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Title: Kurzgefaßte Deutsche Stilistik
Author: Lyon, Otto
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Kurzgefaßte Deutsche Stilistik" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1907 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
    heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber
    dem Original unverändert; fremdsprachliche Passagen wurden nicht
    korrigiert. Fußnoten wurden vom Bearbeiter an das Ende des
    jeweiligen Abschnitts verschoben.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

        fett:     =Gleichheitszeichen=
        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua:  ~Tilden~

  ####################################################################



          Handbuch der deutschen Sprache für höhere Schulen.

   Zweiter Teil: Für obere Klassen. Ausgabe B, in drei Abteilungen.

                    Kurzgefaßte Deutsche Stilistik.

                                  Von

                      Professor ~Dr.~ Otto Lyon.

              Siebente vermehrte und verbesserte Auflage.

                            [Illustration]

                                 1907

                          Leipzig und Berlin,
                  Druck und Verlag von B. G. Teubner.

      ☛ Die Ausgabe A enthält die 3 Abteilungen in +einem+ Bande.



   Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten.



Vorwort zur ersten Auflage.

Eine kurze Darstellung der +Stilistik+, die das Notwendige und
Wesentliche enthält, dürfte sich für den Gebrauch in der Schule nicht
als nutzlos erweisen. Wenn der Schüler die stilistischen Regeln nur
bei der Lektüre oder bei der Rückgabe der Aufsätze, also vereinzelt
und zerstreut, gleichsam nur nebenbei kennen lernt, so vergißt er
sie nur allzuleicht und verfällt fast regelmäßig wieder in dieselben
Fehler; der Lehrer kämpft vergeblich dagegen an. Durch Einsicht in den
wissenschaftlichen Zusammenhang der stilistischen Regeln dagegen wird
jede einzelne Regel in dem Bewußtsein des Schülers weit mehr befestigt
werden, als wenn sie vereinzelt, bloß gedächtnismäßig ergriffen
worden ist. An die Stilistik schließt sich eine kurze Darstellung der
Rektionslehre an, die zur Behandlung in Untersekunda bestimmt ist. Auch
hier ist überall der Sprachgebrauch an der Hand der Sprachgeschichte
geprüft und bei Feststellung der Regeln so objektiv als möglich
verfahren worden.


Vorwort zur siebenten Auflage.

Bei der Durchsicht der siebenten Auflage sind die Verbesserungen und
Berichtigungen, die sich nötig machten, überall eingefügt worden.
Allen, die mich hierbei durch freundliche Mitteilung ihrer Wünsche und
Vorschläge unterstützten, sage ich meinen verbindlichsten Dank.

  +Dresden+, 1. März 1907.

                                                          =Otto Lyon.=



Inhaltsverzeichnis.


  I. Einleitung.                                                   Seite

       1. Begriff des Stiles                                           1

       2. Begriff der Stilistik                                        2

       3. Einteilung der Stilistik                                     3

       4. Schriftsprache und gesprochene Rede                          3


  II. Allgemeine Stilistik.

    ~A.~ Die Eigenschaften des guten Stiles im allgemeinen.

       5. Der oberste Grundsatz des guten Stiles                       4

       6. Deutlichkeit                                                 5

       7. Sprachrichtigkeit                                            5

       8. Sprachreinheit                                               5

       9. Bestimmtheit und Kürze des Ausdrucks                        11

      10. Angemessenheit                                              14

      11. Wohllaut und Neuheit des Ausdrucks                          15

      12. Anschaulichkeit und Lebendigkeit                            17

      13. Natürlichkeit                                               19

    ~B.~ Bilder und Figuren.

      14. Der Gebrauch bildlicher Ausdrücke                           20

      15. Die Bilder oder Tropen                                      21

      16. Die Figuren                                                 25

      17. Bedeutung der Tropen und Figuren für den Stil               29

    ~C.~ Stilistik des einfachen Satzes.

      18. Wortbildung                                                 30

      19. Das Substantivum                                            33

      20. Das Verbum                                                  35

      21. Die Partizipien                                             36

      22. Das Adjektivum                                              38

      23. Das Pronomen                                                39

      24. Das Adverbium                                               41

      25. Präpositionale Ausdrücke                                    41

      26. Als und wie                                                 43

      27. Wortstellung                                                44

    ~D.~ Stilistik des zusammengesetzten Satzes.

      28. Der Bau der Sätze im allgemeinen                            45

      29. Form der Sätze                                              44

      30 Art der Verknüpfung                                          48

      31. Stellung der Sätze                                          49

      32. Rhythmus des Satzes                                         51


  III. Besondere Stilistik.

    ~A.~ Die Arten des Stiles.

      33. Prosaischer und poetischer Stil                             53

      34. Der Stil des Verstandes                                     53

      35. Der Stil des Gemütes                                        55

    ~B.~ Die Mittel zur Ausbildung des Stiles.

      36. Das Studium guter Muster                                    57

      37. Der Aufsatz                                                 58

      38. Das Thema und die Arten der Aufsätze                        58

      39. Das Sammeln des Stoffes                                     59

      40. Die Disposition                                             59

      41. Dispositionsregeln                                          61

      42. Die Chrie                                                   64

      43. Die Ausarbeitung                                            65

      44. Über die Kunst, seine Gedanken gut auszusprechen            66


  Anhang zur Stilistik.

  I. Übungsbeispiele zur Wiederholung der Syntax                      69

  II. Rektionslehre.

    ~A.~ +Rektion der Verben.+

      1. Verben, die den Akkusativ regieren                           72

      2. Verben, die den Dativ regieren                               75

      3. Verben, die den Genitiv regieren                             77

      4. Verben mit schwankender Rektion                              80

    ~B.~ +Rektion der Verbalsubstantive+                              85

    ~C.~ +Rektion der Adjektive.+

      1. Adjektive, die den Dativ regieren                            86

      2. Adjektive, die den Genitiv regieren                          86

    ~D.~ +Rektion der Präpositionen+                                  87



Erste Abteilung.

Deutsche Stilistik.



I. Einleitung.


1. Begriff des Stiles.

Das Wort +Stil+ wird in seiner weiteren Bedeutung auf alle Künste
angewendet und bezeichnet überhaupt die Art und Weise der Darstellung.
Man spricht daher z. B. von einem gotischen Stile in der Baukunst,
von dem Stile der Niederländer in der Malerei, von dem Stile Mozarts
in der Musik, von dem Stile Goethes in der Kunst der Sprache. Im
engeren Sinne versteht man jedoch unter Stil nur +die Art und Weise
der sprachlichen Darstellung+. Diese wird durch zweierlei bestimmt: 1.
durch den Inhalt und Zweck des darzustellenden Gegenstandes; 2. durch
die Persönlichkeit und geistige Eigenart des Darstellenden. Sofern
der Stil auf den Inhalt und Zweck des darzustellenden Gegenstandes
Rücksicht nimmt, nennt man ihn +objektiv+, sofern in ihm die Eigenart
des Darstellenden zum Ausdrucke kommt, +subjektiv+. So wird z. B. der
Stil in Schillers akademischer Antrittsrede: „Was heißt und zu welchem
Ende studiert man Universalgeschichte?“ +objektiv+ bestimmt zunächst
durch das Thema, dann durch die Reihe von Gedanken, die sich unter
dieses Thema ordnen lassen, ferner durch den Zweck, die Zuhörer, und
zwar solche, die akademischen Kreisen angehören, für diese Gedanken
zu gewinnen. Objektiv wird also für die ganze Darstellung der Stil
einer akademischen Rede über Begriff und Zweck des Studiums der
Universalgeschichte erfordert. Das +Subjektive+ an dieser Rede aber ist
das, was diese Rede von allen anderen ähnlicher Art unterscheidet und
sie zu einer Rede macht, wie sie nur gerade Schiller seiner geistigen
Eigenart und Bildung, sowie der Bildung seiner Zeit gemäß halten
konnte. Zahlreiche Lieblingsideen und Lieblingswendungen Schillers, die
wir darin finden, der stolze Schwung der Rede, der noch heute jeden
Leser unwiderstehlich mit sich fortreißt, die Anlehnung an die Gedanken
Kants u. ähnl. geben der Darstellung ihr subjektives Gepräge.

Die +objektive+ und +subjektive+ Seite des Stiles sind
selbstverständlich in der Wirklichkeit immer innig verbunden; es
wird aber je nach dem Inhalte des darzustellenden Gegenstandes bald
die eine, bald die andere Seite in den Vordergrund treten. Eine
wissenschaftliche Darstellung z. B. ist streng objektiv zu halten, eine
Rede, welche die Hörer anregen und begeistern soll, erfordert reiche
subjektive Färbung; ein episches Gedicht verlangt große Objektivität,
bei einem lyrischen Gedichte ist starke Subjektivität unbedingtes
Erfordernis. Im allgemeinen muß namentlich der poetische Stil sein
eigenartiges Gepräge durch die Persönlichkeit des Dichters erhalten,
während dem prosaischen Stile mehr objektive Ruhe günstig ist.

Das rechte Verhältnis zwischen Subjektivität und Objektivität zu
treffen, ist eine der schwierigsten Aufgaben des Stiles. Schließt
sich der Stil nur objektiv an fremde Muster an, so mangelt ihm das
eigenartige Gepräge, und dieser Mangel kann uns oft ganze Werke
ungenießbar machen; überwiegt aber die Subjektivität in der Weise,
daß Dinge in die Darstellung hineingetragen werden, die in dem
darzustellenden Gegenstande nicht begründet sind oder gar mit demselben
in Widerspruch stehen, so wird der Stil zur +Manier+. Gegenüber dem
wahrhaften Stile Goethes und Schillers zeigt z. B. der Stil Jean Pauls
und unter den neueren Erzählern der Wilhelm Raabes stellenweise Manier.

  +Anmerkung 1.+ Das Wort Stil ist aus dem Lateinischen (aus lat.
  ~stilus~, d. i. Griffel) zu uns gekommen. Das lateinische ~stilus~
  geht wieder auf griech. στῦλος zurück, was gleichfalls den metallenen
  Griffel bezeichnete, mit dem der Grieche durch Einritzen in eine
  Wachstafel schrieb. Einige Sprachforscher leiten auch unser
  Wort „+Stiel+“ von lat. ~stilus~ ab, was den Lautgesetzen nicht
  widerspricht. Doch ist hier wohl eher Urverwandtschaft anzunehmen.

  +Anmerkung 2.+ Über den Einfluß der Persönlichkeit und Gesinnung des
  Dichters auf seine Werke sagt Goethe: „Eigentlich kommt alles auf die
  Gesinnungen an; wo diese sind, treten auch die Gedanken hervor, und
  nach dem sie sind, sind auch die Gedanken.“ Sprüche in Prosa 542.
  Hempelsche Ausgabe. -- Von Werken, die nur objektiven Stil haben,
  sagt derselbe Dichter: „Es werden jetzt Produktionen möglich, die
  Null sind, ohne schlecht zu sein: Null, weil sie keinen Gehalt haben;
  nicht schlecht, weil eine allgemeine Form guter Muster den Verfassern
  vorschwebt.“ Spr. i. Pr. 119.


2. Begriff der Stilistik.

Stilistik ist +die Wissenschaft des Stiles+. Sie sucht die Gesetze und
Regeln der sprachlichen Darstellung auf und stellt sie im Zusammenhange
dar. Man darf die Stilistik nicht verwechseln mit der +Poetik und
Rhetorik+. Die Poetik erörtert die Gesetze und Formen der Dichtung,
die Rhetorik behandelt die Kunst der Beredsamkeit und der prosaischen
Darstellung des Redners. Die Stilistik aber hat es mit der äußeren
sprachlichen Form der Darstellung überhaupt zu tun, sie umfaßt die
Gesetze über Deutlichkeit, Richtigkeit und Schönheit des Ausdruckes,
über Belebung durch bildliche Wendungen, über die Wahl der Worte,
den Bau der Sätze usw. Da die Sprache das Ausdrucksmittel sowohl
des Redners, als auch des Dichters ist, so gelten die allgemeinen
Sprachregeln der Stilistik für die Prosa wie für die Poesie. Der
Umstand, daß die Alten in ihre Darstellungen der Rhetorik auch
gewöhnlich die Regeln der Stilistik mit einschlossen (weil der Redner
auch die stilistischen Regeln kennen und anwenden muß), hat dazu
geführt, daß bis in die neueste Zeit Rhetorik und Stilistik vielfach
vermengt und in verworrener Weise durcheinandergemischt werden.[1]

Mit den +Stoffen+ und +Ideen+, die dargestellt werden, hat es die
Stilistik nur insoweit zu tun, als diese Einfluß auf die innere oder
äußere sprachliche Form üben. Die Stilistik stellt ferner nur die
Regeln des +objektiven+ Stiles dar; denn es ist nicht ihre Aufgabe, von
dem Stil eines bestimmten Schriftstellers oder eines Zeitalters oder
eines Volkes zu reden, sondern sie behandelt die allgemeinen Gesetze
des Stiles, die für die Schriftsteller aller Zeiten und Völker Geltung
haben. Die +deutsche+ Stilistik berücksichtigt dabei zugleich die
Eigenart der deutschen Sprache und des deutschen Volkes.

  +Anmerkung.+ Eine klare Bestimmung der Begriffe +Rhetorik+ und
  +Stilistik+ gab zuerst +Wilhelm Wackernagel+ in seinen Vorlesungen
  über +Poetik+, +Rhetorik+ und +Stilistik+, herausgeg. v. Ludw.
  Sieber, Halle 1873; eine selbständige, streng wissenschaftliche
  Behandlung der deutschen Stilistik, losgelöst von der Rhetorik
  der Alten, hat zuerst +Karl Ferdinand Becker+ in seinem Buche:
  +Der deutsche Stil+ (neu bearb. v. O. Lyon, Prag und Leipzig 1883)
  angebahnt. Sehr anregend ist die „Deutsche Stilistik“ von +Richard M.
  Meyer+, München 1906.


3. Einteilung der Stilistik.

Die Stilistik zerfällt in die +allgemeine+ und in die +besondere+. Die
+allgemeine+ Stilistik handelt von den Eigenschaften des guten Stiles
überhaupt, von den Mitteln zur lebendigeren Gestaltung der Rede, von
dem stilgerechten Bau und der wohllautenden Gliederung des einfachen
und zusammengesetzten Satzes. In der +besonderen+ Stilistik dagegen
kommen die Arten des Stiles und die Mittel zur Ausbildung desselben zur
Darstellung.


4. Schriftsprache und gesprochene Rede.

Man bezieht das Wort +Stil+ gewöhnlich nur auf die Darstellung der
Gedanken in der +Schriftsprache+. Diese Auffassung ist aber einseitig
und irrtümlich. Dieselben Gesetze vielmehr, die für die Schriftsprache
gelten, liegen auch der mündlichen Rede zugrunde. Zwar fordert die
Schriftsprache, weil sie die Gedanken nicht bloß für den Augenblick
und für einzelne Personen darstellt, und weil sie nicht durch die
Betonung und das lebendige Gebärdenspiel des Sprechenden unterstützt
wird, in der Regel eine größere Sorgfalt, namentlich in bezug auf
die Wahl der Worte und die Wortstellung, aber es kann nicht dringend
genug darauf hingewiesen werden, daß der mündlichen Rede dieselbe
Sorgfalt zuzuwenden ist wie der geschriebenen. Vor allem aber darf die
Schriftsprache nicht in der Schärfe von der mündlichen Rede getrennt
werden, wie es jetzt leider gewöhnlich geschieht. Gerade die Zeiten der
höchsten Blüte unserer Sprache und gerade unsere größten Dichter sahen
in der Sprache in erster Linie etwas, +das gesprochen wird+, und gaben
der mündlichen Rede den Vorrang vor der Schriftsprache. Das Zeitalter
der Minnesinger, das Zeitalter Luthers, das Zeitalter Schillers und
Goethes bieten dafür ausreichende Beweise. Nur immer diejenigen
Zeiten, in denen sich unser Sprachleben im Rückgange befand, erhoben
die Schriftsprache zur stolzen Herrin und drückten die mündliche Rede
zur dienenden Magd herab. Hätten Klopstock, Goethe und Schiller nicht
unserer Sprache durch Worte und Wendungen, die sie der lebendigen
Sprache ihrer Heimat entnahmen, eine großartige Erweiterung gegeben,
so wären vielleicht heute noch die beschränkten Sprach- und Stilregeln
Gottscheds und Adelungs geltend.

  +Anmerkung.+ Klopstock kämpfte sein ganzes Leben hindurch gegen
  das bloße stille Lesen mit den Augen. Goethe sagt unter anderem in
  Dichtung und Wahrheit (II, 10): „Schreiben ist ein Mißbrauch der
  Sprache, stille für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede.“ An
  der Adrastea (6, 187) sagt Herder: „Welche Nation hat ihre Sprache
  wesentlich so verunstalten lassen, als die deutsche? Gehen Sie in die
  Zeiten der Minnesinger zurück, hören Sie noch jetzt den lebendigen
  Klang der verschiedenen, zumal west- und südlichen Dialekte
  Deutschlands, und blicken in unsere Büchersprache. Jene sanften oder
  raschen An- und Ausklänge der Worte, jene Modulation der Übergänge,
  die den Sprechenden am stärksten charakterisieren -- da wir Deutsche
  so wenig öffentlich und laut sprechen, sind sie in der Büchersprache
  verwischt!“ Ganz besonders beherzigenswert ist Herders Schulrede:
  „Von der Ausbildung der Rede und Sprache in Kindern und Jünglingen.“



II. Allgemeine Stilistik.


~A.~ Die Eigenschaften des guten Stiles im allgemeinen.


5. Der oberste Grundsatz des guten Stiles.

Der oberste Grundsatz des guten Stiles, aus dem sich alle übrigen
Eigenschaften ergeben, ist +die vollkommene Übereinstimmung des
Ausdruckes mit der Sache+. Sofern eine solche Übereinstimmung
in dem Hörer oder Leser volles Wohlgefallen und das Gefühl des
Befriedigtseins erweckt, kann man sie auch kurz als die +wahre
Schönheit der Darstellung+ bezeichnen. Um diese zu erreichen,
muß der Stil folgende Eigenschaften haben: 1. Deutlichkeit, 2.
Sprachrichtigkeit, 3. Sprachreinheit, 4. Bestimmtheit und Kürze
des Ausdruckes, 5. Angemessenheit, 6. Wohllaut und Neuheit des
Ausdruckes, 7. Anschaulichkeit und Lebendigkeit, 8. Natürlichkeit.
Je nach der Stilgattung wird natürlich bald die eine, bald die andere
Eigenschaft überwiegen; eine belehrende Abhandlung z. B. wird vor
allem nach Deutlichkeit und Klarheit, eine fesselnde Schilderung nach
Anschaulichkeit und Lebendigkeit zu streben haben usw., aber wenn
auch eine Eigenschaft in den Vordergrund tritt, so dürfen deshalb die
anderen nicht fehlen.

  +Anmerkung.+ Die älteren Stilistiker stellten die +Zweckmäßigkeit+
  als das oberste Gesetz des guten Stiles auf. Diesen Irrtum gründlich
  widerlegt und hoffentlich für immer aus der Wissenschaft des Stiles
  entfernt zu haben ist das Verdienst +Beckers+ (Der deutsche Stil, 3.
  Aufl. S. 5 flg. 12 flg. 60 flg.).


6. Deutlichkeit.

Die erste Forderung, die an eine sprachliche Darstellung gestellt
werden muß, ist die der +Deutlichkeit+. Wenn jemand über einen
Gegenstand spricht oder schreibt, so muß in der ganzen Darstellung
überall zutage treten, daß der Sprechende oder Schreibende den
Gegenstand bis ins kleinste mit seinem Verstande beherrscht, und
ferner muß die Darstellung so beschaffen sein, daß durch sie auch der
Hörende oder Lesende den dargestellten Gegenstand mit seinem Verstande
vollkommen zu erfassen vermag. Eine solche Darstellung nennt man
+deutlich+. Die Deutlichkeit verlangt daher, daß der Darstellende den
Gegenstand, ehe er über ihn spricht oder schreibt, rein und scharf
aufgefaßt, nach allen Seiten hin durchdacht und eine der Wahrheit
und Wirklichkeit völlig entsprechende Anschauung über ihn gewonnen
habe. „Die größte Deutlichkeit war mir immer die größte Schönheit“,
sagt Lessing. Der Deutlichkeit dienen außerdem hauptsächlich die drei
folgenden Eigenschaften des guten Stiles: +die Sprachrichtigkeit+, +die
Sprachreinheit+, +die Bestimmtheit und Kürze des Ausdruckes+.


7. Sprachrichtigkeit.

Die +Sprachrichtigkeit oder Korrektheit+ besteht darin, daß die
Darstellung nicht gegen die Gesetze der Wortbildung und Wortbiegung,
sowie der Satzbildung und Satzfügung verstößt. Diese Gesetze stellt die
Grammatik dar, und man kann daher kurz sagen: die Sprachrichtigkeit
beruht auf der sorgfältigen Befolgung der grammatischen Regeln.

  +Anmerkung.+ Einen Verstoß gegen die Sprachrichtigkeit nannten die
  Alten +Solözismus+ (von Soli, einer Stadt in Cilicien, deren Bewohner
  ein sehr fehlerhaftes Griechisch sprachen), einen Verstoß gegen die
  Sprachreinheit dagegen +Barbarismus+.


8. Sprachreinheit.

Die +Sprachreinheit+ bezieht sich auf die Wahl der Worte. Sie
fordert, daß der Schreibende nur solche Worte und Redewendungen
gebrauche, die der deutschen Sprache eigentümlich, seinem Zeitalter
nicht unverständlich und in den gebildeten Kreisen unseres Volkes
üblich sind. Gegen die Reinheit des Ausdruckes verstößt daher
derjenige, der in seine Darstellung ~a~) +Fremdwörter und fremde
Redewendungen+, ~b~) +veraltete Wörter+ (den Gebrauch solcher Wörter
nennt man +Archaismus+), ~c~) +landschaftliche Ausdrücke+ (die
Verwendung derselben in der Schriftsprache heißt +Provinzialismus+),
~d~) willkürliche und dem Geiste unserer Sprache widerstrebende
+Neubildungen+ (+Neologismen+) einmischt.

