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Title: Römische Geschichte — Band 4
Author: Mommsen, Theodor
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 4" ***


Theodor Mommsen Roemische Geschichte

Viertes Buch Die Revolution

"Aber sie treiben's toll; Ich fuercht', es breche". Nicht jeden
Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen
Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des
Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache,
die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des
Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort
des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck
der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in
hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren.
Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht
fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlings-
und Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber
versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf
der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich
gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht
beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in
seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber
wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen
moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer
Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser
Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag,
der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den
naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo
uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen
waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen
fortwaehrend Gelegenheit zu "Dorftriumphen" lieferten, bestand eine
foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden
spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil
der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht
worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten,
Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander;
gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die
verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische
Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse
phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden
Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken
zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende
Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die
roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie
Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische
Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde
von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer
seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet,
wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort
^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst
durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen
erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als
freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in
Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie
konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der
Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178)
genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen
des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer
und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600
(154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner
ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten
roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute.
Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch
bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so
verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische
Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der
roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man
nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach
Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und
liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei
und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es
war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz
sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich
feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch
der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es
zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius
Mummius, und den jetzt nach Punicus' Fall von seinem Nachfolger Kaesarus
gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften
Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das
lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils
bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens
sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich
vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das
eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die
Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich
unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen
Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den
Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen
Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch
hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen
Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten
beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln.
Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser
roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den
unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten,
und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit
nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden
Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um
Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen
aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien.
Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000
Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn
Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt
nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein
die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen
Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer
gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg
der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der
fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach
seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer
geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet - der Tag des 23.
August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer
Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in
ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am
Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern
der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die
Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt
zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in
Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde
eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die
Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten
roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in
der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die
Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat
und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern
den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile
aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz
erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein
Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig
sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage
beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze
roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die
suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche
sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen
Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen
Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor
586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten
sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr
noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab
sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung
bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden
wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom.
Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die
Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig
erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach
seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen
Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung
wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der
ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden
mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren
Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei
den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der
Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass,
wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die
Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer
nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel
zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne
entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des
Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden
Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen.
Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg
beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte,
sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in
der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften
Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen
Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den
Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den
Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung
zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen
Rechte wiedereingesetzt wurden. ---------------------------------------
^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae
in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden
beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig,
dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
---------------------------------------- Als der neue Oberfeldherr, der
Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den
zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss
beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien
heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene
Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer,
an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern
im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn
gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca,
acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit
schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte,
rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die
Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa
20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch
weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder
schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer,
Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte
in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die
mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen
moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die
Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen
Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen
Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von
Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da
das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines
Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung
von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia
musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das
roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero
verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo
der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern
sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander,
Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen
im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus
errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba
richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten
Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze
ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker
wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen
geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils
niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit,
Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden
Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze
der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den
Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr,
wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung
zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein
heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht
so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht
hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten
Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die
spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen
Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch
Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das
reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter
Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern
draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe
rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst
als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden
Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter
Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas
zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches
Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen
wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm
den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in
einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug
der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte,
wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung
zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem
Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er
ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der
roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten
Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber
gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an
die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her
5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer
gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und
gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die
Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als
Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das
volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des
Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem
gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines
Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er
auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu
haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine
Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem
treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber
daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen
zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht
allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen
Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl
in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich
in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu
brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen
Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den
Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut
vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn
dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten
im Sommer in die Winterquartiere ging - spaeter ward dafuer gegen ihn
die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben
und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des
Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus
vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das
platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich
Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und
mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt
vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm
jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges,
der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus
Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und
Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen
Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen,
die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder
unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische
Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig
ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres
seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla)
zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im
folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig
geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu
behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins
Winterlager ging. Als aber an Maximus' Stelle der feige und ungeschickte
Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum
eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder
mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus' Scharen die
suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des
Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit
zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet,
versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer
Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen
Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische
Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber
seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich
sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142).
Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive,
durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in
Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der
Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer - es waren deren gegen 500
- wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde
Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei
verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische
Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei
der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf
einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war.
Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den
Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen,
worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig
derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen
als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh,
des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem
Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und
Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit
wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu
heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und
bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts
wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog
das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied
den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen
dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht
bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen
Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in
Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er
ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen
Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer
auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten
oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht
auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was
ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer
der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die
Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von
ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner
Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue
zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten
Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas,
Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt
noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit
Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen
Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben
des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in
das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer
Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem
Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier
ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele
fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern
an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den
Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder
seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die
Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei
dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt
zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von
Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.
----------------------------------------- 2 Die Chronologie des
Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass
Viriathus' Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61;
Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p.
110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63),
zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4,
16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90)
berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil
Viriathus' Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie
auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft
wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug,
gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus
zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war
(Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl
der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.
--------------------------------------- Waehrend die suedliche Provinz
durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren
Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter,
nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus' glaenzende Erfolge
bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer
sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung
des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius
Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die
Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend
der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia,
dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen
Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612
143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur
die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die
Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast
schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den
Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff
auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den
Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem
kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das
konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus
Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige
Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr
erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613,
614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht
erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss
ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte
der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde
unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf
Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen
darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen
auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren
abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als
im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager
eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern
gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden
Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu
entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern
zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung
zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des
Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen
Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt
ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas
mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus
beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern
benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam,
lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von
Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut
und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf;
Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger
Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit
weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende
Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von
Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und
Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche
Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia
heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das
Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior
angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch
in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und
umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich
durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen
Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein
Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius
Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater,
dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den
Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen
Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein
der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess
auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den
Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm
die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf
diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen
haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag
beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre
Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der
hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde
Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische
Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner
ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als
nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und
die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von
Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer
Mancinus' Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius
Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die
Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er
unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das
freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem
Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein
Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger
setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich
geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade
so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und
festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die
Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten
und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner
die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht
zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene
roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer
ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse
auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus
Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu
fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich
ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an
einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man
entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt
ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu
uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei
mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten
auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die
Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt
haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von
Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der
vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert
hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache
konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu
reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager
raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und
Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar
war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer
vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich,
die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den
Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der
Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer
um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern,
Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha
und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen,
ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer
waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss.
Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl
erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag
sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei
den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum
durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der
Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten
veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht
bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr,
was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf
sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten.
Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile
im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und
Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der
Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer
und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So
musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger
erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich
gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald
litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner,
Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen
Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen
nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der
Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger
von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von
den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern
und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der
trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des
roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner,
also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die
Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der
Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass
Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge
zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk
vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite
Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich
zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am
folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage
Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu
ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward
ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der
elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus,
um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die
Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter
die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn
Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias
Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der
Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten
aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur
Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung
der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der
Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die
kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer
neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung
(616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen
Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern
an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern,
Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden
Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen
Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein
sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der
Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste
die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine
senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio
das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat,
was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner
Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren
schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als
Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in
ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum
fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes,
der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus
Caecilius Metellus' Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem
Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst
waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz.
Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der
Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern
in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen
Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische
Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit
und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische
Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht
bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei
den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in
Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute
oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln
gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im
Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht,
diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen
lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege
nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den
jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen
Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung
der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das
bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die
Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich
und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren
Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher
Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und
asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago,
Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen
Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis
seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges
auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit
eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass
der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese
Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In
Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger
Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch
den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und
Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten
und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von
Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien,
Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und
dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich
zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt
zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den
bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten
im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und
selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem
inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die
Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft
und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden
vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der
Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann
und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten
tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz
nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu
vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die
achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt
ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so
war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der
roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht
mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte,
freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass
die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und
jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren
musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer
als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde
zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte
Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des
Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben
oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit
die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat
keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff
der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen,
asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten
und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die
Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der
Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago
und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der
vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten,
und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und
gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass
Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte,
nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den
Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern
zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom
Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen
Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von
Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar
sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu
widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat
geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil
zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in
der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment
brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um
die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge
insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermassen
preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern
vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der
roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen
die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer
fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden
Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der
ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen
Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch
erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass
in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des
Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein
Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die
Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher
geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich
nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts
zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den
Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten
politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich
in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die
Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich
nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er
den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und
energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den
Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf
dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago.
Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment
sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch
die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und
Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen
war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie
es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie
bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber
derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt
an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als
dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit
ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der
fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von
roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch
in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als
Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente
(860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass
Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der
Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen
Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig,
als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen.
Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika
eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen,
ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben
zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten,
sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten
die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage
zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung
fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission
war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste
Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem
vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen
und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand
der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen,
die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche
Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal
all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und
mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis,
dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden
verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht
sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der
Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen
Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse
vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der
kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene
Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der
politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine
roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit
dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht
unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung,
sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es
scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren,
die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu
bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen
Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld-
und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet
beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten
forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung - den Krieg mit
Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken.
Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in
Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer
der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran
dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens
die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa,
wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die
Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus
der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung
je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern
ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154).
Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich
wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch
der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem
Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer
gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und
Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat
wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des
Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago
ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte
seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen
Karthagos fuer den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und
die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine
Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in
der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte
Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung,
dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu
verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen.
Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter
Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die
Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern
einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und
auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig.
Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der
gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren
zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein
Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war
der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu
machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und
Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des
Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee,
an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische
Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge
herab "wie Zeus vom Ida" der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager
und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl
durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte
numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch
den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager
gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio
versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein
an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer
auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng
eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles
zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer,
Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch,
Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten
fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht
gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der
Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet
hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern,
hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn
die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch
ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings
von den Karthagern uebertreten worden - und einen bereits im voraus
geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom
gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die
Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden
Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und
Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom
geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich
trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort
ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen
zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien
es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung
ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte,
dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf
die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja
bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein
es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die
liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen
karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter
Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert
(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch
versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung
zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der
karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr
Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermoegen zu garantieren, wofern
sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in
Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen
und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln
nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid
zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur
begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika
zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat
verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab
er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen
Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette.
Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche
Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte
weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse,
sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln
sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die
karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand
geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt.
Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago
erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die
Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der
Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten,
gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch
die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert,
dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach
der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen
Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz
befindlichen Waffen - man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle
Ruestungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob
sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass
in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt
zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst
wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom
Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl
ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder
wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander
und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen
vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat
und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der
Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung
der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und
Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne
Frage auch jetzt sich zu fuegen - aber die Stimme der wenigen, welche
mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf
des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in
ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils
die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt
heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils
die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens
an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man
beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies
von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen
entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal,
den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei
erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das
mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste,
Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica,
das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine
unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in
dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt
phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der
Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an
die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer
Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die
Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren
wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in
der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der
Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und
verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt,
um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne
Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen
gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die
oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze
unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar;
in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder
bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen
entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten
wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja
daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des
Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern
die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen
und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die
grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu
besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann
zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie
durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen
Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina,
oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach
Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und
nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an
der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im
ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in
den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen
die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der
Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt
Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und
dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt
natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung.
Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen
Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst
vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der
Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste
gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6« Fuss Dicke und an diese
hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten
ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten
Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss
breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11
Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern
zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die
maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von
45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung
und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle,
Magazin- und Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha
= Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und
an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten
7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die
Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche
desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen
ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils
der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen
Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast
gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An
dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk
von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches,
die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss
breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen,
und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das
Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren
gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa
ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen
den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich
einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens
lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der
Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der
eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener
Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten
gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt,
eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der
gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem
heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-,
die Vor- und die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite
der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur
zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene
schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war,
aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren
Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot.
------------------------------------------- 3 Der Zug der Kueste ist
im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der
alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen
wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch
von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in
den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster
393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule
(Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern
und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6« Fuss
Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3¬Fuss
Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter
= 3¬Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p.
522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1« Fuss), waehrend Livius
(bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder
genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die
Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die
bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet
war, ist die Aussenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der
Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier
in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns
haben, wird jedem einleuchten; N. Davis' Einwuerfe (Carthage and
her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen
Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur
muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die
es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von
der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite
des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu
stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und
Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben
jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund
vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der
Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen
in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen
Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden - werden vermutlich
laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu
Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt
Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von
Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie
lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen;
doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren
Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die
Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche
Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa
einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten
Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet
Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen,
die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch
12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen
hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11
griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob
diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in
ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung
festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden,
haben die Dicke von 1,1 Meter = 3« Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich
2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind
ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl.
Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter
im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene
Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9
Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin
bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der
die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren
Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es
eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones
p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den
viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben.
--------------------------------------- Die schwierige Arbeit, eine so
wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass
teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800
Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils
beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten
Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten,
sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern
zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der
verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten
numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen
werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte
Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung
regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte,
schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus
mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die
Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an
dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den
zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten
ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer
Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte
Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit
ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes
musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang
es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch
einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am
naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die
Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten
Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig
vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit
groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun
Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend,
seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die
Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius
gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in
die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten,
die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung
und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr
ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der
bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs
brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie
hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander
und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch
Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung
fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete
Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei
der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer
foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den
Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun
Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde
auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und
den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem
ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider
seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres
geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden
Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch
seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der
Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen
geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio,
einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern
zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des
sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige
Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in
Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer
zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter
Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen
leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang
auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf
allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war,
wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres
605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos,
erfuellt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfaehigen
Kameraden die Homerische Zeile an: "Einzig er ist ein Mann, die
andern sind wandelnde Schatten ^10."
--------------------------------------------- ^10 Oios pepytai, toi de
skiai aissoysin. --------------------------------------------- Ueber
diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel
herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148)
und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den
der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun
gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung
der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen
phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg,
wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon
Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das
Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen
musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt
gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen
nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer
Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische
Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und
Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen
einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse - Hasdrubal der
Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt
befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im
Rathause erschlagen - als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine
fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom,
um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu
schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der
bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein
Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet,
um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden
Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die
Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147)
in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der
roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung
der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem
bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der
schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast
seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der
Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In
der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore
derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung
auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe
zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der
groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum
angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz
von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen
Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese
Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos,
um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal
aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar
an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von
Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab
der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten.
Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen
saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender
und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an.
Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang.
Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem
Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die
Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze
Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den
Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich
belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant
bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische
Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des
Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess;
und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die
Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte,
nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr
nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier
auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem
Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche
der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner
ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin
vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den
Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils
Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus
jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu
bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung
war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge
zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96
Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien
verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als
unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine
Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter
an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate
lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu
sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben
die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten
aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl
Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend
die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in
oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen,
welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt
werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu
begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte
und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese
verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht
zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne
Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen
Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch
entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun
seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der
Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall
notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge
aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser
Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das
Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins
Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen
musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie
Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen
wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den
Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer
an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt
endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollstaendig
abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen
gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das
Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius
angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die
ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen.
Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die
Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das
Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn
inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal
freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im
Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere
Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte
sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber
Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung
kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren
Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch
keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen
anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach
der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor - langsam, denn von den
gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach
dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse
gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen
Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess
nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche
fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und
Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich
Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten.
Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten
Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher
Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger
Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg
zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und
25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig
die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal
mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel
des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie
fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber
als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den
Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu
sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein
Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren
Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den
Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese
Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren
Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst
die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende.
Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des
Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die
Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man
im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als
roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich
behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder
Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von
den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den
sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum
Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel
an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem
groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben
wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage
an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der
Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat
befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem
Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt
mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu
fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen,
und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder
Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war.
Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der
karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit
einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken,
Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die
fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt
hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen
Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser
Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und
statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher
Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig,
fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen
zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen
Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt.
Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges
Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den
Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago
zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte
ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische
Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der
schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von
Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena
gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die
uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter
beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten,
blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige
Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei
Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon,
dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago
verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa,
andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig
abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die
Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter,
dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte
dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von
den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im
ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf
seiten der Roemer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestaedte
Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die
Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte;
dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer.
Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten
Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches
Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen
Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum
und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre
Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig
als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die
Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein
fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung
der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute,
welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten
und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die
bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften
auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand
auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen
Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte
Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht
zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner,
zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat
einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos
ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete
(590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern
herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio
Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen.
Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos
nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und
der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt
Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner
hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem
vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich
an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es
fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder
zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder
in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens
abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen,
den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat
achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt
konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war
er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals
aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit
dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es
geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und
wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht
bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner
Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern.
Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in
Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er
doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike
jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der
ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine
Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte
Philippos Perseus' Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und
dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der
adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der
Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage
sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken.
Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet
eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung,
dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen
werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war,
musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den
Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen,
bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser
griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er
selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum
groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment
hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte.
Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius
Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische
Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht
die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und
Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten,
sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren,
verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606
148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin
Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung
erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem
Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der
Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund
vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den
die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das
Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine
roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die
roemische Regierung ihr System geaendert und das Klientel- durch das
Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde
die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem
ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag
empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien
abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen
Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel
gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass
dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits
Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit,
die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst
dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die
Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie
in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges
Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es
scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen
Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen
neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige
Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten
(155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden
umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen
Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung
des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn,
Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und
hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius
Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den
fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist
auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei
Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte;
seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als
dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der
Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren
es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und
Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation
gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen
Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie
gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse
Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios' Zeit von
den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion,
quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis
an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche
Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die
zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel
ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die
spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.
------------------------------------------- ^11 Als Handelsstrasse
zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in
deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen
begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudo-
aristotelischen Schrift 'Von den merkwuerdigen Dingen'. Auch heute noch
laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die
Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida
(Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki.
------------------------------------------ Mehr als Makedonien hatte
das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu
erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass
daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und
die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die
verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der
Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare
Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten,
stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs
heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst
waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und
Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen
der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten,
deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu
fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem
Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich
zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung
der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund
in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war
zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er
in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien
erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft
jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst
ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale
Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern
durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende,
mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher
das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach
Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden
versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehr- und die
daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und
Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und
pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den
Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen
Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt.
Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und
der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald
erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um
nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern
Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen
Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der
Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die
Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen
Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die
Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht,
Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den
Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die
Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die
Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder
vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt
ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat
aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine
Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses
Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide
falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer,
die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den
falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit
und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148)
unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte,
von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische
Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu
erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner
fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht
als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward
abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs,
setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten
Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen
Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange
erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun
ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in
Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter
und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die
unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die
achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer
durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die
aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden
sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg
gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta
im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder
auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie
dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort
auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die
roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der
regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in
Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck
ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der
tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als
hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in
die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten
Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden,
obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten
dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im
Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung,
die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst
auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die
erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius
Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der
Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue
Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als
staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus
bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago
und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die
Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht,
zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der
streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem
Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich
auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und
zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer
in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das
heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach
Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte
auf Kritolaos' Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt
noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen,
und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia,
groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handels- und
Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang
sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos' Erklaerung, dass man
die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit
unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung
sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines
Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der
Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen
Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker
und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war,
zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle
Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also
Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter
naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608
(146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta,
das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen
Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen.
Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden
beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es
Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem
achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war
von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl
gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst
machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei
den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung
und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris.
Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos
ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer
der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen
Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung
von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia
aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem
Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben
gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte
durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen
Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit
Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche
scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation
der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos'
Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen
auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in
das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten
und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt.
Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische
Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief
sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf
dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius
Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und
das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch
einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen
Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei
Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht
sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse
aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten
standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps
auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu
Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber
Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar
das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage
zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen
Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn
Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten
Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind
gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den
Namen des "Achaikers" annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt
einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in
aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen,
sondern ein "neuer Mann" und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich
gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den
Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien;
in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber
doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen
des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen,
umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten
Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die
geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter
erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern
oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen
ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und
anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in
den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den
isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der
definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die
Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte,
die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche
aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass
niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der
Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht
hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in
jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment
in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom
zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter
von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem
Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung
zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung
an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die
"Freiheit", das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum
Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum
an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit
in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein
Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch
die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes
beseitigt. ---------------------------------------- ^12 Aus den
sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch
mehrere mit Mummius' Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche
Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146)
roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf
einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig
"frei" blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar.
9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass
Griechenland damals von den Roemern "in Besitz genommen ward" (Tac. arm.
14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen
Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die
kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10,
485); dass die "Ruten und Beile" des roemischen Statthalters fortan auch
in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21,
55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543)
sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim.
2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich
die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war.
Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein
anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien
Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B.
Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B.
los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz
in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und
etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen
gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das
tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen
Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur
Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu
der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch
viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655
(89) aus lauter Buerger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch
durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften,
die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch
keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der
Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts
als das "Kommando" und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstaetigkeit des
Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner
militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die
formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden
werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands
Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische
als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen
Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere
Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung
der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der
hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen
Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die
tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als
Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes
wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt.
--------------------------------------------- Strengere Behandlung aber
traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich
nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch
Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden;
dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten
Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer
Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des
Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei
nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa
bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war,
sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder
Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil
an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten
des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu
roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der "Augapfel von Hellas",
der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen
Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so
muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser
Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die
Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und
die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention
erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles
damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein
Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von
Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei
weitem besser als die bisherige Wirr- und Missregierung der griechischen
Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes
hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und
begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen
Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das
Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde
von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den
Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht,
welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht
in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben
Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren
grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser
Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit "fuer hart und
barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu
entreissen". Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde
die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der
numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche
durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten
ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts
weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor
aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius,
sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel.
Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei
erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie
anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen
Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei
der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man,
weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb
man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die
Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer
die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen
Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos;
wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon
seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte
von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in
die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der
Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.
---------------------------------- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer
ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in
der ciceronischen Zeit ohne Unterschied "korinthisches" oder
"delisches Kupfer" genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien
begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den
Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht
geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos
selbst fabriziert wurden. ------------------------------------
Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien
getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft
entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren
Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden
das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die
Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf
das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und
strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie
sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die
Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu
pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms
nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste
Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen
und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen,
von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden
auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei
dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken
eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht
war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch
unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an
sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den
ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den
barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung
der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war,
ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der
pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum
Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es
scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den
Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen
Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die
asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer
unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes
ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem
Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg.
Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine
Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische
Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die
eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes' Bitte sich
herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner
wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch
die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und
obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten
Versuche, dort die Haende im Spiel zu behalten, durch roemischen
Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller
offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und
die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das
Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos
(+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich
der Vormundschaft ueber Eumenes' unmuendigen Sohn zu bemaechtigen,
mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie
Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam,
ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von
der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die
antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das
Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von
ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen
Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen
Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen
bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? -
605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten
Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische
Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt
belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt
gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der
Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133)
trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein
asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass
der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu
entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen
und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb
er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs,
bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht
der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer
die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent
testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke,
das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den
wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der
ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere
Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu
entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft
an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom
als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber
auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg.
Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende
Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes' II., Aristonikos
in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als
Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes
von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige
Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf
der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten.
Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an
der Spitze der neuen "Buerger der Sonnenstadt" ^17, das heisst der von
ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich
der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der
attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter
seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen
in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der
Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos,
Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit
gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast
ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131)
ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und
Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten
und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als
Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten
in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von
dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und
ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den
Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem
solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten,
ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als
Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig
Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach
diesem Siege von Crassus' Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein
Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und
bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch
Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der
Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius
(625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet.
Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen
ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der
Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos
kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in
Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige
Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der
karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward,
in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren,
wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie
Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat
eine roemische Vogtei. ---------------------------------------- ^15
Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene
Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester
von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20),
erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben
und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes
am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt
(164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst
nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen.
Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in
der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix.
Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen,
die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche
desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu
mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32,
3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos
hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt
hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia
von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu
haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen
abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des
Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi)
beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem
Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die
Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde,
setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, "den sie
auch gegen den Bruder" (Eumenes II.) "gehegt haetten". ^16 In demselben
Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die "Freiheit", das
heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut
einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches
Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des
Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also
konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen
der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und
den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das
staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis
in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die
Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser
umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der
roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den
fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten
innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu
benutzen. ^17 Diese seltsamen "Heliopoliten" sind, nach der mir von
einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass
die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht
fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die
ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
---------------------------------------------------- Die zahlreichen
andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien,
die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und
die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos
blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen.
Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes
V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsaechlich durch Hilfe der
Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und
Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische
Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung
auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast
barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse,
wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden
Schauspielertruppen, der sogenannten "Kuenstler". Zum Lohn der Treue
gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen
Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe
Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos
versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der
suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der
oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten
Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte
"Kappadokien am Meer" oder kurzweg der "Meerstaat", Pontos, zu
steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von
Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys
bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des
reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt
dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe
gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze,
deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer
Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien
zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes
sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120),
treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen
Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben
sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die
paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter
dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich
wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat
fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen,
von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien
empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die
Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte,
ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von
Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien
als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien
und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der
kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so
vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand
im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des
Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache
sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565
(189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen
Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug
auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist
Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien
die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im
Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl
des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da
in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum
gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten
zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos
Epiphanes' Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos
des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs
Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone;
hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden
Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den
juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem
Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken,
persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat
lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des
roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung
des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der
Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische
Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich,
durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das
Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und
im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In
Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch,
teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer
ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt
und Euergetes mit demselben abgefunden. "Koenige sind, wen die Roemer
wollen", schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, "und wen sie
nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten". Allein dies
war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den
Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft
auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos
und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des
Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck
auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward
unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und
beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in
Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh
aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der
roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des
koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162).
Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg
aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem
aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch
mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei
Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht
und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den
ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name
gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre
zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten
vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz
ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur
Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius
gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb;
aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als
Koenig des Landes anerkannt - man war ja jetzt so maechtig, dass es
ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss
Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten,
sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und
dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch
dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische
Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten
sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch
ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den
naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu
verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status
quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies-
und jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen
Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich
wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht
lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra
unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige
baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet.
Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos
dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont
bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und
das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener
Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der
Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat
angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der
Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der
beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im
Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung
in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern,
gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich
Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung.
Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines
Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte
Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem
Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten
der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung
die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan,
hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall
in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in
religioeser Hinsicht auszugleichen unter allen Umstaenden eine Torheit,
auch abgesehen davon, dass dieser karikierte Joseph II. persoenlich
einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war
und durch Tempelpluenderung im grossartigsten Massstab und die tollste
Ketzerverfolgung seine Reformen in der uebelsten Weise einleitete.
Die eine Folge hiervon war, dass die Bewohner der Grenzprovinz gegen
Aegypten, die Juden, sonst bis zur Demuetigkeit fuegsame und aeusserst
taetige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang
zur offenen Empoerung gedraengt wurden (um 587 167). Die Sache kam an
den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter
mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und
Seleukiden besorgte, ueberhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht
zwischen Syrien und Aegypten im Interesse Roms lag, so machte er keine
Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort
anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom fuer die Juden
nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemuehen; trotz der Klausel
des zwischen den Roemern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den
Juden, im Fall sie angegriffen wuerden, den Beistand Roms versprach, und
trotz des an die Koenige von Syrien und Aegypten gerichteten Verbots,
ihre Truppen durch das juedische Land zu fuehren, blieb es natuerlich
lediglich jenen selbst ueberlassen, der syrischen Koenige sich zu
erwehren. Mehr als die Briefe ihrer maechtigen Verbuendeten tat fuer
sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das
Heldengeschlecht der Makkabaeer und die innere Zerrissenheit des
Syrischen Reiches: waehrend des Haders zwischen den syrischen Koenigen
Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und
Steuerfreiheit foermlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das
Haupt des Makkabaeerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation
wie von dem syrischen Grosskoenig als Hochpriester und Fuerst
Israels foermlich anerkannt ^18 (615 139).
----------------------------------------- ^18 Von ihm ruehren die
Muenzen her mit der Aufschrift "Shekel Israel" und der Jahreszahl des
"heiligen Jerusalem" oder "der Erloesung Sions". Die aehnlichen mit dem
Namen Simons, des Fuersten (Nessi) Israel, gehoeren nicht ihm,
sondern dem Insurgentenfuehrer Bar Kochba unter Hadrian.
------------------------------------------ Folgenreicher noch als diese
Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus
gleicher Ursache entstandene Bewegung in den oestlichen Landschaften,
wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Goetter nicht minder
leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhaengern des Ahuramazda und
des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des
Jehova. Wie in Judaea, nur in weiterem Umfang und in grossartigeren
Verhaeltnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen
Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die
hellenischen Goetter; die Traeger dieser Bewegung waren die Parther und
aus ihr entsprang das grosse Partherreich. Die "Parthwa" oder Parther,
die als eine der zahllosen in das grosse Perserreich aufgegangenen
Voelkerschaften frueh, zuerst im heutigen Khorasan suedoestlich vom
Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem
skythischen, das heisst turanischen Fuerstengeschlecht der Arsakiden
als ein selbstaendiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert spaeter aus
seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I.
(579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gruender der parthischen
Grossmacht. Ihm erlag das an sich weit maechtigere, aber teils durch die
Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten
am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschuetterte
Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften
westlich von der grossen Wueste. Das Syrische Reich war eben damals,
teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des
Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden
Sukzessionswirren, aufs tiefste zerruettet und die inneren Provinzen im
vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Kuestenlandschaft abzuloesen;
in Kommagene zum Beispiel, der noerdlichsten Landschaft Syriens an
der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem
entgegengesetzten Ufer des Euphrat im noerdlichen Mesopotamien oder
der Landschaft Osrhoene der Fuerst von Edessa, in der wichtigen Provinz
Medien der Satrap Timarchos sich unabhaengig; ja der letztere liess sich
vom roemischen Senat seine Unabhaengigkeit bestaetigen und herrschte,
gestuetzt auf das verbuendete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am
Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz,
sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhaengigen Satrapen
in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem
roemischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen
Poebel. Die gesamte Meute der Nachbarkoenige, Aegypten, Armenien,
Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhoerlich sich in die Angelegenheiten
Syriens und naehrte die Erbfolgestreitigkeiten, so dass der Buergerkrieg
und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr
Praetendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die roemische
Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untaetig zu.
Zu allem diesem draengte von Osten her das neue Partherreich, nicht
bloss mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen
Uebergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen
Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch
nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genuegt im
allgemeinen, daran zu erinnern, dass, so maechtig auch in ihm noch der
Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem
der Seleukiden, auf einer nationalen und religioesen Reaktion beruht und
die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die
orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wueste und Pfeil und
Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder uebermaechtig entgegentraten.
Die Lage der Reichskoenige diesem allem gegenueber war in der Tat
beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt
wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es
nicht an Tapferkeit und Faehigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder
den andern jener zahllosen Rebellen, Praetendenten und Intervenienten
in seine Schranken zurueck; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an
einer festen Grundlage, dass sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
voruebergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein
musste. Die oestlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschuetzten
oder gar aufruehrerischen Satrapen gerieten unter parthische
Botmaessigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom
Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden
Seiten der grossen Wueste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur
Arabischen Wueste, wiederum gleich dem Perserreich und all den aelteren
asiatischen Grossstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum
eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit
den Voelkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische
Staat umfasste ausser der Kuestenlandschaft hoechstens noch Mesopotamien
und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerruettung als seiner
Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Grossstaaten. Wenn die
mehrfach drohende gaenzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden,
noch weniger dem Einfluss Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den
vielfaeltigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem
den Einfaellen der turanischen Steppenvoelker in dessen oestliche
Landschaften. Diese Umwandlung der Voelkerverhaeltnisse im inneren Asien
ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Voelkerflut,
die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem grossen
Alexander ihren letzten und hoechsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die
Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in
Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten
haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurueck in
das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise.
Der roemische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
Alexanders und leitet damit jene ruecklaeufige Bewegung ein, deren
letzte Auslaeufer im Alhambra von Granada und in der Grossen Moschee von
Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragae und Persepolis
bis zum Mittelmeer dem Koenig von Antiochia gehorchte, erstreckte auch
Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wueste; der Partherstaat,
nicht weil er so gar maechtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt
fern von der Kueste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in
die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den
Okzidentalen allein gehoert und schien der Orient fuer diese nur zu
sein, was spaeter Amerika und Australien fuer die Europaeer wurden;
mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen
Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Es ist noch uebrig, auf
die maritimen Verhaeltnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl
darueber sich kaum etwas anderes sagen laesst, als dass es nirgends
mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte
vertragsmaessig zugrunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige
Kriegsmarine unter seinen gegenwaertigen schlaffen Regenten in tiefem
Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstaedte hatten
wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genuegten nicht einmal
fuer die im Mittelmeere so schwierige Unterdrueckung des Seeraubs. Mit
Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der fuehrenden Macht im Mittelmeer.
Wie ein Jahrhundert zuvor die Roemer eben hierin mit besonderer und
wohltaetiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten
ihre Suprematie zunaechst eingefuehrt hatten durch die zum allgemeinen
Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
vollstaendige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den
furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene
Flotte besass Rom nicht mehr; man begnuegte sich, wenn es noetig schien,
von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestaedten
Schiffe einzufordern. Die Folge war natuerlich, dass das Flibustierwesen
sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrueckung geschah
nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht
der Roemer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen
die dalmatischen und ligurischen Kuesten in dieser Epoche gerichteten
Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrueckung des Seeraubs in
den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631
(123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen
und den griechischen Gewaessern blieb es den Anwohnern und den Schiffern
ueberlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich
abzufinden, da die roemische Politik daran festhielt sich um diese
entfernteren Gegenden so wenig wie irgend moeglich zu kuemmern. Die
zerruetteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst
ueberlassenen Kuestenstaaten wurden hierdurch natuerlich zu Freistaetten
der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht.
Am aergsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine
glueckliche Lage und die Schwaeche oder Schlaffheit der Grossstaaten des
Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine
Unabhaengigkeit bewahrt hatte; die roemischen Kommissionen kamen und
gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger
aus als selbst in Syrien und Aegypten. Fast schien es aber, als habe
das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen,
was herauskomme bei der hellenischen Unabhaengigkeit. Es war ein
schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen
war aehnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wueste Demokratie, der
ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein
achtbarer Hellene selbst bezeugt es, dass allein auf Kreta nichts fuer
schimpflich gelte, was eintraeglich sei, und noch der Apostel Paulus
fuehrt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: "Luegner sind
all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter." Die ewigen Buergerkriege
verwandelten trotz der roemischen Friedensstiftungen auf der alten
"Insel der hundert Staedte" eine bluehende Ortschaft nach der andern in
Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Raeuber die Heimat und
die Fremde, die Laender und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz
fuer die umliegenden Koenigreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht
mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie
denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische
Korsarenflotte voellig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel
zugefuegten Schlaegen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine
letzten Kraefte in den Kriegen, die es zur Unterdrueckung der Piraterie
gegen die Kreter zu fuehren sich genoetigt sah (um 600 150) und in denen
die Roemer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es
scheint, ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, fuer diese
Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht
bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat:
der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum Koenig
Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), foerderte, um durch
Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem
Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die
Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die
zugleich die hauptsaechlichsten Sklavenfaenger und Sklavenhaendler
waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmaennischen Publikum, sogar in
Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die
Regierungen wenigstens durch Passivitaet sich beteiligten. Das Uebel
ward so ernsthaft, dass der Senat um 611 (143) seinen besten Mann,
Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und
Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische
Vorstellungen der Roemer machten die schwachen Regierungen nicht
stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen
Gewaessern zu unterhalten, wozu es wieder der roemischen Regierung an
Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die
Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der
Menschenfang das einzige daselbst bluehende Gewerbe. Die roemische
Regierung sah den Dingen zu, die roemischen Kaufleute aber standen als
die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitaenen als den
bedeutendsten Grosshaendlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in
regem und freundlichem Geschaeftsverkehr. Wir haben die Umgestaltung
der aeusseren Verhaeltnisse Roms und der roemisch-hellenischen Welt
ueberhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf
die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat
begleitet. Es war eine grosse und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem
Regimente dieser roemisch-hellenischen Welt uebernahm; sie ward nicht
voellig verkannt, aber keineswegs geloest. Die Unhaltbarkeit des
Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschraenken
und ausserhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den
leitenden Maennern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die
Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine
die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu
setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmaessig
durchzufuehren, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben
Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu fuehrten, wogegen
der groessere Teil des Klientelgebiets entweder in der unertraeglichen
Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich
Syrien, sich gaenzlich dem Einfluss Roms entzog. Aber auch das Regiment
selbst ging mehr und mehr auf in einem schwaechlichen und kurzsichtigen
Egoismus. Man begnuegte sich von heute auf morgen zu regieren und nur
eben die laufenden Geschaefte notduerftig zu erledigen. Man war gegen
die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem
Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen
andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt
deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein
streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermisst, wo sie
an ihrem Platz gewesen waere, wie gegen die angrenzenden Barbaren und
gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und
jede Uebersicht der Provinzialverhaeltnisse Verzicht tat, gab sie dem
jedesmaligen Vogt nicht bloss die Interessen der Untertanen, sondern
auch die des Staates vollstaendig preis. Die spanischen Vorgaenge,
unbedeutend an sich, sind hierfuer belehrend. Hier, wo die Regierung
weniger als in den uebrigen Provinzen sich auf die blosse Zuschauerrolle
beschraenken konnte, wurde nicht bloss von den roemischen Statthaltern
das Voelkerrecht geradezu mit Fuessen getreten und durch eine Wort-
und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit
Kapitulationen und Vertraegen, durch Niedermetzelung untertaeniger Leute
und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die roemische
Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den
ausgesprochenen Willen der roemischen Oberbehoerde Krieg gefuehrt und
Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfaellen; wie zum Beispiel
dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von
Verkehrtheit und Verruchtheit eine fuer den Staat verhaengnisvolle
Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne dass in Rom auch nur
eine ernstliche Bestrafung deswegen verfuegt ward. Ueber die Besetzung
der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen
Fragen entschieden nicht bloss die Sympathien und Rivalitaeten der
verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold
der auswaertigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der
erste, der mit Erfolg versuchte, den roemischen Senat zu bestechen,
wird Timarchos genannt, der Gesandte des Koenigs Antiochos Epiphanes von
Syrien (+ 590 164); bald wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren
durch auswaertige Koenige so gewoehnlich, dass es auffiel, als Scipio
Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem Koenig von Syrien
zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus liess man
den alten Grundsatz fallen, dass der Lohn der Herrschaft einzig die
Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie
ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft
auf, welche von der Besteuerung der Buerger absah und dagegen die
Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von
Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Buerger
ueberlieferte; nicht bloss wurde dem ruecksichtslosen Geldhunger des
roemischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter
Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm
missliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege
geraeumt und die herrlichsten Staedte der Nachbarlaender nicht der
Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheusslicheren Barbarei
der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der aelteren, der Buergerschaft
allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten
Ende doch nur auf seinem militaerischen Uebergewicht ruhende Staat
sich selber die Stuetze ab. Die Flotte liess man ganz eingehen, das
Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung
der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen
abgewaelzt und was man nicht von sich abwaelzen konnte, wie die
italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der
elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr
aus dem Heere zu verschwinden, dass es schon schwer hielt, fuer die
spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben.
Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen
Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung
bewiesenen Parteilichkeit noetigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der
alten Uebung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der
dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu
ueberlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der saemtlichen
Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militaerischen
Gemeingeistes und der Kriegstuechtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die
Behoerden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige
Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul fuer den
spanischen Dienst pflichtmaessig strenge Aushebungen veranstaltete, so
machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmaessigen Recht, ihn
zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, dass Scipios
Ansuchen, ihm fuer den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten,
vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die
roemischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen,
in denen die Zahl der Baecker, Koeche, Schauspieler und sonstigen
Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache
ueberstieg; schon geben die roemischen Generale ihren karthagischen
Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege
in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmaessig mit
Niederlagen eroeffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des
Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus' Meuchelmord ein Meisterwerk der
roemischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Grosstat.
Wie voellig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Roemern
abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schaerfe die
Bildsaeule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser
selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen
liess. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie
seine aeussere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkaempfen gewonnene
Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal
behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu
bewahren; jenes hatte der roemische Senat vermocht, an diesem ist er
gescheitert. 2. Kapitel Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus Ein
volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der roemische
Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberflaeche bewegten
Ruhe. Das Gebiet dehnte ueber die drei Weltteile sich aus; der Glanz der
roemischen Macht und der Ruhm des roemischen Namens waren in dauerndem
Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum
stroemten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen
Lebensgenusses schien dort beginnen zu muessen. Mit Bewunderung
erzaehlten sich die Orientalen dieser Zeit von der maechtigen Republik
des Westens, "die die Koenigreiche bezwang fern und nah, und wer
ihren Namen vernahm, der fuerchtete sich; mit den Freunden und
Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war
bei den Roemern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte
keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn
machten, auf den hoerten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch
Zwietracht." So schien es in der Ferne; in der Naehe sahen die Dinge
anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein
eigenes Werk zu verderben. Nicht als waeren die Soehne und Enkel der
Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so voellig aus der Art
ihrer Vaeter und Grossvaeter geschlagen; es waren weniger andere
Menschen, die jetzt im Senate sassen, als eine andere Zeit. Wo eine
geschlossene Zahl alter Familien festgegruendeten Reichtums und ererbter
staatsmaennischer Bedeutung das Regiment fuehrt, wird sie in den Zeiten
der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zaehe Folgerichtigkeit und
heldenmuetige Opferfaehigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe
kurzsichtig, eigensuechtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem
andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialitaet.
Der Krankheitsstoff war laengst vorhanden, aber ihn zu entwickeln
bedurfte es der Sonne des Glueckes. In Catos Frage, was aus Rom werden
solle, wenn es keinen Staat mehr zu fuerchten haben werde, lag ein
tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man haette
fuerchten moegen, war politisch vernichtet, und von den Maennern,
welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des
Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener
gewaltigen Zeit bis in ihr spaetestes Alter noch widerhallte, rief der
Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten
von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte.
Eine juengere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war
eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das
Untertanenregiment und die aeussere Politik unter ihren Haenden sich
gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womoeglich noch mehr liess
man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben;
wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der
laufenden Geschaefte, so ward in dieser Zeit ueberhaupt in Rom nicht
regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war
die Erhaltung und womoeglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien.
Nicht der Staat hatte fuer sein hoechstes Amt ein Anrecht auf den
rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein
angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch
durch Uebergriffe der Ausgeschlossenen zu verkuerzendes Anrecht auf
das hoechste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten
politischen Ziel sich die Beschraenkung der Wiederwahl zum Konsulat und
die Ausschliessung der "neuen Menschen"; es gelang denn auch in der
Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1
und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitaeten. Auch die
Tatenlosigkeit der Regierung nach aussen hin haengt ohne Zweifel mit
dieser gegen die Buergerlichen ausschliessenden und gegen die einzelnen
Standesglieder misstrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine
Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der
Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man ueberhaupt es
keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch wuerde dem bestehenden
Regiment der allgemeinen Mittelmaessigkeit selbst ein adliger Eroberer
Syriens oder Aegyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte
es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu
einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege.
Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst
oder gelegentlich durch ausserordentliche Kommissionen ueber die
Provinzialbeamten ausuebte, reichte anerkanntermassen nicht aus; es
war eine fuer das ganze oeffentliche Leben der roemischen Gemeinde
folgenreiche Neuerung, dass im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius
Calpurnius Piso eine staendige Senatorenkommission (quaestio ordinaria)
niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
vorgesetzten roemischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen
Formen zu pruefen. Man suchte die Komitien von dem uebermaechtigen
Einfluss der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der
roemischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen
der Buergerschaft, welche zuerst fuer die Magistratswahlen durch das
Gabinische (615 139), dann fuer die Volksgerichte durch das Cassische
(617 137), endlich fuer die Abstimmung ueber Gesetzvorschlaege durch das
Papirische Gesetz (623 131) eingefuehrt ward. In aehnlicher Weise wurden
bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluss angewiesen,
bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den
bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten.
In diesen auf die Emanzipation der Waehlerschaft von dem regierenden
Herrenstand gerichteten Massregeln mochte die Partei, die sie
veranlasste, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates
erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit
des gesetzlich hoechsten Organs der roemischen Gemeinde auch nicht das
mindeste geaendert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging,
nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel
war die foermliche Anerkennung der Unabhaengigkeit und Souveraenitaet
der Buergerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres
Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf
den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).
---------------------------------------- ^1 Im Jahre 537 (217) wurde
das die Wiederwahl zum Konsulat beschraenkende Gesetz auf die Dauer des
Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach
Marcellus' Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn
die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden,
ueberhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586,
591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152);
also nicht oefter in diesen sechsundfuenfzig als zum Beispiel in den
zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte,
ist mit Verletzung des zehnjaehrigen Intervalls erfolgt; und ohne
Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und
599 (155), zum dritten Konsulat fuer 602 (152), deren naehere Umstaende
wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der
Wiederwahl zum Konsulat ueberhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da
dieser Antrag, als von Cato unterstuetzt (p. 55 Jordan), vor 605 (149)
eingebracht worden sein muss. -------------------------------------
Aber diese Fehde der formalen Volkssouveraenitaet gegen die tatsaechlich
bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die
Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war
in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig
zu spueren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die
jaehrlichen Gemeindewahlen zu den buergerlichen Aemtern, namentlich
zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und
den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen
Faellen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte
politische Prinzipien verkoerpert; regelmaessig blieben dieselben
rein persoenliche Fragen und war es fuer den Gang der Angelegenheiten
gleichgueltig, ob die Majoritaet der Wahlkoerper dem Caecilier oder dem
Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Uebelstaende
des Parteilebens alle uebertraegt und verguetet, der freien und
gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmaessig
erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des
kleinen Spiels der herrschenden Koterien. Es war dem roemischen
Adligen verhaeltnismaessig leicht, die Aemterlaufbahn als Quaestor und
Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur
war auch ihm nur durch grosse und jahrelange Anstrengungen moeglich. Der
Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kaempfer liefen,
wie ein roemischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken
weiten, allmaehlich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht,
solange das Amt war, wie es hiess, eine "Ehre", und militaerische,
politische, juristische Kapazitaeten wetteifernd um die seltenen Kraenze
warben; jetzt aber hob die tatsaechliche Geschlossenheit der Nobilitaet
den Nutzen der Konkurrenz auf und liess nur ihre Nachteile uebrig. Mit
wenigen Ausnahmen draengten die den regierenden Familien angehoerenden
jungen Maenner sich in die politische Laufbahn, und der hastige und
unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nuetzliche
Taetigkeit fuer das gemeine Beste war. Die erste Bedingung fuer die
oeffentliche Laufbahn wurden maechtige Verbindungen; dieselbe
begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der
einflussreichen Maenner. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene
getan, dass sie ihrem Herrn am fruehen Morgen aufzuwarten kamen und
oeffentlich in seinem Gefolge erschienen, das uebertrug sich jetzt auf
die neue vornehme Klientel. Aber auch der Poebel ist ein grosser Herr
und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als
sein Recht zu fordern, dass der kuenftige Konsul in jedem Lumpen von der
Gasse das souveraene Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem
"Umgang" (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begruesse und
ihm die Hand druecke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen
entwuerdigenden Aemterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloss
im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge
durch Liebaeugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder
groeberer Qualitaet. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu
vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie
wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die
Person. Es ward Sitte, dass die bartlosen Juenglinge vornehmer Geburt,
um sich glaenzend in das oeffentliche Leben einzufuehren, mit der
unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos
weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womoeglich gegen
einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwaelten des
Staats aufwarfen; man liess es geschehen, dass das ernste Institut
der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel fuer den
Aemterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die
Verheissung prachtvoller Volkslustbarkeiten war laengst die gleichsam
gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen
auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die
Stimmen der Waehler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die
schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie
um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und
Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den
Regierten gegenueber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch
aus einem Segen fuer das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, ueber
Gut und Blut der Buerger zum Besten des Vaterlandes nach Beduerfnis
zu verfuegen. Man liess die Buergerschaft sich an den gefaehrlichen
Gedanken gewoehnen, dass sie selbst von der vorschussweisen Entrichtung
direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus
ist kein Schoss mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man liess lieber
das Heerwesen verfallen, als dass man die Buerger zu dem verhassten
ueberseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging,
die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzufuehren
versuchten, ist schon gesagt worden. In verhaengnisvoller Weise
verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Missstaende
einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon
im Keime vom Wurmfrass ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach,
welche zuerst in dieser Periode gehoert werden, wollten die "Optimaten"
den Willen der Besten, die "Popularen" den der Gemeinde zur Geltung
bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre
Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide
Parteien stritten gleichermassen fuer Schatten und zaehlten in ihren
Reihen nur entweder Schwaermer oder Heuchler. Beide waren von der
politischen Faeulnis gleichmaessig ergriffen und in der Tat beide gleich
nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da
weder hueben noch drueben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein
politischer Plan sich fand, der ueber diesen hinausgegangen waere, und
so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, dass sie
auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und
der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der
politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen haette ohne Zweifel gewonnen,
wenn entweder die Aristokratie statt der Buergerschaftswahlen geradezu
einen erblichen Turnus eingefuehrt oder die Demokratie ein wirkliches
Demagogenregiment aus sich hervorgebracht haette. Aber diese Optimaten
und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die
einen fuer die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und
Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloss nicht einander vernichten,
sondern, wenn sie es gekonnt haetten, haetten sie es nicht gewollt.
Darueber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer
mehr aus den Fugen und ging seiner voelligen Aufloesung entgegen.
Es ging denn auch die Krise, durch welche die roemische Revolution
eroeffnet ward, nicht aus diesem duerftigen politischen Konflikt hervor,
sondern aus den oekonomischen und sozialen Verhaeltnissen, welche die
roemische Regierung wie alles andere lediglich gehen liess und welche
also Gelegenheit fanden, den seit langem gaerenden Krankheitsstoff jetzt
ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit
uralter Zeit beruhte die roemische Oekonomie auf den beiden ewig
sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der baeuerlichen und der
Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem
grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg
gefuehrt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnaechst
des ganzen Gemeinwesens endigen zu muessen schien, aber ohne eigentliche
Entscheidung abgebrochen ward infolge der gluecklichen Kriege und
der hierdurch moeglich gemachten umfaenglichen und grossartigen
Domanialaufteilung. Es ward schon frueher gezeigt, dass in derselben
Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter
veraenderten Namen erneuerte, das unverhaeltnismaessig anschwellende
Kapital einen zweiten Sturm gegen die baeuerliche Wirtschaft
vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer
ruiniert worden durch Vorschuesse, die ihn tatsaechlich zum Meier seines
Glaeubigers herabdrueckten; jetzt ward er erdrueckt durch die Konkurrenz
des ueberseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort
mit der Zeit; das Kapital fuehrte gegen die Arbeit, das heisst gegen die
Freiheit der Person, den Krieg, natuerlich wie immer in strengster Form
Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, dass der freie Mann
der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmaessig
gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstaedtische Zinsherr
trat auf in zeitgemaesser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer.
Allein das letzte Ergebnis war in beiden Faellen das gleiche:
die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdraengung der
Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien
durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in
Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau; schliesslich die
Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch
Sklaven. Eben wie die Nobilitaet deshalb gefaehrlicher war als das
Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsaenderung
sich beseitigen liess, so war auch diese neue Kapitalmacht darum
gefaehrlicher als die des vierten und fuenften Jahrhunderts, weil gegen
sie mit Aenderungen des Landrechts nichts auszurichten war. Ehe wir es
versuchen, den Verlauf dieses zweiten grossen Konflikts von Arbeit und
Kapital zu schildern, wird es notwendig, ueber das Wesen und den Umfang
der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir
haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermassen unschuldigen
Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte
ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften
kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung
zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermassen als Paechter ueber
einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhaeltnisse bestanden zwar
zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit
die Regel -, allein als Ausnahmezustaende bevorzugter Landschaften
und milde verwalteter Gueter. Hier ist die Grosswirtschaft mit Sklaven
gemeint, welche im roemischen Staat wie einst im karthagischen aus
der Uebermacht des Kapitals sich entwickelte. Waehrend fuer den
Sklavenbestand der aelteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und
die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese
Sklavenwirtschaft, voellig wie die amerikanische, auf systematisch
betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der
Sklaven wenig Ruecksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevoelkerung
bestaendig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den
Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten.
Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon
verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhoert, dass der
arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward.
Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und
kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmaessigen Sklavenjaeger
und Sklavenhaendler, die Kuesten Syriens und die griechischen Inseln
ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die roemischen Zollpaechter in den
Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter
ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang,
dass um 650 (100) der Koenig von Bithynien sich unfaehig erklaerte, den
verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfaehigen
Leute von den Zollpaechtern weggeschleppt seien. Auf dem grossen
Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhaendler ihre Ware
an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu
10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft
gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot
ueberstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der
roemischen Oekonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden,
dass dieselbe wie ueberhaupt die gesamte Grosswirtschaft des Altertums
auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf,
ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte
Mensch. Durch Sklaven wurden grossenteils die Handwerke betrieben,
so dass der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der
Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der oeffentlichen Gefaelle
in den untern Graden regelmaessig beschafft. Ihre Haende besorgten den
Grubenbau, die Pechhuetten und was derart sonst vorkommt; schon frueh
kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden,
deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die
Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut
bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Huetung
des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten,
haeufig berittenen Hirtensklaven auf den grossen Weidestrecken Italiens
ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward
bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der roemischen
Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155),
als die roemischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise
die Viehzucht im grossen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit
schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der
Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven,
welche mit Fussschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die
Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, haeufig
unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese
Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert
und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo,
wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft frueher
und vollstaendiger als in irgendeinem anderen Gebiet der roemischen
Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa
30 000 Jugera urbaren Landes, die als roemische Domaene von den Zensoren
verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit
geteilt unter nicht mehr als 84 Paechter, von denen also
durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein
einziger Leontiner, die uebrigen fremde, meistens roemische Spekulanten
waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die roemischen Spekulanten
hier in die Fussstapfen ihrer Vorgaenger traten und welche grossartigen
Geschaefte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die
roemischen und nichtroemischen Spekulanten gemacht haben werden, die
mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schoene Insel bedeckten. Italien
indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft fuer
jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die
Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo
sie wenigstens vierzig Jahre spaeter in ausgedehntestem Umfange bestand,
hoechstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht
fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch
ueberwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte,
daneben durch Akkordierung groesserer Arbeiten an Unternehmer betrieben.
Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens
von dem sizilischen darin, dass bei dem sizilischen Sklavenaufstand
619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise
lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.
------------------------------------------ 2 Auch damals wurde es
geltend gemacht, dass die Menschenrasse daselbst durch besondere
Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus
(Trip. 542) preist "den Syrerschlag, der mehr vertraegt als ein andrer
sonst". 3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses
(ergastulum von ergazomai nach Analogie von stabulum, operculum) deutet
darauf, dass diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen
Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit
den Roemern zukam. ------------------------------------------ Das Meer
von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich
vor unsern Augen auftut, mag ergruenden, wer den Blick in solche
Tiefen wagt; es ist leicht moeglich, dass mit denen der roemischen
Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist.
Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als
auf die Gefahren, die sie ueber den roemischen Staat brachte und auf
das Verhalten der Regierung denselben gegenueber. Dass dies Proletariat
weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr
beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es haette dies nur geschehen
koennen durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen waeren als das
Uebel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr fuer
Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehoerigen
bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf
die moeglichste Beschraenkung des Proletariats durch Hebung der freien
Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die roemische Aristokratie diesen
beiden Aufgaben nachkam. Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die
allerorts ausbrechenden Sklavenverschwoerungen und Sklavenkriege. In
Italien schienen die wuesten Vorgaenge, wie sie in den unmittelbaren
Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu
erneuern; auf einmal musste man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450,
in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133).
Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem
grossen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte
man um dieselbe Zeit die aufstaendischen Sklaven mit den Waffen
zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine
kleinasiatischen "Sonnenstaedter" war wesentlich ein Krieg der
Besitzenden gegen die empoerten Sklaven. Am aergsten aber stand es
natuerlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in
Sizilien. Die Raeuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande,
laengst ein stehendes Uebel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu
steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller
Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna
(Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven
ueberfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna
stroemte und dort derselbe Vorgang in groesserem Massstab sich
erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, toeteten
oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen
Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer
zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt,
jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der Koenig der Syrer. Warum
auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht,
der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das koenigliche
Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere "Feldherr" des neuen
Koenigs, der griechische Sklave Achaeos, durchstreifte die Insel, und
nicht bloss die wilden Hirten stroemten von nah und fern unter die
seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles
Ueble goennten, machten mit den empoerten Sklaven gemeinschaftliche
Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave,
Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Raeuber, dem gegebenen
Beispiel und besetzte Akragas, und da die Haeupter miteinander sich
vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den
Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner groesstenteils aus sizilischen
Milizen bestehenden Armee gaenzlich zu schlagen und sein Lager
zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der
Aufstaendischen, deren Zahl nach den maessigsten Angaben sich auf 70000
Waffenfaehige belaufen haben soll; die Roemer sahen sich genoetigt, drei
Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere
nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil
ungluecklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und
von Enna der Aufstand ueberwaeltigt war. Vor der letzteren Stadt, in die
sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um
sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Maenner
verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die
Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch
und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4.
------------------------------------------------- 4 Noch jetzt finden
sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jaeh ist,
nicht selten roemische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von
621 (133): L. Piso L. f. cos.
------------------------------------------------- Das waren die
Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem roemischen Senat und
dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die
Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit
der Regierung erfordert und nur zu oft uebersteigt, so ist dagegen die
polizeiliche Niederhaltung desselben fuer jedes groessere Gemeinwesen
verhaeltnismaessig leicht. Es staende wohl um die Staaten, wenn die
besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie
auch droht von Baeren und Woelfen; nur der Aengsterling und wer mit der
albernen Angst der Menge Geschaefte macht, prophezeit den Untergang
der buergerlichen Ordnung in Sklavenaufstaenden oder
Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der
Baendigung der gedrueckten Massen ward von der roemischen Regierung
trotz des tiefsten Friedens und der unerschoepflichen Hilfsquellen des
Staats keineswegs genuegt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwaeche;
aber nicht ihrer Schwaeche allein. Von Rechts wegen war der roemische
Statthalter verpflichtet, die Landstrassen rein zu halten und die
aufgegriffenen Raeuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu
lassen; natuerlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht moeglich ohne
Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch
mitunter, wenn die Strassen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter
eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht
zu verderben, wurden die gefangenen Raeuber von der Behoerde in der
Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese
Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie
Kleider begehrten, mit Pruegel antworteten und mit der Frage, ob denn
die Reisenden nackt durch das Land zoegen. Die Folge solcher Konnivenz
war denn, dass nach Ueberwaeltigung des Sklavenaufstandes der Konsul
Publius Rupilius alles, was lebend in seine Haende kam, es heisst ueber
20000 Menschen, ans Kreuz schlagen liess. Es war freilich nicht laenger
moeglich, das Kapital zu schonen. Unendlich schwerer zu gewinnende,
freilich auch unendlich reichere Fruechte verhiess die Fuersorge
der Regierung fuer Hebung der freien Arbeit und folgeweise fuer
Beschraenkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser
Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte
man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner
Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt
ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift ueber den
Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach
karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins
Lateinische uebersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem
roemischen Senat veranlassten literarischen Unternehmung! Dieselbe
Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr
in der Lebensfrage fuer Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte
nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten
sozialen Krise Roms, um zu begreifen, dass gegen ein agrikoles
Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden
und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die aeusseren
Verhaeltnisse Roms die guenstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das
Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwaehrenden
Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwaehrende
Gruendung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs
in dem Masse geschehen, wie es haette geschehen koennen und sollen;
man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte
Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen
neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie
namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben,
aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare
Domaene verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt,
vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach
der Gruendung von Luna (577 177) findet sich, ausser der vereinzelt
stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597
(157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die
Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner ausser
den wenig lockenden ligurischen Taelern neues Gebiet in Italien nicht
gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als
das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der
Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie
vor dreihundert Jahren. Das ausserhalb Italien! gewonnene Gebiet zur
Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gruenden unzulaessig;
Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen
italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn
man nicht die Ruecksichten der hoeheren Politik oder gar die
Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts
uebrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und
also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Aecker ohne
Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer guetlich abging
- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, waehrend er im Felde
stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stossen und ihn mittels der Theorie
der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer
fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu
bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst
abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das
gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudruecken.
Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das
italische von dem hauptstaedtischen Markt zu verdraengen und dasselbe
auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte
einheimische Aristokratie im Bunde mit den roemischen Kapitalisten
schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, dass es dort keinen freien
Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt
werden, dass die Tiere ihr Lager haetten, den Buergern aber nichts
geblieben sei als Luft und Sonnenschein und dass die, welche die Herren
der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar
zu diesen Worten lieferten die Zaehlungslisten der roemischen
Buergerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre
595 (159) ist die Buergerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache
wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen
Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zaehlung 328000
waffenfaehige Buerger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmaessiges
Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607
(147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfaehige Buerger
stellt - ein erschreckendes Ergebnis fuer eine Zeit tiefen inneren und
aeusseren Friedens. Wenn das so fortging, loeste die Buergerschaft sich
auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schliesslich der roemische Staat,
wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt
kaufen. So standen die aeusseren und inneren Verhaeltnisse Roms, als der
Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin
man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbraeuche und Verfall;
jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwaegung sich
aufdraengen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte
an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen
Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des
Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des grossen Scipio, der dessen
glorreichen Afrikanernamen nicht bloss kraft Erb-, sondern auch kraft
eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus
(570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein massvoller, durch und
durch gesunder Mann, nie krank am Koerper und nie unsicher ueber den
naechsten und notwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte
er sich ferngehalten von dem gewoehnlichen Treiben der politischen
Anfaenger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren
und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als
Siebzehnjaehriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter
seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafuer
sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberuehrten Wildhag der
Koenige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern
seine Musse auf wissenschaftlichen und literarischen Genuss. Durch die
Fuersorge seines Vaters war er frueh in diejenige echte griechische
Bildung eingefuehrt worden, welche ueber das geschmacklose Hellenisieren
der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende
Wuerdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und
durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Roemer den Hoefen des
Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus
erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem
klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller,
zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden
gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen,
von den spaeteren Literatoren als Meisterstuecke mustergueltiger
Prosa geschaetzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und
roemischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm
freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat,
die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein
sittlich fester und zuverlaessiger Mann, galt sein Wort bei Freund
und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach;
dafuer handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloss ehrlich und
uneigennuetzig, sondern auch mit einer dem kaufmaennischen Sinn seiner
Zeitgenossen seltsam duenkenden Zartheit und Liberalitaet. Er war ein
tuechtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er
den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefaehrdeter Buerger mit eigener
Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als
Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen
Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstaende ihm
keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale
Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe fuer Xenophon, den nuechternen
Militaer und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter
Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch
organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, dass er es
nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Missbraeuche
abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung
der Rechtspflege. Hauptsaechlich durch seinen Beistand vermochte
Lucius Cassius, ein tuechtiger Mann von altvaeterischer Strenge und
Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein
Stimmgesetz durchzubringen, welches fuer die noch immer den wichtigsten
Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime
Abstimmung einfuehrte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht
hatte mitmachen moegen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der
schuldigsten Maenner der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem
Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber
und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das
Soldatengesindel wieder zurueck gezwungen unter den eisernen Druck der
alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der
glattkinnigen Manschettentraeger aufgeraeumt und mit ernsten Worten die
Buergerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Vaeter
treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es
verkennen, dass die Verschaerfung der Rechtspflege und das vereinzelte
Dazwischenfahren nicht einmal Anfaenge waren zur Heilung der organischen
Uebel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht geruehrt.
Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios aelterer Freund und sein
politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefasst, die
Einziehung des unvergebenen, aber vorlaeufig okkupierten italischen
Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends
verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand
von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff
war, und ward fortan "der Verstaendige" genannt. Auch Scipio dachte
also. Er war von der Groesse des Uebels voellig durchdrungen und griff,
wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person
ruecksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch ueberzeugt, dass
dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im
vierten und fuenften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen
hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel
schlimmer als das Uebel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befuerwortung des
Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch
auch nicht genuegte noch genuegen wollte, waehrend seines Lebens einsam,
nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der
Aristokratie, bald als Beguenstiger der Reform. Bis auf seine Zeit
hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Goetter
angerufen, dem Staat groessere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der
Zensor Scipio betete, dass sie geneigen moechten, den Staat zu erhalten.
Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. Aber
wo der Mann verzagte, der zweimal das roemische Heer aus tiefem Verfall
zum Siege gefuehrt hatte, da getraute sich ein tatenloser Juengling, zum
Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hiess Tiberius Sempronius Gracchus
(591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585
177, 163;169) war das rechte Musterbild eines roemischen Aristokraten.
Die glaenzende, nicht ohne Bedrueckung der abhaengigen Gemeinden zuwege
gebrachte Pracht seiner aedilizischen Spiele hatte ihm schweren
und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, waehrend er durch sein
Einschreiten in dem leidigen Prozess gegen die persoenlich ihm
verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
Standesgefuehl, durch sein energisches Auftreten gegen die
Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betaetigte
und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem
durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst
und zugleich in den Gemuetern der unterworfenen Nation ein dauerndes
Gedaechtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. Seine Mutter Cornelia war
die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen
Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn
erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die
nach dem Tode ihres viel aelteren Gemahls die Hand des Koenigs von
Aegypten zurueckgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den
Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der aeltere von den beiden
Soehnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks
und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als
zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen
gehoerte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische
und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio
Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter
ihm hatte Tiberius als Achtzehnjaehriger die Erstuermung Karthagos
mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und
kriegerische Auszeichnungen erworben. Dass der tuechtige junge Mann die
Anschauungen ueber den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie
in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich ueber die Hebung
des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus
der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch
nicht bloss die jungen Leute, denen das Zurueckweichen des Laelius vor
der Durchfuehrung seiner Reformideen nicht verstaendig erschien, sondern
schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618
136), einer der angesehensten Maenner des Senats, tadelte mit all der
gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier
erblich war und blieb, dass der Scipionische Kreis den Plan der
Domaenenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer,
wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die
Zensur in persoenliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius
Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und
Rechtsgelehrter im Senat wie in der Buergerschaft allgemein verehrt.
Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begruender der
wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht
abgeneigt, und seine Stimme war von um so groesserem Gewicht, als er
gewissermassen ausserhalb der Parteien stand. Aehnlich dachte Quintus
Metellus, der Ueberwinder Makedoniens und der Achaeer, mehr aber noch
als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und
Sitte in seinem haeuslichen wie in seinem oeffentlichen Leben. Tiberius
Gracchus stand diesen Maennern nahe, namentlich dem Appius, dessen
Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib
genommen hatte; es war kein Wunder, dass der Gedanke sich in ihm
regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer
Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmaessig die Initiative
gestatte. Persoenliche Motive mochten ihn hierin bestaerken. Der
Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloss,
war wesentlich Gracchus' Werk; dass der Senat ihn kassiert hatte, dass
der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit
den uebrigen hoeheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die
groessere Gunst, deren er bei der Buergerschaft genoss, entgangen war,
konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen
gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen
er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenaeer Diophanes, der
Kymaeer Gaius Blossius, naehrten in seiner Seele die Ideale, mit denen
er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden,
fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher oeffentliche
Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes,
der Rettung Italiens zu gedenken. Am 10. Dezember 620 (134) uebernahm
Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der
bisherigen Missregierung, der politische, militaerische, oekonomische,
sittliche Verfall der Buergerschaft lagen eben damals nackt und bloss
jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine
ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufstaendischen Sklaven und war
der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschaeftigt, eine kleine
spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdruecken. Wenn es
noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus' Entschluss
zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemuet mit
unnennbarer Angst erfuellenden Zustaenden. Sein Schwiegervater versprach
Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstuetzung des
Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul fuer 621 (133) erwaehlt
worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die
Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine
Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es
sollten danach die saemtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne
Entgelt benutzten Staatslaendereien - die verpachteten, wie zum Beispiel
das Gebiet von Capua, beruehrte das Gesetz nicht - von Staats wegen
eingezogen werden, jedoch mit der Beschraenkung, dass der einzelne
Okkupant fuer sich 500 und fuer jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht
ueber 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten
oder dafuer Ersatz in Land in Anspruch nehmen duerfen. Fuer etwaige, von
den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebaeude und
Pflanzungen, scheint man Entschaedigung bewilligt zu haben. Das also
eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und
diese teils an Buerger, teils an italische Bundesgenossen verteilt
werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveraeusserliche
Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine
maessige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein
Kollegium von drei Maennern, die als ordentliche und stehende Beamte
der Gemeinde angesehen und jaehrlich von der Volksversammlung gewaehlt
wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschaeft beauftragt,
wozu spaeter noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich
festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die
Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend,
bis dass die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen
Domaenen reguliert sein wuerden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz
verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel
zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die fuer die neuen Landstellen
beantragte Erbpachtgutsqualitaet und Unveraeusserlichkeit, teils und
vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in
dem aelteren Gesetz hauptsaechlich bewirkt hatte, dass dasselbe
ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. Den grossen
Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen
Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklaert, und seit langem
zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter
Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf
in der fuer solche Faelle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen
des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege
des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der
Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich ueberzeugter
Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte;
womit verfassungsmaessig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte
nun seinerseits die Staatsgeschaefte und die Rechtspflege und legte
seine Siegel auf die oeffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war
unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos,
brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natuerlich
wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte
seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht
zu wehren, mochte er erwidern, dass darueber, wie Italien gerettet
werden koenne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmaessiges
Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen,
ausser allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus
einen leidlichen Rueckzug zu eroeffnen; zwei Konsulare forderten ihn
auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging
der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, dass
der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe;
allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der
Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die
verfassungsmaessigen Wege waren erschoepft. In frueheren Zeiten hatte
man unter solchen Verhaeltnissen es sich nicht verdriessen lassen,
den gestellten Antrag fuer dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem
folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der
Druck der oeffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man
rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf
die Reform ueberhaupt verzichten oder die Revolution beginnen musste;
er tat das letztere, indem er mit der Erklaerung vor die Buergerschaft
trat, dass entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden
muesse, und diesem ansann, die Buerger darueber abstimmen zu lassen,
welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich
natuerlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die
Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der
Kollegen Raum zu gewaehren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem
Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob
nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt
habe; und die Versammlung, laengst gewohnt, zu allen an sie gebrachten
Antraegen ja zu sagen und groesstenteils zusammengesetzt aus dem
vom Lande hereingestroemten und bei der Durchfuehrung des Gesetzes
persoenlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast
einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus' Befehl durch
die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter
allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten
Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des
Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjaehrigen Bruder Gaius und seinem
Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die
Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie ueblich
an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24
Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer
gehaessiger und persoenlicher. Das schwierige und verwickelte Geschaeft
der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domaenen trug den Hader in
jede Buergergemeinde, ja selbst in die verbuendeten italischen Staedte.
Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht,
weil sie muesse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber
ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankuendigung des Quintus
Pompeius, dass er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat
niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen,
die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste.
Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persoenliche
Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine
Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worueber er selbst von dem
der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte
hoeren wusste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung
seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, dass
er erst am Anfang stand. Das "Volk" war ihm zu Dank verpflichtet; aber
er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte
als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich
blieb und durch andere und weitergreifende Vorschlaege neue und immer
neue Interessen und Hoffnungen an sich knuepfte. Ebendamals war durch
das Testament des letzten Koenigs von Pergamon den Roemern Reich und
Vermoegen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk,
den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung
des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte ueberhaupt,
gegen die bestehende Uebung, der Buergerschaft das Recht, ueber die
neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populaere Gesetze, ueber
Abkuerzung der Dienstzeit, ueber Ausdehnung des Provokationsrechts,
ueber die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschliesslich als
Zivilgeschworene zu fungieren, sogar ueber die Aufnahme der italischen
Bundesgenossen in den roemischen Buergerverband, soll er vorbereitet
haben; wie weit seine Entwuerfe in der Tat gereicht haben, laesst sich
nicht entscheiden, gewiss ist nur, dass Gracchus seine einzige Rettung
darin sah, das Amt, das ihn schuetzte, von der Buergerschaft auf
ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und dass er, um diese
verfassungswidrige Verlaengerung zu bewirken, weitere Reformen in
Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen
zu retten, so wusste er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen
aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen
fuer das naechste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre
Stimmen fuer Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch
schliesslich wenigstens insoweit durch, dass die Versammlung
unverrichteter Sache aufgeloest und die Entscheidung auf den folgenden
Tag verschoben ward. Fuer diesen setzte Gracchus alle Mittel in
Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im
Trauergewand und empfahl ihm seinen unmuendigen Knaben; fuer den Fall,
dass die Wahl abermals durch Einspruch gestoert werden wuerde, traf
er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem
Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam
der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden
und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Buerger
zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der
Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzaehlte sich in der Stadt,
bald dass Tiberius die saemtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald dass
er ohne Wiederwahl sein Amt fortzufuehren entschlossen sei. Der Senat
versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die
erbittertsten Gegner des Gracchus fuehrten in der Sitzung das Wort; als
Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getuemmel dem
Volke zu erkennen zu geben, dass sein Leben bedroht sei, hiess es, er
fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der koeniglichen Binde
zu schmuecken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverraeter
sofort toeten zu lassen; als der gemaessigte, der Reform an sich
keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren
unwillig zurueckwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein
harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich
zu bewaffnen, wie sie koennten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten
war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk
wich scheu auseinander, als es die vornehmen Maenner mit Stuhlbeinen
und Knuetteln in den Haenden zornigen Auges heranstuermen sah; Gracchus
versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stuerzte auf der
Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wuetenden - Publius
Satureius und Lucius Rufus stritten sich spaeter um die Henkerehre -
vor den Bildsaeulen der sieben Koenige am Tempel der Treue durch einen
Knuettelschlag auf die Schlaefe getoetet; mit ihm dreihundert andere
Maenner, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die
Koerper in den Tiberfluss gestuerzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche
seines Bruders zur Bestattung zu vergoennen. Solch einen Tag hatte
Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjaehrige Hader der Parteien
waehrend der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe gefuehrt,
wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der
Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurueck. Man
hatte nur die Wahl, eine grosse Zahl der zuverlaessigsten Parteigenossen
der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf
die Gesamtheit zu uebernehmen; das letztere geschah. Man hielt
offiziell daran fest, dass Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und
rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man
ueberwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus' Mitschuldige
einer besonderen Kommission und liess deren Vormann, den Konsul Publius
Popillius, dafuer sorgen, dass durch Blutsentenzen gegen eine grosse
Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachtraeglich eine Art
rechtlichen Gepraeges aufgedrueckt ward (622 132). Nasica, gegen den
vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut
hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu
vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwaenden nach Asien gesandt und bald
darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die
gemaessigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius
Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner;
Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte,
verteidigte sie spaeter im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
Rueckkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich oeffentlich
darueber zu erklaeren, ob er die Toetung seines Schwagers billige oder
nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, dass, wofern er nach
der Krone getrachtet habe, er mit Recht getoetet worden sei. Versuchen
wir ueber diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen.
Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefaehrlichen
Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gruendung neuer
Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfuegung stehenden
italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein
Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den
obwaltenden politischen und sozialen Verhaeltnissen zweckmaessig. Die
Aufteilung der Domaenen ferner war an sich keine politische Parteifrage;
sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgefuehrt werden, ohne dass
die bestehende Verfassung geaendert, das Regiment der Aristokratie
irgend erschuettert ward. Ebensowenig konnte hier von einer
Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermassen war der Eigentuemer
des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloss
geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutglaeubigen
Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte,
stand ihm entgegen, dass gegen den Staat nach roemischem Landrecht die
Verjaehrung nicht lief. Die Domaenenaufteilung war keine
Aufhebung, sondern eine Ausuebung des Eigentums; ueber die formelle
Rechtsbestaendigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit,
dass die Domaenenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag
tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloss, war der Versuch,
diese Rechtsansprueche des Staats jetzt durchzufuehren, politisch noch
keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat,
wenn ein grosser Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsaechlich
seit langen Jahren nicht erhobene Ansprueche ploetzlich in ihrem ganzen
Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem
Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar
hatten diese okkupierten Domaenen zum Teil seit dreihundert Jahren sich
in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats,
das seiner Natur nach ueberhaupt leichter als das des Buergers den
privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstuecken so gut
wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgaengig durch Kauf oder
sonstigen laestigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist
mochte sagen was er wollte; den Geschaeftsleuten erschien die Massregel
als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des
agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie
anders bezeichnen. Dass die leitenden Maenner der catonischen Epoche
nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines
aehnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211)
zur Domaene geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstaedten war
in den folgenden unruhigen Zeiten tatsaechlich groesstenteils in
Privatbesitz uebergegangen. In den letzten Jahren des sechsten
Jahrhunderts, wo man vielfaeltig, besonders durch Catos Einfluss
bestimmt, die Zuegel des Regiments wieder straffer anzog, beschloss die
Buergerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum
Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte
auf einer nicht durch vorgaengige Aufforderung, sondern hoechstens durch
Konnivenz der Behoerden gerechtfertigten und nirgends viel ueber ein
Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die
Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem
Stadtpraetor Publius Lentulus ausgeworfene Entschaedigungssumme aus dem
Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber
doch auch nicht unbedenklich war es, dass fuer die neuen Landlose
Erbpachtqualitaet und Unveraeusserlichkeit festgestellt ward. Die
liberalsten Grundsaetze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten
Rom gross gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der
roemischen Institutionen, dass diese neuen Bauern von oben herab
angehalten wurden, ihr Grundstueck in einer bestimmten Weise zu
bewirtschaften, und dass fuer dasselbe Retraktrechte und alle der
Verkehrsbeschraenkung anhaengenden Einschnuerungsmassregeln festgestellt
wurden. ----------------------------------------------- 5 Die bisher nur
aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte
Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich
vervollstaendigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen,
dass Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte
Entschaedigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentuemern
aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war
und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.
---------------------------------------------- Man wird einraeumen, dass
diese Einwuerfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen.
Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsaechliche Expropriation der
Domaenenbesitzer war sicher ein grosses Uebel; aber sie war dennoch das
einzige Mittel, um einem noch viel groesseren, ja den Staat geradezu
vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens
auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die
ausgezeichnetsten und patriotischsten Maenner auch der konservativen
Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die
Domaenenaufteilung an sich billigten und wuenschten. Aber wenn der
Zweck des Tiberius Gracchus wohl der grossen Majoritaet der einsichtigen
Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der
Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen
Mannes Billigung gefunden und finden koennen. Rom wurde um diese Zeit
regiert durch den Senat. Wer gegen die Majoritaet des Senats eine
Verwaltungsmassregel durchsetzte, der machte Revolution. Es
war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die
Domaenenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den
Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der
Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmaessig beseitigte,
die tribunizische Interzession durch die mit unwuerdiger Sophistik
gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloss fuer jetzt,
sondern fuer alle Folgezeit zerstoerte. Indes nicht hierin liegt die
sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus' Tun. Fuer die
Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat
zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiss ein Revolutionaer,
aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswuerdiger Staatsmann.
Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur
zu oft uebersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen
Buergerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das
des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und
denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Maenner nicht weniger
verschieden als die ehemalige roemische Buergerschaft, welche mit den
Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die
Provinzen Asia und Africa einrichten liess. Jene war eine staedtische
Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein
grosser Staat, dessen Angehoerige in einer und derselben Urversammlung
zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso
klaegliches wie laecherliches Resultat gab. Es raechte sich hier der
Grundfehler der Politie des Altertums, dass sie nie vollstaendig von der
staedtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem
System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist.
Die souveraene Versammlung Roms war, was die souveraene Versammlung in
England sein wuerde, wenn statt der Abgeordneten die saemtlichen Waehler
Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
allen Interessen und allen Leidenschaften wuest bewegte Masse, in
der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die
Verhaeltnisse zu uebersehen noch auch nur einen eigenen Entschluss
zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen
Ausnahmefaellen abgesehen, unter dem Namen der Buergerschaft ein
paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufaellig
aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Buergerschaft fand
sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
Repraesentanten in der Regel ungefaehr ebenso genuegend vertreten wie
in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repraesentierenden
dreissig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluss
nichts war als ein Beschluss desjenigen Magistrats, der die
Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und
Zenturienbeschluss in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige
obligate Jaherren legalisierter Beschluss des vorschlagenden Beamten.
Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man
es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Buerger
erschienen, so war dagegen in den blossen Volksversammlungen, den
Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte,
Aegypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes
bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht
abstimmen noch beschliessen. Allein tatsaechlich beherrschte dasselbe
die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam
etwas darauf an, ob diese wueste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt
ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den
Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen
anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner
Aeusserung ueber den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da,
sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt
zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht,
dass ich die losgebunden fuerchten werde, die ich in Ketten auf den
Sklavenmarkt geschickt habe? Dass man der verrosteten Maschine der
Komitien sich fuer die Wahlen und fuer die Gesetzgebung bediente, war
schon uebel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunaechst den Komitien
und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete
und dem Senat das Werkzeug zur Verhuetung solcher Eingriffe aus den
Haenden wand; wenn man gar diese sogenannte Buergerschaft aus dem
gemeinen Saeckel sich selber Aecker samt Zubehoer dekretieren liess;
wenn man einem jeden, dem die Verhaeltnisse und sein Einfluss beim
Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu
beherrschen, die Moeglichkeit eroeffnete, seinen Projekten den legalen
Stempel des souveraenen Volkswillens aufzudruecken, so war man nicht
am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie
angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen
Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die
Buergerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt.
Darum bezeichnen Gracchus' Zeitgenossen, die Maenner des Scipionischen
Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt
auf jener verhaengnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles
der roemischen Groesse. Darum liessen dieselben den Urheber der
Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende
gleichsam einen Damm gegen kuenftige aehnliche Versuche, waehrend sie
doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie
festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, dass
redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedraengt
wurden, den Uebeltaeter preiszugeben und die Frucht der Uebeltat sich
anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne
nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es
ist fuer ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, dass
dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische
Regiment war so durchaus verderblich, dass der Buerger, der den Senat
ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem
Gemeinwesen mehr noch nuetzte, als er ihm schadete. Allein dieser kuehne
Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich faehiger,
durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht
wusste, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den
Poebel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis
die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam draengte in
die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission,
den Eingriffen in das oeffentliche Kassenwesen, den durch Not und
Verzweiflung erpressten weiteren "Reformen", der Leibwache von der Gasse
und den Strassengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt fuer
Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten
Geister der Revolution den unfaehigen Beschwoerer packten und
verschlangen. Die ehrlose Schlaechterei, durch die er endigte, richtet
sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein
die Maertyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus' Namen geschmueckt
hat, kam hier wie gewoehnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner
Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe
gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: "Also verderb' ein jeder, der
aehnliche Werke vollfuehrt hat!" Und als des Tiberius juengerer Bruder
Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene
Mutter: "Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird
die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schaemen, den
Staat verwirrt und zerruettet zu haben?" So sprach nicht die besorgte
Mutter, sondern die Tochter des Ueberwinders der Karthager, die noch
ein groesseres Unglueck kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. 3.
Kapitel Die Revolution und Gaius Gracchus Tiberius Gracchus war tot;
indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution,
ueberlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat
gegenueber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen
Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den
wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr
befestigt als erschuettert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der
Aristokratie, welche die Domanialteilung offen beguenstigte, an ihrer
Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und
Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio
Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst
im Senat fuer jetzt die Oberhand, und ausdruecklich wies ein
Senatsbeschluss die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach
dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jaehrlich von der Gemeinde
ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein
bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natuerlich, dass die Wahl
wieder und wieder auf dieselben Maenner fiel und eigentliche Neuwahlen
nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat
fuer Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders
Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und
auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschaeft in
Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der taetigsten Fuehrer
der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo.
Schon die Namen dieser Maenner buergen dafuer, dass man das Geschaeft
der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer
und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafuer nicht an
Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius,
derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhaenger des Tiberius Gracchus
leitete, verzeichnet auf einem oeffentlichen Denkmal sich als "den
ersten, der auf den Domaenen die Hirten aus- und dafuer die Bauern
eingewiesen habe", und auch sonst ist es ueberliefert, dass sich die
Aufteilung ueber ganz Italien erstreckte und ueberall in den bisherigen
Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch
Gruendung neuer Gemeinden, sondern durch Verstaerkung der bestehenden
die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen
Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser
Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der roemischen Feldmesserkunst
auf die Gracchischen Landanweisungen zurueckgehenden Einrichtungen; wie
denn zum Beispiel eine gehoerige und kuenftigen Irrungen vorbeugende
Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und
Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten
aber reden die Zahlen der Buergerliste. Die Schaetzung, die im Jahre
623 (131) veroeffentlicht ward und tatsaechlich wohl Anfang 622 (132)
stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfaehige Buerger, wogegen
sechs Jahre spaeter (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die
Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich
infolge dessen, was die Teilungskommission fuer die roemische
Buergerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen
in demselben Verhaeltnis vermehrt hat, laesst sich bezweifeln; auf
alle Faelle war das, was sie erreichte, ein grosses und segensreiches
Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung
achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt
mit den entschiedensten Parteimaennern und durchaus Richter in eigener
Sache, ging mit seinen Arbeiten ruecksichtslos und selbst tumultuarisch
vor; oeffentliche Anschlaege forderten jeden, der dazu imstande sei,
auf ueber die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben;
unerbittlich wurde zurueckgegangen auf die alten Erdbuecher und nicht
bloss neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert,
sondern auch vielfaeltig wirkliches Privateigentum, ueber das der
Inhaber sich nicht genuegend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie
laut und grossenteils begruendet auch die Klagen waren, der Senat liess
die Aufteiler gewaehren: es war einleuchtend, dass, wenn man einmal
die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches ruecksichtsloses
Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte
dies Gewaehrenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland
war nicht lediglich in den Haenden roemischer Buerger; grosse Strecken
desselben waren einzelnen bundesgenoessischen Gemeinden durch Volks-
oder Senatsbeschluesse zu ausschliesslicher Benutzung zugewiesen,
andere Stuecke von latinischen Buergern erlaubter- oder unerlaubterweise
okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen
an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbuergern
einfach okkupierten Stuecke unzweifelhaft zulaessig, nicht minder
vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschluesse, ja selbst
des durch Gemeindebeschluesse den italischen Gemeinden ueberwiesenen
Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum
verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private
nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder
Untertanengemeinden, dass Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht
einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
verletzten roemischen Buerger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich
mochten jene nicht besser begruendet sein als diese; aber wenn es in
diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehoerigen handelte,
so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es
politisch richtig sei, die militaerisch so wichtigen und schon
durch zahlreiche rechtliche und faktische Zuruecksetzungen Rom sehr
entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche
Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die
Entscheidung lag in den Haenden der Mittelpartei; sie war es gewesen,
die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhaengern die
Reform gegen die Oligarchie geschuetzt hatte, und sie allein vermochte
jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu
setzen. Die Latiner wandten sich persoenlich an den hervorragendsten
Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu
schuetzen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluss ^1
ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluss der Teilkommission die
Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was
Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln
gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam.
Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren
Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs
gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen
Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr,
zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschaeft
unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da
die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch
sie notgedrungen untaetig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst
Maenner wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios
Zwischentreten. In anderen Kreisen begnuegte man sich nicht mit der
Missbilligung. Auf einen der naechsten Tage hatte Scipio einen Vortrag
ueber die Verhaeltnisse der Latiner angekuendigt; am Morgen dieses Tages
ward er tot in seinem Bette gefunden. Dass der sechsundfuenfzigjaehrige
in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher
oeffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede fuer den
naechsten Tag zu entwerfen, sich frueher als gewoehnlich in sein
Schlafgemach zurueckgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes
geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher
der gegen ihn gerichteten Mordanschlaege oeffentlich erwaehnt. Welche
meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner
Zeit bei naechtlicher Weile erwuergt hat, ist nie an den Tag
gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen
Stadtklatsch ueberlieferten Geruechte zu wiederholen noch den kindischen
Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur
dass der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehoert haben muss, ist
einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten
nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fuerchtend, dass ihre Fuehrer,
Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess
moechten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kraeften der
Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio
ebensosehr einen Gegner wie einen Verbuendeten verlor, liess nicht
ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemaessigten Maenner standen
entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten
gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen
schaudernd sich abwandte und seinen vier Soehnen befahl, die Bahre des
grossen Gegners zur Feuerstaette zu tragen. Die Leichenbestattung ward
beschleunigt; verhuellten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht
des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Toten
Antlitz haette sehen duerfen, und die Flammen des Scheiterhaufens
verzehrten mit der Huelle des hohen Mannes zugleich die Spuren des
Verbrechens. ----------------------------------------------------------
^1 Hierher gehoert ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit
nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz ueber Quaestionengerichte
gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut
triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv.
ep. 28; oben S. 95).
---------------------------------------------------------- Die
Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus,
aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an voelliger Abwesenheit des
politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt;
vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle
zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Faehigkeiten sich
bewusst, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen
Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer
Rettung, in der klaren Einsicht, nur uebel damit aerger zu machen,
in sich niederzukaempfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica
gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Moerder
verteidigen zu muessen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst
gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des
Sempronischen Gesetzes, dem die roemische Buergerschaft einen Zuwachs
von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese
Domanialteilung hemmte, als sie genuetzt hatte, was sie nuetzen konnte.
Dass es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von
wohlmeinenden Maennern bestritten; aber die Tatsache, dass auch Gaius
Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und
unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurueckkam, spricht
gar sehr dafuer, dass Scipio im wesentlichen den richtigen Moment
traf. Beide Massregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der
Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber
mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld
fuer sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort
den Tod von Moerderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer
nicht minder fuer Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern
gefallen waere. Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging
an. Die revolutionaere Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine
konstituierte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Scipios Lebzeiten
hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplaenkelt; namentlich
Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als
Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die
geheime Abstimmung in den Buergerschaftsversammlungen durchgesetzt,
soweit es nicht bereits frueher geschehen war, und sogar den
bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um
dasselbe Amt fuer das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also
das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunaechst gescheitert war,
gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand
Scipios vereitelt worden; einige Jahre spaeter, wie es scheint nach
dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschraenkenden Klauseln,
wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsaechliche Absicht der Partei
ging indes auf Reaktivierung des faktisch ausser Taetigkeit gesetzten
Teilungsamts: unter den Fuehrern ward der Plan ernstlich besprochen,
die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben
entgegenstellten, durch Erteilung des Buergerrechts an dieselben zu
beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu
begegnen, liess der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
Pennus die Ausweisung saemtlicher Nichtbuerger aus der Hauptstadt
beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des
Gaius Gracchus, und der durch diese gehaessige Massregel hervorgerufenen
Gaerung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul
mit dem Antrag, den Buergern der Bundesgemeinden die Gewinnung der
roemischen Buergerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht
gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die roemischen
Komitien einzuraeumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte
inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius
Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien - und scheiterte an dem
Widerstand nicht bloss des Senats, sondern auch der Buergerschaft, die
der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig
geneigt war. Flaccus verliess Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten
zu uebernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den
grossen Plaenen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit
aus der ueblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten
Bundesgenossen die Waffen tragen zu muessen. Fregellae, an der Grenze
von Latium und Kampanien am Hauptuebergang ueber den Liris inmitten
eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die
zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewoehnliche
Wortfuehrer fuer die saemtlichen latinischen Kolonien, begann infolge
der Zurueckweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen
Rom - seit hundertfuenfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen,
nicht durch auswaertige Maechte herbeigefuehrten Schilderhebung Italiens
gegen die roemische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den
Brand, ehe er andere bundesgenoessische Gemeinden ergriff, im Keime zu
ersticken; nicht durch die Ueberlegenheit der roemischen Waffen, sondern
durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward
der Praetor Lucius Opimius rasch Meister ueber die empoerte Stadt, die
ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward.
Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria
gegruendet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die
umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht
schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse
verfolgten nicht bloss die Fregellaner, sondern auch die Fuehrer der
Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an
dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius
Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefuerchteten
Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die uebliche
Abloesung unterliess und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren
dennoch zurueckkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen
Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
Buergerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh
auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewoehnlich
zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631
(123) ernannt. Der Krieg war also erklaert. Die demokratische Partei,
immer arm an leitenden Kapazitaeten, hatte neun Jahre hindurch
notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende
und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo
und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Fuehrerschaft
berufen war. ---------------------------------------------------- 2 Die
Restriktion, dass die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an
anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer
zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den aelteren Ordnungen
anzugehoeren (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473),
sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.
---------------------------------------------------- Gaius Gracchus
(601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre aelteren
Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt,
ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia
unter seinem Schwager und spaeter in Sardinien mit Auszeichnung
gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war
er dem Tiberius entschieden ueberlegen. An der Klarheit und
Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich spaeter in dem Drang der
verschiedenartigsten, zur praktischen Durchfuehrung seiner zahlreichen
Gesetze erforderlichen Geschaefte zu bewegen wusste, erkannte man die
echte staatsmaennische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
Tode getreuen Hingebung, mit der seine naeheren Freunde an ihm hingen,
die Liebefaehigkeit dieses adligen Gemuetes. Der Energie seines Wollens
und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene
Zurueckhaltung waehrend der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht
mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in
die innerste Brust zurueckgedraengte Erbitterung gegen die Partei, die
das Vaterland zerruettet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch
diese furchtbare Leidenschaft seines Gemuetes ist er der erste
Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie wuerden wir
ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmaennern aller Zeiten beizaehlen
duerfen. Noch unter den wenigen Truemmern seiner aufgezeichneten
Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschuetternder
Maechtigkeit 3, und wohl begreift man, dass, wer sie hoerte oder auch
nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte.
Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn
selber der Zorn, so dass dem glaenzenden Sprecher die Rede truebe oder
stockend floss. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und
Leidens. In Gaius' Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders,
von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren
Gutmuetigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Traenen
umstimmen moechte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der
Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb
ihm seine Mutter, "scheint nichts schoener und herrlicher, als dem
Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne dass das Vaterland
zugrunde geht. Ist aber dies nicht moeglich, da moegen unsere Feinde
bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als dass das
Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis
war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung,
Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darueber
zugrunde gehen - die Ahnung, dass das Verhaengnis ihn so sicher ereilen
werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem toedlich
Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber
auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus
italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt,
und sie hat recht daran getan.
------------------------------------------------------- 3 So die bei der
Ankuendigung seiner Gesetzvorschlaege gesprochenen Worte: "Wenn ich zu
euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und
meinen Bruder um euretwillen eingebuesst habe und nun niemand weiter
uebrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus
Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich fuer jetzt feiern zu lassen,
damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein
Sproessling dieses Geschlechts uebrig bleibe: so moechte wohl
solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden."
------------------------------------------------------ Tiberius Gracchus
war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Buergerschaft
getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschlaege einbrachte,
war nichts anderes als eine vollstaendig neue Verfassung, als deren
erster Grundstein die schon frueher durchgesetzte Neuerung erscheint,
dass es dem Volkstribun freistehen solle, sich fuer das folgende
Jahr wiederwaehlen zulassen. Wenn hiermit fuer das Volkshaupt die
Moeglichkeit einer dauernden und den Inhaber schuetzenden Stellung
gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu
sichern, das heisst die hauptstaedtische Menge - denn dass auf das nur
von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war,
hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Fuehrer
zu knuepfen. Hierzu diente zuvoerderst die Einfuehrung der
hauptstaedtischen Getreideverteilung. Schon frueher war das dem
Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu
Schleuderpreisen an die Buergerschaft abgegeben worden. Gracchus
verfuegte, dass fortan jedem persoenlich in der Hauptstadt sich
meldenden Buerger monatlich eine bestimmte Quantitaet - es scheint 5
Modii (5/6 preuss. Scheffel) -aus den oeffentlichen Magazinen verabfolgt
werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2« Groschen) oder noch nicht die
Haelfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch
Anlage der neuen Sempronischen Speicher die oeffentlichen Kornmagazine
erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die ausserhalb der
Hauptstadt lebenden Buerger ausschloss und notwendig die ganze Masse des
Buergerproletariats nach Rom ziehen musste, sollte das hauptstaedtische
Buergerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie
abgehangen hatte, in die Klientel der Fuehrer der Bewegungspartei
bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und
eine feste Majoritaet in den Komitien gewaehren. Zu mehrerer Sicherheit
hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch
bestehende Stimmordnung, wonach die fuenf Vermoegensklassen in jedem
Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen
sollten in Zukunft saemtliche Zenturien durcheinander in einer
jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese
Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstaedtische
Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollstaendige Herrschaft ueber
die Hauptstadt und damit ueber den Staat, die freieste Disposition ueber
die Maschine der Komitien und die Moeglichkeit zu verschaffen, den
Senat und die Beamten noetigenfalls zu terrorisieren, so fasste doch der
Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen
Schaeden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domaenenfrage
war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und
selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius
durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die
Zurueckgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Dass
hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung
wenn ueberhaupt, doch nur in sehr beschraenktem Umfang wiederaufgenommen
ward, zeigt die Buergerliste, die fuer die Jahre 629 (125) und 639 (115)
genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb
nicht weiter, weil das von roemischen Buergern in Besitz genommene
Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen
der von den Latinern benutzten Domaenen nur in Verbindung mit der sehr
schwierigen ueber die Ausdehnung des Buergerrechts wiederaufgenommen
werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus ueber
das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gruendung von Kolonien in
Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also
auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung
ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar
nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gruendung neuer Gemeinden
ausschliessenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne
Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre
Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und
folgenreicher noch war es, dass Gaius Gracchus zuerst dazu schritt,
das italische Proletariat in den ueberseeischen Gebieten des Staats
zu versorgen, indem er an die Staette, wo Karthago gestanden, 6000
vielleicht nicht bloss aus den roemischen Buergern, sondern auch aus
den italischen Bundesgenossen erwaehlte Kolonisten sendete und der neuen
Stadt Iunonia das Recht einer roemischen Buergerkolonie verlieh. Die
Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip
der ueberseeischen Emigration, womit fuer das italische Proletariat ein
bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe
eroeffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts
aufgegeben ward, Italien als das ausschliesslich regierende, das
Provinzialgebiet als das ausschliesslich regierte Land zu betrachten.
Zu diesen auf die grosse Frage hinsichtlich des Proletariats
unmittelbar bezueglichen Massregeln kam eine Reihe von Verfuegungen, die
hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenueber der altvaeterischen
Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemaessere
Grundsaetze zur Geltung zu bringen. Hierher gehoeren die Milderungen im
Militaerwesen. Hinsichtlich der Laenge der Dienstzeit bestand nach
altem Recht keine andere Grenze, als dass kein Buerger vor vollendetem
siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum
ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung
Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich
verfuegt zu sein, dass, wer sechs Jahre hintereinander im Felde
gestanden, dadurch zunaechst ein Recht erhalte auf den Abschied,
wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht
schuetzte; spaeter, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam
der Satz auf, dass zwanzigjaehriger Dienst zu Fuss oder zehnjaehriger zu
Ross ueberhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte
die vermutlich oefter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Buerger
vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und
beschraenkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der
Militaerpflicht erforderliche Zahl von Feldzuegen; ueberdies wurde
den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde
gekuerzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert.
----------------------------------------------- 4 So moechte die Angabe
Appians (Hisp. 78), dass sechsjaehriger Dienst berechtige, den Abschied
zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19),
ueber welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die
Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, laesst sich nicht weiter bestimmen,
als dass die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die
Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios' Zeit bestand.
Dass Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint
aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio
fr. 83; 7 Bekker. ---------------------------------------------
Hierher gehoert ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch
mehr, als es schon geschehen war, zu beschraenken, die zum Teil
selbst in der Militaergerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit
Einfuehrung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, ueber den
Buerger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhaengen ausser
nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Buergers bald nach
der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn,
Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen
beschraenkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu
suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das
Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhaengen oder vielmehr zu
bestaetigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschraenkt,
dass Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am haeufigsten zu
Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und ueberhaupt Mord,
der Buergerschaft entzog und an staendige Kommissionsgerichte ueberwies,
welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns
gesprengt werden konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an
die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprueche auch so wenig wie die
der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
unterlagen. Bei den Buergerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
eigentlich politischen Prozessen, zwar auch laengst Regel, dass der
Angeklagte auf freiem Fuss prozessiert und ihm gestattet ward, durch
Aufgebung seines Buergerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten;
denn die Vermoegensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den
Exilierten noch treffen. Allein vorgaengige Verhaftung und vollstaendige
Exekution blieben hier wenigstens rechtlich moeglich und wurden
selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel
Lucius Hostilius Tubulus, Praetor 612 (142), der wegen eines schweren
Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts
festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozess
hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus
aus Freiheit und Leben des Buergers nicht antasten und hoechstens auf
Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann
gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur foermlichen Strafe. Auch
dieses unfreiwillige Exil liess gleich dem freiwilligen dem Verbannten
das Vermoegen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen
und in Geldbussen daraufging. Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus
zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, dass er den
verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlass der Forderungen Hoffnung
gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal
populaeren Massregeln beizuzaehlen ist. Waehrend Gracchus also sich
lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer
Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie
an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss
auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war
er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen
Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen
Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein
Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei
wesentlich ungleichen Massen, die man einigermassen der Lords- und
der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfasste den
tatsaechlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien,
die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre
ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille
Gesellschafter bei den grossen Assoziationen verwerteten. Den Kern der
zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschaeftsfuehrer
dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Gross- und Geldgeschaefte
im ganzen Umfang der roemischen Hegemonie betrieben. Es ist schon
dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des
sechsten Jahrhunderts allmaehlich der senatorischen Aristokratie an die
Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschliessung der Senatoren von dem
kaufmaennischen Betrieb durch den von dem Vorlaeufer der Gracchen
Gaius Flaminius veranlassten Claudischen Volksschluss, eine aeussere
Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In
der gegenwaertigen Epoche beginnt die kaufmaennische Aristokratie unter
dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluss auch
in politischen Angelegenheiten zu ueben. Diese Bezeichnung, die
urspruenglich nur der diensttuenden Buergerreiterei zukam, uebertrug
sich allmaehlich, wenigstens im gewoehnlichen Sprachgebrauch, auf alle
diejenigen, die als Besitzer eines Vermoegens von mindestens 400000
Sesterzen zum Rossdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff
also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme roemische
Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die
Inkompatibilitaet des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes
gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfaehigen
ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im grossen und
ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
eingetretenen, namentlich also die juengeren Glieder der senatorischen
Familien nicht aufhoerten, als Ritter zu dienen und also zu heissen,
ja die eigentliche Buergerreiterei, das heisst die achtzehn
Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren,
fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich
zu ergaenzen. Dieser Stand der Ritter, das heisst wesentlich der
vermoegenden Kaufleute, beruehrte vielfaeltig sich unsanft mit dem
regierenden Senat. Es war eine natuerliche Antipathie zwischen den
vornehmen Adligen und den Maennern, denen mit dem Gelde der Rang
gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen,
standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und
Koteriefehden den Maennern der materiellen Interessen gleichgueltig
waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon oefter
hart zusammengestossen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen
weit mehr Grund hatten, sich ueber die Parteilichkeit der roemischen
Beamten zu beschweren als die roemischen Kapitalisten, so liessen
doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den
Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmaenner auf Kosten
der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von
jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen
Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels-
und Geldaristokratie ein tief gehender Riss; und geschickter als sein
Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Buendnis gesprengt war und die
Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Dass die aeusseren Vorrechte,
durch die spaeterhin die Maenner von Ritterzensus von der uebrigen Menge
sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewoehnlichen
eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den
Buergerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen
worden sind, ist nicht gewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Denn
aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die
Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf
den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus' Art ist, so war
es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines
zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der
Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes
aufzudruecken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie
an sich auch waren und wie viele Ritterfaehige auch ihrer sich nicht
bedienen mochten, mehr gefoerdert als manche an sich weit wichtigere
Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie
dergleichen Ehren auch keineswegs verschmaeht, ist doch dafuer
allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, dass sie zwar dem
Meistbietenden von Rechts wegen zufaellt, aber es auch eines hohen und
reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefaelle und
die Geschworenengerichte. Das System der roemischen Finanzverwaltung,
sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefaelle durch
Mittelsmaenner zu erheben, gewaehrte an sich schon dem roemischen
Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten
Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in
den meisten Aemtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden
Geldsummen, was die Dazwischenkunft roemischer Kapitalisten von selber
ausschloss, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten,
dessen Erhebung fuer jede einzelne Gemeinde in den Provinzen
selbst verpachtet ward und wobei also regelmaessig die vermoegenden
Provinzialen, und sehr haeufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst,
den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefaehrlichen
roemischen Mittelsmaenner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor
die Provinz Asia an die Roemer gefallen war, hatte der Senat sie im
wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5
stiess diese Verfuegung durch einen Volksschluss um und belastete nicht
bloss die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten
indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er
verfuegte auch, dass diese Hebungen fuer die gesamte Provinz und in Rom
verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der
Provinzialen tatsaechlich ausschloss und die in der Mittelsmaennerschaft
fuer Zehnten, Hutgeld und Zoelle der Provinz Asia eine
Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief.
Charakteristisch fuer Gracchus' Bestreben, den Kapitalistenstand vom
Senat unabhaengig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, dass der
voellige oder teilweise Erlass der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher,
vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten
Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand
eine Goldgrube eroeffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft
ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat
der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den
Geschworenengerichten eine bestimmte oeffentliche Taetigkeit zugewiesen.
Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die
Buergerschaft gehoerte, war bei den Roemern von Haus aus sehr eng und
ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen,
wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils
ausserordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese
ausschliesslich aus dem Senat genommen worden; Gracchus ueberwies
sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den staendigen
und nichtstaendigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an
den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der
Ritterzenturien aus den saemtlichen ritterfaehigen Individuen jaehrlich
neu formieren liess und die Senatoren geradezu, die jungen Maenner der
senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze
von den Gerichten ausschloss 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die
Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Maenner gelenkt ward, die in
den grossen kaufmaennischen Assoziationen namentlich der asiatischen und
sonstigen Steuerpaechter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein
sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen;
und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietaeten in
ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des
also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war,
dass, waehrend bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die
Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Buergerschaft als
legislative Behoerde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren,
jetzt die Geldaristokratie nicht bloss auf der soliden Basis der
materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse
sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende
Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
ebenbuertig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
gegen den Adel mussten fortan in den Wahrspruechen der Geschworenen
einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den
Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator
nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Grosshaendlern und
Bankiers die Entscheidung zu erwarten ueber seine buergerliche Existenz.
Die Fehden zwischen den roemischen Kapitalisten und den roemischen
Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den
bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der
Reichen war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafuer
gesorgt, dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
----------------------------------------------------- 5 Dass er und
nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in
den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep.
3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. 6 Die zunaechst durch diese
Veraenderung des Richterpersonals veranlasste neue Gerichtsordnung
fuer die staendige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum
grossen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen
oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
------------------------------------------------- Mit den also
bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus
an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat
stuerzen hiess einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine
wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Massregeln
mehr persoenlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie
zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung
hatte bisher dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm
sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen
durch Komitialgesetze, das heisst tatsaechlich durch tribunizische
Machtsprueche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den
Senat moeglichst beschraenkte, teils selbst in der umfassendsten Weise
die Geschaefte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind
schon erwaehnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu
fragen, ueber die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den
oeffentlichen Finanzen eine dauernde und drueckende Last aufbuerdete,
ueber die Domaenen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats-
und Volks-, sondern allein nach Volksschluss aussandte, ueber die
Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene
Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstiess und eine durchaus
andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden
Geschaeften des Senats, die willkuerliche Feststellung der jedesmaligen
Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
bisher dabei geuebte indirekte Druck auf die hoechsten Beamten
dadurch beschraenkt, dass der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen
festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewaehlt seien.
Mit beispielloser Taetigkeit endlich konzentrierte Gaius die
verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschaefte in
seiner Person: Er selbst ueberwachte die Getreideverteilung, erlas die
Geschworenen, gruendete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden
Amtes persoenlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloss
die Bauvertraege ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die
Konsulwahlen - kurz er gewoehnte das Volk daran, dass in allen
Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme
Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kraeftiges und
gewandtes persoenliches Regiment. Noch energischer als in die Verwaltung
griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Dass er die
Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt;
dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste
Verwaltungsbehoerde sich in Ausnahmefaellen gestattete. Bei
scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten
Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung ausserordentlicher
Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige gewesen
war, welche nach seines Bruders Ermordung ueber dessen Anhaenger zu
Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Massregeln ist, dass der Senat
die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
Staatshaupt ihm zu lassen fuer gut befand. Indes diese konstitutiven
Massregeln genuegten nicht; auch der gegenwaertig regierenden
Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein blosser Akt der
Rache war es, dass dem zuletzt erwaehnten Gesetz rueckwirkende Kraft
beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen
erfolgtem Tode der Hass der Demokraten hauptsaechlich traf, Publius
Popillius, genoetigt ward, das Land zu meiden. Merkwuerdigerweise
ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der
Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen
persoenlichen Interesses noch der Einfluss der Aristokratie bei der
Menge vermochte. Ein aehnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes
Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, dass, wer durch
Volksschluss sein Amt verloren habe, auf immer unfaehig sein solle,
einen oeffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurueck auf
Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die
Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu
verhoehnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius
gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie
verstand, gemaess gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von
ganz anderer Wichtigkeit als diese Massregeln war Gaius' freilich wohl
schwerlich zur Ausfuehrung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue
Mitglieder, das heisst ungefaehr ebenso viele als er bisher hatte, zu
verstaerken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien waehlen zu
lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in
die vollstaendigste Abhaengigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben
wuerde. ------------------------------------------------ 7 Dies und
das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur duerften identisch sein.
------------------------------------------------ Dies ist die
Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und waehrend der
beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren
wesentlichsten Punkten durchgefuehrt hat, soweit wir sehen, ohne auf
irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stossen und ohne zur Erreichung
seiner Zwecke Gewalt anwenden zu muessen. Die Reihenfolge, in der die
Massregeln durchgebracht sind, laesst in der zerruetteten Ueberlieferung
sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage muessen wir
die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, dass uns mit
dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da ueber die
Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie
sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedraengt
ward, sondern offenbar einen wohl ueberlegten, umfassenden Plan in einer
Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollstaendig realisierte. Dass
nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmuetige Leute in alter und
neuer Zeit gemeint haben, die roemische Republik auf neue demokratische
Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form
eines durch stehende Wiederwahl lebenslaenglich und durch unbedingte
Beherrschung der formell souveraenen Komitien absolut gemachten Amtes,
eines unumschraenkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der
Republik die Tyrannis, das heisst nach heutigem Sprachgebrauch die
nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute
Monarchie einfuehren wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung
selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben
will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher
seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb
in einem Gemeinwesen, das ueber die Urversammlungen hinaus und fuer
das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des
aristokratischen Regiments fuer eine andere politische Ordnung
moeglich als die Tyrannis? Traeumer, wie sein Vorgaenger einer war, und
Schwindler, wie sie die Folgezeit herauffuehrte, mochten dies in Abrede
stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die
Formulierung, die der grosse Mann fuer sein grosses Werk bei sich selber
aufstellte, uns nicht ueberliefert und in sehr verschiedener Weise
denkbar ist, so wusste er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die
beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen laesst,
so wenig wird, wer die Verhaeltnisse uebersieht, den Gracchus deswegen
tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglueck fuer die
Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der
Nation statt des groesseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die
Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste
und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein
nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, dass durch die ganze
Gesetzgebung desselben eine Zwiespaeltigkeit verderblichster Art geht,
indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den
persoenlichen Zwecken, ja der persoenlichen Rache des Herrschers dient.
Gracchus war ernstlich bemueht, fuer die sozialen Schaeden eine Abhilfe
zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er
zugleich durch seine Getreideverteilungen, die fuer alles arbeitsscheue
hungernde Buergergesindel eine Praemie werden sollten und wurden, ein
hauptstaedtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich
gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des
Senats und deckte namentlich den skandaloesen Schacher, den
Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit
schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben
Mannes Werk, dass der souveraene Poebel der Hauptstadt fuer seine
Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren liess.
Gracchus missbilligte lebhaft die schaendliche Auspluenderung der
Provinzen und veranlasste nicht bloss, dass in einzelnen Faellen mit
heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der
durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio
Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein
ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch ueberlieferte er
zugleich durch die Einfuehrung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen
mit gebundenen Haenden der Partei der materiellen Interessen und damit
einer noch ruecksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
war, und fuehrte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die
nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind
und menschlich heissen konnte - beides, weil er teils der Partei der
Geldmaenner, teils fuer seine Getreideverteilungen und die sonstigen den
Finanzen neu aufgebuerdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen
bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und
eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmaessige
Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem
auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter
Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete
Staat, soweit irgend moeglich, zwar nicht ueber die politischen
Parteien, aber doch ausserhalb derselben zu stellen bemueht sein wird,
absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings faellt die
Schuld dieser Zwiespaeltigkeit in Gaius Gracchus' Tendenzen zu einem
sehr grossen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich
hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhaengnisvolle
sittlich-politische Dilemma, dass derselbe Mann zugleich, man moechte
sagen, als Raeuberhauptmann sich behaupten und als der erste Buerger
den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon
bedenkliche Opfer haben bringen muessen. Indes ganz laesst sich Gaius
Gracchus' Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklaeren; es wirkt
daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die gluehende Rache, die,
den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das
Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er ueber seine
Geschworenenordnung und aehnliche auf die Spaltung der Aristokratie
abzweckende Massregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den
Markt geworfen, damit die Buerger - die vornehmen, versteht sich - mit
ihnen sich untereinander zerfleischen moechten. Er war ein politischer
Brandstifter; nicht bloss die hundertjaehrige Revolution, die von ihm
datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des
Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes
entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten
hauptstaedtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden
von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollstaendig
demoralisiert, teils seiner Macht sich bewusst ward und mit seinen
bald pinselhaften, bald buebischen Anspruechen und seiner Fratze von
Volkssouveraenitaet ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
roemischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und
doch - dieser groesste der politischen Verbrecher ist auch wieder der
Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der
roemischen Monarchie, der nicht zurueckreichte bis auf Gaius Gracchus.
Von ihm ruehrt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten
Kriegsrechts begruendete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser
praktischen Anwendung doch dem aelteren Staatsrecht fremde Satz
her, dass aller Grund und Boden der untertaenigen Gemeinden als
Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunaechst
benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden
beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von
Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der spaeterhin ein
fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm ruehrt die Taktik
der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich
stuetzend die regierende Aristokratie zu sprengen, ueberhaupt aber durch
eine strenge und zweckmaessige Administration anstatt des bisherigen
Missregiments die Verfassungsaenderung nachtraeglich zu legitimieren.
Auf ihn gehen vor allem zurueck die Anfaenge einer Ausgleichung
zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie
unvermeidlich mit sich bringen musste; der Versuch, das durch die
italische Rivalitaet zerstoerte Karthago wiederaufzubauen und ueberhaupt
der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eroeffnen, ist
das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen
Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren
politischen Konstellation Recht und Schuld, Glueck und Unglueck so
ineinander verschlungen, dass es hier sich wohl ziemen mag, was
der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.
------------------------------------------- 8 Auf diesen Handel um den
Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches
von Manius Aquillius den Koenigen von Bithynien und von Pontos zu Kauf
geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht
sich ein noch vorhandenes laengeres Redebruchstueck des Gracchus.
Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die
oeffentlichen Angelegenheiten bekuemmere, und fuegt hinzu: in Beziehung
auf das in Rede stehende Gesetz (ueber die Verleihung Phrygiens an
Koenig Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher,
die dafuer seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die
stillschwiegen - die ersten seien bestochen von Koenig Mithradates, die
zweiten von Koenig Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn
diese liessen sich von den Gesandten beider Koenige bezahlen und
jede Partei glauben, dass in ihrem Interesse geschwiegen werde.
-------------------------------------------------------- Als Gracchus
die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte,
legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die
Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Fuehrer der
demokratischen Partei darueber dachten, hatte sich sattsam gezeigt;
sie wuenschten natuerlich die moeglichste Ausdehnung des roemischen
Buergerrechts, nicht bloss, um die von den Latinern okkupierten Domaenen
zur Verteilung bringen zu koennen, sondern vor allem, um mit der
ungeheuren Masse der Neubuerger ihre Klientel zu verstaerken, um
die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten
Waehlerschaft immer vollstaendiger in ihre Gewalt zu bringen,
ueberhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor.
Allein hier stiessen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und
vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem,
was sie verstand und nicht verstand, ihr souveraenes Ja gab; aus
dem einfachen Grunde, dass diesen Leuten das roemische Buergerrecht
sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei
sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz
und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionaere zu vermehren. Die
Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der
eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden
Fraktion der Buergerschaft als auch des ungeduldigen Draengens der
Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte
Gracchus, wahrscheinlich durch uebernommene Verpflichtungen gegen die
Bundesgenossen gedraengt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit
Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das frueher von ihm ohne Erfolg
beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat
uebernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
Buerger-, den uebrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht
der Latiner zu gewaehren. Allein der Antrag stiess auf die vereinigte
Opposition des Senats und des hauptstaedtischen Poebels; welcher Art
diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus
der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Buergerschaft gegen den
Antrag hielt, zufaellig erhaltenes Bruchstueck. "So meint ihr also",
sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Buergerrecht
erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch kuenftig in der
Buergerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz
finden zu koennen? Glaubt ihr nicht vielmehr, dass jene Leute jeden
Fleck besetzen werden?" Bei der Buergerschaft des fuenften Jahrhunderts,
die an einem Tage allen Sabinern das Buergerrecht verlieh, haette ein
solcher Redner wohl moegen ausgezischt werden: die des siebenten fand
seine Gruende ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen
Preis der Assignation der latinischen Domaenen weitaus zu niedrig. Schon
dass der Senat es durchsetzte, die saemtlichen Nichtbuerger vor dem
entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu duerfen, zeigte
das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der
Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz
einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, dass Gracchus
nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des
Marcus Octavius zu bereiten. Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der
dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen.
Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen frueher
Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus' Macht ruhte auf der
Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunaechst auf dem letzteren, das
in diesem Kampf, in welchem militaerischer Rueckhalt beiderseits
nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es
war einleuchtend, dass der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem
Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen maechtig genug war; jeder
Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung
anzugreifen, haette, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer
Form, zu einem Strassenkrawall gefuehrt, dem der Senat voellig wehrlos
gegenueberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, dass Gracchus
selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten
wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und dass sowohl die Maenner
der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Poebel sein
Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von
Gaius Gracchus. Gracchus' Institutionen standen, fuer den Augenblick
wenigstens, unerschuetterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner
eigenen Oberhauptschaft. Die Schwaeche dieser lag darin, dass in
Gracchus' Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein
Treuverhaeltnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle
anderen Elemente der Lebensfaehigkeit vorhanden waren, nur ein einziges
nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das
jeder Staat auf toenernen Fuessen steht. In der Verwerfung des Antrags,
die Latiner in den Buergerverband aufzunehmen, war es mit schneidender
Deutlichkeit zu Tage gekommen, dass die Menge in der Tat niemals fuer
Gracchus stimmte, sondern immer nur fuer sich; die Aristokratie entwarf
den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem
eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, dass
der Senat dem Proletariat nicht bloss das gleiche bot, was Gracchus ihm
an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag
des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den
Gracchischen Landempfaengern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre
Landlose fuer freies und veraeusserungsfaehiges Eigentum zu erklaeren;
ferner, statt in den ueberseeischen, das Proletariat zu versorgen
in zwoelf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren
Ausfuehrung das Volk die geeigneten Maenner ernennen moege; nur
Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische
Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
Geschaeft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen
haetten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes
Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht
mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne
Verfuegungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen
Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem
roemischen Offizier Stockpruegel sollten zuerkannt werden duerfen, die
allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner fuer andere
Verluste zu entschaedigen. Der Plan war nicht von den feinsten.
Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
Bestreben, das schoene Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere
gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen,
die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die
italischen Domaenen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn
man die gesamten, den Latinern ueberwiesenen konfiszierte -, das fuer
zwoelf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Buergerschaften
erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein moege,
endlich Drusus' Erklaerung, dass er mit der Ausfuehrung seines Gesetzes
nichts zu tun haben wolle, so verwuenscht gescheit, dass sie beinahe
herzlich albern war. Indes fuer das plumpe Wild, das man fangen wollte,
war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht
entscheidend, dass Gracchus, auf dessen persoenlichen Einfluss alles
ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete
und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch
sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Haende
arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso
bereitwillig wie frueher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
neuesten Wohltaeter wie ueblich dadurch, dass es dem frueheren einen
maessigen Tritt versetzte und, als dieser sich fuer das Jahr 633 (121)
zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwaehlte; wobei
uebrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus frueher
beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach
die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter
Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloss im allgemeinen
gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius
der Mann, der als Praetor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die
Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
wenigsten bedenklichen Haeupter der strengen Adelspartei, ein Mann
fest entschlossen, den gefaehrlichen Gegner bei erster Gelegenheit
zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hoerte
Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius
sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nuetzlichste und
die unpopulaerste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von
Karthago. Hatte man bisher die ueberseeischen Kolonien nur mittelbar
durch die lockenderen italischen angegriffen, so wuehlten jetzt
afrikanische Hyaenen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und
die roemischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches
Wunder und Zeichen ausdruecklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der
gottverfluchten Staette. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen
gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausfuehrung der
Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung
derselben ernannten Maennern eben damals die Kolonisten auslas, erschien
an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Buergerschaft
berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
bewirken. Gewalttaetigkeiten wuenschte er zu vermeiden, um den Gegnern
nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes
hatte er nicht wehren koennen, dass ein grosser Teil seiner Getreuen,
der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit
den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der
ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Haendel kaum zu vermeiden.
In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius
Opimius das uebliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen
Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in
der Hand, die "schlechten Buerger" an, die Halle zu raeumen, und
schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger
Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es entstand
ein furchtbarer Laerm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen
und die Urheberschaft der gotteslaesterlichen Mordtat von sich
abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund
mehr, indem er, ohne dessen in dem Getuemmel gewahr zu werden,
einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein
verschollenes Statut aus der Zeit des alten Staendehaders die schwerste
Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Massregeln,
um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
Vorgaenge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand
zu unterdruecken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel
am Markte; mit dem fruehesten Morgen fuellte das Kapitol sich mit
kretischen Bogenschuetzen, Rathaus und Markt mit den Maennern der
Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhaengigen Fraktion der
Ritterschaft, welche auf Geheiss des Konsuls saemtlich bewaffnet und
jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es
fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwuerdige, hochbejahrte
und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert
erschienen. Ein tuechtiger und in den spanischen Kriegen erprobter
Offizier, Decimus Brutus, uebernahm das Kommando der bewaffneten
Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche
des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam
ueberrascht, erschien in Masse an der Tuer, um die Leiche in Augenschein
zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurueck, um das weitere zu
beschliessen. Die Fuehrer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre
Haeuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
Strassenkrieg zu ruesten, waehrend Gracchus es zu verschmaehen schien,
mit dem Verhaengnis zu kaempfen. Als man am andern Morgen die auf dem
Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben
beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den
Kaempfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging
Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte
sich im Tempel der Diana, waehrend er zugleich seinen juengeren Sohn
Quintus in das feindliche Lager sandte, um womoeglich einen Vergleich
zu vermitteln. Dieser kam zurueck mit der Meldung, dass die Aristokratie
unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des
Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
Verletzung der tribunizischen Majestaet sich zu verantworten. Gracchus
wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und
wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwaechlichen
Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der
beiden vorgeladenen Fuehrer bloss der junge Quintus Flaccus abermals
sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu
stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung;
er liess den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den
Aventin, indem er zugleich in den Strassen ausrufen liess, dass dem, der
das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe
buchstaeblich mit Gold aufwiegen werde, sowie dass sie jedem, der
vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit
gewaehrleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der
tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstuermte den
fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist
geringe Leute. Marcus Flaccus fluechtete mit seinem aeltesten Sohn in
ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden.
Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
zurueckgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als
sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor,
womoeglich sich fuer bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus liess sich
bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu
entkommen; allein den Berg hinabeilend stuerzte er und verstauchte
sich den Fuss. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden
Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin,
Publius Laetorius auf der Tiberbruecke, da wo einst Horatius Cocles
allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
sich entgegen und liessen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur
von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer
des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man spaeter die beiden Leichen;
es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber
den Tod gegeben. Die Koepfe der beiden gefallenen Fuehrer wurden der
Regierung, wie befohlen, eingehaendigt, auch dem Ueberbringer des Kopfes
des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene
Preis und darueber ausgezahlt, dagegen die Moerder des Flaccus, geringe
Leute, mit leeren Haenden fortgeschickt. Die Koerper der Getoeteten
wurden in den Fluss geworfen, die Haeuser der Fuehrer zur Pluenderung
der Menge preisgegeben. Gegen die Anhaenger des Gracchus begann der
Prozesskrieg im grossartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker
aufgeknuepft worden sein, unter ihnen der achtzehnjaehrige Quintus
Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner
Jugend und seiner Liebenswuerdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem
Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem
Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei aehnlichen
Veranlassungen errichtete Heiligtuemer der Eintracht sich befanden,
wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermoegen der
getoeteten oder verurteilten Hochverraeter, das bis auf die Mitgift
ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluss des Senats von dem
Konsul Lucius Opimius ein neuer glaenzender Tempel der Eintracht mit
dazugehoeriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemaess, die
Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren
ueber den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle,
zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der
juengste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution
verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell
geaechtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den
Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche
Anhaenglichkeit, die gar viele im Leben fuer die beiden edlen Brueder
und vornehmlich fuer Gaius empfunden hatten, zeigte sich in ruehrender
Weise auch nach ihrem Tode in der fast religioesen Verehrung, die die
Menge ihrem Andenken und an den Staetten, wo sie gefallen waren, allen
polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. 4. Kapitel
Die Restaurationsherrschaft Das neue Gebaeude, das Gaius Gracchus
aufgefuehrt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie
der seines Bruders zunaechst nichts als ein Akt der Rache; allein es war
doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten
Verfassung, dass aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu
begruenden, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle
um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gruendlichen
Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden
war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen
Staatsoberhaupt, sei es durch ueberwiegende Faehigkeit, auch nur zu
einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert
gefuehlt haette. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch
Tiberius' hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die
ganze sogenannte Volkspartei war buchstaeblich ohne irgendeinen auch
nur namhaft zu machenden Fuehrer. Die Gracchische Verfassung glich einer
Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber
der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren
Platz sich haette setzen moegen als eben die gestuerzte Regierung.
So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus' erblosem Abgang stellte das
Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war
dies um so natuerlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich
formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden
Ausnahmehandlungen tatsaechlich zunichte gemacht worden war. Dennoch
wuerde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter
sehen wollte als ein Zurueckgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit
Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist
immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte
Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu
geruestet in dem Heerzeug der gestuerzten Tyrannis; wie der Senat den
Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so
fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stuecken mit der Verfassung der
Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit
wo nicht ganz zu beseitigen, doch gruendlich zu reinigen von den der
regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fuers erste
reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfuegungen aus
der Verbannung zurueck (633 121) und machte den Gracchanern den
Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius
nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu
bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist
fuer den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die
Aristokratie an Gesinnungstuechtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst
Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und
noch kuerzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine
Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberlaeufer; als gegen ihn
von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward,
liess ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden
Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So
erwiesen die Maenner der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der
Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung
griff die Reaktion zunaechst nicht an und schonte nicht bloss die
Kaufmannschaft und das hauptstaedtische Proletariat, sondern huldigte,
wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner
diesen Maechten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener,
als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloss, weil
die Gracchische Revolution in den Gemuetern der Zeitgenossen noch lange
nachzitterte und ihre Schoepfungen schuetzte: die Hegung und
Pflegung wenigstens der Poebelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es
ward dabei nichts weiter geopfert als bloss das gemeine Beste. Alle
diejenigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Foerderung des
oeffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich
begreiflicherweise auch den unpopulaersten Teil seiner Gesetzgebung,
liess die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich
angegriffen wie der grossartigste seiner Entwuerfe: der Plan, zunaechst
die roemische Buergerschaft und Italien, sodann Italien und die
Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied
zwischen bloss herrschenden und zehrenden und bloss dienenden und
arbeitenden Staatsangehoerigen weggeraeumt ward, zugleich durch die
umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt,
die soziale Frage zu loesen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen
graemlichen Eigensinn der Altersschwaeche draengte die restaurierte
Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, dass Italien
das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben
muesse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus
war die Zurueckweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete
Tatsache und war gegen den grossen Gedanken der ueberseeischen
Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die
naechste Ursache zu Gracchus' Untergang geworden war. Nach seinem Tode
wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Muehe von
der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon
verteilten Landlose den Empfaengern geblieben sind. Zwar dass der
demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine aehnliche Gruendung
gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der
Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre
636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begruendet, die aelteste
ueberseeische Buergerstadt im Roemischen Reiche, welche trotz vielfacher
Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung
derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschuetzt
wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmaennischen Interessen,
dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer
Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung,
die Landanweisung ausserhalb Italiens durchgaengig zu verhindern.
In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die
italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und,
soweit sie bereits zur Ausfuehrung gekommen waren, wieder aufgeloest;
nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, dass die
neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite
trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domaenen
bereits verteilt war, blieb den Empfaengern; die darauf von Gracchus
im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschraenkungen, Erbzins und
Veraeusserungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen
die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domaenen, welche ausser dem
von den Latinern genutzten Domanialland zum groessten Teil bestanden
haben werden in dem gemaess des Gracchischen Maximum den Inhabern
gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten
definitiv zuzuwenden und auch die Moeglichkeit kuenftiger Aufteilung
abzuschneiden. Freilich waren es zunaechst diese Laendereien, aus denen
die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauernhufen haetten gebildet
werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter
dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands
belegen sein moechten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen
Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine
Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus
zurueckgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats
der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester
Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstaedtischen Poebel zugute kam -
es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward:
noch weitergehende Vorschlaege, vielleicht eine Steigerung der
Getreidespenden, wehrte der verstaendige Volkstribun Gaius Marius ab.
Acht Jahre spaeter (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch
einen neuen Volksschluss ^1 das okkupierte Domanialland geradezu
umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten.
Man fuegte hinzu, dass in Zukunft Domanialland ueberhaupt nicht
okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide
offenstehen solle; fuer den letzteren Fall ward durch Feststellung
eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stueck Gross- und fuenfzig Stueck
Kleinvieh dafuer gesorgt, dass nicht der grosse Herdenbesitzer den
kleinen tatsaechlich ausschliesse - verstaendige Bestimmungen, in denen
die Schaedlichkeit des uebrigen laengst aufgegebenen Okkupationssystems
nachtraeglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst
getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine
Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die roemische Aristokratie
also fuer sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in
ihren Haenden war, sich in Eigentum umwandeln liess, beschwichtigte sie
zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, dass sie denselben
an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie
genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh,
aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran
ungeschmaelert wahrte. Die Gegenpartei war in der ueblen Lage, dass in
den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
hauptstaedtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene
mit der roemischen Regierung eine Art Buendnis eingingen und gegen die
ausschweifenden Absichten mancher roemischen Demagogen bei dem
Senat Schutz suchten und fanden.
-------------------------------------------------------- ^1 Er ist
grossenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert
Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes.
-------------------------------------------------------- Waehrend also
die restaurierte Regierung es sich angelegen sein liess, die Keime zum
Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gruendlich
auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus
erweckten feindlichen Maechten gegenueber vollstaendig ohnmaechtig.
Das hauptstaedtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter
Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand liess der
Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwaertig auch dieses Joch
eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren
unwuerdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht,
dass sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das
Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die
verfassungsmaessigen Beschraenkungen des Stimmrechts der Freigelassenen
einschaerfte, war fuer lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der
senatorischen Regierung, ihren Poebeltyrannen wieder zu baendigen. Der
Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einfuehrung
der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurueckgabe der Prozesse
an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wuenschte, aber
auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domaenen
zu verschleudern, sondern einem einflussreichen Stande gegenueber eine
Massregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation
der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl
aber trugen diese Massregeln dazu bei, das niemals aufrichtige
Einverstaendnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und
dem Proletariat noch ferner zu trueben. Beide wussten sehr genau, dass
der Senat alle Zugestaendnisse nur aus Angst und widerwillig gewaehrte;
weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsruecksichten an die
Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit,
jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot,
dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte
die Restauration weiter mit den Wuenschen und Gesinnungen der legitimen
Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der
Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen
wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Poebel im Bunde
zweckmaessige Institutionen umstiess, aber den Gassenbanden wie den
kaufmaennischen Interessen gegenueber vollkommen machtlos. Sie sass auf
dem erledigten Thron mit boesem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den
Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfaehig, auch nur
planmaessig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen ausser, wo der
eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der
klaeglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein
unuebertroffenes Ideal der Missregierung.
---------------------------------------------------- 2 Das zeigt, wie
bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, dass bei
Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein
teils beweist dies nicht genug, teils passt, was daselbst erzaehlt wird,
schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muss
hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten
Tatsachen. --------------------------------------------------- Es
konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem
und sittlichem Verfall, vor allem aber die hoechsten Staende. Die
Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht ueberreich
an Talenten und die Baenke des Senats vollgedraengt von feigem und
verlottertem adligen Gesindel; indes es sassen doch in demselben auch
Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus,
Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und faehige Maenner, und
wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, dass der Senat in
der Unrechtfertigkeit ein gewisses Mass und ein gewisses Dekorum in
dem Missregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestuerzt und
sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der
Restauration. Hatte die Aristokratie frueher regiert schlecht und recht
und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fuehlbare Opposition, so
hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den
Abgrund gezeigt, der vor ihren Fuessen klaffte. War es ein Wunder, dass
fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment
der altadligen Herrenpartei bezeichnete? dass die Regierenden noch
unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende
Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? dass die
Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des
Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Soehne
und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer
einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen
berufene Leute, innerhalb fuenfzehn Jahren (631-645 123-109) saemtlich
zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten,
von den Schwiegersoehnen und so weiter zu schweigen? dass, je gewalt-
und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war,
er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder
Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? dass die Regierenden und die
Regierten nur darin nicht zwei kriegfuehrenden Parteien glichen, dass
in ihrem Krieg kein Voelkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich,
dass, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
restaurierte es mit Skorpionen zuechtigte. Sie kam zurueck; aber sie kam
weder klueger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der roemischen
Aristokratie so vollstaendig an staatsmaennischen und militaerischen
Kapazitaeten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der
Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafuer ist der
Koryphaee der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus.
Der Sohn hochadliger, aber unvermoegender Eltern und darum genoetigt,
Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich
auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann
des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
verewigte seinen Namen nicht bloss als Redner und Schriftsteller,
sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem
Jahrhundert ausgefuehrten Staatsbauten. Indes wenn man naeher zusieht,
laufen seine vielgefeierten Grosstaten darauf hinaus, dass er als
Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit
seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefaehr ebenso ernsthafte Siege
ueber den revolutionaeren Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent
indes darin bestand, ganz ebenso zugaenglich und bestechlich zu sein
wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor
allem durch seine vornehme und ehrwuerdige Erscheinung vor dem Publikum
den Fabricius zu agieren. In militaerischer Hinsicht finden sich zwar
einige ehrenvolle Ausnahmen tuechtiger Offiziere aus den hoechsten
Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, dass die vornehmen Herren,
wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus
den griechischen Kriegshandbuechern und den roemischen Annalen
zusammenlasen, was noetig war, um einen militaerischen Diskurs zu
fuehren und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando
einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Faehigkeit und erprobter
Bescheidenheit uebergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor
der Senat einer Versammlung von Koenigen glich, so spielten diese
ihre Nachfahren nicht uebel die Prinzen. Aber der Unfaehigkeit dieser
restaurierten Adligen hielt voellig die Waage ihre politische und
sittliche Nichtswuerdigkeit. Wenn nicht die religioesen Zustaende, auf
die zurueckzukommen sein wird, von der wuesten Zerfahrenheit dieser
Zeit ein treues Spiegelbild boeten und ebenso die aeussere Geschichte
in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des roemischen Adels
als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so wuerden die
entsetzlichsten Verbrechen, die in den hoechsten Kreisen Roms Schlag
auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend
charakterisieren. Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was
sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens
griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie
das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen,
und in ihrem neuen Uebermut das Austreiben derselben immer haeufiger
sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die
Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die oekonomische
Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeusserung, die ein
gemaessigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100)
tat, dass es in der ganzen Buergerschaft kaum 2000 vermoegende
Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die
Sklavenaufstaende, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges
alljaehrlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet
von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass
gegen sie der staedtische Praetor mit seiner Legion hatte marschieren
muessen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch
tueckischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war
eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze derselben kein Sklave
gestanden hatte, sondern der roemische Ritter Titus Vettius, den seine
Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven
frei und sich zu ihrem Koenig zu erklaeren (650 104). Wie gefaehrlich
die Anhaeufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien,
beweisen die Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Goldwaeschereien von
Victumulae, die seit 611 (143) fuer Rechnung der roemischen Regierung
betrieben wurden: die Paechter wurden zuerst verpflichtet, nicht ueber
5000 Arbeiter anzustellen, spaeter der Betrieb durch Senatsbeschluss
gaenzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwaertigen war
in der Tat alles zu fuerchten, wenn, wie dies sehr moeglich war,
ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die grossenteils
stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief. Verhaeltnismaessig mehr
noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in
Ostindien aussehen wuerde, wenn die englische Aristokratie waere, was in
jener Zeit die roemische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von
Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft
die Kontrolle der Beamten uebertrug, noetigte diese, gewissermassen
gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte
Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich
unbeschraenkte Pluenderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu
erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Raeubern
pluenderten Land- und Seepiraten die saemtlichen Landschaften des
Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewaessern trieben die
Flibustier es so arg, dass selbst die roemische Regierung sich genoetigt
sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhaengigen
Kaufstaedte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt
bekleideten Praetor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese
brachte nicht bloss eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige
Felsennester aus, sondern die Roemer richteten hier sich sogar fuer die
Dauer ein und besetzten zur Unterdrueckung des Seeraubs in dem Hauptsitz
desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militaerische
Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den
roemischen Aemtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war
loeblich und der Plan an sich zweckmaessig entworfen; nur bewies
leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den
asiatischen Gewaessern und speziell in Kilikien, mit wie unzulaenglichen
Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie
bekaempfte. ----------------------------------------------------- 3
Vielfaeltig wird angenommen, dass die Einrichtung der Provinz Kilikien
erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676
f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla
(App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus
Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach
nichts uebrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652
(102) zu setzen. Hierfuer spricht ferner, dass in dieser Zeit die
Zuege der Roemer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen,
ligurischen, dalmatischen, regelmaessig gerichtet erscheinen auf
Besetzung der Kuestenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natuerlich,
denn da die Roemer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel,
dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Kuesten. Uebrigens ist
daran zu erinnern, dass der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz
der Landschaft in sich schliesst, sondern an sich nichts ist als ein
selbstaendiges militaerisches Kommando; es ist sehr moeglich, dass die
Roemer zunaechst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station
fuer Schiffe und Mannschaft. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den
Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die
ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften noerdlich des Tauros, das
sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehoerten jenes seit
der Aufloesung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62),
dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien.
---------------------------------------------------- Aber nirgends kam
die Ohnmacht und die Verkehrtheit der roemischen Provinzialverwaltung
in so nackter Bloesse zu Tage wie in den Insurrektionen des
Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie
zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen.
Jene aus Aufstaenden zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen
der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und
vielleicht die naechste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten
waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einfoermigkeit. Wieder
gaerte es wie dreissig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im
Roemischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht.
In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf,
besetzten das Vorgebirge Sunion und pluenderten laengere Zeit hindurch
von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich aehnliche
Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fuerchterlichen
Vorgaenge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenstroemenden
kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch fuer die
Groesse des Uebels, dass ein Versuch der Regierung, den schlimmsten
Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die naechste Ursache
der neuen Insurrektion ward. Dass die freien Proletarier in Sizilien
wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr
Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben
nahmen die roemischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien
Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer
hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfuegung
setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva,
in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst
durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die
Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhaengig gemachten Sachen
immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stuermten
nach Syrakus, um von dem roemischen Statthalter die Sistierung solcher
unerhoerten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich
terrorisieren zu lassen und die prozessbittenden Unfreien mit barschen
Worten anzuweisen, dass sie sich des laestigen Verlangens von Recht und
Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurueckzukehren
haetten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt
dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf
militaerische Massregeln nicht gefasst und selbst der elende Landsturm
der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Buendnis abschloss
mit einem der bekanntesten Raeuberhauptleute auf der Insel und durch das
Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufstaendischen Sklaven
durch Verrat den Roemern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward
man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang
es, dafuer eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu
schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie
vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergeraet der gefallenen
und fluechtigen Gegner gab die erste Grundlage fuer ihre militaerische
Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende
angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren
Vorgaengern, sich nicht unwuerdig, von Koenigen regiert zu werden wie
ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkoenig der Heimat bis auf den
Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als
Koenig Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini),
wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den
Haenden der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Staedte schon
von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen
und italischen Scharen der roemische Statthalter das Sklavenheer vor
Morgantia ueberfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die
Sklaven, obwohl ueberrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam,
wich der Landsturm der Insel nicht bloss beim ersten Anprall, sondern,
da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen
liessen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit,
ihren Abschied zu nehmen, und das roemische Heer lief vollstaendig
auseinander. Haetten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den
Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren;
sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmaessig die Freiheit
geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt
retten, worauf sodann der roemische Statthalter das den Sklaven von
den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich
erzwungen von Rechts wegen kassierte. Waehrend also im Innern der Insel
der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus
auf der Westkueste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben
wie Kleon, einst ein gefuerchteter Raeuberhauptmann in seiner Heimat
Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien gefuehrt worden.
