
S. 16: mit den Landes-Verhältnissen Vertauteren -> Vertrauteren





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Über allgemeine Landesbewaffnung - insbesondere in Beziehung auf Württemberg" ***

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