~a~) +Fremdwörter und fremde Redewendungen.+ Die Forderung, die
Fremdwörter zu meiden, ist nicht so zu verstehen, als ob alle
Fremdwörter ohne Ausnahme aus Rede und Schrift verbannt werden
müßten, vielmehr ist hier mit großer Sorgfalt zu scheiden zwischen
entbehrlichen und unentbehrlichen Fremdwörtern. Im allgemeinen läßt
sich als Regel feststellen, +daß Fremdwörter niemals da gebraucht
werden dürfen, wo uns ein gleichbedeutendes und schön gebildetes
deutsches Wort als Ersatz zu Gebote steht+. Vor allem muß man zunächst
scheiden zwischen +Fremdwörtern+ und +Lehnwörtern+. Unter Lehnwörtern
versteht man solche Wörter, die bereits in einer früheren Periode in
unsere deutsche Sprache aufgenommen worden sind und völlig deutsche
Form angenommen haben, z. B. Anker (lat. ~ancora~), Brief (lat.
~breve~), predigen (lat. ~praedicare~), Pforte (lat. ~porta~), Regel
(lat. ~regula~), Schule (lat. ~schola~), Spiegel (lat. ~speculum~),
Tafel (lat. ~tabula~), Ziegel (lat. ~tegula~) u. a. Diese Wörter
werden von uns gar nicht mehr als Fremdwörter empfunden, und es wäre
lächerlich, auch diese durch rein deutsche Ausdrücke wiedergeben zu
wollen, wie es Philipp von Zesen u. a. getan haben, die +Person+ durch
+Selbstand+, +Fenster+ durch +Tageleuchter+, ja sogar das Wort +Nase+,
das gar kein Lehnwort, sondern wie andere Benennungen von Teilen des
Körpers, z. B. Herz, Fuß, Ohr, Zahn, urverwandt mit der griech.-lat.
Bezeichnung ist, durch +Löschhorn+ usw. übersetzten. Aber auch von
den eigentlichen Fremdwörtern, d. h. von denjenigen, die wir wirklich
als solche empfinden, erweisen sich viele als unentbehrlich, und wer
diese durch selbstgemachte Verdeutschungen ersetzen wollte, der würde
in Gefahr kommen, seinen Hörern und Lesern unverständlich zu werden.
Die meisten dieser Wörter sind technische Ausdrücke der Wissenschaften
und Künste. Neben diesen unentbehrlichen Fremdwörtern ist aber leider
in unsere deutsche Sprache eine ganz außerordentlich große Zahl völlig
entbehrlicher Fremdwörter eingedrungen, und diese sind es, welche die
Reinheit und Schönheit unserer Sprache so schwer schädigen. Mit größter
Strenge fordert die Reinheit des Ausdruckes, daß diese Fremdwörter, für
die genau zutreffende, oft weit bessere einheimische Ausdrücke sich
darbieten, in allen Stilgattungen vermieden werden, und der Gebrauch
eines solchen Fremdwortes sollte billig als ein ebenso arger Verstoß
gegen den guten Stil gelten wie der Gebrauch eines falschen Kasus
oder einer falschen Verbalform. Denn die lexikalische Seite unserer
Sprache verlangt dieselbe Berücksichtigung wie die grammatische Seite.
Meist leidet durch die Fremdwörter auch der Wohlklang der Rede, die
vielen Wörter auf +-tät+ und +-ieren+ z. B. sind fast ausnahmslos
unschön, und ihr Klang beleidigt das Ohr (z. B. Authentizität,
Reziprozität, Kredulität, Probabilität, Monstrosität, Intelligibilität,
Idealität, Souveränität, Spezialität, identifizieren, rehabilitieren,
inventarisieren, rekonstruieren, spezifizieren, spezialisieren,
stigmatisieren, sympathisieren, usw.). Das deutsche Wort hat gewöhnlich
edleren und höheren Klang als das Fremdwort, man vergleiche z. B.
+Mut+ und +Courage+, +Unglück+ und +Malheur+, +Gnade+ und +Pardon+,
+Vergnügen+ und +Pläsier+, +edle Leidenschaften+ und +noble Passionen+,
+dunkel+ und +obskur+, +Geschenk+ und +Präsent+, +unsicher+ und
+prekär+, +gewinnen+ und +profitieren+ usw. Durch die Einmischung von
Fremdwörtern wird daher der Ausdruck leicht unedel und niedrig.

Gute Verdeutschungen sind: +Beförderung+ (Avancement), +Widerstreit+
(Antagonismus), +Dienstalter+ (Anciennität), +Ruhegehalt+ (Pension),
+Verwaltung+ (Administration), +Anzeige+ (Annonce), +Zerrbild+
(Karikatur), +Versteigerung+ (Auktion), +Einleitung+ (Exordium),
+Feldzug+ (Kampagne), +Mehrheit+ (Majorität), +Minderheit+ (Minorität),
+Antrieb+ (Impuls), +Naturtrieb+ (Instinkt), +Eilbote+ (Kurier),
+Zeitungsschriftsteller+ (Journalist), +Streitschrift+ (Pamphlet),
+Duldsamkeit+ (Toleranz), +Spaziergang+ (Promenade), +Reifeprüfung+
(Maturitätsexamen), +folgetreu+ (konsequent), +zuständig+ (kompetent),
+rechtmäßig+ (legitim), +amtlich+ (offiziell), +lautlich+ (phonetisch),
+geeignet+ (qualifiziert), +reißend schnell+ (rapid), +festsetzen+
(stipulieren), +Vertauschung+ (~quid pro quo~) u. v. a.[2]

Ebenso wie die Fremdwörter sind +fremde, aus anderen Sprachen
herübergenommene Wendungen+ und +undeutsche Übertragungen fremder
Ausdrücke+ zu meiden. Durch solche undeutsche Wendungen wird die
Reinheit des Stiles in hohem Grade verletzt. Die meisten derselben
entstammen der französischen (Gallizismen) und der lateinischen Sprache
(Latinismen). Ein Gallizismus ist z. B. die Wendung: „+gegenüber
von dieser Meinung+“ (~vis-à-vis de~...) statt: „+dieser Meinung
gegenüber+“; ferner der Gebrauch des hinweisenden Fürworts +jener+
statt des dem Französischen fehlenden +der+ in Sätzen wie: „Die kühne
Tat des Horatius Cocles und +jene+ (~celle~, statt: die) des Mucius
Scävola“ usw. Man sagt deutsch: „Ich bin +mit+ etwas zufrieden, +mit+
etwas beschäftigt“ u. ähnl. Falsch ist es daher, mit Anlehnung an das
Französische zu sagen: „Ich bin +von+ etwas zufrieden (~content de~),
+von+ etwas beschäftigt (~occupé de~)“ usw., was sich bei einigen
Schriftstellern findet. Man kann im Deutschen +fühlen+ nicht mit
dem bloßen Dativ verbinden, sondern bedient sich zur Anknüpfung der
Präposition +in+, z. B.: Ich fühle Kraft +in mir+ (nicht: Ich fühle
+mir+ Kraft, wie Schiller und Goethe einigemal geschrieben haben). Die
Wendungen: +sich durchdringen+ (statt: +durchdrungen sein+), +sich
verkaufen+ (statt: +verkauft werden+) u. ähnl. sind Gallizismen, z. B.
Das Volk +durchdringt sich+ (~se pénètre~, statt: ist durchdrungen)
von Begeisterung für seine große, weltgeschichtliche Aufgabe; die Ware
+verkaufte sich+ zu sehr billigen Preisen (deutsch: wurde verkauft).
Ausdrücke wie: „Er +geht+, seine Arbeit zu beginnen“; „jemand +auf
dem laufenden+ halten (~tenir au courant des affaires~), +auf dem
laufenden+ bleiben“; „die Freunde, es +ist wahr+, haben mich betrogen“;
„+in diesem+ Lande ist es, wo die Freiheit wohnt“; „es brauchte diesen
tränenvollen Krieg“ (Schiller, statt: es bedurfte dieses Krieges);
„unter die Nase lachen“ (Schiller, statt: jemand ins Gesicht lachen)
u. a. verraten sofort ihren französischen Ursprung.[3] -- +Lateinisch+
sind Wendungen wie: +Cäsar, als er+ usw., +Hannibal, nachdem er+
usw. (deutsch: Als Cäsar usw. Nachdem Hannibal usw.); +ich scheine
mir+ (deutsch: ich glaube). Das lateinische ~qualis~ nach ~talis~,
~quantus~ nach ~tantus~ ist im Deutschen durch „wie“ wiederzugeben.
Wendungen wie: „Die Schlacht, als welche es keine berühmtere gibt“ sind
im Deutschen durchaus zu meiden; wir sagen: „Das ist die berühmteste
Schlacht, die jemals geliefert worden ist.“ Ganz besonders stammt aus
dem Lateinischen die Unsitte der Häufung von partizipialen Wendungen
und der Einschachtelung von Nebensätzen (s. hierüber die Stilistik des
zusammengesetzten Satzes).

b) +Veraltete Wörter.+ Altertümliche Ausdrücke wie: +kreucht+,
+zeucht+, +zween+, +zwo+, +sintemal+, +alldieweil+, +dieweil+, +maßen+,
+jetzo+, +itzt+, +gelahrt+, +dermaleins+, +dahero+, +hinfüro+, +von
wegen+, +derselbige+, +männiglich+, +spützen+, +Stümmel+ (statt:
Stummel), +das Trumm+ (statt: Stück, Trümmer), +Gelück+, +gelücken+,
+bestahn+, +empfahen+, ein Gebot +übergehen+ (statt: übertreten),
der +Übergeher+, +beiten+ (für verweilen) u. a. geben dem Stil etwas
Gespreiztes und Unnatürliches und sind zu meiden. Doch sind auch hier
Ausnahmen zulässig. Die Erforschung des Alt- und Mittelhochdeutschen
hat gezeigt, daß mancher schöne Ausdruck, den die ältere Sprache
kannte, verloren gegangen ist. Solche Ausdrücke wieder zu beleben und
in unsere Schriftsprache einzuführen, ist nicht nur zulässig, sondern
sogar wünschenswert, ja Ludwig Uhland hat das sogar als eine notwendige
Forderung für die weitere Entwickelung unserer Sprache hingestellt.
Dieser Dichter hat auch mit großem Glück zahlreiche alte Ausdrücke und
Wendungen unserer Sprache zurückerobert, ebenso wie das +Jakob Grimm+,
+Gustav Freytag+ und +Viktor Scheffel+ getan haben.

~c~) +Landschaftliche Ausdrücke.+ Unter landschaftlichen Ausdrücken
versteht man solche, die nur gewissen Mundarten angehören und dem
allgemeinen Sprachgebrauche fremd sind. Sie stören nicht nur die
Verständlichkeit einer sprachlichen Darstellung, sondern klingen
oft auch unedel und niedrig; zuweilen verstoßen sie auch gegen
die Sprachrichtigkeit. Solche tadelnswerte landschaftliche Wörter
und Wendungen sind z. B. +zuverläßlich+ (statt: zuverlässig), +so
ein+ (statt: ein solcher), +gemeinnützlich+ (statt: gemeinnützig),
+verzählen+ (statt: erzählen), +zu Hause gehen+ (statt: nach Hause),
+Verkältung+ (statt: Erkältung), ich +habe daran oder darauf vergessen+
(statt: ich habe es vergessen), sich mit einem +etwas erzählen+
(statt: unterhalten), +Hanke+ (statt: Hüfte), +losgehen+ (statt:
anfangen), +ferten+ (statt: voriges Jahr; fränkisch), +mitmachen+,
+mittun+ (statt: teilnehmen), +irritieren+ in der falschen Anwendung
als: +irre machen+ (z. B. er ließ sich durch die falsche Meldung
nicht +irritieren+; irritieren heißt vielmehr: erregen, reizen),
nach Berlin +machen+ oder +werden+ (statt: reisen) usw. -- Große
Dichter und Schriftsteller haben jedoch oft mit großem Glück
landschaftliche Ausdrücke verwendet und dadurch unsere Schriftsprache
dauernd bereichert. Wir gebrauchen jetzt z. B. die Wörter: +düster+,
+dröhnen+, +dreist+, +staunen+, +entsprechen+ (für: +gemäß sein+, z. B.
der Titel des Buches +entspricht+ dem Inhalte) u. a. im edelsten
Stile, und doch sind diese Wörter erst aus verschiedenen Mundarten
in die Schriftsprache vorgedrungen und wurden früher als unzulässige
Provinzialismen getadelt.[4] So wurden durch Goethe und Schiller
namentlich unserer Schriftsprache zahlreiche oberdeutsche Ausdrücke
zugeführt, während andere Schriftsteller wieder niederdeutsche
Wendungen zur Geltung brachten. Doch nur vollendete Meister der Sprache
vermögen auf solche Art unsere Schriftsprache zu bereichern. Das
Gesagte soll nur zeigen, wie fortwährend unsere Schriftsprache aus der
lebendigen Sprache der Mundarten sich erneuert und so vor Erstarrung
bewahrt. Man blicke deshalb nicht mit Verachtung auf die Mundarten
herab und beherzige die Worte Schleichers: „Die Mundarten sind die
natürlichen, nach den Gesetzen der sprachgeschichtlichen Veränderungen
gewordenen Formen im Gegensatze zu der mehr oder minder gemachten und
zugestutzten Sprache der Schrift.“ (Die deutsche Sprache, S. 111.)

~d~) +Fehlerhafte Neubildungen.+ Ebenso wie man den Gebrauch
veralteter Wörter zu meiden hat, muß man sich auch hüten, neue
Wörter zu bilden und zu verwenden, die entweder mit den Gesetzen der
Sprache in Widerspruch stehen oder gegen den Wohlklang verstoßen.
Selbstverständlich bedarf eine Sprache, die nicht der Erstarrung
anheimfallen will, immer eines frischen Nachwuchses neuer Ausdrücke;
aber diese neuen Wörter, durch welche die Sprache wirklich bereichert
wird, können nicht willkürlich gemacht werden, sondern sie wachsen
mit Naturnotwendigkeit aus den gesunden Keimen der Sprache heraus. In
glücklichen Stunden finden schöpferische Geister solche Ausdrücke, und
diese Neubildungen erweisen sich schon dadurch als gesund, daß sie
dauernd in den Wortschatz der Sprache übergehen. Solche Neubildungen
sind natürlich keine Neologismen. Klopstock, Lessing, Wieland, Goethe,
Schiller und Rückert haben unserer Sprache viele neue Wörter zugeführt.
Im Simplicissimus findet sich zum erstenmal das Wort „unaussprechlich“,
das aber erst durch Klopstock eine dauernde Stellung in unserer Sprache
erhalten hat. +Urbild+ für Original tadelt schon Gottsched (Beyträge
II, 244) im Jahre 1733, doch wird das Wort später von Lessing für
Ideal verwendet. Das Wort „+empfindsam+“ findet sich zum erstenmal im
Jahre 1768 bei Bode, dem Übersetzer von ~Yorick’s sentimental journey~
(empfindsamer Reise) von Lorenz Sterne, der es auf Lessings Rat hin
anwendet. Lessing gebraucht zuerst +Zartgefühl+ für Delikatesse,
Goethe +Zweigesang+ für Duett, +ausgesprochen+ für prononciert,
Haller +Sternwarte+ für Observatorium usw. Simon Dach führte das Wort
+furchtlos+ in unsere Sprache ein, das noch Gottsched hart tadelte.
Das Wort +Sommerfrische+ stammt erst von Ludwig Steub; früher schrieb
man dafür Villeggiatur. Adelung verwarf die Worte +Sterblichkeit+
(für Mortalität)[5], +Gemeinplatz+ (für ~locus communis~)[6], die
Entwickelung der Sprache hat ihm unrecht gegeben. Im 16. Jahrhundert
haben namentlich +Luther+ und +Fischart+ die Sprache mit neuen Worten
bereichert.

Fehlerhaft sind dagegen viele Neubildungen der Puristen, z. B.
+Zeitblick+ für Minute, +Obstinne+ für Pomona, +Kluginne+ für
Pallas, +Reimband+ für Vers, +Geschichtdichtung+ für Roman u. v.
a., und die Sprache hat diese rasch wieder ausgeschieden oder gar
nicht aufgenommen. Tadelnswert sind namentlich auch zahlreiche
Zusammensetzungen, die ohne Rücksicht auf Wohlklang und ohne
Beachtung der Sprachgesetze gebildet werden, z. B. +Vorwärtsmarsch+
(statt: +Vormarsch+), +Rückwärtsmarsch+, +Beeinflußbarkeit+,
+Außerachtlassung+, +Ansichreißung+, +Nichtbeleidiger+,
+Helligkeitszunahme+, +Geltendmachung+, das +Nichtzustandekommen+
des Planes, +Anbringung+, +Offenlassung+, das +Vonsichwerfen+,
+Verächtlichmachung+, +Graunjammerüberwältigung+ (Voß),
+Vorzeitsfamilienmordgemälde+ (Platen), +Feindesburgenkampferstürmer+
(Rückert) u. v. a. Solche und ähnliche Bildungen sind zu meiden.
Schlechte Neubildungen sind auch die von Adverbien gebildeten
Adjektive: +hinterherig+, +dasig+, +immerfortig+, +schlechthinnig+
(Schleiermacher), +jederzeitig+, +allerortig+, +solchergestaltig+,
+letzthinnig+ u. a.


9. Bestimmtheit und Kürze des Ausdrucks.

~a~) Die +Bestimmtheit+ des Ausdrucks besteht darin, daß durch das Wort
oder den Satz scharf und genau der Begriff oder Gedanke wiedergegeben
wird, der dargestellt werden soll. Die Unbestimmtheit in der Rede
entspringt gewöhnlich aus dem Mangel an Klarheit und Schärfe des
Denkens. Das Wort muß den Begriff genau nach Inhalt und Umfang zum
Ausdrucke bringen; so darf man da, wo es auf genauen Wortsinn ankommt,
nicht sagen: +Gegner+ statt +Feind+, +Obst+ statt +Äpfel, Totschlag+
statt +Mord+, +ganz+ statt +alle+, +manche+ statt +viele+, +Laub+ statt
+Blatt+, +Tugend+ statt +Nächstenliebe+, +mäßigen+ statt +bändigen+,
+matt+ statt +müde+, +Kälte+ statt +Frost+ usw. Auch hüte man sich vor
überflüssigen Zusätzen, wie +gleichsam+, +gewissermaßen+, +mögen+,
+können+, +dürfen+, +sollen+ u. ähnl., durch welche die Rede oft
unerträglich breit wird. Namentlich fordert die Bestimmtheit, daß man
alle Zweideutigkeit oder Vieldeutigkeit in der Rede meide, und daß
man die sinnverwandten Wörter sorgfältig in Bedeutung und Gebrauch
voneinander unterscheide.

Die +Zweideutigkeit+ oder +Vieldeutigkeit+ des Ausdrucks (griech.
+Amphibolie+, lat. ~ambiguitas~ genannt) besteht darin, daß Wörter,
die verschiedene Bedeutungen oder Beziehungen haben können, angewendet
werden, ohne daß der Zusammenhang klar ergibt, welche Bedeutung oder
Beziehung in dem betreffenden Falle gemeint sei. Die Präposition
+von+ kann z. B. bald den +Urheber oder die Ursache+ (lat. ~a~), bald
+die Person oder Sache+, über welche gesprochen oder geschrieben
wird (lat. ~de~), bald ein partitives Verhältnis bezeichnen (z. B.
einer +von uns+). Zweideutig sind daher Wendungen wie: „Wir ließen
uns seltsame Dinge +von+ ihm erzählen“ (~a~ oder ~de~?), „Ich habe
mancherlei +von+ ihm erfahren“; „+von den Soldaten+ wurde +einer
getötet+“ (~a~ oder ~ex~?). +Verfolgen+ heißt entweder: +eifrig
nachstreben+ oder +feindlich nachstellen+; man sagt daher zweideutig:
„Er +verfolgt+ die Politik seines Vorgängers.“ +Übersehen+ kann
bedeuten: +beherrschen+ oder +vernachlässigen+; daher ist folgender
Satz zweideutig: „Der Geschäftsführer +übersah+ mehr, als man glaubte.“
-- Mehrdeutigkeiten in der Beziehung stellen sich namentlich leicht
beim Gebrauch der Pronomina ein, z. B. „Der Wirt ist mit dem Nachbar
und seinem Sohne fortgegangen“ (mit dem Sohne des Wirtes oder des
Nachbars?). Die Zweideutigkeit in diesem Satze kann entweder durch
Veränderung der Wortstellung oder durch Einführung von „+dessen+“
statt „+seinem+“ gehoben werden. Oft läßt sich eine Zweideutigkeit
durch Anwendung des Pronomens +derselbe+ (oder +dieser+) vermeiden.
Wenn ich sage: „Der Fremde wohnte lange bei diesem Seelsorger; er hat
ihm das Leben gerettet“, so bleibt unklar, wer der Retter und wer der
Gerettete ist. Der Satz ist jedoch sofort völlig klar, wenn ich sage:
„+derselbe+ (oder +dieser+) hat ihm das Leben gerettet“ oder: „er
hat +demselben+ (oder +diesem+) das Leben gerettet.“ Im ersten Falle
ist der Lebensretter der Seelsorger, im zweiten Falle der Fremde.
Man merke über den Gebrauch des Pronomens +derselbe+ hier die Regel:
Wenn das Pronomen +derselbe+ auf verschiedene Substantive bezogen
werden kann, so ist es niemals auf das Subjekt, sondern immer auf ein
anderes Satzglied zu beziehen. Demnach unterscheide man: „Mein Bruder
ist zu meinem Freunde gegangen; +derselbe+ soll mit ihm in die Stadt
gehen“ und „Mein Bruder ist zu meinem Freunde gegangen, er soll mit
+demselben+ in die Stadt gehen.“ Undeutlich sind auch die Beziehungen
in Sätzen wie: „+Als Politiker+ zolle ich ihm volle Anerkennung“, „+Der
Verlust des Freundes+ schmerzt uns“, „+Die Unterstützung der Mutter+
kam zu spät“ usw.