Ganz wie seine Vorgaenger versicherte er sich der Gemueter der Griechen
und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen
Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er
nicht, wie die uebrigen Fuehrer, die ganze Masse der ihm zustroemenden
Leute, sondern bildete aus den kriegstuechtigen Mannschaften ein
organisiertes Heer, waehrend er die Masse zu friedlicher Beschaeftigung
anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes
Schwanken und jede unbotmaessige Regung niederhielt, und der milden
Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang
er rasche und grosse Erfolge. Die Hoffnung, dass die beiden Fuehrer sich
veruneinigen wuerden, schlug den Roemern auch diesmal fehl; freiwillig
fuegte sich Athenion dem weit minder faehigen Koenig Tryphon und erhielt
damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so
gut wie unumschraenkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier
wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die roemischen
Behoerden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen,
und mussten sich begnuegen, mit dem sizilischen und dem eiligst
herangezogenen afrikanischen Landsturm die Staedte zu schuetzen, welche
sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege
stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da
kein Ackerbuerger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt
wagte, brach die fuerchterlichste Hungersnot herein, und die staedtische
Bevoelkerung dieser sonst Italien ernaehrenden Insel musste von den
roemischen Behoerden mit Getreidesendungen unterstuetzt werden. Dazu
drohten ueberall im Innern die Verschwoerungen der Stadtsklaven und vor
den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von
Athenion erobert worden waere. So schwer es der Regierung fiel, waehrend
des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen,
sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000
Roemern und Italikern, umgerechnet die ueberseeischen Milizen, unter
dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte
Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht
an, die Lucullus anbot. Die bessere militaerische Organisation gab den
Roemern den Sieg: Athenion blieb fuer tot auf der Walstatt, Tryphon
musste sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten
ernstlich, ob es moeglich sei, den Kampf laenger fortzusetzen. Indes
die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann,
behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden
war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor
allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste,
um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee
desorganisiert und sein Feldgeraet verbrannt haben, um die gaenzliche
Erfolglosigkeit seiner Amtsfuehrung zu bedecken und von seinem
Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder
nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere
Resultate, und beide Generale sind spaeter ihrer Amtsfuehrung wegen
kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein
sicherer Beweis fuer ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode
(652 102) den Oberbefehl allein uebernommen hatte, stand siegreich an
der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius
Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich
ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Fuehrung des Krieges
uebernahm. Nach zweijaehrigen harten Kaempfen - Aquillius soll mit
Athenion persoenlich gefochten und ihn im Zweikampf getoetet haben -
schlug der roemische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder
und ueberwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch
Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und
der Friede zog wieder auf ihr ein, das heisst die neuen Peiniger wurden
abgeloest von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst
unter den zahlreichen und energischen Raeuberbeamten dieser Zeit eine
hervorragende Stelle einnimmt. Fuer wen es aber noch eines Beweises
bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern
beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Fuehrung
dieses zweiten fuenfjaehrigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.
Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der roemischen
Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor.
Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur
der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war,
so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in
Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der
Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten
Welt das Schauspiel aufgefuehrt, dass gegen die gewaltige Republik, die
die Koenigreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren
Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfuerst nicht
mittels Waffen, sondern mittels der Erbaermlichkeit ihrer regierenden
Herren eine vierzehnjaehrige Usurpation und Insurrektion durchzufuehren
vermochte. Das Koenigreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich
aus bis an die Grosse Syrte, so dass es einerseits grenzte an das
Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits
an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Kuestenstrich der roemischen
Provinz Africa westlich, suedlich und oestlich umschloss; es umfasste
ausser den alten Besitzungen der numidischen Haeuptlinge den bei weitem
groessten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten
seiner Bluete in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende
altphoenikische Staedte wie Hippo regius (Bona) und Gross-Leptis
(Lebidah), ueberhaupt den groessten und besten Teil des reichen
nordafrikanischen Kuestenlandes. Naechst Aegypten war ohne Frage
Numidien der ansehnlichste unter allen roemischen Klientelstaaten. Nach
Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Soehne, die
Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die vaeterliche Herrschaft in
der Art geteilt, dass der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse,
der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit uebernahm. Jetzt
regierte nach dem Tode seiner beiden Brueder wieder allein Massinissas
aeltester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber
als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen
Philosophie beschaeftigte. Da seine Soehne noch nicht erwachsen waren,
fuehrte tatsaechlich die Zuegel der Regierung ein illegitimer Neffe
des Koenigs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwuerdiger Enkel
Massinissas. Er war ein schoener Mann und ein gewandter und mutiger
Reiter und Jaeger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen
Verwalter in hohen Ehren, und seine militaerische Brauchbarkeit hatte er
als Fuehrer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen
erwiesen. Seine Stellung im Koenigreich und der Einfluss, dessen er
durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der roemischen
Regierung genoss, liessen es Koenig Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu
adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, dass des
Koenigs beide aelteste leibliche Soehne Adherbal und Hiempsal und sein
Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden
Bruedern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu
groesserer Sicherheit wurde diese Verfuegung unter die Garantie der
roemischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb
Koenig Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Soehne
Micipsas, mehr noch als der schwache aeltere Bruder der heftige
Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in
die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, dass der Gedanke
an eine Gesamtregierung der drei Koenige aufgegeben werden musste. Man
versuchte eine Realteilung durchzufuehren; allein die hadernden Koenige
vermochten ueber die Landes- und Schatzquoten sich nicht zu einigen,
und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort
zustand, bekuemmerte wie gewoehnlich um diese Angelegenheit sich nicht.
Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des
Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht ueberhaupt
bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Praetendent auf das gesamte
Koenigreich. Noch waehrend der Verhandlungen ueber die Teilung ward
Hiempsal durch gedungene Meuchelmoerder aus dem Wege geschafft; zwischen
Adherbal und Jugurtha kam es zum Buergerkriege, in dem ganz Numidien
Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geuebten und
besser gefuehrten Truppen siegte Jugurtha und bemaechtigte sich des
gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die
seinem Vetter anhaengenden Haeupter. Adherbal rettete sich nach der
roemischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu fuehren.
Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden
Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr
von Rom kennengelernt als die roemische Taktik: der numidische Prinz,
eingefuehrt in die Kreise der roemischen Aristokraten, war zugleich
eingeweiht worden in die roemischen Koterieintrigen und hatte an der
Quelle studiert, was man roemischen Adligen zumuten koenne;
schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale
Unterhandlungen ueber die numidische Erbfolge mit vornehmen roemischen
Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern muessen,
dass es fremden Prinzen anstaendiger sei, mit dem roemischen Staat als
mit einzelnen roemischen Buergern Freundschaft zu halten. Jugurthas
Gesandte erschienen in Rom, nicht bloss mit Worten ausgeruestet; dass
sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewaehlt hatten,
bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht
ueberzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, dass Hiempsal
seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden
und dass der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern
Adherbal. Selbst die leitenden Maenner im Senat erschraken vor dem
Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat
ueberging das Geschehene mit Stillschweigen und verfuegte, dass die
beiden ueberlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen
erhalten und zur Verhuetung neuen Haders die Teilung durch eine
Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular
Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn fuer seinen
Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht
zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine)
mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein
eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwuesten bestehende oestliche
Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevoelkerte
Westhaelfte (das spaetere Sitifensische und Caesariensische Mauretanien)
zu teil. ---------------------------------------------- 4 Der Stammbaum
der numidischen Fuersten ist folgender:

---------------------------------------------- Es war arg; bald kam es
noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal
um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum
Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen
gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess
und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha,
ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg.
In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig
geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die
Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta
zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter
als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich
herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals
erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene
Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen
regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie
als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse,
ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme.
Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst
heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu
berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute
in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als
im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die
Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des
Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte
derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss - nicht etwa den
Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue
Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an
der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen,
dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen
genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen.
In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu
verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz
geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die
Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck
und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah
sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen
Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer
ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen
Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt.
Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern
hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der
Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen
(642 112). Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die
Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten
einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des
Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten
die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und
italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war.
Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie
appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle
Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den
lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111)
gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann,
sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache
brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung
ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg
an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden.
Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien
ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter
seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich
auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst
uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer
Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte,
am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische
Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten
Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung
einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine
Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und
Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das
roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des
Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag
mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit
den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst
abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen
Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben.
Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte
nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen
Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht.
Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen
Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch
der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas
Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward
abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt
und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung
dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade
und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich
ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung
der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche
letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch
Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren.
Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt
wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war
zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen
Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat
ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er
wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in
Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich
der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der
beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte
sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht
als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich
sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in
Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam
bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der
cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum
hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer
seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu
schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der
Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen
gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben
abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius
Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in
der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde.
Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva,
seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat
geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs
Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag,
meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess
gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den
Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens
so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der
Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und
der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein
das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab
in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und
militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war
die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften,
ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das
Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch
nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im
Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch
diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies
spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er
wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts
zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch
den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus
Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen
Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der
schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter
Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und
erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos,
und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt
gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn
zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen
naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und
Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten,
eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils
waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht
vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug
des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des
ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten
Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen
wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die
Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den
kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche
Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des
siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche
Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche
Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der,
genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von
Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag
des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen
Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche
Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen
Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche
sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius
Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen
Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem
zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner
der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse
einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten
kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich
der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer
Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst
nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache,
dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und
maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er
eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der
Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward.
Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre
Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem
numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden
Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl
selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. Der Senat kassierte
zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der
ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig
Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit
der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward
diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika
zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen
vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen
waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze
maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein
starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es
zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu
dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische
Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer,
weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein
einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch
von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen
Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den
trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner
musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und
verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt
ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen
Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren
begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul
und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt
hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand
fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen
Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des
Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie
Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich
verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als
dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und
vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als
mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen
Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den
Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus
als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden;
ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische
Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in
seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert
und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als
wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende
Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten
desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern.
Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem
Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister;
Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders
konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden
Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte,
erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem
Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis
auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war
und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in
der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha
das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein
Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken
auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die
gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch
das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den
Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung
und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich
verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die
schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene
Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte
Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement
unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu
schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges
in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den
Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene
drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische
Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese
sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten
von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab
angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte
den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter
Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner
Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer
bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang
es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des
Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen
verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast
ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg
hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk
gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten
in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am
Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger
und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden
Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas
ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die
unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein
die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha
sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim
und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit
Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von
Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und
Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die
erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten
die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig
geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein
die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland,
Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig
nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers
gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung
aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren
Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von
Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und
benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem
er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu
bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich
anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine
Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische
Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde
des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht
besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder
des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus
gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und
grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern
lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle
Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat.
Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich
sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen
ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe
festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese
diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten
allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu
bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder
weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war,
beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern
besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte
roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit
Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen
Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst
sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt
und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage
nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und
verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren,
wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden
Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm
den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher
der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das
fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt
werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man
mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie
war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der
sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den
Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine
Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit
neuer Gewalt wiederzuerwecken?
------------------------------------------------ 5 In der spannenden und
geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie
mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu
Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107)
begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die
Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus
allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er
spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete
(c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat
auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit
Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107)
spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul
648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des
Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen.
Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph.
epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und
die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius'
Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108)
gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf
keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm
Konsul genannt wird. Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die
Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie
steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf
Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu
waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere
Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss
stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten
Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo
.... decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln
vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante
uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat
- oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo
[ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der
Medscherda. ---------------------------------------- Als Metellus im
Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends
stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten
Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die
Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen,
ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer
zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im
Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste,
lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha
sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern
seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte
es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in
Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward
erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss
vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem
sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den
wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig
Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien
zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man
damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein
immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien
gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg
gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien,
dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht
hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie
gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf,
sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas
Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im
Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass
er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden
hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn
teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den
Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha
und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch
keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber
verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt
worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius
abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106)
den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im
Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm
zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um
das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso
verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des
tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt
haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung
eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde
der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich
begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und
Revolutionaer geschmaeht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber
von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen
Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus
verhoehnt - Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis
Metellus' Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne - und
kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr
647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten.
Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem
er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus
in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen
Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von
geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen
der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen,
dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie
moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies
vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der
Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte
Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit,
die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde
nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern
ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die
Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat
zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die
den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen
Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess
trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus' Stelle und
fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die
zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger
und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom
abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum
mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte;
er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten
des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot,
nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle
erwachsenen Maenner darin toeten - freilich das einzige Mittel, den
Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein
am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied,
belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte,
und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der
Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner
Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf
angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem
Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus' Zug in die Wueste durch
eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese
Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf
alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten
hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt.
Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des
Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an
den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte,
war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den
Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn
ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag
ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber
versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das
roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich
eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer
und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen
eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein
leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich
schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit
entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen.
Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner
entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend
der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim
grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich
zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit
groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf
demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in
grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die
ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren
Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus
warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken
bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen;
Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das
Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich
begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs
Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben
gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich
aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass
von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden
hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte
zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder
diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf
Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man
einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass
Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen
Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig
bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des
Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen
der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs
Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er
die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie
an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als
unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit
den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den
Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig
nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg
zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand
sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er
auf, geleitet von Koenig Bocchus' Sohn Volux, und seine Entschlossenheit
wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager
des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner
Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt
durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier
in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich
eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben,
dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem
eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge
niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse
Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius
Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das
roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der
Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem
Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig
Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar
650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste
wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten
Brunnenhaus am Kapitol, dem "eisigen Badgemach", wie der Afrikaner es
nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt
zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es
liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den
geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der
Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war
und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling
einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern,
dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er
brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk
auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla
darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler
die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in
Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen
Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber
die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur
Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen
Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius
den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei
Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die
militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen
haette - wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen
in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben.
--------------------------------- 7 Die Oertlichkeit ist nicht
wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana,
noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die
Identifikation mit einer auch heute Thala genannten
Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet.
-------------------------------- Im uebrigen verlief diese Insurrektion
des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen
politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen
Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von
der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine
roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht
ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu
behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer
zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft
Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen
von Saldae (Bougie) - das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz
Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum
verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden
legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen
Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf
Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht
hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika
als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag
stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen.
---------------------------------------------------------------- 8
Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der
sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche
das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit
Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht
historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden
Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda
Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr.
79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli
630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen
die zwischen Numidien einer- und dem roemischen Afrika und Kyrene
andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben,
zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere
Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird
auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus' Reich
bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass
Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis
(Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte
der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern
vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann
708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich
die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei
der zweiten Vergroesserung hinzugekommen.
-------------------------------------------------------------- Wichtiger
als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen
Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen
Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen
worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in
unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss
notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den
regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das
Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der
Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei
seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette,
mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze
aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel
teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns
der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die
anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die
richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen
eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene
Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer
die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der
restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und
noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von
Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche
Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere
sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die
Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition
offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die
Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich,
wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre
645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben,
das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung
wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen
Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte
nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die
Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute
in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte
Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte;
dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab,
die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer
Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug
war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft
hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete;
dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter
war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser
Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an
sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus'
Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht
zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus
dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung,
geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser
Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten
besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere
Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten
militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen
der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den
Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe
in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt
werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am
wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem
Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat,
es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen
Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder,
was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war,
in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges
neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das
Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht
in die politische Revolution. Ob Marius' Auftreten unmittelbar die
Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die
Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche,
als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere
Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber
war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis
zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie
Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die
gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der
Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten
Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn
er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion
gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten
veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein
folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie
ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten
Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern
anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten
als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie
herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620
(134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich
gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert
aufgegangen. 5. Kapitel Die Voelker des Nordens Seit dem Ende des
sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei
grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden
Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb
derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen
Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens
die ganz- oder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen
Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen
Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der
oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der
Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete
der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des
politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen,
was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu
sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen,
die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten,
anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die
griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass
sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen. Fassen wir
zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins
Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers
seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten,
treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen
Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas),
oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und
Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu
den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen
weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen
oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten
ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der
Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen
und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen,
den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen
Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit
zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der
Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende
Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute
untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation
traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von
Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der
Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre
611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser
Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft
das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch,
sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl
die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage
begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der
Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte
spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie
Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den
westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen.
Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als
Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als
Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst
betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten
keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen
seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft
behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den
Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner
2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000
Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst
die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend
in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons)
den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der
Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende
jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des
Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden
Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden
Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines
Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge,
vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend
- die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von
1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs
Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos.
In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen
Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem
Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation
gediehen war. Flaccus' Angriff traf indes zunaechst nicht auf die
Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den
Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit
nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der
keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden
war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder
Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre
noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso
sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die
Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der
Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer,
Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen,
aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes
nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang
Calvinus' Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet
ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem
Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig
Betuhus, jenes Luerius' Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen
mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als
die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet
anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur
Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe
erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer.
Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um
in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der
suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere
in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die
ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus,
wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die
Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie
die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen
haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres
zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht
dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter
der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des
groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen
ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte
und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen,
unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker
genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung
des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig
Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst
habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in
treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der
Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den
verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben,
Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache
gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch
einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss
der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die
Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal
hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer
zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und
die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3.
------------------------------------------ ^1 Wenn Cicero, indem er dies
den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht
einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl
nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und
Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der
Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare
Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab.
4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem
Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der
Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von
Clermont. 3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische
Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte
Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils
dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat.
7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die
Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus
triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den
Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass
die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden
haben muss als die gegen die Arverner allein.
------------------------------------------------ Das Ergebnis dieser
militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen
Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen
Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern
abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon
jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und
den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht
den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres
mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen
bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa
(Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser
Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und
Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die
Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur
Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile
den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser
Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in
gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen
die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber
Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich
verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im
oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten
geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die
zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier
entstand eine roemische Ortschaft, die "Baeder des Sextius", Aquae
Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich
an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in
geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon
vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen
Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae
erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen
Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die
Kelten gegruendet, ward als "Marsstadt" roemische Buergerkolonie und
der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen
Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz
Narbo. ------------------------------------------------------- 4 Aquae
ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab.
4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen
1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so
ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein
keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches
Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
------------------------------------------------------- Die Gracchische
Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste,
wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer
ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie
Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden
konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen
Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier
sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der
Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht
ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene
Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der
Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte,
blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an
die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte
die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem
gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese
Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie
im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward
gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als
jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische
Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet
des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher.
Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein,
und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den
unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen
wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen
unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in
der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und
Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium
(an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der
Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend
die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren,
kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne
daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf
unter die gemeinsaessigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen
bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren
Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra
gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen
Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos;
allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich
losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche
Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von
Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende
Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier,
namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern
wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale
Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den
Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung,
an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort
zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich
gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156)
ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er
drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das
roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599
(155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft
sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern untertaenig.
Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht
wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte
sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan,
sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten
zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre
608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren
nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5.
------------------------------------------------ 5 3, 49. Die Pirusten
in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften
aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).
------------------------------------------------ Aber ebendiese
Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft
gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere
Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die
ueberall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen
Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange
darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden
gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher
den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier
gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von
der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft
darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des
Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens
insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen
Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die
maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen
Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit
suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die
Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren
Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen
und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit
ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer
See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und
Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier,
deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6.
Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in
der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der
Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre
Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und
weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen
Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin
gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die
Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen
Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich
ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur
das Flach- und Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und
ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt
und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung
geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas
Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den
Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter
um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die
beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler
Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia
von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter
waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen
Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren
Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen
und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch
in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten
und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den
Windeln niedermachten - vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die
roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen
Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die
ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf
und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen
Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung,
wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den
Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren,
die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die
urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest
die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens
im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische
Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an
die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen
im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein
urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm.
An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe
Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland
dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor
allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den
Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren
Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit
die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und
Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten
man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das
feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save.
Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien
sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der
Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der
Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.
------------------------------------------- 6 "Zwischen dem Herkynischen
Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten
die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch
Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo
sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h.
die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie
"jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht
im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht,
kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit
vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft
als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als
Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort
erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus
diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen
deutschen Staemmen schon vor Poseidonios' Zeit, also vor 650 (100)
vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten
umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das
westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee,
wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die
sogenannte "boische Einoede", den Namen dieses geplagtesten
aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.
------------------------------------------ Es waere fuer eine
kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte
Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine
geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den
Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah,
genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen
die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118)
ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona
gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius
Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner
niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu
erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den
Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen
Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne
sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen
Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der
Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. Auf der
entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die
Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte
mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den
Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden.
Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber
die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der
Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig
offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck
eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere
reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619
(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die
Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral
noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an
der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der
Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen
Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber
in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward
von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die
vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche
Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul
Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich
eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach
Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von
Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom
in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter
(635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den
Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und
dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater
sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien,
Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie
und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der
Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen
Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium
(bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter
des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539
(115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg,
der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten
Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern
Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert
ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies
nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts
der Alpen hineingezogen worden waeren.
----------------------------------------------------------------------
7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn
so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben)
bei Victor.
-----------------------------------------------------------------------
Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch
einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen
Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung
deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel
in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos
(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten
gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit
seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden
war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig
der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals
ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren
8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig
wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre
darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den
serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer
vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich
entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische
Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius
(641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste
roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus
(644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die
Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie
bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das
roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst
da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg
ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11.
Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien)
in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die
erste Rolle zu spielen. ------------------------------------------------
8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete
(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der
Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist
sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin
erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius,
mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde
werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben,
dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre
Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die
Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals
eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert. 9 Ist Quintus
Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG
1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S.
167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero
(Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari
quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die
fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei
makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und
des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius
und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren,
so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos
(Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung
der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen
wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die
Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche
Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras
stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen
Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu
muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung
der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben
verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die
Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also
wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung
hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein
Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis
vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum
Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist
es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge
der cinnanisch- marianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat
gelangt sein kann. -------------------------------------------------
Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten.
Schon seit laengerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem noerdlichen
Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen
Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho,
die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche
Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum
Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den
Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen.
Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben
die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine
Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von
Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken
sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht
minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der
Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der
die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen
die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger
Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste,
der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen
Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels
gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen
Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil
Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der
Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen
gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen
selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges
Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf
die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher
Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich
befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel
jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine
Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet,
wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder
wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu
kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch
nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht
ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern
ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog,
eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch
nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere
Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den
Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das
Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz
sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die
Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit
den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen
Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben,
die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die
flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war
wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die
italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten,
sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer
eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert
geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch
einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in
dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine
rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx,
deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die
metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren
rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der
tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art
der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher
mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein
einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf
machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein
entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben
und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel
nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem
Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war
-, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern,
darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann
wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen
aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden.
Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern
und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen
und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder
Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner
Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie
viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die
Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer
geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art
angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte
Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern
deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht
unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich
belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein
uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit,
die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und
Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und
die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch
vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts
sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren
sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in
der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das
wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette
zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den
Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die
unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
------------------------------------------------------ ^12 Denn der
Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten grosse
Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der
Kimbrer veranlasst worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns
nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, maerchenhaft, allein ob er
auf Ueberlieferung oder Vermutung sich gruendet, ist doch nicht zu
entscheiden. ------------------------------------------------------ Dies
heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau,
namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Sueden vorzudringen,
durchbrach diese Schranke infolge der von den Roemern gegen die
Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, dass die Donaukelten die
kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen,
oder dass jene durch den Angriff der Roemer verhindert wurden, ihre
Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker
einrueckend in das Tauriskerland, naeherten sie im Jahre 641 (113) sich
den Krainer Alpenpaessen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius
Carbo auf den Hoehen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten
siebzig Jahre zuvor keltische Staemme sich diesseits der Alpen
anzusiedeln versucht, aber auf Geheiss der Roemer den schon okkupierten
Boden ohne Widerstand geraeumt; auch jetzt erwies die Furcht der
transalpinischen Voelker vor dem roemischen Namen sich maechtig. Die
Kimbrer griffen nicht an; ja sie fuegten sich, als Carbo sie das Gebiet
der Gastfreunde Roms, der Taurisker, raeumen hiess, wozu der Vertrag mit
diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Fuehrern, die ihnen
Carbo gegeben hatte, um sie ueber die Grenze zu geleiten. Allein diese
Fuehrer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu
locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen
Kaernten zum Kampf, in dem die Verratenen ueber den Verraeter siegten
und ihm betraechtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das
die Kaempfenden trennte, verhinderte die vollstaendige Vernichtung
der roemischen Armee. Die Kimbrer haetten sogleich ihren Angriff gegen
Italien richten koennen; sie zogen es vor, sich westwaerts zu wenden.
Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt
der Waffen eroeffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und
ueber den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage
abermals in naechster Naehe das roemische Gebiet. Die Rheingrenze und
das zunaechst gefaehrdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien
645 (109) im suedlichen Gallien ein roemisches Heer unter Marcus Iunius
Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich
niederlassen koennten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewaehren
liess. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollstaendig
geschlagen und das roemische Lager erobert. Die neuen Aushebungen,
welche durch diesen Unfall veranlasst wurden, stiessen bereits auf
so grosse Schwierigkeit, dass der Senat deshalb die Aufhebung der
vermutlich von Gaius Gracchus herruehrenden, die Verpflichtung zum
Kriegsdienst der Zeit nach einschraenkenden Gesetze bewirkte. Indes die
Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Roemer zu verfolgen, sandten an
den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und
beschaeftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung
der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die
roemische Provinz und die neue roemische Armee fuer den Augenblick Ruhe;
dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier,
die in den steten Kaempfen mit ihren nordoestlichen Nachbarn viel zu
leiden hatten, fuehlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt,
gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze
zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr
Land zogen, sich dazu mit ihnen verbuendet; jetzt ueberschritten unter
Divicos Fuehrung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und
der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in
das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das roemische Heer
unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stiessen,
liess sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der
Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem
groessten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische
Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet
hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen
Auslieferung der Haelfte der Habe, die die Truppen mit sich fuehrten,
und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge fuer
die Roemer, dass in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Staedte,
Tolosa, sich gegen sie erhob und die roemische Besatzung in Fesseln
schlug. ------------------------------------- ^13 Die gewoehnliche
Annahme, dass die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in
Gallien eingerueckt seien, laesst sich auf Strabon 7, 293 nicht stuetzen
und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die
Ueberlieferung ueber diesen Krieg ist uebrigens in einer Weise
truemmerhaft, dass eine zusammenhaengende Geschichtserzaehlung,
voellig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf
ungefaehre Richtigkeit. -------------------------------------- Indes
da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die
Helvetier vorlaeufig die roemische Provinz nicht weiter belaestigten,
hatte der neue roemische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle
Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemaechtigen und
das alte und beruehmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den
darin aufgehaeuften ungeheuren Schaetzen mit Musse zu leeren - ein
erwuenschter Gewinn fuer die bedraengte Staatskasse, nur dass leider
die Gold- und Silberfaesser auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
schwachen Bedeckung durch einen Raeuberhaufen abgenommen wurden
und spurlos verschwanden; wie es hiess, waren die Anstifter dieses
Ueberfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen
beschraenkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive
und huetete mit drei starken Heeren die roemische Provinz, bis es den
Kimbrern gefallen wuerde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre
649 (105) unter ihrem Koenig Boiorix, diesmal ernstlich denkend an
einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der
Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter
ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward voellig
geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht,
wo der kimbrische Koenig, erzuernt ueber die stolze Warnung des
gefangenen Roemers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen,
ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer ueber
die Rhone zu fuehren; widerwillig sich fuegend erschien dieser endlich
bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze
roemische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenueberstand und ihm durch ihre
ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, dass die Kimbrer anfingen
zu unterhandeln. Allein die beiden Fuehrer lebten im heftigsten
Zerwuerfnis. Maximus, ein geringer und unfaehiger Mann, war als Konsul
seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten
prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen uebergeordnet; allein
dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und
gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie
vor sein selbstaendiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des
roemischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persoenliche
Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte
nur den Riss. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer
verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung
allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst
auf den Feind. Er ward voellig vernichtet, so dass auch das Lager dem
Feinde in die Haende fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog
die nicht minder vollstaendige Niederlage der zweiten roemischen Armee
nach sich. Es sollen 80000 roemische Soldaten und halb soviel von dem
ungeheuren und unbehilflichen Tross gefallen, nur zehn Mann entkommen
sein - so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren
gelang, sich zu retten, da die Roemer mit dem Fluss im Ruecken gefochten
hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag
von Cannae weit ueberbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus,
des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck
voruebergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfaellen
zu eroeffnen; die Unueberwindlichkeit der roemischen Waffen stand so
unerschuetterlich fest, dass es ueberfluessig schien, die ziemlich
zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
den unverteidigten Alpenpaessen in erschreckender Weise sich naehernde
Kimbrerheer, die sowohl in der roemischen Landschaft jenseits der
Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstaerkt ausbrechende
Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens ruettelten furchtbar auf
aus diesen Traeumen. Man gedachte wieder der nie voellig vergessenen
Keltenstuerme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des
Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich aeltester Erinnerung
und frischester Angst kam der Gallierschreck ueber Italien; im ganzen
Okzident schien man es inne zu werden, dass die Roemerherrschaft
anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch
Senatsbeschluss die Trauerzeit abgekuerzt ^14. Die neuen Werbungen
stellten den drueckendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfaehigen
Italiker mussten schwoeren, Italien nicht zu verlassen; die Kapitaene
der in den italischen Haefen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen
dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was
haette kommen moegen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg
durch die Alpenpforten in Italien eingerueckt waeren. Indes sie
ueberschwemmten zunaechst das Gebiet der Arverner, die muehsam in
ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
Belagerung muede, nicht nach Italien, sondern westwaerts gegen die
Pyrenaeen. ---------------------------------------------- ^14
Hierher gehoert ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
---------------------------------------------- Wenn der erstarrte
Organismus der roemischen Politik noch aus sich selber zu einer
heilsamen Krise gelangen konnte, so musste sie jetzt eintreten, wo durch
einen der wunderbaren Gluecksfaelle, an denen die Geschichte Roms so
reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen
Patriotismus in der Buergerschaft aufzuruetteln, und doch nicht so
ploetzlich hereinbrach, dass diesen Kraeften kein Raum geblieben waere,
sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben
Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen
eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen
Unfaelle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, dass zunaechst jene mehr
der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen;
allein die oeffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor
allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender
Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz
in Frage stellte. Man taeuschte sich damals so wenig wie jetzt ueber den
wahren Sitz des Uebels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es
auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es
wohl, dass das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal
dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud
freilich ueber den Haeuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich
mit um so viel schwereren Schlaegen, als die Katastrophe von 649
(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefaehrlichkeit uebertraf.
Das instinktmaessig sichere Gefuehl des Publikums, dass es gegen die
Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum,
indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter
Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder
jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stuerzen.
Zunaechst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten;
mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunaechst durch
seine Unbotmaessigkeit herbeigefuehrt war, auch abgesehen von der
wahrscheinlich gegruendeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der
tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn
entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Konsul einen Versuch
gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreissen. Um
seinetwillen ward der alte ehrwuerdige Grundsatz, auch im schlechtesten
Gefaess die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, waehrend gegen
den Urheber des cannensischen Unglueckstages der Tadel in die stille
Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio
durch Volksbeschluss des Prokonsulats entsetzt und - was seit den
Krisen, in denen das Koenigtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen
war - sein Vermoegen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht
lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Buergerschluss aus dem
Senat gestossen (650 104). Aber dies genuegte nicht; man wollte mehr
Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter
Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius
Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen
Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen;
trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
Todesstrafe fuer politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die
Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil ueber ihn zu faellen
und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische
Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune
wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen
Auflauf die ersten Maenner des Senats durch Steinwuerfe verletzt. Die
Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozesskrieg ging im Jahre
651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege
im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene
Maenner wurden verurteilt; mit Muehe gelang es einem mit Caepio
befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen buergerlichen
Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15.
------------------------------------------ ^15 Die Amtsentsetzung des
Prokonsuls Caepio, mit der die Vermoegenseinziehung verbunden war (Liv.
ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio
(6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Dass
zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit
verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio
gemuenzte Antrag, dass Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat
nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus
(p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini
rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei
Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, dass ein von
Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe
herbeigefuehrt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das
Appuleische Gesetz ueber die geschmaelerte Majestaet des roemischen
Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt
desselben schon frueher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage
[Orig.]) bestimmt ward, Saturninus' Antrag auf Niedersetzung einer
ausserordentlichen Kommission zur Untersuchung der waehrend
der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverraetereien. Die
Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3,
30, 74) entsprang in ganz aehnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz,
wie die dort weiter genannten Spezialgerichte ueber eine aergerliche
Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die ueber die
Vorgaenge mit den Vestalinnen aus dem Peducaeischen von 641 (113), die
ueber den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110).
Die Vergleichung dieser Faelle lehrt auch, dass von dergleichen
Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen
an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird,
der das Verfahren gegen Caepio veranlasste und dafuer spaeter zur
Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200.
part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn
der Antrag ging, wie gewoehnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet.
Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot
war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu
ueben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und
schliesslichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewoehnliche,
sehr unueberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95),
zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits frueher
zurueckgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, dass Crassus als
Konsul, also 659 (95) fuer Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er
aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus
wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius
Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Frueher wurde fuer diese
zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, dass
sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken
zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros.
hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum
zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden
sich nicht, aber die sehr ueberwiegende Wahrscheinlichkeit spricht fuer
das erstere Jahr, teils weil dies den Ungluecksfaellen in Gallien
naeher steht, teils weil in den ziemlich ausfuehrlichen Berichten ueber
Saturninus' zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen
diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Dass die infolge
der Urteilssprueche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den
Staatsschatz zurueckgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat
fuer seine Kolonisationsplaene in Anspruch genommen werden (Vir. ill.
73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht
entscheidend und kann ueberdies leicht durch Verwechslung von dem ersten
afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus
uebertragen worden sein. Dass spaeterhin, als Norbanus belangt ward,
dies eben auf Grund des von ihm mitveranlassten Gesetzes geschah, ist
eine dem roemischen politischen Prozess dieser Zeit gewoehnliche Ironie
(Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als
sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spaetere Cornelische,
ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.
------------------------------------------------ Wichtiger als diese
Massregel der Rache war die Frage, wie der gefaehrliche Krieg
jenseits der Alpen ferner gefuehrt und zunaechst, wem darin die
Oberfeldherrnschaft uebertragen werden sollte. Bei unbefangener
Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war
zwar im Vergleich mit frueheren Zeiten an militaerischen Notabilitaeten
nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus
Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donaulaendern, Quintus
Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit
Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen
Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens
gegenueber die oft erprobte Ueberlegenheit roemischer Waffen und
roemischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines
genialen, sondern nur eines strengen und tuechtigen Kriegsmanns
bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher moeglich war
als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung
war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
Krieg gezeigt hatte, in der oeffentlichen Meinung so vollstaendig
bankrott, dass ihre tuechtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn
weichen mussten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem
Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an
die Spitze der Geschaefte stellen zu lassen. Es war kein Wunder,
dass, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich
wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio.
Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als
einmal zu uebernehmen verbot, auf als Bewerber um das hoechste Staatsamt
und nicht bloss ward er, waehrend er noch in Afrika an der Spitze des
dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in
dem Gallischen Krieg uebergeben, sondern es ward ihm auch fuenf
Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat
uebertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn
gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit
und Kurzsichtigkeit bewaehrten exklusiven Geist der Nobilitaet, aber
freilich auch in den Annalen der Republik unerhoert und in der Tat mit
dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unvertraeglich
war. Namentlich in dem roemischen Militaerwesen, dessen im Afrikanischen
Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Buergerwehr in eine Soeldnerschar
Marius waehrend seines fuenfjaehrigen, durch die Not der Zeit mehr noch
als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschraenkten
Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser
inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen
Generals fuer alle Zeit sichtbar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius
Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer
Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kuehne Faenger des Jugurtha,
Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen
italischer und bundesgenoessischer Soldaten. Zunaechst fand er den
Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute,
die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward,
nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, ueber
die Pyrenaeen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den
tapferen Bewohnern der Nordkueste und des Binnenlandes herum; es schien,
als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei
ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius
volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam
zurueckzubringen, die schwankende Treue der untertaenigen gallischen und
ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie ausserhalb
der roemischen Provinz von den gleich den Roemern durch die Kimbrer
gefaehrdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den
Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits
durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme
und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch
Maersche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung
eines spaeter den Massalioten ueberwiesenen Rhonekanals zur leichteren
Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte -
die Soldaten fuer die ernstere Kriegsarbeit tuechtig zu machen. Auch er
verhielt sich in strenger Defensive und ueberschritt nicht die Grenzen
der roemischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651
(103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen
Widerstand der eingeborenen Voelkerschaften, namentlich der Keltiberer
sich gebrochen hatte, wieder zurueck ueber die Pyrenaeen und von da,
wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen
Maennern sich unterwarf, von den Pyrenaeen bis zur Seine. Erst hier, an
der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen
sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, waehrend sie
im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher
Zuzug. Nicht bloss drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner
und Tougener, welche frueher an der Garonne gegen die Roemer gefochten
hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern,
sondern es stiessen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
ihrem Koenig Teutobod, welche durch uns nicht ueberlieferte Fuegungen
aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen
waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen
Widerstand der Belgen nicht zu ueberwaeltigen. Die Fuehrer entschlossen
sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals
beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit
dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier
zurueckgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus
denen spaeter nach mancherlei Irrfahrten die Voelkerschaft der Aduatuker
an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
Verpflegung auf den Alpenstrassen, sei es aus anderen Gruenden, die
Massen loesten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine,
die Kimbrer und Tigoriner, ueber den Rhein zurueck und durch die schon
im Jahre 641 (113) erkundeten Paesse der Ostalpen, der andere, die
neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von
Arausio bewaehrte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das roemische
Gallien und die Westpaesse nach Italien eindringen sollte. Diese zweite
Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone
ueberschritt und am linken Ufer derselben mit den Roemern den Kampf nach
fast dreijaehriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem
wohlgewaehlten und wohlverproviantierten Lager am Einfluss der Isere in
die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren
Heerstrassen nach Italien, die ueber den Kleinen Bernhard und die an der
Kueste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager
an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm
der Barbaren um die roemischen Verschanzungen, aber der wilde Mut
scheiterte an der Ueberlegenheit der Roemer im Festungskrieg und an der
Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die
dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fuerbass
nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran
vorueber, ein Beweis mehr noch fuer die Schwerfaelligkeit ihres Trosses
als fuer ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr liess es geschehen ohne
anzugreifen; dass er durch den hoehnischen Zuruf der Feinde, ob die
Roemer nicht Auftraege haetten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren
liess, ist begreiflich, aber dass er dies verwegene Vorbeidefilieren
der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten roemischen Masse nicht
benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeuebten Soldaten
vertraute. Als der Zug vorueber war, brach auch er sein Lager ab und
folgte dem Feinde auf dem Fuss, in strenger Ordnung und Nacht fuer Nacht
sich sorgfaeltig verschanzend. Die Teutonen, die der Kuestenstrasse
zustrebten, gelangten laengs der Rhone hinabmarschierend bis in die
Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Roemern. Beim Wasserschoepfen
stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Roemer mit der
feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald
allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Roemer und verfolgten
den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glueckliche
Zusammenstoss erhoehte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am
dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Huegel, dessen Spitze
das roemische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht.
Die Teutonen, laengst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen,
stuermten sofort den Huegel hinauf und begannen das Gefecht. Es war
ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die
Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte
ihre Sehnen und ein blinder Laerm in ihrem Ruecken, wo ein Haufen
roemischer Trossbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem
Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Aufloesung der
schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie
begreiflich in dem fremden Lande, entweder getoetet oder gefangen;
unter den Gefangenen war der Koenig Teutobod, unter den Toten eine
Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als
Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr
sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem
sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Goetter und der heiligen
Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten
(Sommer 652 102). ----------------------------------------------- ^16
Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhaeltnismaessig
zuverlaessigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen
ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei
Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen
schon frueher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von
Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die
Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer
in die roemische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652
(102) gemeint sein kann. ----------------------------------------------
So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon
standen deren Waffenbrueder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern
verbuendet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in
das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass
ueberschritten und waren von da durch die Taeler der Eisack und Etsch
hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus
Lutatius Catulus die Paesse bewachen; allein der Gegend nicht voellig
kundig und fuerchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut,
in die Alpen selbst vorzuruecken, sondern unterhalb Trient am linken
Ufer der Etsch sich aufgestellt und fuer alle Faelle den Rueckzug auf
das rechte durch Anlegung einer Bruecke sich gesichert. Allein als nun
die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein
panischer Schreck das roemische Heer und Legionaere und Reiter liefen
davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die naechste
Anhoehe, die Sicherheit zu gewaehren schien. Mit genauer Not brachte
Catulus wenigstens den groessten Teil seines Heeres durch eine
Kriegslist wieder an den Fluss und ueber die Bruecke zurueck, ehe es den
Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Baeume
und Balken gegen die Bruecke hinabtreiben liessen, gelang, diese zu
zerstoeren und damit dem Heer den Rueckzug abzuschneiden. Eine Legion
indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zuruecklassen muessen und
bereits wollte der feige Tribun, der sie fuehrte, kapitulieren, als
der Rottenfuehrer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten
durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich
durchschlug. So war das Heer und einigermassen selbst die Waffenehre
gerettet; allein die Folgen der versaeumten Besetzung der Paesse und des
uebereilten Rueckzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus musste auf
das rechte Ufer des Po sich zurueckziehen und die ganze Ebene zwischen
dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man die
Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im
Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und
den Roemern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Haetten die Kimbrer
ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr
bedraengte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten,
blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die
ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Baeder, die neuen
reichlichen Speisen und Getraenke sie einluden, es sich vorlaeufig wohl
sein zu lassen. Dadurch gewannen die Roemer Zeit, ihnen mit
vereinigten Kraeften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der
demokratische General sonst wohl getan haben wuerde, den unterbrochenen
Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen
haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde
das siegreiche Heer an den Po gefuehrt und nach kurzem Verweilen in
der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach voelliger
Ueberwindung der Barbaren zurueckwies, traf auch Marius selbst bei den
vereinigten Armeen ein. Im Fruehjahr 653 (101) ueberschritten sie, 50000
Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum
den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwaerts
marschiert zu sein scheinen, um den maechtigen Strom an seiner Quelle zu
ueberschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Muendung der Sesia in den
Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden
geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer
wuenschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemaess, zu den
Roemern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und
nannte den naechsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das
Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die ueberlegene roemische
Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den
Feind, erwartet und doch ueberraschend; denn in dem dichten Morgennebel
fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der staerkeren
roemischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurueckgeworfen auf
das Fussvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward
ein vollstaendiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Gluecklich
mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter
ihnen der tapfere Koenig Boiorix; gluecklicher mindestens als die,
die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf
dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen
Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schoenen Suedens begehrt zu
haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen
der Alpen zurueckgeblieben waren, um den Kimbrern spaeter zu folgen,
verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die
Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro,
von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der
Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen
Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk
der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.
------------------------------------------------- ^17 Man hat nicht wohl
getan, von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona
zu verlegen; wobei uebersehen ward, dass zwischen den Gefechten an der
Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache
Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdruecklicher Angabe
(Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurueckgewichen war. Auch
die Angaben, dass am Po (Hier. chron. a. Abr.) und dass da, wo Stilicho
spaeter die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer
geschlagen wurden, fuehren, obwohl beide ungenau, doch viel eher
nach Vercellae als nach Verona.
--------------------------------------------------- Ueber den Leichen
haderten die politischen Parteien Roms ihren kuemmerlichen Hader weiter,
ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekuemmern, davon
hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu
geben dem reinen Gefuehl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms
Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalitaet der beiden
Feldherren, die nicht bloss politische Gegner, sondern auch durch den
so verschiedenen Erfolg der beiden vorjaehrigen Feldzuege militaerisch
gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwaertigsten
Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen,
das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Leuten
einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien
- seine Soldaten fuehrten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch
die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen
habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der
eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss, weil er
kraft seines hoeheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl
gefuehrt hatte und an militaerischer Begabung und Erfahrung seinem
Kollegen ohne Zweifel weit ueberlegen war, sondern vor allem, weil der
zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur moeglich geworden war durch den
ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger
diese Erwaegungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom
errettet zu haben ganz und voll an Marius' Namen knuepften, als die
politischen Parteiruecksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter
Mann, ein so anmutiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast
wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und
Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter;
aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein
Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher
von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk
zum Siege gefuehrt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Niederlagen
der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es
knuepften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, dass man
wieder ungestoert jenseits der Alpen Geldgeschaefte machen oder
diesseits den Acker bauen koenne. Zwanzig Jahre waren verstrichen,
seit Gaius Gracchus' blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit
zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen
und verwuenscht; immer noch war dem Gracchus kein Raecher, seinem
angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es hassten und hofften
viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Buergern des
Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wuensche zu erfuellen
verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tageloehners von Arpinum?
Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefuerchteten und
vielersehnten zweiten Revolution? 6. Kapitel Revolutionsversuch des
Marius und Reformversuch des Drusus Gaius Marius ward, eines
armen Tageloehners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals
arpinatischen Dorfe Cereatae, das spaeter als Cereatae Marianae
Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen "Mariusheimat" (Casamare)
traegt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so duerftigen Verhaeltnissen,
dass sie ihm selbst zu den Gemeindeaemtern von Arpinum den Zugang
zu verschliessen schienen; er lernte frueh, was er spaeter noch als
Feldherr uebte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkaelte ertragen
und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte,
war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der
Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios
Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjaehrig, des strengen
Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und
seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares
Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und
kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der ruehmlich
betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den
damaligen Verhaeltnissen konnte zu den politischen Aemtern, die allein
zu hoeheren Militaerstellen fuehrten, auch der verdienteste Mann nicht
gelangen ohne Vermoegen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen
Offizier zuteil durch glueckliche Handelsspekulationen und durch die
Verbindung mit einem Maedchen aus dem altadligen Geschlecht der
Julier; so gelangte er unter grossen Anstrengungen und nach vielfachen
Misserfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Praetur, in welcher er als
Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militaerische Tuechtigkeit
aufs neue zu bewaehren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie
zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat uebernahm und als Prokonsul
(648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem
Unglueckstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen
berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101)
wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung
des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen
ueberwand und vernichtete, ist bereits erzaehlt worden. In seinem
Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen
Mann, der unparteiisch Recht sprach, ueber die Beute mit seltener
Ehrlichkeit und Uneigennuetzigkeit verfuegte und durchaus unbestechlich
war; als einen geschickten Organisator, der die einigermassen
eingerostete Maschine des roemischen Heerwesens wieder in brauchbaren
Stand gesetzt hatte; als einen faehigen Feldherrn, der den Soldaten
in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im
kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber
kuehn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine
militaerische Kapazitaet im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen
koennen, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die
er besass, genuegten unter den damals bestehenden Verhaeltnissen
vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen
gestuetzt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten
unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er passte darum nicht
besser in den glaenzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein
Blick wild, als saehe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht
wohlerzogene und parfuemierte Kollegen. Dass er aberglaeubisch war wie
ein echter Lanzknecht, dass er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat
sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunaechst durch die
Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen liess, und
bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha
mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich
unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen
Zeiten die hoechsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
loeblich, dass er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man
denken von einem der verfassungsmaessigen Etikette so unkundigen Konsul,
dass er im Triumphalkostuem im Senat erschien! Auch sonst hing die
Rotuere ihm an. Er war nicht bloss - nach aristokratischer Terminologie
- ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genuegsam und ein
abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart
war er nicht waehlerisch, aber becherte gern, besonders in spaeteren
Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten
Koch. Ebenso uebel war es, dass der Konsular nur Lateinisch verstand
und die griechische Konversation sich verbitten musste; dass er bei
den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war
vermutlich nicht der einzige -, aber dass er sich zu seiner Langenweile
bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die
Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen
Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie
diese selber zu verachten er denn doch nicht ueber sich vermochte. Nicht
viel weniger wie ausserhalb der Gesellschaft stand Marius ausserhalb
der Parteien. Die Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119)
durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtaefelchen
zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betruegereien und die
Verhinderung ausschweifender Antraege auf Spenden an das Volk, tragen
nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen,
sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhasst
waren; und wie haette auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt
und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionaer sein koennen? Die
Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar spaeter in das Lager
der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den
Schild gehoben zunaechst als Feldherr der Opposition und demnaechst
vielleicht bestimmt zu noch hoeheren Dingen. Allein es war dies
weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhaeltnisse und des
allgemeinen Beduerfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein
eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
(107/06) kaum voruebergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt.
Erst in der zweiten Haelfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie
ueber die Kimbrer so ueber die Teutonen, nach Rom zurueck, um den
verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann
in Rom und doch zugleich politischer Anfaenger. Es war unwidersprechlich
ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern dass er
der einzige Mann sei, der Rom habe retten koennen; sein Name war auf
allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem
Volk war er populaer wie keiner vor oder nach ihm, populaer durch
seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische
Uneigennuetzigkeit nicht minder wie durch seine baeurische Derbheit; er
hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den
Goettern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem
Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn
er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos
von Erdteil zu Erdteil verglich und sich fuer seinen Gebrauch einen
Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen
fertigen liess. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser
taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kaelterem
Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht haette.
Marius' Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer
als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem
ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition
kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und
Soldaten, das hauptstaedtische politische Treiben fremd und unbequem; er
sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und
Schwertern der Feinde gegenueber eine weit festere Haltung als gegen die
klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an.
Hoffnungen binden. Seine militaerische und politische Stellung war
von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht
brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht taeuschen,
seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der
Missverwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
Restaurationsregiment ein Ende machen musste, und wenn er nur die
inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besass, so konnte er dessen,
was zum Volksfuehrer ihm abging, allerdings entraten. Eine furchtbare
Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine
Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die
Aushebung lediglich auf die vermoegenden Buerger zu beschraenken und die
Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermoegensklassen zu
ordnen, wohl schon manches nachlassen muessen: es war das zum Eintritt
in das Buergerheer verpflichtende Minimalvermoegen von 11000 Assen (300
Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die
aelteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermoegensklassen
beschraenkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen
Ordnung die Reiter aus den vermoegendsten, die Leichtbewaffneten aus den
aermsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche
Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermoegen, sondern nach
dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier
ordnet. Man hatte ferner schon laengst die italischen Bundesgenossen
in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch
hier, ganz wie bei der roemischen Buergerschaft, die Militaerpflicht
vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger
ruhte das roemische Militaerwesen bis auf Marius im wesentlichen
auf jener uralten Buergerwehrordnung. Allein fuer die veraenderten
Verhaeltnisse passte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der
Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurueck,
teils schwand der roemische und italische Mittelstand ueberhaupt
zusammen; dagegen waren einesteils die betraechtlichen Streitmittel
der ausseritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfuegbar geworden,
andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein
militaerisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Buergerreiterei,
die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im
Felddienst schon vor Marius tatsaechlich eingegangen. Als wirklicher
Heerkoerper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614
(140), wo sie den Feldherrn durch ihren hoehnischen Hochmut und ihre
Unbotmaessigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von
den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit gefuehrter
Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch
als eine Art Nobelgarde fuer den Feldherrn und fremde Prinzen; von da
an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergaenzung der Legionen
mit gehoerig qualifizierten Pflichtigen schon im gewoehnlichen Lauf der
Dinge schwierig, so dass Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von
Arausio noetig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften
ueber die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausfuehrbar gewesen
sein wuerden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der
Kavallerie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Untertanen,
die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei,
das vortreffliche leichte Fussvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer
von den Balearen, in immer groesserer Anzahl auch ausserhalb ihrer
Provinzen bei den roemischen Heeren mitverwendet; und zugleich draengten
sich, waehrend an qualifizierten Buergerrekruten Mangel war, die
nichtqualifizierten aermeren Buerger ungerufen zum Eintritt in die
Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen
Buergergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der roemische
Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein
konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz
der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, dass man im
Militaerwesen ueberging von dem System des Buergeraufgebots zu dem
Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich
aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn fuer den
kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, fuer
die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht
aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Buerger den freiwilligen
Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat. Hierzu
kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls
auf Marius zurueckgeht. Die roemische Weise aristokratischer Gliederung
hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen
der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man
auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie
hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermoegens-
oder Dienstalter und grossenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes
seinen ein fuer allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes
seinen bestimmten militaerischen Rang und sein eigenes Feldzeichen
gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt ueber den Haufen. Wer
ueberhaupt als Legionaer zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren
Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; ueber die Einordnung
entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der
Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmaessig
geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen
Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepaecks und
aehnlichen Dingen von Marius herruehren und ein ruehmliches Zeugnis
ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
Kriegshandwerks und seiner Fuersorge fuer die Soldaten; vor allem aber
das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius
Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist
bezeichnend, dass dasselbe die militaerische Ausbildung des einzelnen
Mannes betraechtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die
in den damaligen Fechterschulen uebliche Ausbildung der kuenftigen
Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gaenzlich andere. An
die Stelle der 30 Faehnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes
zu zwei Zuegen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30
Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten,
traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu
sechs, oft auch nur zu fuenf Zuegen von je 100 Mann; so dass, obgleich
gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200
Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf
5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb
bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkoerper
gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn ueberlassen, die
Kohorten, ueber die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu
verteilen. Den militaerischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer
der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen
Legionsteile, der Wolf, der mannkoepfige Stier, das Ross, der Eber, die
bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren
Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafuer traten die
Faehnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der
gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der
Legion jede Spur der bisherigen buergerlichen und aristokratischen
Gliederung verschwand und unter den Legionaeren fortan nur noch rein
soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon
einige Jahrzehnte frueher aus zufaelligen Anlaessen eine bevorzugte
Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache
des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den
bundesgenoessischen Kontingenten die persoenliche Bedeckung des
Feldherrn gebildet; roemische Legionaere oder gar freiwillig sich
erbietende Mannschaften zum persoenlichen Dienst bei dem selben
zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen
Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos
demoralisiertes Heer grossgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der
berufen ward, dem wuesten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung
hatte durchsetzen koennen, voellig neue Truppen unter die Waffen
zu rufen, ward es ihm wenigstens gewaehrt, ausser einer Anzahl von
Mannschaften, die ihm die abhaengigen Koenige und Freistaedte des
Auslandes zur Verfuegung stellten, aus freiwilligen roemischen Buergern
eine persoenliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese
Kohorte, teils aus den besseren Staenden, teils aus der niederen
persoenlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die
der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt,
hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofuer sie vom Lager- und
Schanzdienst frei war, und genoss hoeheren Sold und groesseres Ansehen.
Diese vollstaendige Revolution der roemischen Heerverfassung scheint
allerdings wesentlich aus rein militaerischen Motiven hervorgegangen
und ueberhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines
berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstaende gebotene
Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es
ist wahrscheinlich, dass die Einfuehrung des inlaendischen Werbesystems
durch Marius ebenso den Staat militaerisch vom Untergang gerettet hat,
wie manches Jahrhundert spaeter Arbogast und Stilicho durch Einfuehrung
des auslaendischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich
eine vollstaendige politische Revolution. Die republikanische Verfassung
ruhte zumeist darauf, dass der Buerger zugleich Soldat, der Soldat vor
allem Buerger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich
bildete. Hierzu musste schon das neue Exerzierreglement fuehren mit
seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward
allmaehlich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch
beschraenkte Zuziehung des Proletariats zum Militaerdienst, besonders in
Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit
sehr soliden republikanischen Institutionen vertraegliches arbitraeres
Belohnungsrecht seiner Soldaten einraeumten und dem tuechtigen und
gluecklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil
der beweglichen Beute, vom Staat ein Stueck des gewonnenen Ackers zu
heischen. Wenn der ausgehobene Buerger und Bauer in dem Kriegsdienst
nichts sah als eine fuer das gemeine Beste zu uebernehmende Last und
im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt fuer den ihm aus dem
Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der
geworbene Proletarier nicht bloss fuer den Augenblick allein angewiesen
auf seinen Sold, sondern auch fuer die Zukunft musste er, den nach der
Entlassung kein Invaliden- , ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
wuenschen, zunaechst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders
zu verlassen als mit Begruendung seiner buergerlichen Existenz. Seine
einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg,
seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als
Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer
Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Buergerrecht
auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er
spaeter sich damit, dass er im Laerm der Schlacht die Stimme der Gesetze
nicht habe unterscheiden koennen. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das
Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren
sich begegneten, wer mochte dafuer stehen, dass alsdann nicht noch
andere Gesetze ueber dem Schwertergeklirr nicht wuerden vernommen
werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie
in der buergerlichen Verfassung, so standen auch in der militaerischen
bereits alle Pfeiler der kuenftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem
Monarchen. Wie die zwoelf Adler um den Palatinischen Huegel kreisten, da
riefen sie dem Koenigtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen
verlieh, verkuendete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel
unterworfen, dass Marius einging auf die glaenzenden Aussichten, die
seine militaerische und politische Stellung ihm eroeffnete. Es war eine
truebe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens
nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen
Anprall der Nordlaender auf Rom, wo nach ueberstandener Krise im
frischen Gefuehl der Genesung alle Kraefte sich neu geregt, wo sie in
ueppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten.
Alle Welt fuehlte, dass, mochten auch tuechtige Feldherren noch aber und
abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum
nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten
Oligarchie; aber alle Welt fuehlte auch, dass die Zeit nicht mehr war,
wo in solchen Faellen die Buergerschaft sich selber half, und dass
nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie
tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Juenglinge,
welche der Revolution das Tor geoeffnet hatten, zurueckgebliebene Luecke
empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes
griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl
die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des
Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke
fuer 655 (99) zum Tribun gewaehlt ward. In demselben Sinne jubelte die
Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner,
schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der
populaerste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und
selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum
Regenerator des Staats, empfohlen - wie haette nicht das Volk, wie
haette er selbst nicht sich dafuer halten sollen! Die oeffentliche
Meinung war so entschieden wie moeglich oppositionell; es ist
bezeichnend dafuer, dass die Besetzung der in den hoechsten geistlichen
Kollegien erledigten Stellen durch die Buergerschaft anstatt durch
die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch
Anregung der religioesen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht
hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging,
ohne dass der Senat es haette wagen koennen, sich auch nur ernstlich zu
widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der
Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und
dies war jetzt in Marius gefunden. Zur Durchfuehrung seiner Aufgabe bot
sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stuerzen
versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem fuer
konstitutionelle Aenderungen verfassungsmaessig bezeichneten Weg;
dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des
Gracchus. Es ist sehr begreiflich, dass er den ersteren Weg nicht
betrat, vielleicht nicht einmal die Moeglichkeit dachte, ihn zu
betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhasst
und verachtet, dass Marius gegen ihn kaum einer anderen Stuetze als
seiner ungeheuren Popularitaet zu beduerfen, noetigenfalls aber trotz
der Aufloesung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, dass Marius,
im Hinblick auf Gracchus' leichten und scheinbar fast vollstaendigen
Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit ueberlegenen
Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjaehrigen, mit dem
nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskoerper und der
mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen
Verfassung fuer weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer
tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
wahrscheinlich tat, mochte erwaegen, dass das Heer, obwohl im Uebergang
begriffen von der Buergerwehr zur Soeldnerschar, doch waehrend
dieses Uebergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines
Staatsstreiches sich schickte und dass ein Versuch, die
widerstrebenden Elemente durch militaerische Mittel zu beseitigen, die
Widerstandsfaehigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben wuerde.
Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, musste auf den
ersten Blick ueberfluessig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man
war eben am Anfang der Krise und die Gegensaetze von ihrem letzten,
kuerzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. Marius entliess
also der bestehenden Ordnung gemaess nach dem Triumph sein Heer und
schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der
Uebernahme der verfassungsmaessigen Staatsaemter die Oberhauptschaft
im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die
sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Fuehrern um so mehr seine
Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft
erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besass. So gelangte
die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit ploetzlich wieder
zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius
Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das
Missvergnuegen ueber das senatorische Regiment jetzt nicht geringer
als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten
Anhaenger zugefuehrt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden
und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, dass diese Gracchische
Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr grosser Teil der
Missvergnuegten keineswegs zu folgen willig war; wie denn ueberhaupt
in dem zwanzigjaehrigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und
vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben,
der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der
Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr
war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Fuehrer der
Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus
hoch ueber derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der
Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus
nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Fuehrer nur
Lueckenbuesser sein: entweder politische Anfaenger, die ihre jugendliche
Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerkoepfe und
beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit
ihren Rueckzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder
auch Leute, die an Vermoegen und Einfluss nichts zu verlieren, an
Ehre gewoehnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus
persoenlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Laermschlagen
sich ein Geschaeft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu
aergern. Der ersten Gattung gehoerten zum Beispiel an Gaius Memmius
und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der
Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnaechst als eifrige
Regierungsmaenner verwerteten. Die namhaftesten Fuehrer der
Popularpartei aber um diese Zeit waren Maenner der zweiten Gattung:
sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der roemische Hyperbolos
genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschaemtester
Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefuerchtet wegen seiner
drastischen Witze, als auch sein besserer und faehigerer Genosse Lucius
Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein
feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von
gemein eigennuetzigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quaestor die in
ueblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des
Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsfuehrung
als um das eben damals populaere Amt lieber einem der Haeupter der
Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner
der herrschenden Familien angehoerigen jungen Manne zuzuwenden. Diese
Kraenkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition
gedraengt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit
Zinsen. Ein aergerlicher Handel hatte damals den anderen gedraengt. Er
hatte die von den Gesandten des Koenigs Mithradates in Rom bewirkten
Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat
aufs hoechste kompromittierenden Enthuellungen haetten fast dem kuehnen
Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus
Metellus, als derselbe sich fuer 652 (102) um die Zensur bewarb, einen
Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die
Ritter ihn nicht ohne Blutvergiessen befreiten; des Zensors Metellus
Vergeltung, die schimpfliche Ausstossung des Saturninus wie des Glaucia
aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses,
war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen
Kollegen. Er hauptsaechlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und
dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei,
er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum
Konsul fuer 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der
energischste Feind des Senats und der taetigste und beredteste Fuehrer
der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttaetig
und ruecksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Strasse
hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knuetteln zu
widerlegen. Solcher Art waren die beiden Fuehrer der sogenannten
Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche
Sache machten. Es war natuerlich; die Interessen und die Zwecke gingen
zusammen, und auch schon bei Marius' frueheren Bewerbungen hatte
wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste fuer ihn
Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, dass fuer 654 (100) Marius
um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia
um die Praetur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Aemter die
beabsichtigte Staatsumwaelzung durchzufuehren. Der Senat liess die
Ernennung des minder gefaehrlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er
konnte, um Marius' und Saturninus' Wahl zu hindern oder doch wenigstens
jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im
Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel,
erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem
Senat nicht, die gefaehrliche Verschwoerung im Keim zu ersticken.
Marius selbst verschmaehte es nicht, Stimmenbettel, es heisst sogar
auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun
Maenner von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch
die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus
Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wuesten Haufen, der
vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll,
angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich
auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewaehlt als Konsul,
Glaucia als Praetor, Saturninus als Volkstribun fuer 654 (109): nicht
Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius
Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbuendeten Maenner
konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Plaene ins Werk zu
setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir
uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt
hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach aussen zu brechen,
also teils die vom Senat voellig abhaengig gewordene Beamtengewalt
in ihre urspruenglichen souveraenen Rechte wiedereinzusetzen und die
Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behoerde
umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die
drei Klassen der herrschenden Buerger-, der italischen Bundesgenossen-
und der Untertanenschaft durch allmaehliche Ausgleichung dieser mit
einem nichtoligarchischen Regiment unvertraeglichen Gegensaetze ein Ende
zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbuendeten Maenner wieder
auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon
frueher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte
^1. Schon in jenem Jahre war zunaechst zu Gunsten der Marianischen
Soldaten, der Buerger nicht bloss, sondern, wie es scheint, auch
der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des
karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen
ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fuenffachen Mass eines
gewoehnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert
worden. Jetzt ward fuer die roemisch-italische Emigration nicht
bloss das bereits zur Verfuegung stehende Provinzialland in weitester
Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen
Fiktion, dass den Roemern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte
von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land
der noch unabhaengigen Keltenstaemme jenseits der Alpen. Zur Leitung
der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa noetig erscheinenden
weiteren Massregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber
von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden
Tempelschaetze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen
Landempfaenger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloss die
Eroberungsplaene jenseits der Alpen und die transalpinischen und
ueberseeischen Kolonisationsentwuerfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus
sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern
indem es die Italiker neben den Roemern zur Emigration zuliess und
doch ohne Zweifel die saemtlichen neuen Gemeinden als Buergerkolonien
einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer
durchzubringenden und doch unmoeglich auf die Laenge abzuweisenden
Ansprueche der Italiker auf Gleichstellung mit den Roemern zu
befriedigen. Zunaechst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und
Marius zur selbstaendigen Ausfuehrung dieser ungeheuren Eroberungs-
und Aufteilungsplaene berufen ward, tatsaechlich derselbe bis zur
Realisierung jener Plaene oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und
Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom;
wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat
alljaehrlich sich erneuern zu lassen gedachte. ueberhaupt ist bei der
sonstigen Uebereinstimmung der fuer den juengeren Gracchus und fuer
Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stuecken
oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden
Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, dass jener eine rein
buergerliche, dieser daneben eine militaerische Stellung einnehmen
sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus
den persoenlichen Verhaeltnissen hervorging, unter denen die
beiden Maenner an die Spitze des Staates getreten waren.
----------------------------------------------- ^1 Es ist nicht
moeglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten
Tribunat des Saturninus angehoert; um so weniger, als derselbe in beiden
offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische
Ackergesetz setzt die Schrift 'De viris illustribus' (73, 1) mit
Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz
vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite
Ackergesetz gehoert unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestaets-
und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651
(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
---------------------------------------------- Wenn also das Ziel
beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt
hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den
voraussichtlich hartnaeckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen
gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem
Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versaeumten zwar
nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern liess man nicht
bloss die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich
gesteigert teils durch eine verschaerfte Ordnung fuer die den Kaufleuten
vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der
Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem
Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus'
Antrag niedergesetzte Spezialgericht ueber die waehrend der kimbrischen
Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen
Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstaedtischen Proletariats ferner ward
der bisher bei den Getreideverteilungen fuer den roemischen Scheffel zu
entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine blosse
Rekognitionsgebuehr von 5/6 As. Indes obwohl man das Buendnis mit den
Rittern und dem hauptstaedtischen Proletariat nicht verschmaehte, so
ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbuendeten wesentlich
nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen
Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so
ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der
vorwiegend militaerische Charakter hervor, der hauptsaechlich diesen
Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. Man ging
also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stiessen bei der
Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies
im Senat mit schlagenden Zahlen, dass jenes die oeffentlichen Kassen
bankrott machen muesse; Saturninus kuemmerte sich nicht darum. Man
erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus
liess weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an,
dass ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach
altem Glauben die Goetter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen;
Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich
ruhig zu verhalten, sonst koenne gar leicht nach dem Donner der
Hagel folgen. Endlich trieb der staedtische Quaestor Quintus Caepio,
vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und
gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem
Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander.
Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser
Abstimmung nach Rom gestroemt waren, sprengten, rasch zusammengerafft,
wieder die staedtischen Haufen, und so gelang es, auf dem
wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung ueber die Appuleischen Gesetze
zu Ende zu fuehren. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam,
ob der Senat der Klausel des Gesetzes genuegen werde, dass binnen
fuenf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner
Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid
abzulegen habe, leisteten diesen Eid die saemtlichen Senatoren mit
einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu
verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn
und den tuechtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung
aus dem Staate scheiden. ---------------------------------------- 2
Dahin fuehren alle Spuren. Der aeltere Quintus Caepio war 648 (106)
Konsul, der juengere 651 (103) oder 654 (100) Quaestor, also jener um
oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; dass
jener starb, ohne Soehne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht
nicht, denn der juengere Caepio fiel 664 (90) und der aeltere, der im
Exil zu Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn ueberlebt haben.
----------------------------------------- Man schien am Ziel; dem
schaerfer Sehenden musste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert
erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der
ungeschickten Allianz eines politisch unfaehigen Feldherrn und eines
faehigen, aber ruecksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als
von staatsmaennischen Zwecken erfuellten Demagogen von der Gasse. Man
hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Plaene
handelte; als es dann aber zur Ausfuehrung kam, zeigte es sich sehr
bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine
Inkapazitaet; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an
Titeln erreichen und womoeglich ueberbieten moechte, nicht aber der des
Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fuehlt;
dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persoenlichkeit
gebaut war, auch unter den sonst guenstigsten Verhaeltnissen notwendig
an ihm selber scheitern musste. Er wusste weder seine Gegner zu gewinnen
noch seine Partei zu baendigen. Die Opposition gegen ihn und seine
Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss die
Regierungspartei in Masse gehoerte dazu, sondern auch der grosse
Teil der Buergerschaft, der mit eifersuechtigen Blicken den Italikern
gegenueber ueber seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber,
den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begueterte Klasse zu der
Regierung hinuebergedraengt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus
Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fusse
mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des
Poebels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Strassenauflaeufe
und arge Gewalttaetigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus'
erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich
herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun
fuer 654 (100) stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm guenstige
Partei war. Es waere Marius' Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe
dieser Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und maenniglich zu
ueberzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm,
dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die
Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen
intelligenten und kraeftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans
Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenueber
die Maenner der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken ueber das
wueste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Waehrend Gaius Gracchus,
wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung
gestuerzt werden kann, vor allen Dingen bemueht gewesen war, die
besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine
Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versoehnen.
Aber noch rascher als die Versoehnung der Feinde fuehrte den Ruin
des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern
Marius' mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief.
Waehrend die entscheidenden Antraege von seinen Genossen gestellt, von
seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollstaendig
leidend, gleich als ob der politische Fuehrer nicht ebenso wie der
militaerische, wenn es zum Hauptangriff geht, ueberall und vor allen
einstehen muesste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor
den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als
seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen
konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen
liess, versuchte er in der ueblichen Weise politisch-moralischer
Konfusionaere sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen
und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt
ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei verschiedenen Zimmern
seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem
anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen
gepflogen habe, dort ueber das Losschlagen gegen dem Senat, hier ueber
das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter einem Vorwand, wie
er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen
ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden
und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes.
Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage,
wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze
geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler
halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt
schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbestaendig seien; ein
Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natuerlich saemtliche
Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese
Weise der Beeidigung die Gueltigkeit der Gesetze nicht gesichert,
sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward. Die Folgen
dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn
entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen
die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft
verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn
Glaucia, der spasshafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten
Blumen seiner lustigen Beredsamkeit ueberschuettet hatte, so dufteten
die Kraenze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen.
Es kam zum vollstaendigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn
weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage
gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung
sich zu bemaechtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das
fuer Marius begonnene Geschaeft auf eigene Rechnung fortzufuehren.
Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, dass sie nicht
zurueckkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Aemter in gewoehnlicher
Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit
gebundenen Haenden zu ueberliefern oder nun selber nach dem Szepter zu
greifen, dessen Gewicht sie freilich fuehlten nicht tragen zu koennen.
Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte fuer 655 (99)
abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl
Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfaehig zum Konsulat, um dieses
sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus
in ihrem Sinne entschieden und Marius' Versuch, den falschen Tiberius
Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu,
dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularitaet jetzt noch wert
war; die Menge sprengte die Tuer des Gefaengnisses, in dem Gracchus
eingesperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und waehlte
ihn mit grosser Majoritaet zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl
suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel
zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der
Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf
Jahre zuvor gegen sie die Opposition gefuehrt hatte, wurde von einem
Haufen Gesindel ueberfallen und mit Knuetteln erschlagen. Aber die
Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet,
um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf,
einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert,
das er von der Demokratie erhalten und fuer sie zu fuehren versprochen
hatte, nun fuer die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft
ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den oeffentlichen Gebaeuden
ausgeruestet und militaerisch geordnet; der Senat selbst erschien
bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus
Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Strassenlaerm ueberlegen, aber auf
einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie musste nun sich wehren, wie
es ging. Man erbrach die Tore der Gefaengnisse und rief die Sklaven zur
Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heisst es wenigstens -
den Saturninus zum Koenig oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen
Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam
es auf dem Grossen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand,
innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang
war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und
hinaufgedraengt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt
und sie dadurch noetigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl
fuehrte, haette gern seinen ehemaligen Verbuendeten und jetzigen
Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, dass
alles, was er beantragt, im Einverstaendnis mit dem Konsul geschehen
sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, musste grauen vor
der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war laengst
nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend
das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorlaeufig die Gefangenen
eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben.