+Sinnverwandte Wörter+ richtig zu gebrauchen, erfordert große
Aufmerksamkeit, da die Unterschiede oft sehr fein sind. Wörter wie
+klug+ und +weise+, +Freude+, +Vergnügen+, +Wonne+ und +Lust+,
+entdecken+, +enthüllen+ und +entlarven+, +anstellig+, +geschickt+ und
+fähig+, +klettern+ und +klimmen+, +verachten+ und +verschmähen+ u. v.
a. dürfen nicht miteinander verwechselt oder vertauscht werden. Ein
feines Sprachgefühl wird durch solche Verwechselungen sehr verletzt.
Durch gründliches Studium der Synonymik der Wörter und Wortformen wird
diesem Stilfehler am besten vorgebeugt.[7]

~b~) +Die Kürze des Ausdrucks+ besteht darin, daß zur sprachlichen
Darstellung eines Gedankens nicht mehr Worte verwendet werden, als
nötig sind, um diesen deutlich und wohlgefällig wiederzugeben. Jedes
überflüssige Wort verletzt den gebildeten Geschmack. Als überflüssig
ist alles anzusehen, was weder den darzustellenden Gedanken
verständlicher macht, noch den besonderen Zweck der Darstellung
fördert. Weitschweifigkeit und Breite des Stiles ist ein Fehler, in
den namentlich die Jugend leicht verfällt. Man vermeide besonders die
+Tautologie+ und den +Pleonasmus+.

Die +Tautologie+ (d. i. die Wortnämlichkeit) besteht darin, daß
derselbe Begriff durch zwei gleichbedeutende Ausdrücke bezeichnet wird.
Solche überflüssige Wiederholungen des Gesagten sind z. B. Er +mußte
notwendig+ verreisen; sie haben +einander gegenseitig+ beleidigt;
+mein+ Buch, +das ich mir gekauft habe+; er +stammelte lallend+; ich
bin nicht +imstande+, kommen +zu können+; +er erlaubte+, daß ich
teilnehmen +dürfte+; +er befahl+, daß ich gehen +sollte+; daß du
+natürlich+ willkommen bist, +versteht sich von selbst+; er bezieht
ein +Jahrgehalt+ von +jährlich+ 3000 Mark; er ist +bereits schon+
abgereist; er ist nicht +nur allein+ eitel, sondern auch anmaßend; er
konnte +nur bloß+ raten, aber nicht helfen; die +Todesnachricht+ von
dem +Hinscheiden+ meines Freundes; die Lage +in der Nähe+ des Kanals
und der +unfernen+ Eisenbahn; er +wünscht+, daß du heute nicht kommen
+mögest+; das +kann+ nicht +möglich+ sein; die +Veröffentlichung+
eines Gesetzes +publizieren+; +Unantastbarkeit+ der +Integrität+ der
Türkei; etwas +ostentativ zur Schau tragen+ usw. Hierher gehören
auch Zusammensetzungen und Zusammenstellungen wie: +Schiffsflotte+,
+Hieranwesenheit+, +Examenprüfungen+, +Stadtpfarrprediger+,
+Grundprinzip+, +Guerillakrieg+ (spanisch ~guerra~ = Krieg, ~guerilla~
= kleiner Krieg), +vokaler Gesang+, +größere Majorität+, +mögliche
Eventualität+, +falsche Illusion+ u. v. ähnl. Auch die +Anhäufung von
Synonymen+ verstößt gegen die Kürze des Ausdrucks, z. B. Er ist ein
+wahrer+, +echter+ und +aufrichtiger+ Freund, der mir +lieb+, +wert+
und +teuer+ ist.

Der +Pleonasmus+ (d. i. Wortüberfluß) ist der +Tautologie+ eng
verwandt. Er besteht darin, daß die Rede mit überflüssigen Beiwörtern
überfüllt wird, oder daß Begriffe, die schon bezeichnet sind oder
aus dem Zusammenhange der Rede sich ergeben, noch einmal ausgedrückt
werden, z. B. ein armer Bettler, ein alter Greis, nasser Regen; er fuhr
+weiter fort+ zu reden; er hat das +noch einmal wiederholt+. Das Glück
wollte, daß das Feuer wegen eines anhaltenden Regens, +der vom Himmel
fiel+, nicht um sich griff (H. v. Kleist). Keine Spur verriet, daß
hier jemals ein menschliches Wesen gehaust, +daß dieser Boden jemals
von einem menschlichen Wesen betreten worden war+. +Infolge+ eines
+stattgefundenen+ Zwistes verließ er seinen Freund usw.

Die +Tautologie+ und der +Pleonasmus+ sind namentlich störend
in dem verstandesmäßigen Stile der Prosa, in Abhandlungen und
wissenschaftlichen Darstellungen. Der rednerische und poetische Stil
dagegen lassen recht wohl eine gewisse Wortfülle zu, doch sind auch
hier alle +müßigen+ Beiwörter und unnötigen Umschreibungen aufs
strengste zu meiden; nur dann ist die Wortfülle berechtigt, wenn durch
sie ein Begriff in lebendiger Weise veranschaulicht oder dem Gemüte
näher gebracht und so die Schönheit der Darstellung gefördert wird.
Namentlich gebraucht unsere ältere Sprache zahlreiche tautologische
Formeln, die noch heute üblich und wohlberechtigt sind, z. B. +Grund
und Boden+, +Schimpf und Schande+, +Art und Weise+, +Rast und Ruh+,
+Schutz und Schirm+, +Saus und Braus+, +Fug und Recht+, +Sang und
Klang+, +hinter Schloß und Riegel+, +in Ketten und Banden+, +hoffen und
harren+, +schalten und walten+, +weit und breit+, +still und stumm+
u. v. a.

Es sind jedoch nicht nur die +Tautologien+ und +Pleonasmen+
zu vermeiden, auch sonst ist mit Sorgfalt jedes unnötige Wort
auszuscheiden. In dem Satze: „Er teilt mir mit, daß er gestern
abgereist ist und heute in Berlin angekommen ist“ muß das Wort +ist+
das erstemal weggelassen werden. Statt: „+ohne+ Lust und +ohne+
Ausdauer“ ist zu sagen: „ohne Lust und Ausdauer“; statt: „+die+
Griechen, +die+ Römer und +die+ Phönizier“ heißt es besser: „+die+
Griechen, Römer und Phönizier“ usw. Unerträglich weitschweifig sind
Wendungen wie: „+Wenn wir die+ letzten Dichtungen Goethes +einer
Betrachtung unterwerfen, so werden wir finden+, daß sie vielfach den
Jugendgedanken Schillers sich nähern.“ „+Gehen wir nun zum zweiten
Teile unserer Betrachtung über, so sehen wir+ usw.“ „+Es dauerte nicht
lange, so+ usw.“ „Die Germanen kämpften +natürlich+ sehr tapfer und
hätten +jedenfalls+ gesiegt, wenn ihnen nicht das Heer des Germanicus
an Zahl so sehr überlegen gewesen wäre.“ Man beherzige immer Grimms
Worte: „Die Sprache ist ihrem innersten Wesen nach haushältig und
zieht, was sie mit geringen Mitteln erreichen kann, jederzeit größerem
Aufwande vor.“ Namentlich sage man nicht alles, was man über einen
Gegenstand sagen könnte; man sei nicht schwach gegen Lieblingsgedanken
und Lieblingswendungen, sondern man scheide sie unbarmherzig aus,
wenn die Einheit und Schönheit der Darstellung es fordert. „In der
Beschränkung zeigt sich erst der Meister“ sagt Goethe, und ähnlich
Schiller: „Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils.“


10. Angemessenheit.

Die +Angemessenheit+ fordert, daß die Stilart, der sprachliche
Ausdruck, die ganze Haltung der Darstellung der Art der Gedanken
und dem Zwecke der Darstellung genau entspreche. Erhabene und edle
Gedanken dürfen nicht durch unedle und niedrige Worte entweiht
werden, für eine Abhandlung oder einen einfachen Bericht darf nicht
der leidenschaftliche Stil des Gefühls gewählt werden; während
im rednerischen und poetischen Stile Bilder und Redefiguren von
guter Wirkung sind, stören sie im Geschäftsstil und sind auch im
didaktischen Stile möglichst zu meiden. Der Angemessenheit widerspricht
es namentlich, wenn unbedeutende Gedanken mit einem großen Aufwande
von Worten dargestellt werden; der Sprechende oder Schreibende gerät
dadurch in leeres Phrasengeklingel, das einen widerlichen Eindruck
macht, oder seine Darstellung wird schwülstig. Ein Schwall von
prächtigen Wörtern, ein übertriebener Aufwand von Bildern und Figuren
hat noch nie einen unbedeutenden Gedanken zu einem bedeutenden gemacht.
Der Meister in der Wahl des genau entsprechenden Ausdruckes ist Goethe,
und das Studium seiner Werke kann jedem, der im Ausdrucke das Rechte
treffen will, nicht dringend genug empfohlen werden.

Die Forderung, +unedle+ und +niedrige+ Ausdrücke zu meiden, schließt
man gewöhnlich in die Bezeichnung: +Würde des Stiles+ ein. Unedel und
niedrig nennt man namentlich solche Ausdrücke, die nur in den untersten
Schichten des Volkes üblich sind, z. B. +beschnüffeln+, +verrecken+,
+herunterschmeißen+, +in ein Hundeloch kriechen+ u. a. Solche Wörter
sind im guten Stile nicht anzuwenden. So sehr man sich aber auch vor
plebejischer Derbheit hüten soll, so ist doch umgekehrt die allzu große
Scheu vor Ausdrücken der Volkssprache nicht minder tadelnswert; denn
diese führt leicht zu einem +affektierten+ oder +gezierten+ Stile. Mit
großer Meisterschaft hat Goethe Ausdrücke der Volkssprache in seinen
Dichtungen verwendet und gerade dadurch seiner Sprache volkstümliche
Kraft und lebendige Anschaulichkeit gegeben, z. B. „Der kleine Gott
der Welt bleibt stets von gleichem Schlag..., +in jeden Quark begräbt
er seine Nase+“ (Faust). „+Wie kunterbunt die Wirtschaft tollert+, der
Ameishauf durcheinander +kollert+“ (Hans Sachsens poetische Sendung)
usw.


11. Wohllaut und Neuheit des Ausdrucks.

~a~) Der +Wohllaut+[8] beruht auf der rechten Mischung der Vokale und
Konsonanten, sowie auf dem Tonverhältnisse, der Wahl und Anordnung
der Worte und Sätze. Helle und dunkle, volle und weniger volle
Vokale und ebenso harte und weiche Konsonanten, Lippen-, Zungen- und
Gaumenlaute müssen einander ablösen, und derselbe Laut darf nicht zu
oft in unmittelbarer Folge auftreten. Unangenehm klingt z. B. die
Wiederholung des +ie+ in folgendem Satze: „Das Lied gebiert ein neues
Lied, das lieblich durch die Lüfte zieht“, oder die des +ei+ und +n+
in dem Satze: „+eine einer seiner Kreaturen zugefügte Beleidigung+.“
Hinsichtlich der Anordnung der Worte fordert der Wohllaut, daß Form-
und Begriffswörter, betonte und unbetonte, ein- und mehrsilbige,
einfache und zusammengesetzte Wörter wechseln. Gegen den Wohllaut
verstoßen Sätze wie die folgenden: „Manche Menschen möchten ihren
Freunden täglich lange Briefe schreiben“ (lauter zweisilbige Wörter).
„Denn wo das Unglück +wählt+, +wählt’s+ nicht den +schlechtsten+ Mann.“
(Rückert.) „Wer ist so schön, so klug, so treu, so fromm wie du?“
(Gellert.) Die unmittelbare oder zu häufige Wiederholung desselben
Wortes ist zu meiden; unschön klingt z. B. der Satz: „Hinter mir
stehen Tausende, +bereit+ mir zu folgen, die auf meinen Wink selbst in
den Tod zu gehen +bereit+ sind.“ Wenn mehrere Sätze zusammentreten,
verlangt der Wohllaut gleichfalls, daß in Bau, Tonverhältnis und
Stellung eintönige Gleichmäßigkeit vermieden werde (s. hierüber:
Rhythmus des Satzes). -- Besondere Mittel zur Hebung des Wohllautes,
von denen aber nur ein mäßiger Gebrauch gemacht werden darf, wenn
nicht das Gegenteil erzielt werden soll, sind die +Alliteration+ und
der +Reim+. Die Alliteration besteht darin, daß mehrere bedeutsame
Wörter gleichen Anlaut haben, z. B.: „=R=oland der =R=ies, am =R=athaus
zu Bremen =st=eht er ein =St=einbild =st=andhaft und wacht.“ In der
Prosa erscheint die Alliteration namentlich in alten zweigliedrigen
Redeformeln, z. B. Glück und Glas, Licht und Luft, Schirm und Schutz,
Wort und Weise, Roß und Reiter, still und stumm, gäng und gäbe, ganz
und gar, kurz und klein, hoffen und harren, zittern und zagen usw. Beim
+Reime+ dagegen sind die Anfangslaute verschieden, aber Mitte und Ende
der Worte sind gleich, z. B. Pracht: Macht. Der Reim kann in der Prosa
auch nur in bestimmten Redeformeln Verwendung finden, z. B. Gut und
Blut, Weg und Steg, Schritt und Tritt, Stein und Bein (d. i. Totes und
Lebendes), weit und breit, schalten und walten usw.

~b~) +Die Neuheit des Ausdrucks+ besteht, abgesehen von der Neubildung
der Wörter (s. hierüber 8, ~d~), hauptsächlich darin, daß verbrauchte
Redewendungen, Bilder und Modewörter gemieden werden. Solche Wendungen
sind z. B. +Anklang finden+, +aufs Tapet bringen+, +mit der Zeit
fortschreiten+, +ins Leben treten+, +von etwas Umgang nehmen+ (statt:
etwas umgehen), +voll und ganz+ u. a. Bilder wie: +der Zahn der Zeit+,
+die Milch der frommen Denkungsart+, +die Rosen der Wangen+, +die
Rosen und Dornen des Lebens+, +nach eines anderen Pfeife tanzen+, +der
Winter des Lebens+ u. a. sind völlig verbraucht und wirken daher im
edleren Stile nur störend. Unsere Zeit braucht ein Bild oft sehr rasch
ab; man prüfe daher jede Wendung und jedes Bild genau, ob sie für eine
geschmackvolle Darstellung sich noch eignen, und man suche selbst neue
Wendungen und Bilder, die man am besten aus seiner eigenen Beobachtung
und Erfahrung nimmt, und die sich oft ganz von selbst darbieten.
Zuweilen kann man auch abgebrauchten Worten und Wendungen dadurch
neues Leben einhauchen, daß man sie auf ihre sinnliche Grundbedeutung
zurückführt. Dadurch erscheinen sie oft in einem überraschend neuen
Lichte, wie z. B. das Wort +Nimbus+ bei Goethe, wenn er sagt: „Ein
Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, weil bei einer näheren
Bekanntschaft mit dem Herrn der +Nimbus+ von Ehrwürdigkeit und
Heiligkeit wegschwindet, +den uns eine neblichte Ferne um sie herum
lügt, und dann sind sie ganz kleine Stümpfchen Unschlitt+.“ Er
verdeutlicht hier den Begriff Nimbus (d. i. eigentlich: Lichthof um den
Kopf eines Heiligen) dadurch, daß er ihn dem Lichthof einer Laterne
vergleicht.

In dem Streben nach Neuheit gehe man aber nicht zu weit; viele unserer
neueren Schriftsteller überschreiten hier das rechte Maß, und ihr Stil
wird dadurch unnatürlich und ungesund.


12. Anschaulichkeit und Lebendigkeit.

Die +Anschaulichkeit+ besteht darin, daß die Begriffe und Gedanken in
sinnlicher Faßlichkeit dargestellt werden. Um diese Sinnlichkeit des
Ausdrucks zu erreichen, bedient man sich folgender Mittel:

~a~) Man wählt Worte, die noch nicht allzu abgeschliffen und
verbraucht sind, sondern deren sinnliche Grundbedeutung noch von
allen gefühlt wird (vgl. 11, ~b~). Die Konkreta haben mehr sinnliche
Anschaulichkeit als die Abstrakta, namentlich der poetische Stil gibt
daher den ersteren den Vorzug. So ist das Wort +Zügel+ anschaulicher
als +Zug+ und +Zucht+; +Band+ anschaulicher als +Bündnis+ usw. Ebenso
ist der +einfache+ Ausdruck sinnlich kräftiger als +Ableitungen+
und +Zusammensetzungen+. Wörter wie +ziehen+, +Zucht+, +Zug+,
+Band+, +binden+, +Lust+, +Feind+, +Freund+, +Flucht+, +Schlaf+
usw. sind anschaulicher als: +erziehen+, +züchtig+, +vorzüglich+,
+unverzüglich+, +bändigen+, +ungebändigt+, +verbindlich+, +belustigen+,
+feindlich+, +anfeinden+, +freundlich+, +befreunden+, +Flüchtigkeit+,
+Schläfrigkeit+ usw. In den folgenden Versen von Haller ist daher
die Wahl der Worte wegen des Mangels an sinnlicher Anschaulichkeit
zu tadeln: „Der langen +Einsamkeit+ gibt alles +Überdruß+.“ „Ihr
allzustarker +Trieb+ nach der +Vollkommenheit+ ward endlich zum Gefühl
der eignen +Würdigkeit+.“ -- Besonders wird aber die Darstellung
dadurch anschaulich, daß man statt ganz allgemeiner Bezeichnungen,
wie: +sein+, +sich befinden+, +werden+, +geschehen+ u. a., bestimmtere
Ausdrücke wählt, welche die Art des +Seins+, +Sichbefindens+,
+Werdens+, +Geschehens+ usw. genauer angeben. Statt: „Der Vogel +ist+
auf dem Baume“ sage ich anschaulicher: „Er +sitzt+ auf dem Baume“;
statt: „Das Pferd +befindet+ sich in dem Stalle“ heißt es besser:
„Das Pferd +steht+ im Stalle“ usw. Solche Beispiele anschaulicher
Darstellung sind: „Ich singe, wie der Vogel singt, der +in den Zweigen
wohnet+.“ +Goethe.+ -- „Dort wo der Gießbach vom Gebirg +heruntertanzt+
mit hellem Ton, durch grüner Dämmerung Bezirk +schweift wandelnd+ just
des Waldes Sohn.“ +Otto Roquette.+ -- „Durch der Surennen furchtbares
Gebirg, auf weit verbreitet öden Eisesfeldern, wo nur der heisre
Lämmergeier +krächzt+, gelangt’ ich zu der Alpentrift, wo +sich+ aus
Uri und vom Engelberg die Hirten +anrufend grüßen+ und gemeinsam
+weiden+, den Durst mir stillend mit der Gletscher Milch, die in den
Runsen +schäumend niederquillt+.“ +Schiller.+ -- Selbst sinnlich
niedrige Ausdrücke sind durch die Anschaulichkeit, die sie gewähren,
im poetischen Stile zuweilen von guter Wirkung. So gebraucht Platen in
einem Gedichte, das mit einer Übertragung der Worte Vergils: ~Exoriare
aliquis nostris ex ossibus ultor~ schließt, das Wort +Knochen+ statt
des Ausdruckes +Gebeine+: „Aber einst aus meinen +Knochen+ wird ein
Rächer auferstehn.“ Vgl. S. 15.

~b~) Man wendet Wörter an, welche die Naturlaute nachahmen
(+Onomatopöie+ oder Schallnachahmung), z. B. sausen, platzen, prasseln,
rasseln, rollen, rauschen, heulen, murmeln, plätschern, rieseln,
stampfen usw. Bekannt ist der Vers Ovids, in dem er das Quaken der
Frösche nachahmt: „~Quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere
temptant.~“ Prächtige Lautmalereien enthalten die folgenden Stellen:

                                    Näher und näher
  Kam das Gekling und das Klatschen der Peitsch’ und der Pferde
    Getrampel.

      +Voß+, Siebzigster Geburtstag.

  Und hohler und hohler hört man’s heulen.

      +Schiller+, Taucher.

  Höre, wie’s durch die Wälder kracht!
  Aufgescheucht fliegen die Eulen.
  Hör, es splittern die Säulen
  Ewig grüner Paläste.
  Girren und Brechen der Äste!
  Der Stämme mächtiges Dröhnen!
  Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
  Im fürchterlich verworrenen Falle
  Übereinander krachen sie alle,
  Und durch die übertrümmerten Klüfte
  Zischen und heulen die Lüfte.

      +Goethe+, Faust.

  Wenn die Räder rasselten
  Rad an Rad rasch ums Ziel weg,
  Hoch flog
  Siegdurchglühter
  Jünglinge Peitschenknall.

      +Goethe+, Sturmlied.

~c~) Man gebraucht statt der abstrakten Ausdrücke +bildliche Wendungen+
(s. hierüber: Bilder und Figuren).

Die +Lebendigkeit+ der Darstellung zeigt sich in der +Anordnung+ und
+Verbindung der Worte+. Zu gleichmäßige Bildung der Sätze und zu lange
Perioden machen den Stil eintönig und schleppend; mannigfacher Wechsel
im Bau der Sätze ist daher ein unbedingtes Erfordernis des guten
Stiles. Besondere Mittel zur Erhöhung der Lebendigkeit sind: +die
Inversion+, +das Asyndeton+, +das Polysyndeton+ und +die Ellipse+.

Unter +Inversion+ versteht man die Abweichung von der regelmäßigen
Wortfolge (vgl. I, S. 193 flg.). An Inversionen reich ist namentlich
der Stil Schillers.

Das +Asyndeton+ (vgl. I, 197) oder die +Unverbundenheit+ besteht
darin, daß die Konjunktionen zwischen einzelnen Wörtern oder Sätzen
ausgelassen werden, z. B.: „Alles rennet, rettet, flüchtet, taghell ist
die Nacht gelichtet.“ +Schiller.+

Das +Polysyndeton+ (von πολυσύνδετος, d. i. vielfach verbunden) oder
die +Vielverbundenheit+ besteht in der mehrmaligen Wiederholung
desselben Bindewortes, z. B. „Meine Töchter führen den nächtlichen
Reihn +und+ wiegen +und+ tanzen +und+ singen dich ein.“ +Goethe.+

Die +Ellipse+ (von gr. ἔλλειψις, d. i. Auslassung) besteht darin,
daß nur der Hauptbegriff ausgedrückt, die übrigen Satzglieder aber
weggelassen werden, z. B.: „Aus meinem Angesicht, Nichtswürdiger.“
+Schiller.+ -- „Verworrene Labyrinthe -- kein Ausgang -- kein leitendes
Gestirn.“ +Schiller.+

Schon aus der Wahl der Beispiele ergibt sich, daß Anschaulichkeit und
Lebendigkeit vor allem Erfordernisse des +poetischen+ Stiles sind, doch
auch der einfache Stil des Verstandes kann dieser Eigenschaften nicht
entbehren, obwohl bei ihm die Deutlichkeit in den Vordergrund tritt.


13. Natürlichkeit.

+Natürlichkeit+ des Ausdruckes ist eine Hauptforderung des guten
Stiles. Man erreicht sie dadurch, daß man sich bemüht, die Gedanken
immer so einfach und klar wie möglich darzustellen. Man vermeide
gesuchte und gezwungene Ausdrücke, geschraubte und gezierte Wendungen,
wie sie sich häufig in dem Stile unserer modernen Romandichter und
Unterhaltungsschriftsteller finden. Einen einfachen Begriff gebe man
durch einen einzigen Ausdruck, nicht durch wortreiche Umschreibungen
wieder. Bloßes rhetorisches Wortgepränge ist geschmacklos; man wende
Bilder und Redefiguren nur da an, wo sie sich von selbst darbieten
und wo ein gewisser Schwung der Rede es verlangt. Durch gesunde
Natürlichkeit des Ausdruckes ragen namentlich Luther, Lessing und
Goethe hervor.

Gegen die Natürlichkeit des Ausdruckes verstoßen z. B. Sätze wie die
folgenden: „Zwei Jahre ungetrübten Glückes waren seit der Jünglinge
Bekanntschaft von der flüchtigen Gegenwart der unermeßlichen
Vergangenheit überantwortet worden.“ „Der Frühling des Jahres 1763
brachte bei seiner monatlichen himmlischen Gesandtschaft in dem grünen
Kabinette der Erde nicht nur die himmlischen Geschenke mit, als da
sind die chinesische Blumenmalerei der Natur, die echten Gobelins der
lebendigen Hecken, die Jaspisteppiche der Fluren, die breiten Gnaden-
und Ordensbänder der lauteren Ströme, die Flötenuhren der Waldkehlen
usw., sondern er brachte zugleich in der kleinen Wiege Jean Pauls den
Dragoman aller dieser himmlischen Geschenke mit, und durch seine Zunge
wurde uns die Sendung aller Frühlinge heiliger, himmlischer.“


~B.~ Bilder und Figuren.


14. Der Gebrauch bildlicher Ausdrücke.

Für den Gebrauch bildlicher Wendungen gelten folgende Regeln:

~a~) Die Bilder müssen +wahr+ sein, d. h. sie müssen erstens mit dem
übereinstimmen, was wir von den als Bildern verwendeten Dingen wissen,
und sie dürfen zweitens nicht untereinander in Widerspruch stehen. Wenn
jemand schriebe: „Der Ruhm dieses Mannes +ging wie der Polarstern auf
und nieder+“ oder: „Die Parze +knickte den Stengel+ seines Lebens“,
so würden diese Bilder, da sie nicht mit dem übereinstimmen, was
wir von dem Polarstern und den Parzen wissen, einen unangenehmen
Eindruck hervorrufen. -- Den zweiten Fehler gegen die Wahrheit der
bildlichen Wendungen nennt man +Katachrese+ (d. i. Mißbrauch). Die
Katachrese besteht darin, daß ein Gedanke durch verschiedene Bilder
dargestellt wird, die einander widersprechen, z. B.: „Ich +sah+ die
Bronnen +rauschen+ der Ewigkeit um mich.“ +Rückert.+ „Mit leisem Tritte
schlüpfte +ein weiblicher Fuß+ ins Zimmer und +löschte mit eigener
Hand+ die Kerzen.“ +Phil. Galen.+ „Wir wollen diese +brennende+ Frage
nicht +erschöpfen+“ usw. Die Katachrese beleidigt sowohl den Verstand,
als auch die Anschauungskraft; man hüte sich daher, aus dem Bilde
herauszufallen.

  +Anmerkung.+ In der höheren Sprache der Dichtung, namentlich wenn
  Kühnheit und Schwung der Darstellung gefordert wird, ist der Übergang
  aus einem Bilde in das andere nicht unbedingt zu verwerfen (vgl.
  hierüber Vischer, Ästhetik III, Abschnitt 2, 1230). Vollkommen
  tadellos ist z. B. der Bilderwechsel in Schillers Lied an die
  Freude: „Freude, +schöner Götterfunken+, +Tochter aus Elysium+.“
  Derselben Beurteilung unterliegen zahlreiche Stellen in Shakespeares
  Dichtungen. Hier zeigen uns die wechselnden Bilder den Gegenstand von
  verschiedenen Seiten.

~b~) Die Bilder müssen +leicht verständlich+ und +nicht zu weit
hergeholt+ sein. Wenn in orientalischen Dichtungen die Schlacht
+Lanzenmesse+, das Schwert +Lebensräuber+ genannt wird, so sind diese
Bilder nicht schön, weil sie schwer zu enträtseln sind. Zu gesucht ist
es, wenn Kleist die Dünste als „die Augenlider, die jetzo das Auge des
Weltkreises deckten“ bezeichnet, oder wenn Klopstock das stürmische
Meer ein „gebirgiges Meer“ nennt. Namentlich +Jean Paul+ hat sehr viele
schwerverständliche und gesuchte Bilder.

~c~) Die Bilder müssen +edel+, +neu+ und +angemessen+ sein. (Vgl.
hierüber S. 15. 16.)

~d~) Die Bilder müssen +treffend+ sein und +mehr sagen+, als der
gewöhnliche Ausdruck; z. B.: „Wenn der Stamm zum Himmel eilet,
sucht die Wurzel still die Nacht.“ +Schiller.+ -- „Nur +verstohlen+
durchdringt der Zweige laubiges +Gitter+ sparsames Licht, und es
+blickt lachend+ das Blaue herein. Aber plötzlich +zerreißt der Flor+.
Der geöffnete Wald gibt überraschend des Tages blendendem Glanz mich
zurück.“ +Schiller.+

~e~) Die Darstellung darf nicht mit Bildern +überladen+ werden. Durch
eine solche Überladung wird der Stil schwülstig und unnatürlich. (Vgl.
S. 13. 19.)


15. Die Bilder oder Tropen.

Die Alten unterschieden +Tropen+ und +Figuren+, und es soll der
Übersichtlichkeit wegen diese Einteilung hier beibehalten werden,
obwohl die schaffende Phantasie des Dichters einen solchen Unterschied
nicht kennt.

Der +Tropus+ oder die +Trope+ (d. i. +Wendung+, griech. τρόπος,
lat. ~tropus~, von griech. τρέπειν, wenden) bezeichnet die Wendung
des Ausdrucks vom Gewöhnlichen und Eigentlichen zum Bildlichen und
Uneigentlichen. Die Tropen verändern die Vorstellung und mit ihr den
Ausdruck, die Figuren dagegen nur den Ausdruck, nicht die Vorstellung;
die Tropen verleihen der Rede Anschaulichkeit, die Figuren erhöhen
die Lebendigkeit derselben. Wenn Calderon den Bach eine +silberne
Schlange+ nennt, so wird die gewöhnliche Vorstellung mit einer anderen,
ungewöhnlicheren vertauscht und mit der Vorstellung zugleich der
Ausdruck; diese Bezeichnung ist daher ein Tropus. Wenn dagegen Rückert
vom Wasserfall sagt: „Er +rauscht+ und +rauscht+ und +rauscht+, die
Gegend hört ihn +rauschen+“, so bleibt die Vorstellung unverändert, es
wird nur derselbe Begriff und derselbe Ausdruck mehrmals wiederholt,
wir haben es hier also mit einer Figur zu tun.

Man unterscheidet folgende Tropen:

~a~) die +Vergleichung+ veranschaulicht den Gegenstand durch ein Bild
und stellt Bild und Gegenstand nebeneinander. Das Bild besteht entweder
nur in +einem+ Worte oder Satze, z. B. er kämpfte wie +ein Löwe+; „+dem
dürren Laube gleich+ verwehten meine Träume“ (Freiligrath); oder es ist
weiter ausgeführt, z. B.:

  Des Menschen Seele
  Gleicht dem Wasser:
  Vom Himmel kommt es,
  Zum Himmel steigt es,
  Und wieder nieder
  Zur Erde muß es,
  Ewig wechselnd.

      +Goethe.+

~b~) Die +Metapher+ (d. i. Übertragung) setzt das Bild statt des
Gegenstandes, ist also gleichsam eine abgekürzte Vergleichung. Die
Vergleichung sagt: „Der Wein ist +wie flüssiges Gold+“, die Metapher:
„Der Wein ist +flüssiges Gold+.“ Die Metapher gibt dem Ausdruck
Adel, Würde und Neuheit, und die Sprachgewalt eines Dichters oder
Schriftstellers offenbart sich am deutlichsten in der Fähigkeit,
treffende Metaphern zu bilden. Beispiele: Hör’, es splittern die Säulen
+ewig grüner Paläste+. +Goethe.+ Des Lebens +Mai+ blüht einmal und
nicht wieder. +Schiller.+ Ein +Tropfen Haß, der in dem Freudenbecher
zurückbleibt+, macht den Segenstrank zu Gift. +Schiller.+ Nur der
verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie +erobern+ muß.
+Goethe.+ -- Man unterscheidet +substantivische+, +adjektivische+
und +verbale+ Metaphern. +Substantivische Metaphern+ sind: +Haupt
des Staates+, +Schiff der Wüste+, +Segler der Lüfte+ (Wolke),
+Kinder im Walde verirrt und bedeckt mit Blättern im Schlummer+ (die
Blumen), +schlafendes Sonnenlicht+ (der Mond), +Hefe des Volkes+ usw.
+Adjektivische Metaphern+: eine +schwarze+ Seele, der +blasse+ Neid,
der +süße+ Schlaf, die +goldenen+ Himmelsfrüchte, die +goldene+ Sonne,
ein +hartes+ Herz usw. +Verbale Metaphern+: die Sonne +blickt+ durch
der Zweige Grün; die Woge +bäumt sich+ am Gestade; die Täler +singen+
und die Höhen +schweigen+, die Tannen +schauern+ in der Felsenkluft usw.

Wie die Vergleichung kann auch die Metapher weiter ausgeführt werden,
sie wird dann zur +Allegorie+ (von ἀλληγορέω, d. h. etwas anders sagen,
als der eigentliche Sinn verlangt). Der Satz: „Die Dichtung war zu Rom
+eine ausländische Blume+“ enthält eine Metapher; fügt man hier zu dem
Bilde +Blume+ noch weitere sinnliche Beziehungen hinzu (z. B. Same,
Garten, Wachstum, Blüte usw.), so erhält man eine Allegorie. So sagt
+Herder+: „Die römische Dichtkunst war aus griechischem Samen in den
Garten eines Kaisers verpflanzt, wo sie als schöne Blume dastand und
blühte.“ Beispiele: Nacht muß es sein, wo Friedlands Sterne strahlen.
+Schiller.+ In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling,
still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis. +Schiller.+

~c~) Die +Metonymie+ (d. i. Umnennung, Vertauschung des Namens) setzt
wie die Metapher einen Gegenstand für den anderen, aber nicht wie die
Metapher wegen der +Ähnlichkeit+, sondern wegen der +natürlichen und
nahen+ Verbindung, in der die Gegenstände miteinander stehen. Die
Metonymie nimmt Rücksicht auf:

  α) das +Raum-+ oder +Zeitverhältnis+. Man setzt den +Ort+ statt
  dessen, was sich an demselben befindet, oder den +Zeitraum+ statt
  derer, die in demselben leben, z. B.: „Ganz +Rom+ geriet in Erregung“
  (statt: alle Römer); „bei Abendglockenläuten ging +die Natur+ zur
  Ruh“ (statt: die Geschöpfe). „So fordr’ ich +mein Jahrhundert+ in die
  Schranken“ (statt: die Menschen).

  β) das +Kausalitätsverhältnis+. Man vertauscht +Ursache+ und
  +Wirkung+, z. B.: „Wer nie sein Brot mit +Tränen+ aß“ (statt:
  Kummer). „Aus der Wolke quillt der +Segen+“ (statt: Regen). „Hütten,
  um die der Landmann stille +Schatten+ pflanzt“ (statt: Bäume). Oder
  man setzt für die Verrichtung das Werkzeug, z. B. +Schwert+ (statt:
  Krieg), +Pflug+ (statt: Ackerbau). „Der +Degen+ hat den Kaiser arm
  gemacht, der +Pflug+ ist’s, der ihn wieder stärken muß.“ +Schiller.+

  γ) das +Stoffverhältnis+. Man setzt den +Stoff+ statt der +Sache+,
  die daraus verfertigt ist, z. B. +Eisen+ (statt: Schwert), +Stahl+
  (statt: Dolch), +Blei+ (statt: Kugel), +Eisen+ (statt: Fessel) usw.
  „Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein die schimmernde +Wolle+,
  den schneeichten +Lein+.“ +Schiller.+

  δ) das +Symbolverhältnis+.[9] Man setzt das +sinnliche Zeichen+
  statt des abstrakten Begriffes, der dadurch bezeichnet wird, z. B.
  +Lorbeer+ (für Sieg, Ruhm), +Zepter+, +Krone+ (statt: Herrschaft,
  Regierung), +Ölzweig+ (statt: Frieden) usw. „Ist denn die +Krone+ ein
  so einzig Gut?“ +Schiller.+

~d~) Die +Synekdoche+ (eigentlich: das Mitverstehen) ist genau genommen
nur eine Unterart der Metonymie. Sie setzt statt des Allgemeinen das
+Besondere+, z. B. den +Teil+ für das +Ganze+: +Dach+ (für Haus),
+Mast+ oder +Kiel+ (für Schiff), +Welle+ (für Meer), +Brot+ (für
Nahrung) usw.; oder das +einzelne+ statt der +Vielheit+: „Freiheit
liebt das +Tier+ der Wüste“ (+Schiller+); oder die +bestimmte Zahl+ für
die unbestimmte: „O daß ich +tausend+ Zungen hätte“ usw.

~e~) Die +Prosopopöie+ (d. i. Vermenschlichung) oder +Personifikation+
stellt leblose Dinge oder abstrakte Begriffe als lebende Wesen dar.
Viele Metaphern sind zugleich Prosopopöien, z. B.: Die Sonne +verbirgt
sich+, der Winter +kommt+, die Natur +schläft+, der Himmel +lacht+
herab, die Erde +dürstet+ nach Regen, der Sturm +heult+ oder +brüllt+,
die Wolken +fliehen+, der Strom +zürnt+ usw. Unter Prosopopöien im
engeren Sinne versteht man aber weiter ausgeführte Darstellungen dieser
Art, z. B.:

    Da wacht die Erde grünend auf,
  Weiß nicht, wie ihr geschehn,
  Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
  Und möchte vor Lust vergehn.
  Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
  Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
  Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
  Als wären es Freudenzähren.

      +Geibel.+

    Erzittre Welt, ich bin die Pest,
  Ich komm’ in alle Lande,
  Und richte mir ein großes Fest,
  Mein Blick ist Fieber, feuerfest
  Und schwarz ist mein Gewande.

    Ich komme von Ägyptenland
  In roten Nebelschleiern,
  Am Nilusstrand im gelben Sand
  Entsog ich Gift dem Wüstenbrand
  Und Gift aus Dracheneiern.

      +Hermann Lingg.+

~f~) Die +Allusion+ oder +Anspielung+ bringt einen Begriff dadurch
zu lebendiger Anschauung, daß sie auf bekannte Zustände, Tatsachen
und Begebenheiten hindeutet, z. B. er hat eine +Herkulesarbeit+
vollbracht, eine Sisyphusarbeit, Hiobsgeduld, ein salomonisches
Urteil, lakonische Kürze usw. „Ich werde hinter diesen +Wolf+ im
philosophischen +Schafspelz+ Hunde zu bringen wissen, die ihn zausen
sollen.“ +Lessing.+ -- Hierher gehört auch die Bezeichnung von
Personen durch Hinweis auf geschichtliche Ereignisse oder besondere
Eigentümlichkeiten, wenn man z. B. jemand einen Homer, einen Spartaner,
einen Epikuräer, einen schönen Ort ein Paradies oder Elysium, ein
reizendes Tal ein Tempe usw. nennt, oder wenn man statt Pindar sagt:
der +dirkäische Schwan+, statt Menelaus und Agamemnon: die beiden
+Atriden+, statt Dresden: +Elbflorenz+ usw. -- Die Allusion muß immer
verständlich sein, und es ist tadelnswert, wenn auf Vorgänge angespielt
wird, die nicht allgemeiner bekannt sind, wie das namentlich Jean Paul
tut, der viele seiner Anspielungen erst durch Anmerkungen erläutern muß.

~g~) Die +Periphrase+ oder +Umschreibung+ besteht darin, daß eine
Person oder Sache oder eine Tätigkeit nicht mit dem gewöhnlichen
einfachen Ausdrucke, sondern durch Aufzählung einzelner Merkmale oder
Wirkungen u. ähnl. bezeichnet wird, z. B.:

    Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
  Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
  Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
  Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?

      +Goethe.+

    Von dem ich Ehre und irdisches Gut
  Zu Lehen trage und Leib und Blut
  Und Seele und Atem und Leben. (d. i. alles.)

      +Schiller.+

Die Umschreibung ist nur mit Vorsicht anzuwenden, da sie leicht zu
Weitschweifigkeit und Undeutlichkeit führt. Völlig geschmacklos sind
namentlich Ramlers Periphrasen, der z. B. die +Schlittschuhe+ in
folgender Weise umschreibt: „Schuhe von Stahl, worin der Mann der
freundlichen Venus (Vulkan) der Blitze Geschwindigkeit barg“ u. ähnl.


16. Die Figuren.

Die Figuren dienen nicht, wie die Tropen, dazu, der Rede größere
Anschaulichkeit zu verleihen, sondern sie sind nur Wort- und
Gedankenstellungen, welche die Lebendigkeit der Darstellung erhöhen.
Man teilt die Figuren gewöhnlich in +grammatische+ und +rhetorische+
(Sinnfiguren). Die +grammatischen+ Figuren beziehen sich nur auf die
Stellung und Betonung der +Worte+ und auf die äußere Form der Sätze,
während die +rhetorischen+ Figuren die Verhältnisse der +Gedanken+
betreffen.


I. Grammatische Figuren.

~a~) Der +Ausruf+, als Ausbruch der Leidenschaft, z. B.: Furchtbares
Schicksal! +Schiller.+ -- Was für ein Anblick! Welch ein Wiedersehen!
+Schiller.+

~b~) Die +Frage+, als Ausdruck des Zweifels, der Verneinung oder einer
lebhaften Gemütsbewegung, z. B.: Gibt es keinen Gott? Was? Dürfen in
seiner Schöpfung Könige so hausen? +Schiller.+ -- Wann werdet ihr
Poeten des Dichtens einmal müd? +Anastasius Grün.+ -- Kann ich Armeen
aus der Erde stampfen? Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand?
+Schiller.+

~c~) Die +Anrede+ oder +Apostrophe+ (d. i. +Wegwendung+, nämlich von
der Sache zur Person), z. B.: Darauf antwortetest du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau. +Voß.+ -- Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten
Triften, ihr traulich stillen Täler, lebet wohl. +Schiller.+

~d~) Das +Asyndeton+. (Vgl. S. 19.)

~e~) Das +Polysyndeton+. (Vgl. S. 19.)

~f~) Die +Ellipse+. (Vgl. S. 19.)

~g~) Die +Aposiopese+ (d. i. Verschweigung). Während bei der Ellipse
nur das Wichtige genannt, das minder Wichtige weggelassen wird,
besteht die Aposiopese umgekehrt darin, daß nur das minder Wichtige
ausgesprochen, die Hauptsache aber verschwiegen wird, z. B.: „Dich
schützt dein Wappenrock, sonst solltest du --“ +Schiller.+ „Wer hier
wagt zu mucken --“ +Herder.+

~h~) Die +Inversion+. (Vgl. S. 19.)

~i~) Das +historische Präsens+. In lebendiger Erzählung bedient sich
der Schriftsteller zuweilen statt des Imperfekts des +Präsens+, z. B.:
Und schaudernd dacht’ ich’s, da kroch’s heran, regte hundert Gelenke
zugleich, +will schnappen+ nach mir; in des Schreckens Wahn +lass’+ ich
los der Koralle umklammerten Zweig; gleich +faßt+ mich der Strudel mit
rasendem Toben. +Schiller.+

~k~) Die +Anakoluthie+ (d. i. Zusammenhangslosigkeit) besteht darin,
daß die Konstruktion eines Satzes nicht dem Anfange entsprechend
fortgeführt wird, so daß die Mitte oder das Ende des Satzes mit dem
Anfange grammatisch in Widerspruch tritt, z. B.:

  Wie wenn auf einmal in die Kreise
  Der Freude mit Gigantenschritt
  Geheimnisvoll nach Geisterweise
  Ein ungeheures Schicksal tritt;
  +Da beugt sich jede Erdengröße
  Dem Fremdling aus der andern Welt,
  Des Jubels nichtiges Getöse
  Verstummt, und jede Larve fällt,
  Und vor der Wahrheit mächt’gem Siege
  Verschwindet jedes Werk der Lüge+:
  +So rafft+ von jeder eitlen Bürde,
  Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
  Der Mensch sich auf zur Geisterwürde
  Und tritt in heilige Gewalt.

Da die Anakoluthe gegen die strenge Sprachrichtigkeit verstoßen,
so sind sie nur mit Vorsicht zu gebrauchen. Tadelnswert sind in
prosaischer Rede namentlich Anakoluthe, die darin bestehen, daß ein
als Nebensatz begonnener Satz in der Form eines Hauptsatzes zu Ende
geführt wird, z. B.: „Sie wissen, +daß+, wenn die Vestalinnen im alten
Rom einem Verbrecher begegneten, +so hatten sie das Recht+, ihn zu
begnadigen“ (statt: daß sie das Recht hatten usw.). +Heine.+ -- In der
Poesie dagegen ist ein Anakoluth oft von sehr guter Wirkung, weil hier
große Innigkeit oder Leidenschaftlichkeit des Gefühls das Herausfallen
aus der Konstruktion, das Aufgeben des strafferen Satzbaues erklärlich
macht.