So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia
ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getoetet. Ohne Urteil
und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des roemischen Volkes.
ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer
bekannter und zum Teil guten Familien angehoeriger Maenner. Trotz der
schweren und blutigen Verschuldungen, die die Haeupter auf sich geladen
hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten,
die das Hauptheer im Stich laesst und sie noetigt, im verzweifelten
Kampf zwecklos unterzugehen. Nie hatte die Regierungspartei einen
vollstaendigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine haertere
Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste,
dass man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag
durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer
fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals imstande war,
der Regierung gefaehrlich zu werden, sich selber oeffentlich und
vollstaendig vernichtet hatte; am schwersten, dass die beiden
oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat,
gaenzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der
Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhaeltnisse, teils und
vor allem die grobe Bauernfaust seines unfaehigen Nachtreters hatten
wieder aufgeloest, was unter Gaius Gracchus' gewandter Hand sich
zusammenfuegte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung
oder Glueck der Regierung zum Siege verhalf. Eine klaeglichere Stellung
ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach
jener Katastrophe einnahm - nur um so klaeglicher, weil man nicht anders
konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor
denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer
Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung
der Aemter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich
656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er
sagte, um ein Geluebde dort zu loesen, in der Tat, um nicht von der
triumphierenden Rueckkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge
zu sein; man liess ihn gehen. Er kam wieder zurueck und oeffnete sein
Haus; seine Saele standen leer. Immer hoffte er, dass es wieder Kaempfe
und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals beduerfen
werde; er dachte sich im Osten, wo die Roemer allerdings Ursache genug
gehabt haetten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege
zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner
Wuensche; es blieb tiefer Friede. Und dabei frass der einmal in ihm
aufgestachelte Hunger nach Ehren, je oefter er getaeuscht ward, immer
tiefer sich ein in sein Gemuet; aberglaeubisch wie er war, naehrte er in
seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheissen
hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen moege, dass dies
Wort seine Erfuellung und er seine Rache bekomme, waehrend er allen, nur
sich selbst nicht, unbedeutend und unschaedlich erschien. Folgenreicher
noch als die Beseitigung des gefaehrlichen Mannes war die tiefe
Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung
des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurueckliess.
Mit der ruecksichtslosesten Haerte verurteilten die Rittergerichte
jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward
Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen
verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so
Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen
Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar fuer aeltere,
von den Popularen der Aristokratien zugefuegte Unbill wurde nun nicht
ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert.
Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den
Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659
95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und
lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig
oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind,
Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch
zuletzt fuer Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung
an sich nicht geneigter als frueher, so erschien doch nun, seit
man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen
Poebelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte,
das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend
und staatsverderberisch, aber die kuemmerliche Furcht vor dem noch
elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte
ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Stroemung, dass
die Menge einen Volkstribun zerriss, der es gewagt hatte, die Rueckkehr
des Quintus Metellus zu verzoegern, und dass die Demokraten anfingen,
ihr Heil zu suchen in dem Buendnis mit Moerdern und Giftmischern, wie
sie zum Beispiel des verhassten Metellus durch Gift sich entledigten,
oder gar in dem Buendnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von
ihnen schon fluechteten an den Hof des Koenigs Mithradates, der im
stillen zum Krieg ruestete gegen Rom. Auch die aeusseren Verhaeltnisse
gestalteten fuer die Regierung sich guenstig. Die roemischen Waffen
waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur
wenig, ueberall aber mit Ehren taetig. Ernstlich gestritten wurde nur
in Spanien, wo waehrend der letzten fuer Rom so schweren Jahre
die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter
Heftigkeit gegen die Roemer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem
Jahre 656- 661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der noerdlichen und
der Konsul Publius Crassus in der suedlichen Provinz mit Tapferkeit und
Glueck nicht bloss das Obergewicht der roemischen Waffen wieder her,
sondern schleiften auch die wiederspenstigen Staedte und versetzten, wo
es noetig schien, die Bevoelkerung der festen Bergstaedte in die Ebenen.
Dass um dieselbe Zeit die roemische Regierung auch wieder des
ein Menschenalter hindurch vernachlaessigten Ostens gedachte und
energischer, als seit langem erhoert war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien
auftrat, wird spaeter darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begruendet,
so populaer gewesen. Konsularische Gesetze loesten die tribunizischen,
Freiheitsbeschraenkungen die Fortschrittsmassregeln ab. Die Kassierung
der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die ueberseeischen
Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen
Ansiedelung auf der wuesten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus
Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel staerker
war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin
bestand, nachts auf den Strassen die Goetterbilder zu zerschlagen, das
Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte,
konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religioesen Vorwand
kassieren, ohne dass jemand dafuer einzustehen auch nur versucht haette;
den Urheber straften, wie schon erwaehnt ward, die Ritter in ihren
Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln
eingebrachtes Gesetz die uebliche vierundzwanzigtaegige Frist zwischen
Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot,
mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen;
wodurch die unvernuenftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative
wenigstens etwas beschraenkt und offenbare Ueberrumpelungen der
Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte
es sich, dass die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers
ueberdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie
nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese
Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die
Zwiespaeltigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu muessen.
Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene
Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich
auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den
Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen. Es kam alles
an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der
Provinzen, die hauptsaechliche Grundlage des senatorischen Regiments,
war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen
Erpressungen, in dem Masse abhaengig geworden, dass der Statthalter die
Provinz nicht mehr fuer den Senat, sondern fuer den Kapitalisten-
und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die
Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Massregeln gegen
die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden
Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in
den Provinzen zu beschraenken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt
gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fuehlen und
eben ihre besten Maenner hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen
Misswirtschaft in den Provinzen wenigstens fuer ihre Person
entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola,
gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul,
der erste Jurist und einer der vorzueglichsten Maenner seiner Zeit.
Als praetorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und
gemisshandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft
mit seinem aelteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber
ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein
ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen
Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm
er jede Klage an und zwang nicht bloss die roemischen Kaufleute und
Staatspaechter wegen erwiesener Schaedigungen, vollen Geldersatz zu
leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und ruecksichtslosesten
Agenten todeswuerdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, liess er
diese, taub gegen alle Bestechungsantraege, ans Kreuz schlagen wie
Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem
den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, dass sie sich die
Verwaltungsgrundsaetze Scaevolas zum Muster nehmen moechten; allein
die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermoegenden
Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefaehrten vor Gericht,
zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen
Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte
Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die
Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden
kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen
Laecherlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklaegers, eines
gewissen Apicius; allein man liess dennoch die willkommene Gelegenheit,
den Konsular zu demuetigen, nicht voruebergehen, und da dieser, die
falsche Beredsamkeit, die Trauergewaender, die Traenen verschmaehend,
sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveraenen
Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der
Tat verurteilt und sein maessiges Vermoegen zur Befriedigung erdichteter
Entschaedigungsansprueche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die
angeblich von ihm ausgepluenderte Provinz und verlebte daselbst, von
saemtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit
seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Musse die ihm noch
uebrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der aergste,
aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als
solcher Missbrauch der Justiz gegen Maenner fleckenlosen Wandels, aber
neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, dass der reinste Adel
nicht mehr genuegte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken.
Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten,
seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjaehrige
Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach
aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig
war. Das Anklaegeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmaessig
betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter
schuetzte mehr vor den frevelhaftesten und gefaehrlichsten Angriffen.
Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen
ihre schlimmste Geissel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er
nur seine Mitthebe gewaehren liess und sich nicht weigerte, einen Teil
der erpressten Summen den Geschworenen zufliessen zu lassen; aber
jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht
und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung.
Die roemische Regierung schien in dieselbe Abhaengigkeit von dem
kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst
das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In
furchtbarer Weise erfuellte sich Gaius Gracchus' ahnungsvolles Wort,
dass mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt
sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte war
unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafuer hatte,
dass das Regieren nicht bloss Rechte, sondern auch Pflichten in sich
schliesst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich
empfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrueckende und entehrende
politische Kontrolle, die jede Moeglichkeit, rechtschaffen zu verwalten,
von vornherein abschnitt. Die skandaloese Verurteilung des Rutilius
Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und
Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete
dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen
Mannes, der dreissig Jahre zuvor zunaechst den Gaius Gracchus gestuerzt
und spaeter auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker
sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng
konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem
Aufstand des Saturninus tatsaechlich bewaehrt. Er gehoerte den Kreisen
des hoechsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermoegens;
auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch
stolzer Mann, der es verschmaehte, mit den Ehrenzeichen seiner Aemter
sich zu behaengen, aber auf dem Totenbette es aussprach, dass nicht bald
ein Buerger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das
schoene Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens
ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemuetes
hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen
Poebels; zuverlaessig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten,
denen seine Tuer und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als
eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persoenliche Wuerde
seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand
er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner
Verteidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Drusus oeffentlich
aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er
sowie der beruehmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten
Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Antraege. Indes die Masse
der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus
und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhaengern der
Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der
derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie frueher die Sache
der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit
verfocht, und der verwegene und ruecksichtslose Quintus Caepio, den
zunaechst die persoenliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus
zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefaehrlicher als diese
entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die
zwar die Provinzen lieber allein gepluendert haette, aber am Ende auch
nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und,
statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die uebermuetigen
Kapitalisten zu uebernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich
von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fussfall oder
auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte
zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureissen, ohne
die es nun einmal nicht moeglich war, zum Ziele zu gelangen.
Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Buergern vom
Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurueckzugeben, welcher
zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand
gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genuegen;
zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich
schuldig gemacht haetten oder schuldig machen wuerden, sollte eine
eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der naechste
Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu
berauben und sie fuer die veruebte Unbill zur Verantwortung zu ziehen.
Indes Drusus' Antraege und Absichten beschraenkten sich hierauf
keineswegs; seine Vorschlaege waren keine Gelegenheitsmassregeln,
sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte
ferner, die Getreideverteilung zu erhoehen und die Mehrkosten zu
decken durch die dauernde Emission einer verhaeltnismaessigen Zahl von
kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte
noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die
Kampanische Domaene, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
Buergerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das
roemische Buergerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier
von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstuetzen und
ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus' Verfassung
beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches
Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, dass, wie die Tyrannis gegen
die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stuetzte auf
das besoldete und gewissermassen organisierte Proletariat; hatte die
Regierung frueher die Ernaehrung des Proletariats auf Staatskosten als
ein unvermeidliches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt
dasselbe, wenigstens fuer den Augenblick, gegen die Geldaristokratie
zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, dass der bessere Teil der
Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus,
so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmassregeln, die,
ohne die Oberhauptsfrage zu beruehren, nur darauf abzweckten, die
alten Schaeden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und
Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die
Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf
dem freien Schalten ueber die Provinzen und durch jedes dauernde
militaerische Kommando gefaehrdet ward; die Gedanken, Italien und die
Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen
mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und
selbst die kampanischen Domaenen so wie Sizilien konnte der Senat recht
wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch
die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, dass man
kuenftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch,
dass alles irgend verfuegbare Land von der Aristokratie selbst zur
Aufteilung gebracht ward und fuer kuenftige Demagogen, nach Drusus'
eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen uebrig blieb als der Gassenkot
und das Morgenrot. Ebenso war es fuer die Regierung, mochte dies nun
ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender
Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum roemischen
Buergerverband gehoerte; und daher mussten wohl beiderseits
die reformierenden Maenner sich in dem Gedanken begegnen, durch
zweckmaessige und rechtzeitige Erstreckung des Buergerrechts die Gefahr
abzuwenden, dass die Insurrektion von Fregellae in groesserem Massstab
wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflussreichen Italikern
sich Bundesgenossen fuer ihre Plaene suchen. So scharf in der
Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden grossen
politischen Parteien sich schieden, so vielfach beruehrten sich in
den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten
Maenner aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den
Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Foerderern seiner
Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der
Nachfolger und Schueler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die
beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren
sich aehnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch
persoenlich beide nicht unwert, ueber dem trueben Nebel des befangenen
Parteitreibens in reineren und hoeheren Anschauungen sich mit dem Kern
ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen. Es handelte sich um die
Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen uebrigens
der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag,
den italischen Bundesgenossen das roemische Buergerrecht zu verleihen,
vorlaeufig zurueckhielt und zunaechst nur das Geschworenen-, Acker-
und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs
heftigste und wuerde bei der Unentschlossenheit des groessten Teils
der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die
Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein
zur Abstimmung gekommen waere. Drusus fasste deshalb seine saemtlichen
Antraege in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den
Getreide- und Landverteilungen interessierten Buerger genoetigt wurden,
auch fuer das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und
durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz
bedrohten grossen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und
etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen -
freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhoerte
zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Buettel in den Kerker
abfuehren lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltaeter und
empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die
Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen
anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit
Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig
bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte
den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu
kassieren; allein die Majoritaet des Senats, erfreut, die Rittergerichte
los zu sein, wies den Antrag zurueck. Der Konsul erklaerte darauf auf
offenem Markte, dass mit einem solchen Senat zu regieren nicht moeglich
sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien
einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen
berufen, sprach nach stuermischen Verhandlungen gegen den Konsul ein
Tadels- und Misstrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in
einem grossen Teil der Majoritaet die Angst vor der Revolution zu regen,
mit der sowohl Philippus als ein grosser Teil der Kapitalisten zu
drohen schien. Andere Umstaende kamen hinzu. Einer der taetigsten
und angesehensten unter Drusus' Gesinnungsgenossen, der Redner
Lucius Crassus, starb ploetzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung
(September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknuepften
Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt
hatte, wurden allmaehlich ruchbar, und in das wuetende Geschrei ueber
Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die
meisten Maenner der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmuetige
Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest
auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Moerdern sich
zu hueten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie
zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gaerenden Verschwoerungen
verwickelt war. Immer heftiger draengte Philippus auf Kassation des
Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majoritaet in der Verteidigung
desselben. Bald erschien die Rueckkehr zu den frueheren Verhaeltnissen
der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der
einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluss wegen formeller Maengel
erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnuegte
sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten
Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den
Kassationsbeschluss durch Interzession ungueltig zu machen. Der Angriff
des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollstaendig abgeschlagen,
und willig oder unwillig fuegte man sich abermals in das bisherige Joch.
Aber die hohe Finanz begnuegte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus
eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewoehnlich ihn begleitende
Menge eben verabschieden wollte, stuerzte er ploetzlich vor dem Bilde
seines Vaters zusammen; eine Moerderhand hatte ihn getroffen und so
sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Taeter war
in der Abenddaemmerung verschwunden, ohne dass jemand ihn erkannt hatte,
und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die
Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und
grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte,
war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine
tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwaeche
der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu
reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein
Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stuerzen,
die Emigration zu organisieren, den drohenden Buergerkrieg abzuwenden;
er sah noch selbst die Kaufleute unumschraenkter regieren als je, sah
alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewusstsein, dass
seid jaeher Tod das Signal zu dem fuerchterlichsten Buergerkrieg sein
werde, der je das schoene italische Land verheert hat. 7. Kapitel Die
Empoerung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
Seitdem mit Pyrrhos' Ueberwindung der letzte Krieg, den die Italiker
fuer ihre Unabhaengigkeit gefuehrt hatten, zu Ende gegangen war, das
heisst seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das roemische Prinzipat
in Italien bestanden, ohne dass es selbst unter den gefaehrlichsten
Verhaeltnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt haette.
Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die
Nachfolger des grossen Alexander und der Achaemeniden versucht, die
italische Nation zum Kampf aufzuruetteln gegen die uebermaechtige
Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am
Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepass und am Sipylos
erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die
Untertaenigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung
indessen hatte sich wohl veraendert, aber eher verschlechtert als
verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen
nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer
durch ganz Italien infolge der unverstaendigen roemischen
Korngesetzgebung litt, so gediehen dafuer die groesseren Gutsherren
und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker
hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen
denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die roemischen
Buerger und also die materiellen Vorteile des politischen Uebergewichts
der Roemer grossenteils auch ihnen zugute kamen. Ueberhaupt waren
die wirtschaftlichen und sozialen Zustaende Italiens nicht zunaechst
abhaengig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
bundesgenoessische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der
freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentaeler, in
denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberuehrt sich
erhalten hatte - aehnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den
verschiedenen roemischen Buergerdistrikten nachweisen laesst. Dagegen
die politische Zuruecksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl
fand ein foermlicher unverhuellter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen
nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der
Souveraenitaet den italischen Gemeinden vertragsmaessig zustand, wurde
von der roemischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die
roemische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den
besser gestellten Gemeinden verbrieften roemischen Domaenen machte,
hatte nicht bloss die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom
ernstlich bekaempft, sondern auch die roemische Opposition selbst
sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der fuehrenden
Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des
Kriegswesens und die Oberaufsicht ueber die gesamte Verwaltung, wurden
in einer Weise ausgeuebt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die
Bundesgenossen geradezu fuer rechtlose Untertanen erklaert haette. Die
zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen roemischen Kriegsrechts,
welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingefuehrt wurden,
scheinen saemtlich auf die roemischen Buergersoldaten beschraenkt
geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der
standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiss und der Eindruck leicht
zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene
latinische Offiziere nach Urteil des roemischen Kriegsrats enthauptet
wurden, dem letzten Buergersoldaten aber im gleichen Fall das Recht
zustand, an die buergerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In
welchem Verhaeltnis die Buerger und die italischen Bundesgenossen zum
Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmaessig wie
billig unbestimmt geblieben; allein waehrend in frueherer Zeit beide
durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden
jetzt, obwohl das Bevoelkerungsverhaeltnis wahrscheinlich eher zu
Gunsten als zum Nachteil der Buergerschaft sich veraendert hatte, die
Forderungen an die Bundesgenossen allmaehlich unverhaeltnismaessig
gesteigert, so dass man ihnen teils den schwereren und kostbareren
Dienst vorzugsweise aufbuerdete, teils jetzt regelmaessig auf einen
Buerger zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militaerische
Oberleitung wurde die buergerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss
der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die
roemische Regierung stets und mit Recht ueber die abhaengigen italischen
Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, dass die
Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkuer eines
jeden der zahllosen roemischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen.
In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstaedte, hatte ein
Konsul den Buergermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit
Ruten staeupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Maennerbad zu
baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden
ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war.
Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt
besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie
Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier
Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen roemischen
Diplomaten wegen eines Spasses, den er sich ueber dessen Saenfte erlaubt
hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Saenfte
zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfaelle wird um die Zeit des
fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen
Zweifel, dass aehnliche Unrechtfertigkeiten haeufig vorkamen und
ebensowenig, dass eine ernstliche Genugtuung fuer solche Missetaten
nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte
Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des roemischen Buergers
einigermassen schuetzte. Es konnte nicht fehlen, dass infolge dieser
Behandlung der Italiker seitens der roemischen Regierung die Spannung,
welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den
sonstigen italischen Gemeinden sorgfaeltig unterhalten hatte, wenn nicht
verschwand, so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die
Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem
gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, dass sie
beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Voegte und
die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Hass gegen
den gemeinsamen Zwingherrn. Wenn also der gegenwaertige Zustand der
italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhaengigkeitsverhaeltnis
umgeschlagen war in die drueckendste Knechtschaft, so war zugleich
denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden.
Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die roemische Buergerschaft
sich abgeschlossen und die Erteilung des Buergerrechts an ganze
Gemeinden vollstaendig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr
beschraenkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit
der die Erstreckung des roemischen Buergerrechts auf ganz Italien
bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das
Uebersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die saemtlichen in Rom
sich aufhaltenden Nichtbuerger durch Volks- und Senatbeschluss aus der
Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalitaet gehaessige
wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefaehrliche
Massregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Roemern
frueher gestanden hatten teils als bevormundete Brueder, mehr beschuetzt
als beherrscht und nicht zu ewiger Unmuendigkeit bestimmt, teils als
leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht voellig
beraubte Knechte, so standen sie jetzt saemtlich ungefaehr in gleicher
Untertaenigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und
Beilen ihrer Zwingherren und durften hoechstens als bevorrechtete
Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fusstritte
an die armen Provinzialen weiterzugeben. Es liegt in der Natur solcher
Zerwuerfnisse, dass sie anfangs, zurueckgehalten durch das Gefuehl der
nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich ueberdauerter
Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmaehlich der
Riss sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich
ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht
als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhaeltnis sich offenbart. Bis
zu der Empoerung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die
gleichsam offiziell den veraenderten Charakter der roemischen Herrschaft
konstatierte, trug die Gaerung unter den Italikern nicht eigentlich
einen revolutionaeren Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung
hatte allmaehlich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte,
nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu
werden. Sehr bald konnte man erkennen, dass eine gutwillige Gewaehrung
nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird
nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung liess den
Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das
Zahlenverhaeltnis der Buerger und Nichtbuerger in Italien sich nicht
gehoerig ermitteln laesst, so kann es doch als ausgemacht gelten, dass
die Zahl der Buerger nicht sehr viel geringer war als die der italischen
Bundesgenossen und auf ungefaehr 400000 waffenfaehige Buerger mindestens
500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei
einem solchen Verhaeltnis die Buergerschaft einig und kein nennenswerter
aeusserer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner
Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache
oeffentliche und Privatverhaeltnisse mit Rom verknuepfte italische
Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr
gelangen und mit maessiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die
schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte
Masse der Buergerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel,
die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere
zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die
Revolution Rom zu erschuettern begann; sowie aber diese ausgebrochen
war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der roemischen
Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung
zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit
der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig
erreicht. Sie hatten sich ueberzeugen muessen, dass zwar die besten
Maenner beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer
Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Maenner, Aristokraten
wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen
Forderungen Gehoer zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die
begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmaenner Roms in demselben
Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von
ihren eigenen Anhaengern verlassen gefunden hatten und deshalb gestuerzt
worden waren. In all den Wechselfaellen der dreissigjaehrigen Revolution
und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden,
aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
Engherzigkeit sass ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgaenge
hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die
Beruecksichtigung ihrer Ansprueche von Rom erwarteten. Solange sich die
Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten
und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte
man sich noch dem Glauben ueberlassen, als sei die Oligarchie nur den
Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
sei noch eine Moeglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Staat
die mit dem Wesen der Oligarchie vertraegliche und dem Senat heilsame
Massregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in
denen der Senat wieder fast unumschraenkt regierte, hatten ueber die
Absichten auch der roemischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit
verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein
konsularisches Gesetz, das den Nichtbuergern aufs strengste untersagte,
des Buergerrechts sich anzumassen, und die Kontravenienten mit
Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine grosse Anzahl
der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten
interessierten Personen aus den Reihen der Roemer in die der Italiker
zurueckwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und
staatsmaennischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit
jener beruehmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas
vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die naechste Ursache des
Buergerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, dass die Urheber dieses
Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
gehoerten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein
verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum
Rechtsgelehrten und vom Verhaengnis zum Staatsmann bestimmte Quintus
Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schaedliche
Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den
zwischen Roemern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzuendet
hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des
Drusus und ueberhaupt einer der gemaessigtsten und einsichtigsten
Optimaten. Inmitten der heftigen Gaerung, die dies Gesetz und die daraus
entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus
Drusus. Was fast unmoeglich geduenkt hatte, dass ein Konservativer
die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die
Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch
eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen,
zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen
hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer,
all seine zuverlaessige Hingebung an diese hochherzigen Reformplaene
zu setzen. Ober wirklich, wie erzaehlt wird, sich an die Spitze eines
Geheimbundes gestellt hat, dessen Faeden durch ganz Italien liefen und
dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen fuer
Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn
er auch nicht zu so gefaehrlichen und in der Tat fuer einen roemischen
Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es
doch sicher nicht bei allgemeinen Verheissungen geblieben und sind,
wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen
hin bedenkliche Verbindungen geknuepft worden. Jubelnd vernahm man in
Italien, dass Drusus unter Zustimmung der grossen Mehrheit des Senats
seine ersten Antraege durchgesetzt habe; mit noch groesserem Jubel
feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des
ploetzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus' weitere Absichten
sich enthuellten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das
Hauptgesetz einzubringen; er musste verschieben, musste zoegern,
musste bald zurueckweichen. Man vernahm, dass die Majoritaet des Senats
unsicher werde und von ihrem Fuehrer abzufallen drohe; in rascher Folge
lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte
Gesetz kassiert sei, dass die Kapitalisten unumschraenkter schalteten
als je, dass der Tribun von Moerderhand getroffen, dass er tot sei
(Herbst 663 91). -----------------------------------------------------
^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
entnommen; waffenfaehige Buerger zaehlte man in jenem Jahr 394336, in
diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Mueller, welchen Satz Clinton und
dessen Ausschreiber faelschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen;
nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Koepfe
gezaehlt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zaehlungsziffer,
die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Koepfe ergab,
ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise
der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevoelkerung Italiens in
der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst
die Sullanischen Landanweisungen die Luecken, die der Krieg gerissen,
hoechstens gedeckt haben koennen, so darf der Ueberschuss von reichlich
500000 Waffenfaehigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
Aufnahme der Bundesgenossen zurueckgefuehrt werden. Indes ist es
moeglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhaengnisvollen
Jahren der Gesamtstand der italischen Bevoelkerung vielmehr zurueckging;
rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfaehige, was
nicht uebertrieben erscheint, so kommen fuer die Zeit des
Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Buerger drei Nichtbuerger. 2
Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich
schwoere bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der roemischen Vesta
und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der
naehrenden Erde und bei den goettlichen Gruendern und Mehrern (den
Penaten) der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind sein soll,
wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen dass ich weder meines
eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will,
ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn
ich aber Buerger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will
ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den groessten meiner
Wohltaeter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbuerger,
als ich vermag; und schwoere ich recht, so gehe es mir wohl, schwoere
ich falsch, so gehe es mir uebel!" Indes wird man Wohltun, diesen
Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er ruehrt entweder her aus den gegen
Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von
dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Ueberschrift 'Eid des
Philippus' zu fuehren scheint) oder im besten Fall aus den spaeter ueber
diese Verschwoerung in Rom aufgenommenen Kriminalprozessakten; und auch
bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel
aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.
--------------------------------------- Die letzte Hoffnung, durch
Vertrag die Aufnahme in den roemischen Buergerverband zu erlangen,
ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser
konservative und energische Mann unter den guenstigsten Verhaeltnissen
seine eigene Partei nicht hatte bestimmen koennen, dazu war ueberhaupt
auf dem Wege der Guete nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur
die Wahl, entweder geduldig sich zu fuegen oder den Versuch, der vor
fuenfunddreissig Jahren durch die Zerstoerung von Fregellae im Keim
erstickt worden war, noch einmal und womoeglich mit gesamter Hand zu
wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben,
sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war
dieser letztere Entschluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung;
wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden
gegen die roemische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen
als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstaedte gegen das Britische
Imperium; allem Anschein nach konnte die roemische Regierung mit
maessiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung
das Schicksal der frueheren bereiten. Allein war es etwa minder ein
Entschluss der Verzweiflung, wenn man stillsass und die Dinge ueber
sich kommen liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Roemer ungereizt
in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die
angesehensten Maenner in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem
Einverstaendnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war
hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die
jetzt siegreiche Partei gerichtet und fueglich als Hochverrat zu
qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja
allen, die nur der Teilhaberschaft verdaechtigt werden konnten, blieb
keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass fuer eine allgemeine
Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwaertige Augenblick noch
verhaeltnismaessig guenstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau
darueber unterrichtet, inwieweit die Roemer die Sprengung der groesseren
italischen Eidgenossenschaften durchgefuehrt hatten; es ist indes nicht
unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die
Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch
bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf blosse Fest- und
Opfergemeinschaft zurueckgefuehrten Gemeindebuenden zusammenstanden.
Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbaenden
einen Stuetzpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Roemer ebendarum
dazu schreiten wuerden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner,
an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches
oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und
gewaehrte fuer die politische Organisation des Aufstandes einen
wichtigen Anhalt, waehrend die militaerische daran anknuepfen konnte,
dass jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten
besass. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefasst. Man
vernahm wohl davon, dass unruhige Bewegungen in Italien stattfaenden und
die bundesgenoessischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr
unterhielten; aber statt schleunigst die Buerger unter die Waffen zu
rufen, begnuegte das regierende Kollegium sich damit, in herkoemmlicher
Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um
etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so voellig unverteidigt,
dass ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo,
einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen
haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlaessiger, unter den
Gewaendern Schwerter fuehrender Maenner sich in dieselbe einzuschleichen
und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemaechtigen. Ein Aufstand
bereitete also sich vor; Vertraege wurden geschlossen, die Ruestungen
still und taetig betrieben, bis endlich, wie gewoehnlich noch etwas
frueher, als die leitenden Maenner beabsichtigt hatten, durch einen
Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der roemische Praetor mit
prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon
benachrichtigt, dass die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die
Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius
und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der
grossen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der
Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkuendigung der nur zu
ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten
aufgehaeuften Zunder des erbitterten Hasses; die roemischen Beamten
wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als
gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Bruecke der Versoehnung
abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die
saemtlichen in Asculum verweilenden Roemer niedergemacht und ihre Habe
gepluendert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empoerung durch
die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser
in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den
Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der
schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der
Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Roemern foermlich abgesagt,
wonach spaeterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen
Beispiel folgten die samnitischen und ueberhaupt die Masse der Gemeinden
vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so
dass bald in ganz Mittel- und Sueditalien gegen Rom geruestet ward. Die
Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits frueher mit
den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend,
dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und
Geldaristokratie uebermaechtig und der Mittelstand gaenzlich
verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich
reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der
Bauern- und ueberhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand
wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt
noch Hand in Hand ging mit der hauptsaechlichen Regierung. Danach ist es
auch leicht erklaerlich, dass in den aufstaendischen Distrikten einzelne
Gemeinden und in den aufstaendischen Gemeinden Minoritaeten festhielten
an dem roemischen Buendnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna
fuer Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland
gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die
roemischen Operationen in Kampanien unterstuetzte. Endlich hielten
fest an Rom die am besten gestellten bundesgenoessischen Gemeinden, in
Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestaedte Neapolis
und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien,
wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege
die latinischen und die griechischen Staedte im ganzen fuer die
sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten
Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegruendet und
mit geschickter Abstufung der Abhaengigkeiten die schlechter gestellten
Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber
die Buergerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertaenigkeit
gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der
Oligarchie, erprobte es sich vollstaendig, wie fest und gewaltig die
Staatsmaenner des vierten und fuenften Jahrhunderts ihre Werksteine
ineinandergefuegt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach
erschuetterte Bau noch aus. Freilich war damit, dass die besser
gestellten Staedte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen, noch
keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege,
auf die Laenge und nach schweren Niederlagen ausdauern wuerden, ohne
in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht
ueberstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei
grosse Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen,
noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen
Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine
vielleicht die Hoffnungen der Fuehrer selbst uebertreffende Ausdehnung
gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Uebermut daran denken, der
roemischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten
Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den
Buergerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der
Gemeinsinn, der so lange in Rom vermisst worden war, schien ploetzlich
wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und
jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstuetzten Begehren der Untertanen
mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die naechste Folge der
italischen Insurrektion war, aehnlich wie nach den Niederlagen, die die
Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eroeffnung
eines Prozesskrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache
nahm an denjenigen Maennern der Regierung, in denen man, mit Recht oder
Unrecht, die naechste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des
Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten
und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere
Hochverratskommission, natuerlich aus dem mit offener Gewalt fuer diesen
Antrag kaempfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von
Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten
Verschwoerung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die
jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und
erschreckten Buergerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien.
Die Urteile dieser Kommission raeumten stark auf in den Reihen der
senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Maennern
ward Drusus' genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die
Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem
gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus
geneigten Senatoren ging soweit, dass bald nachher der Konsul Lupus aus
dem Lager an den Senat berichtete ueber die Verbindungen, die zwischen
den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde bestaendig unterhalten
wuerden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen
marsischer Spione als unbegruendet auswies. Insofern konnte der Koenig
Mithradates nicht mit Unrecht sagen, dass der Hader der Faktionen aerger
als der Bundesgenossenkrieg selbst den roemischen Staat zerruettete.
Zunaechst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der
Terrorismus, den die Hochverratskommission uebte, wenigstens einen
Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen;
die faehigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius,
Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius
Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfuegung; die
Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch
Volksbeschluss wesentlich beschraenkt, um die finanziellen Kraefte des
Staates fuer den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir,
als bei der drohenden Stellung des Koenigs Mithradates die Provinz Asia
jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen
des roemischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit
Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluss des Senats vorlaeufig
ihre Taetigkeit ein; alle Geschaefte stockten und man dachte an nichts
als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. Waehrend also
der fuehrende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges
sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere
Aufgabe zu loesen, sich waehrend des Kampfes politisch zu organisieren.
In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und
vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften
belegenen Gebiete der Paeligner, in der schoenen Ebene an dem
Pescarafluss ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur
Stadt Italia, deren Buergerrecht den Buergern saemtlicher insurgierter
Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Groesse Markt und
Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fuenfhundert Mitgliedern erhielt
den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des
Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Buergerschaft aus den
Maennern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwoelf Praetoren, die
ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Praetoren die hoechste Amtsgewalt
in Krieg und Frieden .uebernahmen. Die lateinische Sprache, die damals
schon bei den Marsern und Picentern die landuebliche war, blieb in
offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im
suedlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider
bediente man sich abwechselnd auf den Silbermuenzen, die man nach
roemischen Mustern und nach roemischem Fuss auf den Namen des neuen
italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten
von Rom ausgeuebte Muenzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus
diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht,
dass die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den
Roemern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen
und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch
hervor, dass ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der
roemischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen
Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung
statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher
Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die roemischen Komitien es waren,
mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie
in sich trug wie der roemische Senat, mit einer in gleicher Art durch
eine Vielzahl konkurrierender hoechster Beamten ausgeuebten Exekutive
- es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie
zum Beispiel der Konsul- oder Praetortitel des hoechstkommandierenden
Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege
vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es aendert sich eben nichts als
der Name, ganz wie auf den Muenzen der Insurgenten dasselbe Goetterbild
erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur
darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom
von dem urspruenglichen, dass das letztere denn doch eine staedtische
Entwicklung gehabt und seine unnatuerliche Zwischenstellung zwischen
Stadt und Staat wenigstens auf natuerlichem Wege sich gebildet hatte,
wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongressplatz der
Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel
zu Buergern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend
aber ist es, dass hier, wo die ploetzliche Verschmelzung einer Anzahl
einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken
einer Repraesentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von
einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die
kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher
reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie
hier, dass dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von
dem Auftreten des souveraenen Volkes in eigener Person in den
Urversammlungen oder von der Stadt, und dass der grosse Grundgedanke
des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die
Volkssouveraenitaet auszudruecken durch eine Repraesentantenversammlung,
dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding waere, ganz und
vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie
in den gewissermassen repraesentativen Senaten und in dem Zuruecktreten
der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich naehert, hat doch
weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu ueberschreiten
vermocht. --------------------------------------------------- 3 Selbst
aus unserer duerftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5,
4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum
Beispiel der letztere ausdruecklich sagt, dass die Buergerschaft die
Beamten waehlte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet
werden und andere Kompetenz haben sollte als der roemische, ist
wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten
Zusammensetzung natuerlich fuer eine einigermassen gleichmaessige
Vertretung der insurgierten Staedte gesorgt haben; allein dass die
Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten,
ist nirgends ueberliefert. Ebensowenig schliesst der Auftrag an den
Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den
Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
------------------------------------------------- So begann wenige
Monate nach Drusus' Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine
der Insurgentenmuenzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen
die roemische Woelfin. Beiderseits ruestete man eifrig; in Italia wurden
grosse Vorraete an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehaeuft; in Rom bezog man
aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorraete
und setzte fuer alle Faelle die lange vernachlaessigten Mauern in
Verteidigungszustand. Die Streitkraefte waren einigermassen gleich
gewogen. Die Roemer fuellten die Luecken in den italischen Kontingenten
teils durch gesteigerte Aushebung aus der Buergerschaft und aus den
schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits
der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten
4, teils durch die Zuzuege der Numidier und anderer ueberseeischer
Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen
Freistaedte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne
die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an
Tuechtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die
Italiker hinter den Roemern in nichts zurueck. Die Fuehrung des Krieges
war fuer die Insurgenten wie fuer die Roemer deswegen sehr schwierig,
weil das aufstaendische Gebiet sehr ausgedehnt und eine grosse Zahl zu
Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so dass einerseits
die Insurgenten sich genoetigt sahen, einen sehr zersplitternden und
zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu
verbinden, andrerseits die Roemer nicht wohl anders konnten, als
die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten
Landschaften zu bekaempfen. Militaerisch zerfiel das insurgierte Land in
zwei Haelften: in der noerdlichen, die von Picenum und den Abruzzen
bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden
Distrikte umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus
Silo, roemischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den
Oberbefehl; in der suedlichen, welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt
die sabellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als
Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als roemischer
Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen
auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf Unterbefehlshaber
zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den
Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die
Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen.
Die angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius,
Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare
Titus Didius und Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln
sich zur Verfuegung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so
gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg,
dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch in nichts nachstanden.
--------------------------------------------------- 4 Die Schleuderbleie
von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo die Gallier sehr
zahlreich waren. 5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom
22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von
Karystos, Klazomenae und Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen
Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren
und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, dass
von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den Italischen Krieg zwei Trieren
aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben
heimgekehrt seien. 6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben
ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen
die fuenfzehnte Legion nennen.
---------------------------------------------------- Die Offensive in
diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der
Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es
faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um
einen ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die
Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die
feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen
Verhaeltnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders
haette handeln koennen und inwieweit die Schlaffheit der roemischen
Regierung einer- und die lose Verbindung der foederierten Gemeinden
andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegfuehrung beigetragen
haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und
Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgueltigen Erledigung;
nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg, der in eine Reihe
von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald
kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos
truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht
herstellen laesst. Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den
insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst
ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften.
Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf
die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier
trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen
im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Sueden um Luceria, Benevent,
Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die roemischen Heere
sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem
die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden
kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua
mit seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die
bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie
zur Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien
unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen
zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern
unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die
wichtige Stadt Venafrum trat hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie
die roemische Besatzung in die Haende lieferte. Durch den Abfall dieser
Stadt, die auf der Heerstrasse von Kampanien nach Samnium lag, war
Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung
sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer ihrer
Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte
ein Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor
Jahren den Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten
Aeserninern fuer einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach
hartnaeckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die aeusserste
Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genoetigt, sich in Grumentum
einzuschliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien
und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin gaenzlich sich selbst
ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an
der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab
die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische
Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet,
die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger
Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis
zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum
erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet
noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitisch- lucanischen
Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei Caesars
Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder
vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von
Venusia den Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen
Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so dass Caesar
sich genoetigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat
zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das roemische
Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem
Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei
6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den
in diesem Kriege die Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum
Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder
an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee
bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius angegriffen und so
nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen und dort
wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen
des taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder
in kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder
einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee
unter Mutilus fortfuhr zu belagern. Gleichzeitig hatten die Operationen
auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und
der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher Naehe die Hauptstadt
bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward
ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt, Asculum zu
bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte
unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des
marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee
der Feind der Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus
(Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet
und bei Rieti in den Velino faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig
draengte der Konsul Lupus zur Entscheidung und ueberhoerte den
unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst
im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die 10000 Mann starke
Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der Oberfeldherr
entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den
Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, liess sich aber
dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von
ihm selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit
voneinander geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen
gegenueber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an
der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der
Uebergang stattfand, sich mit Hinterlassung der blossen Lagerposten
von dort weggezogen und weiter flussaufwaerts eine verdeckte Stellung
genommen, in welcher er das roemische Korps unter Lupus unvermutet
waehrend des Uebergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den
Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen
blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius, Scatos Abmarsch
endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne Verlust
der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang
und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die
Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas
zurueckzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluss des Senats als
Hoechstkommandierender an Lupus' Stelle trat, verhinderte wenigstens,
dass der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald
darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines
gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom
tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich
empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein
Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit
einem grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern
zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger
Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zaehen Widerstand den Gegner,
die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmaehlich tief in das
marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich
sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der unter anderen
Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt
zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur
Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch
empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die
Ehre dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte
zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen
den Rueckzug verlegt und sie aufgerieben. Waehrend also am Fuciner
See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das
picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich gestritten.
Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato
und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen,
es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius
den Strabo belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und
Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden
Staedte zum Anschluss an die Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der
roemischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg ueber die
Paeligner freie Hand, um in Picenum einzuruecken und Strabo Hilfe zu
bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn Strabo ihn angriff, von
Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand gesteckt; er
selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester Flucht
nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge
sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die
Italiker auf Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich
abermals in eine Belagerung verwandelte. Endlich war im Laufe des Jahres
zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im suedlichen
und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen Landschaft
gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den
ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne
etruskische Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu
erklaeren, so dass es noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus
Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier
indes stiessen die Roemer auf einen weit minder energischen
Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten
das entschiedenste Uebergewicht im Felde. So ging das schwere erste
Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch truebe Erinnerungen und
bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren beide Armeen
der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen
geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf die
Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in
ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele
Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen
und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man
es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom
zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion waehrend dieses ersten
Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von
Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen Kolonie
Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen,
dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht
imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der
Buergerschaft das Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an
der latinisch-kampanischen Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene
in die Buergermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen
Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht moeglich,
die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu
setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt. Nach
der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm
gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der
Hauptstadt als Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden,
als die Beamten zum Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und
die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die
hauptstaedtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu
bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung ueberlassen und
alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen
nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen
Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den
Kriegsrock wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des
zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch
nicht zweifelhaft, dass im ganzen die Roemer in diesem Waffengang den
kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus
der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen
des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann
den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals, aber
man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn,
die zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz
gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere
Politik ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist
kein Zweifel, dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber
nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt,
nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen,
sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen
Vorranges der Roemer vor den uebrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber
mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft im oeffentlichen Leben
wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der
Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder gut. Das
Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des
von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines
Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger
des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an
allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Maessigung und der
rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte
der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben
Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission
den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien,
nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus
einer Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie
unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche
Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung
des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die
Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische
Palinodie war die veraenderte Richtung, die man in der Politik gegen die
Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom
zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen muessen;
Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war
derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich
erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde
zu erbittert geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen
haette, ihnen die verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette
man es getan, sie waeren vielleicht jetzt von der anderen Seite
zurueckgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen
Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter gewissen
Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein
freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche
Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu
ihrer Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen
Buergertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt
ploetzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch
jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst fuer die Aufgenommenen in
widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7
durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische Buergerrecht den Buergern
aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht
Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius
Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten
und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm
gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das
roemische Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger,
aehnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt
sein, dass von den fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie
die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die
Beschraenkung persoenlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht
mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich zunaechst auf
das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch wenig ueber Ancona
und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen,
das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in
der Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche
latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen
war hier diesseits des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung
der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen
Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum roemischer, meist in
Marktflecken (fora) zusammenwohnender Buerger. Die nicht zahlreichen
bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna,
sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge
eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes
nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu
sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den
Alpentaelern, einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige
Doerfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem
roemischen Buergertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion,
dass sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
welche bisher den latinischen Staedten geringeren Rechts zugestanden
hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po, waehrend die
transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, noerdlich
vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buerger- oder
latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier
keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung
der keltischen Gau- und die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung
bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war
dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des
gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals
Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
Herren. ------------------------------------------ 7 Das Julische
Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da
waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische
ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege,
unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664
(90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.
----------------------------------------- So ansehnlich diese
Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als
hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der
roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine
Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils
die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten,
teils moeglichst viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen
herueberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das
wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind,
laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur
Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermoegen.
Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen
Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen
Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die
latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten
uebergegangenen, dadurch eintraten in den roemischen Buergerverband.
Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen
Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie Nuceria und
Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber die
Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken
trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom
Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies
Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht
hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser
Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, dass diese Stadt,
sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in
Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband ihre bisherige
Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser
Gesetze der roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch
das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen
Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, ausserdem
die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung
des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen
Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen. Gestuetzt auf diese
Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Roemer mit neuem
Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man hatte von
den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen,
als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die
Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich
in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl
mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der roemischen
Waffen so auffallend rasch ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen
Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eroeffneten sich reiche
und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der
Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand
zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach
Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man
seine Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den
sechsundsechzigjaehrigen Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr
wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegruendet; Marius bewies, indem
er taeglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine
koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem
letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu haben; aber
glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott
sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte
er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren
Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen
geworfen. An Marius' Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul
dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien
gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr
Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen
Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit
so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet. So
begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten
eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen
Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann
der in Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu
senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte,
verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten
zurueck in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den
roemischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato
das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen Gefechten in demselben
vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm
auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung der
Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte
sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der
Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften.
Zum Entsatz seiner bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum
Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde
Armee an, waehrend gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die
roemischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Roemer gegen
60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Roemern, doch gelang
es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu
werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8
durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung
der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche
Kriegserklaerung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach
mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah,
liess er die Haeupter der roemisch gesinnten Fraktion der Buergerschaft
unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden
die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die italischen
ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet, die
uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von
Staats wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall
von Asculum durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten
aufstaendischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur
Unterwerfung. Die Marruciner fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie
bei Teate (Chieti) nachdruecklich geschlagen hatte. In Apulien drang
der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte
Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius
der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Roemer
zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang
ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen
wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien.
Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der
Insurrektion, stellten die Roemer ihre Herrschaft wieder her; die Marser
ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und
Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88)
an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des
italischen Senats fluechteten auf samnitisches Gebiet.
---------------------------------------------- 8 Schleuderbleie mit
dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwuenschungen der
"entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der Aufschrift
entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene
roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch
jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
--------------------------------------------- Die roemische Suedarmee,
welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig
die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte
suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstoert
(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint
bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii.
Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz
zu bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch
Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich
durch den Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig
geschlagen, dass sein Lager erobert und er selbst mit dem groessten
Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das
dankbare roemische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit
welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmueckt
wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden
gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den
Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte
Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion
war. Die rasche Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum
verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie
unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu
ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert
vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der
Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde
umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen;
das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach
Aesernia. Sulla rueckte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft
Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern
erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerueckte Jahreszeit
machte hier dem Feldzug ein Ende. Es war der vollstaendigste Umschwung
der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion
den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so
ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus demselben
hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide
Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig,
Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der
Roemer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung
gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener
Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der
lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden
ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer
und verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen
die Flamme empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends
drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses
ploetzlichen Umschwunges in der oberflaechlichen Ueberlieferung nicht
mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas
geschickte Fuehrung und namentlich die energischere Konzentrierung
der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich dazu
beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische
Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel
gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck,
Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu
tragen, erfuellt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknuepften
aufstaendischen Gemeinden das Unglueck als Apfel der Zwietracht gefallen
sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter
heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der Italia -, dass
die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von
Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der
Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich
eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die
"Italia" ueberwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten
den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der
Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte
sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000 zu Pferd und ward
durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstaerkt; fuenf
Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und
neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger Pause
die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk
abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische
Konfoederation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine
landschaftliche Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen.
Allein dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung aenderte in der
Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien
noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion
war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
---------------------------------------------------- 9 Dieser Epoche
muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer
Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten
festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene
Macht Muenzen mit dem eigenen Namen schlagen.
---------------------------------------------------- Allerdings war
inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen
Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten,
an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das
naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee
nach Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum
Ausbruch gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben
Italiens und der wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure
Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen
Insurrektion das wunderbare Glueck Roms sich abermals bewaehrt hatte,
war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem dass er mit
dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich
bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut die
Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von
der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem.
Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen
ueberseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander fuehrte; die Staatskasse
war nach zwei Kriegsjahren bereits vollstaendig erschoepft, die Bildung
einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum
ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der
seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die
Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2« Mill. Taler) geloest wurden,
lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht
gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach
Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im suedlichen
Italien es ihr gestatten wuerde sich zu entfernen; war bei den
Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee
voraussichtlich bald geschehen konnte. So begann der dritte Feldzug 666
(88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom. Strabo daempfte den letzten
Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte
Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Ueberwinders
von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an
militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand
ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen
genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von
Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem roemischen General
Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Roemer, und was wichtiger war
als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt
liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften,
die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und
Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus
Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei
einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der
Insurgentenfuehrer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in
der weiten und oeden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar
einen Versuch sich Rhegions zu bemaechtigen, den indes der sizilische
Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfaelle naeherte
man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung
von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte fuer Asien
verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung
der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion
unvermutet Luft machte. Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus'
Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter
jaeher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die
bitterste Zwietracht gesaet zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie
zwischen den Gemaessigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der
Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht gegeben: was sie beantragt
hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen
zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis erfolgt war,
trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und
kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht
zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert.
Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen
Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbuerger ungefaehr
wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die
Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des
latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem
ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen
wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloss das
Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den
Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft,
hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert
^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie
bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und
die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit
der Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste;
all jene Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden
Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder
gerechten Forderungen der Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht
ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn
somit die heller sehende Aristokratie diese halben und missguenstigen
Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste wie die Neubuerger und
die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner schmerzlich in
ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die Varische
Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen
deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern
durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man
Bedenken trug, einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch
einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines
Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als
ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die
Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber
von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit
erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus
unfreiwillig zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste
geleistet und dafuer neue schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit
dem bitteren Gefuehle, von den Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern
geringgeschaetzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der
sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den
Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und unbehilflich wie er
sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der Hand
eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
---------------------------------------------- ^10 Dediticiis, sagt
Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data;
qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin
der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data
est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind
nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius
inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden
und zu keinem Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss
Leben, Freiheit und Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit
eigener Verfassung konstituiert sein. Apolides, nullius certae civitatis
cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch
rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii
qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei besseren
Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12;
Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini
Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate
gegenueber insofern rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede
Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2)
und alle ihnen ausdruecklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte
nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App.
Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich oder spaeter
ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine
Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch
Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen
deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende
(Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und
nichts anderes ist auch der den Juristen gelaeufige Gegensatz der
Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die
Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). Nach dem aelteren
Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des
Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten Gemeinden,
keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65
(90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti
fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber
unter den dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht
empfingen, doch nicht fueglich bloss die Brettier und Picenter
verstanden sein koennen, so wird man annehmen duerfen, dass alle
Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem
Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten, als
Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die
Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati
fuerunt in der angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der
Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden.
--------------------------------------------- Mit diesen Elementen
politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall
der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen Disziplin. Die Keime,
welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug,
entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des
demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne
Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar
in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda
trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der
militaerischen Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward
der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus
Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem
Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knuetteln erschlagen;
und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich, die Truppen zu ermahnen,
durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang
auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von
jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend
aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem gegebenen
Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius,
vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging
derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes
nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte
umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der juengere Gaius
Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die
Urheber seines Todes bezeichnet. Zu dieser beginnenden politischen
und militaerischen kam die vielleicht noch entsetzlichere oekonomische
Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen
Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen war. Die
Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von
ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden
Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um
ihre Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen
Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten
Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten
Zinsen von den Glaeubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das
tatsaechlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und
instruierte in gewoehnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die
verletzten Glaeubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius
sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da er eben in
priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der
Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht
einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in
den Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders
geholfen werden koenne als durch "neue Rechnungsbuecher", das heisst
durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen saemtlicher Glaeubiger
an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder wie waehrend des
Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der
befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des
starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder
stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte
Schuldner den Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die
Stelle der einfach buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen
Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und
diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler
sich begegnet; nur waren alle Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in
grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg
all die gaerenden politischen und sozialen Elemente in der Buergerschaft
gegeneinander ruettelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution.
Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Der Volkstribun Publius Sulpicius
Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Buergerschaft die Antraege
stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare (600 Taler) schulde,
seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie
Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat
freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen
und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu
gestatten. Es waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum
Teil wenigstens ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630
124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt,
seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als
seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner
ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an
Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle seines
Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner
Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats,
und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des
der Regierungspartei toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den
Konservativen gehoerte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus.
Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das Jahr 666 (88) um das
Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel
abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass auch er,
wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer
verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein
und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
Prozesssturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des
Crassus und Drusus, sich berufen gefuehlt haben, das Werk des Drusus
zu vollenden und die noch bestehenden Zuruecksetzungen der Neubuerger
schliesslich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus
seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwaehnt, die das
gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch
sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen
Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu kassieren;
und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es
heisst in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges
uebertragen zu lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein
anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte
er von sich wie von andern zunaechst und vor allem die Einhaltung
der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das
Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich
verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbuergerschaft auf
guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung in strenger
Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie der
Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular
Lucius Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben
anhaengenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich
mitgewirkt und den zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung
ueber die urspruengliche Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der
von ihm eingebrachten Antraege ist doch von der Art, dass sie keineswegs
die Persoenlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers
verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit den Altbuergern war
nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen
Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung der
Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die
Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der
Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius
eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst
wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den
gemaessigten Konservativen, zugute, und es laesst sich von dem
stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass er bei seinem ersten
Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und dann,
ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte.
Die Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel
herbeigefuehrt durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes
tief zerruetteten oekonomischen Lage der regierenden Familien bei
Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber
an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie
dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen
aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu
liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler
Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit von
den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die
Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward -
womit natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat
so schroff und gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie
er sie vorschlug, ohne seine persoenlichen Zerwuerfnisse mit den
herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals beantragt haben wuerde.
Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft
zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen;
an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen
Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen
zum Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts
insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in
Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der
Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine
Kloake mehr sich entleerte. Die Moeglichkeit, mit den Komitien zu
regieren, ward fuer die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch
die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr
grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich und oekonomisch
abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die Regierung
abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu beherrschen.
Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief
diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des
Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes,
als was das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um
das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den
Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen
zu brechen. Es liess sich leicht voraussehen, dass dieser nicht gering
sein, dass die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie
ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion
jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass die grosse Majoritaet
aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten
halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige
Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich
leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was
dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen
auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten
in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu
realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch
den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen.
Besseren Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem
bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus
3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern
aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Strassen und auf dem Markte
erschien. Seine Antraege stiessen denn auch auf den entschiedensten
Widerstand bei der Majoritaet des Senats, welche zunaechst, um Zeit zu
gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius
Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, ausserordentliche
religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die
Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen
Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius,
der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand
und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla
soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dass Marius ihm sein
Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die
angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Antraege
gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal
noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die
Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem
Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht
uebersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des
Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische
Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt
fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der Senatsmajoritaet
in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die
Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die
wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren,
lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der
Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der
Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurueckkehren werde, um den
konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen ueber den Haufen zu
werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg gegen
Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen
politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und
seiner unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse
Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
keineswegs beabsichtigte und dass er, wenn man ihn haette gewaehren
lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch
beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius
entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den
Oberbefehl abzunehmen, und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein,
dessen Name noch immer hinreichend populaer war, um einen Antrag, den
Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu uebertragen, der Menge
plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische Stellung und
Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze werden
konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als
rach- und ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu
stellen, mochte Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge
Abnormitaet, einem Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch
Volksschluss zu uebertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmaennische
Unfaehigkeit gab eine Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht
ernstlich wuerde gefaehrden koennen, und vor allem war Sulpicius' eigene
Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte,
dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in Betracht kamen. Dass der
abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als
Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem
Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein Herz seit
vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich
abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des
Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher
hoechster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der
kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates,
und es wurden, um das Heer von Sulla zu uebernehmen, zwei Volkstribune
in das Lager von Nola abgesandt. Die Botschaft kam an den unrechten
Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen
Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem
groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte
mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Ueberwaeltigung der
gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in
welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten
Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und
verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden.
Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen
uebernommenen Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft
von Rom abzugeben an einen alten militaerischen und politischen
Antagonisten, in dessen Haenden die Armee, niemand mochte sagen zu
welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, missbraucht werden konnte.
Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem solchen Befehl
Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein Heer
war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des
Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere
und militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem
Fuehrer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer
Kopf, dem die souveraene roemische Buergerschaft ein Poebelhaufen war,
der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle
Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit
halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als
Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom
angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten,
dass der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern
andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die
hoeheren Offiziere, immer noch mehr Buerger als Militaers, hielten sich
zurueck, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die
Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach frueheren Erfahrungen in Asien
einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten
auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen
und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie auf Rom
zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs
seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen
Maerschen, wenig sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der
Tiberbruecke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
Legionen in Reih' und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt
hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein roemisches
Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es,
zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier
berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen
gingen vor bis auf die Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern
heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel
und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend, brachen die
Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S.
Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden
Kolonnen durch die Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben
Verstaerkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der
Suburastrasse die Verteidiger zu umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel
der Tellus, wo der Esquilin anfaengt sich gegen den Grossen Marktplatz
zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor
Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den Legionen sich
entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in
Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die
Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu
bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern
nichts uebrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen;
nach wenigen Stunden war Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese
Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Grossen Marktplatz der
Hauptstadt. Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen
Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen
Kaempfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und
unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch dass die Gewalt
des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die
konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der
denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den, der
zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt
triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber
formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze
als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine
namhaftesten Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf
an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und
Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei
Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt
des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben
Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in
voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten
wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den
Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage
durch eine Kette von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo
der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger
von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien
die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug
bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an
Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut
Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach
sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuss, oft vom Hunger
gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an der Muendung
des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden
Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen
Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius
am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in
den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen,
fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde
von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis gelegt und der Stadtbuettel,
ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche
erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das
Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man
dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der
Retter Roms groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die
Knechtschaft, als bei den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht
hatte; sie loesten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und
sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des
Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich allmaehlich zusammen; sie
liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die roemischen
Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So entrannen sie
nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort fuer
den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu
gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben
hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um
sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu
bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die Fluechtlinge seinen Reitern
und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina
(Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla
seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den
Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass
die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. Um die vorhandenen
Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu verhueten,
veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer die
bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die
Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die
Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten
und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat
ward ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl
natuerlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden
hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative
wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung
der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem
Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darueber allein fast
die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der
im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse
mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der
Konsuln, Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht
Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die
legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt,
dass jeder Antrag fortan von ihnen zunaechst dem Senat vorgelegt werden
musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen
konnte. ------------------------------------------------ ^11 Klar ist
es nicht, was das "Zwoelftelgesetz', der Konsuln Sulla und Rufus von 666
(88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber,
darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass
der hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das
zehnmonatliche oder 10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward.
------------------------------------------------- Diese durch den
Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfuegungen desjenigen
Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei
aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentuemlichen
Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder Geschworene zu
fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter fungierende
Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu
verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine
Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr
konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen
Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende
Wahlordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten
Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation
seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien,
tatsaechlich zu entziehen und es auf eine Behoerde zu uebertragen, die
zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen
hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen. Kaum hatte je
ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so
ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt
und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf
die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen
Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt
worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr
oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, ueberwunden zu
sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen. Wer sich erinnert an die
prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem
Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt sich
geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit
und der relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel
Umstaende das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen
Maenner als rechtlose Feinde in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl
der Opfer moeglichst beschraenkte und wenigstens das widerliche Wueten
gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine aehnliche Maessigung
zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich
der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte
in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben
in Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder
Tribun jede beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen
und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus
unvernuenftig gewesen und mit der steigenden Nullitaet der Komitien es
immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich
das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmaessig den ohne
solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte
durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die
Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System
an, seine Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den
Umsturz des Staats in formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war
unter solchen Umstaenden natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne
konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
Senats jetzt foermlich und ausdruecklich anzuerkennen? Etwas Aehnliches
gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die aeltere Verfassung ruhte
durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die
Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr war
eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung
des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie
aenderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben
treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf
samt allem, was daran hing, in der moeglichst milden Form zu wehren
wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner,
die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den redenden
Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius'
leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und
wie Drusus, wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden
darf, dass er diese Massregel nach dem Siege und durchaus freiwillig
beantragte. Wenn man hiermit verbindet, dass Sulla die hauptsaechlichen
Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen liess und weder an den
Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte, so wird man das
Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von 666
(86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status
quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment
zunaechst Gefahr drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess
aenderte, teils den vorhandenen sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen
suchte, soweit beides sich tun liess, ohne die tieferliegenden Schaeden
zu beruehren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus
in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer den inneren Gehalt
der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche Absichten
bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel
guter Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des
Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass
das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die kuenftige Demagogie
widerstandsfaehiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und
die Religion. In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen
sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen
immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass
die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzoegert
hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf
keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils
in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt wuerden,
teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm
auf die Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den
Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng
optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur
entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es hauptsaechlich
die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes
vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass
es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit
Gebrauch machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur
abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den
Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische
groessten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla liess durch
Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen treuergebenen Kollegen
Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo
in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser
der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der
Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt
hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle
den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten
erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in das kaum abgegebene
Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist es, dass
er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten
strafte. Fuer Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft
eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando
abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich
einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedraengt, endlich nach
Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat,
andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen;
es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und
seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung
wuenschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es
zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die
italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten
und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich -
ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht
werden - fuer die letztere Alternative, uebergab das in Samnium
zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und kriegskundigen Quintus
Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl
in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem
Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87)
mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein. 8. Kapitel
Der Osten und Koenig Mithradates Die atemlose Spannung, in welcher die
Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf
die roemische Regierung erhielt, war die Ursache, dass dieselbe die
Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber
die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen
nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen
Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach der
Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der
Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch
kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen
Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die masslose
Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Roemern abgedrungenen
Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache
nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station
fuer eine kleine roemische Heer- und Flottenabteilung in den oestlichen
Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100)
die Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann
die roemische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige
Aufmerksamkeit zuzuwenden. In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse
noch, wie wir dreissig Jahre zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten
mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene und Kypros loeste mit dem Tode
Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsaechlich sich auf.
Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und
trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem
haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen
beide Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88),
was die Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten
sich schied. Die Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im
Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen
Koenigs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu
aus, aber ueberliessen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst,
indem sie die griechischen Staedte des Reiches, Kyrene, Ptolemais,
Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben sogar die Nutzung der
koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von
Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr
eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die
hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel
nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und
Nachlaessigkeit der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich
dieselben, die unter gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten
waren: Buergerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass,
als dort zufaellig im Jahre 668 (86) ein hoeherer roemischer Offizier
erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu
ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begruenden. Auch in
Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser
geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden
Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659
95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward
das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die
kilikischen Seekoenige, die Araberscheichs der syrischen Wueste, die
Fuersten der Juden und die Magistrate der groesseren Staedte in der
Regel mehr zu sagen hatten als die Traeger des Diadems. Inzwischen
setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich fest und ging das
wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther. Die Monarchie
der Arsakiden hatte, hauptsaechlich infolge der Einfaelle turanischer
Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise durchzumachen
gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630 ? -
667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung
in Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen
Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen
das Ende seines Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend
die Grossen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig
sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess,
erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit
seiner Selbstaendigkeitserklaerung in die nordoestliche Haelfte oder das
eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die suedwestliche
oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde
durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu
einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils
die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von
ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich
zu loesen und die frueher an sie abgetretenen Landschaften
zurueckzugewinnen, sondern sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es
von den Achaemeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden
uebergegangen war, an Armenien zu bringen. In Kleinasien endlich bestand
die Laenderteilung, wie sie nach der Aufloesung des Attalischen Reiches
unter roemischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich
ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Koenigreiche
Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer Paphlagoniens und
Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war eine
aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte
dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich
wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment
naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die
mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich
an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch
Gaius Gracchus, an die roemischen Zehnten und Zoelle und an die
Menschenjagden, die die Zoellner daselbst nebenbei betrieben - lastete
die schon von Haus aus schwer ertraegliche roemische Herrschaft in
einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch die Bauernhuette
daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer den
roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die
roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der
Asiate in seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein
es waren nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen,
sondern der eigentuemlich orientalische Mangel der Initiative, und es
konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen
Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein
Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben. Es regierte
damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator
(geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher
Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes' Sohn,
im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I.,
zurueckfuehrte, von muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden
entstammte. Nach dem fruehen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes,
der in Sinope von Moerderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjaehriger
Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und
Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters
Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem koeniglichen
Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen seiner
gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend
gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette
wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses
Jaegerleben gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann.
Wenngleich unsere Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche
Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger
die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den maechtigen Koenig
frueh geschmueckt mit manchen der Zuege ihrer Simson und Rustem; aber
auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter
der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in
beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt noch
wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des
Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr
noch der Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild;
als Reiter baendigte er das wilde Ross und vermochte mit gewechselten
Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker
fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich
war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem Koenig obzusiegen. Auf der Jagd
traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen;
aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl
Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten Esser und
fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in
den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner
griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden.
Seine geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben
-Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht
wenige der Stunden des Koenigs aus - und in einer rohen Aneignung der
hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik,
das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet, alte persische und
griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -, hatte
stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner
Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser
und Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den
besten Saenger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im
Orient, wo das Verhaeltnis des Herrschers und der Beherrschten mehr
den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes traegt, ist der
Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der Herrscher grausam und
misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen worden. Auf
seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder
angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte
Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter.
Vielleicht noch empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen
Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner
vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, dass
er spaeterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophaeen zu entziehen,
seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen
Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab.
Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen
wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper
an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf
von jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann
und zumeist gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige
und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine
Unternehmungen schliesslich misslangen durch die Treulosigkeit seiner
Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Zuege von hochherziger
Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte, schonte er in der Regel
diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches Verhaeltnis zu dem
Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfaelle
von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in
der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger Sultane, ist
seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus seiner
Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man
ihn bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz
Vorderasien durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch
erkundet. Von gleicher Art ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein
redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, ueber
die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers
zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den regsamen Herrscher
des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine ganze
Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie
auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im
Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren
gewoehnlich nicht der Koenig selbst, sondern irgendein griechischer
Condottiere gegen den Feind fuehrt, in dem Bestreben, neue Satrapien
zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen, Foerderung der
Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen Opposition,
eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung
wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen
Grund, auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed
II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der
hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen
Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er durchaus ein Orientale
gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, aberglaeubisch,
grausam, treu- und ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert, so
gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein
unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie
Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der
Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in
den Zeiten Scipios oder Traians, und dass nur die Verschlingung
der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es
Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Roemern
zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, dass bis auf
die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Roemern
ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt
hat wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen
naturkraeftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch
nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. Indes wie man immer ueber die
Individualitaet des Koenigs urteilen moege, seine geschichtliche
Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege
sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas
gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen
Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie, der
nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates
selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das
Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die
Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der
alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden
von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des
Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen
Augenblick fuer ihre politischen Traeume an diesem Koenig einen Halt zu
finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge
gestritten, als worueber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die
Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in
dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den
Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und
vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie
seine Vergangenheit. So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun
des kappadokischen Koenigs das fremdartige und unhellenische Wesen
hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element
bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht
ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu
gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen
Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster
Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme neben- und durcheinander
geschoben und wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten
weniger klar waeren wie in Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt
sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien
fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostkueste in der karischen
lydischen Landschaft der Grundstock der Bevoelkerung anzugehoeren,
waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten
der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und
die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten den
iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und
der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen
hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn
von den Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und
phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben
eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare
Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich
ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt
es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer
Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten
Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den
Indogermanen als den Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses
Voelkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der
durch das kriegerische wie das geistige Uebergewicht der griechischen
Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen
Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden.
------------------------------------------ ^1 Die als phrygisch
angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte Koenigsname Manis sind
unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche
Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG,
10, 1888, S. 329f. ------------------------------------------ In diesen
Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in Kappadokien
am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo,
am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in
steter Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder
gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal
der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo
mehrere urspruenglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die
bedeutenden Handelsplaetze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts-
und Residenzstadt Mithradats und die bluehendste Stadt des Reiches,
Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als
haette es wuest gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch
heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit
Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu
Mithradates' Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch bevoelkert.
Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die
den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern
zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in
Kleinarmenien fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle
gezaehlt wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu
getan haette, das staedtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und
wie er gestellt war, in tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst
nicht voellig bewusster Reaktion gegen den Hellenismus, begreift
sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er, gleichfalls in ganz
orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht klein war,
wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche Meilen
angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer
wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine
Flotten und seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so
freier und so weiter Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen
Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustaende hier
einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder
vielmehr unmoeglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu
geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast
unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen
ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti)
mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten
entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch
waren seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten
huegel- und waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen
Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer
Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von
Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz
und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und laenger
anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und
ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer,
wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse
vermutlich etwas weniger unguenstig standen, als dies heutzutage der
Fall ist 3. Die verschiedenen Staemme, die der Wandertrieb in diese
Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich diesem Gebot der Natur und
fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben,
indem sie mit ihren Rinder- oder haeufiger noch mit ihren Rossherden
Wohn- und Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf Wagenhaeusern sich
nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach:
die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und immer
aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild
geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren
der heutigen Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen,
die mongolischer Rasse und in Sitte und Koerpergestalt den heutigen
Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich,
von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische Staemme nachgeschoben,
Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer slawischer
Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man
ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen
sich verwandt zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen
Zendstamme angehoert haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten
thrakische Schwaerme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
gelangten; dazwischen draengten sich, wahrscheinlich als Auslaeufer der
grossen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht
beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst
die Bastarner, an der Donaumuendung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat
bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fuersten
und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz
standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen
Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als
Stationen fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau,
fuer welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des
Schwarzen Meeres im Altertum minder unguenstige Verhaeltnisse darbot,
als dies heutzutage der Fall ist; fuer die Benutzung des Bodens zahlten
hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen, den einheimischen Herren
Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die
Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in
der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften
Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer
Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen
in das Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297)
Roms regiert von erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische
Koenige genannt, den Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der
Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell
zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet umfasste in der Mithradatischen Zeit
noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit Einschluss der Stadt Theodosia
und auf dem gegenueberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt
Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten
die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des
Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze
Meer beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen
war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
traurigen Rueckgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten
Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der
fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings auch den Athenern durch ihren
Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich
selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu gelangt,
ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und
Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit
der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung
ueberging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr
starker Schild zu sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils
wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten
die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein
lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenueber gibt
uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmuendung bei Ocakov), die
nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint.
Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss jaehrlichen Zins
an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt
lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher
Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der
Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe
zu geringfuegig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die
Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den
Toren sich die Staemme der Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die
Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das aergste ist, die
schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem
Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt
sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe verlassen
und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.
--------------------------------------------- 2 Sie sind hier
zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten
und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom
fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und
eine Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings
nicht durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos
hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos
zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die
zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluss des roemischen Senats
zu Gunsten der skythischen Fuersten in Verbindung steht, erhellt aus
der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich. 3 Es hat viele
Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich
jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt
erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder
des mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem
gewissen Grad die Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
schuetzten. --------------------------------------------- Diese
Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm
des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und
Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich
zeigte. Kein Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias
geschehen war, die Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen
empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten
Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier
versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren ebendamals die
Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden;
die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel
hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt;
gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit
hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht
umsonst. Mithradates' tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos
und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvoelkern
fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von Pantikapaeon teils
zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die
Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte Festungen
der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie
sie spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den
Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor
seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen
4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen
verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer
Handelsstaedte gegruendetes Koenigreich, das Bosporanische genannt,
das die heutige Krim mit der gegenueberliegenden asiatischen Landspitze
umfasste und jaehrlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel
Getreide in die koeniglichen Kassen und Magazine lieferte. Die
Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumuendung
traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit
dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch
wenigstens einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen.