~l~) Die +Wiederholung+. Einzelne Wörter oder Satzabschnitte werden
wiederholt, um den Begriff hervorzuheben oder dem Ausdruck größere
Innigkeit zu verleihen. Das wiederholte Wort trägt immer den Hauptton,
z. B.: +lieber, lieber+ Freund! -- +Der Tod, der Tod+ ist mein Gewinn.
+Bürger.+ -- +Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit+ klingt ein Lied
mir immerdar. +Rückert.+ -- Nicht möcht’ ich deinen Geist in Sünden
+töten+, nein, Gott verhüt’s! nicht deine Seele +töten+. +Shakespeare.+

  +Anmerkung.+ Gelehrte Spielerei hat hier nach der Stellung, die das
  wiederholte Wort im Satze einnimmt, viele Arten der Wiederholung
  unterschieden, und zwar folgende: 1. +Anaphora+, d. i. Wiederkehr
  desselben Wortes oder derselben Wendung am Anfange mehrerer
  aufeinanderfolgender Sätze, z. B.: +Sei mir gegrüßt+, mein Berg,
  mit dem rötlich strahlenden Gipfel! +Sei mir+, Sonne, +gegrüßt+,
  die ihn so lieblich bescheint! +Schiller.+ -- 2. +Epiphora+ (bei
  Quintilian ~epistrophe~), d. i. Wiederholung am Schlusse mehrerer
  aufeinanderfolgender Sätze, z. B.: Wie sollt’ es mich freuen,
  Marquis, wenn der Freiheit endlich noch diese Zuflucht in Europa
  +bliebe+! Wenn sie durch ihn es +bliebe+! +Schiller.+ -- 3.
  +Epanalepsis+, d. i. Wiederholung der den Satz +beginnenden+ Wendung
  am +Schlusse+, z. B.: +Weinet um mich+, ihr Kinder des Lichts!
  er liebt mich nicht wieder, ewig nicht wieder, ach, +weinet um
  mich+! +Klopstock.+ -- 4. +Anadiplosis+, d. i. Wiederholung eines
  den Satz beendenden Wortes am Anfang des folgenden, z. B.: Nicht
  der Frühling kann dir’s +geben+, +geben+ mußt dem Frühling du.
  +Rückert.+ -- 5. +Epanodos+ (d. i. Rückweg). Die wiederholten Worte
  stehen in umgekehrter Folge, z. B.: +Ihr seid müßig+, +müßig seid
  ihr.+ +Luther.+ -- 6. +Epizeuxis+, die unmittelbare Wiederholung
  desselben Wortes oder Satzes, z. B.: So steht auch mir der Sinn in
  die +weite, weite+ Welt. +Geibel.+ +Ach wie liegt so weit, ach wie
  liegt so weit+, was mein einst war. +Rückert.+ -- 7. +Symploke+, die
  Verflechtung mehrerer Arten der Wiederholung, z. B.: Laß mich weinen,
  an deinem Herzen heiße Tränen +weinen+ (Epiphora), du einz’ger
  Freund. Ich habe +niemand, niemand+ (Epizeuxis), auf dieser großen
  weiten Erde +niemand+ (Epiphora). +Schiller.+ -- 8. +Polyptōton+, die
  Wiederholung eines Wortes in verschiedenen Flexionsformen, z. B.:

    Aber der Hörenden floß die +schmelzende+ Trän’ auf die Wang’ hin;
  So wie der Schnee +hinschmilzt+ auf hochgescheitelten Bergen,
  Welchen der Ost +hinschmelzte+, nachdem ihn geschüttelt der Westwind,
  Daß von +geschmolzener+ Nässe gedrängt abfließen die Bäche:
  Also +schmolz+ in Tränen der Gattin liebliches Antlitz.[10]

      +Voß+, Odyssee.

  9. +Annominatio+, die Nebeneinanderstellung mehrerer Wörter, die zu
  demselben Stamm gehören, z. B.: Gar schöne +Spiele spiel’+ ich mit
  dir. +Goethe.+ +Schreibend schreibt+ er im +Schreiben geschriebene
  Schriften der Schreiber+. +Voß.+ -- 10. +Antanaklasis+, Wiederholung
  des Wortes in anderer Bedeutung, z. B.: Wer sich nicht selbst zum
  +besten+ haben kann, der ist gewiß nicht von den +Besten+.


II. Sinnfiguren.

~a~) Das +schmückende Beiwort+ (~Epitheton ornans~) ist ein
adjektivisches Attribut, das in sinnlich anschaulicher Weise eine
Eigenschaft des substantivischen Begriffs hervorhebt, z. B.: Dich
begrüß’ ich in Ehrfurcht, +prangende Halle+, dich, meiner Herrscher
+fürstliche Wiege+, +säulengetragenes herrliches Dach+. +Schiller.+
-- Wir bewohnen ein glückliches Land, das die +himmelumwandelnde+
Sonne ansieht mit immer +freundlicher+ Helle. +Schiller.+ -- Sieh,
die +mondbestrahlte+ Fläche schlägt es mit den +leichten+ Füßen!
+Freiligrath.+ -- Die Epitheta müssen immer charakteristisch sein,
sonst sinken sie zu müßigen Attributen herab, die, statt die
Lebendigkeit der Darstellung zu erhöhen, den Stil unerträglich
platt und weitschweifig machen. Nichtssagend und daher unschön
sind namentlich die Beiwörter in den Alexandrinern der Dichter des
siebzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, z. B.:

  Dort fliegt ein +schwerer+ Stein nach dem +gesteckten+ Ziele,
  Von +starker+ Hand beseelt, durch die +zertrennte+ Luft:
  Dort fliegt ein +schnelles+ Blei in die +entfernte+ Weiße,
  Hier rollt ein +runder+ Ball in dem +bestimmten+ Gleise
  Nach dem +erwählten+ Zweck mit +langen+ Sätzen fort.

      +Haller.+

~b~) Die +Steigerung+ (+Klimax+, +Gradation+) besteht darin, daß
die Begriffe so angeordnet werden, daß durch den nachfolgenden der
vorhergehende überragt wird, z. B.: Tapfer ist der Löwensieger, tapfer
ist der Weltbezwinger, tapfrer, wer sich selbst bezwang. +Herder.+ --
Eine schöne Menschenseele finden ist Gewinn, ein schönerer Gewinn ist
sie erhalten, und der schönst’ und schwerste, sie, die schon verloren
war, zu retten. +Herder.+

  O lieber als dem Grafen mich vermählen
  Heiß von den Zinnen jenes Turms mich springen,
  Da gehn, wo Räuber streifen, Schlangen lauern,
  Und kette mich an wilde Bären fest,
  Birg bei der Nacht mich in ein Totenhaus
  Voll rasselnder Gebeine, Moderknochen
  Und gelber Schädel mit entzahnten Kiefern,
  Heiß in ein frischgemachtes Grab mich gehn
  Und in das Leichentuch des Toten hüllen.

      +Shakespeare.+

~c~) Der +Gegensatz+ (+Antithese+) stellt Begriffe, die sich logisch
gegenüberstehen, in parallelen Satzgliedern einander entgegen, z. B.:
Ein +Gott+ bist du dem +Volke+ worden, ein +Feind+ kommst du zurück dem
+Orden+. +Schiller.+ -- Es bildet ein +Talent+ sich in der +Stille+,
sich ein +Charakter+ in dem +Strom der Welt+. +Goethe.+ -- Durch
glänzende Antithesen zeichnet sich namentlich Schillers Stil aus. --
Unterarten des +Gegensatzes+ sind das +Oxymoron+ und das +Paradoxon+.
Das +Oxymoron+ (ὀξύμωρον, von ὀξύς +gescheit+ und μωρός +dumm+) stellt
zwei einander widersprechende Begriffe in +einer+ Wortverbindung
zusammen, z. B.: +lebendige Leiche+ (+Gottschall+, Mazeppa), +süßer
Schmerz+, +bittre Freude+, +beredtes Schweigen+, +schmerzlicher Genuß+,
+erquickender Verdruß+ usw. Das +Paradoxon+ (d. i. das +Unerwartete+)
ist ein Gedanke, der mit dem, was nach dem Vorhergehenden erwartet
wird, oder mit dem, was die gewöhnliche Vorstellungsweise annimmt, in
Widerspruch steht, z. B.: Der Mensch ist +frei+ geschaffen, ist +frei+,
und würd’ er in +Ketten+ geboren. +Schiller.+ -- Den Kaiser will man
zum +Herrn+, um +keinen Herrn+ zu haben. +Schiller.+

~d~) Die +Ironie+ (d. i. +Verstellung+) sagt das Gegenteil von dem, was
sie meint, z. B.: Mit der Axt hab’ ich ihm’s Bad gesegnet. +Schiller.+
Ein Muster der Ironie ist die Rede des Antonius in Shakespeares +Julius
Cäsar+, 3. Akt. Als Meister der Ironie zeigen sich namentlich Rabener
(in seinen Satiren) und Jean Paul. -- Den mit Hohn verbundenen,
bitteren und tief verletzenden Spott nennt man +Sarkasmus+ (d. i.
Zerfleischung).

~e~) Der +Euphemismus+ setzt für etwas Anstößiges oder Gefürchtetes das
entgegengesetzte Gute. So nannten die Griechen die Erinyen +Eumeniden+,
d. h. die Gnädigen, die Römer nannten die Todesgöttinnen +Parzen+,
d. i. die Schonenden. Euphemismen sind auch die Umänderungen heiliger
und anderer Namen in Schwüren und Ausrufungen, wodurch der Mißbrauch
derselben verhüllt werden soll, z. B.: +Potz+ Blitz! (statt: +Gottes+
Blitz!) +Potz+ Wetter! (statt: +Gottes+ Wetter!) Der Tausend! (statt:
der +Teufel+!) +Potztausend!+ (statt: +Gottes Teufel!+) usw.

~f~) Die +Litotes+ (d. i. Kleinheit) oder +Verkleinerung+ besteht
darin, daß ein geringerer Ausdruck gesetzt wird, als der Gedanke in
Wahrheit verlangt, z. B.: Du hast deine Aufgabe +nicht übel+ (statt:
ausgezeichnet) gelöst. Du wirst nicht eben erfreut sein (statt: du
wirst in große Betrübnis versetzt werden) usw.

~g~) Die +Hyperbel+ (d. i. eig. +Überschwang+, +Übertreibung+)
vergrößert die Dinge über die sinnliche Wahrheit hinaus, z. B.: Mein
Herz ist heiß, +es könnt’ ein Dolch drin schmelzen+, wenn ich ihn
jetzt ins Herz mir stieße. +Hamerling.+ -- Denn alle Fürstenthrone,
aufeinandergestellt, bis zu den Sternen fortgebaut, erreichten nicht
die Höhe, wo +sie+ steht in ihrer Engelsmajestät. +Schiller.+ Jungfr.
v. Orl.

~h~) Die +Onomatopöie+. (Vgl. S. 18.)


17. Bedeutung der Tropen und Figuren für den Stil.

Hinsichtlich der Tropen und Figuren pflegt noch jetzt ein doppelter
Irrtum zu herrschen, der nicht entschieden genug bekämpft werden kann.
Einmal meint man nämlich, unsere deutsche Sprache habe die Tropen und
Figuren erst der griechischen und römischen Sprache entlehnt und habe
die Fähigkeit, Tropen und Figuren zu bilden, erst durch diese Sprachen
erhalten. Man verwechselt hier, wie so oft, die Namen mit der Sache.
Nur die Namen, die gelehrten Bezeichnungen haben wir zum Teil der
griechischen und römischen Sprache entlehnt; die Sache selbst, der
Drang, die Rede sinnlich anschaulich und lebendig zu gestalten, war
unserem Volke von jeher eigen und ist nicht erst von außen in dasselbe
verpflanzt worden. Man kann noch heute im Volke täglich Tropen und
Figuren hören, von denen niemand behaupten wird, daß sie erst von den
Alten entlehnt seien. Wenn eine Mutter zu dem Kinde sagt: „Du hast den
Wein halb verschüttet“ (wo doch nur einige Tropfen verschüttet worden
sind), oder: „Ich habe es dir schon hundertmal gesagt, aber du hörst
nicht“ (wo sie es vielleicht zwei- oder dreimal gesagt hat) usw., so
sind das Hyperbeln im eigentlichsten Sinne des Wortes, oder wenn
jemand sagt: „Diese Frau ist die leibhaftige Güte, die reine Güte;
dieser Mann ist die verkörperte Ehrlichkeit“ u. ähnl., so bedient er
sich der Form der Prosopopöie ebensogut wie der, welcher sagt: „Sie ist
die +personifizierte+ Güte.“[11]

Das andere Mal ist man der Meinung, daß die Tropen und Figuren zur
+Ausschmückung+ der Rede dienten. Auch das ist nicht richtig. Sie
dienen vielmehr dazu, der Rede sinnliche Kraft und Lebendigkeit zu
geben, und sie dürfen daher nicht äußerlich, wie Schmuckstücke,
zusammengesucht werden, sondern sie müssen mit Notwendigkeit aus der
Darstellung selbst erwachsen. Man mache es sich daher zum Gesetz,
niemals Tropen und Figuren anzuwenden, wo nicht innere Notwendigkeit
dazu drängt. Ebenso vermeide man die Nachbildung römischer und
griechischer Tropen und Figuren, vielmehr nehme man sie immer
möglichst aus seiner eigenen Beobachtung und Erfahrung oder entlehne
sie deutschen Vorbildern. Wer diese Vorschriften streng befolgt, der
wird bald bemerken, daß sein Stil an natürlicher Kraft und Schönheit
gewinnt, während er im entgegengesetzten Falle in widerwärtige
Künstelei und stelzbeinige Hohlheit verfällt.


~C.~ Stilistik des einfachen Satzes.


18. Wortbildung.

Die Lautgestalt der Worte erscheint im Zusammenhange der Rede oft
verändert; namentlich das tonlose =e= fällt oft am Ende, häufig auch
in der Mitte eines Wortes aus. Der Abfall eines Lautes am Ende eines
Wortes heißt +Apokope+, der Ausfall in der Mitte eines Wortes +Synkope+.

Die +Apokope+. Viele Wörter haben doppelte Formen, mit =e= und ohne
=e=, z. B.: +Gebirg+ und +Gebirge+, +Gebild+ und +Gebilde+, +Ochs+
und +Ochse+ usw. (vgl. hierüber I, 142). Man hat hier die Freiheit,
je nachdem der Rhythmus des Satzes oder der Wohllaut es erfordert,
von der einen oder anderen Form Gebrauch zu machen. Von den Wörtern
+Herr+, +Gesicht+, +Gerücht+, +Gewächs+, +Narr+ und einigen anderen
gelten in der Schriftsprache jedoch nur die kürzeren Formen, während
in der Mundart das auslautende =e= noch vorkommt. -- Oft fällt das =e=
im +Dativ Singularis+ ab, z. B.: dem König, dem Monat, dem Schicksal,
dem Reichtum, dem Jüngling u. a. Dieses Dativ-=e= ist jedoch möglichst
beizubehalten, nur die Nachsilben +el+, +er+, +en+, +chen+ und +lein+
dulden keine =e= hinter sich. Am häufigsten fällt es sonst ab, wenn
Substantiva ohne den Artikel mit Präpositionen verbunden sind, z. B.:
von Kind auf, mit Weib und Kind, von Tag zu Tag, von Haus und Hof u. a.
Auch vor einem Worte, das mit einem Vokal beginnt, fällt das Dativ-=e=
besser weg. -- Auch viele Adverbien dulden den Abfall des =e=; so
kann man sagen: +fern+ und +ferne+, +gern+ und +gerne+, +beinah+
und +beinahe+, +früh+ und +frühe+, +bang+ und +bange+, +behend+
und +behende+, +nah+ und +nahe+ usw., aber nur: +bald+ (nur noch
dichterisch: +balde+), +zurück+, +sehr+, +oft+, +schön+, +grün+ u. a.
Das Adverbium der Zeit +lange+ darf nicht gekürzt werden. Über +heut+
und +heute+ s. I, 240, Anm. 1. -- Der Imperativ der Verben kann mit =e=
oder ohne =e= gebildet werden, z. B.: schreib oder schreibe, geh oder
gehe, steh oder stehe usw. Die Verben jedoch, die in der 1. Pers. Sing.
Präs. =e= haben, ihren Imperativ aber mit =i= bilden, z. B.: sprich,
iß, nimm u. a., haben im Imperativ niemals das auslautende =e=.[12] Bei
den schwachen Verben erhält die Form auf =e= den Vorzug, z. B.: lobe,
rede, melde usw.; die Verben auf +el+ und +er+ haben nur die Form auf
=e=, z. B.: handle, wandle, wandre u. a.

Die Apokope wird namentlich in +poetischer+ Sprache angewendet, wo sie
besonders dazu dient, den +Hiatus+ zu beseitigen. Unter Hiatus versteht
man das Zusammentreffen zweier Vokale, von denen der eine als Auslaut,
der andere als Anlaut eines Wortes steht, z. B.: s=ei= =ei=frig, b=au=
=au=f usw. Im allgemeinen gilt hier die Regel, daß die Apokope nur dann
eintreten kann, wenn der nachfolgende Anlautsvokal +unbetont+ ist,
z. B.: +Gottes Gnad’ und+ Vatergüte, +Hab’ und+ Gut, laß deine +Klag’
erschallen+.[13] Dagegen sind Apokopen wie die folgenden unzulässig:
Er +erhalt’+ Antwort, der +gräßlich’+ Aufruhr usw. Doch kann zuweilen
nach unbetonten Verben die Apokope auch vor betonten Vokalen eintreten,
z. B.: Und ich mußt’ Andacht heucheln, konnt’ alles dort erschauen
usw. Die Flexionsendungen der Adjektive dürfen nicht durch Apokope
getilgt werden, also nicht: die schön’ Erscheinung, die neu’ Erfindung,
die bang’ Erwartung usw. Überhaupt darf die Apokope niemals hart und
unschön sein. Zeigt sich ein Hiatus, dessen Tilgung durch Apokope zu
einer Härte führen würde, so ist das noch kein Grund, den Hiatus in
diesem Falle gut zu heißen; man muß vielmehr eine ganz andere Wendung
suchen. Im allgemeinen sind die Deutschen in der Vermeidung des Hiatus
jedoch viel weniger streng als die Griechen und Römer.

Die +Synkope+ besteht in dem Ausfall eines tonlosen =e= oder =i=,
z. B.: Der Knecht hat erschlagen den +edeln+ Herrn; +heilge+ Ordnung,
die +Schillerschen+ Dramen usw. Vgl. hierüber I, 240, Anm. 1 und 2.

Bezüglich der Bildung der Worte ist namentlich folgendes zu beachten:

~a~) Man vermeide Neubildungen abstrakter Wörter auf +ung+, +heit+,
+keit+ und +tum+. Wörter auf +ung+ werden in der Regel nur von
abgeleiteten oder mit Vorsilben zusammengesetzten +transitiven+ Verben
gebildet, z. B.: +Führung+, +Verschwendung+, +Tränkung+, +Erfindung+
usw., aber nicht: +Fahrung+, +Verschwindung+, +Trinkung+, +Findung+
usw. Nur wenige Ausnahmen wie: +Sitzung+, +Neigung+ u. ähnl. haben sich
eingebürgert. Ganz besonders zu tadeln ist das Zusammenziehen ganzer
Redewendungen in ein Substantiv auf +ung+, z. B. +Zurannahmebringung+,
+Instandsetzung+, +Klagbarwerdung+, +Zurateziehung+ u. ähnl. -- Von
Partizipien dürfen im allgemeinen keine Substantive auf +heit+ gebildet
werden; tadelnswert sind daher Bildungen wie: +Unbegründetheit+,
+Verlorenheit+, +Unbeachtetheit+, +Treffendheit+ u. a. Nur von einigen
Partizipien, die ganz zu Adjektiven geworden sind, wie +bescheiden+,
+besonnen+, +verschwiegen+, +erhaben+, +gelassen+, sind Bildungen
auf +heit+ zulässig, z. B.: +Bescheidenheit+, +Besonnenheit+ usw. --
Unschön sind die Bildungen auf +keit+ von den Adjektiven auf +haft+,
namentlich wenn diese Adjektive von Personennamen abgeleitet sind,
z. B.: +Riesenhaftigkeit+, +Schülerhaftigkeit+, +Meisterhaftigkeit+,
+Rätselhaftigkeit+ usw. Ebenso anstößig sind solche Bildungen
von einigen Adjektiven auf +lich+, z. B.: +Gegensätzlichkeit+,
+Bezüglichkeit+, +Inhaltlichkeit+ u. ähnl.

~b~) Von vielen männlichen Personennamen lassen sich mit Hilfe der
Endung +in+ auch weibliche Personennamen bilden, z. B.: Freund,
Freundin usw. Von Partizipialsubstantiven sind solche Bildungen
nicht zulässig, man sage daher nicht: +Verwandtin+, +Beklagtin+,
+Abgesandtin+, +Bekanntin+, +Beamtin+ u. ähnl., sondern die
+Verwandte+, +Beklagte+ usw.

~c~) Werden von Verben zusammengesetzte Substantive gebildet, so werden
diese nicht mit dem vollen Infinitiv, sondern nur mit dem Stamme
zusammengesetzt (vgl. I, S. 248, 4), z. B.: +Trink+gefäß, +Reit+pferd
usw. Dem entsprechend muß man auch sagen: +Trockenplatz+ (nicht:
Trocknenplatz), Zeichenbuch, Zeichenlehrer, Rechenbuch, Rechenlehrer
(von ursprüngl. ~zeichen-en~, ~rechen-en~ usw.).

~d~) Man meide geschmacklose und sprachwidrige Zusammensetzungen. Vgl.
S. 11. -- Trennbar zusammengesetzte Verben müssen in den entsprechenden
Formen getrennt werden (vgl. I, S. 175). Man sage daher nicht: Ich
+anvertraue+ dir dieses Kleinod; ich +anerkenne+ deine Verdienste; ich
+anempfehle+ dir Ruhe usw.

~e~) Den +substantivischen Infinitiv+ wende man nur mit Vorsicht an. In
den meisten Fällen bietet sich ein entsprechendes anderes Substantiv
oder eine andere Wendung dar, durch welche die Härte oder die
Geschmacklosigkeit, zu der der Gebrauch des substantivischen Infinitivs
oft führt, vermieden wird. Er wird namentlich dann anstößig, wenn er
mit einem Attribut oder Objekt verbunden ist, z. B.: Das +Aufgehen+
der Sonne (statt: der +Aufgang+), das +Aufbrechen+ des Heeres (statt:
der +Aufbruch+), das +Ausbrechen+ einer Seuche (statt: der +Ausbruch+)
usw. Statt: „+Das Schwimmen gegen den Strom+ ist schwer“ sagt man
besser: „+Gegen den Strom zu schwimmen+ ist schwer“; statt: „Das
+ununterbrochene Arbeiten Tag und Nacht hindurch+ ist schädlich“
besser: „+Tag und Nacht hindurch ununterbrochen zu arbeiten+ ist
schädlich.“ -- Beim substantivischen Infinitiv eines reflexiven Verbums
wird das Reflexivpronomen weggelassen, z. B.: das +Erinnern+ (nicht:
das Sicherinnern), +das Freuen+, +das Verhalten+, +das Besinnen+, +das
Erbarmen+, +das Erfrechen+ usw.


19. Das Substantivum.

~a~) Die +Häufung attributiver Genitive+, namentlich wenn sie von
+gleichem Numerus+ und +Genus+ sind, ist zu vermeiden. Anstößig sind
Wendungen wie: „Das Verführerische +des Genusses der Frucht des Baumes
der Erkenntnis des Guten und des Bösen+ verleiteten Adam und Eva zum
ersten Sündenfall.“ -- „Die Schwierigkeit +der Erklärung des Ursprungs
des Übels+“ (statt: Die Schwierigkeit, den Ursprung des Übels zu
erklären). -- „+Meines Freundes+ Unterstützung +dieses Unternehmens+.“
-- „Es fanden sich nach und nach zwei Partien von Flecken in der Nähe
+der Mitte der Oberfläche der Sonne+.“ -- „Die Entdeckung +der Gesetze
der Bewegung der Planeten+.“

~b~) Fehlerhaft ist die +Umschreibung des possessiven+ oder +objektiven
Genitivs+ durch eine Wendung mit der Präposition +von+. Man sage nicht:
Der Freund +von meinem Vater+ (statt: meines Vaters), das Haus +von
unserem Nachbar+, der Giebel +von dem Hause+, die Wohnung +von meinem+
Bruder, die Erbauung +von der Stadt+, die Eroberung +von der Festung+,
der Erzieher +von den Kindern+ usw. -- Nur in folgenden Fällen ist eine
solche Umschreibung dieser Genitive gestattet:

1. Wenn das substantivische Attribut ein +Substantivum+ im +Plural+
ist, das +ohne Artikel+ steht, z. B.: „Man hat mich vor ein Gericht
+von Männern+ gefordert“ (Schiller). -- „Die Gründung +von Städten+
betrachtete er als die wichtigste Aufgabe eines Fürsten.“ -- „Er hat
das Glück +von Tausenden+ gegründet“ (Schiller). -- „Die teure Frucht
+von dreißig Kriegesjahren+“ (Schiller). -- 2. Wenn der +Urheber+ eines
Dinges von dem +Besitzer+ geschieden werden soll, z. B. ein Buch +von
meinem Vater+ (verfaßt), ein Buch +meines Vaters+ (das ihm gehört),
der Messias +von Klopstock+, der Spaziergang +von Schiller+ usw. --
3. Wenn das substantivische Attribut ein +Länder-+ oder +Ortsname+
ist, z. B. der Kaiser +von Deutschland+, der König +von Sachsen+, die
Straßen +von Paris+, die Besatzung +von Mainz+ usw. Vgl. I, 144. -- 4.
Ausnahmen sind noch: Das Ende +vom Liede+, die Frau +vom Hause+.

~c~) Man wende nicht +objektive Genitive+ (im Anschluß an das
Lateinische) an, wo der +deutsche+ Sprachgebrauch eine präpositionale
Wendung verlangt. Man sage also nicht: Die Hoffnung +des Sieges+
(statt: auf Sieg), der Haß +der Römer+ (statt: gegen die Römer), die
Freude +des Glückes+ (statt: über das Glück des Freundes) usw.

~d~) Ein substantivisches Attribut darf sich +nie auf das erste
Glied einer Zusammensetzung beziehen+. Falsch ist also: „Der +erste
Annäherungsversuch+ König Wenzels +an den+ schwäbisch-rheinischen
+Städtebund+.“ Ein +Reise+stipendium +nach Italien+, +Erkrankungs+fälle
+an den Blattern+, der +Vertrags+entwurf +mit Deutschland+, ein
+Beförderungsmittel guter Sitten+, +Pflicht+erfüllung +gegen das
Vaterland+, +Befreiungs+krieg +von der Franzosenherrschaft+,
+Verlängerungs+mittel +des menschlichen Lebens+ usw. -- Fehler dieser
Art sind sehr häufig und müssen daher ganz besonders nachdrücklich
bekämpft werden.

~e~) Der +Kasus eines Eigennamens+ darf nicht unklar bleiben. Man
sage also nicht: Klopstock schätzte Schiller höher als Wieland. --
Achilles zürnte Agamemnon (statt: dem Agamemnon). -- Man erreicht die
Klarheit entweder dadurch, daß man den Artikel setzt, wenn nötig mit
einem Beiworte (vgl. I, 144), oder daß man eine passivische Wendung
gebraucht, z. B. von Schiller wurde Klopstock höher geschätzt als
Wieland.

~f~) Die +Apposition+ muß mit dem Substantivum, zu dem sie gehört, +in
gleichem Kasus+ stehen. Man sage daher nicht: Man glaubte, es werde mir
mit der Gesellschaft +dieses Mannes+ gedient sein, +dem Freunde+ meiner
Mutter (statt: +des Freundes+). -- Wir erwarteten die Ankunft meines
Freundes, +Professor+ an der Universität N. (statt: Professors). -- Die
Gestalt des Dichters, +ein kleiner, unscheinbarer Mann+ (statt: eines
kleinen, unscheinbaren Mannes). -- Ich heiße dich +als mein Freund+
willkommen (statt: als meinen Freund). -- Ihr dürft diesem Manne,
+als ein erfahrener Führer+, unbedenklich folgen (statt: als einem
erfahrenen Führer).

  +Anmerkung.+ Wenn das Substantivum, zu welchem die durch +als+
  angeknüpfte Apposition gehört, im Genitiv steht, so schwankt der
  Sprachgebrauch zwischen Nominativ und Genitiv. Man muß sagen: „Die
  Pflichten der Eltern +als der Stellvertreter Gottes+; die Anstellung
  des Mannes +als eines berühmten Predigers+“ usw. Steht aber die
  Apposition ohne Beiwort, so erhält gewöhnlich der Nominativ den
  Vorzug: man sagt: „Die Anstellung dieses Mannes +als Prediger+, der
  Beruf dieses Mannes +als Künstler+“ usw. Die Apposition erscheint
  dann mehr als Zusatz zu +Anstellung+, +Beruf+, nicht zu dem Genitiv:
  +dieses Mannes+, wie man sagt: „der +Künstlerberuf+ dieses Mannes“,
  oder: „Dieser Mann +wurde als Prediger angestellt+“, nicht: „+Dieser
  Mann als Prediger+ wurde angestellt.“ Statt des Genitivs steht häufig
  ein Possessivpronomen: „+seine+ Anstellung als +Prediger+, +sein+
  Beruf als +Künstler+, in +seiner+ Eigenschaft +als Beamter+“ u. ähnl.
  Zu vermeiden sind diese Nominative, wenn sie mit einem voraufgehenden
  Substantiv oder Personalpronomen, das im Akkusativ oder Dativ steht,
  in Widerspruch treten. Man sagt ohne Anstoß: „Er hat +in seiner
  Eigenschaft als Beamter+ gehandelt“, dagegen nicht richtig: „Man hat
  +ihm+ in seiner Eigenschaft +als Beamter+ Anerkennung gezollt“; „man
  sah +seiner Anstellung als erster Prediger+ entgegen“ usw. Ebenso
  unrichtig würde in den beiden letzten Fällen der Dativ der Apposition
  sein; man muß vielmehr eine ganz andere Konstruktion wählen.


20. Das Verbum.

~a~) +Person und Numerus.+ Das Verbum stimmt in Person und Zahl
regelmäßig mit dem Subjekte überein. Bei Wörtern, die eine Menge
bezeichnen, kann jedoch, +wenn diesen Wörtern ein Genitiv Pluralis
beigefügt ist+, das Prädikat im Plural stehen, z. B.: +Eine Menge Leute
kamen+ herbei; ein Trupp Soldaten zogen vorüber, ein Rudel Hirsche
eilten vorbei (~Constructio ad sensum~ oder: κατὰ σύνεσιν, d. h. Fügung
nach dem Sinne). Bei den Wörtern +Paar+, +Dutzend+, +Mandel+, +Schock+
u. ähnl. ist der Plural nur dann gestattet, wenn eine +unbestimmte+
Zahl bezeichnet wird, z. B.: +Ein paar Äpfel sind+ gefallen! +ein
Dutzend Bäume sind+ umgeschlagen worden. Dagegen: +Das Paar+ Schuhe
+kostet+ zehn Mark, das +Dutzend Tassen kostet+ sechs Mark u. ähnl.
Eine Fügung nach dem Sinne findet auch statt, wenn mehrere Subjekte,
die im Singular stehen, zu +einem+ Begriffe vereinigt gedacht werden;
das Verbum steht dann gewöhnlich im Singular, z. B.: Haus und Hof ist
verloren, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit +war+ die Losung; Haß
und Groll sei vergessen usw.

~b~) +Tempus.+ Sehr zu tadeln ist der Wechsel des +Imperfekts+ mit
dem historischen +Präsens+, z. B.: Der Mond +schien+, ich +trete+
hinaus und +wandte+ den Blick nach dem Walde. -- Der Feind +schleicht+
herbei und +erstieg+ den Wall. Man muß entweder überall das Präsens
oder das Imperfektum gebrauchen. -- Das Tempus der Erzählung ist im
Deutschen das +Imperfektum+, nicht das Perfektum. Man vermeide also
Wendungen wie: Da +hat+ er gesagt, da +bin+ ich +fortgegangen+; +da bin
ich gerufen worden+ u. ähnl. Das Perfektum muß dagegen dann stehen,
wenn von einer einzelnen Handlung die Rede ist, deren Vollendung oder
fortdauernde Wirkung hervorgehoben werden soll, z. B.: Mir ist ein
Buch +gestohlen worden+; er hat alles +verloren+ usw. -- Falsch ist
es, das Plusquamperfektum statt des Imperfekts zu gebrauchen; z. B.:
Du +warst+ gestern bei uns +gewesen+ (statt: Du +warst+ bei uns).
Umgekehrt wird zuweilen nach der Konjunktion +nachdem+ das Imperfektum
statt des Plusquamperfekts gesetzt, z. B.: „Nachdem Wallenstein seinen
Antrag +erneuerte+ und auf eine bestimmte Erklärung +drang+“ (statt:
erneuert und gedrungen +hatte+). Eine solche Vertauschung der Tempora
ist gleichfalls zu tadeln. Vgl. I, 228 flg.

~c~) +Modus.+ Wenn der Konjunktiv gebraucht wird, um einen Wunsch
auszudrücken (als +Optativ+), oder wenn er in einem +bedingenden
Nebensatze+ steht, darf er nicht durch den Konditionalis (vgl. I, 67)
umschrieben werden. Man sage also nicht: „Wenn er doch bald +kommen
würde+!“ (statt: Wenn er doch bald +käme+!) „Wenn er doch bald
+schreiben würde+!“ (statt: Wenn er doch bald +schriebe+!) „Wenn ihr
gerechter +sein würdet+ (statt: +wäret+), hättet ihr anders geurteilt“
usw. In den Hauptsätzen, die mit Bedingungssätzen verbunden sind,
können dagegen die Formen mit +würde+ stehen. -- Man unterscheide genau
zwischen +Indikativ+ und Konjunktiv, z. B.: „Dieser Mann verdient
es, daß man ihn +rühmt+“ (es geschieht bereits), und: „Dieser Mann
verdient es, daß man ihn +rühme+“ (es wird nicht ausgesprochen, ob es
geschieht) usw. Namentlich beachte man das Verhältnis der +direkten+
zur +indirekten+ Aussage. Vgl. I, 259 flg.


21. Die Partizipien.

Über die Bildung der Partizipien vgl. I, 58 flg., 176 flg.

~a~) Das +erste Partizip+ steht in +aktiver+ Bedeutung, z. B.: Der
+singende+ Vogel (d. i. der Vogel, welcher +singt+), die +blühende+
Blume (d. i. die Blume, welche +blüht+) usw. -- Ausnahmen sind
Ausdrücke wie: +fahrende+ Habe (d. i. die Habe, welche bewegt +wird+),
die +betreffende+ Person (d. i. die Person, welche +betroffen wird+),
eine +melkende+ Kuh, +schwindelnde+ Höhe, +fallende+ Sucht, +sitzende+
Lebensweise, es findet etwas +reißenden+ Absatz, die +reitende+
Batterie, eine +stillschweigende+ Voraussetzung und einige andere.[14]

~b~) Das +zweite Partizip+ der +transitiven Verben+ steht in +passiver+
Bedeutung, z. B.: der +geschlagene+ Feind (der geschlagen worden
ist), die +besiegte+ Armee (die besiegt worden ist) usw. Das zweite
Partizip +intransitiver+ Verben kann in der Regel nur dann attributiv
gebraucht werden, wenn diese Verben die Formen der Vergangenheit mit
+sein+, nicht mit +haben+ bilden; z. B.: der +verstorbene+ Freund
(der verstorben ist), die +abgebrannte+ Stadt (die abgebrannt ist),
der +umgefallene+ Baum (der umgefallen ist) usw. Doch auch nicht alle
Partizipien, die sich in ein mit +sein+ gebildetes Perfektum auflösen
lassen, können attributiv verwendet werden, vielmehr nur solche,
die einen +Zustand+ bezeichnen, der durch die Handlung herbeigeführt
worden ist, z. B.: ein +entsprungener+ Flüchtling (aber nicht: ein
+gesprungener+ Knabe), ein +aufgegangener+ Stern (aber nicht: ein
+gegangener+ Wandrer), ein +entlaufener+ Hund (aber nicht: ein
+gelaufener+ Hund) usw. -- Ausnahmsweise werden auch von intransitiven
Verben, die ihr Perfektum mit +haben+ bilden, die Partizipien
attributiv gebraucht, z. B. ein pflicht+vergessener+ Mann (der seine
Pflicht +vergessen+ hat), ein +studierter+ Mann (der +studiert+ hat),
ein +erfahrener+ Mann, ein +ausgelernter+ Kaufmann, ein +geschworener+
Feind, ein +bedachter+ Arzt, ein +verschwiegener+ Freund, ein
+verdienter+ Mann usw. Diese Partizipien sind jedoch meist völlig zu
+Adjektiven+ geworden und werden nicht mehr als Partizipien empfunden.
Durch sie werden Wendungen wie: Das +stattgefundene+ Konzert, der viele
Qualen +erlittene+ Dulder, das mich +betroffene+ Unglück u. ähnl., die
aufs schärfste zu verurteilen sind, in keiner Weise gerechtfertigt.
Unerträglich sind solche Bildungen hauptsächlich deshalb, weil das
Partizip mit einem +Objekt+ verbunden ist (+Statt+ finden, +Qualen+
erleiden, es betrifft +mich+), wodurch die verbale Bedeutung dieser
Partizipien in den Vordergrund tritt.

~c~) Über die Komparation der Partizipien vgl. I, 149. Je mehr die
+verbale+ Bedeutung hervortritt, um so weniger ist die Komparation
zulässig. So sagt man: „diese Frage wird immer +brennender+“,
aber nicht: „das Haus wird +brennender+.“ Im ersten Satze ist das
Partizipium in +adjektivischer+ Bedeutung und noch dazu im übertragenen
Sinne gebraucht, während es in der Verbindung „das brennende Haus“
im eigentlichen Sinne steht; dadurch tritt von selbst die +verbale+
Bedeutung in den Vordergrund.

~d~) Wenn das +Partizip+ als Prädikat eines verkürzten Attribut- oder
Adverbialsatzes steht, so bleibt es ungebeugt; es tritt daher in
der Regel zum +Subjekt+ des Hauptsatzes, z. B.: +Erfreut+ über die
empfangenen Eindrücke reiste ich ab. -- Der Not +gehorchend+, nicht
dem eignen Trieb, tret’ ich, ihr greisen Häupter dieser Stadt, heraus
zu euch. +Schiller.+ -- Diese +Ulmen+, mit Reben +umsponnen+, sind
sie nicht Kinder unserer Sonnen? +Schiller.+ -- Doch können diese
Partizipien, wenn ein Mißverständnis oder eine Mehrdeutigkeit der
Beziehung ausgeschlossen ist, auch zu einem +Dativ+ oder +Akkusativ+,
zuweilen auch zu einem +Genitiv+ treten[15], z. B.: Es sollen unsre
Frauen vom ersten Eichenlaub am schönsten Morgen +geflochten dir sie+
(die Bürgerkrone) um die Stirne legen. +Goethe.+ Hier bezieht sich das
Partizip +geflochten+ auf den Akkusativ +sie+, und diese Beziehung
leuchtet ohne weiteres ein, da jede andere Beziehung keinen Sinn geben
würde. Dasselbe gilt von den folgenden Sätzen: Noch +zuckend+, mit des
Panthers Zähnen zerreißen sie des Feindes +Herz+. +Schiller.+ -- Auf
+dieser+ Bank von Stein will ich mich setzen, dem Wanderer zur kurzen
Ruh’ +bereitet+. +Schiller.+ -- Der nackte Leichnam wird gefunden,
und bald, obgleich +entstellt+ von Wunden, erkennt der Gastfreund von
Korinth die +Züge+, die ihm teuer sind. +Schiller.+ -- Doch wo die
Spur, die aus der Menge, +der Völker+ flutendem Gedränge, +gelocket+
von der Spiele Pracht, den schwarzen Täter kenntlich macht? +Schiller.+
Selbstverständlich sind solche Partizipien zu meiden, sobald die
Beziehung mehrdeutig ist und so zu Mißverständnissen führen kann.

  +Anmerkung.+ +Absolute+, mit einem +Akkusativ+ verbundene
  +Partizipien+ finden sich häufig bei unseren Dichtern, z. B.:
  +Angehört den Schimpf des Hauses+, geht gedankenvoll Rodrigo.
  +Herder.+ -- +Schild und Lanze weggeworfen+, fliehn sie über Berg und
  Tal. +Uhland.+ -- Im Felde schleich’ ich still und wild, +gespannt
  mein Feuerrohr+. +Goethe.+ Mit Maß und Besonnenheit angewendet sind
  diese Partizipien von guter Wirkung; sie widerstreben keineswegs der
  deutschen Sprache und haben dieselbe Berechtigung wie die +absoluten
  Akkusative+, z. B.: Sie drangen, +die Hand am Schwerte+, auf mich
  ein. -- Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Möros, den +Dolch im
  Gewande+. +Schiller.+[16]


22. Das Adjektivum.

~a~) Über die Deklination der Adjektive vgl. I, 27 flg., 147 flg.

~b~) +Die Häufung und Einschachtelung+ adjektivischer Attribute
ist zu vermeiden. Tadelnswert sind Sätze wie: In einem feuchten,
übelriechenden, halbdunkeln, abends lichtlosen Kerker, bewacht
von einem rohen, feindseligen, barbarischen Manne, war er der
schrecklichsten und furchtbarsten Verlassenheit anheimgegeben. -- Die
Nachrichten +über die von der vor acht Tagen gehaltenen Versammlung
gefaßten+ Beschlüsse. -- Man lasse in solchen Fällen Attribute weg oder
bilde Nebensätze.

~c~) Man setze das Attribut zu dem Substantiv, zu dem es gehört, z. B.:
ein Glas +guten Weines+ (doch auch, namentlich in der Umgangssprache:
ein +gutes Glas+ Wein) u. ähnl. Man unterscheide: „Der grausame Befehl
des Feldherrn“ und „Der Befehl des grausamen Feldherrn“ usw.

~d~) Wenn ein Attribut zu zwei Substantiven verschiedenen Geschlechts
gehört, so muß es zweimal gesetzt werden, z. B.: großes Glück und große
Wonne (nicht: +großes+ Glück und Wonne), schweres Leid und schwerer
Kummer (nicht: +schweres+ Leid und Kummer), hohe Freude und hohes Glück
(nicht: +hohe+ Freude und Glück) usw.

~e~) Begriffsverhältnisse, die am besten durch eine +Zusammensetzung+,
durch ein +präpositionales+ oder +Genitiv-Attribut+ zum Ausdrucke
kommen, dürfen in der Regel nicht durch +adjektivische Attribute+
wiedergegeben werden. Man sage: das +Hausrecht+ (nicht: das häusliche
Recht), ein +Mönchskloster+ (nicht: ein mönchisches Kloster), ein
+Klostergeistlicher+ (nicht: ein klösterlicher Geistlicher), ein
+Manneswort+ (nicht: ein männliches Wort), +Aufenthalt+ in +England+
(nicht: englischer Aufenthalt), +die Rede des Kriegsministers+ (nicht:
die kriegsministerliche Rede), +die Abreise des Königs+ (nicht: die
königliche Abreise), die Entwickelung der +Rechtswissenschaft+ (nicht:
die rechtswissenschaftliche Entwickelung) usw.

~f~) Tritt ein adjektivisches Attribut zu einem +zusammengesetzten+
Worte, so bezieht es sich immer auf das +Grundwort+ und darf nicht
auf das +Bestimmungswort+ bezogen werden. Falsch ist daher z. B.:
ein seidener Strumpfwirker, ein fertiges Kleiderlager, ein
getrockneter Obsthändler, ein silbernes Hochzeitsgeschenk (statt:
Geschenk zur silbernen Hochzeit), ein wohlriechender Wasserfabrikant,
ein ausgestopfter Tierhändler, ein roter Weintrinker, reitende
Artilleriekaserne usw.


23. Das Pronomen.

~a~) Über die Deklination der Pronomina vgl. I, 37 flg., 159 flg. Vor
die Pronomina +der+, +dieser+, +jener+ tritt oft das Zahlwort +aller+,
+alle+, +alles+, verkürzt: +all+. Sowohl das Zahlwort +aller+ usw., als
die Pronomina werden dann stark dekliniert, z. B.: +alles+ das Glück;
die Freude +aller jener+ Unglücklichen; er verbannte +alle diese+
Verschwörer usw. Man sagt richtig: +alles+ das Glück; oder: +all+ das
Glück usw. Häufig erscheinen auch die Formen: +alle+ das Glück, +alle+
der Jammer, +alle+ der Neid u. ähnl. Nicht nur in Verbindungen wie:
trotz +alle+ dem, bei +alle+ dem, von +alle+ dem u. ähnl. ist dieses
+alle+ gestattet, sondern es ist überhaupt eine alte berechtigte Form.
Das =e= in „+alle+ das Glück“ und ähnlichen Formen ist nämlich nicht
eine Kasusendung, sondern ein alter +Bindevokal+ (ahd. ~a~). Man kann
also sagen: +bei allem dem+, +bei dem allem+, +bei alle dem+. Falsch
ist jedoch: +bei dem allen+.