------------------------------------------------------ 4 Das kuerzlich
aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen Diophantos
(SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die
Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer,
Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt
teils von den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem
von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende
Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des
Koenigs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft
macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg
(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im
Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos
ueberwaeltigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich
sie mit den Reuxinalern - so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die
spaeteren Roxolaner - in der grossen Feldschlacht besiegt, deren auch
die schriftliche Ueberlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der
Griechenstadt unter den Koenig scheint nicht stattgefunden zu haben;
Mithradates erscheint nur als schuetzender Bundesgenosse, der gegen die
als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys doko?ntas eimen) Skythen
fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche wahrscheinlich zu
ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia und Athen
zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi)
des Mithradates. -------------------------------------------------------
Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als
die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen
Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die
enge Verbindung, in die er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab
dem Tigranes nicht bloss seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern
er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstuetzung Tigranes sich der
Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es
scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein,
dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und
die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter Zusage
gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und
faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken
zu decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern. In Kleinasien
endlich richtete der Koenig die Blicke auf das binnenlaendische
Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen Reich -
und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche
als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den
Koenig Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime
Praetendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien
anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies
Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehoert hatten, und trugen
sich fortwaehrend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates
besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes von Bithynien, mit dem
er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fuegte sich
Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne mit dem
Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an
sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in
Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es
hiess im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes
Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen
des Koenigs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen
Hilfe seines Oheims, fuer welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig
gewordenen Moerder seines Vaters die Rueckkehr nach Kappadokien zu
gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide
Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der Oheim zuvor
eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten
Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters,
uebernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die
unwillige Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des
letzten Koenigs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats
ueberlegenen Streitkraeften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der
baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Juenglings gab
dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand, als mit diesem das
kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie
in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter
dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete.
Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig
Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen
Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des
Koenigs fuer den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich.
Sein Werbeplatz reichte von der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem
Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier,
Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich unter seine Fahne; vor
allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern.
Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs,
Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste
Bauholz; Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien
gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit
600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte
fuer diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten
vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen oder sonst namhaften Seemacht
beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf Sinope und die
Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich.
------------------------------------------------ 5 Die Chronologie der
folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa
scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung angetreten zu
haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die
Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig
Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In
die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen
Sukzessionshaendel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in
Saturninus' erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod.
631) wahrscheinlich schon zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom
verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in
Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. Brut.
1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.
---------------------------------------------- Dass der roemische Senat
seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhaengigen
Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte,
beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode
Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem
Vater fuer seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr
fuer sein gutes Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese
Landschaft dem unmittelbar roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber
nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe
Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe und gegen diese imposante
Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjaehrigen
Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es geschehen, dass
einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer Grossmacht
entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in die
engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die
Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens;
dass er die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer
unter Vorwaenden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht
berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar
in Europa sich festsetzte und als Koenig auf der Taurischen Halbinsel,
als Schutzherr fast bis an die makedonisch- thrakische Grenze gebot.
Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat verhandelt; aber wenn das
hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schliesslich
dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen falschen Pylaemenes
berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht als dankbar
fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte.
Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die
Fuersten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt
hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch
der traditionellen Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich
erinnern, dass einst unter so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang
des Koenigs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen
Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg
geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des taurischen
durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden
konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs
Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch
seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz
zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den
seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische
Regierung zur Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass
Mithradates die skythischen Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit
war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen
Politik gedraengt, dass man jetzt, statt die Hellenen gegen
die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute
unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der
falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso
sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen
und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen,
durch freie Volkswahl ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die
Beschluesse klangen energisch genug; nur war es uebel, dass man, statt
ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit
der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Raeuber und Piraten
kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glueck
vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer
besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte
die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden
vermissen liess. Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich,
den Grosskoenig Tigranes von Armenien, der den Roemern gegenueber eine
freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien
zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzuege der
asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg den Taurus und schlug
den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus
Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stuecken nach;
Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und
der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische
Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den
angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner
Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen
damals zuerst roemische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser
Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen den Roemern und
den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und
Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits schien
man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung
der beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf
die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der
parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz
zwischen dem Koenig von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten.
Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese
vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte buesste
spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes fuer den Augenblick
hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes unterliess es im
Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen; aber die
gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen,
die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens
zugesagt; der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662
92). ----------------------------------------------- 6 Ein vor kurzem
in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener Senatsbeschluss vom
Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S.
51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode getroffenen
Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des Vaters
nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet,
sondern damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam.
------------------------------------------------- So hiess es; in der
Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der frueheren Ordnung der
Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als Koenig
Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von Kappadokien,
Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen
Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode
des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III.
Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger
Koenig anerkannt worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als
Kronpraetendent auf und bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar,
dass der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen
Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder
offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass Tigranes nur
handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen
Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch
Mithradates' Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den
benachbarten Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran
zurueckzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes
persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur
Unterstuetzung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular
Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg
erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer
Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten
und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit gewaffneter Hand
Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der roemische
Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte,
und des Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes
und Koenig Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne;
Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter
verschiedenen Vorwaenden, allein er leistete nicht bloss den Roemern
keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Praetendent Sokrates
wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90). Es war eine sonderbare
Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt, gegen die Roemer
in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum offenen
Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht
also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick,
den Kampf zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius
in Bithymen und Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion
auf dem Hoehepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut
machen, gegen Rom sich zu erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr
664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er
so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese
seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der
Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue,
dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art gehoerte und
weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu
fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und
hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl
seiner eigenen Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur
begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger
Erfahrung die damalige roemische Politik kennengelernt hatte. Er wusste
sehr genau, dass die roemische Regierung nichts weniger als kriegslustig
war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder
beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung
an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr
fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht,
in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch
egoistische Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache
und Anlass zur Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied
sorgfaeltig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu
versetzt haette. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla
wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, dass nicht immer
energische Feldherren ihm gegenueberstehen, dass auch er so gut
wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen wuerde. Es muss
zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverstaendig war, obwohl
freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt
es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die Korruption
einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu
verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen
ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber
dies zuzulassen war Aquillius' Absicht nicht, und da er seine Regierung
nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente
er sich dazu des Koenigs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des
roemischen Feldherrn gegeben und ueberdies noch fuer die abgelaufenen
Kriegskosten und die dem Feldherrn persoenlich zugesicherten Summen sein
Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg
zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklaerung erfolgte;
aber selbst als Nikomedes' Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten,
seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrueckten und
die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch
unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die
Grenze zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft
und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung
gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass
er unter allen Umstaenden sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten
habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen
Karthago angewendet; man liess das Schlachtopfer von der roemischen
Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch
Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan
hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat
dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und
Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch
wer unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn
Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch
einmal eine Botschaft an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen,
wozu die Notwehr den Koenig gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung
von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der
roemische Senat noch Koenig Mithradates noch Koenig Nikomedes den Bruch
gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).
Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor
allen Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien
fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das
in Vorderasien einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig
Mithradates, die bewegliche Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen
sollte. Der parthische Koenig, verletzt durch das stolze Verhalten
Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als
Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig bemueht,
sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der
griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen.
Pontische Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten
Ueberrest des freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und
beschworen sie, fuer die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt
im letzten Augenblick einzustehen fuer die Rettung der hellenischen
Nationalitaet; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich,
und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man
hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten
Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die
Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten Vorderasiens.
Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der
Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde
jetzt als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit
furchtbarer Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische
Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung
und Freude die Kunde von den Gaerungen innerhalb der roemischen
Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen, aber doch noch lange nicht
unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes
mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur
wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps
gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren.
Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen
in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische
Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern
das Feld nahm, dass 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See
stachen, scheinen nicht allzu uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der
ueber die zahllosen Steppenbewohner verfuegte. Die Feldherrn, namentlich
die Brueder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige
griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Koenigs fehlte
es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die gold- und
silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder
mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen.
Ein einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese
buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates
war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen,
wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia
einer hoeheren militaerischen Organisation unterlegen waren; immer aber
stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen, waehrend auch in der
westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So
sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates
den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so
uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf
seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben
jetzt herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine
anderen Truppen zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung
unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der
militaerischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge
des Insurrektionskrieges befand, konnte eine roemische Armee im
guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis
dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes
hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen,
wo man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im
vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet
zwischen Amastris und Sinope, weiter rueckwaerts in der bithynischen,
galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter
Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend die
bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren. Mit dem
Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An
einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri),
stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die
bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen
Zahl im ersten Anlauf so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene
Heer sich aufloeste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Haende
fielen. Es waren hauptsaechlich Neoptolemos und Archelaos, denen der
Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurueckstehenden,
noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich
ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo
Mithradates' Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander.
Eine roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte
in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn
wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich
mit seinen wenigen zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen
Maeander, namentlich nach Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise
Pamphylien und schloss in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius
ward im Zurueckweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und
so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager verlor und sich in die
roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war auch diese
ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso der
Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte
Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen
und nichts versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen
Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander
mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr
man, dass in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, dass der gegen
Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen,
gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten roemischen Generale sich
untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl
im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich selber
zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten
auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der
Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten
vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward
ueblich, den Koenig, in dem wie in dem goettlichen Indersieger Asien
und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des
neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm
Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und festlich
gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere
gebunden an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7.
Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine
Macht bekommt, entlud sich ueber den ungluecklichen Urheber des Krieges.
Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt,
bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der
bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich das arme
Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe,
zu saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter
Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn,
der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
adligen Maenner. Von Ephesos aus erliess Koenig Mithradates an alle
von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte den Befehl, an einem und
demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker,
Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters
zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass
hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder,
zur Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden
mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich
vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend
wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit
kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle
Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu
entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
Schergenwillfaehrigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache. Politisch war diese Massregel
nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn der finanzielle liess
auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten
waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht zum
kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem
sie einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie
faehig war, zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht
bloss die Roemer traf, sondern ebensogut des Koenigs natuerliche
Bundesgenossen, die nichtroemischen Italiker. Es ist dieser ephesische
Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden
Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der
Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit erhaelt.
--------------------------------------------------- 7 Die Urheber der
Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fuenfundzwanzig
Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates' Tode
dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab.
--------------------------------------------------- Ueberhaupt ging des
Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber
der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten Sulla
liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete
sich haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters,
Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde
als Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung
uebergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als
pontische Satrapien. Die Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge
wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden
nicht bloss die rueckstaendigen Steuern erlassen, sondern auch
Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine Massregel, die ebenso
verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig dadurch
sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. Freilich fuellte des
Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermesslichen Summen,
die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen;
wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die
Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der
noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen Inseln
waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen
Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das
gesamte Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der
Suedwesten, die Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt
Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen
bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand gluecklich eine schwere
Belagerung, bei welcher Mithradates' tuechtigster Offizier Archelaos
geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien
entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius,
wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Uebermacht
angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des
Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor,
dass rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden
und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die
Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstoert worden
war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie
das gegenueberliegende Festland blieben in den Haenden der Roemer. Aber
nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der
zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast
unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon
den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten
die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit
auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664,
665 (90, 89) ueberrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und
pluenderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, dass damit
noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Praetendenten auf den
makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen.
Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte
sich der Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten
dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm
maechtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen
Erfolgen, den kuehnen Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die
Herrschaft ueber Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und
zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein
Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte
Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische
Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte
der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von
Mithradates' bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer,
wo kaum ein roemisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des
roemischen Handels in diesen Gewaessern, ward besetzt und bei 20000
Menschen, groesstenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euboea
erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren oestlich vom Malfischen
Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum
Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische
Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius
Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit
seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und
besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass
der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier
wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der
nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser
Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks
ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Guenstling
Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glaenzende
Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und ihm mit
Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig
Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon
unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht,
dass die wenigen Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und
ein paar toll gewordene Literaten den Roemern foermlich absagten. So
ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine
pontische Soeldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus
dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen
auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen
Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf nach
Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung
herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae
Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen
Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner
Entscheidung und Sura musste zurueckgehen, als die pontischen
Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich naeherten (Ende 666, Anfang 667
88, 87). So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See,
dass eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte,
einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals
bereits verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck. Die Lage der
roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und
Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See
herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische
Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten
Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum
beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und
furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen
in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten
hervorgerufene fuerchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an
zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier Armeen bedurft,
um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion
voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte
eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem
unzuverlaessigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die
Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie
wir sahen, fuer den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf
vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat, dass in diesem Konflikt
des allgemeinen vaterlaendischen und des besonderen Parteiinteresses
das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine
Entfernung aus Italien fuer seine Verfassung und fuer seine Partei
nach sich zog, dennoch im Fruehling 667 (87) landete an der Kueste von
Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst roemische Oberfeldherrn im Osten
aufzutreten pflegten. Dass sein Heer von fuenf Legionen oder hoechstens
30000 Mann 8 wenig staerker war als eine gewoehnliche Konsulararmee,
war das wenigste. Sonst hatte in den oestlichen Kriegen eine roemische
Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla,
gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Aegaeischen Meeres
wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der
Feldherr eine volle Kasse mit sich gefuehrt und den groessten Teil
seiner Beduerfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit
leeren Haenden - denn die fuer den Feldzug von 666 (88) mit Not
fluessig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich
ausschliesslich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr
seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem
Landesfeind gegenueber seit der Beendigung des Staendekampfes
die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
Mithradates' Feldzeichen fochten namhafte roemische Maenner, grosse
Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Buendnis zu treten, und es
war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das ruehmliche
Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand
halten werde, solange er gegen den asiatischen Koenig focht. Aber der
rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war
nicht gewohnt, vor Erledigung der naechsten Aufgabe um die ferneren
Gefahren sich zu bekuemmern. Da seine an den Koenig gerichteten
Friedensantraege, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des
Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rueckte
er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Haefen bis nach Boeotien
vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
Archelaos und Aristion, und bemaechtigte sich nach diesem Siege fast
ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der
Festung Athen und des Peiraeeus, wohin Aristion und Archelaos sich
geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen misslang.
Eine roemische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien
und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte
vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euboea stehende
feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte
und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die
hellenischen Staedte, wie immer von der naechsten Furcht regiert,
unterwarfen sich den Roemern auf jede Bedingung und waren froh, wenn
sie mit Lieferungen von Vorraeten und Mannschaft und mit Geldbussen
schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen
in Attika vonstatten. Sulla sah sich genoetigt, in aller Form das
schwere Belagerungszeug zu ruesten, wozu die Baeume der Akademie und
des Lykeion das Holz liefern mussten. Archelaos leitete die Verteidigung
ebenso kraeftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft,
schlug also verstaerkt die Angriffe der Roemer mit ueberlegener Macht ab
und machte haeufige und nicht selten glueckliche Ausfaelle. Zwar die zum
Entsatz herbeirueckende pontische Armee des Dromichaetes ward unter
den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer
Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Roemern
geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt
hatten, kam reichliche und regelmaessige Zufuhr zur See, die Sulla nicht
imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die
Vorraete auf die Neige, doch konnte bei der Naehe der beiden Festungen
Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen
zu werfen, die nicht alle misslangen. So verfloss in peinlicher
Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es
erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestuem auf den Peiraeeus; in der
Tat gelang es, durch Geschuetze und Minen einen Teil der gewaltigen
Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die
Roemer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt
ward, fanden sich hinter den eingestuerzten Mauerteilen halbmondfoermige
Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei
Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die
Belagerung auf und begnuegte sich mit einer Blockade. In Athen waren
inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung
versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre
redefertigen Boten zurueck mit dem Bedeuten, dass er nicht als Student,
sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung
annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm
bevorstand, damit zoegerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum
noch verteidigte Stadt erstuermt (1. Maerz 668 86). Aristion warf sich
in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der roemische Feldherr
liess die Soldateska in der eroberten Stadt morden und pluendern und die
angeseheneren Raedelsfuehrer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst
aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das
wichtige Delos zurueck und ward also noch einmal gerettet durch ihre
herrlichen Toten. ----------------------------------------------------
8 Man muss sich erinnern, dass seit dem Bundesgenossenkrieg auf die
Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet
ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.
----------------------------------------------------- Ueber den
Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage
blieb im hoechsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein
Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt
vorwaertsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner
Anstrengungen, waehrend Asien gaenzlich sich selbst ueberlassen, die
Eroberung Makedoniens von Mithradates' Statthaltern kuerzlich durch die
Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich
immer deutlicher - war es nicht bloss unmoeglich, die Verbindungen und
die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
sichern, sondern auch nur den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die
Inseln wiederzugewinnen; und doch liess sich nicht absehen, wie man zu
Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
Sulla einen seiner faehigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius
Licinius Lucullus, in die oestlichen Gewaesser entsandt, um dort
womoeglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von
den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief
Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote
aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten
Schiffen den Feind taeuschend, gelangte er ueber Kreta und Kyrene
nach Alexandreia; allein der aegyptische Hof schlug die Bitte um
Unterstuetzung mit Kriegsschiffen ebenso hoeflich wie entschieden ab.
Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des
roemischen Staats, der einst das Angebot der Koenige von Aegypten,
mit ihrer ganzen Seemacht den Roemern beizustehen, dankbar abzulehnen
vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmaennern
schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedraengnis;
schon hatte Sulla die Schatzhaeuser des Olympischen Zeus, des
Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren muessen, wofuer
die Goetter entschaedigt wurden durch die zur Strasse eingezogene
Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese
militaerische und finanzielle Verlegenheit war der Rueckschlag der
politischen Umwaelzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame
Vollendung die aergsten Befuerchtungen weit hinter sich gelassen
hatte. Die Revolution fuehrte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war
abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen
Konsul Lucius Valerius Flaccus uebertragen worden, den man taeglich in
Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an
Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was liess
sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt
und geaechtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der
Krieg gegen den zaehen seemaechtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!
Koenig Mithradates uebernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen
Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem
seiner Generale missbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind
foerdersamst zu ueberwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes
aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu
bekaempfen; nur der ploetzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am
Tisaeischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals
rueckgaengig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86),
das in Thessalien stehende roemische Korps vor sich hertreibend, mit
einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern an
den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichaetes. Auch Archelaos
raeumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch
Befehle seines Herrn - den Peiraeeus erst teilweise, sodann ganz und
stiess in Boeotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der
Peiraeeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl
zerstoert worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung,
vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu koennen.
Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die
See und die Kuesten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst
unter Dareios und Antiochos, so stuerzten auch jetzt die Massen der
Orientalen, wie geaengstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und
blindlings in den Kampf; und toerichter als je war dies hier angewandt,
wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate haetten warten duerfen, um
bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben.
In der Ebene des Kephissos unweit Chaeroneia im Maerz 668 (86) trafen
die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluss der aus Thessalien
zurueckgedraengten Abteilung, der es geglueckt war, ihre Verbindung mit
der roemischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluss der
griechischen Kontingente fand sich das roemische Heer einem dreifach
staerkeren Feind gegenueber und namentlich einer weit ueberlegenen und
bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefaehrlichen Reiterei,
gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Graeben zu decken noetig
fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen
zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen
liess. Als die Streitwagen den Kampf zu eroeffnen heranrollten, zog sich
das erste Treffen der Roemer hinter diese Pfahlreihe zurueck; die Wagen,
an ihr abprallend und gescheucht durch die roemischen Schleuderer und
Schuetzen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung
sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
Fluechtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken
herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein
Fussvolk wieder zu ordnen; sie griff mit grossem Feuer an und durchbrach
die roemischen Reihen; allein die roemische Infanterie formierte sich
rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie
anstuermenden Reitern mutig stand. Inzwischen fuehrte Sulla selbst
auf dem rechten Fluegel seine Reiterei in die entbloesste Flanke des
Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum
Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die
Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des roemischen Fussvolks, das
durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft
bekam, entschied den Sieg. Die Schliessung der Lagertore, die Archelaos
anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, dass das Blutbad um
so groesser ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Roemer
mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwoelften. Mann soll
Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den
Euripos; den schmalen Meeresarm zu ueberschreiten war er nicht imstande.
Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfuegig, was
wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der roemische Sieger sich
genoetigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunaechst vor seinen
Landsleuten sich zu schuetzen. Die See war noch immer ausschliesslich
bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich
vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von
Chaeroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte
einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen
in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet,
nicht ohne unterwegs durch Stuerme und durch die im Adriatischen Meer
kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben;
bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunaechst musste
Sulla sich wenden. Bei Melitaea am noerdlichen Abhang des Othrysgebirges
lagerten beide roemischen Heere sich gegenueber; ein Zusammenstoss
schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte
sich zu ueberzeugen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt war
ihren siegreichen Fuehrer an den gaenzlich unbekannten demokratischen
Oberfeldherrn zu verraten, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing,
in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er
in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um
durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch
Ueberwaeltigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen.
Dass Sulla den schwaecheren Gegner ungehindert abziehen liess und, statt
ihm zu folgen, vielmehr zurueck nach Athen ging, wo er den Winter
668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militaerisch betrachtet
auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politische
Beweggruende ihn leiteten und er gemaessigt und Patriotisch genug
dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun
hatte, gern einen Sieg ueber die Landsleute zu vermeiden und die
ertraeglichste Loesung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn
die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem
gemeinschaftlichen Feinde stritt. Mit dem Fruehling 669 (85) gab es
in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine
Ruestungen unermuedlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chaeroneia
aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos
nach Euboea gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den
Ueberbleibseln der Armee des Archelaos ueber den Euripos nach Boeotien
gegangen. Der pontische Koenig, der in den Siegen ueber die
bithynische und die kappadokische Miliz den Massstab fand fuer die
Leistungsfaehigkeit seiner Armee, begriff die unguenstige Wendung
nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon fluesterten die Kreise der
Hoeflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben,
mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun
unfehlbar die Roemer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah,
wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der
Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Roemer und die
Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf
sich ungestuem auf das roemische Fussvolk, das zu schwanken und zu
weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen
ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind
vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie
frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen haetten, so moechten sie
antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und
ueberwaeltigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit
leichter Muehe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der
Asiaten umstellt und erstuermt; der weitaus groesste Teil derselben
fiel oder kam in den Kopaischen Suempfen um; nur wenige, unter ihnen
Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten
den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu
buessen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege:
Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig
geraeumt, ueberhaupt das europaeische Festland von den Feinden
gesaeubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla
Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Fruehjahr 670 (84) 9 den
asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in
den thessalischen Haefen Schiffe zu bauen.
----------------------------------------- 9 Die Chronologie dieser
Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten ueberhaupt, in einem Dunkel, das
die Forschung hoechstens bis zur Daemmerung zu zerstreuen vermag. Dass
die Schlacht von Chaeroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die
Erstuermung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im Maerz
668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Dass die darauf folgende
thessalische und die zweite boeotische Kampagne nicht bloss den Rest
des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch
nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass
Sullas Unternehmungen in Asien nicht genuegen, um mehr als einen Feldzug
auszufuellen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, dass Sulla fuer
den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurueckging und hier die
Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von
Orchomenos erzaehlt wird. Darum ist der Uebergang Sullas nach
Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
-------------------------------------------- Inzwischen hatten auch die
kleinasiatischen Verhaeltnisse sich wesentlich geaendert. Wenn Koenig
Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er
mit Foerderung der staedtischen Unabhaengigkeit und mit Steuererlassen
seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur
zu rasch und nur zu bitter die Enttaeuschung gefolgt. Sehr bald war er
in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei
der roemischen Voegte weit ueberbietende Zwingherrschaft zu ueben
begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung
trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln.
Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die
Selbstaendigkeit, den Insassen das Buergerrecht, den Schuldnern vollen
Schuldenerlass, den Besitzlosen Aecker, den Sklaven die Freiheit; an
15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos.
Die fuerchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab
erfolgenden Umwaelzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten
Kaufstaedte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den
Voegten des Koenigs die Tore oder brachten sie um und erklaerten sich
fuer Rom ^10. Dagegen liess der koenigliche Vogt Diodoros, ein namhafter
Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar
zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten
Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung
zu Rom verdaechtig schienen, wurden zunaechst um 2000 Talente (3150000
Taler) gebuesst und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in
Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen
Sklaven, an die kolchische Kueste deportiert, waehrend ihre Insel mit
pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Haeuptlinge der kleinasiatischen
Kelten befahl der Koenig saemtlich an einem Tage mit ihren Weibern
und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu
verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an
Mithradates' eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt,
allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer
kraeftigen Staemme und schlugen den Statthalter des Koenigs, Eumachos,
aus ihren Grenzen hinaus. Dass diesen Koenig die Dolche der Moerder
verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in
solche Komplotte verwickelt von den koeniglichen Untersuchungsgerichten
zum Tode verurteilt. -----------------------------------------------
^10 Es ist kuerzlich (Waddington, Zusaetze zu Lebas, 3, 136a) der
desfaellige Beschluss der Buergerschaft von Ephesos aufgefunden worden.
Sie seien, erklaeren die Buerger, in die Gewalt des "Koenigs von
Kappadokien" Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner
Streitkraefte und die Ploetzlichkeit seines Angriffs; wie aber die
Gelegenheit dazu sich darbiete, erklaerten sie "fuer die Herrschaft
(/e/gemonia) der Roemer und die gemeine Freiheit" ihm den Krieg.
---------------------------------------------- Wenn also der Koenig
durch dies selbstmoerderische Wueten seine derzeitigen Untertanen gegen
sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Roemer auch in
Asien, ihn zur See und zu Lande zu draengen. Lucullus hatte, nachdem
der Versuch, die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzufuehren,
gescheitert war, sein Bemuehen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen,
in den syrischen Seestaedten mit besserem Erfolg wiederholt und seine
werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Haefen
verstaerkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff ueberzugehen.
Gewandt vermied er es, mit ueberlegenen Streitkraeften sich zu messen
und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und
Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios
den Feinden entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee
durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge
passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den
Feldherrn eine Militaerinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten
die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der hoechsten
Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwoertlich
geworden war fuer den rechten Poebelredner, Gaius Flavius Fimbria,
welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das
auf dem Markt begonnene Demagogengeschaeft ins Lager uebertrug. Flaccus
ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit
Kalchedon getoetet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten
Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah: in dem
befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Buergerschaft befohlen,
ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum
warnenden Exempel zwei der angesehensten Buerger sogleich vorlaeufig
hingerichtet. Allein militaerisch war der Wechsel des Oberbefehls
dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfaehiger
General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos
westlich von Brussa) schlug er den juengeren Mithradates, der
als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war,
vollstaendig in einem naechtlichen Ueberfall und oeffnete sich durch
diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der roemischen Provinz,
jetzt des pontischen Koenigs, Pergamon, von wo er den Koenig vertrieb
und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um
dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte
in diesen Gewaessern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm
die Gefangennehmung des Koenigs moeglich zu machen. Aber der Optimat
war maechtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der
Koenig entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates' Lage bedraengt
genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien
gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem roemischen Heer
eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Naehe bedroht.
Die roemische Flotte unter Lucullus hatte an der Kueste der troischen
Landschaft in zwei gluecklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und
bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die
inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an
sich und verbuergte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem
Feldherrn der roemischen Senatsarmee fuer das naechste Fruehjahr den
sicheren und bequemen Uebergang nach Asien. Mithradates versuchte zu
unterhandeln. Unter anderen Verhaeltnissen zwar haette der Urheber des
ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen duerfen, zum Frieden
mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der
roemischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates
ausgesandten Feldherrn in die Acht erklaert hatte und daheim gegen seine
Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wuetete, wo ein roemischer
General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind
standen, hoffte er nicht bloss einen Frieden, sondern einen guenstigen
Frieden erlangen zu koennen. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an
Fimbria zu wenden; mit beiden liess er unterhandeln, doch scheint seine
Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschliessen,
der wenigstens in dem Horizont des Koenigs als seinem Nebenbuhler
entschieden ueberlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach
Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den Koenig abzutreten und
dafuer die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu
gewaertigen. Aber Sulla, kuehl und klar wie immer, wuenschte zwar wegen
der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der
asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen
Allianz fuer den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an
und war ueberhaupt viel zu sehr Roemer, um in eine so entehrende und so
nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die
im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der boeotischen Kueste, Euboea
gegenueber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen
Fussbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten roemischen Sitte, die
vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern,
aus gutem Grunde getreu, ueber die frueher gestellten Bedingungen nicht
hinaus. Er forderte die Rueckgabe aller von dem Koenig gemachten und ihm
noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens,
Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der
Gefangenen und Ueberlaeufer, die Uebergabe der achtzig Kriegsschiffe des
Archelaos zur Verstaerkung der immer noch geringen roemischen Flotte,
endlich Sold und Verpflegung fuer das Heer und Ersatz der Kriegskosten
mit der sehr maessigen Summe von 3000 Talenten (4_ Mill. Taler). Die
nach dem Schwarzen Meer weggefuehrten Chier sollten heimgesandt,
den roemisch gesinnten Makedoniern ihre weggefuehrten Familien
zurueckgegeben, den mit Rom verbuendeten Staedten eine Anzahl
Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen
gleichfalls mit in den Frieden haette eingeschlossen werden sollen,
schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine
Beiziehung machen musste, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war.
Der Besitzstand also, den der Koenig vor dem Kriege gehabt hatte, blieb
ihm und es ward ihm keine ehrenkraenkende Demuetigung angesonnen ^11.
Archelaos, deutlich erkennend, dass verhaeltnismaessig unerwartet viel
erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloss auf diese Bedingungen
die Praeliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus
den Plaetzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein
Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, dass die Roemer
auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien
einraeumen wollten; indem er zugleich geltend machte, dass Fimbria ihm
weit guenstigere Bedingungen zu gewaehren bereit sei. Sulla, beleidigt
durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen
Abenteurers und bei dem aeussersten Mass der Nachgiebigkeit bereits
angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit
benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Maeder
zu zuechtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich
Asien naeherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen,
um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien
stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont.
Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die
widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreissen; wofuer er
spaeter am koeniglichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens
scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so dass einige Zeit
nachher er sich genoetigt sah, das Land zu raeumen und zu den Roemern zu
fluechten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren ueberhaeuften.
Auch die roemischen Soldaten murrten; dass die gehoffte asiatische
Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der
an sich wohl gerechtfertigte Unwille, dass man den Barbarenfuersten,
der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und ueber Italien und Asien
unsaegliches Elend gebracht hatte, mit dem groessten Teil der in Asien
zusammengepluenderten Schaetze ungestraft abziehen liess in seine
Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, dass die
politischen Verwicklungen seine militaerisch so einfache Aufgabe in
peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen
sich mit einem solchen Frieden zu begnuegen. Indes zeigt sich die
Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg
gefuehrt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluss; denn der Krieg
gegen einen Fuersten, dem fast die ganze Kueste des Schwarzen Meeres
gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich
offenbarten, nahm selbst im guenstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die
Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon fuer Sulla zu spaet
schien, um mit den wenigen Legionen, die er besass, der dort regierenden
Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es
schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der
in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe
nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu
unterdruecken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu
Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von
der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach
Asien ging weiter. Der Koenig, hiess es, wuensche persoenlich mit
dem roemischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu
vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand,
um das Heer nach Asien ueberzufuehren und dort mit Fimbria ein Ende zu
machen. So ueberschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von
Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in
Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und muendlich den
Vertrag abgeschlossen hatte, liess er den Marsch fortsetzen, bis er
bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an
demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl,
Zucht, Fuehrung und Tuechtigkeit den Fimbrianern weit ueberlegen, sahen
mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren
unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern
wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten
die Soldaten sich, gegen ihre Mitbuerger zu fechten, ja sogar den
geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Haende
abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria
erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnuegte sich,
ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persoenliche Rettung
zu eroeffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme;
statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren
zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in
sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben
sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige
Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas.
----------------------------------------------- ^11 Die Angabe, dass
Mithradates den Staedten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden
Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem
Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt
auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des
Friedensvertrages ward versaeumt, was spaeter zu vielen Entstellungen
benutzt ward. ^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten
Mithradatischen Krieg. Koenig Ardasches von Armenien, berichtet Moses
von Khorene, begnuegte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im
Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den
Partherkoenig Arschagan, ihm die hoechste Gewalt abzutreten, worauf
er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Muenzen mit eigenem
Bildnis schlagen liess und den Arschagan zum Unterkoenig Persiens,
seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkoenig Armeniens bestellte, seine
Tochter Ardaschama aber vermaehlte mit dem Grossfuersten der Iberer
Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und
Statthalters Alexanders ueber die besiegten Iberer, abstammte und in den
noerdlichen Bergen sowie ueber das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm
darauf den Koenig der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland
zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging ueber das Meer
mit unzaehligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals
Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine
Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner
Leute. Nach Ardasches' Tode rueckte sein Nachfolger Dicran gegen die
Armee der Griechen (d. i. der Roemer), die jetzt ihrerseits in das
armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel,
uebergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag
(Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen
Streitmacht und kehrte zurueck nach Armenien. Viele Jahre spaeter zeigte
man noch in den armenischen Staedten Statuen griechischer Goetter von
bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. Man erkennt hier
verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne
Muehe wieder, aber die ganze Erzaehlung ist augenscheinlich
durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusaetzen ausgestattet und
namentlich durch patriotische Faelschung auf Armenien uebertragen. Ganz
ebenso wird spaeter der Sieg ueber Crassus den Armeniern beigelegt.
Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so groesserer Vorsicht
aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils
die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des
fuenften Jahrhunderts gelaeufiger Quellen darin mit den armenischen
Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des
Moses dafuer ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
okzidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
orientalischen in diesem und in aehnlichen Faellen, wie zum Beispiel der
unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin fuehren,
sie noch staerker zu trueben.
--------------------------------------------------- Sulla beschloss,
diese beiden Legionen, denen er fuer den bevorstehenden Krieg doch nicht
traute, in Asien zurueckzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange
in den einzelnen Staedten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando
ueber dieses Korps und die Statthalterschaft im roemischen Asien
uebergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die
revolutionaeren Massregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven
und die Kassation der Forderungen, wurden natuerlich aufgehoben; eine
Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt
durchgesetzt werden konnte. Die Staedte des oestlichen Grenzgebiets
unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit
dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner
Gerechtigkeit geuebt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten
Anhaenger Mithradats und die Urheber der an den Italikern veruebten
Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mussten die
saemtlichen von den letzten fuenf Jahren her rueckstaendigen Zehnten und
Zoelle sofort nach Abschaetzung bar erlegen; ausserdem hatten sie eine
Kriegsentschaedigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten,
zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurueckblieb. Es waren die
Massregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man
sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so
fuehlt man sich geneigt, dieselben als eine verhaeltnismaessig noch
gelinde Vergeltung zu betrachten. Dass die sonstigen Erpressungen nicht
ungewoehnlich drueckend waren, beweist der Betrag der spaeter im Triumph
aufgefuehrten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler
belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die
Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Maeander wurden reich
belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen
Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurueck. Desgleichen wurden die Chier
fuer die ausgestandene Not, die Ilienser fuer die wahnsinnig grausame
Misshandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknuepften
Verhandlungen zugefuegt hatte, nach Moeglichkeit durch Freibriefe und
Verguenstigungen entschaedigt. Die Koenige von Bithynien und Kappadokien
hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen Koenig zusammengefuehrt
und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei
freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von
koeniglichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn
nannte, persoenlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward
beauftragt, in den beiden von Mithradates geraeumten Reichen die
Wiederherstellung der gesetzlichen Zustaende zu ueberwachen. So war
man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische Koenig wieder ein
Klient der Roemer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein
einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des
Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genuege, doch zur Notdurft
befriedigt. Sulla hatte nicht bloss als Soldat und Feldherr glaenzend
sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstrasse zwischen kuehnem
Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen
durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er
gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkraeften, die der erste Sieg ihm
gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken.
Nachdem er seine Soldaten durch die ueppigen Winterquartiere in dem
reichen Vorderasien einigermassen fuer ihre ausgestandenen Strapazen
entschaedigt hatte, ging er im Fruehjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von
Ephesos nach dem Peiraeeus und von da auf dem Landweg nach Patrae, wo
die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu
fuehren. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat ueber seine Feldzuege
in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts
zu wissen schien; es war die stumme Ankuendigung der bevorstehenden
Restauration. 9. Kapitel Cinna und Sulla Die gespannten und unklaren
Verhaeltnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im
Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurueckliess, sind frueher dargelegt
worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem
mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen
Generals, die Verwirrung und die vielfach taetige Intrige in der
Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz
oder wegen seiner Maessigung vielfaeltige Missvergnuegte gemacht. Die
Kapitalisten, von den Schlaegen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch
erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen
des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des
Asiatischen Krieges, die sie nicht verhuetet hatte. Die Insurgenten,
soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloss den Verlust
ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der
herrschenden Buergerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten
Vertraege und ihre neue voellig rechtlose Untertanenstellung. Die
Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit
den ihnen gemachten halben Zugestaendnissen und die Neubuerger und
Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze.
Der Stadtpoebel litt unter der allgemeinen Bedraengnis und fand
es unerlaubt, dass das Saebelregiment sich die verfassungsmaessige
Knuettelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen.
Der hauptstaedtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwaelzung
Geaechteten, der infolge der ungemeinen Maessigung Sullas sehr zahlreich
geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur
Rueckkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
sparten fuer diesen Zweck keine Muehe und kein Geld. Keine dieser
Verstimmungen war eigentlich von der Art, dass sie einen neuen
gewaltsamen Zusammenstoss der Parteien in nahe Aussicht stellte;
groesstenteils waren sie zielloser und voruebergehender Art: aber sie
alle naehrten das allgemeine Missbehagen und hatten schon mehr oder
minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten
Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der
Konsul- und Tribunenwahlen fuer 667 (87). Der Name des Mannes, den die
Missvergnuegten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius
Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser insofern er
als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; ueber die
Persoenlichkeit desselben und seine urspruenglichen Absichten sind wir
weniger unterrichtet als ueber die irgendeines andern Parteifuehrers
in der roemischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine
andere, als dass dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus
geleitete Gesell weitergehende politische Plaene von Haus aus gar nicht
gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen
ein tuechtiges Stueck Geld sich den Neubuergern und der Koterie des
Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich
aus; waere sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger
charakteristisch, dass ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen
Saturninus und Sulpicius geaeussert worden war, an Cinna haftete. In der
Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein
der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggruende wie der Ziele. Sie ging
nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnuegter
ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rueckhalt, die
hauptsaechlich die Rueckberufung der Verbannten in gesetzlicher oder
ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint
in die Verschwoerung nur nachtraeglich und nur deshalb hineingezogen zu
sein, weil die Intrige, die infolge der Beschraenkung der tribunizischen
Gewalt zur Vorbringung ihrer Antraege einen Konsul brauchte, unter den
Konsularkandidaten fuer 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug
ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie
erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige faehigere Koepfe,
so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stuermische
Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
Sertorius, einer der talentvollsten roemischen Offiziere und in jeder
Hinsicht ein vorzueglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das
Volkstribunat mit Sulla persoenlich verfeindet und durch diesen Hader in
die Reihen der Missvergnuegten gefuehrt worden war, wohin er seiner Art
nach keineswegs gehoerte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der
Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
einzulassen. Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbuendeten
aus guten Gruenden sich still. Als indes der gefuerchtete Prokonsul,
nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand
der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna,
unterstuetzt von der Majoritaet des Tribunenkollegiums, sofort die
Gesetzentwuerfe vor, wodurch man uebereingekommen war, gegen die
Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie
enthielten die politische Gleichstellung der Neubuerger und
der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die
Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geaechteten
in den vorigen Stand. In Masse stroemten die Neubuerger nach der
Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner
einzuschuechtern und noetigenfalls zu zwingen. Aber auch die
Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul
gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen
Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung grossenteils
bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten
Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbuehne selbst die
Schwerter gezueckt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttaeter
Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Maenner saeuberten nicht
bloss die Heilige Strasse und den Marktplatz, sondern wueteten auch, der
Befehle ihres milder gesinnten Fuehrers nicht achtend, in grauenhafter
Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an
diesem "Octaviustag", wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
schaetzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich
durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war
ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb
den Fuehrern der Bewegung nichts uebrig, als zu fluechten. Weiter gegen
die Haeupter der Verschwoerung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren
gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr
loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, dass die Verbannung des
Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande
Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemaessheit zwar nicht
der Verfassung, aber wohl dieses gluecklich von den Orakelbewahrern
aufgefangenen Goetterratschlags wurde durch Beschluss des Senats der
Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius
Cornelius Merula gewaehlt und gegen die fluechtigen Haeupter die Acht
ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, dass
die Zahl der ausgetretenen Maenner in Numidien um einige Koepfe sich
vermehrte. Ohne Zweifel waere auch bei der Bewegung nichts weiter
herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewoehnlichen
Schlaffheit es unterlassen haette, die Fluechtlinge rasch wenigstens zur
Raeumung Italiens zu noetigen, teils diese in der Lage gewesen waeren,
zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubuerger
gewissermassen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert
erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden
Neubuergergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten
ueberall zur Durchfuehrung der gemeinschaftlichen Sache Geld und
Mannschaft. So unterstuetzt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee
von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionaer
gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende
Persoenlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der fluechtigen
Beamten, die ueberdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius,
aus den letzten Feldzuegen in gutem Andenken bei den Soldaten standen,
machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen
Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveraenen Volkes
wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des
Konsuls oder vielmehr der Neubuerger den Verfassungsbruch deutlich. Das
kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm
Mann fuer Mann den Eid der Treue; es ward der Kern fuer die von
den Neubuergern und selbst den bundesgenoessischen Gemeinden
herbeistroemenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens
aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu.
Andere Schwaerme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren
die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Kueste
gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, groesstenteils
Sklaven der Fluechtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius
Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstaedtischen Gesindel hatte
Gemeinschaft machen wollen, liess jetzt die Zwinghaeuser erbrechen, in
denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit
einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit
zu erfechten, wurden nicht verschmaeht. Durch diese Mannschaft und
die Zuzuege der Neubuerger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang
herbeistroemenden landfluechtigen Leute verstaerkt, zaehlte er bald 6000
Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die
sich vor die Tibermuendung legten und auf die nach Rom segelnden
Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem "Konsul"
Cinna zur Verfuegung. Die Fuehrer der kampanischen Armee schwankten;
die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der
allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die
Spitze der Bewegung gefuehrt werden musste und doch notorisch ebenso
jedes staatsmaennischen Handelns unfaehig wie von wahnsinnigem
Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten
nicht und bestaetigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See
mit prokonsularischer Gewalt. So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt
zusammen, und es konnte nicht laenger verschoben werden, zu ihrem Schutz
die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkraefte des
Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten;
Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er
erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner
starken und krieggewohnten Armee waere er wohl imstande gewesen, die
noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und voellig zu vernichten; allein
dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr liess er es
geschehen, dass Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna
mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer
dem Ianiculum gegenueber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenueber
gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmaehlich auf
drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von
Kriegsschiffen, besetzte einen Kuestenplatz nach dem andern, bis zuletzt
sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel
der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem
Feldherrn zu Mord und Pluenderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt
schwebte, schon durch die blosse Hemmung des Verkehrs, in
grosser Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in
Verteidigungszustand gesetzt und das Buergeraufgebot auf das Ianiculum
befehligt. Strabos Untaetigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen
gleichmaessig Befremden und Entruestung. Der Verdacht, dass er mit Cinna
insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegruendet;
ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und
die Unterstuetzung, die er dem Konsul Octavius gewaehrte, als Marius
durch Einverstaendnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das
Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die
Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es,
dass er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenfuehrern
anzuschliessen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine
Absicht gewesen zu sein, der geaengsteten hauptstaedtischen Regierung
und Buergerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis
des Konsulats fuer das naechste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des
Regiments selber in die Haende zu bekommen. Der Senat war indes nicht
geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme
zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den saemtlichen, an
dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die
die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Buendnis eingebuesst
hatten, wurde durch Senatsbeschluss nachtraeglich das Buergerrecht
verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen,
dass Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines
grossen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt
hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar
tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was
in dem Bundesgenossenkrieg um so fuerchterlich teuren Preis errungen
worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese
Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen
betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als hoechstens zehntausend Mann.
Wichtiger noch waere es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu
einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlaessigen
Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu koennen. Allein die
Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten:
Rueckgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen
und Ueberlaeufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Roemern
entrissene Beute; Bewilligung des Buergerrechts an die Samniten selbst
sowie an die zu ihnen uebergetretenen Roemer. Der Senat verwarf selbst
in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch
den Metellus an, mit Zuruecklassung einer kleinen Abteilung alle im
suedlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach
Rom zu fuehren. Er gehorchte; aber die Folge war, dass die Samniten den
gegen sie zurueckgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem
schwachen Haufen angriffen und schlugen, dass die nolanische Besatzung
ausrueckte und die benachbarte, mit Rom verbuendete Stadt Abella
in Brand steckte; dass ferner Cinna und Marius den Samniten alles
bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an roemischer Ehre!
-und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstaerkte.
Ein empfindlicher Verlust war es auch, dass nach einem fuer die
Regierungstruppen ungluecklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten
besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal,
von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward.
Mangel und Hunger stellten sich ein. Die grosse volkreiche, stark mit
Truppen besetzte Stadt war nur ungenuegend mit Vorraeten versehen; und
namentlich Marius liess es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr
und mehr abzuschneiden. Schon frueher hatte er den Tiber durch eine
Schiffbruecke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von
Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen
Landverbindungswege in seine Gewalt und kuehlte zugleich vorlaeufig
seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die
gesamte Buergerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm
verraten hatten, ueber die Klinge springen liess. Ansteckende
Krankheiten waren die Folge der Not und raeumten in den dicht um die
Hauptstadt zusammengedraengten Heermassen fuerchterlich auf von Strabos
Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann
denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und
ein glueckliches Ereignis fuer sie war Strabos ploetzlicher Tod. Er
starb an der Pest 3; die aus vielen Gruenden gegen ihn erbitterten
Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch
die Strassen. Was von seinen Truppen uebrig war, vereinigte der Konsul
Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus' Eintreffen und Strabos
Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens
gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe
sich stellen. Allein die Gemueter der Regierungssoldaten waren tief
erschuettert; als Cinna ihnen gegenueber erschien, empfingen sie ihn
mit Zuruf, als waere er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand
es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die
Truppen in das Lager zurueckzufuehren. Die Optimaten selbst wurden
unsicher und unter sich uneins. Waehrend eine Partei, an ihrer Spitze
der ehrenwerte, aber stoerrige und kurzsichtige Konsul Octavius,
sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der
kriegskundigere und verstaendigere Metellus einen Vergleich zustande zu
bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwaechling, Metellus dem
Octavius ein Verraeter. Die Soldaten, ohnehin verstoert und nicht
ohne Ursache der Fuehrung des unerprobten Octavius misstrauend, sannen
Metellus an, den Oberbefehl zu uebernehmen, und begannen, da dieser
sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu
desertieren. Die Stimmung der Buergerschaft wurde taeglich gedrueckter
und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den ueberlaufenden
Sklaven die Freiheit zugesichert sei, stroemten dieselben scharenweise
aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, dass
der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten wuerden, die Freiheit
zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung
konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war und dass nichts
uebrig blieb, als mit den Fuehrern der Bande womoeglich ein Abkommen
zu treffen, wie der ueberwaeltigte Wanderer es trifft mit dem
Raeuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie toerichterweise
Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna waehrend
dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so
griff das Ueberlaufen so sehr um sich, dass es nicht mehr moeglich war,
irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach
dem in die Acht erklaerten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
hinzufuegte, des Blutvergiessens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu,
aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekraeftigen; Marius,
ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem
Schweigen. ------------------------------------ ^1 Die ganze folgende
Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des
Licinianus, der eine Anzahl frueher unbekannter Tatsachen mitteilt und
vor allem die Folge und Verknuepfung dieser Vorgaenge deutlicher, als
bisher moeglich war, erkennen laesst. 2 3, 258. Dass eine Bestaetigung
durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27
hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist
des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlaengern, was ihm
nach Herkommen freistand und tatsaechlich hinauslief auf Erteilung
des Buergerrechts an alle Italiker. 3 Adflatus sidere wie Livius (nach
Obsequens 56) sagt, heisst "von der Pest ergriffen" (Petr. 2; Plin.
nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht "vom Blitz getroffen", wie
die Spaeteren es missverstanden haben.
------------------------------------------------- Die Tore der
Hauptstadt oeffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber
Marius, spoettisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt
zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten
sich die Buerger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluss zu fassen.
So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen,
nicht einzelne Opfer auszuwaehlen, sondern die namhaften Maenner
der Optimatenpartei saemtlich niedermachen zu lassen und ihre Gueter
einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fuenf Tage und fuenf Naechte
waehrte unausgesetzt die Schlaechterei; einzelne Entkommene oder
Vergessene wurden auch nachher noch taeglich erschlagen und monatelang
ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das
erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den
Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugestaendnis zu
machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen
Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Moerders, der nicht lange
saeumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte
Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den
Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und
Dichter und als liebenswuerdiger Gesellschafter; Marcus Antonius
(Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der
erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im
Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch waehrend der Belagerung
Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: ueberhaupt eine Menge der
angesehensten Maenner der Regierungspartei, unter denen von den gierigen
Haeschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden.
Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider
seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich
angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen
Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern oeffnete und am Altar
des Hoechsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der
priesterlichen Kopfbinde, wie es die religioese Pflicht des sterbenden
Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem
herrlichsten Sieg und Triumph der Gefaehrte desselben Marius, der jetzt
fuer die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort
hatte als den einsilbigen Bescheid: "Er muss sterben!" Der Urheber all
dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker
- nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform
beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er
die Begruessenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt
ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er
verbot, die Leichen zu bestatten; er liess - worin freilich Sulla
ihm vorangegangen war - die Koepfe der getoeteten Senatoren an die
Rednerbuehne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen liess er
ueber den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstaette
des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal
durchbohren; er umarmte oeffentlich den Menschen, der ihm, waehrend er
bei Tafel sass, den Kopf des Antonius ueberreichte, den selber in seinem
Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte
abgehalten werden koennen. Hauptsaechlich seine Sklavenlegionen,
namentlich eine Abteilung Ardyaeer, dienten ihm als Schergen und
versaeumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die
Haeuser ihrer ehemaligen Herren zu pluendern und was ihnen darin vorkam,
zu schaenden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung
ueber dieses wahnsinnige Wueten; Sertorius beschwor den Konsul,
demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken.
Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht;
man stuerzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es
war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er waehlte den Marius
vielmehr fuer das naechste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
Schreckensregiment terrorisierte die gemaessigteren Sieger nicht viel
weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht
unzufrieden damit, dass eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen
Oligarchen einmal gruendlich zu demuetigen, und zugleich infolge der
umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute
an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich
den Beinamen der "Einsaeckler". Dem Urheber dieses Terrorismus, dem
alten Gaius Marius, hatte also das Verhaengnis seine beiden hoechsten
Wuensche gewaehrt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen
Meute, die ihm seine Siege vergaellt, seine Niederlagen vergiftet hatte;
er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten koennen. Er
trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des
siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er
seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er
wuenschte, hatten die Goetter ihm gewaehrt; aber auch jetzt noch, wie
in der alten Sagenzeit, uebten sie die verhaengnisvolle Ironie, den
Menschen zu verderben durch die Erfuellung seiner Wuensche. In seinen
ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespoett seiner Mitbuerger,
stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit
dem Hass der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tuechtige,
kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer
ruchlosen Raeuberbande. Er selbst schien es zu fuehlen. Wie im Taumel
vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt
die Ruhe, so dass er zum Becher griff, um nur sich zu betaeuben. Ein
hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentaegigem Krankenlager, in dessen
wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten
schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er
eine Leiche. Er starb, ueber siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen,
was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis
ist mannigfaltig und suehnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa
keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode
des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde
von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? Auch nach seinem Tode zwar
kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten;
so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den
Marianischen Schlaechtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei
dem Leichenbegaengnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein
verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus
Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von
der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie
er scherzhaft sich ausdrueckte, dass er sich nicht habe wollen ermorden
lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorueber. Unter dem
Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen
zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlaessigen keltischen Truppen
und liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, saemtlich
niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis
gekommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nacheinander (667-670
87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch
regelmaessig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es
war, als ob diese Demokraten die souveraene Volksversammlung mit
absichtlicher Geringschaetzung beiseite schoeben. Kein anderes Haupt der
Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt
in Italien wie in dem groessten Teil der Provinzen so lange Zeit
hindurch fast ungestoert besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu
nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen waere.
Man nahm natuerlich das von Sulpicius und spaeter von Cinna selbst
beantragte, den Neubuergern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht
mit den Altbuergern zusichernde Gesetz wieder auf und liess dasselbe
durch einen Senatsbeschluss foermlich als zu Recht bestehend bestaetigen
(670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemaess saemtliche
Italiker in die fuenfunddreissig Buergerbezirke zu verteilen - eine
seltsame Fuegung dabei war es, dass infolge des Mangels von faehigen
Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91)
hauptsaechlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu
verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als
Zensor in die Buergerrollen einzuschreiben. Man stiess natuerlich die
von Sulla im Jahre 666 (88) begruendeten reaktionaeren Institutionen
um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefaellig zu erweisen -
so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingefuehrten
Beschraenkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so
wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von
Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegruendung in Capua im Fruehjahr 671
(83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlasste Lucius Valerius Flaccus
der Juengere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten
Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der
Schuldner kassierte. Diese Massregeln aber, die einzigen konstitutiven
waehrend des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme
vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das
Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein
verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste
den Poebel und verletzte ihn zugleich in hoechst unnoetiger Weise durch
zwecklose Missachtung der verfassungsmaessigen Wahlordnung. Man konnte
an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schaedigte sie aufs
empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stuetze des
Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubuerger; man liess
sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame
Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt roemische
Buerger waren, aber offenbar tatsaechlich ihre landschaftliche
Unabhaengigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes
betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen
blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber
nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung
zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so dass
dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus
den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, dass der neue Herr sich
auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten koenne, wie es legitime
Nullkoenige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen,
sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, dass er
blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespuelt hatte, bis eine
zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? Dieselbe Verbindung
der gewaltigsten Machtfuelle mit der vollstaendigsten Impotenz und
Inkapazitaet der Machthaber zeigte die Kriegfuehrung der revolutionaeren
Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunaechst ihre Existenz
hing. In Italien gebot sie unumschraenkt. Unter den Altbuergern war
ein sehr grosser Teil grundsaetzlich demokratisch gesinnt; die noch
groessere Masse der ruhigen Leute missbilligte zwar die Marianischen
Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als
die Eroeffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten
Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation
insgesamt war verhaeltnismaessig gering gewesen, da sie vorwiegend
doch nur die hauptstaedtische Aristokratie betroffen hatten, und
ward ueberdies einigermassen ausgeloescht durch das darauffolgende
dreijaehrige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubuerger
endlich, vielleicht drei Fuenftel der Italiker, stand entschieden wo
nicht fuer die gegenwaertige Regierung, doch gegen die Oligarchie.
Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien,
Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus
Metellus, der den Moerdern gluecklich entkommen war, einen Versuch,
diese Provinz fuer die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus
Spanien Marcus Crassus, der juengste Sohn des in dem Marianischen
Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstaerkte ihn durch einen
in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich
untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionaeren Regierung,
Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Haenden Mithradats;
somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz
Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich
Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Muehe dem Tode entgangen waren, und
nicht wenige entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier
eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen
Prokonsul liess es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die
Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Wuerden
entsetzt und geaechtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus,
Appius Claudius und andere angesehene Fluechtlinge geschah; sein Haus in
Rom wurde geschleift, seine Landgueter verwuestet. Indes damit freilich
war die Sache nicht erledigt. Haette Gaius Marius laenger gelebt, so
waere er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch
auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn fuehrten; welche Massregeln
nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzaehlt. Lucius
Valerius Flaccus der juengere 4, der nach Marius' Tode das Konsulat
und das Kommando im Osten uebernahm (668 86), war weder Soldat
noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfaehig, aber
unbotmaessig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach
schwaecher als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, dass
Flaccus, um nicht von Sulla erdrueckt zu werden, an ihm vorueber nach
Asien abgezogen sei (668 86), dass Fimbria ihn beseitigt und sich
selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), dass Sulla Frieden
geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla
den in der Hauptstadt regierenden Behoerden gegenueber geschwiegen;
jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die
Beendigung des Krieges berichtete und seine Rueckkehr nach Italien
ankuendigte; die den Neubuergern erteilten Rechte werde er achten;
Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie wuerden nicht die
Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankuendigung schreckte Cinna
aus seiner Untaetigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan
hatte, als dass einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine
Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloss
er jetzt, schleunigst nach Griechenland ueberzugehen. Aber andererseits
weckte Sullas Schreiben, das den Umstaenden nach aeusserst gemaessigt
zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche
Ausgleichung. Die Majoritaet des Senats beschloss nach dem Vorschlag des
aelteren Flaccus, einen Suehneversuch einzuleiten und zu dem Ende
Sulla aufzufordern, sich unter Verbuergung sicheren Geleits in Italien
einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum
Eingang von Sullas Antwort die Ruestungen einzustellen. Sulla wies die
Vorschlaege nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natuerlich nicht
selbst, aber liess durch Boten erklaeren, dass er nichts fordere als
Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche
Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit uebrigens nicht
geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine
Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich veraendert.
Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekuemmern,
sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die
Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der boesen
Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen
Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer
Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genoetigt
sah, die schon uebergegangenen Abteilungen zurueckzufuehren und, auf das
Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in
Ariminum zu beziehen. Sullas Antraege aber fanden darum keine bessere
Aufnahme: der Senat wies seine Vorschlaege zurueck, ohne auch nur
die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen
niederzulegen. Es war nicht zunaechst die Koterie der Marianer, welche
dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, musste
diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des hoechsten Amtes
abgeben und fuer das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen
veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den
bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der faehigen Offiziere der bis
dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den
Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitaeten,
von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand,
und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als
politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die
Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer
Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so
wollte sie in ihrer grossen Majoritaet noch viel weniger von Sulla und
einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an
Abwehr. Waehrend Sulla nach Asien ueberging, das Heer des Fimbria zum
Uebertritt bestimmte und dessen Fuehrer durch seine eigene Hand fiel,
benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr
gegoennte weitere Jahresfrist zu energischen Ruestungen: es sollen bei
Sullas Landung 100000, spaeter sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten
gegen ihn gestanden haben. ------------------------------------------- 4
Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen,
ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger
juengerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das
die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81)
rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, dass
dasselbe, war fuer Scipio Aemilianus und Marius, auch fuer Flaccus
geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus
genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es
notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius
Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat
in Rom taetig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein,
da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon
tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den
Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten
nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der aelteste lebende Altzensor und
also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkoenig und
der Reiterfuehrer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in
Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius
Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
--------------------------------------------- Gegen diese italische
Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fuenf
Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im
Peloponnes aufgebotener Zuzuege, kaum auf 40000 Mann sich belaufen
mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjaehrigen Kaempfen in
Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwoehnt
und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei,
Bestialitaet, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts
verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und fuer den
Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem
jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei
die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben
Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach roemischer Sitte die
Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten,
und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als
Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene
Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte
doch Sulla sehr wohl, dass Italien nicht mit fuenf Legionen
bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfaehigen Autokraten
fertig zu werden, waere nicht schwierig gewesen; aber er sah sich
gegenueber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine
oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die
gesamte Neubuergerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische
Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten
lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
den Rand des Verderbens gefuehrt hatte. Sulla uebersah vollkommen die
Lage der Verhaeltnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung
und der eigensinnigen Starrheit, die die Majoritaet seiner Partei
charakterisierten. Waehrend das Staatsgebaeude in vollen Flammen stand,
waehrend man seine Freunde ermordete, seine Haeuser zerstoerte, seine
Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben,
bis der Landesfeind ueberwaeltigt und die roemische Grenze gesichert
war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Maessigung
behandelte er auch jetzt die italischen Verhaeltnisse und tat, was er
irgend tun konnte, um die Gemaessigten und die Neubuerger zu beruhigen
und um zu verhindern, dass nicht unter dem Namen des Buergerkrieges der
weit gefaehrlichere Krieg zwischen den Altroemern und den italischen
Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das
Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit
gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdruecklich zurueckgewiesen;
im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der
revolutionaeren Regierung sich lossagen wuerden, unbedingte Begnadigung
in Aussicht und veranlasste seine Soldaten, Mann fuer Mann, zu
schwoeren, dass sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbuergern
begegnen wuerden. Die buendigsten Erklaerungen sicherten den Neubuergern
die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo deshalb von
jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was
indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats
scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat
darin, dass bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubuerger
allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persoenlichen Absichten, doch
daran zu zweifeln, ob er es vermoegen werde, seine Partei zum Worthalten
nach dem Siege zu bestimmen. Im Fruehling 671 (83) landete Sulla mit
seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklaerte auf
die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und uebertrug den Konsuln
unbeschraenkte Vollmacht; aber diese unfaehigen Leiter hatten sich nicht
vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung
dennoch ueberrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die
Haefen waren unbesetzt und ueberhaupt unglaublicherweise in dem ganzen
suedoestlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen
zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche
Neubuergergemeinde, oeffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General
die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien.
Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und
hielt, ihres Eides eingedenk, durchgaengig die strengste Mannszucht. Von
allen Seiten stroemten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das
Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich
gerettet hatte, kam Quintus Metellus und uebernahm wieder, als Kollege
Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm uebertragene und von der Revolution ihm
aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit
einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten
freilich kamen als vornehme Emigranten mit grossen Anspruechen und
geringer Kampflust, so dass sie von Sulla selbst bittere Worte zu hoeren
bekamen ueber die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten
retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven
zu bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberlaeufer aus dem
demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene
Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfaehigen Leuten der einzige
Konsular, der mit der revolutionaeren Regierung sich eingelassen und
unter ihr Aemter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste
Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz
Sardinien fuer ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia
und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschaeftigt;
selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von
Sulla geaechteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung
im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Uebertritte war der der
Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen
Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus
aus kein Anhaenger der Oligarchie, hatte die revolutionaere Regierung
anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward
ihm nicht vergessen, dass sein Vater die Waffen gegen die Revolution
getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage
auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater
wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines
sehr betraechtlichen Vermoegens bedroht. Zwar wendete mehr als die
Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus
Hortensius der Schutz des ihm persoenlich gewogenen Konsuls Carbo den
oekonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die
Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte
Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die
besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo)
die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbuergern
bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche
grossenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte
sich bereitwillig unter den beherzten Fuehrer, der, noch nicht
dreiundzwanzigjaehrig, ebensosehr Soldat wie General war, im
Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tuechtig mit in den Feind
einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen;
den aus der Hauptstadt zur Daempfung der picenischen Insurrektion
ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius
Brutus Damasippus 5 wusste der improvisierte Feldherr, die unter
denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu
entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie
es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begruesste ihn
als Imperator, das heisst als einen im eigenen Namen kommandierenden
und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den
Juengling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner
vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht,
der charakterlosen Schwaeche seiner eigenen Parteigenossen damit
eine indirekte Zuechtigung zukommen zu lassen.
--------------------------------------------- 5 Nur an diesen kann hier
gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers,
im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren
konnte. --------------------------------------------- Also moralisch
und materiell ansehnlich verstaerkt gelangten Sulla und Metellus nach
Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach
Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es
schien die Entscheidung hier fallen zu muessen. Das Heer des Konsuls
Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit
allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee
rueckte ebenfalls auf der Appischen Strasse heran. Aber bevor sie
eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenueber. Ein letzter
Vermittlungsversuch, den Sulla machte, fuehrte nur dazu, dass man
an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine
kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoss vom
Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im
ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die
revolutionaere Kolonie Capua und die Neubuergerstadt Neapolis und liess
dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre
schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch
diesen Sieg das Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit gewonnen;
statt mit der Belagerung der Truemmer der geschlagenen Armee sich
aufzuhalten, liess Sulla die Staedte umstellen, wo sie sich befanden,
und rueckte auf der Appischen Strasse vor gegen Teanum, wo Scipio stand.
Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden;
es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein;
ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen
die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts,
beide gebildet und feingesittet und langjaehrige Kollegen im Senat,
persoenlich zusammen; man liess sich auf die einzelnen Fragen ein; schon
war man so weit, dass Scipio einen Boten nach Capua absandte, um
die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die
Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit
Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim
Becher leicht begreiflich, dass es besser sei, sie zu Kameraden als
zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem
gefaehrlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verstaendigung, die
so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den
Waffenstillstand kuendigte. Aber Sulla behauptete, dass es zu spaet und
der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand,
dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen
Scipios Soldaten in Masse ueber in die feindlichen Reihen. Die Szene
schloss mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden
Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Konsul
auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem
Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein
kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Wuerde
wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes
weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen
Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch,
mit Norbanus sich zu verstaendigen, gescheitert war, Capua den Winter
ueber blockiert. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren fuer Sulla
die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Aufloesung der
einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee.
Schon traten die italischen Gemeinden, genoetigt, zwischen ihren
zwiefachen Draengern jede fuer sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit
ihm in Unterhandlung und liessen sich die von der Gegenpartei erworbenen
politischen Rechte durch foermliche Separatvertraege von dem Feldherrn
der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug
sie absichtlich zur Schau, die revolutionaere Regierung in dem naechsten
Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. Aber auch der
Revolution schien die Verzweiflung neue Kraefte zu geben. Das Konsulat
uebernahmen zwei ihrer entschiedensten Fuehrer, Carbo zum dritten Male
und Gaius Marius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjaehrige Mann
gesetzmaessig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig
wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser
und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde
angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in
seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu
fuellen, musste der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen
Tempelgeraets der Hauptstadt verfuegen; wie bedeutend der Ertrag war,
erhellt daraus, dass nach mehrmonatlicher Kriegfuehrung davon noch ueber
4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorraetig
waren. In dem betraechtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder
freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Ruestungen lebhaft
betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubuergergemeinden sehr zahlreich
waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf
den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in grosser Anzahl
sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so
leidenschaftlich geruestet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen
Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen
die revolutionaere roemische Regierung, dass zahlreicher Zuzug aus
den oskischen Gegenden ihre Heere verstaerkte; wohl aber begriff man
daselbst, dass eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt
faktisch bestehende Selbstaendigkeit dieser Landschaften nicht so
gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum
erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalitaet der
Sabeller gegen die Latiner. Fuer Samnium und Latium war dieser Krieg
so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fuenften Jahrhunderts; man
stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um
den lange verhaltenen Hass durch Vernichtung des Gegners zu saettigen.
Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz
anderen Charakter trug als die uebrigen Kaempfe, wenn hier keine
Verstaendigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die
Verfolgung bis aufs aeusserste fortgesetzt ward. So trat man den Feldzug
des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstaerkten Streitkraeften und
gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide
weg; auf Carbos Antrag aechteten die roemischen Komitien alle in Sullas
Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, dass man
im voraus sich selber das Urteil spreche. Die Armee der Optimaten teilte
sich. Der Prokonsul Metellus uebernahm es, gestuetzt auf die picenische
Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, waehrend Sulla von
Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf
Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium
begegnen. Auf der Launischen Strasse heranrueckend, traf Sulla unweit
Signia auf den Feind, der vor ihm zurueckwich bis nach dem sogenannten
"Hafen des Sacer" zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen
dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer
war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persoenlicher
Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die
wohlgeuebten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen
hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem
alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der
Uebertritt einer Abteilung noch waehrend des Gefechts beschleunigte die
Niederlage. Ueber die Haelfte der Marianer waren tot oder gefangen; der
Ueberrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des
Tiber zu gewinnen, genoetigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu
suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versaeumt hatte,
unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten
Praetor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu raeumen, vorher
aber alle bisher noch verschonten angesehenen Maenner der Gegenpartei
niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Aechtungen des
Vaters noch ueberbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem
Vorwand den Senat, und die bezeichneten Maenner wurden teils in der
Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestossen.
Trotz der vorhergegangenen gruendlichen Aufraeumung fanden sich doch
noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Aedil Publius Antistius,
der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Praetor Gaius
Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der
Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden
besten Gerichtsredner auf dem veroedeten Markt; der Konsular Lucius
Domitius und vor allem der ehrwuerdige Oberpriester Quintus Scaevola,
der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt waehrend
der letzten Kraempfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut
anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah
die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die
Strassen schleifen und sie in den Fluss werfen. Marius' aufgeloeste
Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubuergerstaedte Norba
und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem groessten Teil der
Fluechtlinge in die letztere. Sulla liess, ebenwie das Jahr zuvor vor
Capua, vor Praeneste einen tuechtigen Offizier, den Quintus Ofelia,
zurueck, mit dem Auftrag, seine Kraefte nicht an die Belagerung der
festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie
einzuschliessen und sie auszuhungern; er selbst rueckte von
verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze
Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum
nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen
und die noetigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien
zu vertreiben. Metellus war inzwischen am Fluss Aesis (Esino zwischen
Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen
Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestossen und hatte
diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner ueberlegenen Armee
herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben muessen. Allein
auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine
Kommunikationen besorgt, zurueckgegangen bis auf die Flaminische
Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen
und von dort teils die Paesse des Apennin, teils das Potal zu behaupten.
Bei dieser rueckgaengigen Bewegung gerieten nicht bloss verschiedene
Abteilungen dem Feinde in die Haende, sondern ward auch von Pompeius
Sena gallica erstuermt und Carbos Nachhut in einem glaenzenden
Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck.
Der Konsulat Norbanus uebernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst
begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen
Legionen nach Etrurien aenderte die Lage der Dinge: bald reichten von
Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Haende.
Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt
bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das
auf der grossen Strasse nach Placentia er eine Abteilung vorgehen
liess unter Marcus Lucullus, dem Quaestor Sullas und dem Bruder seines
Flottenfuehrers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein
Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen
auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Strasse bei
Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die
Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht,
aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum
Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rueckte von Rom aus in zwei
Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Kueste vorgehend
bei Saturnia (zwischen den Fluessen Ombrone und Albegna) das ihm
entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Fuehrung
im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glueckliches Gefecht
mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die
zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward,
endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten
Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der
Umgegend von Rom schienen die Dinge fuer die revolutionaere Partei sich
guenstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsaechlich nach dieser
Gegend ziehen zu wollen. Denn waehrend die oligarchische Partei alle
ihre Kraefte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller
Orten die aeusserste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu
sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte
sich dazu auf; es scheint indes nicht, dass er nach Praeneste gelangte.
Ebensowenig glueckte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen
Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen
ueberfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und
Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurueck, ein anderer
nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus
Sueditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die
Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne dass
der Abmarsch ihnen gewehrt worden waere, zogen im Kampanien, wo Capua
noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich
und rueckten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla
selbst kehrte darauf, mit Zuruecklassung eines Korps gegen Carbo, nach
Latium zurueck und nahm in den Engpaessen vorwaerts Praeneste 6 eine
wohlgewaehlte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte.
Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen,
vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten
unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstaerkt hatte.