~b~) Es darf niemals unklar bleiben, +auf welches Substantiv das
Pronomen zu beziehen ist+. Man beachte namentlich folgendes: Das
Pronomen +er+, +sie+, +es+ bezieht sich auf das +Subjekt+ des
vorhergehenden Satzes, das Pronomen +derselbe+ dagegen auf ein anderes
Satzglied. Vgl. hierüber S. 12. Das Pronomen +dieser+ vertritt von den
Substantiven, auf die eine Beziehung stattfindet, immer das +zuletzt
stehende+, während +jener+ auf das +entfernter stehende+ hinweist,
z. B.: Das Nibelungenlied und Gudrunlied sind die bedeutendsten
Volksepen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts; +dieses+ umfaßt
den norddeutschen, +jenes+ den fränkischen, burgundischen, gotischen
und hunnischen Sagenkreis.

~c~) +Das pronominale Subjekt darf nicht ausgelassen werden+
(ausgenommen im poetischen Stile, wo die Auslassung zuweilen von guter
Wirkung ist, z. B.: in den Versen Heines: „Habe schon in jungen Jahren
manches bittre Leid erfahren“). Im Geschäftsstil pflegt gegenwärtig das
Pronomen der ersten Person unterdrückt zu werden, z. B.: „Hierdurch
+teile+ Ihnen die Verlegung meines Geschäftes mit und +übersende+
beifolgend die gewünschten Proben.“ Diese Unsitte ist sehr zu tadeln.
Zuweilen wird das pronominale Subjekt ausgelassen, wenn unmittelbar
vorher ein Kasus obliquus des Pronomens dagewesen ist, z. B.: „+Mir+
geht es +gut+ und +hoffe+ von Dir das gleiche.“[17] Auch in solchen
Fällen ist die Auslassung nicht zu billigen. Störend ist eine solche
Auslassung namentlich in beigeordneten Relativsätzen, z. B.: „Der
Schmuck, +den+ ich sah und mir sehr gefiel“ usw. Der Akkusativ +den+
kann nicht das Subjekt des zweiten Relativsatzes vertreten; der Satz
muß heißen: „Der Schmuck, den ich sah und +der+ mir sehr gefiel.“ Auch
umgekehrt kann nicht der Nominativ den Akkusativ vertreten, ich darf
nicht sagen: „Der Schmuck, der mir sehr gefiel und ich kaufte“, sondern
ich muß sagen: „und +den+ ich kaufte.“[18]

~d~) +Das Relativpronomen muß möglichst nahe bei dem Substantivum
stehen, auf das es zurückweist.+ Nicht gut ist also der Satz: „Deine
Worte wecken mannigfache Sorgen in meiner Brust, +die mich zu Taten
aufstacheln+“ (statt: Deine Worte, die mich zu Taten aufstacheln
usw.). Doch hüte man sich, den regierenden Satz in unschöner Weise zu
zerreißen: z. B.: Ich rate dir, dem Beispiel, +das dir dein Freund
gibt+, zu folgen. Besser: Ich rate dir, dem Beispiel zu folgen, das dir
dein Freund gibt.

~e~) +Das Substantiv, auf das sich ein Pronomen bezieht, muß
wirklich vorhanden sein und darf nicht bloß aus dem Zusammenhange
ergänzt werden.+ Falsch ist z. B.: „+Die Fischerei+ ist in Rußland
sehr wichtig, alle Gewässer wimmeln von +diesen Tieren+.“ -- „Der
lateinische +Sprach+gebrauch läßt das nicht zu; denn +diese+ (d. i. die
lateinische Sprache) fordert vor allem Bestimmtheit des Ausdrucks.“[19]

~f~) Man setze nicht anstatt des +Relativpronomens+ ein persönliches
oder hinweisendes Fürwort, oder anstatt des relativen Pronominaladverbs
ein demonstratives, z. B.: Die Taube, nach der der Jäger oft geschossen
und +sie+ (statt: und +die+ er) niemals getroffen hat. -- Der Hut, den
sie gerade bog und +seine+ Bänder (statt: und +dessen+ Bänder sie)
durch die Finger gleiten ließ. -- Die Federn, die im Winde verfliegen
oder die jungen Vögel sie auffangen und ihre Nester +mit+ ausfüttern
(statt: oder +die+ die Vögel auffangen und +womit+ sie ihre Nester
ausfüttern). -- Mein Pferd, +wo ich darauf+ reite (statt: +auf welchem+
oder +worauf+ ich reite). -- Die Angelegenheit, wo ich +davon+ sprach
(statt: +von welcher+ oder +wovon+ ich sprach).

~g~) Über den Gebrauch der relativen, demonstrativen und interrogativen
Pronominaladverbien, sowie des Relativpronomens +was+ vgl. I, 177, 42,
198.


24. Das Adverbium.

Die +Adverbien dürfen nicht als adjektivische Attribute gebraucht
werden+. Man sage daher nicht: ein +entzweies+ Kleid, ein +zues+
Fenster, ein +neuliches+ Gerücht, ein +rechter+ brauchbarer Arbeiter
(statt: ein +recht+ brauchbarer Arbeiter), ein +rechtes+ gutes Kind
(statt: ein +recht+ gutes Kind), eine +ganze+ treffende Antwort (statt:
eine +ganz+ treffende Antwort), einige +anscheinende+ Betrunkene
(statt: +anscheinend+ Betrunkene) usw. -- Zwar werden einige Adverbien
auf +-lich+ und auf +-weise+ häufig adjektivisch gebraucht, z. B.: der
+wahrscheinliche+ Ausgang des Prozesses, eine +stufenweise+ Besserung,
eine +teilweise+ Abänderung, eine +zeitweise+ Benachrichtigung
u. ähnl., doch ist der im übrigen völlig eingebürgerte attributive
Gebrauch auch dieser Adverbien in höherer, nicht geschäftsmäßiger
Sprache nicht zu empfehlen. Von den mit +-weise+ zusammengesetzten
Adverbien werden übrigens nur diejenigen attributiv verwendet,
die mit +Substantiven+ zusammengesetzt sind, z. B.: tropfenweise,
gesprächsweise, stückweise usw., während die mit +Adjektiven+
zusammengesetzten einen solchen Gebrauch auch in der Umgangssprache
nicht zulassen. Man sagt niemals: die +möglicherweise+ Ankunft, das
+merkwürdigerweise+ Schweigen, das +unachtsamerweise+ Fortgehen usw.


25. Präpositionale Ausdrücke.

~a~) +Das Zusammenstoßen zweier Präpositionen ist zu meiden+, da es
den Satz unschön und unübersichtlich macht, z. B.: Ein unglückliches
Buch hat Sie +auf für+ uns undenkbare Gedankenverbindungen gebracht
(statt: auf Gedankenverbindungen, die für uns undenkbar sind). -- Soll
sich ein aus dem Felde heimkehrender Soldat +von zu+ Hause gebliebenen
Stubenhockern schelten lassen? (statt: von Stubenhockern, die zu Hause
geblieben sind). -- +Von an+ der Ausführbarkeit Zweifelnden wird uns
geschrieben usw.

~b~) +Mehrere Präpositionen, die verschiedene Kasus regieren, dürfen
nicht auf ein Wort gemeinsam bezogen werden, wenn das Wort verschiedene
Formen für die betreffenden Kasus hat.+ Man kann ohne Anstoß sagen:
+mit+ oder +ohne+ Waffen, +in+ und +um euch+, +mit+ oder +ohne uns+
u. ähnl., weil „Waffen, euch, uns“ sowohl Dative, als auch Akkusative
sein können. Falsch ist dagegen: +mit+ oder +ohne+ den Fürsprecher
(statt: +mit dem+ Fürsprecher oder +ohne ihn+), in oder +um den+ Wald,
+mit+, +in+ und +für die+ Phantasie (Rud. Gottschall) usw.

~c~) +Man läßt den Kasus, der von der Präposition regiert wird, am
besten unmittelbar auf diese folgen und vermeidet es, andere Kasus,
die von einem Partizipium regiert werden, einzuschieben.+ Hart klingen
Sätze wie die folgenden: „+Von mir bekannten+ Bewohnern des Ortes wurde
ich benachrichtigt“ (statt: Von +einigen+ mir bekannten Bewohnern,
oder: Von Bewohnern des Ortes, +die+ mir bekannt waren). -- „+Durch
mich anklagende Worte+ hat er mich verletzt“ (statt: Durch +seine+
mich anklagenden Worte, oder: Durch +diese+ mich anklagenden Worte).
-- „Mit +keine Unklarheit+ übrig lassender Bestimmtheit“ (statt: Mit
+einer+ keine Unklarheit usw., oder: Mit einer Bestimmtheit, die keine
Unklarheit übrig ließ) usw.

~d~) +Eine und dieselbe Präposition darf nicht zur gemeinsamen
Verknüpfung mehrerer Worte mit einem Objekt oder Attribut verwendet
werden, wenn sie nicht zur Verknüpfung jedes einzelnen Wortes mit dem
betreffenden Objekt oder Attribut genau paßt.+ Falsch ist z. B.: Der
Kampf und Sieg +über den Feind+ (statt: Der Kampf mit dem Feinde und
der Sieg über ihn); die junge Mannschaft bewegte teils +Furcht+, teils
+Hoffnung auf+ den Krieg (statt: teils Furcht +vor dem+ Kriege, teils
Hoffnung +auf+ ihn) usw.

~e~) Die +Häufung präpositionaler Ausdrücke+ ist zu meiden. Schon
die Wiederholung derselben Präposition ist nicht gut, z. B.: „Durch
einen Schuß +durch+ das Bein wurde er kampfunfähig“ (besser: Ein Schuß
durch das Bein machte ihn kampfunfähig). -- „Es verrät einen Mangel
+an+ Glauben +an+ Gott“ (besser: einen Mangel an Gottesglauben). --
„Hier spricht die Fürsorge +für+ das eigene Wohl +für+ den Gegner“
(besser: zugunsten des Gegners). -- „Der Wunsch +nach+ dem Fortleben
+nach+ dem Tode beseelt die Menschen“ (besser: Der Wunsch, nach dem
Tode fortzuleben) usw. -- Noch anstößiger und für einen gebildeten
Hörer oder Leser geradezu unerträglich sind Häufungen präpositioneller
Fügungen, die mit einer Einschachtelung von Satzgliedern verbunden
sind: z. B.: „Der Papst hat +gegen+ die +bei+ der +gegen+ den Schweizer
Konsul gemachten Demonstration beteiligten Individuen eine strenge
Untersuchung einleiten lassen.“ -- „Er hat +in+ dem +von+ ihm +unter+
der bekannten Chiffre +für+ die Allgemeine Zeitung verfaßten Artikel
das Gegenteil behauptet“ usw. -- Aber auch sonst sind Häufungen
präpositionaler Ausdrücke zu tadeln, z. B.: „+Durch+ den Hinweis
+aus+ kaiserlichem Munde +auf+ den vorjährigen Weihnachtsabend +in+
Feindesland und +auf+ den diesjährigen +am+ heimischen Herde ward die
Erinnerung an jene Zeit in allen recht lebendig“ u. ähnl.


26. Als und wie.

+Als+ steht: ~a~) +gleichstellend+, z. B.: Er starb +als Jüngling+,
+als Greis+; ich spreche +als Freund+ mit dir u. ähnl. Als bezeichnet
hier die völlige Wesenseinheit, die Einerleiheit; im Gegensatz dazu
deutet wie nur die +Ähnlichkeit+ an. Man unterscheide: „Er sprach +als
Freund+ zu mir“ und: „Er sprach +wie ein Freund+ mit mir.“ Treffend
sagt Goethe: „Vom Schiff aus behandelte man sie (die Delphine) nicht
+als+ Geleitsmänner (die sie doch waren) sondern +wie+ Feinde (die sie
nicht waren).“

~b~) +erklärend+, z. B.: „Alle Übel des Erdenlebens, +als+ Armut, Not,
Krankheit usw., hatte er kennen gelernt.“ Hier kann auch +wie+ oder
+nämlich+ gebraucht werden, z. B.: Einige Tiere, +wie+ das Pferd, die
Kuh, der Hund u. a., leisten dem Menschen große Dienste.

~c~) +vergleichend+. Man merke folgende Regel: +Nach Komparativen+
steht +als+, nach dem +Positiv+ dagegen, überhaupt zur Bezeichnung
der bloßen Gleichheit oder Ähnlichkeit steht +wie+. Man sagt richtig:
schwerer +als+ Blei, er ist größer +als+ du; grün +wie+ Gras, er ist
schlank +wie+ eine Tanne, er ist +so schlank wie+ eine Tanne, er ist
ebenso groß +wie+ ich (doch ist hier auch zulässig: er ist ebenso groß
+als+ ich).[20]

~d~) +ausschließend+ (nach Verneinungen). Nach verneinenden Wörtern
steht +als+, nicht +wie+. Daher sagt man richtig: +Niemand als+ du
kann das getan haben, er redet +anders+, +als+ er denkt (nicht: +wie+
er denkt), ich wünsche +nichts als+ Ruhe usw. Nicht zu verwechseln ist
hiermit die Konstruktion: Niemand hat gekämpft +wie+ du u. ähnl. Hier
gehört die Konjunktion nicht zu +niemand+, sondern zum Verbum. +Niemand
als du hat gekämpft+, d. h. du allein hast gekämpft; +niemand hat
gekämpft wie du+ dagegen heißt: es kämpften noch viele außer dir, aber
keiner +so tapfer+ (oder so ausharrend u. ähnl.) +wie+ du.

~e~) +Das Zusammenstoßen zweier+ =als= +ist zu meiden+. Man gebraucht
dann besser das alte vergleichende +denn+, z. B.: Lieber betteln,
+denn als+ Gaukler (nicht: als als Gaukler) sein Brot verdienen. Er
erschien mehr als Freund, +denn+ als Feind.


27. Wortstellung.

Die Wortstellung hat für die schriftliche Darstellung dieselbe
Bedeutung wie der Redeton für den mündlichen Vortrag. Eine falsche
Wortstellung verletzt genau so wie eine falsche Betonung.

~a~) Man vermeide alles +Gezwungene+ und +Unnatürliche+ in der
Wortstellung. Nicht gut ist die Wortstellung z. B. in folgenden
Sätzen: „Er bequemte sich, für gute Zahlung +mit Blumen und Früchten+
manche Abteilung zu verzieren“ (statt: manche Abteilung mit Blumen
und Früchten zu verzieren). -- „Diesmal ward +um+ Mitternacht
+eine außerordentliche Sitzung+ auf den anderen Morgen durch den
Gerichtsboten angesagt“ (statt: durch den Gerichtsboten eine
außerordentliche Sitzung angesagt). -- „Christen, die aus eigener
Erkenntnis es sind“ (statt: die es aus eigener Erkenntnis sind).

~b~) Man vermeide +nachklappende+ Satzteile. Unschön sind in schlichter
Prosa Sätze wie: „Dieser neue Kummer hat tief gebeugt +das greise
Haupt+“ (statt: das greise Haupt tief gebeugt). -- „Er war dein Gast
und hatte sich gesetzt +an deinen Herd+.“ Nur bei großem Schwung der
Rede oder in poetisch gefärbter Prosa ist ein solches Nachsetzen der
näheren Bestimmung gestattet; man vgl. z. B. Fichtes Reden. -- Durchaus
verwerflich ist jedoch eine Wortstellung wie die folgende: „Ich nahm
von meinen Freunden dankbar alles, was mir angeboten, gegeben, nein
aufgedrängt wurde, +an+.“

~c~) Man ordne namentlich die +Adverbialbestimmungen+ an rechter
Stelle ein, um so Zweideutigkeiten zu vermeiden. Falsch ist z. B. die
Wortstellung in den Sätzen: „Ich bitte mein Ausbleiben +höflichst+
entschuldigen zu wollen“ (statt: Ich bitte höflichst, mein Ausbleiben
entschuldigen zu wollen). -- „Der Präsident zeigt das Ableben des
Abgeordneten des dritten Wahlbezirks +nach dreitägiger Krankheit+ an“
(statt: das nach dreitägiger Krankheit erfolgte Ableben) usw.

~d~) +Negationen+ und hervorhebende +Partikeln+ stehen in der Regel
unmittelbar vor oder nach dem Worte, das verneint oder hervorgehoben
werden soll, z. B.: +Nicht+ euer Mut macht mich staunen, sondern eure
Keckheit. -- +Auch+ ich war in Arkadien geboren. -- Man unterscheide:
+Ich wenigstens+ hoffe noch darauf. Ich +hoffe wenigstens+ noch darauf.
+Wenigstens darauf+ hoffe ich noch. -- +Ich selbst+ habe es dir gesagt.
Ich habe es +dir selbst+ gesagt. -- +Ich allein+ habe dich verteidigt
(kein anderer). Ich habe +dich allein+ verteidigt (deine Genossen nicht
mit).

~e~) Man vermeide die Umstellung des Subjekts nach +und+. Häßlich
klingen Sätze wie: Der Dichter war an diesem Orte geboren, und +fanden
seine Werke+ dort die ersten begeisterten Verehrer (statt: und +seine
Werke fanden+). Nur im Volkstone, z. B. in Märchen, Sagen, ist diese
Umstellung gestattet (vgl. z. B. Grimms Märchen); sie ist altes
deutsches Sprachgut, wie etwa die doppelte Verneinung, und unterliegt
daher der nämlichen Beurteilung.


~D.~ Stilistik des zusammengesetzten Satzes.


28. Der Bau der Sätze im allgemeinen.

Jeder Satz soll +übersichtlich+ und +wohllautend+ sein. Man beachte
bei allen Sätzen: ~a~) ihre +Form+, ~b~) die Art ihrer +Verknüpfung+,
~c~) ihre +Stellung+, ~d~) ihren +Rhythmus+. Nur wenn nach allen diesen
Seiten hin der Satz keinen Anstoß erregt, kann er als stilistisch
tadellos bezeichnet werden.


29. Form der Sätze.

~a~) Hauptgedanken erhalten die Form von +Hauptsätzen+, Nebengedanken
die Form von +Nebensätzen+. Gegen diese Regel wird häufig dadurch
gefehlt, daß ein Hauptgedanke in Form eines +Relativsatzes+ einem
anderen Satze angefügt wird, und daß umgekehrt einem Nebensatze ein
+Hauptsatz+ (statt eines Nebensatzes) beigeordnet wird. Zu tadeln sind
demnach Sätze wie die folgenden: „Gestern brach in dem Hauptgebäude
des Schlosses Wilhelmshöhe, das jetzt vom Kaiser bewohnt wird, Feuer
aus, +das aber durch schleunige Hilfe wieder gelöscht wurde+“ (statt:
wurde aber durch schleunige Hilfe wieder gelöscht). -- „Der König,
der uns diese Verfassung gegeben hat, und +er hat sich derselben auch
untergeordnet+“ (statt: gegeben und sich derselben auch untergeordnet
hat). -- „Hier ragten zwei Felsen empor, von denen der eine kahl war;
+der andere war mit Gestrüpp bewachsen+“ (statt: von denen der eine
kahl, der andere mit Gestrüpp bewachsen war). -- Doch kann man einem
Nebengedanken, +wenn er hervorgehoben werden soll+, die Form eines
+Hauptsatzes+ geben. So kann ich dem Satze: „Wir verehren diesen Mann,
weil er unserem Vaterlande eine Achtung gebietende Stellung gegeben
hat“, auch folgende Form geben: „Wir verehren diesen Mann, +denn er hat
unserem Vaterlande eine Achtung gebietende Stellung gegeben+.“ Durch
diese Umänderung erhält der Nebengedanke besonderes Gewicht.