Waehrend aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte,
kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der
Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des
Metellus, Marcus Lucullus, mit ueberlegener Macht angegriffen und
ihn genoetigt, sich in Placentia einzuschliessen, endlich sich gegen
Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am
spaeten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermuedeten Truppen sofort an;
die Folge war eine vollstaendige Niederlage und die totale Aufloesung
seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurueckkamen. Auf
die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
schlug die gegen ihn zurueckgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen
Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in
Masse ueber; ihr Fuehrer machte seine anfaengliche Zoegerung wieder gut,
indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionaeren Armee zu einem
Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen liess; ueberhaupt
schloss, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen
Vorraeten und Kassen geriet in Metellus' Gewalt; Norbanus schiffte nach
Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschaeftigten Truppen konnten
sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die
Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch
heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die
im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der
Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden
sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen
und fuehrte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte
inzwischen nichts sich veraendert; und die letzte Entscheidung nahte
heran. Carrinas' Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung
zu erschuettern; schon naeherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien
beschaeftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in
wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der
Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Fuehrer desselben, von
Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militaerisch waren sie damit
verloren; ihre Rueckzugslinie, die Latinische Strasse, geriet durch
diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemaechtigten,
so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs
geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit
ueberlegene Armeen, darin unfehlbar erdrueckt. Aber es handelte sich
auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach
Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionaere und
vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was
Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Woelfe, die Italien die
Freiheit geraubt haetten, loszuwerden, muesse man den Wald vernichten,
in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt
als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas,
Damasippus auf der Latinischen Strasse gegen Rom herangezogen, etwa eine
Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der
20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der
Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich
gegen Rom ein toerichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in
der Hauptstadt konnte es den Anrueckenden nicht fehlen. Die
Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrueckte, meist vornehme
Juenglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Uebermacht. Die einzige
Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht
vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom,
gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden
Mut der Buergerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen
seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der
Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor
dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine
Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch
erschoepften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog,
was die Nacht ueber Rom bringen koenne, und befahl noch am spaeten
Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der
linke Fluegel Sullas, den er selbst anfuehrte, wich zurueck bis an die
Stadtmauer, so dass es notwendig ward, die Stadttore zu schliessen;
schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, dass die Schlacht
verloren sei. Allein auf den rechten Fluegel warf Marcus Crassus den
Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Fluegel
wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits
ebenfalls zum Vorruecken ueberging. Die ganze Nacht und noch den
folgenden Morgen ward gefochten; erst der Uebertritt einer Abteilung von
3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die frueheren Kameraden wandten,
setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, fuer
die es nirgends einen Rueckzug gab, wurde vollstaendig aufgerieben.
Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl,
darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten
Pontius, liess Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das
staedtische Meierhaus auf dem Marsfeld fuehren und daselbst bis auf den
letzten Mann niederhauen, so dass man in dem nahen Tempel der Bellona,
wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der
Waffen und das Stoehnen der Sterbenden vernahm. Es war eine graessliche
Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht
gerecht zu verschweigen, dass diese selben Menschen, die dort starben,
wie eine Raeuberbande ueber die Hauptstadt und die Buergerschaft
hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden haetten, so weit
vernichtet haben wuerden, als Feuer und Schwert eine Stadt und
eine Buergerschaft zu vernichten vermoegen.
--------------------------------------------------- 6 Es wird gemeldet,
dass Sulla in dem Engpass stand, durch den Praeneste allein zugaenglich
war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl ihm
als dem Entsatzheer die Strasse nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand
Sulla auf der Querstrasse, die von der Latinischen, auf der sie Samniten
herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall
kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf
der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.
------------------------------------------------- Damit war der Krieg in
der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als
die aus den ueber die Mauer geworfenen Koepfen des Carrinas und anderer
Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Fuehrer, der
Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stuerzten, nachdem ein
Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern
Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus
darin bestaerkt, dass der Sieger fuer sie auch jetzt noch Gnade walten
lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis
zum letzten Augenblick den Uebertretenden volle Verzeihung gewaehrt
hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Fuehrer und
Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen
Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar ausser den Kindern und
Frauen die meisten Roemer und einzelne Praenestiner entlassen, aber die
roemischen Senatoren, fast alle Praenestiner und saemtliche Samniten
wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt gepluendert.
Es ist begreiflich, dass nach solchem Vorgang die noch nicht
uebergegangenen Neubuergerstaedte den Widerstand in hartnaeckigster
Weise fortsetzten. So toeteten in der latinischen Stadt Norba, als
Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Buerger sich
untereinander und zuendeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern
die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits
frueher Neapolis erstuermt und, wie es scheint, Capua freiwillig
aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den
Samniten geraeumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch
uebrige namhafte Fuehrer der Italiker, der Insurgentenkonsul des
hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der
er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tuer des eigenen
Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklaerte
der Diktator, dass Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe,
und dass darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden muesse;
und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen
in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen
Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen
(674? 80) und die bis dahin bluehende und bevoelkerte Landschaft in die
Einoede umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward
in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstuermt. Laenger wehrten sich in
Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus
den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich
sammelte und eine zweijaehrige, zuerst von Sulla persoenlich, sodann
von dem gewesenen Praetor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen
Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre
nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen
freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder
Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien ueber Verrat und
steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der roemischen
Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemaess der Kapitulation
abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien
verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt;
unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam
die letzten Zuckungen der revolutionaeren und nationalen Opposition.
----------------------------------------------------- 7 Ein anderer Name
kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich
verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.
------------------------------------------------------ Noch gab es
in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der
revolutionaeren Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus
entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete
geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa
schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs
verloren. Sizilien regierte fuer sie der zuverlaessige Statthalter
Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die
Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansaessigen
Roemern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewusst, welche
zunaechst die Pyrenaeenpaesse sperrte; er hatte auch hier wieder
bewiesen, dass, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
unter all den revolutionaeren Inkapazitaeten er der einzige praktisch
brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da
er das Revolutionieren allzu gruendlich betrieb und den Sklaven die
Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die roemischen Kaufleute
von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung ueberfallen und
mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz
nichtsdestoweniger zu der revolutionaeren Regierung, und Cinnas
Schwiegersohn, der junge faehige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, uebernahm
daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die
Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime
Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten
zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
demokratischen Praetendenten Hiarbas vom Thron gestossen worden, und
aehnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien
gefluechtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria)
zwischen Afrika und Sizilien, unschluessig, wie es scheint, ob er nach
Aegypten sich fluechten oder in einer der treuen Provinzen versuchen
sollte, den Kampf zu erneuern. Sulla sandte nach Spanien den Gaius
Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der
jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschaeft, die
Pyrenaeenpaesse mit Gewalt sich zu eroeffnen, ward ihnen dadurch
erspart, dass der von Sertorius dort hingestellte General durch einen
seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich
verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu
behaupten, raffte eilig die naechststehenden Abteilungen zusammen
und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wusste er selbst nicht,
vielleicht an die afrikanische Kueste oder nach den Kanarischen Inseln,
nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf
hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus
focht gluecklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte,
und mit den spanischen Keltiberern (674 80). Nach Sizilien ward Gnaeus
Pompeius als Propraetor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120
Segeln und sechs Legionen sich an der Kueste zeigte, von Perpenna ohne
Gegenwehr geraeumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach
Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob;
Marcus Brutus und die uebrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul
Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybaeon zu
fuehren, um ihn hier, uneingedenk des in gefaehrlicher Zeit ihm von
ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persoenlich dem Henker
zu ueberliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika,
schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht
unbedeutenden Streitkraefte mit seinem allerdings weit zahlreicheren
Heer aus dem Felde und gab, die Begruessung als Imperator vorlaeufig
ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager.
So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den
Gefallenen; mit Hilfe des Koenigs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen
und getoetet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt;
eine grosse Razzia gegen die Bewohner der Wueste, von denen eine
Anzahl gaetulischer, von Marius als frei anerkannter Staemme Hiempsal
untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
roemischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius' Landung
in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
aufzuloesen, worin die Andeutung lag, dass er nicht zum Triumph
gelassen werden solle, auf welchen er als ausserordentlicher Beamter
dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte
heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die
afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen
Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und liess den jungen
Mann sich beruehmen, der einzige Roemer zu sein, der eher Triumphator
(12. Maerz 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von
diesen bequemen Grosstaten begruesste der "Glueckliche", vielleicht
nicht ohne einige Ironie, den Juengling als den "Grossen". Auch im Osten
hatten nach Sullas Einschiffung im Fruehling 671 (83) die Waffen nicht
geruht. Die Restauration der alten Verhaeltnisse und die Unterwerfung
einzelner Staedte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen
blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius
Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschoepft hatte, endlich
Truppen fuehren, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem
eigensinnigen Widerstand der Buergerschaft kein Ende. Mittlerweile
war der roemische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem Koenig
Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach
dem Frieden beschaeftigt, seine auch in den noerdlichen Provinzen
erschuetterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier
beruhigt, indem er seinen tuechtigen Sohn Mithradates ihnen zum
Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geraeumt, und
ruestete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die
Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine
Freistatt hatte suchen muessen, dass diese Ruestungen gegen Rom
gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, dass Mithradates
noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen
nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische
Grenze (671 83). Mithradates begnuegte sich, bei Murena und, da dies
vergeblich war, bei der roemischen Regierung Beschwerde zu fuehren. In
der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein
er fuegte sich nicht, sondern ueberschritt den Halys und betrat das
unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss, Gewalt mit
Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das roemische Heer
festhalten, bis der Koenig mit weit ueberlegenen Streitkraeften herankam
und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit grossem Verlust
bis ueber die roemische Grenze nach Phrygien zurueckgeworfen, die
roemischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte
zwar die Stirn, wegen dieser Vorgaenge sich Sieger zu nennen und den
Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und
eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht
weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert
(673 81). Ueber diese toerichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer
verzoegert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer
Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute
Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). Die zehnjaehrige
Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der
Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach aussen
und innen. Nach den fuerchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war
schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewaehren sollte,
ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewaeltigung des
Landesfeindes, das schwerere der Baendigung der Revolution gelungen
war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren
Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genuegen
vermochte, musste demnaechst sich entscheiden. 10. Kapitel Die
Sullanische Verfassung Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen
Roemern und Roemern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671
(83), war der ehrwuerdige Tempel, den die Koenige errichtet, die junge
Freiheit geweiht, die Stuerme eines halben Jahrtausends verschont
hatten, der Tempel des Roemischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen
aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes
der roemischen Verfassung. Auch diese lag in Truemmern und bedurfte
eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte
doch viel, dass damit von selber das alte Regiment wieder sich
hergestellt haette. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, dass
jetzt nach dem Tode der beiden revolutionaeren Konsuln es genuegen
werde, die gewoehnliche Ergaenzungswahl zu veranstalten und es dem
Senat zu ueberlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur
Bestrafung der schuldigsten Revolutionaere, etwa auch zur Verhuetung
aehnlicher Ausbrueche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein
Sulla, in dessen Haenden der Sieg fuer den Augenblick alle Macht
vereinigt hatte, urteilte richtiger ueber die Verhaeltnisse und die
Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht
hinausgekommen ueber ein halb grossartiges, halb borniertes
Festhalten an den ueberlieferten Formen; wie sollte das schwerfaellige
kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende
Staatsreform energisch und konsequent durchzufuehren? Und eben jetzt,
nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte,
war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und
Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgaengig
das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla ueber dessen
Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, dass mit
Ausnahme des ihm verschwaegerten Quintus Metellus er sich seine
Werkzeuge saemtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den
Ueberlaeufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus,
Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die
Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem
leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff,
wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie haette er sonst
ueberhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser
als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
Restaurationswerk unterlag. Als unumgaenglich betrachtete er teils
umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit moeglich war, ohne das
Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen
Repressiv- und Praeventivsystems; und er sah es deutlich, dass der
Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstuemmeln, jeden
systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon
nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und
der andern Richtung durchgesetzt, was er fuer noetig erachtete, so war
er auch jetzt unter weit schaerferen und gespannteren Verhaeltnissen
entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen
auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul,
sondern bloss mit prokonsularischer, das heisst rein militaerischer
Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer moeglichst nahe an den
verfassungsmaessigen Formen sich haltenden, aber doch ausserordentlichen
Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In
einem Schreiben an den Senat eroeffnete er demselben, dass es ihm
unumgaenglich scheine, die Ordnung des Staates in die Haende eines
einzigen, mit unumschraenkter Machtvollkommenheit ausgeruesteten Mannes
zu legen, und dass er sich fuer geeignet halte, diese schwierige Aufgabe
zu erfuellen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter
den obwaltenden Umstaenden ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der
Vormann desselben, der Zwischenkoenig Lucius Valerius Flaccus der Vater,
als interimistischer Inhaber der hoechsten Gewalt bei der Buergerschaft
den Antrag ein, dass dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla fuer die
Vergangenheit die nachtraegliche Billigung aller von ihm als Konsul und
Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, fuer die Zukunft aber das Recht
erteilt werden moege, ueber Leben und Eigentum der Buerger in erster und
letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomaenen nach Gutduenken
zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu
verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzuloesen oder zu gruenden,
ueber die Provinzen und die abhaengigen Staaten zu verfuegen, das
hoechste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und
Propraetoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze fuer die Zukunft
den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden
solle, wann er seine Aufgabe geloest und es an der Zeit erachte, dies
ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich waehrend desselben
es von seinem Gutfinden abhaengen solle, die ordentliche hoechste
Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht
sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und
nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul
die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von
Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen
Kriege tatsaechlich abgeschafften Diktatur; aber sie ausser seinem
bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten
als dem Diktator der aelteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue
"Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens",
wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes
ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschraenkte, die Provokation
an die Buergerschaft nicht ausschliessende und die ordentliche
Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem
der "Zehnmaenner zur Abfassung von Gesetzen", die gleichfalls als
ausserordentliche Regierung mit unbeschraenkter Machtvollkommenheit
unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und
tatsaechlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem
Volksbeschluss ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialitaet
eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Koenigtum,
das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Buergerschaft,
einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von
Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, dass ein
Koenig besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich
ward auch der Diktatortitel nur gewaehlt um anzudeuten, dass, wie
die ehemalige Diktatur eine vielfach beschraenkte, so diese neue eine
vollstaendige Wiederaufnahme der koeniglichen Gewalt in sich enthalte.
So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den
in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier
musste die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr
der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig
andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem
letzten Siege der Oligarchie. ----------------------------------------
^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
---------------------------------------- Sulla hatte die schwierige
und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht
gewuenscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gaenzlich
unfaehigen Haenden zu ueberlassen oder sie selber zu uebernehmen, griff
er sie an mit ruecksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine
Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war
an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war,
konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hueten, der sein
Auge flammen und seine Wangen sich faerben sah; aber die chronische
Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen
war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der
Revolution von 666 (88) war er mit verhaeltnismaessig grosser Milde
aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel veruebt und ihn
persoenlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Koerper
seiner Freunde durch die Strassen der Hauptstadt schleifte, hatte er
dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser
freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anstaendig zu
bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten,
zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen
kam, war zurueckgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er
in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war
es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss abgebrochen, sondern
nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten
abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung
der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun
war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklaerte Sulla unmittelbar
nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei
saemtliche Zivil- und Militaerbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung
zufolge rechtsbestaendig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch fuer
die Revolution taetig gewesen waeren, und von den uebrigen Buergern
diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan haetten.
Wer einen dieser Vogelfreien toetete, war nicht bloss straffrei wie der
Henker, der ordnungsmaessig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt
auch fuer die Hinrichtung eine Verguetung von 12000 Denaren (3600
Taelern); jeder dagegen, der eines Geaechteten sich annahm, selbst der
naechste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermoegen der
Geaechteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und
Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch
aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die
senatorischen Lasten fuer ihren Teil zu uebernehmen. Die letzten
Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Gueter und die Nachkommen
derjenigen, die im Kampfe fuer die Revolution gefallen waren; was noch
hinausging selbst ueber die im aeltesten Recht gegen solche, die die
Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das
Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der
aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward
und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der
Geaechteten oeffentlich anschlagen liess und als letzten Termin fuer den
Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr
diese taeglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende
Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Buerger war, so war doch damit
der reinen Schergenwillkuer in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht
der persoenliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel;
sein grimmiger Hass richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber
der scheusslichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen
Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und
die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmaeler seiner Siege
ueber Afrikaner und Deutsche umgestuerzt und, da ihn selbst sowie seinen
Sohn der Tod seiner Rache entrueckt hatte, sein Adoptivneffe Marcus
Marius Gratidianus, der zweimal Praetor gewesen und bei der roemischen
Buergerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der
Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern
hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner
hingerafft; von den Fuehrern waren nur noch uebrig Gaius Norbanus, der
in Rhodos Hand an sich selbst legte, waehrend die Ekklesia ueber seine
Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und
wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis,
in seiner Zufluchtsstaette Massalia seine Tage in Ruhe beschliessen zu
duerfen; und Quintus Sertorius, der landfluechtig an der mauretanischen
Kueste umherirrte. Aber dennoch haeuften sich am Servilischen Bassin, da
wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmuendete, die Haeupter der
getoeteten Senatoren, welche hier oeffentlich auszustellen der Diktator
befohlen hatte, und vor allem unter den Maennern zweiten und dritten
Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Ausser denen, die fuer
Ehre Dienste in der oder fuer die revolutionaere Armee ohne viele Wahl,
zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses
oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die
Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die ueber
die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen
spekuliert hatten, "die Einsaeckler", die Vergeltung; etwa
sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Aechtungsliste
verzeichnet. Ebenso buessten die gewerbsmaessigen Anklaeger, die
schwerste Geissel der Vornehmen, die sich ein Geschaeft daraus machten,
die Maenner senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen -
"Wie geht es nur zu", fragte bald darauf ein Sachwalter, "dass sie uns
die Gerichtsbaenke gelassen haben, da sie doch Anklaeger und Richter
totschlugen?" Die wildesten und schaendlichsten Leidenschaften rasten
viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war
es ein Keltentrupp, dem zunaechst die Exekutionen aufgetragen wurden,
und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck
die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war
ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel draengte sich herbei,
nicht bloss, um die Mordpraemie zu verdienen, sondern auch, um unter dem
Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder
Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, dass der Eintragung in die
Aechtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein
Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum,
einer marianisch gesinnten Neubuergerstadt, trat ein gewisser Statius
Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in
das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als
Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und
seine Freunde an deren Stelle und liess den, der ihn mit der Anklage
bedroht hatte, nebst dessen naechsten Verwandten und Freunden aechten
und toeten. So fielen unzaehlige, darunter nicht wenige entschiedene
Anhaenger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres
Reichtums; die fuerchterliche Verwirrung und die straefliche Nachsicht,
die Sulla wie ueberall so auch hier gegen die ihm naeher Stehenden
bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei
mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.
------------------------------------------------- 2 Diese Gesamtzahl
gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von
Sulla geaechtet gegen 40 Senatoren, wozu nachtraeglich noch einige
hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ.
3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den
ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen
580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist
ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloss
Senatoren und Ritter getoetet wurden, teils die Liste monatelang
offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als
von Sulla getoetet oder verbannt auffuehrt fuenfzehn Konsulare, 90
Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt,
die Opfer des Buergerkriegs ueberhaupt und die Opfer Sullas verwechselt.
Die fuenfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus
Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95),
Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666
(88), Lucius Cinna 667-670 (87- 84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius
Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672
(85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius
Marius 672 (82), von denen vierzehn getoetet, einer, Lucius Scipio,
verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9)
und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Buergerkrieg weggerafft
(consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Praetorier, sechs Aedilizier,
200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen
Maenner mitgezaehlt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99),
Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89),
teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius
Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer
dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Maenner, deren Schicksal uns
nicht bekannt ist. Von den vierzehn getoeteten Konsularen sind
drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militaerrevolten, dagegen acht
Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei
gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als
Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40
Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
willkuerlichen Massstab zur Abschaetzung des Umfangs der beiderseitigen
Frevel. 3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede fuer
Publius Quinctius oefter genannte Senator Sextus Alfenus.
---------------------------------------------------------- In aehnlicher
Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen
Ruecksichten dahin, dass die angesehenen Buerger sich bei dessen
Ersteigerung beteiligten; ein grosser Teil draengte uebrigens freiwillig
sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den
obwaltenden Umstaenden war die aergste Schleuderwirtschaft nicht zu
vermeiden, die uebrigens zum Teil schon aus der roemischen Weise folgte,
die vom Staat eingezogenen Vermoegen gegen eine Pauschalsumme zur
Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, dass der Regent teils sich
selbst nicht vergass, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere
ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene
und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen liess, bald ihnen den
Kaufschilling ganz oder teilweise erliess - so soll zum Beispiel einer
seiner Freigelassenen ein Vermoegen von 6 Millionen (457000 Talern)
fuer 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner
Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermoegen von 10
Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war gross und
gerecht; schon waehrend Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der
Adel den Buergerkrieg nur gefuehrt habe, um seine Freigelassenen und
Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes
betrug der Gesamterloes aus den konfiszierten Guetern nicht weniger
als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang
dieser hauptsaechlich auf den reichsten Teil der Buergerschaft fallenden
Einziehungen einen ungefaehren Begriff gibt. Es war durchaus ein
fuerchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozess, keine Begnadigung
mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das
freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt.
Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als
das revolutionaere; wenn Marius seine persoenliche Rachsucht im Blute
seiner Feinde geloescht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man
moechte sagen abstrakt als zur Einfuehrung der neuen Gewaltherrschaft
notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgueltig zu betreiben
oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das
Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und
gewissermassen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien
das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden
Seiten im Gleichgewicht standen. In der Ordnung der Verhaeltnisse
Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen
alle waehrend der Revolution vorgenommenen, nicht bloss die laufenden
Geschaefte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch
fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, dass jeder Buerger einer
italischen Gemeinde damit von selbst auch Buerger von Rom sei; die
Unterschiede zwischen Buergern und italischen Bundesgenossen, zwischen
Altbuergern besseren und Neubuergern beschraenkteren Rechts waren
und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschraenkte
Stimmrecht abermals entzogen und fuer sie das alte Verhaeltnis
wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine
grosse Konzession erscheinen; Sulla sah, dass den revolutionaeren
Fuehrern jene maechtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden
mussten und dass die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung
der Zahl der Buerger nicht wesentlich gefaehrdet ward. Aber mit dieser
Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das haerteste Gericht ueber die
einzelnen Gemeinden in saemtlichen Landschaften Italiens, ausgefuehrt
durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze
Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Staedte wurden belohnt, wie
zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte,
Brundisium, jetzt die fuer diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit
erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbussen,
Niederreissung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den
hartnaeckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer
Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich
allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als
Buergergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen,
oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit
Rom Krieg gefuehrt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem
Besitz gesetzten Buergern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich
das roemische Buergerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste
latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen
Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu
gewaehren; die heimatlosen Expropriierten mussten bald in der Masse des
Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloss, wie sich
von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die
Domaene an den Staat zurueckgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um
diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen.
In Latium wurde die gesamte Mark der grossen und reichen Stadt Praeneste
und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von
Spoletium. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift.
Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden
Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen
Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium.
Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen,
zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums
Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern
das Land fuer immer verwuestet, seine bluehenden Staedte, selbst die
ehemalige latinische Kolonie Aesernia, oede gelegt und die
Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt.
--------------------------------------------- 4 Es kam hierbei noch
die eigentuemliche Erschwerung hinzu, dass das latinische Recht sonst
regelmaessig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer
bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloss,
hier aber - aehnlich wie bei den spaeteren Freigelassenen latinischen
und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes
Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die
Stadtverfassung geknuepften Privilegien entbehrten, genau genommen auch
nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann
als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus roemischen
Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Roemern
oder Latinern in den Formen des roemischen Rechts verkehren.
----------------------------------------------- Diese Anordnungen
ueber das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen roemischen
Domaniallaendereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur
Nutzniessung uebertragen waren und jetzt mit deren Aufloesung an die
roemische Regierung zurueckfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der
straffaelligen Gemeinden zur Verfuegung des Regenten; und er benutzte
sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansaessig zu machen.
Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel
nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter
andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium
wiederzubevoelkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten.
Ein grosser Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise,
so dass die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde
hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der
verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch
einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der
Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Laendereien beschenkt ward, andere,
wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt
blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber
jetzt wiederauftauchenden Missbrauch von Sullas Guenstlingen nach
Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser
Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunaechst loeste er
damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den
Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemaessigten Konservativen
zusammentrafen und demgemaess er selbst schon im Jahre 666 (88) die
Gruendung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der
ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung groesserer
Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm
hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der
Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten
gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich
seine neue Verfassung schirmen wuerden; weshalb auch, wo nicht die ganze
Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht
mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbuerger und die
Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Buergerschaften
konstituiert wurden. Diese Kolonialgruendungen ruhten wohl auch wie die
aelteren auf Volksschluss, aber doch nur mittelbar, insofern sie der
Regent auf Grund der desfaelligen Klausel des Valerischen
Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der
Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das
freie Schalten der ehemaligen koeniglichen Gewalt ueber das Staatsgut.
Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Buergers, der
sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den
Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausfuehrung lebendig bleiben
sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer
des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen
die aelteren als Militaerkolonien bezeichnet. Dieser faktischen
Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die
Massregel des Regenten, aus den Sklaven der Geaechteten ueber 10000
der juengsten und kraeftigsten Maenner auszuwaehlen und insgesamt
freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren buergerliche Existenz an
die Rechtsbestaendigkeit der Institutionen ihres Patrons geknuepft war,
sollten eine Art von Leibwache fuer die Oligarchie sein und ihr den
staedtischen Poebel beherrschen helfen, auf den nun einmal in
der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. Diese
ausserordentlichen Stuetzen, auf die zunaechst der Regent die Oligarchie
lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen
mochten, waren doch die einzig moeglichen, wenn man nicht zu Mitteln
greifen wollte, wie die foermliche Aufstellung eines stehendes Heeres in
Rom und dergleichen Massregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher
ein Ende gemacht haben wuerden als ,die demagogischen Angriffe. Das
dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie
musste natuerlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so
konzentrierten Gewalt, dass er an jedem einzelnen Angriffspunkt den
nichtorganisierten Gegnern ueberlegen gegenueberstand. Das vierzig Jahre
hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische
Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666,
ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
Regierung dem hauptstaedtischen Proletariat gleichsam das Recht
der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmaessige
Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Buerger;
Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten
und Zoelle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den
Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
Mittelsmaenner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der
Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der
Rueckstaende entworfenen Schaetzungslisten auf die einzelnen
Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der
Geschworenenposten an die Maenner vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand
eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten
sich staerker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla
schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her.
Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern
einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeraeumt, wie ihn schon seit
laengerer Zeit die Senatoren besassen; Sulla hob ihn auf und wies die
Ritter zurueck auf die Plebejerbaenke 6. Der Ritterstand, als solcher
durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch
Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die
hoechste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten ueberkommen
und auch aeusserlich nicht bloss als privilegierter, sondern als
einzig privilegierter Stand auftreten.
------------------------------------------------ 5 Dass Sullas Umlage
der rueckstaendigen fuenf Jahresziele und der Kriegskosten auf die
Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch fuer die Zukunft
massgebend war, zeigt schon die Zurueckfuehrung der Einteilung Asias in
vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung
der sullanischen Repartition bei spaeteren Ausschreibungen (Cic. Flacc.
14, 32), ferner, dass bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten
Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano)
gekuerzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad
Q. fr. 1, 11, 33), dass die Griechen "nicht imstande waren, von sich aus
den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpaechter". 6
Ueberliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen
ward, welches die Erneuerung des aelteren Privilegs durch das Roscische
Theatergesetz 687 (67) noetig machte (Friedlaender in Becker, Handbuch,
Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber
dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
---------------------------------------------- Vor allem musste zu
diesem Ende die Regierungsbehoerde ergaenzt und selber unabhaengig
gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren
furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die
Rittergerichte Verbannten jetzt die Rueckkehr frei, wie dem Konsular
Publius Rutilius Rufus, der uebrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch
machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies
ein geringer Ersatz fuer die Luecken, die der revolutionaere wie der
reaktionaere Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte.
Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat ausserordentlicherweise
ergaenzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung
aus den Maennern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie,
wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den juengeren Maennern der
senatorischen Haeuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen,
durch die letzte Umwaelzung Emporgekommenen auslas. Aber auch fuer die
Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich
andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in
den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche
und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei
kurulischen Aemter: des Konsulats, der Praetur oder der Aedilitaet, an
welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im
Senat geknuepft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats
oder der Quaestur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im
Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Maenner
sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen
beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens
tatsaechliche Beseitigung der Zensur und aenderte den zweiten dahin ab,
dass der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Aedilitaet
an die Quaestur geknuepft und zugleich die Zahl der jaehrlich zu
ernennenden Quaestoren auf zwanzig 7 erhoeht ward. Die bisher den
Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsaechlich laengst nicht mehr
in ihrem urspruenglichen ernstlichen Sinn geuebte Befugnis, bei den
von fuenf zu fuenf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter
Angabe von Gruenden von der Liste zu streichen, fiel fuer die Zukunft
ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren
ward also von Sulla schliesslich festgestellt. Die Gesamtzahl der
Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht
viel ueberstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch
betraechtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhoeht, 8
was auch schon die durch die Uebertragung der Geschworenenfunktionen
stark vermehrten Geschaefte des Senats notwendig machten. Indem ferner
sowohl die ausserordentlich eintretenden Senatoren als die Quaestoren
ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf
den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl
gegruendet, derselbe also einem repraesentativen Regiment so weit
genaehert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des
Altertums ueberhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten
bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten
befehlende und selbstregierende Behoerde geworden; es war hiervon nur
eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten urspruenglich
zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben
entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde,
auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis
der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutduenken Namen
zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit
einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die
Quaestorenwahl fuer eine genuegende regelmaessige Ergaenzung gesorgt
ward, wurden die zensorischen Revisionen ueberfluessig und durch
deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die
Inamovibilitaet und Lebenslaenglichkeit der zu Sitz und Stimme
gelangten Glieder des Herrenstandes, endgueltig konsolidiert.
------------------------------------------------ 7 Wieviele Quaestoren
bis dahin jaehrlich gewaehlt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487
(267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei staedtische, zwei Militaer-
und vier Flottenquaestoren; wozu dann die in den Aemtern beschaeftigten
Quaestoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquaesturen in
Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die
Militaerquaestoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst
der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quaestor gewesen sein
wuerde. Da es nun bis auf Sulla neun Aemter gab, ueberdies nach Sizilien
zwei Quaestoren gingen, so koennte er moeglicherweise schon achtzehn
Quaestoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten
dieser Zeit betraechtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen
und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft
worden ist, ueberhaupt die Tendenz der roemischen Regierung darauf ging,
die Zahl der Beamten moeglichst zu beschraenken, so mag es auch mehr
quaestorische Kompetenzen gegeben haben als Quaestoren, und es kann
selbst sein, dass in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in
dieser Zeit gar kein Quaestor ging. Aber sicher hat es doch schon vor
Sulla mehr als acht Quaestoren gegeben. 8 Von einer festen Zahl der
Senatoren kann genau genommen ueberhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch
die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Koepfen anfertigten,
so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu,
die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der naechsten ein
kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren,
als gerade Quaestorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, dass
Sulla den Senat auf ungefaehr 500 bis 600 Koepfe zu bringen bedacht
war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jaehrlich 20 neue Mitglieder von
durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer
der senatorischen Wuerde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark
besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder
anwesend. ------------------------------------------------- Hinsichtlich
der Gesetzgebung begnuegte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen
Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie
sie laengst tatsaechlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen
gegenueber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Buergerschaft blieb der
formelle Souveraen; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien
es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfaeltig zu konservieren,
aber jede wirkliche Taetigkeit derselben noch sorgfaeltiger zu
verhueten. Sogar mit dem Buergerrecht selbst ging Sulla in der
geringschaetzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den
Neubuergergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse
damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
schlechterdings gar nichts fuer die Feststellung der Buergerliste, die
doch nach so gewaltigen Umwaelzungen einer Revision dringend bedurfte,
wenn es ueberhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knuepfenden
Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschraenkt wurde die
legislatorische Kompetenz der Komitien uebrigens nicht; es war auch
nicht noetig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats
das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen
konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder
zurueckgefuehrt ward auf das Recht, zu Aenderungen der Verfassung ja zu
sagen. Wichtiger war die Beteiligung der Buergerschaft bei den Wahlen,
deren man nun einmal nicht entbehren zu koennen schien, ohne mehr
aufzuruetteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration
aufruetteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die
Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloss das Domitische Gesetz von
650 (104), das die Wahlen zu den hoechsten Priesteraemtern ueberhaupt
dem Volke uebertrug, sondern auch die aelteren gleichartigen
Verfuegungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von
Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergaenzung
in seiner urspruenglichen Unbeschraenktheit zurueckgegeben. Hinsichtlich
der Wahlen zu den Staatsaemtern aber blieb es im ganzen bei der
bisherigen Weise; ausser insofern die sogleich zu erwaehnende neue
Regulierung des militaerischen Kommandos allerdings folgeweise eine
wesentliche Beschraenkung der Buergerschaft in sich schloss, ja
gewissermassen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der
Buergerschaft auf den Senat uebertrug. Es scheint nicht einmal, dass
Sulla die frueher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung
jetzt wiederaufnahm, sei es nun, dass er es ueberhaupt als gleichgueltig
betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien,
sei es, dass diese aeltere Ordnung ihm den gefaehrlichen Einfluss
der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden
wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines
jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschaerft;
ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das Konsulat vorher die
Praetur, jeder Bewerber um die Praetur vorher die Quaestur bekleidet
haben muesse, wogegen es gestattet war, die Aedilitaet zu uebergehen.
Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die juengst mehrfach
vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch
fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begruenden, gegen diesen
Missbrauch eingeschritten und verfuegt, dass zwischen der Bekleidung
zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen
Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfliessen sollten;
mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der juengsten
ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder
Wiederwahl zum Konsulat, wieder die aeltere Ordnung vom Jahre 412 (342)
aufgenommen ward. Im ganzen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf und
suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, dass, wen auch immer
die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewaehlte
ausserstande sein wuerde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Die
hoechsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsaechlich die drei
Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Praetoren und der Zensoren.
Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich
geschmaelerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das
dem Regenten erschien als ein zwar auch fuer das Senatsregiment
unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und
stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger
und dauernder Fesselung beduerftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
Kontravenienten eventuell zu braechen und dessen weitere Bestrafung zu
veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den
Tribunen auch jetzt, nur dass auf den Missbrauch des Interzessionsrechts
eine schwere, die buergerliche Existenz regelmaessig vernichtende
Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem
Volke nach Gutduenken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen,
insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen,
teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch
den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewaelzt hatten;
sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgaengig bei dem
Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhaengig gemacht 9. Endlich wurde
hinzugefuegt, dass die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur
Uebernahme eines hoeheren Amtes unfaehig machen solle - eine Bestimmung,
die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die
altpatrizischen Satzungen zurueckkam und, ganz wie in den Zeiten vor der
Zulassung der Plebejer zu den buergerlichen Aemtern, das Tribunat
einer- und die kurulischen Aemter andererseits miteinander unvereinbar
erklaerte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie,
der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und
aufstrebenden Maenner von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe
festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung
zwischen diesem und der Buergerschaft, als auch vorkommendenfalls zur
Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Koenigs
und spaeter der republikanischen Beamten ueber die Buergerschaft kaum
irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, dass ausschliesslich
sie das Recht haben, oeffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die
jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am
bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes fuer jede
Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis.
--------------------------------------------- 9 Darauf gehen die Worte
des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus
exutus ... iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim
turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia
quoquo vellent populum agitandi. Dass die Tribune nicht ueberhaupt das
Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic.
leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der
Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Dass
die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgaengigen
Senatsbeschluss Antraege an das Volk bringen konnten, beweist nicht
bloss das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der
Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Fuehrer eben aus diesem
Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch
in dieser Zeit konsularische Gesetze ueber administrative Nebenfragen,
wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), fuer die zu
andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein wuerden.
------------------------------------------- Auch Konsulat und Praetur,
obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit guenstigeren
Augen betrachtet wurden als das an sich verdaechtige Tribunat, entgingen
doch keineswegs dem Misstrauen gegen das eigene Werkzeug, welches
durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen,
aber in sehr fuehlbarer Weise beschraenkt. Sulla knuepfte hier an
die Geschaeftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafuer die
folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der
Inbegriff der Geschaefte des hoechsten Amtes ueberhaupt, so jetzt
derjenige Inbegriff der hoechsten Amtsgeschaefte ob, fuer welchen nicht
gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war
der Fall mit dem hauptstaedtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich
nach einer unverbruechlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften,
und mit den damals bestehenden ueberseeischen Aemtern: Sizilien,
Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar
fuehren konnte, aber nur ausnahmsweise fuehrte. Im ordentlichen Lauf
der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden
hauptstaedtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier ueberseeischen
Aemter unter die sechs Praetoren vergeben, woneben den beiden Konsuln
kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstaedtischen
nichtgerichtlichen Geschaefte und das militaerische Kommando in den
festlaendischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also
doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfuegung
der Regierung, und fuer gewoehnliche Zeiten kam man demnach mit jenen
acht hoechsten Jahresbeamten vollstaendig, ja reichlich aus. Fuer
ausserordentliche Faelle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht
militaerischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militaerischen
ueber die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht
ungewoehnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Praetor
zu uebertragen und die regelmaessig von den Konsuln zu beschaffenden
hauptstaedtischen Geschaefte durch den Stadtpraetor versehen zu lassen;
wogegen es verstaendigerweise moeglichst vermieden ward, mehrere
Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel
aus, dass im militaerischen Imperium es kein Interregnum gab,
also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des
Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der
Nachfolger erschien und dem Vorgaenger das Kommando abnahm, oder, was
dasselbe ist, dass der kommandierende Konsul oder Praetor nach Ablauf
seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder
Praetors Statt weiter fungieren konnte und musste. Der Einfluss
des Senats auf diese Geschaeftsverteilung bestand darin, dass es
observanzmaessig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die
sechs Praetoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die
Konsuln die festlaendischen, nichtgerichtlichen Geschaefte besorgen zu
lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem
Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges ueberseeisches Kommando
zuzuweisen oder eine ausserordentliche militaerische und gerichtliche
Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige
Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen
aufzunehmen und die dadurch weiter noetig werdenden Kumulationen und
Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei uebrigens lediglich die
Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv praetorischen
Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der fuer das einzelne Amt
eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr
durchgaengig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch
das Los erfolgte. Die Buergerschaft war in der aelteren Zeit wohl
veranlasst worden, die in dem Unterlassen der Abloesung enthaltene
tatsaechliche Verlaengerung des Kommandos durch besonderen
Gemeindebeschluss zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste,
als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff
die Buergerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten
Jahrhunderts traten nun allmaehlich zu den bestehenden
sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fuenf neuen
Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien
und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen
Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der
roemischen Regierung trat ueberdies immer haeufiger der Fall ein,
dass die Oberbeamten fuer ausserordentliche militaerische oder
prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde
die Zahl der ordentlichen hoechsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es
kamen also auf acht jaehrlich zu ernennende Beamte, von allem andern
abgesehen, mindestens zwoelf jaehrlich zu besetzende Spezialkompetenzen.
Natuerlich war es nicht Zufall, dass man dies Defizit nicht durch
Kreierung neuer Praetorenstellen ein fuer allemal deckte. Dem Buchstaben
der Verfassung gemaess sollten die saemtlichen hoechsten Beamten Jahr
fuer Jahr von der Buergerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung
oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Luecken wesentlich
durch Fristerstreckung ausgefuellt wurden und den gesetzlich ein Jahr
fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt,
nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die
Buergerschaft, sondern aus einer durch die Buergerschaftswahlen
gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Ueblich ward es dabei, da unter
diesen Stellen die ueberseeischen Kommandos als die eintraeglichsten vor
allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich
oder doch tatsaechlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden
Vorstehern der staedtischen Gerichtsbarkeit und haeufig auch den
Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein ueberseeisches Kommando zu
uebertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die
Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten
wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine
qualitativ andere war. Diese Verhaeltnisse fand Sulla vor und sie lagen
seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die
vollstaendige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Buerger-,
und der militaerischen, welche in den Nichtbuergerdistrikten regierte,
und die durchgaengige Erstreckung der Dauer des hoechsten Amtes von
einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den buergerlichen, das
zweite den militaerischen Geschaeften gewidmet ward. Raeumlich waren die
buergerliche und die militaerische Gewalt allerdings laengst schon durch
die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese
begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die hoechste politische
und die hoechste militaerische Macht in seiner Hand vereinigt. Kuenftig
sollte der Konsul und Praetor mit Rat und Buergerschaft verhandeln,
der Prokonsul und Propraetor die Armee kommandieren, jenem aber
jede militaerische, diesem jede politische Taetigkeit gesetzlich
abgeschnitten sein. Dies fuehrte zunaechst zu der politischen Trennung
der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher
hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern
Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Sueditalien
von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das
gesamte festlaendische Gebiet des roemischen Staates von der Meerenge
bis an die Alpen mit Einschluss der illyrischen Besitzungen, Buerger-,
latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen
Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden
hoechsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgruendungen sich durch
dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche
Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als
ein jetzt ohne Ausnahme von roemischen Buergern bewohntes Gebiet,
den ordentlichen roemischen Obrigkeiten untergeben und dass in diesem
Sprengel regelmaessig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer
der Fundamentalsaetze des roemischen Staatsrechts; das Keltenland
diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der bestaendig fortwaehrenden
Einfaelle der Alpenvoelker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden
konnte, wurde nach dem Muster der aelteren ueberseeischen Kommandos als
eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl
der jaehrlich zu ernennenden Praetoren von sechs auf acht erhoeht ward,
stellte sich die neue Geschaeftsordnung dahin, dass die jaehrlich zu
ernennenden zehn hoechsten Beamten waehrend ihres ersten Amtsjahrs als
Konsuln oder Praetoren den hauptstaedtischen Geschaeften - die
beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Praetoren der
Zivilrechtspflege, die uebrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz
- sich widmeten, waehrend ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln
oder Propraetoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften:
Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo,
Kilikien und dem italischen Keltenland uebernahmen. Die schon erwaehnte
Vermehrung der Quaestorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehoert ebenfalls
in diesen Zusammenhang ^11. --------------------------------- ^10 Fuer
diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als dass das italische
Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen
und von einem jaehrlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel
bedeutet, in den aelteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie
allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat
et Sullae provincia Gallia cisalpina). Nicht viel anders steht es mit
der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, dass ehemals der Aesis, zu
Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber
nicht, wann die Vorrueckung stattfand. Man hat zwar daraus, dass Marcus
Terentius Varro Lucullus als Propraetor in dem Distrikt zwischen Aesis
und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen,
dass derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus' Praetur 679 (75)
noch Provinzialland gewesen sein muesse, da auf italischem Boden der
Propraetor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium
hoert jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist
auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmaessig vorhanden,
aber doch zulaessig, und ein ausserordentliches ist das von Lucullus
bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir koennen aber auch
nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet
hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82)
als kommandierender Offizier eben hier taetig und wahrscheinlich,
ebenwie Pompeius, von Sulla mit propraetorischer Gewalt ausgestattet; in
dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die
fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also fuer
die rechtliche Stellung Norditaliens ueberhaupt nichts und am wenigsten
fuer die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter
Fingerzeig, dass Sulla das roemische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10,
14; Dio Cass. 43, 50), was nach roemischem Staatsrecht nur dem gestattet
war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische
Grenze vorgerueckt hatte. ^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere
Provinz ein Quaestor gingen, ueberdies die zwei staedtischen und die
zwei den Konsuln bei der Kriegsfuehrung beigeordneten und die vier
Flottenquaestoren bestehen blieben, so waren hierfuer neunzehn Beamte
jaehrlich erforderlich. Die zwanzigste Quaestorenkompetenz laesst
sich nicht nachweisen. -------------------------------- Zunaechst
ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu
allen moeglichen schlechten Manoevern und Intrigen einladenden
Aemterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den
Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Moeglichkeit vorgebeugt und der
Einfluss der obersten Regierungsbehoerde wesentlich gesteigert. Nach der
bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die
Stadt, welche der Mauerring umschloss, und die Landschaft ausserhalb
des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue,
fortan als ewig befriedet dem regelmaessigen Kommando entzogene Italien
^12 und ihm gegenueber das festlaendische und ueberseeische Gebiet, das
umgekehrt notwendig unter Militaerkommandanten steht, die von jetzt an
sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann
sehr haeufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben;
die neue Ordnung beschraenkte die hauptstaedtischen Aemter wie die
Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfuegung,
dass jeder Statthalter binnen dreissig Tagen, nachdem der Nachfolger in
seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe,
zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das frueher erwaehnte
Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben
oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser
Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der
Senat das Koenigtum sich dienstbar gemacht hatte, dass die Beschraenkung
der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der
Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius
zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert;
wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte,
dass es ihm misslang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie
zu stuerzen, so schien nun dafuer gesorgt, dass nicht etwa ein kluegerer
Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung
hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militaerische
Stellung haben koennen; die sullanische dagegen behielt diese
ausschliesslich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung
der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestaetigte. Zwar war diese
Amtsverlaengerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den
Auspizien und dem Namen, ueberhaupt der staatsrechtlichen Formulierung
nach auch ferner als ausserordentliche Fristerstreckung behandelt. Es
war dies nicht gleichgueltig. Den Konsul oder den Praetor konnte nur die
Buergerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Propraetor
ernannte und entliess der Senat, so dass durch diese Verfuegung die
gesamte Militaergewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam,
formell wenigstens vom Senat abhaengig wurde.
-------------------------------------------------- ^12 Die italische
Eidgenossenschaft ist viel aelter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht,
wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Roemischen
Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
--------------------------------------------------- Dass endlich das
hoechste aller Aemter, die Zensur, nicht foermlich aufgehoben, aber
in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon
bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Fuer die
Ergaenzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsaechlich
steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward,
hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der
Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem
Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriss, so mochte man
dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden
Finanzgeschaefte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten,
wenn, wie dies haeufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und
nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstaetigkeit uebernahmen. Gegen
den wesentlichen Gewinn, dass der Magistratur in den Zensoren ihre
hoechste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der
Alleinherrschaft des hoechsten Regierungskollegiums durchaus keinen
Eintrag, dass, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren
zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die
der Orakelbewahrer von zehn auf je fuenfzehn, die der Schmausherren von
drei auf sieben vermehrt ward. In dem Finanzwesen stand schon nach
der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es
handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten
Verwaltung. Sulla hatte anfaenglich sich in nicht geringer Geldnot
befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren fuer den Sold
des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch
nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse
nach Praeneste entfuehrt worden war, sich zu Notschritten entschliessen
muessen. Verschiedene Bauplaetze in der Hauptstadt und einzelne Stuecke
der kampanischen Domaene wurden feilgeboten, die Klientelkoenige, die
befreiten und bundesgenoessischen Gemeinden ausserordentlicherweise in
Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zoelle
eingezogen, anderswo denselben fuer Geld neue Privilegien zugestanden.
Indes der bei der Uebergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
Staatskasse von beilaeufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden
Versteigerungen und andere ausserordentliche Hilfsquellen halfen der
augenblicklichen Verlegenheit ab. Fuer die Zukunft aber ward gesorgt
weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die
Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor,
als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domaene, wozu jetzt
noch Aenaria gefuegt ward, und vor allem durch die Abschaffung
der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den
roemischen Finanzen gezehrt hatten. Dagegen ward das Gerichtswesen
wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Ruecksichten, teils um
in die bisherige sehr unzulaengliche und unzusammenhaengende
Prozesslegislation groessere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach
der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die
Buergerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die
ganze Buergerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats
hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Haenden in erster Reihe der
Volkstribune, in zweiter der Aedilen, indem saemtliche Prozesse,
durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner
Geschaeftsfuehrung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf
Leib und Leben oder auf Geldbussen gehen, von den Volkstribunen, alle
uebrigen Prozesse, in denen schliesslich das Volk entschied, von den
kurulischen oder plebejischen Aedilen in erster Instanz abgeurteilt,
in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen
Rechenschaftsprozess wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie
die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgaengigen
Einwilligung des Senats abhaengig gemacht und vermutlich auch den
aedilizischen Strafprozess in aehnlicher Weise beschraenkt. Dagegen
erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein
doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches
anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder
Zivilprozess sich eignenden Faellen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen
den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, dass der eine der
beiden hauptstaedtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein
von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied.
Der ausserordentliche Geschworenenprozess trat ein in einzelnen
wichtigen Zivil- oder Kriminalfaellen, wegen welcher durch besondere
Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof
bestellt worden war. Dieser Art waren teils die fuer einzelne
Faelle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden
Kommissionalgerichtshoefe, wie sie fuer Erpressungen, fuer Giftmischerei
und Mord, vielleicht auch fuer Wahlbestechung und andere Verbrechen
im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils
endlich die beiden Hoefe der Zehnmaenner fuer den Freiheits- und
der Hundertundfuenf- oder kuerzer der Hundertmaenner fuer den
Erbschaftsprozess, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten
Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmaennerhof
(decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze
der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung
des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefaehr
dieselben sein wie bei den oben erwaehnten wesentlich gleichartigen
Kriminalkommissionen. Ueber die Leitung dieser verschiedenen
Gerichtshoefe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden
bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Praetor, dem Mordgericht
ein aus den gewesenen Aedilen besonders ernannter Vorstand, dem
Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quaestoren genommene Direktoren
vor. Die Geschworenen wurden wenigstens fuer das ordentliche wie fuer
das ausserordentliche Verfahren in Gemaessheit der Gracchischen Ordnung
aus den nichtsenatorischen Maennern von Ritterzensus genommen; die
Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung
hatten, jedoch in der Weise, dass sie mit dem Antritt ihres Amts die
Geschworenenliste ein fuer allemal aufzustellen hatten und dann das
einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl
des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien
gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmaenner fuer den
Freiheitsprozess hervor. Sullas Reformen waren hauptsaechlich
dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhoefe sehr
betraechtlich. Es gab spaeterhin besondere Geschworenenkommissionen
fuer Erpressung; fuer Mord mit Einschluss von Brandstiftung und falschem
Zeugnis; fuer Wahlbestechung; ferner fuer Hochverrat und jede Entehrung
des roemischen Namens; fuer die schwersten Betrugsfaelle: Testaments-
und Muenzfaelschung; fuer Ehebruch; fuer die schwersten Ehrverletzungen,
namentlich Realinjurien und Stoerung des Hausfriedens; vielleicht auch
fuer Unterschlagung oeffentlicher Gelder, fuer Zinswucher und andere
Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Hoefe sind von Sulla
entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer
besonderen Kriminal- und Kriminalprozessordnung versehen worden.
Uebrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls fuer
einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhoefe zu bestellen. Folgeweise
wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft,
namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission
gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozess bedeutend beschraenkt,
indem ihm die schwereren Faelschungen und Injurien entzogen wurden. Was
zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie
schon erwaehnt ward, jetzt fuer die Leitung der verschiedenen
Geschworenenhoefe sechs Praetoren zur Disposition, denen noch fuer die
am meisten in Anspruch genommene Kommission fuer Mordtaten eine Anzahl
anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten
drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein. Der
politische Zweck dieser Verfuegungen, der bisherigen Mitregierung der
Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig
laesst es sich verkennen, dass dieselben nicht bloss politische
Tendenzmassregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde,
dem seit den staendischen Kaempfen immer mehr verwilderten roemischen
Kriminalprozess und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser
Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem aelteren Recht unbekannte
Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute
damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von
dem Praetor geleitete Geschworenenbank gehoert, als Zivilsache dasjenige
Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter praetorischem
Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen
Quaestionenordnungen laesst sich zugleich als das erste roemische
Gesetzbuch nach den Zwoelf Tafeln und als das erste ueberhaupt je
besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im
einzelnen zeigt sich ein loeblicher und liberaler Geist. So seltsam
es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum
nichtsdestoweniger wahr, dass er die Todesstrafe fuer politische
Vergehen abgeschafft hat; denn da nach roemischer, auch von
Sulla unveraendert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die
Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefaengliche Haft
erkennen konnte, so kam die Uebertragung der Hochverratsprozesse von der
Buergerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung
der Todesstrafe fuer solche Vergehen, waehrend andererseits in der
Beschraenkung der verderblichen Spezialkommissionen fuer einzelne
Hochverratsfaelle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg
gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die
gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein
bleibendes Denkmal des praktischen, gemaessigten, staatsmaennischen
Geistes, der ihren Urheber wohl wuerdig machte, gleich den alten
Dezemvirn als souveraener Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen
die Parteien zu treten. Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen
mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das
Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte
wieder einschaerfte und durch Feststellung neuer Maximalsaetze anstatt
der alten laengst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begraebnissen
und sonst zu beschraenken versuchte. Endlich ist wenn nicht Sullas, doch
das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbstaendigen
roemischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde
als ein untergeordnetes politisches Ganze dem hoeheren Staatsganzen
organisch einzufuegen, urspruenglich fremd; die Despotie des Ostens
kennt staedtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in
der ganzen hellenisch-italischen Welt faellt Stadt und Staat notwendig
zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus
ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die roemische Politik hielt
mit der ihr eigenen zaehen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten
Jahrhundert wurden die abhaengigen Gemeinden Italiens entweder, um
ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveraene
Nichtbuergerstaaten konstituiert oder, wenn sie roemisches Buergerrecht
erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren,
aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so dass in allen
Buergerkolonien und Buergermunizipien selbst die Rechtspflege und das
Bauwesen von den roemischen Praetoren und Zensoren verwaltet ward. Das
Hoechste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus
ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht
anders verfuhr man in den Provinzen, ausser dass hier an die Stelle der
hauptstaedtischen Behoerden der Statthalter trat. In den freien,
das heisst formell souveraenen Staedten ward die Zivil- oder
Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten
verwaltet; nur dass freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien
entgegenstanden, jeder Roemer sowohl als Beklagter wie als Klaeger
verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem
Recht entschieden zu sehen. Fuer die gewoehnlichen Provinzialgemeinden
war der roemische Statthalter die einzige regelmaessige
Gerichtsbehoerde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war
schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, dass der Beklagte ein
Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten
war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch
entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom
Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben. Im siebenten
Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des oeffentlichen
Lebens der roemischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens
fuer Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige staedtische Gemeinde
war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen
Meerenge reichte, musste man wohl sich entschliessen, innerhalb dieser
grossen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach
Vollbuergergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich
die durch ihren Umfang gefaehrlichen groesseren Gaue, soweit dies nicht
schon frueher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgeloest
haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbuergergemeinden war ein
Kompromiss zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten
zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der
roemischen Gemeinde nach aelterem Recht zugekommen sein wuerde.
Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveraenen
latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzuegen der
roemischen gleich ist, die der roemischen altpatrizisch-konsularischen
Gemeinde; nur dass darauf gehalten ward, fuer dieselben Institutionen
in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der
Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Buergerversammlung tritt an
die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die
Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern
uebernimmt die Rolle des roemischen Senats. Das Gerichtswesen wird
verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die
den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Aedilen
entsprechen. Die Zensurgeschaefte, die wie in Rom von fuenf zu fuenf
Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung
der Gemeindebauten bestanden, wurden von den hoechsten Gemeindebeamten,
also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit uebernommen, welche
in diesem Fall den auszeichnenden Titel der "Gerichtsherren mit
zensorischer oder Fuenfjahrgewalt" annahmen. Die Gemeindekasse
verwalteten zwei Quaestoren. Fuer das Sakralwesen sorgten zunaechst die
beiden der aeltesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien
priesterlicher Sachverstaendigen, die munizipalen Pontifices und Augurn.
Was das Verhaeltnis dieses sekundaeren politischen Organismus zu dem
primaeren des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie
diesem die politischen Befugnisse vollstaendig zu und band also
der Gemeindebeschluss und das Imperium der Gemeindebeamten den
Gemeindebuerger ebenso wie der Volksbeschluss und das konsularische
Imperium den Roemer. Dies fuehrte im ganzen zu einer konkurrierenden
Taetigkeit der Staats- und der Stadtbehoerden: Es hatten beispielsweise
beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne dass bei
den etwaigen staedtischen Schatzungen und Steuern die von Rom
ausgeschriebenen oder bei diesen jene beruecksichtigt worden waeren; es
durften oeffentliche Bauten sowohl von den roemischen Beamten in ganz
Italien als auch von den staedtischen in ihrem Sprengel angeordnet
werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natuerlich die
Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluss den Stadtschluss. Eine
foermliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo
das reine Konkurrenzsystem zu der groessten Verwirrung gefuehrt haben
wuerde; hier wurden im Kriminalprozess vermutlich alle Kapitalsachen,
im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbstaendiges Auftreten der
dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstaedtischen
Behoerden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte
auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden
Rechtshaendel beschraenkt. Die Entstehung dieses italischen
Gemeindewesens ist nicht ueberliefert. Es ist wahrscheinlich, dass sie
in ihren Anfaengen zurueckgeht auf Ausnahmebestimmungen fuer die grossen
Buergerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegruendet
wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgueltige formelle
Differenzen zwischen Buergerkolonien und Buergermunizipien darauf hin,
dass die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende
Buergerkolonie urspruenglich eine bessere staatsrechtliche Stellung
gehabt hat als das weit aeltere Buergermunizipium, und diese Bevorzugung
kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annaehernden
Gemeindeverfassung, wie sie spaeterhin saemtlichen Buergerkolonien
wie Buergermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen laesst sich die neue
Ordnung zuerst fuer die revolutionaere Kolonie Capua, und keinem
Zweifel unterliegt es, dass sie ihre volle Anwendung erst fand, als
die saemtlichen bisher souveraenen Staedte Italiens infolge des
Bundesgenossenkriegs als Buergergemeinden organisiert werden mussten. Ob
schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst
Sulla das einzelne geordnet hat, laesst sich nicht entscheiden; die
Uebertragung der zensorischen Geschaefte auf die Gerichtsherren scheint
zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung
eingefuehrt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die aelteste
latinische Verfassung zurueckgehen, die ja auch die Zensur nicht
kannte. Auf alle Faelle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein-
und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwuerdigsten und
folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des roemischen
Staatslebens ueberhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufuegen hat
allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat,
das repraesentative Regiment und andere grosse Grundgedanken unseres
heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine
politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen gefuehrt, wo diese die
gegebenen Masse ueberwaechst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom
geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung
der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen
Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der staedtische
Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form
zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende
Gemeinde schon in der italischen vollstaendig entwickelt; bis auf den
Namen, der freilich in solchen Dingen die Haelfte der Sache ist, hat
diese letzte Verfassung der freien Republik das Repraesentativsystem
und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgefuehrt. Das
Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geaendert; die
Gemeindebehoerden der unfreien Staedte blieben vielmehr, von besonderen
Ausnahmen abgesehen, beschraenkt auf Verwaltung und Polizei und auf
diejenige Jurisdiktion, welche die roemischen Behoerden vorzogen, nicht
selbst in die Hand zu nehmen. Dieses war die Verfassung, die
Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand,
Buergerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin,
wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen,
doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das
roemische Heer hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es war
allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und
militaerisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia
nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Buergerwehr in eine
Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem
Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persoenlich an
sich zu fesseln. Diese voellige Umgestaltung des Armeegeistes hatte
der Buergerkrieg in graesslicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs
kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius
Carbo, waren waehrend desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten;
einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefaehrlichen Meute Herr zu
bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zuegel
schiessen liess wie noch nie vor ihm ein roemischer Feldherr. Wenn
deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so
ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben
der erste roemische Beamte, der seiner militaerischen und politischen
Aufgabe nur dadurch zu genuegen imstande war, dass er auftrat als
Condottiere. Aber er hatte die Militaerdiktatur nicht uebernommen, um
den Staat der Soldateska untertaenig zu machen, sondern vielmehr, um
alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die
Gewalt der buergerlichen Ordnung zurueckzuzwingen. Wie dies offenbar
ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab.
Mochte den uebrigen Buergern gegenueber die Oligarchie den Tyrannen
spielen; aber dass auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert
die umgestuerzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt
ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden,
schien unertraeglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste
Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der
Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und
Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug
seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen,
unterliess er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand.
Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der
Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich
in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das
Konsulat, ohne die niederen Aemter bekleidet zu haben. Mit Pompeius
kam, wenn nicht eine herzliche Aussoehnung, doch ein Vergleich zustande.
Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fuerchten, nahm
die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, dass mehr Leute
sich um die aufgehende Sonne kuemmerten als um die untergehende, und
bewilligte dem eitlen Juengling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen
sein Herz hing. Wenn er hier sich laesslich zeigte, so bewies er
dagegen Ofella gegenueber, dass er nicht der Mann war, sich von seinen
Marschaellen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als
Bewerber vor das Volk trat, liess ihn Sulla auf oeffentlichem Marktplatz
niederstossen und setzte sodann der versammelten Buergerschaft
auseinander, dass die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen
sei. So verstummte zwar fuer jetzt diese bezeichnende Opposition des
Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen
und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, dass das, was er
diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden koenne. Eines blieb noch
uebrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurueckfuehrung der
Ausnahmezustaende in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch
erleichtert, dass Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren
hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner
Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten
Befugnis sich nur bei Massregeln bedient, die von voruebergehender
Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Buergerschaft bloss
nutzlos kompromittiert haben wuerde, namentlich bei den Aechtungen.
Regelmaessig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet,
die er fuer die Zukunft vorschrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen
wir in dem Quaestorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von
anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen ueber die
Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren
Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurueckberufung
der afrikanischen Armee und bei Erteilung von staedtischen Freibriefen,
der Senat vorangestellt. In demselben Sinn liess Sulla schon fuer 673
(81) Konsuln waehlen, wodurch wenigstens die gehaessige offizielle
Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht
noch ausschliesslich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundaere
Persoenlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla
die ordentliche Verfassung wieder vollstaendig in Wirksamkeit und
verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus
Metellus den Staat, waehrend er die Regentschaft zwar noch beibehielt,
aber vorlaeufig ruhen liess. Er begriff es wohl, wie gefaehrlich es eben
fuer seine eigenen Institutionen war, die Militaerdiktatur zu verewigen.
Da die neuen Zustaende sich haltbar zu erweisen schienen, und von den
neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch
zurueck, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so liess er
den Wahlen fuer 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat
als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald
nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr
Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft
nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit
dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkuer geschaltet hatte,
auf dessen Wink so viele Haeupter gefallen waren, dem in jeder Gasse
Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen
ebenbuertigen Verbuendeten, ja genau genommen ohne den Rueckhalt einer
festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk
der Reorganisation des Staates zu Ende gefuehrt hatte, als dieser
Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfuelle
freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete,
seine Gerichtsdiener entliess und die dichtgedraengte Buergerschaft
aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles
schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbuehne und zu Fuss, nur von den
Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Poebel, der ihm vor
acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurueck nach seiner Wohnung. Die
Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig
zu wuerdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die
Persoenlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der
Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen
eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein
Sanguiniker, blauaeugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder
leidenschaftlichen Bewegung sich roetender Gesichtsfarbe, uebrigens ein
schoener, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt,
dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Grossvaters
Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem
der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann
der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten.
Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem
Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den
minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemaechtigte
er rasch und bebend sich der ganzen Fuelle sinnlich geistiger Genuesse,
welche die Verbindung hellenischer Feinheit und roemischen Reichtums zu
gewaehren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war
er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad;
vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und
den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber
seinem bedraengten Genossen als seinem reichen Glaeubiger goennte.
Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
Frauen; selbst in seinen spaeteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn
er nach vollbrachtem Tagesgeschaeft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der
Ironie, man koennte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine
ganze Natur. Noch als Regent befahl er, waehrend er die Versteigerung
der Gueter der Geaechteten leitete, fuer ein ihm ueberreichtes
schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu
verabreichen unter der Bedingung, dass er gelobe, ihn niemals wieder zu
besingen. Als er vor der Buergerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte,
geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzaehlte von dem Ackersmann
und den Laeusen. Seine Gesellen waehlte er gern unter den Schauspielern
und liebte es, nicht bloss mit Quintus Roscius, dem roemischen Talma,
sondern auch mit viel geringeren Buehnenleuten beim Weine zu sitzen;
wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Auffuehrung
in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen
Bacchanalien ihm weder die koerperliche noch die geistige Spannkraft
verloren; noch in der laendlichen Musse seiner letzten Jahre lag
er eifrig der Jagd ob, und dass er aus dem eroberten Athen die
Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl fuer sein
Interesse auch an ernsterer Lektuere. Das spezifische Roemertum
stiess ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die roemischen Grossen
gegenueber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit
beschraenkter grosser Maenner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er
gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute
in griechischen Staedten in griechischer Tracht oder veranlasste seine
adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch
weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen
geblieben, die in Laendern freier Verfassung jede jugendliche Kapazitaet
auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder
andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war,
schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nuechternem
Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wuenschen und Streben
mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom
Zufall regiert ward und wo, wenn ueberhaupt auf etwas, man ja doch auf
nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der
Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben
folgte auch er. Seine wunderliche Glaeubigkeit ist nicht der plebejische
Koehlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen fuer Geld sich wahrsagen
und seine Handlungen durch ihn bestimmen laesst; noch weniger der
finstere Verhaengnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das
Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhaengende
Ordnung der Dinge durch und durch zurueckgekommenen Menschen notwendig
sich einstellt, der Aberglaube des gluecklichen Spielers, der sich vom
Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und ueberall die rechte Nummer
zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die
Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, aeusserte er, dass es
demjenigen nimmermehr fehlen koenne, dem die Goetter selbst die Kasse
fuellten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, dass sie sich
scheuten, die verlangten Schaetze zu senden, da die Zither des Gottes
hell geklungen, als man sie beruehrt, liess er ihnen zuruecksagen, dass
man sie nun um so mehr schicken moege, denn offenbar stimme der Gott
seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
Gedanken, der auserwaehlte Liebling der Goetter zu sein, ganz besonders
jener, der er bis in seine spaeten Jahre vor allen den Preis gab, der
Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie
ruehmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Traeumen und Anzeichen die
Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht,
auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein
einzig treues Glueck. Er pflegte wohl zu sagen, dass jedes improvisierte
Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmaessig angelegte, und
eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf
seiner Seite gefallenen Leute regelmaessig als null anzugeben, ist
doch auch nichts als die Kinderei eines Glueckskindes. Es war nur der
Ausdruck der ihm natuerlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner
Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe
unter sich sehend, die Bezeichnung des Gluecklichen, Sulla Felix,
als foermlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende
Benennungen beilegte. Nichts lag Sulla ferner als der planmaessige
Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner
Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als
das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgueltig und zu wenig
Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebaeudes freiwillig
befassen zu moegen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen,
in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie ueblich die
Aemterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und
ueberliess dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht
fehlte. So fuehrte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der
Quaestorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius
Marius. Der unversuchte hauptstaedtische Elegant ward von dem rauben
baeurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten
empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und
anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen
und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene
eigentuemliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren
seine Zeitgenossen von ihm sagten, dass er halb Loewe, halb Fuchs
und der Fuchs in ihm gefaehrlicher sei als der Loewe. Dem jungen,
hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermassen der
eigentliche Beendiger des laestigen Numidischen Krieges war, oeffnete
jetzt sich die glaenzendste Laufbahn; er nahm auch teil am
Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
Verpflegungsgeschaeftes sein ungemeines Organisationstalent;
nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des
hauptstaedtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In
der Praetur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben
hatte, im Jahre 661 (93) uebernahm, fuegte es sich abermals, dass ihm
in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg ueber
Koenig Mithradates und der erste Vertrag mit den maechtigen Arsakiden
sowie deren erste Demuetigung gelang. Der Buergerkrieg folgte. Sulla war
es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion
zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich
gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand
mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glueck schien sich
ein Geschaeft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen
juengeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte,
wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollfuehrt; im
Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbuesste und
abgesetzt ward, gruendete Sulla seinen militaerischen Ruf und stieg
empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor
allem ein persoenlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war,
endigte mit Marius' Aechtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war
Sulla der beruehmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie
geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische
Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen.
Wie der Kapitaen, der das brennende Schiff nicht loescht, sondern
fortfaehrt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, waehrend die
Revolution in Italien tobte, in Asien unerschuettert aus, bis der
Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er
die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der
verzweifelnden Samniten und Revolutionaere. Der Moment der Heimkehr war
fuer Sulla ein ueberwaeltigender in Freude und in Schmerz; er selbst
erzaehlt in seinen Memoiren, dass er die erste Nacht in Rom kein Auge
habe zutun koennen, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war
seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter
Selbstherrscher wie nur je ein Koenig und doch durchaus verharrend
auf dem Boden des formellen Rechts, zuegelte er die ultrareaktionaere
Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende
Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz
machenden Maechte der Kapitalisten und des hauptstaedtischen
Proletariats, endlich den im Schosse seines eigenen Stabes erwachsenen
Uebermut des Saebels wieder unter das neu befestigte Gesetz.
Selbstaendiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die
Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Haende, verlieh ihr die
Gesetzgebung, die Gerichte, die militaerische und finanzielle Obergewalt
und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer
in den angesiedelten Militaerkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet
war, trat der Schoepfer zurueck von seiner Schoepfung; freiwillig ward
der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen
langen militaerischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht
verloren, nie einen Schritt zuruecktun muessen und ungeirrt von Feinden
und Freunden sein Werk gefuehrt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl
hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Goettin des
Gluecks schien hier einmal die Laune der Bestaendigkeit angewandelt und
sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen
und Ehren zu haeufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die
Geschichte wird gerechter gegen ihn sein muessen, als er es gegen sich
selber war, und ihn in eine hoehere Reihe stellen als in die der blossen
Favoriten der Fortuna. Nicht als waere die Sullanische Verfassung ein
Werk politischer Genialitaet, wie zum Beispiel die Gracchische und
die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der
Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmaennisch neuer
Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat
durch Bekleidung der Quaestur, die Aufhebung des zensorischen Rechts,
den Senator aus dem Senate zu stossen, die legislatorische Initiative
des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug
des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer
des Oberamts auf zwei Jahre, der Uebergang des Kommandos von dem
Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Propraetor,
selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla
geschaffene, sondern frueher schon aus dem oligarchischen Regiment
entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja
selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Aechtungen
und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica,
Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die
rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich
der Gegner zu entledigen? Ueber die roemische Oligarchie dieser Zeit nun
gibt es kein Urteil als unerbittliche und ruecksichtslose Verdammung;
und wie alles andere, was ihr anhaengt, ist davon auch die Sullanische
Verfassung vollstaendig mitbetroffen. Das von der Genialitaet des Boesen
bestochene Lob versuendigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte;
aber daran wird man doch erinnern duerfen, dass weit weniger Sulla die
Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten
als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften
Entnervung und Verbissenheit verfallende roemische Aristokratie
insgesamt, und dass alles, was darin schal, und alles, was darin
verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurueckfaellt. Sulla hat den
Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerruettetes
Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern
wie der zeitweilige Geschaeftsfuehrer, der seiner Anweisung getreu
nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schliessliche
und wesentliche Verantwortung von dem Geschaeftsherrn ab auf den
Verwalter zu waelzen. Man schlaegt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder
findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden
und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und
Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk
eines zufaellig an die Spitze des Staats geratenen Wueterichs ansieht.
Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht
mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewussten
Gedanken unbewusst herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit
wunderbarer, ja daemonischer Vollkommenheit durchgefuehrt; innerhalb
der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloss grossartig,
sondern selbst nuetzlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und
stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die roemische damals war, einen
Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und faehig war, ohne jede
Ruecksicht auf eigenen Machtgewinn fuer sie den Degen des Feldherrn
und den Griffel des Gesetzgebers zu fuehren. Es ist freilich ein
Unterschied, ob ein Offizier aus Buergersinn das Szepter verschmaeht
oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der voelligen Abwesenheit
des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen -
verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloss die
Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt
gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit
sie beruhte auf der Zuruecksetzung einzelner minder berechtigter gegen
andere besser berechtigte Distrikte, endgueltig geschlossen und ist,
indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller
Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber
der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit
endloser Not und Stroemen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft
war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit laenger als einem halben
Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in
Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung
war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit aergere
Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in
jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Buendnis mit den Samniten
widerspiegelt, der unklarste, unertraeglichste, heilloseste aller
denkbaren politischen Zustaende, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist
nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhoehlte
roemische Gemeinwesen notwendig haette zusammenstuerzen muessen, wenn
nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz
desselben gerettet haette. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig
Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen,
dass sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit,
darueber zu uebersehen, dass ohne Sulla hoechstwahrscheinlich der
Bauplatz selbst von den Fluten waere fortgerissen worden; und auch jener
Tadel trifft zunaechst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in
dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter
tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und
geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine Besatzung
zu schaffen vermoege und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen
jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine
Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm;
es ist kein Vorwurf fuer den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt spaeter
die Wellen den naturwidrigen und von den Geschuetzten selbst nicht
verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung
auf hoechst loebliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen
Steuerwesens und der Kriminaljustiz, beduerfen, um Sullas ephemere
Restauration nicht geringschaetzig abzufertigen, sondern wird darin eine
richtig entworfene und unter unsaeglichen Schwierigkeiten im grossen
und ganzen konsequent durchgefuehrte Reorganisation des roemischen
Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen
Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es
nicht bloss der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das
empoerte menschliche Gefuehl wird mit Recht sich nie mit dem versoehnen,
was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine
Gewaltherrschaft nicht bloss mit ruecksichtsloser Gewaltsamkeit
begruendet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen
Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich
verdorben hat mit der grossen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor
dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings
auch dem sittlichen Urteil wegen der Kuehle und Klarheit seines Frevels
noch empoerender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher.
Aechtungen, Belohnungen der Henker, Gueterkonfiskationen, kurzer Prozess
gegen unbotmaessige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die
stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte fuer
diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhoert, dass die
Namen der vogelfreien Maenner oeffentlich angeschlagen und die Koepfe
oeffentlich ausgestellt wurden, dass den Banditen eine feste
Summe ausgesetzt und dieselbe in die oeffentlichen Kassenbuecher
ordnungsmaessig eingetragen ward, dass das eingezogene Gut gleich der
feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, dass der
Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen liess und vor
allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese oeffentliche Verhoehnung
der Humanitaet ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu
beigetragen, spaetere revolutionaere Krisen im voraus zu vergiften, und
noch jetzt ruht deswegen verdientermassen ein finsterer Schatten auf
dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen. Mit Recht darf man ferner
tadeln, dass Sulla, waehrend er in allen wichtigen Dingen ruecksichtslos
durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr
haeufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder
Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen
die Marier, ihm zuegellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen
und von sich selbst geruehmt, dass niemand besser als er Freunden und
Feinden vergolten habe ^13. Er verschmaehte es nicht, bei Gelegenheit
seiner Machtstellung, ein kolossales Vermoegen zu sammeln. Der erste
absolute Monarch des roemischen Staats, bewaehrte er den Kernspruch des
Absolutismus, dass den Fuersten die Gesetze nicht binden, sogleich an
den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen.
Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat
sein laessliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon
seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische
Notwendigkeit geboten war, laesst sich hierher rechnen; viel
schaedlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen
Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so
zum Beispiel ward dem Lucius Murena fuer die durch die schlimmste
Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloss die
Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus
Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch
verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die aergsten Frevel der
Aechtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas
eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum
verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Dass Sulla bei
seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgueltigen Wesen sehr
verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng
auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, dass er vor
seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutduerstiger
Wueterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das
Gegenteil der frueheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen
muessen, dass er mit demselben nachlaessigen Gleichmut strafte, mit dem
er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht ueberhaupt durch
sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie
es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glueck zu schelten, auch
der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der
Nichtigkeit und Vergaenglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach
Verwalterart das Ausbessern dem Einreissen und Umbauen vor und lasse
sich am Ende auch mit einer leidlichen Uebertuenchung der Schaeden
genuegen. ----------------------------------------------------- ^13
Euripides, Medeia, 807: Es soll mich keiner achten schwaechlich und
gering, Gutmuetig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, Den
Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
----------------------------------------------------- Wie er nun aber
war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein
ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens;
in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unveraendert derselbe. Es war
derselbe Sinn, der nach den glaenzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder
den hauptstaedtischen Muessiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der
absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen
Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die oeffentlichen
Geschaefte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte.
Auch nach der Resignation blieb er voellig sich gleich, ohne Unmut und
ohne Affektation, froh, der oeffentlichen Geschaefte entledigt zu sein
und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd
und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren fuellten seine muessigen
Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen
Buerger die inneren Verhaeltnisse der benachbarten Kolonie Puteoli
ebenso sicher und rasch wie frueher die Verhaeltnisse der Hauptstadt.
Seine letzte Taetigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die
Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen
Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergoennt war. Wenig
ueber ein Jahr nach seinem Ruecktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch
an Koerper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager
- noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie
- raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glueck
verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wuenschen, noch einmal
in den widerwaertigen Strudel der Parteikaempfe hineingezogen zu werden
und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution fuehren
zu muessen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien
und in Italien haette bei laengerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben
koennen. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der
Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen
Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die
man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu
frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde
beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort
die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine grossartigere Trauerfeier
gesehen. Ueberall wo der koeniglich geschmueckte Tote hindurchgetragen
ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbuendel, da
schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das
Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den
Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege gefuehrt
hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose
Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle
Geschaefte ruhten und zweitausend goldene Kraenze, als letzte Ehrengabe
der treuen Legionen, der Staedte und der naeheren Freunde, des Toten
harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemaess,
seinen Koerper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren
besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und
kuenftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die
Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe
aufgestoert hatte, den Flammen uebergeben. Geleitet von allen Beamten
und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer
Amtstracht und der ritterlich geruesteten adligen Knabenschar gelangte
der Zug auf den grossen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast
noch von dem Klange seiner gefuerchteten Worte erfuellten Platz ward dem
Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern
der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen
errichtet war. Waehrend er in Flammen loderte, hielten die Ritter und
die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber
ward auf dem Marsfeld neben den Graebern der alten Koenige beigesetzt,
und ein Jahr hindurch haben die roemischen Frauen um ihn getrauert.
--------------------------------------------------- ^14 Nicht die
Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen
Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert.
--------------------------------------------------- 11. Kapitel Das
Gemeinwesen und seine Oekonomie Ein neunzigjaehriger Zeitraum, vierzig
Jahr tiefen Friedens, fuenfzig einer fast permanenten Revolution liegen
hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die roemische
Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und oestlicher Richtung
die Alpen ueberschritten und gelangten die roemischen Waffen auf der
spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-
griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare
Lorbeeren. Der Kreis der "auswaertigen Voelkerschaften in der
Willkuer, Botmaessigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der roemischen
Buergerschaft" ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnuegte sich,
den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen
der Abhaengigkeit an Rom geknuepften Gemeinden mehr und mehr in die
volle Untertaenigkeit zu bringen. Hinter dem glaenzenden Vorhang
der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fuehlbares Sinken der
roemischen Macht. Waehrend die gesamte antike Zivilisation
immer bestimmter in dem roemischen Staat zusammengefasst, immer
altgemeingueltiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich
jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen
Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff ueberzugehen. Auf den
Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und
Orchomenos wurden die ersten Schlaege desjenigen Gewitters vernommen,
das ueber die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen
Staemme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes
dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch
in der inneren Entwicklung traegt diese Epoche denselben Charakter.
Die alte Ordnung stuerzt unwiederbringlich zusammen. Das roemische
Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie
Buergerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von
diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken
mit koeniglicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische
Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der roemischen wesentlich
gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die
ausseritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer
Freistaedte und barbarischer Voelker und Herrschaften, beide von der
Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise
sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide
Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei,
hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, dass von diesem
ehrwuerdigen Bau, der am Anfang der gegenwaertigen Epoche zwar rissig
und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluss derselben
kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveraene Machthaber
war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie
bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Buergerschaft hatte
jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren
unselbstaendige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die
Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatuerliche Erweiterung sich
selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen
in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische Bundesgenossenschaft war im
vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte
organische Gliederung des roemischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen
und nichts uebrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder
disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere
und aeussere Aufloesung des Staats ueberzugehen. Die politische Bewegung
lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darueber noch ward
gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der
Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische
Bewegung ging durchaus die zum Despotismus fuehrenden Wege: der
Grundgedanke des freien Gemeinwesens, dass die ringenden Maechte
gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschraenken, war allen Parteien
gleichmaessig abhanden gekommen, und hueben und drueben fingen zuerst
die Knuettel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten.
Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden
Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen
politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch fuer diese
Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Loesungen
gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung
der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber war das
Bitterste dieser bitteren Zeit, dass dem klarsehenden Patrioten selbst
das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit
all ihrer unendlichen Segensfuelle ging unaufhaltsam unter, und die
Daemmerung senkte sich ueber die eben noch so glaenzende Welt. Es war
keine zufaellige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie haetten
wehren koennen; es waren uralte soziale Schaeden, im letzten Kern
der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das
roemische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann
war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie
zu verlaengern und zu verkuerzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser
beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten
freiheitlichen Verfassung beseitigte und fuer das bescheidene Mass
menschlichen Gedeihens, wofuer in dem Absolutismus Raum ist, die neuen
Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter
den gegebenen Verhaeltnissen gegenueber jeder Oligarchie zukam, lag
wesentlich ebendarin, dass ein solcher energisch nivellierender und
energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behoerde
nimmermehr geuebt werden konnte. Allein diese kuehlen Erwaegungen machen
keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut fuer die
Zukunft. Man musste eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren
werde, nicht leben und nicht sterben zu koennen, und ob es schliesslich
an einer maechtigen Natur seinen Meister und, soweit dies moeglich war,
seinen Neuschoepfer finden oder in Elend und Schwaeche
zusammenstuerzen werde.
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^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave
populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der
nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen
"Eidgenossen und Stammverwandten" (socii nominisve Latini).
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Es bleibt noch uebrig, die oekonomische und soziale Seite dieses
Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frueher geschehen
ist. Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich
auf den Einkuenften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer,
die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen
Gefaellen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der
Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so dass die unbedingte
Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmaessiges Vorrecht des
roemischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats,
wie das Salzmonopol und das Muenzrecht, wurden, wenn ueberhaupt je,
so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
Erbschaftssteuer liess man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
geradezu ab. Demnach zog die roemische Staatskasse aus Italien
einschliesslich des diesseitigen Galliens nichts als teils den
Domaenenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den
Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen
und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einfuehrenden in das roemische
Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als
Luxussteuern betrachtet werden koennen und allerdings durch die
Ausdehnung des roemischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz
Italien, wahrscheinlich mit Einschluss des diesseitigen Galliens,
ansehnlich gesteigert werden mussten. In den Provinzen nahm der
roemische Staat zunaechst als Privateigentum in Anspruch teils in
den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils
in denjenigen Staaten, wo die roemische Regierung an die Stelle der
ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen
Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi,
Karthago, Korinth, das Domanialgut der Koenige von Makedonien, Pergamon
und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als roemische Domaenen
galten und, aehnlich wie das Gebiet von Capua, von den roemischen
Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer
bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Dass Gaius Gracchus noch weiter
ging, das gesamte Provinzialland als Domaene ansprach und zunaechst fuer
die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchfuehrte, als er
den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte
durch das Eigentumsrecht des roemischen Staats an Acker, Wiese und
Kueste der Provinz, mochten diese nun frueher dem Koenig oder Privaten
gehoert haben, ward bereits frueher ausgefuehrt. Nutzbare Staatsregalien
scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenueber noch
nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Oelbaues im
Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute.
Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in grossem Umfang erhoben.
Die als vollstaendig souveraen anerkannten Klientelstaaten, also zum
Beispiel die Koenigreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstaedte
(civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades
waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die
roemische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmaessige Stellung
einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten,
teils, wie natuerlich, im Notfall durch ausserordentliche Hilfsleistung
jeder Art zu unterstuetzen. Das uebrige Provinzialgebiet dagegen, selbst
mit Einschluss der Freistaedte, unterlag durchgaengig der Besteuerung,
und nur die mit roemischem Buergerrecht beliehenen Staedte, wie Narbo,
und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates
immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die
direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in
einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfruechte
wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem
entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem
groessten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in
einer von jeder einzelnen Gemeinde jaehrlich nach Rom zu entrichtenden
festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel fuer ganz
Makedonien 600000 (183000 Taler), fuer die kleine Insel Gyaros bei
Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im
ganzen niedrig und geringer war als die vor der roemischen Herrschaft
entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat
gegen Lieferung fester Quantitaeten Korn oder fester Geldsummen an
Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die
einzelnen Gemeinden und ueberliess es diesen, den Betrag nach den von
der roemischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf
die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3.
Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten
Chaussee-, Bruecken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zoellen.
Die Zoelle des Altertums waren, wo nicht ausschliesslich doch sehr
vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzoelle auf die zur Feilbietung
bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde
in ihren Haefen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Roemer
erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr
urspruengliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der roemische
Buergerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein
allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des
Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden fuer den roemischen
Staat wohl durchaus Zollfreiheit, fuer den roemischen Buerger vielfach
wenigstens Zollbeguenstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken,
die nicht zum Buendnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher
Untertaenigkeit standen, auch nicht die Immunitaet erworben hatten,
fielen die Zoelle doch selbstverstaendlich an den eigentlichen
Souveraen, das heisst an die roemische Gemeinde; und infolgedessen
wurden einzelne groessere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere
roemische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen
verbuendeten oder mit Immunitaet beliehenen Gemeinden als vom roemischen
Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der
karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von
allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fuenf Prozent vom Wert
erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen
Gesetzes eine aehnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward
in aehnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschliesslich der Feldmark der
roemischen Kolonie, als roemischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser
Einrichtung mag ausser den fiskalischen Zwecken auch die loebliche
Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzoellen
unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmaessige
Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zoelle
gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmaenner verdungen.
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Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt,
ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentuemerzehnten, den er auf das
Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein
fuer allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers,
verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende
Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr.
3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Roemisches
Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. 3 Das Verfahren war, wie es scheint,
folgendes. Die roemische Regierung bestimmte zunaechst die Gattung
und die Hoehe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der
Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5
4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr
ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in
Kilikien und Syrien spaeter 5 vom Hundert des Vermoegens (App. Syr. 50)
und auch in Africa eine, wie es scheint, aehnliche Abgabe entrichtet,
wobei uebrigens das Vermoegen nach gewissen Praesumtionen, z. B. nach
der Groesse des Bodenbesitzes, der Zahl der Tueroeffnungen, der Kopfzahl
der Kinder und Sklaven abgeschaetzt worden zu sein scheint (exactio
capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; phoros epi
t/e/ g/e/ kai tois s/o/masin, App. Pun. 135, fuer Africa). Nach dieser
Norm wurde von den Gemeindebehoerden unter Oberaufsicht des roemischen
Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen
Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata epikephalia Cic. Att. 5, I6);
wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward
ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur
Einziehung uebertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; /o/nas
omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floss den
Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon
zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte
Geldbetrag nach Rom abgefuehrt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar
erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umstaenden, entweder
einen Teil des Ertrags der Steuer fuer sich oder setzte aus eigenem
Vermoegen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch
Publikanen lag lediglich darin, dass dort die Gemeindebehoerde der
Kontribuablen, hier roemische Privatunternehmer den Vermittler machten.
------------------------------------------------------- Hierauf waren
die ordentlichen Lasten der roemischen Steuerpflichtigen beschraenkt,
wobei uebrigens nicht uebersehen werden darf, dass die Erhebungskosten
hoechst betraechtlich waren und die Kontribuablen unverhaeltnismaessig
mehr zahlten, als die roemische Regierung empfing. Denn wenn das
System der Steuereinziehung durch Mittelsmaenner, namentlich durch
Generalpaechter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist,
so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und
die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs
aeusserste erschwert. Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen
noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militaerverwaltung
trug von Rechts wegen die roemische Gemeinde. Sie versah die
Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen
Beduerfnissen; sie besoldete und versorgte die roemischen Soldaten in
der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und aehnliche Gegenstaende
hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich
zu gewaehren; ja die freien Staedte waren sogar auch von der
Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht -
regelmaessig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe,
Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte,
so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in
Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Beduerfnis
von den Untertanengemeinden oder den souveraenen Klientelstaaten
einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der roemischen
Grundsteuer, rechtlich als Kaeufe oder Vorschuesse behandelt und der
Wert von der roemischen Staatskasse sogleich oder spaeter ersetzt. Aber
dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch
praktisch, diese Requisitionen eine der drueckendsten Belastungen der
Provinzialen; um so mehr, als die Entschaedigungsziffer regelmaessig von
der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es
begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschraenkungen dieses gefaehrlichen
Requisitionsrechts der roemischen Oberbeamten - so die schon erwaehnte
Vorschrift, dass in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen
nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfuer der
Preis nicht einseitig ausgemacht werden duerfte; die Bestimmung eines
Maximalquantums des von dem Statthalter fuer seine und seines Gefolges
Beduerfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgaengige Anordnung
einer festbestimmten und hochgegriffenen Verguetung fuer das Getreide,
das wenigstens in Sizilien haeufig fuer die Beduerfnisse der Hauptstadt
eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der
Druck jener Requisitionen auf die Oekonomie der Gemeinden und der
einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs
beseitigt. In ausserordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich
unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die
Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der
der erzwungenen freiwilligen Beitraege erfolgten, die Verguetung
also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die
kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste
gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen
vierzigfachen (fuer den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio
fuenfundsiebzigfachen Sold zu gewaehren, ausserdem Kleidung und Tisch
nebst dem Recht, nach Belieben Gaeste einzuladen; so schrieb derselbe
Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natuerlich keine Rede
war. Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen.
Sie muessen verhaeltnismaessig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da
die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude,
ueberhaupt alle Zivilausgaben von den staedtischen Budgets getragen
wurden und die roemische Regierung lediglich das Militaerwesen aus ihrer
Kasse zu bestreiten uebernahm. Sogar von diesem Militaerbudget aber
wurden noch betraechtliche Posten auf die Gemeinden abgewaelzt - so die
Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militaerstrassen,
die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu
einem grossen Teil die Ausgaben fuer das Heerwesen, insofern die
Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten
ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmaessig zum Dienst
herangezogen wurden und auch ausserhalb derselben Thraker in Afrika,
Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer
haeufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen,
nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war
dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien
die Lasten und Kosten des Militaerwesens allein trug; seit dies aber
aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden
ueberlastet. ------------------------------------------------- 4
Beispielsweise entrichtete in Judaea die Stadt Joppe 26075 roemische
Scheffel Korn, die uebrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfuersten;
wozu dann noch der Tempelschoss und die fuer die Roemer bestimmte
sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem roemischen
Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermoegen erhoben.
------------------------------------------------- Endlich ist das
grosse Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die roemischen
Beamten und Steuerpaechter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast
der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter
nahm, gesetzlich als erpresstes Gut behandeln, und selbst das Recht zu
kaufen ihm durch Gesetz beschraenken, seine oeffentliche Taetigkeit bot
ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug.
Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und
des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von
Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Aerzten und Pfaffen; das
den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Befoerderung; die
Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor
allem die Zwangsverkaeufe und die Requisitionen gaben allen Beamten
Gelegenheit, aus den Provinzen fuerstliche Vermoegen heimzubringen; und
das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung
sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als
gefaehrlich allein fuer den ehrlichen Beamten. Die durch die Haeufigkeit
der Klagen ueber Beamtenerpressung in den Provinzen veranlasste
Einrichtung einer stehenden Kommission fuer dergleichen Faelle im Jahre
605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden
Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die
immer wachsende Hoehe des Uebels. Unter all diesen Verhaeltnissen konnte
selbst eine der Anlage nach maessige Besteuerung effektiv aeusserst
drueckend werden, und dass sie dies war, ist ausser Zweifel, wenngleich
der oekonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf
die Provinzen uebten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben
mag als die Besteuerung mit allen daran haengenden Missbraeuchen. Fassen
wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog,
nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir
jetzt damit verbinden, sondern vielmehr ueberwiegend eine den attischen
Tributen vergleichbare Hebung, womit der fuehrende Staat die Kosten des
von demselben uebernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklaert sich
auch die auffallende Geringfuegigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es
findet sich eine Angabe, wonach die roemische Einnahme, vermutlich mit
Ausschluss der italischen Einkuenfte und des von den Zehntpaechtern in
Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht
mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei
Drittel der Summe, die der Koenig von Aegypten jaehrlich aus seinem
Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhaeltnis befremden.
Die Ptolemaeer beuteten das Niltal aus wie grosse Plantagenbesitzer und
zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr
mit dem Orient; das roemische Aerar war nicht viel mehr als die
Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der
Reinertrag war wahrscheinlich verhaeltnismaessig noch geringer.
Einen ansehnlichen Ueberschuss lieferten wohl nur Sizilien, wo das
karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius
Gracchus, um seine Getreideverteilung moeglich zu machen, daselbst die
Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt
hatte; nach vielfaeltigen Zeugnissen ruhten die roemischen
Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung
klingt ganz glaublich, dass die uebrigen Provinzen durchschnittlich
ungefaehr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche
eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige
Gallien, Makedonien, moegen oft mehr gekostet als getragen haben. Im
ganzen blieb dem roemischen Aerar allerdings in gewoehnlichen Zeiten
ein Ueberschuss, welcher es moeglich machte, die Staats- und Stadtbauten
reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch
die fuer diese Betraege vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit
dem weiten Gebiet der roemischen Herrschaft, sprechen fuer die
Geringfuegigkeit des Reinertrags der roemischen Steuern. In gewissem
Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verstaendige Grundsatz:
die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie
die roemisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung
beherrscht. Was die roemische Gemeinde von ihren ueberseeischen
Untertanen erhob, ward der Regel nach auch fuer die militaerische
Sicherung der ueberseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn
diese roemischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als
die aeltere Besteuerung, dass sie grossenteils im Ausland verausgabt
wurden, so schloss dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren
und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
Militaerverwaltung eine sehr ansehnliche oekonomische Ersparnis ein.
Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in
der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstoert
und durchloechert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich
gestattete. Der hieronisch- karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging
weit hinaus ueber den Betrag eines jaehrlichen Kriegsbeitrags. Mit
Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, dass es der roemischen
Buergerschaft uebel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zoellner der
Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzoelle war mit dem Grundsatz
der uneigennuetzigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Hoehe der
Zollsaetze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
Gefuehl des hier zugefuegten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehoert
wohl schon dieser Zeit an, dass der Name des Zoellners den oestlichen
Voelkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Raeubers
ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den roemischen
Namen besonders im Osten widerwaertig und gehaessig zu machen. Als dann
aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich
in Rom die populaere nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden
fuer ein Recht erklaert, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine
Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum
verwandelt, das vollstaendige Exploitierungssystem nicht bloss
eingefuehrt, sondern mit unverschaemter Offenherzigkeit rechtlich
motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, dass dabei
eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und
Asia das haerteste Los traf. Einen ungefaehren Messer des roemischen
Finanzstandes dieser Zeit gewaehren in Ermangelung bestimmter Angaben
noch am ersten die oeffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser
Epoche wurden dieselben in groesstem Umfange betrieben, und vor allem
die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefoerdert
worden. In Italien schloss sich an die grosse, vermutlich schon aeltere
Suedchaussee, die als Verlaengerung der Appischen von Rom ueber Capua,
Beneventum, Venusia nach den Haefen von Tarent und Brundisium lief, eine
Seitenstrasse an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des
Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostkueste, wo bisher nur
die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Strasse
chaussiert gewesen war, wurde die Kuestenstrasse suedwaerts bis nach
Brundisium, nordwaerts ueber Hatria am Po bis nach Aquileia verlaengert
und wenigstens das Stueck von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten
Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden grossen
etrurischen Chausseen, die Kuesten- oder Aurelische Strasse von Rom nach
Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward,
und die ueber Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia gefuehrte
Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, duerften als
roemische Staatschausseen erst dieser Zeit angehoeren. Um Rom selbst
bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Bruecke
(Ponte Molle), auf der die Flaminische Strasse unweit Rom den Tiber
ueberschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
Flaminisch-Aemilische Kunststrasse gehabt hatte, wurde im Jahre 606
(148) die grosse Postumische Strasse gebaut, die von Genua ueber
Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegruendet ward,
weiter ueber Placentia, wo sie die Flaminisch-Aemilische Strasse
aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia fuehrte und also das
Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die
im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung
zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Strasse
unmittelbar mit Rom verknuepfte. In einer anderen Weise war Gaius
Gracchus fuer das italische Wegewesen taetig. Er sicherte
die Instandhaltung der grossen Landstrassen, indem er bei der
Ackerverteilung laengs derselben Grundstuecke anwies, auf denen die
Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn
ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die
Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so
auch die der Errichtung von Meilensteinen zurueckzugehen; er sorgte
endlich fuer gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu
foerdern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in
dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen:
die Domitische Strasse stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg
von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gruendung von Aquae
Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische
fuehrten von den Hauptplaetzen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres,
jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im
Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Strassennetz fuehrte
von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an
die Reichsgrenze - alles Anlagen, ueber deren Entstehung in der
truemmerhaften Ueberlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden
ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der
roemischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
unzweifelhaft in Zusammenhang standen und fuer die Zentralisierung des
Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte
von der groessten Bedeutung geworden sind. Wie fuer die Strassen war man
wenigstens in Italien auch fuer die grossen Entsumpfungsarbeiten taetig.
So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Suempfe,
die Lebensfrage fuer Mittelitalien, mit grossem Kraftaufwand und
wenigstens voruebergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109)
in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die
Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt.
Endlich tat die Regierung viel fuer die zur Gesundheit und
Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen
roemischen Wasserleitungen. Nicht bloss wurden die beiden seit den
Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die
Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch
zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die
an Guete und Fuelle des Wassers auch spaeter unuebertroffen blieb,
und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die
roemische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels
reiner Barzahlung auszufuehren vermochte, zeigt nichts deutlicher als
die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche
Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13« Mill. Taler) ward innerhalb
dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es laesst dies schliessen
auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch
schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und
ohne Zweifel bestaendig im Steigen war. Alle diese Tatsachen
zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen guenstigen
Stand der roemischen Finanzen dieser Zeit schliessen. Nur darf auch
in finanzieller Hinsicht nicht uebersehen werden, dass die Regierung
waehrend der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glaenzende
und grossartige Bauten ausfuehrte, aber dafuer andere wenigstens ebenso
notwendige Ausgaben zu machen unterliess. Wie ungenuegend sie fuer
das Militaerwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den
Grenzlandschaften, ja im Potal pluenderten die Barbaren, im Innern
hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Raeuberbanden. Die
Flotte gar ward voellig vernachlaessigt; roemische Kriegsschiffe gab
es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstaedte
bauen und erhalten liess, reichten nicht aus, so dass man nicht bloss
schlechterdings keinen Seekrieg zu fuehren, sondern nicht einmal den
Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben
eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die
Flussbauten wurden seltsam vernachlaessigt. Immer noch besass die
Hauptstadt keine andere Bruecke ueber den Tiber als den uralten
hoelzernen Steg, der ueber die Tiberinsel nach dem Ianiculum fuehrte;
immer noch liess man den Tiber jaehrlich die Strassen unter Wasser
setzen und Haeuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen,
ohne etwas fuer die Uferbefestigung zu tun; immer mehr liess man, wie
gewaltig auch der ueberseeische Handel sich entwickelte, die an sich
schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter
den guenstigsten Verhaeltnissen und in einer Epoche vierzigjaehrigen
Friedens nach aussen und innen solche Pflichten versaeumt, kann leicht
Steuern schwinden lassen und dennoch einen jaehrlichen Ueberschuss der
Einnahme ueber die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen;
aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen
ihrer nur scheinbar glaenzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben
Vorwuerfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der
verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet
gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden
mussten. Weit schlimmer gestalteten sich natuerlich die finanziellen
Verhaeltnisse, als die Stuerme der Revolution hereinbrachen. Die neue
und, auch bloss finanziell betrachtet, hoechst drueckende Belastung,
die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung
erwuchs, den hauptstaedtischen Buergern das Getreide zu Schleuderpreisen
zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia
neu eroeffneten Einnahmequellen zunaechst wieder ausgeglichen.
Nichtsdestoweniger scheinen die oeffentlichen Bauten seitdem
fast gaenzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die
erweislichermassen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus
angelegten oeffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit
nach 632 (122) kaum andere genannt als die Bruecken-, Strassen und
Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645
(109) anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge
des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt fuer ein immer
mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in
der Angabe, dass der roemische Reservefonds seinen hoechsten Stand
im Jahre 663 (91) erreichte. Der fuerchterliche Insurrektions- und
Revolutionssturm in Verbindung mit dem fuenfjaehrigen Ausbleiben der
kleinasiatischen Gefaelle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg
wieder den roemischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben
dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
Unterschied der Zeiten, als dass im Hannibalischen Krieg erst im
zehnten Kriegsjahre, als die Buergerschaft den Steuern fast erlag, der
Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von
Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei
Feldzuegen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man
lieber die oeffentlichen Plaetze in der Hauptstadt versteigerte und
die Tempelschaetze angriff, als eine Steuer auf die Buerger ausschrieb.
Indes der Sturm, so arg er war, ging vorueber; Sulla stellte, freilich
unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen
Revolutionaeren aufgebuerdeten oekonomischen Opfern, die Ordnung in den
Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob,
die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem
Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden oekonomischen
Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen
Einnahmen blieben. In der Privatoekonomie dieser Zeit tritt kaum ein
neues Moment hervor; die frueher dargelegten Vorzuege und Nachteile der
sozialen Verhaeltnisse Italiens werden nicht veraendert, sondern nur
weiter und schaerfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir
bereits frueher die steigende roemische Kapitalmacht den mittleren und
kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmaehlich
verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah
nicht bloss zu ohne zu wehren, sondern foerderte noch die schaedliche
Bodenteilung durch einzelne Massregeln, vor allem durch das zu Gunsten
der grossen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot
der transalpinischen Wein- und Oelproduktion 5. Zwar wirkten sowohl
die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der
Konservativen energisch dem uebel entgegen: indem die beiden Gracchen
die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie
dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten
in Italien ansiedelte, ergaenzte er wenigstens einen Teil der von der
Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft
gerissenen Luecken; allein dem durch stetigen Abfluss sich leerenden
Gefaess ist nicht durch Einschoepfen auch betraechtlicher Massen,
sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar
geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem
Auskaufen durch die roemischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen
waren ja bloss Menschen und keine Partei. Die Folge war, dass mehr und
mehr auch die ausseritalische Bodenrente nach Rom floss. Uebrigens
war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst
in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits
durchaus ueberwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und
rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher
Bluete gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die
Eroeffnung gezwungener Maerkte in einem Teil der Provinzen, teils das
zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot
der auslaendischen Weine in Italien auch kuenstlich foerderten, erzielte
sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben
dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der "Opimische Wein" vom
Jahre 633 (121), der roemische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem
der letzte Krug geleert war. -------------------------------------------
5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor
Varro lebenden roemischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5)
zusammenhaengen, dass der Wein- und Oelbau sich bestaendig weiter
nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluss wegen Uebersetzung
der Magonischen Buecher gehoert hierher.
--------------------------------------------- Von Gewerben und
Fabrikation ist nichts zu sagen, als dass die italische Nation in dieser
Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivitaet verharrte. Man
zerstoerte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher
wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst aehnliche
Fabriken zu gruenden, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen,
was die griechischen Haeuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefaessen
und aehnlichen "alten Arbeiten" bewahrten. Was von Gewerken
noch einigermassen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen
zusammenhaengenden, trug fuer das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen,
weil auch hier bei jeder groesseren Unternehmung die Sklavenwirtschaft
sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen
Wasserleitung in der Art erfolgte, dass die Regierung mit 3000 Meistern
zugleich Bau- und Lieferungsvertraege abschloss, von denen dann
jeder mit seiner Sklavenschar die uebernommene Arbeit beschaffte. Die
glaenzendste oder vielmehr die allein glaenzende Seite der roemischen
Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze
stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein grosser,
vielleicht der groesste Teil der roemischen Staatseinnahmen in die
Taschen der roemischen Kapitalisten floss. Der Geldverkehr ferner war im
ganzen Umfang des roemischen Staats von den Roemern monopolisiert; jeder
in Gallien umgesetzte Pfennig, heisst es in einer bald nach dem Ende
dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Buecher der
roemischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel ueberall. Wie
das Zusammenwirken der rohen oekonomischen Zustaende und der
ruecksichtslosen Ausnutzung der politischen Uebermacht zu Gunsten der
Privatinteressen eines jeden vermoegenden Roemers eine wucherliche
Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der
von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die
roemischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und
nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres
urspruenglichen Betrags an. Die Gemeinden mussten ihre oeffentlichen
Gebaeude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen
Kinder verkaufen, um dem roemischen Glaeubiger gerecht zu werden; es war
nichts Seltenes, dass der Schuldner nicht bloss der moralischen Tortur
unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu
kam endlich der Grosshandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr
betraechtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Oel, womit Italien
neben Griechenland fast ausschliesslich - die Weinproduktion in der
massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering
gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer
Wein ging in bedeutenden Quantitaeten nach den Balearischen Inseln und
Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach
Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr
nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten
Luxusartikel, Speisen, Getraenke, Stoffe, Schmuck, Buecher, Hausgeraet,
Kunstwerke, ueber See eingefuehrt wurden. Vor allem aber der
Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der roemischen
Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch
nicht gekannt hatte und der mit dem Aufbluehen der Piraterie im engsten
Zusammenhang steht; alle Laender und alle Nationen wurden dafuer in
Kontribution gesetzt, die Hauptfangplaetze aber waren Syrien und das
innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die ueberseeische Einfuhr
sich vorzugsweise in den beiden grossen Emporien am Tyrrhenischen Meer,
Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als
der naechste Hafen an Rom, fuer weniger werthafte Waren der geeignetste
Stapelplatz war, zog sich die fuer die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr,
dagegen der Luxushandel mit dem Osten ueberwiegend nach Puteoli, das
durch seinen guten Hafen fuer Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl
und in der mehr und mehr mit Landhaeusern sich fuellenden Gegend von
Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstaedtischen wenig nachstehenden
Markt in naechster Naehe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr
durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie
denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische "Klein-Delos"
heisst; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege
betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knuepften die
Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an
und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten
ueberseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloss der Gewinn, der
bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den
Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel
mit den Massalioten, und ueberhaupt leidet es keinen Zweifel, dass
die ueberall fluktuierend oder ansaessig anzutreffende roemische
Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen fuer sich nahm.
Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der
politischen ebenbuertig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der
roemischen Kapitalisten. In ihren Haenden vereinigt sich die Bodenrente
fast des ganzen Italiens und der besten Stuecke des Provinzialgebiets,
die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der
Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung
ein sehr betraechtlicher Teil der roemischen Staatseinkuenfte. Die
immer zunehmende Anhaeufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des
Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler)
war jetzt ein maessiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein
anstaendiges Rittervermoegen; das Vermoegen des reichsten Mannes der
Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100
Mill. Sesterzen (7«Mill. Taler) geschaetzt. Es ist kein Wunder, wenn
dieser Kapitalistenstand die aeussere Politik vorwiegend bestimmt, wenn
er aus Handelsrivalitaet Karthago und Korinth zerstoert, wie einst die
Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstoerten, wenn er dem Senat zum
Trotz die Gruendung von Narbo aufrecht erhaelt. Es ist ebenfalls kein
Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der
Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht.
Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
Spitze empoerter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft
daran erinnert, dass aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der
Raeuberhoehle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder
finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein oekonomischen, sondern
der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten
politischen Krise ungefaehr in derselben Art schwankt wie unser sehr
aehnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg
der italisch- asiatischen Bewegungen 664f. (90) ueber den roemischen
Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und
der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstuecke und der
Gesellschaftsparten koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen;
wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer
Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen
Glaeubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren
aus dem Senat zu stossen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla,
die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionaere
Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natuerlich in den Provinzen
allgemeine Verarmung und Entvoelkerung, wogegen die parasitische
Bevoelkerung reisender oder auf Zeit ansaessiger Italiker ueberall
im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen
italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos
waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und
die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf
Mithradates' Befehl getoetet wurden. In Afrika waren der Italiker so
viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsaechlich durch sie
gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heisst es, war
angefuellt mit roemischen Kaufleuten; nur fuer Spanien finden sich,
vielleicht nicht zufaellig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst
ist dagegen der Stand der freien Bevoelkerung in dieser Epoche ohne
Zweifel im ganzen zurueckgegangen. Allerdings haben die Buergerkriege
hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und
freilich wenig zuverlaessigen Angaben 100000 bis 150000 Koepfe von
der roemischen Buergerschaft, 300000 von der italischen Bevoelkerung
ueberhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der
oekonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der
kaufmaennischen Emigration, die einen grossen Teil der italischen Jugend
waehrend ihrer kraeftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste.
Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewaehrte dafuer die freie
parasitische hellenisch-orientalische Bevoelkerung, die als koenigliche
oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente,
Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und
Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Haendler und Schiffer namentlich
in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das
unverhaeltnismaessige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die
italische Buergerschaft zaehlte nach der Schaetzung des Jahres 684
(70) 910000 waffenfaehige Maenner, wobei, um den Betrag der freien
Bevoelkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schaetzung
zufaellig uebergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den
Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Auslaender, hinzu-,
die auswaerts domizilierten roemischen Buerger dagegen abzurechnen sind.
Es wird demnach kaum moeglich sein, die freie Bevoelkerung der Halbinsel
hoeher als auf 6 bis 7 Mill. Koepfe anzusetzen. Wenn die damalige
Gesamtbevoelkerung derselben der gegenwaertigen gleichkam, so haette
man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Koepfen anzunehmen. Es
bedarf indes solcher trueglichen Berechnungen nicht, um die gefaehrliche
Spannung dieser Verhaeltnisse anschaulich zu machen; laut genug reden
die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an
die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit
sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords,
seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders
und Paechter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven
verwandelt, so wird man ein ungefaehres Bild der damaligen Bevoelkerung
der italischen Halbinsel gewinnen. Wie im klaren Spiegel liegen die
oekonomischen Verhaeltnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem
roemischen Muenzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den
einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als
allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so dass zwar zum Zweck allgemeiner
Kassebilanzen ein festes Wertverhaeltnis zwischen beiden Metallen
gesetzlich normiert war, aber doch regelmaessig es nicht freistand,
ein Metall fuer das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der
Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden
die grossen Uebelstaende vermieden, die sonst an die Aufstellung
eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knuepfen; die starken
Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung
der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien
um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die
Silbermuenze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der
Sache, dass, je mehr der ueberseeische Verkehr sich ausdehnte, desto
entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat,
was denn auch die Angaben ueber die Staatskassenbestaende und die
Staatskassengeschaefte bestaetigen; aber die Regierung liess sich
dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Muenze einzufuehren. Die in
der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man laengst wieder
fallen lassen; die wenigen Goldstuecke, die Sulla als Regent
schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmuenze fuer seine
Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Muenze
ausschliesslich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie
gewoehnlich, in Barren umlaufen oder auslaendisches oder allenfalls
auch inlaendisches Gepraege tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen.
Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die
betruegliche Legierung des Goldes wurde gleich der Praegung falscher
Silbermuenzen rechtlich als Muenzvergehen betrachtet. Man erreichte
hierdurch den unermesslichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel
selbst die Moeglichkeit der Muenzdefraude und Muenzveruntreuung
abzuschneiden. uebrigens war die Muenzpraegung ebenso reichlich wie
musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstueck von
1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als
drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein
geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermuenze wurde um
den Anfang dieser Periode voellig zur Scheidemuenze und hoerte auf, wie
frueher, im Grossverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde
etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr
geschlagen und die Kupferpraegung beschraenkt auf die im Silber nicht
fueglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und
darunter. Die Muenzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet
und in der damals kleinsten Muenze gewoehnlicher Praegung, dem Quadrans
(1« Pfennig), hinabgefuehrt bis an die Grenze der fuehlbaren Werte. Es
war ein Muenzsystem, das an prinzipieller Verstaendigkeit der Grundlagen
wie an eisern strenger Durchfuehrung derselben im Altertum einzig
dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist.
Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum
gemeinen, in ihrer hoechsten Entwicklung in Karthago auftretenden
Sitte gab auch die roemische Regierung mit den guten silbernen Denaren
zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen
genommen werden mussten und nichts waren als ein unserem Papiergeld
analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse,
insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stuecke
zurueckzuweisen. Eine offizielle Falschmuenzerei war dies so wenig
wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb:
Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel fuer seine Kornspenden
zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne,
neu aus der Muenze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger
bot diese Massregel nicht bloss der privaten Falschmuenzerei eine
bedenkliche Handhabe, sondern sie liess auch das Publikum absichtlich
darueber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in
welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedraengten Zeit
des Buergerkrieges und der grossen finanziellen Krise scheint man der
Planierung sich so ueber die Gebuehr bedient zu haben, dass zu der
Finanzkrise eine Muenzkrise sich gesellte und die Masse der falschen
und faktisch entwerteten Stuecke den Verkehr hoechst unsicher machte.
Deshalb wurde waehrend des Cinnanischen Regiments von den Praetoren und
Tribunen, zunaechst von Marcus Marius Gratidianus, die Einloesung des
saemtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfuegt und zu dem Ende ein
Probierbuero eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgefuehrt ward,
ist nicht ueberliefert; die Zeichengeldpraegung selbst blieb bestehen.
Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemaessheit der grundsaetzlichen
Beseitigung der Goldmuenze die Goldpraegung nirgends, auch in den
Klientelstaaten nicht gestattet; so dass die Goldpraegung in dieser
Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei
den Kelten nordwaerts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich
auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates
Eupator Goldmuenzen schlugen. Auch die Silberpraegung zeigt die
Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen,
vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische
Gold- und Silbermuenze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im
Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen
weder auf karthagischen noch auf roemischen Fuss, und sicher hat sehr
bald nach der Besitzergreifung der Roemer auch in dem Verkehr beider
Landschaften der von Italien eingefuehrte Denar das Uebergewicht
erhalten. In Spanien und Sizilien, die frueher an Rom gekommen sind und
ueberhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter
roemischer Herrschaft in Silber gepraegt, ja in dem ersteren Lande die
Silberpraegung erst durch die Roemer und auf roemischen Fuss ins Leben
gerufen worden; aber es sind gute Gruende vorhanden fuer die Annahme,
dass auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des
siebenten Jahrhunderts die provinziale und staedtische Praegung sich
auf die kupferne Scheidemuenze hat beschraenken muessen. Nur im
Narbonesischen Gallien konnte der altverbuendeten und ansehnlichen
Freistadt Massalia das Recht der Silberpraegung nicht entzogen werden;
und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstaedten
Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschraenkte man doch diesen Gemeinden
indirekt ihr Muenzrecht dadurch, dass der Dreivierteldenar, der nach
Anordnung der roemischen Regierung dort wie hier gepraegt ward und der
unter dem Namen des Victoriatus in das roemische Muenzsystem aufgenommen
worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward;
wovon die Folge sein musste, dass das massaliotische und illyrische
Courant aus Oberitalien verdraengt wurde und ausser seinem einheimischen
Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb.
So weit war man also bereits in dieser Epoche, dass in der gesamten
Westhaelfte des roemischen Staates der Denarfuss ausschliesslich
herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es fuer den Anfang der
naechsten Epoche ausdruecklich bezeugt ist, dass daselbst kein
anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten
ausschliesslich roemisches Silbergeld, und das in Spanien noch
umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermuenze der Massalioten und
Illyriker war wenigstens auf Denarfuss geschlagen. Anders war es im
Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit muenzenden Staaten und die
Masse der umlaufenden Landesmuenze sehr ansehnlich war, drang der Denar
nicht in groesserem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich
gangbar erklaert ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige
Muenzfuss, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch
teilweise mit Hinzufuegung der Namen von roemischen Beamten zu dem
der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiss
wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter
roemischer Autoritaet ein den Verhaeltnissen entsprechender
eigentuemlicher Muenzfuss neu eingefuehrt, wie denn bei der Einrichtung
der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus,
von der roemischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den
Bezirkshauptstaedten daselbst unter roemischer Oberaufsicht geschlagen
ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und
des orientalischen Muenzwesens ist von der groessten geschichtlichen
Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Laender hat
in der Annahme der roemischen Muenze einen ihrer wichtigsten Hebel
gefunden, und es ist kein Zufall, dass dasjenige, was wir in dieser
Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, spaeterhin zu der
lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme spaeterhin zu der
griechischen Reichshaelfte geworden ist. Noch heutigentags stellt
jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur
dar, waehrend dieses dagegen aus der europaeischen Zivilisation sich
ausgeschieden hat. Wie bei solchen oekonomischen Zustaenden die sozialen
Verhaeltnisse sich gestalten mussten, ist im allgemeinen leicht zu
ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des
Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch
lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuss war die Losung ueberall,
bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht
der feine Luxus gedieh, der die Bluete der Zivilisation ist, sondern
derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens
und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schoene und Bedeutende
zur Dekoration entadelte und auf den Genuss studierte mit einer
muehseligen Pedanterie, einer zopfigen Tueftelei, die ihn dem sinnlich
wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was
die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses
Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Buergerschluss
die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr ueberseeischer Bestien
foermlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften
Betrieb kamen und ein Hauptstueck der Buergerfeste wurden. Um 651 (103)
erschienen in der roemischen Arena zuerst mehrere Loewen, 655 (99) die
ersten Elefanten; 661 (93) liess Sulla als Praetor schon hundert Loewen
auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die
Bilder grosser Schlachten oeffentlich ausgestellt hatten, so fingen die
Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen
Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu
verspotten. Welche Summen dafuer und fuer die Begraebnisfeierlichkeiten
ueberhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius
Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; + 592 152) abnehmen; derselbe befahl
seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepraenge,
sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste
bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000
Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das
prachtvolle und namentlich wegen der alten Baeume des Gartens beruehmte
Stadthaus des Redners Crassus (+ 663 91) ward mit den Baeumen auf 6
Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Haelfte geschaetzt,
waehrend der Wert eines gewoehnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000
Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise
der Luxusgrundstuecke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen
Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, fuer 75000 Sesterzen (5700
Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreissigfachen
Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben
machten Baiae und ueberhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
Eldorado des vornehmen Muessiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es
keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knoechelspiel, um Nuesse
ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen
erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhuellten, und
seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Maennern die alten
wollenen Roecke zu verdraengen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit
auslaendischen Parfuemerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich
die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses
vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis
100000 Sesterzen (7600 Taler) - fuer einen ausgesuchten Koch; man baute
mit Ruecksicht darauf und versah namentlich die Landhaeuser an der
Kueste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit
frisch auf die Tafel liefern zu koennen; man nannte es schon ein elendes
Diner, wenn das Gefluegel ganz und nicht bloss die erlesenen Stuecke
den Gaesten vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den
einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloss zu kosten; man bezog fuer
schweres Geld auslaendische Delikatessen und griechischen Wein, der
bei jeder anstaendigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden
musste. Vor allem bei der Tafel glaenzte die Schar der Luxussklaven, die
Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden
oder gemaeldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike
Bronzegeraet, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunaechst richteten
sich die Luxusgesetze, die haeufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89,
82) und ausfuehrlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und
Weine wurden darin gaenzlich untersagt, fuer andere nach Gewicht und
Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantitaet des silbernen
Tafelgeschirrs gesetzlich beschraenkt, endlich allgemeine
Maximalbetraege der Kosten der gewoehnlichen und der Festtagsmahlzeit
vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17« Groschen und
5« Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und
17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muss leider hinzugefuegt werden, dass
von allen vornehmen Roemern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die
Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen;
auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates
den Kuechenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Muehe, einen
Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus
im Silbergeraet zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes
Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses
eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darueber,
dass sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne
Tafelgeraet wiedergefunden haetten. Noch Scipio Aemilianus besass
nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe
Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000
Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund
(250000 Taler); in Sullas Zeit zaehlte man in der Hauptstadt bereits
gegen 150 hundertpfuendige silberne Prachtschuesseln, von denen manche
ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfuer
verschwendeten Summen zu ermessen, muss man sich erinnern, dass auch
die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn fuer
ausgezeichnetes Silbergeraet Gaius Gracchus den fuenfzehn-, Lucius
Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der
letztere fuer ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000
Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhaeltnismaessig ueberall.
Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
Ackergesetze, die zuerst darauf eine Praemie setzten. Die Scheidung,
einst in Rom fast unerhoert, war jetzt ein alltaegliches Ereignis; wenn
bei der aeltesten roemischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so
haette man den jetzigen vornehmen Roemern vorschlagen moegen, um zu der
Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzufuehren. Selbst ein
Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Haeuslichkeit
und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
war, schaerfte als Zensor 623 (131) den Buergern die Pflicht, im
Ehestande zu leben, in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als
eine drueckende, aber von den Patrioten pflichtmaessig zu uebernehmende
oeffentliche Last. 7 --------------------------------------- 6 In
dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er fuer das
Erdgeschoss 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen
Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewoehnlichen Kapitalzinses
kapitalisiert, ungefaehr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine
wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstaedtischer Mietzins von 6000
Sesterzen (460 Taler) fuer das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird
(Vell. 1, 10), so muessen dabei besondere Umstaende obgewaltet haben. 7
"Wenn wir koennten, ihr Buerger", hiess es in seiner Rede, wuerden wir
freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne
die Frauen ueberhaupt sich leben laesst, so ziemt es sich auf
dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben."
-------------------------------------- Allerdings gab es Ausnahmen. Die
landstaedtischen Kreise, namentlich die der groesseren Gutsbesitzer,
hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In
der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden;
die moderne Richtung herrschte souveraen und, wenn auch einzelne fest
und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, roemische Sitte
mit attischer Bildung zu vereinigen wussten, war doch bei der grossen
Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher
Verderbnis. Den Rueckschlag dieser sozialen Uebelstaende auf die
politischen Verhaeltnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn
man die roemische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgueltig,
dass von den beiden vornehmen Maennern, die im Jahre 662 (92) als
oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern
oeffentlich vorrueckte, dass er einer Muraene, dem Stolz seines
Fischteichs, bei ihrem Tode Traenen nachgeweint habe, und dieser wieder
jenem, dass er drei Frauen begraben und um keine eine Traene geweint
habe. Es war nicht gleichgueltig, dass im Jahre 593 (161) auf
offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen
Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin
in dem Kreise seiner Zechbrueder findet. "Sie spielen Hasard, fein
parfuemiert, die Maetressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt,
lassen sie den Bedienten kommen und heissen ihn auf der Dingstaette sich
umhoeren, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer fuer und wer gegen
den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafuer,
welche dagegen gestimmt haetten. Endlich gehen sie selbst auf den
Gerichtsplatz, eben frueh genug, um sich den Prozess nicht selbst
auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgaesschen eine
Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll
Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstaette und geben
den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
Geschworene heisst die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie
er zurueckkommt, erklaert er alles gehoert zu haben und fordert die
Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum haelt er vor Wein die
Augen auf. Wie er sich dann zurueckzieht, das Urteil auszufuellen,
laesst er zu seinen Zechbruedern sich vernehmen: 'Was gehen mich die
langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Suessen
mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel
und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?'" Die
den Redner hoerten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, dass
dergleichen Dinge belacht wurden? 12. Kapitel Nationalitaet, Religion,
Erziehung In dem grossen Kampfe der Nationalitaeten innerhalb des weiten
Umfangs des Roemischen Reiches erscheinen die sekundaeren Nationen in
dieser Zeit im Zurueckweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste
unter allen, die phoenikische, empfing durch die Zerstoerung Karthagos
die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften
Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten,
Etrurien und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlaegen
der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung
Italiens noetigte ihnen auch im oeffentlichen Verkehr die lateinische
Sprache und Weise auf und drueckte die alten Landessprachen herab zu
rasch verkuemmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen
Umfange des roemischen Staates eine Nationalitaet als befugt, mit der
roemischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv
wie intensiv die latinische Nationalitaet im entschiedensten Aufschwung.
Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstueck jedem
Italiker zu vollem roemischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott
roemische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der
transpadanischen Landschaft seitdem das roemische Recht mit Beseitigung
aller anderen Stadt- und Landrechte ausschliesslich gilt: so ist
damals die roemische Sprache auch die allgemeine Geschaefts- und bald
gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der
ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
beschraenkte sich schon nicht mehr auf diese natuerlichen Grenzen.
Die in Italien zusammenstroemende Kapitalmasse, der Reichtum seiner
Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner
Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel;
hierdurch und durch den oeffentlichen Dienst wurden die Italiker
massenweise in die Provinzen gefuehrt. Ihre privilegierte Stellung
daselbst privilegierte auch die roemische Sprache und das roemische
Recht, selbst wo nicht bloss Roemer miteinander verkehrten; ueberall
standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte
Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder groesseren
Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen
Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden roemischen Buerger
als "Kreise" (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen
Geschworenenliste und gewissermassen mit Gemeindeverfassung; und wenn
auch diese provinzialen Roemer regelmaessig frueher oder spaeter nach
Italien zurueckgingen, so bildete sich dennoch allmaehlich aus ihnen
der Stamm einer festen, teils roemischen, teils an die roemische sich
anlehnenden Mischbevoelkerung der Provinzen. Dass in Spanien, wo das
roemische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstaedte
italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), spaeter
Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwaehnt. Wenn
das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccaeer
zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und
widerwaertigsten Aufenthaltsorten fuer den gebildeten Italiker genannt
wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, dass schon
um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der
Kueste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewusster
Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des
roemischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das
heisst zu romanisieren, und legte Hand an die Ausfuehrung desselben;
und obgleich die konservative Opposition gegen den kuehnen Entwurf sich
auflehnte, die gemachten Anfaenge groesstenteils zerstoerte und die
Fortfuehrung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an
sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und
noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines grossen Gedankens, der
Grundstein eines gewaltigen kuenftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja
das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem
letzten Grunde Schoepfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische
Nationalitaet erfuellte nicht bloss die italischen Grenzen und fing an
sie zu ueberschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer
geistiger Begruendung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische
Literatur, einen eigenen hoeheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn
man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen
Bildung sich versucht fuehlen kann, die schwaechliche italische
Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch fuer die
geschichtliche Entwicklung zunaechst weit weniger darauf an, wie die
lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als
darauf, dass sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die
gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort
des Dichters auch hier anwenden, dass der lebendige Tageloehner mehr
ist als der tote Achill. Wie rasch und ungestuem aber die lateinische
Sprache und Nationalitaet vorwaerts dringt, sie erkennt zugleich die
hellenische an als durchaus gleich, ja frueher und besser berechtigt und
tritt mit dieser ueberall in das engste Buendnis oder durchdringt sich
mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution,
die sonst alle nichtlatinischen Nationalitaeten auf der Halbinsel
nivellierte, ruehrte nicht an die Griechenstaedte Tarent, Rhegion,
Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von
roemischem Gebiet, fortwaehrend eine griechische Stadt und eben als
solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollstaendigen Latinisierung
Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den hoeheren
Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum
integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623
(131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der
geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen
Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewoehnlichem
Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen
Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst laengst unverwandt
nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz
nach Westen zu wenden. Nicht bloss die griechischen Staedte in Italien
blieben fortwaehrend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland,
Kleinasien, Aegypten und goennten den dort gefeierten griechischen
Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die
gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstoerer Korinths
bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen
und musischen Spiele der Griechen: Wettkaempfe im Ringen sowie im
Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die
griechischen Literaten schlugen schon ihre Faeden bis in die vornehme
roemische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen
hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber
Polybios, der Philosoph Panaetios, bereits mehr der roemischen als der
griechischen Entwicklungsgeschichte angehoeren. Aber auch in anderen,
minderhochstehenden Zirkeln begegnen aehnliche Beziehungen. Wir gedenken
eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil
in seinem Leben zugleich die gewaltige Voelkermischung dieser Zeit
sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in
Athen Zuhoerer des Karneades und spaeter dessen Nachfolger in seiner
Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Maennern
Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und
widmete teils dem roemischen Konsul, der die Belagerung Karthagos
eroeffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen
als Sklaven nach Italien gefuehrten Mitbuergern eine philosophische
Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl
voruebergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt
in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen;
wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte,
und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich
in Rom niederliess und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten
auf roemische Konsulare sich anstaendig ernaehrte. Sogar Gaius Marius,
der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und ueberhaupt
zum Maezen moeglichst uebel sich schickte, konnte nicht umhin,
den Verskuenstler zu patronisieren. Waehrend also das geistige und
literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren
Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen
andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und
syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmaennische Einwanderung aus
dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit
orientalischen und ueberhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten
Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und
gaben auch diesem eine hellenische Faerbung. Die Bemerkung Ciceros, dass
neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestaedten aufkommt, duerfte
zunaechst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium
sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte
zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.
--------------------------------------------------- ^1 Dass vor 608
(146) keine "griechischen Spiele" in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14,
21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische "Kuenstler"
(technitai) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische
Floetenspieler, Tragoeden und Faustkaempfer auf (Polyb. 30, 13).
-------------------------------------------------- Das
unmittelbare Resultat dieser vollstaendigen Revolution in den
Nationalitaetsverhaeltnissen war allerdings nichts weniger als
erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phoenikern,
Juden, Aegyptern, die Provinzen von Roemern; die scharf ausgepraegten
Volkstuemlichkeiten rieben sich ueberall aneinander und verschliffen
sich zusehends; es schien nichts uebrigbleiben zu sollen als der
allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an
Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo
der Mittelstand am fruehesten und vollstaendigsten verschwand und nichts
uebrig blieb als die grossen Herren und die Bettler, beide in gleichem
Masse Kosmopoliten. Cicero versichert, dass um 660 (190) die allgemeine
Bildung in den launischen Staedten hoeher gestanden habe als in
Rom; dies bestaetigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste,
gesundeste und eigentuemlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komoedie
und die Lucilische Satire, mit groesserem Recht latinisch heissen als
roemisch. Dass der italische Hellenismus der unteren Schichten in der
Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswuechsen der Kultur und
mit oberflaechlich uebertuenchter Barbarei behafteter widerwaertiger
Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch fuer die bessere
Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf
die Dauer massgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich
fuer das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff
sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und
frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen
Sinn das roemische Wesen zu gestalten, begnuegte man sich mit Entlehnung
desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist moeglichst wenig
in Taetigkeit setzte. In diesem Sinn aeusserte der arpinatische
Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, dass der Roemer, wie
der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch
verstehe. Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze
Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Voelkerkreis,
den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der
aeusserlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter
der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen
ruhenden Bildung. Ueber den Truemmern der Voelkerschaften zweiten Ranges
vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend
der grosse geschichtliche Kompromiss; die griechische und die
lateinische Nationalitaet schliessen miteinander Frieden. Auf dem
Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die
Roemer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem
Latein eine freilich beschraenkte und unvollstaendige Gleichstellung mit
dem Griechischen eingeraeumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den
fremden Gesandten, vor dem roemischen Senat ohne Dolmetscher griechisch
zu reden. Die Zeit kuendigt sich an, wo das roemische Gemeinwesen in
einen zwiesprachigen Staat uebergehen und der rechte Erbe des Thrones
und der Gedanken Alexanders des Grossen im Westen aufstehen wird,
zugleich ein Roemer und ein Grieche. Was schon der Ueberblick der
nationalen Verhaeltnisse also zeigt, die Unterdrueckung der sekundaeren
und die gegenseitige Durchdringung der beiden primaeren Nationalitaeten,
das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und
der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. Die roemische Religion
war mit dem roemischen Gemeinwesen und dem roemischen Haushalt so innig
verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der
roemischen Buergerwelt, dass die politische und soziale Revolution
notwendigerweise auch das Religionsgebaeude ueber den Haufen warf. Der
alte italische Volksglaube stuerzt zusammen; ueber seinen Truemmern
erheben sich, wie ueber den Truemmern des politischen Gemeinwesens
Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die
Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das
Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfaenge
von beiden, wie ja auch die Anfaenge der politisch-sozialen Revolution,
bereits in die vorige Epoche zurueck. Schon damals ruettelte die
hellenische Bildung der hoeheren Kreise im stillen an dem Glauben der
Vaeter; schon Ennius buergerte die Allegorisierung und Historisierung
der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal
bezwang, musste die Uebersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults
nach Rom gutheissen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben,
namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten.
Indes wie ueberhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr
in den Gemuetern sich vorbereitete als aeusserlich sich vollzog, so ist
auch die religioese Umwaelzung im wesentlichen dort erst das Werk der
gracchischen und sullanischen Zeit. Versuchen wir zunaechst die an
den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische
Nation, weit frueher als die italische erblueht und abgeblueht,
hatte laengst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich
ausschliesslich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion;
seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch
Philosophie. Aber auch die philosophische Taetigkeit des hellenischen
Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der
produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium
angekommen, wo nicht bloss keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen,
sondern wo auch die Fassungskraft fuer die vollkommensten der
aelteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmaessige und bald
scholastische Ueberlieferung der unvollkommneren Philosopheme der
Vorfahren sich beschraenkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie,
statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und
ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlaegt.
Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefaehrlich, ist, verduennt
und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwaessert reichten die
gleichzeitigen Griechen ihn den Roemern, und diese verstanden weder
ihn zurueckzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die
toten Meister zurueckzugehen. Platon und Aristoteles, um von den
vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluss auf
die roemische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern
genannt, ihre fasslicheren Schriften auch wohl gelesen und uebersetzt
wurden. So wurden denn die Roemer in der Philosophie nichts
als schlechter Lehrer schlechtere Schueler. Ausser der
historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
aufloeste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit
lebender Wohltaeter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube
Goetter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind
hauptsaechlich drei Philosophenschulen fuer Italien von Bedeutung
geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros (+ 484 270) und des Zenon
(+ 491 263) und die skeptische des Arkesilas (+ 513 241) und Karneades
(541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa
und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der
Unmoeglichkeit des ueberzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur
ein fuer das praktische Beduerfnis ausreichendes vorlaeufiges Meinen als
moeglich zugab, bewegte sich hauptsaechlich polemisch, indem sie jeden
Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den
Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefaehr auf einer
Linie mit der aelteren Sophistik, nur dass begreiflicherweise die
Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr
gegen ihre philosophischen Kollegen ankaempften. Dagegen trafen Epikuros
und Zenon ueberein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklaerung des
Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der
Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros,
der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie
fasst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die
Mannigfaltigkeit der Dinge ueberfuehrt, Zenon dagegen, sich anlehnend
an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische
Gegensaetzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt;
woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: dass im
epikureischen System die Goetter gleichsam nicht vorhanden und
hoechstens der Traum der Traeume sind, die stoischen Goetter die ewig
rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott maechtig ueber
den Koerper, die Erde, die Natur; dass Epikuros nicht, wohl aber Zenon
eine Weltregierung und eine persoenliche Unsterblichkeit der Seele
anerkennt; dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das
unbedingte, weder von koerperlichem Begehren noch von geistigem Streiten
aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige
Gegeneinanderstreben des Geistes und Koerpers immer gesteigerte und
zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur
aufstrebende menschliche Taetigkeit. In einem Punkte aber stimmten der
Religion gegenueber alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube
als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden muesse durch die
Reflexion, mochte diese uebrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu
einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des
Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils
motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten. Es
war danach nur folgerichtig, dass die erste Beruehrung der
hellenischen Philosophie mit der roemischen, ebenso glaubensfesten als
antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die roemische
Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen
sowohl die Befehdung wie die Begruendung sich zu verbitten, die beide
ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der roemische Staat, der in der
Religion instinktmaessig sich selber angegriffen fuehlte, verhielt sich
billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der
anrueckenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren
auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
gleich das erste groessere Debuet der Philosophie in Rom eine foermliche
Kriegserklaerung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst durch die
Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor
dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie,
darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten
(599 155). Die Wahl war insofern zweckmaessig, als der ganz schandbare
Handel jeder Rechtfertigung im gewoehnlichen Verstand spottete; dagegen
passte es vollkommen fuer den Fall, wenn Karneades durch Rede
und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso
nachdrueckliche Gruende zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen
wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form
dartat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen koenne,
Oropos herauszugeben und von den Roemern, sich wieder zu beschraenken
auf ihre alten Strohhuetten am Palatin. Die der griechischen Sprache
maechtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und
emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen;
aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er
nicht bloss die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhoeflich
genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern
auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst
verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und
dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast
hoehnisches Eingestaendnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen
reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der roemischen Jugend
nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische
Vortraege zu hoeren. Man gewoehnte sich, die Philosophie zuerst
wenigstens als notwendiges Uebel zu dulden, bald auch fuer die in
ihrer Naivitaet nicht mehr haltbare roemische Religion in der fremden
Weisheitslehre eine Stuetze zu suchen, die als Glauben zwar sie
ruinierte, aber dafuer doch dem gebildeten Mann gestattete, die
Namen und Formen des Volksglaubens anstaendigerweise einigermassen
festzuhalten. Indes diese Stuetze konnte weder der Euhemerismus
sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die
Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem
sie die Goetter geradezu fuer Menschen erklaerte; Karneades zog gar ihre
Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss
auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der
roemischen Religion war ein Buendnis unmoeglich; sie waren und blieben
verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es fuer Buergerpflicht erklaert,
dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe
trete; und von den in seinen Gespraechen auftretenden Akademikern und
Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein
Juenger des Karneades, aber als Buerger und Pontifex ein rechtglaeubiger
Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar
schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser
drei Systeme ward eigentlich populaer. Die platte Begreiflichkeit
des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Roemer
geuebt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu
tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen
Historisierung der Fabel; auf die roemische Religion aber blieb
er deshalb ohne wesentlichen Einfluss, weil diese von Haus aus nur
allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas
moeglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen,
die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und ueberdies die
langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe
Schuttlagen geistiger Brandstaetten aufgeschichtet hatten. Gegen den
Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem
roemischen, so durchaus auf Taetigkeit gerichteten Wesen tuechtig und
brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und
die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die
Polizei fortgefahren hat, ihm am laengsten und ernstlichsten den Krieg
zu machen. Indes dieser roemische Epikureismus war nicht so sehr ein
philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem
- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der
gedankenlose Sinnesgenuss fuer die gute Gesellschaft sich maskierte;
wie denn einer der fruehesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius,
in Lucilius' Gedichten figuriert als der Prototyp des uebel
hellenisierenden Roemers. Gar anders stand und wirkte in Italien die
stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloss
sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem
Glauben zu akkommodieren ueberhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit
seinen Goettern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsaetzlich
fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die
wissenschaftliche Ruecksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Faellen sich
ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk
als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und hoechste Gott zwar
war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes
war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros
ehrte, ja ueberhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen
Menschen. Diese Philosophie passte in der Tat besser nach Rom als in
die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Glaeubigen, dass der Gott des
Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Koerperlichkeit habe und aus
einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland
einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche
Purifizierung, wie sie der stoischen Goetterlehre eigen war, verdarb den
besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven
Zeit duerftige plastische Kraft der Roemer hatte nicht mehr erzeugt als
eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhuellung der
urspruenglichen Anschauung oder des urspruenglichen Begriffes, woraus
die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zuernen, wenn
sie sich ploetzlich in den Begriff des Gedaechtnisses verwandelt
fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die
supranaturalische stoische und die allegorische roemische Theologie
fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der
Philosoph einzelne Saetze der Priesterlehre als zweifelhaft oder
als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die
Vergoetterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als
die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Goetterbild
nicht als Repraesentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war
es wenigstens nicht die Art der Anhaenger Zenons, gegen diese Irrlehren
anzukaempfen und die falschen Goetter zu stuerzen; vielmehr bewiesen
sie ueberall der Landesreligion Ruecksicht und Ehrfurcht, auch in ihren
Schwaechen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und
auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne
der Roemer, zumal der Roemer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die
Vaeter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte uebten, sondern
deren naive Sittlichkeit aufloesten in einen Katechismus erlaubter
und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz ueberdies
dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die
Faehigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So
inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes,
aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewaechs sich durchaus
dem roemischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den
verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfaenge reichen ohne Zweifel
weiter zurueck; aber zur vollen Geltung in den hoeheren Schichten der
roemischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis,
der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panaetios von Rhodos, der
Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Maenner in der stoischen
Philosophie und bestaendig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein
gewoehnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Maennern
nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zuruecktreten zu lassen
und die Duerre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus
einigermassen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der
aelteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen
Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die
namhaftesten Staatsmaenner und Gelehrten, unter anderen die Begruender
der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen
Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmaessige
Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens
aeusserlich herrscht und namentlich anknuepft an eine wunderliche,
scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa.
Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der
stoischen Philosophie und der roemischen Religion hervorgehende neue
Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus
aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgepraegt und schon
weiter abgeschwaecht, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits
ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen
hatten, diese Philosophie in die Knabenkoepfe hinein und damit den
Geist aus ihr hinauszutreiben, trat voellig zurueck in Rom, wo niemand
spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der
idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder
goettlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht
unempfaenglich fuer die recht eintraegliche Auszeichnung, ihr System
zur halboffiziellen roemischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und
erwiesen sich ueberhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen
Prinzipien haette erwarten sollen. Ihre Lehre von den Goettern und vom
Staat zeigte bald eine seltsame Familienaehnlichkeit mit den realen
Institutionen ihrer Brotherren; statt ueber den kosmopolitischen
Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an ueber die weise Ordnung
des roemischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie
Panaetios, die goettliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als
denkbar, aber ungewiss dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar
entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine naechsten
Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heisst die roemische
Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und
machten sogar der Astrologie hoechst unphilosophische Zugestaendnisse.
Das Hauptstueck des Systems ward immer mehr die kasuistische
Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem
die Roemer dieser Zeit in der vielfach demuetigenden Beruehrung mit
den Griechen Entschaedigung suchten, und formulierte den angemessenen
Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit
herzerstarrender Rigorositaet im ganzen die hoeflichste Nachsicht im
einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel
hoeher anzuschlagen sein als dass, wie gesagt, in zwei oder
drei vornehmen Haeusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward.
------------------------------------------- 2 Ein ergoetzliches
Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen.
------------------------------------------- Dieser neuen
Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist
die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewusste
Festhalten der als irrationell erkannten Saetze des Volksglaubens
aus aeusseren Zweckmaessigkeitsgruenden ist. Schon einer der
hervorragendsten Maenner des Scipionischen Kreises, der Grieche
Polybios, spricht es unverhohlen aus, dass das wunderliche und
schwerfaellige roemische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen
erfunden sei, die, da die Vernunft nichts ueber sie vermoege, mit
Zeichen und Wundern beherrscht werden muesse, waehrend verstaendige
Leute allerdings der Religion nicht beduerften. Ohne Zweifel teilten
Polybios' roemische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie
auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion
sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus koennen
in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunaechst denkt, etwas
anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der
Nationalsinn in ihnen zu maechtig und das Anstandsgefuehl zu fein, als
dass sie mit solchen bedenklichen Eroerterungen oeffentlich haetten
auftreten moegen. Aber schon in der folgenden Generation trug der
Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in
seiner muendlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Saetze vor, dass
es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmaessige philosophische
und eine nichtverstandesmaessige traditionelle, dass jene sich nicht
eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu
wissen unnuetz oder sogar schaedlich sei, dass demnach die ueberlieferte
Staatsreligion bleiben muesse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung
desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die
roemische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
Staat, wird hier gelehrt, sei aelter als die Goetter des Staats, wie der
Maler aelter als das Gemaelde; wenn es sich darum handelte, die Goetter
neu zu machen, wuerde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und
den Teilen der Weltseele prinzipmaessig entsprechender zu machen und zu
benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Goetterbilder
3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese
Einrichtungen einmal bestaenden, so muesse jeder gute Buerger sie kennen
und befolgen und dazu tun, dass der "gemeine Mann" die Goetter vielmehr
hoeher achten als geringschaetzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu
dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben
jetzt verschmaehte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von
selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die roemische
Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und
eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion fuer
eine politische Institution erklaerte, desto entschiedener betrachteten
die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz
fuer Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Masse
der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu
den Priesterkollegien. Die alte und natuerliche Uebung, die
Buergerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte
unter den Haenden der roemischen Augurn sich zu einem weitlaeufigen
System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knuepfender
Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward
sogar durch das Aelische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet,
dass jede Volksversammlung auseinanderzugehen genoetigt sei, wenn es
einem hoeheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu
schauen; und die roemische Oligarchie war stolz auf den schlauen
Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Luege jedem Volksbeschluss
den Stempel der Nichtigkeit aufdruecken zu koennen. Umgekehrt lehnte
die roemische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, dass die
vier hoechsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber
ergaenzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die
Stellen selbst, wie sie fuer die Vorstandschaften dieser Kollegien
schon frueher eingefuehrt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste
dieser Koerperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darueber sich
zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren
und zum Beispiel der Regierung mit religioesen Kassationsgruenden
politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit
ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145)
schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis fuer die
Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104)
ging sodann der Vorschlag durch mit der frueher schon bei der Wahl der
Vorstaende gemachten Beschraenkungen zum Besten bedenklicher Gewissen,
dass nicht die ganze Buergerschaft, sondern nur der kleinere Teil der
Bezirke zu waehlen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in
vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fuersorge der Konservativen fuer
die reine Landesreligion vertrug es natuerlich sich aufs beste, dass
eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben
ward. Die praktische Seite des roemischen Priestertums war die
priesterliche Kueche; die Augural- und Pontifikalschmaeuse
waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines roemischen
Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der
Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit
des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr
brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu
machen. Es war ein Lieblingsvergnuegen vornehmer junger Herren, zur
Nachtzeit auf den Strassen die Goetterbilder zu schaenden oder zu
verstuemmeln. Gewoehnliche Liebeshaendel waren laengst gemein und
Verhaeltnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhaeltnis
zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die
Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge
Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Toechter der
vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Maenner gleichfalls aus
den besten Haeusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies
die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluss
eingesetzten ausserordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung
gezogen und saemtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun
konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts
einzuwenden, dass man die positive Religion im vertrauten Kreise albern
fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich
einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religioesen Pflichten.
Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich
lieb, wenn man die krasse Unverschaemtheit der roemischen Priester und
Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion
behandelt als ein hohles, nur fuer die politischen Maschinisten noch
brauchbares Gerueste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen
zahllosen Winkeln und Falltueren, wie es fiel, jeder Partei dienen
und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr
Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin;
aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen
ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete
dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes
in den eigenen uebergehen koenne.
----------------------------------------------------------- 3 Auch in
Varros Satire 'Die Aboriginer' wurde in spoettischer Weise dargestellt,
wie die Urmenschen sich nicht haetten genuegen lassen mit dem Gott, den
nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt haetten nach
Goetterpuppen und Goetterbilderchen.
----------------------------------------------------------- Im scharfen
Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die
verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und
denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen
werden kann. Sie begegnen ueberall, bei den vornehmen Damen und Herren
wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in
Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf
dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische
Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Ueberwindung der
Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit
Verachtung zurueck; aber die roemischen Damen und namentlich Marius'
eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo
der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumfuehrte, bis die
Teutonen geschlagen waren. Die Fuehrer der verschiedensten Parteien im
Buergerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben
an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat masste waehrend desselben in
den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer
verrueckten Prophetin gemaess Anordnungen zu treffen. Fuer das Erstarren
der roemisch-hellenischen Religion, wie fuer das im Steigen begriffene
Beduerfnis der Menge nach staerkeren religioesen Stimulantien ist
es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie in den
Bakchenmysterien, anknuepft an die nationale Religion; selbst die
etruskische Mystik ist bereits ueberfluegelt; durchaus in erster Linie
erscheinen die in den heissen Landschaften des Orients gezeitigten
Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen
kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevoelkerung, teils durch
die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit
dem Osten. Die Macht dieser fremdlaendischen Religion tritt sehr scharf
hervor in den Aufstaenden der sizilischen, groesstenteils aus Syrien
herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen;
die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen
grossenteils Goetternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
verehrten Muetter. Aehnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich
seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen
Haefen gingen: Ostia und Puteoli wurden die grossen Stapelplaetze wie
fuer die syrischen Salben und die aegyptische Leinwand so auch fuer
den Glauben des Ostens. Ueberall ist mit der Voelker- auch die
Religionsmengung bestaendig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war
der populaerste der der pessinuntischen Goettermutter, der mit seinem
Eunuchenzoelibat, mit den Schmaeusen, der Musik, den Bettelprozessionen
und dem ganzen sinnlichen Gepraenge der Menge imponierte; die
Hauskollekten wurden bereits als eine oekonomische Last empfunden.
In der gefaehrlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der
Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die
Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Goettin zu
vertreten, redete im besonderen Auftrag der Goettermutter zum roemischen
Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verstaendigen Leute aergerten
sich, aber die Weiber und die grosse Menge liessen es sich nicht nehmen,
dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Geluebde,
nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie
denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja
es gaben schon (zuerst 653 101) roemische Buerger sich zu dem
Eunuchenpriestertum her. Aber weit populaerer noch waren natuerlich die
unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldaeische
Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem
marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei
und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen
Heimatland. Schon 615 (139) wies der roemische Fremdenpraetor die
saemtlichen "Chaldaeer" an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu
raeumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem
Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das
Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder
Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte spaeter (657 97) sah man sogar
sich genoetigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der
kappadokischen Ma oder, wie die Roemer sie nannten, der Bellona, welcher
bei den festlichen Aufzuegen die Priester das eigene Blut zum Opfer
verspritzten, und die duestere aegyptische Goetterverehrung beginnen
sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und
von den spaeteren roemischen Isis- und Osirisgemeinden fuehrten die
aeltesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurueck. Man war
irre geworden, nicht bloss an dem alten Glauben, sondern auch an sich
selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fuenfzigjaehrigen Revolution,
das instinktmaessige Gefuehl, dass der Buergerkrieg noch keineswegs am
Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die truebe Beklommenheit
der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Hoehe und versenkte
sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden
Verhaengnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das
Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden waehnte.
Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen,
oekonomischen, sittlichen, religioesen Zerfahrenheit den ihm genehmen
Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als waeren
Riesenbaeume ueber Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wusste woher
und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue
Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemueter. In
aehnlicher Weise wie auf dem religioesen Gebiet vollendete sich die
in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und
Bildung. Wie der Grundgedanke des roemischen Wesens, die buergerliche
Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem
Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist frueher dargestellt worden.
Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit
verbreitet und gab es eine eigene roemische Bildung; allein man war
doch mit beiden nicht ueber die Anfaenge hinausgelangt. Was man unter
roemisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefaehr verstand,
zeigt Catos 'Encyklopaedie'; es ist wenig mehr als die Formulierung
des alten roemischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
hellenischen Bildung verglichen, duerftig genug. Auf wie niedriger Stufe
noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in
Rom durchgaengig stand, laesst aus den Aeusserungen bei Polybios sich
abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenueber der verstaendigen
privaten und oeffentlichen Fuersorge seiner Landsleute die straefliche
Gleichgueltigkeit der Roemer tadelnd hervorhebt - in den dieser
Gleichgueltigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der
buergerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu
finden vermocht. Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben
der aufgeklaerte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte
auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine
besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten
Ueberreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht ueberfluessig
sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des
griechischen wie des hoeheren lateinischen, einen Blick zu werfen.
Es ist eine wundersame Fuegung, dass derselbe Mann, der politisch
die hellenische Nation definitiv ueberwand, Lucius Aemilius Paullus,
zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation
vollstaendig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen
geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war
ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn,
hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug,
um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schoenheit und die unbezwingliche
Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele
heimzubringen; Dichter und Kuenstler hatten an dem fremden Mann einen
ernsteren und innigeren Glaeubigen gefunden, als irgendeiner war von den
klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf
Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einfuehren in die
Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlaessigen,
soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen fuer die physische
Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach roemischen
Begriffen unzulaessigen Turnuebungen, aber durch Unterweisung in der
bei den Griechen fast kunstmaessig entwickelten Jagd, und steigerte den
griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um
des Sprechens willen gelernt und geuebt, sondern nach griechischer Art
der Gesamtstoff allgemeiner hoeherer Bildung an die Sprache geknuepft
und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der
griechischen Literatur mit der zu deren Verstaendnis noetigen
mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie.
Die Bibliothek des Koenigs Perseus war das einzige Stueck, das Paullus
aus der makedonischen Kriegsbeute fuer sich nahm, um sie seinen Soehnen
zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem
Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Dass
die Zeit vorueber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus
gegenueber bloss ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden;
die Besseren mochten jetzt ahnen, dass der edle Kern roemischer Art
durch den ganzen Hellenismus weniger gefaehrdet werde als durch dessen
Verstuemmelung und Missbildung: die Masse der hoeheren Gesellschaft Roms
und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern
war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt stroemten sie scharenweise,
und nicht bloss als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und
Bildung ueberhaupt, nach dem neu eroeffneten ergiebigen Absatzmarkt
ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die
freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmaessig wie Bediente
4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palaesten Roms; man
raffinierte darauf, und es findet sich, dass fuer einen griechischen
Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt
worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl
besonderer Lehranstalten fuer griechische Deklamationsuebung. Schon
begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen roemischen
Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht; der angesehene
Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und
ebenbuertiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum fuer die
Vorlesung und sprachliche und sachliche Erlaeuterung der Homerischen
Gedichte. Zwar stiess diese neue Weise des Jugendunterrichts,
revolutionaer und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand
der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behoerden 593 (161)
gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten
Wechsel der roemischen Oberbeamten, wie alle aehnlichen Befehle ohne
nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem
Sinne wohl noch oefters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der
hoehere Unterricht im Griechischen und in den griechischen
Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher
Teil der italischen Bildung.
------------------------------------------------------ 4 Cicero sagt,
dass er seinen gelehrten Sklaven Dionysios ruecksichtsvoller behandelt
habe als Scipio den Panaetios; und in gleichem Sinne hiess es bei
Lucilius: Nuetzlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel
und Zeltdach Als der Philosoph.
------------------------------------------------------- Aber ihm zur
Seite entwickelte sich ein hoeherer lateinischer Unterricht. Es ist
in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische
Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle
der Zwoelf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische
Odyssee getreten war und nun der roemische Knabe an dieser Uebersetzung,
wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag
der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach-
und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch
wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende
Knaben und Juenglinge lehrten, es nicht verschmaehten, neben der
griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das
die Anfaenge eines hoeheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch
ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht
ueberschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht
bloss lateinische Schulbuecher, sondern eine lateinische Literatur gab
und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer
gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und
die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der hoeheren
Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
Sprachmeistern liess nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt
durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Roemer
die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius' 'Punischen Krieg',
Ennius' 'Chronik', spaeterhin auch Lucilius' Gedichte zuerst einem
erlesenen Kreis, dann oeffentlich an fest bestimmten Tagen und unter
grossem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vortraege,
die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar
kein foermlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel,
die Jugend in das Verstaendnis und den Vortrag der klassischen
lateinischen Literatur einzufuehren. Aehnlich ging es mit der Bildung
der lateinischen Rede. Die vornehme roemische Jugend, die schon in
fruehem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden oeffentlich aufzutreten
angehalten ward, wird es an Redeuebungen nie haben fehlen lassen; indes
erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand
eine eigentliche Redekunst. Als der erste roemische Sachwalter, der
Sprache und Stoff kunstmaessig behandelte, wird Marcus Lepidus
Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden beruehmten Advokaten
der marianischen Zeit, der maennliche und lebhafte Marcus Antonius
(611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663
140-91), waren schon vollstaendig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend
im Sprechen stiegen natuerlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben
doch, eben wie die lateinischen Literaturuebungen, wesentlich darauf
beschraenkt, dass der Anfaenger an den Meister der Kunst persoenlich
sich anschloss und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete.
Foermliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in
lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus
von Lanuvium, der "Griffelmann" (Stilo) genannt, ein angesehener, streng
konservativ gesinnter roemischer Ritter, der mit einem auserlesenen
Kreise juengerer Maenner - darunter Varro und Cicero - den Plautus
und aehnliches las, auch wohl Entwuerfe zu Reden mit den Verfassern
durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war
ein Unterricht; aber ein gewerbmaessiger Schulmeister war Stilo
nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom
die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein aelterer Freund der
aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote
stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmaessige
hoehere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren
lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten
Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen
Anstalten erteilt. Dass Geist und Methode durchaus den griechischen
Literatur- und Sprachuebungen abgeborgt wurden, versteht sich von
selbst; und auch die Schueler bestanden wie bei diesen aus Juenglingen,
nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht,
wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die
lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-,
Staats- und Gerichtsreden kunstmaessige Anleitung gegeben ward. Die
erste roemische Literaturschule eroeffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius
Nicanor Postumus, die erste besondere Schule fuer lateinische Rhetorik
um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den
lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser
neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung.
Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede,
wie sie frueher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden
war, hatte den Griechen gegenueber eine gewisse Selbstaendigkeit sich
bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl
unter dem Einfluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der
griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die
letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde
Menschenverstand der Roemer empoerte sich gegen die griechische
Behauptung, dass die Faehigkeit, ueber Dinge, die der Redner verstand
und empfand, verstaendig und anregend in der Muttersprache zu
seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden
koenne. Dem tuechtigen praktischen Advokaten musste das gaenzlich dem
Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren fuer den Anfaenger
schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und
durch das Leben gereiften Manne duenkte die griechische Rhetorik
schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging
die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmaessig entwickelten
Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen,
und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern,
zunaechst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so
war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede
noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen
lateinischen Rhetorschulen aber wurden die roemischen Jungen zu Maennern
und Staatsrednern dadurch gebildet, dass sie paarweise den bei der
Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus
der Ermordung seines Waffengefaehrten anklagten und dagegen ihn
verteidigten; dass sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
Schutz nahmen; dass sie vielleicht auch dem Hannibal nachtraeglich mit
einem guten Rat darueber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung
nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht
zu ergreifen. Es ist begreiflich, dass gegen diese widerwaertigen und
verderblichen Wortmuehlen noch einmal die catonische Opposition sich
regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erliessen eine Warnung an
Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Uebungen
hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewusst haetten;
und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der
erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natuerlich
sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamieruebungen ueber die
gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des
roemischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben
zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede
ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. Als Gesamtergebnis
aber dieser modernen roemischen Erziehung entwickelte sich der neue
Begriff der sogenannten "Menschlichkeit", der Humanitaet, welche bestand
teils in der mehr oder minder oberflaechlich angeeigneten musischen
Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder
nachgestuemperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanitaet
sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch
roemischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in
sich, ebenwie unsere eng verwandte "allgemeine Bildung", einen national
kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die
Revolution, die die Staende schied und die Voelker verschmolz. 13.
Kapitel Literatur und Kunst Das sechste Jahrhundert ist, politisch
wie literarisch, eine frische und grosse Zeit. Zwar begegnet auf dem
schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann
ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige
Schriftsteller von scharf ausgepraegter Individualitaet, sind nicht im
hoechsten Sinn schoepferische Talente; aber nichtsdestoweniger fuehlt
man dem Schwung, der Ruehrigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen,
epischen, historischen Versuche es an, dass sie ruhen auf den
Riesenkaempfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur kuenstlich
verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform
und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock
ineinandergefuegt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
schulmaessigen Urspungs nicht und ist unselbstaendig und unvollkommen;
aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo
nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und
die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser
Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefuehl der im
Kriege gestaehlten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an
Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Mass des eigenen
Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das
vermochte man nicht weiterzufuehren, als teils die dumpfe Schwuele der
heraufziehenden revolutionaeren Gewitter die Luft zu erfuellen begann,
teils den Einsichtigeren allmaehlich die Augen aufgingen ueber die
unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und
ueber die sehr bescheidene kuenstlerische Begabung der eigenen Nation.
Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der
Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte
und empfaengliche Gemueter. Die gesteigerte hellenische Bildung des
siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen
naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Bluetenkeime mit
dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der aelteren
Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunaechst und
hauptsaechlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich
schloss und dessen hervorragendste Glieder unter der roemischen
vornehmen Welt ausser Scipio dessen aelterer Freund und Berater Gaius
Laelius (Konsul 614 140) und Scipios juengere Genossen, Lucius Furius
Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers
von Korinth, unter den roemischen und griechischen Literaten der
Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber
Polybios, der Philosoph Panaetios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon
und Menandros gelaeufig waren, dem konnte der roemische Homer nicht
imponieren und noch weniger die schlechten Uebersetzungen Euripideischer
Tragoedien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu
liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterlaendische Chronik
patriotische Ruecksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius
sehr spitzige Pfeile gegen "die traurigen Figuren aus den geschraubten
Expositionen des Pacuvius"; und aehnliche strenge, aber nicht ungerechte
Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, "die einen
Freibrief zu haben scheinen, schwuelstig zu reden und unlogisch zu
schliessen", begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser
Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte
die Achseln ueber die Interpolationen, mit denen der derbe roemische
Volkswitz die eleganten Komoedien des Philemon und des Diphilos
staffiert hatte. Halb laechelnd, halb neidisch wandte man sich ab von
den unzulaenglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblaetter aus
seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, liess
man in Poesie und Prosa die hoeheren Kunstgattungen wesentlich fallen
und beschraenkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich
einsichtig zu erfreuen. Die Produktivitaet dieser Epoche bewegt sich
vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren
Komoedie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschuere, den
Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im
Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis
von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der hoeheren Gesellschaft
und das vulgaere des gemeinen Mannes. "Reine Sprache" verheissen die
Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement
der Lucilischen Satire; und ebendamit haengt es zusammen, dass die
griechische Schriftstellerei der Roemer jetzt entschieden zuruecktritt.
Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es
begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulaengliche, weit haeufiger
in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des
Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfaelschten Latein.
Desgleichen steigt die literarische Taetigkeit in der oeffentlichen
Meinung allmaehlich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser
Periode galt, wenn auch nicht die Veroeffentlichung rezitativer Poesien,
doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstuecken als nicht schicklich
fuer den vornehmen Roemer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren
Stuecken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit
goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhaeltnisse sich voellig
verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass
auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung
Anspruch machen durfte, deren Hoehe den Makel entfernte. Damit wurde die
Buehnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch
Maenner aus den hoechsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar
(Aedil 664 90, + 667 87) fuer die roemische Buehne taetig und stolz
darauf, in der roemischen "Dichtergilde" neben dem ahnenlosen Accius zu
sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist
hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit,
die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr
entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der spaeteren wieder - die
Epigonen der Hannibalskaempfer sind korrekt, aber matt. Betrachten
wir zuerst die roemische Buehnenliteratur und die Buehne selbst.
Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitaeten auf; die
Tragoediendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der
vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschaetzung dieses
Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im
Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen
Tragoedie (praetexta), der Schoepfung des Naevius, begegnen wir nur
noch bei dem gleich zu erwaehnenden Pacuvius, einem Spaetling der
Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern
griechischer Tragoedie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen.
Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in
seinen frueheren Jahren im Rom vom Malen, erst im hoeheren Alter vom
Trauerspieldichten lebte, gehoert seinen Jahren wie seiner Art nach mehr
dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische
Taetigkeit in dieses faellt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines
Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach
hoeherem Schwunge strebend als sein Vorgaenger, galt er guenstigen
Kunstkritikern spaeter als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils;
in den auf uns gekommenen Bruchstuecken fehlt es indes nicht an Belegen,
die Ciceros sprachlichen und Lucilius' aesthetischen Tadel des Dichters
rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines
Vorgaengers, seine Dichtweise schwuelstig und tueftelnd ^1. Es finden
sich Spuren, dass er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion
gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen
Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklaerung
predigenden Dramen und schoepfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei
Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie
des Ennius kann in dem juengeren Dichter keine Ader gewesen sein.
------------------------------------------------- ^1 So hiess es im
'Paulus', einem Originalstueck, wahrscheinlich in der Beschreibung des
Passes von Pythion (2, 296): Qua vix caprigeno generi gradilis gressio
est. Wo kaum Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. Und in
einem andern Stueck wird den Zuhoerern angesonnen, folgende Beschreibung
zu verstehen: Vierfuessig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
Niedrig, kurzkoepfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, Und,
ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf dieselben natuerlich
erwidern: Mit dichtverzaeuntem Worte schilderst du uns ab, Was ratend
schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest,
wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Gestaendnis, dass die
Schildkroete gemeint ist. uebrigens fehlten solche Raetselreden auch bei
den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der
Mittleren Komoedie oft und derb mitgenommen wurden.
------------------------------------------------------ Lesbarere
und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragoedie lieferte des
Pacuvius juengerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen
Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), ausser Pacuvius der einzige
namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war
er, ein auch literarhistorisch und grammatisch taetiger Schriftsteller,
bemueht, statt der kruden Weise seiner Vorgaenger groessere Reinheit in
Sprache und Stil in die lateinische Tragoedie einzufuehren; doch ward
auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Maennern der strengen
Observanz, wie Lucilius, nachdruecklich getadelt. Weit groessere
Taetigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des
Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare
und volksmaessige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion.
Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich
interessantesten Erscheinungen in der roemischen Literatur. Geboren im
phoenikischen Afrika, in frueher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und
dort in die griechische Bildung der Zeit eingefuehrt, schien er von
Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komoedie ihren kosmopolitischen
Charakter zurueckzugeben, den sie in der Zustutzung fuer das roemische
Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Haenden
einigermassen eingebuesst hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung
der Musterstuecke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen
seiner Vorgaenger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen koennen.
Plautus waehlt seine Stuecke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen
Komoedie und verschmaeht die keckeren und populaereren Lustspieldichter,
wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz haelt sich
fast ausschliesslich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und
zuechtigsten unter allen Poeten der neueren Komoedie. Die Weise, mehrere
griechische Stuecke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von
Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache fuer den roemischen
Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr
Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog
entfernte sich ohne Zweifel sehr haeufig von seinen Mustern; Terenz
ruehmt sich des woertlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die
Originale, wobei freilich nicht an eine woertliche Uebersetzung in
unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer
drastische Auftragung roemischer Lokaltoene auf den griechischen Grund,
wie Plautus sie liebte, wird vollstaendig und absichtlich verbannt,
nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine
Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische
ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der kuenstlerischen
Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen
gebuehrenden Masken zurueck und wird fuer eine sorgfaeltigere
Inszenierung Sorge getragen, so dass nicht mehr wie bei Plautus alles,
was dahin und nicht dahin gehoert, auf der Strasse vorzugehen braucht.
Plautus schuerzt und loest den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine
Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch,
traegt ueberall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der
Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdruecklich gegen die
allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe
seiner Vorgaenger, zum Beispiel gegen die allegorischen Traeume 3.
Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft,
immer fuer die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz
behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfaeltigen und oft
vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den 'Bruedern' die
beiden Alten, der bequeme staedtische Lebemann und der vielgeplackte,
durchaus nicht parfuemierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast
bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
Terenz im guten buergerlichen Haushalt. Die ruepelhafte Plautinische
Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den
obligaten Wirten dazu, die saebelrasselnden Landsknechte, die ganz
besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren
Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum
Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen,
unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen
regelmaessig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein
Maedchenwirt ausgepluendert oder ein junger Mensch ins Bordell gefuehrt,
so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus bruederlicher Liebe
oder um den Knaben vom Besuch schlichter Haeuser abzuschrecken. In den
Plautinischen Stuecken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen
das Haus: ueberall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergoetzung
aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswuerdigen Begruessung
daheim nicht voellig versicherten Eheleute. In den Terenzischen
Komoedien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere
Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmaessig
schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womoeglich mit
zweien - ebenwie von Menandros geruehmt wird, dass er jede Verfuehrung
durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose
Leben, die bei Menandros so haeufig sind, werden von seinem roemischen
Bearbeiter nur mit charakteristischer Schuechternheit wiederholt
4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zaertliche Ehemann
am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im
'Verschnittenen' und im 'Maedchen von Andros' gar anmutig geschildert;
ja in der 'Schwiegermutter' erscheint sogar am Schluss als rettender
Engel ein tugendhaftes Freudenmaedchen, ebenfalls eine echt Menandrische
Figur, die das roemische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei
Plautus sind die Vaeter durchaus nur dazu da, um von den Soehnen gefoppt
und geprellt zu werden; bei Terenz wird im 'Selbstquaeler' der verlorene
Sohn durch vaeterliche Weisheit gebessert und, wie er ueberhaupt voll
trefflicher Paedagogik ist, geht in dem vorzueglichsten seiner Stuecke,
den 'Bruedern', die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu
finden. Plautus schreibt fuer den grossen Haufen und fuehrt gottlose
und spoettische Reden im Munde, soweit die Buehnenzensur es irgend
gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu
gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den
raschen, oft laermenden Dialog, und es gehoert zu seinen Stuecken das
lebhafte Koerperspiel der Schauspieler; Terenz beschraenkte sich auf
"ruhiges Gespraech". Plautus' Sprache fliesst ueber von burlesken
Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen
Neubildungen, aristophanischen Woerterverklitterungen, spasshaft
entlehnten griechischen Schlagwoertern. Dergleichen Capricci kennt
Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmass, und die
Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenzioese Wendungen.
Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenueber, weder in
poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von
Originalitaet kann bei beiden nicht, aber wo moeglich noch weniger bei
Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung
wird wenigstens aufgewogen dadurch, dass der juengere Dichter wohl
die Vergnueglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben
verstand, so dass die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des
Plautus, wie der 'Stichus', die Kaestchenkomoedie, 'Die beiden
Backchis', wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des
Originals bewahren als die Komoedien des "halbierten Menander".
Ebensowenig wie in dem Uebergang vom Rohen zum Matten der Aesthetiker,
kann der Sittenrichter in dem Uebergang von der Plautinischen Zote und
Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt
erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die
elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen
Reiz vor allem verdankte er es, dass die feinsten Kunstrichter der
Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen roemischen
Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern
ist es auch wohl gerechtfertigt, in der roemischen Literatur, deren
wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie,
sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen
Lustspielen als der ersten kuenstlerisch reinen Nachbildung hellenischer
Kunstwerke eine neue Aera zu datieren. Im entschiedensten literarischen
Krieg brach die moderne Komoedie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise
hatte in dem roemischen Buergerstand Wurzel gefasst; die Terenzischen
Lustspiele stiessen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum,
das ihre "matte Sprache", ihren "schwachen Stil" unleidlich fand.
Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den
eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll
defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus
seiner 'Schwiegermutter' zweimal weggelaufen war, um einer Fechter-
und Seiltaenzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen
Welt. Er erklaerte, nur nach dem Beifall der "Guten" zu streben, wobei
freilich die Andeutung nicht fehlt, dass es durchaus nicht anstaendig
sei, Kunstwerke zu missachten, die den Beifall der "Wenigen" erhalten
haetten. Er liess die Rede sich gefallen oder beguenstigte sie sogar,
dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der
Tat unterstuetzten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur
herrschte die Oligarchie und verdraengte die kunstmaessige Komoedie der
Exklusiven das volkstuemliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 (134)
die Plautinischen Stuecke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um
so bezeichnender, als nach dem fruehen Tode des Terenz durchaus kein
hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet taetig war; ueber die
Komoedien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder
fast ganz verschollene Lueckenbuesser urteilte schon am Ende dieser
Periode ein Kenner, dass die neuen Komoedien noch viel schlechter seien
als die schlechten neuen Pfennige. Dass wahrscheinlich bereits im
Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-roemischen Komoedie
(palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar
nicht des spezifischen hauptstaedtischen, aber doch des Tuns und
Treibens im latinischen Land, ist frueher gezeigt worden. Natuerlich
bemaechtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es
war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komoedie einerseits in getreuer
Uebersetzung, andererseits in rein roemischer Nachdichtung in Italien
einzubuergern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius
(blueht um 660 90). Die Bruchstuecke, die uns von ihm vorliegen, geben
keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem,
was die roemischen Kunstkritiker ueber ihn bemerken. Seine zahlreichen
Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen
Intrigenstueck nachgebildet, nur dass sie, wie bei der Nachdichtung
natuerlich ist, einfacher und kuerzer ausfielen. Auch im einzelnen
borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der aelteren
Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltoenen aber, die bei dem
Schoepfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten,
begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr
allgemein und moegen wohl durchgaengig Nachbildungen bestimmter
griechischer Komoedien nur mit veraendertem Kostuem sein. Ein
feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische
Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz;
auch die sittliche Tendenz, die seine Stuecke dem Schauspiel naeherte,
die polizeimaessige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein.
Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren
ihn hinreichend das Urteil der Spaeteren, dass er die Toga trage wie
Menandros sie als Italiker getragen haben wuerde, und seine
eigene Aeusserung, dass ihm Terenz ueber alle andern Dichter gehe.
------------------------------------------- 2 Vielleicht die einzige
Ausnahme ist im 'Maedchen von Andros' (4, 5) die Antwort auf die Frage,
wie es gehe: Nun, Wie wir koennen, heisst's ja, da, wie wir moechten,
es nicht geht, mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen
Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius: Geht's nicht so, wie
du magst, so lebe wie du kannst. Das Lustspiel ist das aelteste
der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem
Theatervorstand zur Auffuehrung gebracht. Der leise Dank ist
bezeichnend. 3 Ein Seitenstueck zu der von Hunden gehetzten, weinend
einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm.
prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen
Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen duerfen.
Schliesslich gehen auch dergleichen Auswuechse auf die Euripideische
Rhetorik zurueck (z. B. Eur. Hek. 90). 4 Micio in den 'Bruedern' (I, 1)
preist sein Lebenslos und namentlich auch, dass er nie eine Frau gehabt,
"was jene (die Griechen) fuer ein Glueck halten". 5 Im Prolog des
'Selbstquaelers' laesst er von seinen Rezensenten sich vorwerfen:
Er habe verlegt sich ploetzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist
vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem spaeteren (594 160) zu
den 'Bruedern' heisst es: Denn wenn Missguenstige sagen, dass vornehme
Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stueck, So rechnet
dies, was herber Tadel jenen scheint, Der Dichter zum Ruhm sich: dass
den Maennern er gefaellt, Die euch und allem Volke wohlgefaellig sind,
Die in Kriegslaeuften seinerzeit mit Rat und Tat Hilfreich erprobt
ihr all' und ohne Uebermut. Schon in der ciceronischen Zeit war es
allgemeine Annahme, dass hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint
seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herruehren sollten;
man erzaehlte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen
Goennern auf ihre Gueter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass
dieselben fuer die Verbesserung seiner oekonomischen Lage gar nichts
getan haetten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends
maechtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon
besonnene roemische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen
unmoeglich auf den damals 25jaehrigen Scipio und auf seinen nicht viel
aelteren Freund Laelius gehen koennen. Verstaendiger wenigstens dachten
andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und
Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und
Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch
dies offenbar nur Vermutung. Dass Terenz dem Scipionischen Hause nahe
stand, ist uebrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, dass die
erste Auffuehrung der 'Brueder' und die zweite der 'Schwiegermutter'
stattfand bei den Begraebnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die
dessen Soehne Scipio und Fabius ausrichteten. 6 Dabei haben
vermutlich auch aeusserliche Umstaende mitgewirkt. Nachdem infolge
des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das roemische
Buergerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines
Lustspiels in eine solche zu verlegen, und musste der Dichter sich
entweder allgemein halten oder untergegangene oder auslaendische
Orte auswaehlen. Gewiss hat auch dieser Umstand, der selbst bei
der Auffuehrung der aelteren Lustspiele in Betracht kam, auf
das Nationallustspiel unguenstig eingewirkt.
------------------------------------------- Neu trat in dieser Epoche
in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst
war uralt; lange bevor Rom stand, moegen Latiums lustige Gesellen
bei festlichen Gelegenheiten in den ein fuer allemal feststehenden
Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund
erhielten diese Spaesse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die
im Hannibalischen Kriege zerstoerte und damit der Komik preisgegebene
ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward fuer diese
Auffuehrungen der Name der "Oskischen Spiele" oder "Spiele von Atella"
ueblich 7. Aber mit der Buehne 8 und mit der Literatur hatten diese
Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen
beliebte aufgefuehrt, und die Texte nicht geschrieben oder doch
nicht veroeffentlicht. Erst in dieser Periode ueberwies man das
Atellanenstueck an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, aehnlich
wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
Tragoedien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische
Taetigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die roemische Kunstposse ganz
selbstaendig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht
verwandte unteritalische zu ihr den Anstoss gegeben hat ^10, laesst
sich nicht mehr entscheiden; dass die einzelnen Stuecke durchgaengig
Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiss. Als Begruender dieser neuen
Literaturgattung trat in der ersten Haelfte des siebenten Jahrhunderts
^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
dessen Stuecken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich
beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Truemmer und die Berichte
der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze,
regelmaessig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der
tollen und locker geknuepften Fabel beruhte als auf der drastischen
Abkonterfeiung einzelner Staende und Situationen. Gern wurden Festtage
und oeffentliche Akte komisch geschildert: 'Die Hochzeit, 'Der erste
Maerz', 'Pantalon Wahlkandidat'; ebenso fremde Nationalitaeten: die
transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem haeufig erschienen auf
den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Kuester, der Wahrsager, der
Vogelschauer, der Arzt, der Zoellner, der Maler, Fischer, Baecker gingen
ueber die Buehne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die
Walker, die in der roemischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider
gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen staedtischen
Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden
und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fuelle dieses
laendlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen
Titel, wie zum Beispiel 'Die Kuh', 'Der Esel', 'Das Zicklein', 'Die
Sau', 'Das Schwein', 'Das kranke Schwein, 'Der Bauer, 'Der Landmann,
'Pantalon Landmann, 'Der Rinderknecht, 'Die Winzer, 'Der Feigensammler',
'Das Holzmachen', 'Das Behacken, 'Der Huehnerhof'. Immer noch waren es
in diesen Stuecken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen
Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum
ergoetzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell
dieser Posse, der gefraessige, unflaetige ausstaffiert haessliche und
dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, ueber seine eigenen
Fuesse zu fallen, von allen mit Hohn und mit Pruegeln bedacht und
endlich am Schluss der regelmaessige Suendenbock - die Titel 'Pulcinell
Soldat, 'Pulcinell Wirt', 'Jungfer Pulcinell', 'Pulcinell in der
Verbannung, 'Die beiden Pulcinelle' moegen dem gutgelaunten Leser eine
Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der roemischen Mummenschanz
herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden,
den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fuegten und in den
Versmassen zum Beispiel der griechischen Buehne sich anschlossen, so
hielten sie doch sich natuerlicherweise bei weitem latinischer und
volkstuemlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische
Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragoedie
^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und ueberhaupt nicht
sehr haeufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte
sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem
menschlichsten der Goetter, dem Hercules; er schrieb einen 'Hercules
Auctionator'. Dass der Ton nicht der feinste war, versteht sich;
sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkoernige Bauernzoten, Kinder
schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehoerten hier einmal
mit dazu, und persoenliche Anzueglichkeiten, sogar mit Nennung der
Namen, schluepften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an
lebendiger Schilderung, an grotesken Einfaellen, schlagenden Spaessen,
kernigen Spruechen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht
unansehnliche Stellung im Buehnenleben der Hauptstadt und selbst in der
Literatur. ------------------------------------ 7 Es knuepfen sich
an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtuemern. Das arge
Versehen griechischer Berichterstatter, dass diese Possen in Rom in
oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein
verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder
als unmoeglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und
Landlebens stehenden Stuecke ueberhaupt auf das national oskische Wesen
zu beziehen. Die Benennung des "Atellanischen Spiels" erklaert sich
auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und
stehenden Spaessen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt
sucht ueberall sich ein Schildburg. Natuerlich konnte bei der roemischen
Buehnenpolizei keine der roemischen oder auch nur mit Rom verbuendeten
latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese
zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre
543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsaechlich aber als ein von
roemischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder
Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung,
dass einzelne dieser Possen auch in anderen ueberhaupt oder doch
rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden
Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi
und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses
in Suessa Pometia, waehrend keine bestehende Gemeinde aehnlich
gemisshandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stuecke ist also Latium,
ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der
oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Dass ein Stueck des Naevius
(+ nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von
"Atellanenspielern" aufgefuehrt ward und deshalb personata hiess
(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung
"Atellanenspieler" wird hier proleptisch stehen, und man koennte sogar
danach vermuten, dass sie frueher "Maskenspieler" (personati) hiessen.
Ganz in gleicher Weise erklaeren sich endlich auch die "Lieder von
Fescennium", die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Roemer
gehoeren und in der suedetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert
wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu
duerfen als die Atellanen zur oskischen. Dass Fescennium in historischer
Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, laesst sich allerdings nicht
unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des
Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im hoechsten
Grade wahrscheinlich. 8 Die enge und urspruengliche Verbindung, in die
namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser
sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar.
Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied
ungefaehr ebenso gross wie heutzutage zwischen dem, der auf die Buehne
und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das
bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf
der Charaktermaske beruhte, besteht ein urspruenglicher, in keiner
Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem
Floetenstuecke, das anfangs ohne alle Rezitation bloss auf Gesang
und Tanz sich beschraenkte, sodann einen Text (satura), endlich durch
Andronicus ein der griechischen Schaubuehne entlehntes Libretto erhielt,
worin die alten Floetenlieder ungefaehr die Stelle des griechischen
Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse beruehrt sich dieser
Entwicklungsgang in den frueheren Stadien nirgends. 9 In der Kaiserzeit
ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt
(Friedlaender in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese
anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht ueberliefert, kann aber
kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane
unter die regelmaessigen Buehnenspiele eintrat, das heisst die
vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im
Widerspruch, dass noch zu Livius' (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im
Gegensatz der uebrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn
damit, dass Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane
mitaufzufuehren anfingen, ist noch gar nicht gesagt, dass dieselbe nicht
mehr, zum Beispiel in den Landstaedten, von unbezahlten Dilettanten
aufgefuehrt ward und das Privilegium also fortwaehrend anwendbar blieb.
^10 Es verdient Beachtung, dass die griechische Posse nicht bloss
vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer
Stuecke (zum Beispiel unter denen des Sopatros 'Das Linsengericht,
'Bakchis' Freier, 'Des Mystakos Lohnlakai, 'Die Gelehrtem, 'Der
Physiolog') lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muss diese
Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen
in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien
bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, fuehrt
schon einen roemischen Namen und schrieb eine Posse 'Saturnus'. ^11 Nach
Eusebius bluehte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen
des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667
143-87). Die erste Ansetzung duerfte um ein Menschenalter zu spaet sein;
die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen
'Malern' noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon
die Mimen, welche die Atellanen von der Buehne verdraengten. ^12 Lustig
genug mochte sie auch hier sein. So hiess es in Novius' 'Phoenissen':
Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! ganz
wie Menanders 'falscher Herakles' auftritt.
---------------------------------------------- Was endlich die
Entwicklung des Buehnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im
einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, dass das allgemeine
Interesse an den Buehnenspielen bestaendig im Steigen war und dieselben
immer haeufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloss ward jetzt
wohl kaum ein ordentliches oder ausserordentliches Volksfest ohne
Buehnenspiele begangen, auch in den Landstaedten und Privathaeusern
wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewoehnlich. Zwar
entbehrte, waehrend wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser
Zeit ein steinernes Theater besass, die Hauptstadt eines solchen noch
immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599
(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es
war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, dass
man aus Respekt vor den Sitten der Vaeter die Erbauung eines stehenden
Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reissend
zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden liess,
um Brettergerueste fuer dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
Buehneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung
und die Wiedereinfuehrung der Masken um die Zeit des Terenz haengt wohl
ohne Zweifel damit zusammen, dass die Einrichtung und Instandhaltung
der Buehne und des Buehnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse
uebernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die
Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609
145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art
akustisch gebautes und mit Sitzplaetzen versehenes Theater aufgeschlagen
und ueberhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch
von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer
Stuecke, von lebhafter Parteinahme des Publikums fuer und gegen die
Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen
und Maschinerie wurden verbessert: kunstmaessig gemalte Kulissen und
hoerbare Theaterdonner kamen unter der Aedilitaet des Gaius Claudius
Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre spaeter (675 79) unter der
Aedilitaet der Brueder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung
der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche
gehoert der groesste roemische Schauspieler an, der Freigelassene
Quintus Roscius (+ um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen
hindurch der Schmuck und Stolz der roemischen Buehne ^16, Sullas Freund
und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch spaeter zurueckzukommen
sein wird. ----------------------------------------------- ^13 Bisher
hatte der Spielgeber die Buehne und den szenischen Apparat aus der ihm
ueberwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen muessen
und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre
580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Buehne fuer die
Spiele der Aedilen und Praetoren besonders in Verding (Liv. 41, 27);
dass der Buehnenapparat jetzt nicht mehr bloss fuer einmal angeschafft
ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben gefuehrt haben.
^14 Die Beruecksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen
folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Ueber die Sitzplaetze hat F. W. Ritschl,
Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX)
gesprochen; doch duerften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen,
welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen
gehabt haben. Wahrscheinlich gehen uebrigens zunaechst auf diese
epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte
des Horaz, dass "das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm".
^15 Die Kulissen des Pulcher muessen ordentlich gemalt gewesen sein,
da die Voegel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu
setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die
Donnermaschinerie darin bestanden, dass Naegel und Steine in einem
kupfernen Kessel geschuettelt wurden; erst Pulcher stellte einen
besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem
"Claudischen Donner" (Festus v. Claudiana p. 57). ^16 Unter den wenigen,
aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes
Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:  Constiteram, exorientem
Auroram forte salutans,  Cum subito a laeva Roscius exoritur.  Pace mihi
liceat, caelestes, dicere vestra:  Mortalis visust pulchrior esse deo.
 Juengsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:  Da
zur Linken mir, schau! ploetzlich geht Roscius auf.  Zuernet, ihr
Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:  Schoener fuerwahr
als der Gott deuchte der Sterbliche mir. Der Verfasser dieses griechisch
gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms
ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius
Catulus, Konsul 652 (102). ------------------------------------------
In der rezitativen Poesie faellt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf,
das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur
entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar
zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur
voruebergehendem Erfolg. Aus der gegenwaertigen Epoche ist kaum etwas
zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu uebersetzen
und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbuecher, wie des Hostius
'Histrischer Krieg' und des Aulus Furius (um 650 100) 'Jahrbuecher
(vielleicht) des Gallischen Krieges', die allem Anschein nach
unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen
Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehoert hatte. Auch in der
didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender
Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser
Epoche aufzuweisen hat, gehoeren dem Gebiete der sogenannten Satura an,
derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschuere jede
Form zulaesst und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen
Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualitaet eines
jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloss auf der Grenze
von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Haelfte ausserhalb
der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die
einer der juengeren Maenner des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius,
der Bruder des Zerstoerers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an
seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert spaeter
gern gelesen; und es moegen dergleichen nicht zur Veroeffentlichung
bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen
Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr
Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer
angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und
gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte
sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein
geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten
unabhaengigen Mannes, der den Vorgaengen auf der politischen Schaubuehne
vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den
Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und
Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst fuer
einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich fuer
alles, was im Guten und Boesen ihm begegnet, fuer politische Erfahrungen
und Erwartungen, fuer Sprachbemerkungen und Kunsturteile, fuer eigene
Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie fuer vernommene Anekdoten
sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kaprizioes, durchaus
individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgepraegte
oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl
wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung
der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefuehl des rein
redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das
grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung
des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche
Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten
Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begruender
der roemischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das
Publikum, fuer das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und
mustergueltiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer,
das heisst die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings
eines Korrektivs wohl beduerfen mochte. Ganze Buecher seiner Gedichte
beschaeftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie
und Prosodie, mit der Bekaempfung praenestinischer, sabinischer,
etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Soloezismen,
woneben der Dichter aber keineswegs vergisst, den geistlos schematischen
Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhoehnen ^17 und
selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht
ernsthaften Scherzen vorzuruecken ^18. Aber weit ernstlicher noch als
das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat-
und im oeffentlichen Leben. Seine Stellung beguenstigte ihn hierbei in
eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermoegen und Bildung den vornehmen
Roemern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen
Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht roemischer Buerger, sondern
latinischer; selbst sein Verhaeltnis zu Scipio, unter dem er in seiner
ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen
Hause er haeufig verkehrte, mag damit zusammenhaengen, dass Scipio in
vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen
Fehden der Zeit ihr Patron war. Die oeffentliche Laufbahn war ihm
hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmaehte er -
er mochte nicht, wie er einmal sagt, "aufhoeren, Lucilius zu sein, um
asiatischer Steuerpaechter zu werden". So stand er in der schwuelen
Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden
Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palaesten und Villen der
roemischen Grossen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten
in den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht
unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; aehnlich wie Beranger, an den
gar vieles in Lucilius' politischer und poetischer Stellung erinnert.
Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwuestlichem gesunden
Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
Witz hinein in das oeffentliche Leben. Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
Den ganzen lieben langen Tag Auf dem Markte von frueh bis Spat Draengen
die Buerger und die sich vom Rat Und weichen und wanken nicht von der
Statt. Ein Handwerk einzig und allein Betreiben alle insgemein, Den
andern zu prellen mit Verstand, Im Luegen zu haben die Vorderhand Und zu
werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. All' untereinandern
belauern sie sich, Als laege jeder mit jedem im Krieg ^19.
----------------------------------------------------------- ^17 Quam
lepide lexeis, compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque
emblemate vermiculato! Ei, die niedliche Phrasenfabrik! Gefuegt so
zierlich Stueck fuer Stueck, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ^18 Der
Dichter raet ihm: Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Dass
du gebildeter als die andern heissest und ein feinerer Mann, - nicht
pertaesum, sondern pertisum zu sagen. ^19 Nunc vero a mane ad noctem,
festo atque profesto Toto itidem pariterque die populusque patresque
Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. Uni se atque eidem studio
omnes dedere et arti: Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
Blanditia certare, bonun simulare virum se, Insidias facere ut si
hostes sint omnibus omnes.
------------------------------------------------------------ Die
Erlaeuterungen zu diesem unerschoepflichen Text griffen schonungslos,
ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die
Uebelstaende der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen
Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eroeffnung seiner
Satiren war eine grosse Debatte des olympischen Goettersenats ueber die
Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen
sich zu erfreuen. Koerperschaften, Staende, Individuen wurden ueberall
einzeln mit Namen genannt; die der roemischen Buehne verschlossene
Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der
Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf
uns gekommenen Truemmern noch entzueckenden Macht des schlagendsten und
bilderreichsten Witzes "gleichwie mit gezogenem Schwerte" auf den Feind
eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Uebergewicht und
dem stolzen Freiheitsgefuehl des Dichters von Suessa, liegt der Grund,
weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der
roemischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller
Ueberlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem aelteren
Poeten weicht als "seinem Besseren". Die Sprache ist die des griechisch
und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen laesst;
ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach
Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp
zu sein; unnuetzige Weitlaeufigkeit, schluderige Wiederholung derselben
Wendung, arge Nachlaessigkeiten begegnen. haeufig; das erste Wort,
lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die
Masse, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man
die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so wuerde kein
Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als einfache
Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knuettelversen
vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf
demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte
und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder
geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich hoehere geistige Begabung
und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem
afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch
und glaenzend, wie der des Terenz muehsam und zweifelhaft gewesen war;
Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie
Beranger von seinen Gedichten sagen, "dass sie allein unter allen vom
Volke gelesen wuerden". Die ungemeine Popularitaet der Lucilischen
Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man
sieht daraus, dass die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel
wuerden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser
Zeit sich erhalten haette, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit
hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestaetigt; die antialexandrinisch
gesinnten roemischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang
unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire ueberhaupt als
eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und
in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Roemern eigentuemlich
und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist.
----------------------------------------- 20 Folgendes laengere
Bruchstueck ist charakteristisch fuer die stilistische und metrische
Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmoeglich
wiedergeben laesst: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis
in versamur, queis vivimu' rebu potesse; Virtus est homini scire id
quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit,
honestum, Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium
persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem
esse atque inimicum hominum morumque malorum. Contra defensorem hominum
morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam
postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu koennen nach
ihrer Art und Weis Fuer jede Sach' in unserm Kreis; Tugend, zu wissen,
was jedes Ding Mit sich fuer den Menschen bring'; Tugend, zu wissen, was
nuetzlich und recht, Was gut und uebel, unnuetz und schlecht; Tugend,
wenn man dem Erwerb und Fleiss Zu setzen die rechte Grenze weiss Und dem
Reichtum den rechten Preis; Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, Feind
zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut
und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in
Lieb' und Treu; Immer zu sehen am ersten Teil Auf des Vaterlandes Heil,
Sodann auf das, was den Eltern frommt, Und drittens der eigene Vorteil
kommt. ---------------------------------------------------- Von der an
den Alexandrinismus anknuepfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche
noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen
uebersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst
wegen, aber wohl als der erste Vorbote der juengeren Literaturepoche
Roms Erwaehnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten
und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern
gehoeren hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius,
ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere
scheint manche der bei den Griechen landlaeufigen geographischen
Maerchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der
Europa und von dem Wundervogel Phoenix zuerst bei den Roemern in Umlauf
gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen
Reisen in Dodona jenen merkwuerdigen Dreifuss zu entdecken und
abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land
der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund,
den die roemischen Geschichtsbuecher nicht versaeumten, andaechtig zu
registrieren. Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen
bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt
noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen
Entwicklung angehoert, der aber zuerst oder vielmehr allein die
Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung
gebracht hat und dem alle spaeteren Geschlechter und auch wir das Beste
verdanken, was wir von der roemischen Entwicklung wissen. Polybios (ca.
546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achaeischen
Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den
Zug der Roemer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward spaeter,
vielfach namentlich waehrend des Dritten Makedonischen Krieges, von
seinen Landsleuten in militaerischen und diplomatischen Geschaeften
verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigefuehrten Krise
wurde er mit den anderen achaeischen Geiseln nach Italien abgefuehrt, wo
er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und
durch die Soehne des Paullus in die vornehmen hauptstaedtischen Kreise
eingefuehrt ward. Die Ruecksendung der achaeischen Geiseln fuehrte ihn
in die Heimat zurueck, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen
seiner Eidgenossenschaft und den Roemern machte. Bei der Zerstoerung von
Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwaertig. Er schien
vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung
deutlicher zu erfassen, als die damaligen Roemer selbst es vermochten.
Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein
roemischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschaetzt und
gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und ueberhaupt den ersten
Maennern Roms, sah er die Stroeme, die so lange getrennt geflossen
waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der
Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der roemischen Macht
und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des
Scipionischen Kreises einging und die Ueberlegenheit des Hellenismus auf
dem geistigen, des Roemertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen
anerkannte, ueber die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen
hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und
verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer
Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem
ehrenwerten, aber unhaltbaren achaeischen Lokalpatriotismus gehuldigt
haben, so vertrat er in seinen spaeteren Jahren, in deutlicher Einsicht
der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des
engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine hoechst verstaendige und
ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und
stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen
hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich
persoenlich voellig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen,
stellte er an den Senat den Antrag, dass er den Entlassenen, jedem in
seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch foermlich verbriefen moege,
worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch
einmal in die Hoehle des Polyphemos zurueckkehre, um sich von dem Riesen
Hut und Guertel auszubitten. Sein Verhaeltnis zu den roemischen Grossen
hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er
der hohen Protektion sich unterwirft und sich beruehmt, naehert sich
doch einigermassen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist,
den seine praktische, atmet auch seine literarische Taetigkeit. Es
war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der
Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten
Punischen Krieg bis zur Zerstoerung von Karthago und Korinth fasst
sein Werk die Schicksale der saemtlichen Kulturstaaten, das heisst
Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos
und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die roemische
Schutzherrschaft im ursaechlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet
er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmaessigkeit der roemischen
Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausfuehrung steht
diese Geschichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen
die gleichzeitige roemische wie gegen die gleichzeitige griechische
Historiographie. In Rom stand man noch vollstaendig auf dem
Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
beschraenkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein
individuellen und doch auch nicht ueber die Anfaenge der Forschung
wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
Ammenmaerchen, teils auf Notizenbuendel. Die Griechen hatten eine
Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber
der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so
vollstaendig abhanden gekommen, dass es keinem der zahllosen Historiker
gelang, der Spur der grossen attischen Meister im Geiste und in der
Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte
weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder
rein aeusserliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und
Luegenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die
Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei
den Roemern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder
Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht
erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie
den Roemern, ueberschritt diese kuemmerlichen Schranken, behandelte den
roemischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine
universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgeloeste und den im
Werden begriffenen roemisch-griechischen Staat erfassende Geschichte.
Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollstaendig wie
Polybios alle Vorzuege eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt.
Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden
Augenblick gegenwaertig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich
geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen
Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Laender und
Voelker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhaeltnisse,
all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten
entschluepfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln
lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkuemmertes Recht. In der
Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht
und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen;
er benutzt die Urkunden, beruecksichtigt umfassend die Literatur
der verschiedenen Nationen, macht von seiner guenstigen Stellung
zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den
ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmaessig das ganze Gebiet
der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Kueste des Atlantischen Ozeans
21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen grossen Dingen hat er
kein Interesse fuer diesen oder gegen jenen Staat, fuer diesen oder
gegen jenen Mann, sondern einzig und allein fuer den wesentlichen
Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhaeltnis der Ursachen
und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloss die erste, sondern die einzige
Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzaehlung endlich ist
musterhaft vollstaendig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen
Vorzuege machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges.
Polybios fasst seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische
fasste, mit grossartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande.
Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist
ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als waere sie ein
mechanisches. Nur das Ganze gilt fuer ihn, in der Natur wie im Staat;
das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch
erscheinen moegen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente,
geringe Raeder in dem hoechst kuenstlichen Mechanismus, den man
den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer
geschaffen zur Darstellung der Geschichte des roemischen Volkes, welches
in der Tat das einzige Problem geloest hat, sich zu beispielloser
innerer und aeusserer Groesse zu erheben ohne auch nur einen im
hoechsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen
Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich
entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder
Volksgeschichte und wurde auch in der roemischen von Polybios nicht
ungestraft verkannt. Polybios' Behandlung aller Fragen, in denen Recht,
Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloss platt, sondern
auch gruendlich falsch. Dasselbe gilt ueberall, wo eine genetische
Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklaerungsversuche,
die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum
Verzweifeln, wie es denn kaum eine toerichtere politische Spekulation
gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verstaendigen
Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente
her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms
abzuleiten. Die Auffassung der Verhaeltnisse ist ueberall bis zum
Erschrecken nuechtern und phantasielos, die geringschaetzige
und superkluge Art, die religioesen Dinge zu behandeln, geradezu
widerwaertig. Die Darstellung, in bewusster Opposition gegen die
uebliche, kuenstlerisch stilisierte griechische Historiographie
gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber duenn und matt, oefter als
billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht
selbstgefaellige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein
oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte
seine Schrift zunaechst fuer die Roemer und fand doch auch hier nur
einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fuehlte es, dass er den
Roemern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtruenniger blieb und dass
er mit seiner grossartigen Auffassung der Verhaeltnisse mehr der Zukunft
als der Gegenwart angehoerte. Darum blieb er nicht frei von einer
gewissen Verstimmtheit und persoenlichen Bitterkeit, die in seiner
Polemik gegen die fluechtigen oder gar feilen griechischen und die
unkritischen roemischen Historiker oefters zaenkisch und kleinlich
auftritt und aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon faellt.
Polybios ist kein liebenswuerdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit
und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist
vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele
ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Buecher sind wie die Sonne
auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier,
die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo
sie endigen, beginnt eine neue, womoeglich noch laestigere Daemmerung.
------------------------------------------ 21 Dergleichen gelehrte
Reisen waren uebrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes.
So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze
Mittellaendische Meer durchschifft hat: Warum geh' ich nicht nach
Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
---------------------------------------- In einem seltsamen Gegensatz zu
dieser grossartigen Auffassung und Behandlung der roemischen
Geschichte durch einen Auslaender steht die gleichzeitige einheimische
Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige
griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwaehnte des Aulus
Postumius (Konsul 603 151), voll uebler Pragmatik, und die des Gaius
Acilius (schloss in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem
Einfluss teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung
des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet
so entschieden die Vorhand, dass nicht bloss unter den juengeren
Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene
vorkommt 22, sondern auch die aelteren griechischen Chroniken ins
Lateinische uebersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen
Uebersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch
geschriebenen Chroniken dieser Epoche ausser dem Gebrauch der
Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und
ausfuehrlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius
Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des
Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul
632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
achtzig Buechern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein
auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und
veroeffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluss gab,
als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhoerten,
doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten
nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbuecher,
mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankuendigen,
waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen
geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen-
wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Masse, wie ihre
Ausfuehrlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends
Wahrheit ohne Dichtung, und es waere sehr toericht, mit Naevius und
Pictor zu rechten, dass sie es nicht anders gemacht als Hekataeos und
Saxo Grammaticus; aber die spaeteren Versuche, aus solchen Nebelwolken
Haeuser zu bauen, stellen auch die gepruefteste Geduld auf eine harte
Probe. Keine Luecke der Ueberlieferung klafft so tief, dass diese glatte
und platte Luege sie nicht mit spielender Leichtigkeit ueberkleisterte.
Ohne Anstoss werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen,
Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins
rueckwaerts gefuehrt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr,
Monat und Tag Koenig Romulus gen Himmel gefahren ist und wie Koenig
Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai
187 (567) ueber die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im
besten Einklang, dass man in den roemischen Docks den Glaeubigen das
Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja
sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl
eingepoekelt im roemischen Vestatempel konservierte. Mit dem Luegemut
eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die
langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren grossen
Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller
poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn
wir zum Beispiel bei Piso lesen, dass Romulus sich gehuetet habe, dann
zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; dass die
Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um
die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verstaendiger
Zeitgenossen ueber diese ganze Schreiberei nicht befremden, "dass das
nicht heisse Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten
erzaehlen". Weit vorzueglicher waren einzelne Werke ueber die Geschichte
der juengsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte
des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und
des wenig juengeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner
Zeit. Hier fand sich wenigstens schaetzbares Material und ernster
Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und
Bruchstuecken zu schliessen, keines dieser Buecher weder in markiger
Form noch in Originalitaet an die "Ursprungsgeschichten" Catos, der
leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen
Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach,
die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der
historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon
zeichneten die ersten Staatsmaenner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so
Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus
Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine
dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt fuer die
Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia,
der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft
reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste
in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische
Produktion einer roemischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte
in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrueckten Stempel;
Advokatenplaedoyers wurden noch nicht als literarische Produktion
angesehen, und was von Reden veroeffentlicht ward, waren politische
Pamphlete. Waehrend der revolutionaeren Bewegung nahm diese
Broschuerenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse
ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes'
Philippiken und Couriers fliegende Blaetter, durch die bedeutende
Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen
bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des
Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstuecke des trefflichsten
Latein wie des edelsten Vaterlandsgefuehls; so die sprudelnden Reden
des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die
Schilderung des senatorischen Geschworenen ward frueher mitgeteilt - das
nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen
Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen
Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhaengnis dieser
hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.
----------------------------------------------- 22 Die einzige wirkliche
Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus
Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90)
bluehte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul
649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil
zu Smyrna schrieb. -----------------------------------------------
In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150)
veroeffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen
uebliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom
zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte
Szenerie des Gespraechs der Abhandlung eine kuenstlerische, halb
dramatische Form zu geben. Indes die spaeteren Gelehrten, schon
der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, liessen sowohl in den
allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese
mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert
der Wissenschaft als solcher und das in Rom ueberwiegende stoffliche
Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen
der Fessel kuenstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein
humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie,
der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als
dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewoehnlichen roemischen
Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen
Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen
Gebiet blueht die lateinische Philologie froehlich auf, im engen
Anschluss an die laengst sicher gegruendete philologische Behandlung
der griechischen Literatur. Es ward bereits erwaehnt, dass um den Anfang
dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und
Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, dass nicht bloss der
Scipionische Kreis ueberhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang,
sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius
und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik
beschaeftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der
historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden
die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die
des Hemina 'ueber die Zensoren', des Tuditanus 'ueber die Beamten'
schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
die Buecher ueber die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung fuer politische
Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefassten Didaskalien
des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des
lateinischen Dramas. Indes jene Anfaenge einer wissenschaftlichen
Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches
Gepraege und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der
Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen
dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz
verweisen duerfen. Derjenige Roemer, der die lateinische Sprach-
und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister
wissenschaftlich begruendete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er
zuerst ging zurueck auf die aeltesten Sprachdenkmaeler und kommentierte
die Saliarischen Litaneien und das roemische Stadtrecht. Er wandte der
Komoedie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu
und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten
Plautinischen Stuecke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfaenge
einer jeden einzelnen Erscheinung des roemischen Lebens und Verkehrs
geschichtlich zu bestimmen und fuer jede den "Erfinder" zu ermitteln,
und zog zugleich die gesamte annalistische Ueberlieferung in den Kreis
seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen
ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des
bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius
und der Geschichtsbuecher des Antipater; und auch fuer die Zukunft hat
dieser erste roemische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt,
indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf
seinen Schueler Varro vererbte.
----------------------------------------------------- 23 Die
Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Koenigszeit von der
Buergerschaft, nicht vom Koenig ernannt seien, ist ebenso sicher
falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn traegt.
------------------------------------------------------- Mehr
untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Taetigkeit
auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als
Hand- und Uebungsbuecher nach dem Muster der griechischen Kompendien
des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die
Schulmeister, teils um des Beduerfnisses, teils um der Eitelkeit und des
Geldes willen, nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Verfasser,
der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und
lateinische Rhetorik lehrte und ueber beide schrieb, ist uns ein
solches, unter Sullas Diktatur abgefasstes Handbuch der Redekunst
erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere
Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhaeltnismaessige
Selbstaendigkeit den griechischen Mustern gegenueber bemerkenswerte
Lehrschrift. Obwohl in der Methode gaenzlich abhaengig von den Griechen,
weist der Roemer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, "was
die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die
Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine". Der bitterste Tadel trifft
die haarspaltende Dialektik, diese "geschwaetzige Wissenschaft der
Redeunkunst", deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich
zweideutig auszudruecken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen
auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgaengig
und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der
Viellehrerei und schaerft die goldene Regel ein, dass der Schueler von
dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso
ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die
Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbstaendig gewaehlten
Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die waehrend der
letzten Dezennien in der roemischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht
hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die
Auswuechse des Hellenismus, die frueher gegen das Aufkommen einer
eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren
Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der roemischen
Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen
theoretisch und praktisch eine hoehere Wuerde und eine groessere
Brauchbarkeit sichert. Die Philosophie endlich ist in der Literatur
noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Beduerfnis eine
nationalroemische Philosophie entwickelte noch aeussere Umstaende eine
lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit
als dieser Zeit angehoerig sind nicht einmal lateinische Uebersetzungen
populaerer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie
trieb, las und disputierte griechisch. In den Fachwissenschaften ist
die Taetigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu
rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung
dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlaessigten Theorie zeigen sich
praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der
militaerischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blueht
nur die Jurisprudenz. Wir koennen ihre innerliche Entwicklung nicht
chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und
mehr zurueck und stand am Ende dieser Periode ungefaehr wie heutzutage
das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche
an die Stelle der aeusserlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen
Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der
boeswilligen und der fahrlaessigen Verschuldung, des vorlaeufig
schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwoelf Tafeln noch nicht,
wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwaertigen
Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rueckwirkung der
politischen Verhaeltnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon
mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die
Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmaenner zum Beispiel
trat auch in dem Vermoegensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das
gleich den Kriminalbehoerden, statt das Gesetz einfach anzuwenden,
sich ueber dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die
rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge
die unvernuenftige Satzung war, dass es jedem, den ein Verwandter im
Testament uebergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor
dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet.
Bestimmter laesst die Entwicklung der juristischen Literatur
sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und
Worterklaerungen zu den Gesetzen sich beschraenkt; in dieser Periode
bildete sich zunaechst eine Gutachtenliteratur, die ungefaehr unseren
heutigen Praejudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die laengst
nicht mehr bloss von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern
von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt
wurden, und an die schon rationelle und polemische Eroerterungen und
die der Rechtswissenschaft eigentuemlichen stehenden Kontroversen
sich anknuepften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an,
aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah
dies zuerst von dem juengeren Cato (+ um 600 150) und von Marcus Brutus
(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint,
nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich
systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begruender war der
Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, + 672 95, 82), in
dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das hoechste Priestertum
erblich war. Seine achtzehn Buecher 'vom Landrecht, welche das positive
juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Praejudikate
und die Autoritaeten teils aus den aelteren Sammlungen, teils aus
der muendlichen Ueberlieferung in moeglichster Vollstaendigkeit
zusammenfassten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der
ausfuehrlichen roemischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde
seine resuemierende Schrift 'Definitionen' (oros) die Grundlage der
juristischen Kompendien und namentlich der Regelbuecher. Obwohl diese
Rechtsentwicklung natuerlich im wesentlichen von dem Hellenismus
unabhaengig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem
philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen
unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der
Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben, wie denn der griechische
Einfluss bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt.
Dass in einzelnen mehr aeusserlichen Dingen die roemische
Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.
----------------------------------------------- 24 Catos Buch fuehrte
wohl den Titel 'De iuris disciplina' (Gell. 13, 20), das des Brutus den
'De iure civili' (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); dass es
wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33,
142). ----------------------------------------------- Die Kunst weist
noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur,
Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen
immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rueck-
als vorwaerts. Immer gewoehnlicher ward es bei dem Aufenthalt in
griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofuer
namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien
670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte
sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Geraet hatte
man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloss
griechische Bildsaeulen, sondern auch griechische Gemaelde zu schaetzen.
Das erste im Rom oeffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des
Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen
Beute zuruecknahm, weil Koenig Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler)
darauf bot. Die Bauten wurden glaenzender, und namentlich kam der
ueberseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in
Gebrauch - die italischen Marmorbrueche waren noch nicht in Betrieb.
Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Saeulengang, den
der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf
dem Marsfelde anlegte, schloss den ersten Marmortempel ein, den die
Hauptstadt sah; bald folgten aehnliche Anlagen auf dem Kapitol durch
Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius
(Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsaeulen geschmueckte Privathaus
war das des Redners Lucius Crassus (+ 663 91) auf dem Palatin. Aber wo
man pluendern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah
es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis fuer die roemische Architektur,
dass sie schon anfing, die Saeulen der alten griechischen Tempel zu
verwenden, wie zum Beispiel das roemische Kapitol durch Sulla mit denen
des Zeustempels in Athen geschmueckt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet
ward, ging aus den Haenden von Fremden hervor; die wenigen roemischen
Kuenstler dieser Zeit, die namentlich erwaehnt werden, sind ohne
Ausnahme eingewanderte italische oder ueberseeische Griechen: so der
Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die
roemischen Docks wiederherstellte und fuer Quintus Metellus (Konsul 611
143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle,
fuer Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen
Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Grossgriechenland,
der fuer roemische Tempel Goetterbilder aus Elfenbein lieferte; der
Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die
Bilder fuer den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist
bezeichnend, dass die Muenzen dieser Epoche im Vergleich mit denen
der vorigen zwar eine groessere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im
Stempelschnitt eher einen Rueck- als einen Fortschritt zeigen. Endlich
Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas ueber nach Rom,
einzig, um daselbst zur Erhoehung des dekorativen Luxus verwandt zu
werden. Solche fremdlaendischen Kuenste waren allerdings nicht neu
in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische
Floetenblaeser und Taenzer auftreten lassen und die Freigelassenen und
die niedrigste Klasse des roemischen Volkes auch bisher schon mit diesem
Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass griechische Taenze und
musikalische Auffuehrungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel
wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner
Reden sie voll Unwillen schildert, in der ueber fuenfhundert Knaben und
Maedchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Maennern in Amt und Wuerden
durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig
ehrbaren Kastagnettentaenzen, zu entsprechenden Gesaengen und zum
Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es
auch - nicht so sehr, dass ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius
Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Baelle
fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen loeste, als dass
vornehme junge Roemer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre
Jockeykuenste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem
Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle
musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
einfachen Floete von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein
Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Uebelstaende durch
solche Verbote, als dass es durch scharfe und folgerichtige Anwendung
ihnen abzuhelfen auch nur versucht haette. Werfen wir schliesslich
einen Blick zurueck auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst
Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen
Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der
vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivitaet. Die
hoeheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkuemmern,
so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind
die untergeordneten Arten, die Uebersetzung und die Nachbildung des
Intrigenstuecks, die Posse, die poetische und prosaische Broschuere;
in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten
Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden groessten literarischen
Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die
beide ueber eine Menge mehr oder minder mittelmaessiger Schriftsteller
emporragen, wie in einer aehnlichen Epoche der franzoesischen Literatur
ueber eine Unzahl anspruchsvoller Nullitaeten Courier und Beranger.
Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Kuensten die immer schwache
Produktivitaet jetzt voellig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst-
und Literaturgenuss; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen
Gebiet die ihren Vaetern angefallenen Erbschaften einziehen und
ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleissige Schauspielbesucher,
als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die
achtungswerteste Seite dieser Taetigkeit ist die gelehrte Forschung,
die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und
Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der
Begruendung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die
gegenwaertige Epoche faellt, und zugleich mit den ersten geringen
Anfaengen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kuendigt
bereits die Epoche des roemischen Alexandrinismus sich an. Alles, was
diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer
als die Schoepfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht
sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre
Vorgaenger wie auf stuemperhafte Anfaenger herab. Aber wenn sie die
Mangelhaftigkeit jener Anfaengerarbeiten belaechelten oder beschalten,
so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen,
dass die Jugendzeit der Nation vorueber war, und vielleicht diesen
oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht
beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 4" ***

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