~b~) Man strebe nach +Ebenmaß+ in der Form der Sätze. Die wichtigste
Regel ist hier folgende: Einander entsprechende Satzglieder (z. B.:
Subjekt und Prädikat mit ihren Bestimmungen) oder Sätze (z. B.:
beigeordnete oder parallele Haupt- und Nebensätze) müssen annähernd
+gleichen Umfang+ und möglichst +gleiche grammatische+ Form haben. Da
das Prädikat in der Regel den Hauptton trägt, so muß es mit seinen
Bestimmungen meist größeren Umfang als das Subjekt haben, z. B.: „+Ich
höre staunend die Gewalt des Mundes, der mir von je so unheilbringend
war.+“ Das Tonverhältnis würde daher unschön sein, wenn das Prädikat
+geringeren+ Umfang hätte als das Subjekt, z. B.: „Der liebliche, von
Blume zu Blume flatternde Schmetterling, ein Meisterwerk der Natur,
ein kleines Wunder der Schöpfung, dessen kurze Lebenstage munterem
Tändeln gewidmet sind, +erfreut uns+.“ Ebenso darf das Prädikat, wenn
es oft auch größeren Umfang als das Subjekt haben muß, doch nicht
+unverhältnismäßig+ erweitert sein, wie in folgendem Satze: „Die
Gemsenjagd ist +ein gefährliches, schwindelfreien Kopf, kühnen Mut,
gute Lungen und ausdauernde Muskelkraft erforderndes, gerade darum aber
von gesunden, kräftigen Menschen begehrtes Vergnügen+“ (statt: Die
Gemsenjagd ist ein gefährliches Vergnügen; es erfordert schwindelfreien
Kopf usw. Gerade darum aber wird es von gesunden, kräftigen Menschen
gern aufgesucht). -- Gleichmäßige grammatische Form haben die Sätze in
folgender Periode: „So übt der Mensch in der Jugend seine Kräfte, damit
er im Kampfe des Lebens nicht unterliege; so zieht er schwere Arbeit
dem leichten Spiele vor, damit er des Lebens Preis erjage.“ Zu tadeln
wäre es, wenn hier im zweiten Teile des Satzbildes +auf diese Weise+
statt so, oder +auf daß+ statt +damit+ gesetzt würde. Durch schönes
Gleichmaß der Form zeichnen sich folgende Sätze aus: „Das Buch war das
beste, das ihnen die angenehme Ruhe ließ, im Lesen wenig zu denken, das
ihnen das Vergnügen schaffte, hier und da ein Blümchen zu finden, ohne
sich bücken zu dürfen, das sie in den süßen Traum einwiegte, das hier
zu lesen, was sie selbst schon gedacht zu haben glaubten.“ +Herder.+
-- „Ihr Blick und alles, was Sie umgibt, zeigt mir, daß Sie sich Ihres
vergangenen Lebens freuen können, daß Sie auf einem reinen schönen Wege
in einer sicheren Folge gegangen sind, daß Sie keine Zeit verloren,
daß Sie sich nichts vorzuwerfen haben.“ +Goethe.+ -- Ganz besonders
fehlerhaft ist es, wenn von zwei beigeordneten Satzgliedern das eine
als bloßes Satzglied, das andere als Nebensatz dargestellt wird, z. B.:
„Er gönnte sich Tag und Nacht keine Ruhe +aus Ehrgeiz+ und +weil er
nach Reichtum+ strebte.“ Ebensowenig darf man einen vollständigen
Nebensatz einem verkürzten oder einer Apposition beiordnen, z. B.: „Der
Dichter hat uns hier mit einem Werke beschenkt, +so eigenartig, so
ganz dem Geiste unserer Sprache und unseres Volkes entsprechend+, +und
in welchem+ sich kühner Schwung der Rede mit hohem Fluge des Geistes
paart.“

~c~) Dagegen muß +jeder untergeordnete+ Satz +anders+ gebaut sein,
als der ihm zunächst +übergeordnete+. +Verschiedenheit+ der Form
ist hier ebenso unbedingtes Erfordernis wie bei parallelen oder
beigeordneten Sätzen +Gleichartigkeit+ der Form. So ist es zu tadeln,
wenn zwei konjunktionale Objektsätze, von denen der eine dem anderen
untergeordnet ist, gleichmäßig mit daß eingeleitet oder durch den
+bloßen Konjunktiv+ angeknüpft sind, z. B.: „Ich habe mich bemüht zu
zeigen, +daß+ der Charakter der vollkommen gebildeten Sprachen dadurch
bestimmt wird, +daß+ die Natur ihres Baues beweist, +daß+ es dem Geist
nicht bloß auf den Inhalt, sondern vorzüglich auf die Form der Gedanken
ankommt.“ -- „Mein Freund ließ mir sagen, er habe soeben gehört, mein
Heimatsort sei durch eine Feuersbrunst eingeäschert worden“ (statt: er
habe gehört, +daß+ mein Heimatsort eingeäschert worden sei). Tadellos
ist dagegen der Satz: „Man hoffte, er würde erkennen, daß seine
Stellung unhaltbar geworden sei.“ -- Überhaupt strebe man bei der
Unterordnung nach möglichster Abwechselung nicht nur in der +Form+,
sondern auch in der +Art+ der Nebensätze. So ist der folgende Satz
anstößig, weil die aufeinander folgenden untergeordneten Sätze immer
wieder Attributsätze sind: „Die versammelten Zuschauer erhoben ein
Gebrüll der getäuschten Rachsucht, +welches+ demjenigen zu vergleichen
ist, +das+ der Tiger ausstößt, +dem+ sein Wächter die Speise fortreißt,
+welche+ er eben verschlingen wollte.“

~d~) Man setze überhaupt die +Unterordnung+ nicht durch eine zu
+lange Reihe von Gliedern fort+, auch dann nicht, wenn die Nebensätze
verschiedener Art sind. Schlecht gebaut ist z. B. der folgende Satz:
„Die Leichtigkeit, mit welcher schnell eine nicht geringe Zahl
bedeutender Kunstwerke auf +einen+ Platz versammelt worden, zeigt
zur Genüge, +wieviel+ Vortreffliches Berlin in sich faßt, +das+,
bei Privatpersonen zerstreut, nur diesen und den in jene Familien
eingeführten Personen bekannt, dennoch dazu geeignet wäre, die Mehrzahl
des kunstliebenden Publikums zu erfreuen, +welches+, um sich an der
Vereinigung der königlichen Kunstschätze zu ergötzen, den vollendeten
Bau des Museums erwarten muß; +daher+ es gewiß sehr zu wünschen wäre,
+daß+ ein ähnliches festbestehendes Lokal zuvörderst sich hier befände,
+wo+ Besitzer schätzbarer Gemälde und Kunsthändler das Beste aus ihren
Sammlungen zur Kenntnis des Publikums bringen, besonders aber auch die
Künstler Berlins ihre zuletzt vollendeten Arbeiten aufstellen lassen
möchten, +um+ dadurch sowohl Raum für die neu angefangenen in ihren
Ateliers, als mehr noch eine kostbare Zeit zu gewinnen, +welche+ durch
die Verpflichtung verloren geht, täglich diejenigen +zu empfangen,
welche+ neugierig zu einem oder dem anderen bekannt gewordenen Werke
ihres Pinsels wallfahrten.“ +A. v. Helwig.+

~e~) +Gleichförmiger+ Bau mehrerer Sätze, die +aufeinander folgen+, ist
zu vermeiden. Anstößig ist es namentlich, wenn die Sätze immer wieder
mit demselben Subjekt beginnen, z. B.: „Der +Tiger+ ist ein prächtiges
Tier, anmutig in seinen Bewegungen, aber von niedriger, grausamer
Gemütsart. Er hat einen auf kurzen Beinen ruhenden Körper, wildrollende
Augen und eine feuerrote Zunge, die er stets weit aus dem Rachen
hervorstreckt. Er hat keinen anderen Instinkt als eine beständige Wut,
einen blinden Grimm. Er wartet im Rohrdickicht, am Ufer der Seen und
Flüsse auf die zur Tränke kommenden Tiere. Er sucht sich seine Beute
aus oder vervielfältigt vielmehr seine Morde.“ (Besser: Der Tiger ist
ein prächtiges Tier usw. +Sein Körper+ ruht auf kurzen Beinen; die
wildrollenden Augen und die feuerrote Zunge, die dieser Tyrann der
indischen Wälder stets weit aus dem Rachen hervorstreckt, bekunden
seine unersättliche Blutgier. Er hat keinen anderen Instinkt, als eine
beständige Wut usw. Im +Rohrdickicht+, am Ufer der Seen und Flüsse
wartet er usw. +Dort+ sucht er sich seine Beute aus usw.)


30. Art der Verknüpfung.

~a~) Für die +Zusammenziehung+ zweier Sätze gilt folgende Regel: Zwei
Sätze dürfen nur dann zusammengezogen werden, wenn die Begriffe,
die bei der Zusammenziehung nur +einmal+ gesetzt werden, sowohl dem
+Inhalte+ als auch der +grammatischen+ Form nach in beiden Sätzen
völlig dieselben sind. So sind folgende Zusammenziehungen falsch,
weil der +Inhalt+ verschieden ist: „Der Knabe wird sechs Jahre alt,
jetzt in die Schule geschickt und zunächst lesen lernen“ (das Verbum
+werden+ muß wiederholt werden; denn es ist das erstemal selbständiges
Verbum, das zweitemal [wird geschickt] Hilfsverbum zur Bildung des
Passivs, das drittemal [wird lernen] Hilfsverbum zur Bildung des
Futurums). -- „Der Kaufmann +hatte+ sein ganzes Vermögen verloren
und nur noch ein Haus in seiner Heimat“ (+hatte+ ist das erstemal
Hilfsverbum, das zweitemal selbständiges Verbum in der Bedeutung
+besitzen+). -- In folgenden Sätzen ist die +grammatische Form+ nicht
dieselbe: „Das erst ist die vollkommene Freiheit, +einen Herrn+ weder
zu haben noch zu sein“ (statt: weder einen Herrn zu haben, noch ein
Herr zu sein). -- „Der Brief, +der+ heute früh angekommen ist und ich
sofort gelesen habe.“ -- Vgl. S. 40. -- Ferner gilt als Regel, daß
die zusammengezogenen Begriffe nicht +ungleichartig+ seien, wie etwa
in dem Satze: „Alle Georgier sind Christen, von Adel oder Bauern und
geneigt zur Trunkliebe, gute Jäger und dem Erdbeben ausgesetzt.“ Auf
solcher Zusammenstellung von Ungleichartigem beruhen vielfach die Witze
Heinrich Heines.

~b~) +Beigeordnete+ Nebensätze müssen durch +dasselbe Pronomen oder
dieselbe+ Konjunktion mit dem Hauptsatze verbunden werden. Zwei
einander beigeordnete Relativsätze müssen z. B. beide mit +der+ oder
beide mit +welcher+ eingeleitet werden. „Schon mancher Reisende ist
ein Opfer der grausigen Schneewirbel geworden, +die+ der Sturm in
den Hochpässen umhertreibt und +die+ (nicht +welche+) den Wandrer
namentlich im Winter überraschen.“ Nicht gut ist der Satz: „Man suchte
zu erforschen, +wie+ der Schnee entstünde, +auf welche Art+ (besser:
+wie+) seine Kristalle sich zusammenfügten“ usw. Vgl. S. 46.

~c~) Nebensätze, von denen der eine dem anderen untergeordnet ist, sind
so viel als möglich durch +verschiedene+ Konjunktionen einzuleiten.
Von zwei Bedingungssätzen, die im Verhältnis der Unterordnung
zueinander stehen, würde z. B. am besten der eine mit +wenn+, der
andere mit +falls+ zu beginnen sein, z. B.: „Es ist immer rührend,
+wenn+ auch der schwache Nestor sich dem ausfordernden Hektor stellen
will, +falls+ kein jüngerer und stärkerer Grieche mit ihm anzubinden
sich getraut.“ +Lessing.+ -- Stehen zwei Relativsätze im Verhältnis
der Unterordnung zueinander, so wendet man abwechselnd +der+ und
+welcher+ zur Verknüpfung an, z. B.: „Er (Ignatius Loyola) hatte die
unbeschränkte Leitung einer Gesellschaft in Händen, auf +welche+ ein
großer Teil seiner Intuitionen überging, +welche+ ihre geistlichen
Überzeugungen mit Studium auf dem Wege bildete, auf +dem+ er sie durch
Zufall und Genius erworben hatte; +welche+ zwar seinen jerusalemischen
Plan nicht ausführte, +bei dem+ sich nichts erreichen ließ, aber
übrigens zu den entferntesten, erfolgreichsten Missionen schritt und
hauptsächlich jene Seelsorge, +die+ er immer empfohlen, in einer
Ausdehnung übernahm, +wie+ er sie niemals hatte ahnen können; +welche+
ihm endlich einen zugleich soldatischen und geistlichen Gehorsam
leistete.“ +Leopold von Ranke.+ Zu tadeln sind demnach Sätze wie die
folgenden: „Der Fremde, +welcher+ das Haus, in +welchem+ (statt:
+in dem+) er seine Kindheit verlebt hatte, wieder betrat.“ -- „Ein
Bedienter, +der+ lange Zeit treu und redlich einem Herrn gedient, +der+
aber nun gestorben ist (statt: +welcher+ nun gestorben ist), sucht ein
anderweitiges Unterkommen.“


31. Stellung der Sätze.

~a~) Die +Objektsätze+ und +Adverbialsätze folgen+ in der Regel dem
Hauptsatze +nach+; nur wenn sie +hervorgehoben+ werden sollen, erhalten
sie ihre Stellung +vor+ dem Hauptsatze. Regelmäßig: „Ich sehe, daß ihr
meiner nicht bedürft.“ „Wie wurde mir, als ich ins Innere der Kirche
trat.“ Inversion: „Daß er betrogen ist, kann er nicht sehen; daß sie
Betrüger sind, kann ich nicht zeigen.“ „Wohin er tritt, glaubt er von
Feinden sich umgeben.“ „Und wie er sitzt und wie er lauscht, teilt sich
die Flut empor.“

~b~) +Attributsätze+ stehen in der Regel unmittelbar nach dem Worte,
das durch sie näher bestimmt wird, z. B.: „Die Hoffnung, daß sie
endlich doch den Sieg über ihre Bedrücker erringen würden, erhielt
unsere Vorfahren in schwerer Lage aufrecht.“ Andere Beispiele s. S. 40.

~c~) +Subjektsätze+ stehen in der Regel vor dem Hauptsatze, z. B.:
„Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.“ Nachgestellt wird der
Subjektsatz, 1. wenn er einen weit +größeren Umfang+ hat als der
Hauptsatz, z. B.: „Daß er das Gute will, ist außer Zweifel; aber leider
ist es ebenso gewiß, +daß+ geistige Beschränktheit ihn verkehrte
Mittel zu guten Zwecken ergreifen und Schwäche des Willens ihn auch
ergriffene rechte Mittel nicht durchführen läßt“; 2. wenn der Hauptsatz
+hervorgehoben+ werden soll, z. B.: „Es ist +so schwer+, im Freunde
sich verdammen.“ „Ganz +unleidlich+ ist’s, was wir erdulden“; 3. wenn
der Hauptsatz ein +Fragesatz+ ist, z. B.: „Ist’s denn so nötig, daß er
sich entfernt?“

~d~) +Zwischensätze+ dürfen nicht zu +lang+ sein. Nicht gut ist z. B.
der Satz: „Der Brocken, welcher die höchste Erhebung des Harzes
bildet und schon während des ganzen Mittelalters wohl bekannt war
und namentlich in der Sage eine große Rolle spielte, aber noch nicht
von fröhlichen Wanderern, sondern höchstens von unheimlichen Hexen
bestiegen wurde, gewährt selten eine gute Fernsicht.“ Der Zusammenhang
des übergeordneten Satzes wird hier durch den Zwischensatz fast
aufgelöst. Sind lange Zwischensätze nicht zu vermeiden, so muß nach
Beendigung des Zwischensatzes der übergeordnete Satz von neuem begonnen
werden, z. B.: „Daß die Vorsteher jener helvetischen Republiken weder
den Herrn Linguet noch seine Annalen für wichtig genug gehalten, sich
um ihretwillen auch nur der geringsten Unannehmlichkeit auszusetzen,
die daraus hätte erfolgen können, +wenn Blätter+, worin nicht nur so
viele öffentliche Korps und Gesellschaften in Frankreich aufs heftigste
angegriffen werden, sondern selbst über Nationen, Könige, Fürsten
und öffentliche Welthändel mit zynischer Freiheit ins Gelag hinein
räsoniert wird, +wenn, sage ich, Blätter+ dieses Schlages öffentlich
aus einer helvetischen Druckerei hervorgegangen wären.“ +Wieland.+

~e~) Wenn ein +Nebensatz in einen anderen eingeschoben+ wird, so darf
+er nicht gleich nach der Konjunktion+ des übergeordneten Satzes
eingeschaltet werden, sondern es muß mindestens +ein den Inhalt+
andeutendes Satzglied (Subjekt, Objekt usw.) voraufgegangen sein. Nicht
gut ist daher der Satz: „Es genügt, +wenn+, da der Geist immer unbewußt
danach verfährt, er für jeden einzelnen Teil einen solchen Ausdruck
findet, der ihn wieder einen anderen mit richtiger Bestimmtheit
auffassen läßt.“ Richtig ist dagegen der Satz: „Wie glücklich war ich,
daß tausend kleine Vorgänge zusammen, +so gewiß als+ das Atemholen
Zeichen meines Lebens ist, mir bewiesen, daß ich nicht ohne Gott auf
der Welt sei.“ +Goethe.+ Ist ein Nebensatz in einen +Relativsatz+
eingeschoben, so kann er unmittelbar auf das Relativpronomen folgen, da
das Relativpronomen nicht bloß zur Verknüpfung dient, sondern zugleich
ein wichtiges Satzglied im Relativsatze bildet. Tadellos ist daher der
Satz: „Jeder hat etwas in seiner Natur, +das, wenn+ er es öffentlich
ausspräche, Mißfallen erregen müßte.“ +Goethe.+

~f~) Adverbialsätze dürfen +nicht+, wie im Lateinischen, +unmittelbar
nach dem Subjekte+ des Hauptsatzes stehen. Fehlerhaft sind daher die
Sätze: „Orgetorix, +nachdem+ er sich des Adels versichert, kam in die
Gemeinde der Eidgenossen.“ „Der Major, +als+ er in sein Zimmer trat,
fühlte sich wirklich in einer Art von Taumel“ usw.

~g~) +Konditionalsätze+, die die Form eines Fragesatzes haben, müssen
immer dem Hauptsatze vorangehen, z. B.: „+Ist sie begeistert und von
Gott gesandt+, wird sie den König zu entdecken wissen.“ +Schiller.+
Falsch dagegen: „Jede Form, wie köstlich auch immer ihr Inhalt sei,
+hat sie einmal ihre Zeit überlebt+, kann so wenig als der Leichnam
eines Menschen wieder erweckt werden.“

~h~) +Einschachtelung von Nebensätzen ist zu vermeiden.+ Zu tadeln
sind Sätze wie die folgenden: „Christliche Prediger, die sich durch
den Ernst, mit welchem sie sich mit den inneren Kämpfen des religiös
bewegten Lebens beschäftigten, auszeichneten, waren willkommen.“ --
„Die Gesetze der Schwere, wie sie Newton und andere große Astronomen,
welche dadurch einen Ruf, der bis in die Ewigkeit dauern wird, erlangt
haben, aufstellen, sind jetzt allgemein bekannt.“

~i~) Nebensätze, die einander +beigeordnet sind+, müssen immer
+unmittelbar nebeneinander+ stehen, sie müssen also entweder beide
Vordersätze oder beide Zwischensätze oder beide Nachsätze sein.
Fehlerhaft ist z. B. der Satz: „+Daß er der Heimat nahe sei+, ward ihm
jetzt immer deutlicher, +und daß ihm große Freude bevorstehe+.“


32. Rhythmus des Satzes.

Der Rhythmus des Satzes beruht auf dem Wechsel stärker und schwächer
betonter Satzglieder und Sätze. Je wichtiger ein Begriff oder ein
Gedanke ist, desto stärker ist seine Betonung. Der Rhythmus wird nur
dann ein wohlgefälliger sein, wenn ein lebendiger Wechsel mannigfacher
Tonverhältnisse stattfindet und wenn dieser Wechsel nicht unregelmäßig
und willkürlich, sondern mit schönem Ebenmaß der Sätze verbunden ist.
Man beobachte daher hauptsächlich folgende Regeln:

~a~) Ein +zu geringer Wechsel+ der Betonung ist zu meiden, denn der
Stil wird dadurch +eintönig+ und +schleppend+. +Eintönig+ wird der Stil
z. B., wenn lauter kurze Hauptsätze aufeinander folgen: „Peter war
groß und von edlem Anstande. Er hatte eine geistreiche Physiognomie.
Er drückte sich gut aus und redete mit Feuer, er hatte viel natürliche
Anlagen zur Beredsamkeit und hielt oft Anreden. Gegen äußere Pracht
war er sehr gleichgültig und überließ es seinem Günstling Menzikof,
sie, wo es nötig war, zu zeigen. Nie war wohl ein Mensch arbeitsamer,
unternehmender und weniger zu ermüden.“ Man nennt solche Sätze
+zerhackte Sätze+. +Schleppend+ wird der Stil, wenn die Perioden +zu
lang+ sind, wenn die +Unterordnung+ durch eine +zu lange Reihe von
Gliedern+ fortgesetzt wird, vgl. S. 47; wenn +zuviel gleichartige
Satzteile+ aneinandergereiht werden, vgl. S. 42, und wenn Nebensätze
+eingeschachtelt+ werden, vgl. S. 51.

~b~) Die Satzglieder und einzelnen Sätze einer Satzverbindung oder
eines Satzgefüges müssen nach ihrem Inhalte und Umfange in möglichstem
+Ebenmaße+ stehen. Vgl. S. 45.

~c~) Anhäufungen +schwach betonter+ oder +unbetonter+ Wörter sind zu
vermeiden. Fehlerhaft ist daher der Rhythmus in folgenden Sätzen: „Ich
kann Ihre Briefe nicht entbehren: +da Sie mir sie also nicht als ein+
Almosen wollen zukommen lassen“ usw. +Lessing.+ „Er wunderte +sich+,
+wie sie+, +die sie es doch selbst+ gesehen habe, das bezweifeln könne.“

~d~) In einer Periode verhalten sich +Vordersatz+ und +Nachsatz+
zueinander wie +Hebung+ und +Senkung+. Der Ton steigt bis zum Ende
des Vordersatzes und sinkt dann allmählich bis zum Schlusse des
Nachsatzes. Wenn der Nachsatz zu lang ist, namentlich wenn er aus
mehreren beigeordneten Gliedern besteht, wird daher der Rhythmus leicht
schleppend. Deshalb ist folgende Periode nicht mustergültig: „Wenn
das Bücherlesen seinen eigentlichen Zweck erreichen, den Verstand
aufklären, den Geschmack bilden, das Herz veredeln, Kraft und Stoff
zum Denken, Handeln und Genießen geben, oder was ebensoviel heißt,
wenn es uns weiser, besser und froher machen soll: so ist es nicht
genug, gleich Irrenden in der Bücherwelt umherschwanken oder immer
in einem Meere fremder Gedanken zu schwimmen, indes die Quelle der
eigenen in uns vertrocknet; sondern wir müssen mit Wahl und Ordnung,
mit Muße und Selbsttätigkeit lesen und dürfen keines der wenigen, aber
guten Bücher aus der Hand legen, ehe wir uns über die Hauptgedanken
des Verfassers befriedigende Rechenschaft zu geben imstande sind.“
Meisterhaft gebaut ist dagegen folgende Periode Schillers: „Wenn von
der menschlichen Natur, solange sie menschliche Natur bleibt, nie
und nimmer zu erwarten ist, daß sie ohne Unterbrechung und Rückfall
gleichförmig und beharrlich als reine Vernunft handle und nie gegen die
sittliche Ordnung anstoße; wenn wir bei aller Überzeugung sowohl von
der Notwendigkeit, als von der Möglichkeit reiner Tugend uns gestehen
müssen, wie sehr zufällig ihre wirkliche Ausübung ist und wie wenig wir
auf die Unüberwindlichkeit unserer besseren Grundsätze bauen dürfen;
wenn wir uns bei diesem Bewußtsein unserer Unzuverlässigkeit erinnern,
daß das Gebäude der Natur durch jeden unserer moralischen Fehltritte
leidet; wenn wir uns alles dieses ins Gedächtnis rufen; so würde es
die frevelhafteste Verwegenheit sein, das Beste der Welt auf dieses
Ungefähr unserer Tugend ankommen zu lassen.“ In dieser Periode sind
nicht nur Vordersatz und Nachsatz zu einem rhythmisch schönen Ganzen
verbunden, sondern auch jedes Glied der Periode hat für sich wieder
einen wohlgefälligen Rhythmus.



III. Besondere Stilistik.


~A.~ +Die Arten des Stiles.+


33. Prosaischer und poetischer Stil.

Die Prosa ist mehr auf die Mitteilung der Gedanken gerichtet, die
Poesie dagegen strebt vor allem nach Schönheit der Darstellung. Der
Schöpfer der prosaischen Rede ist daher im allgemeinen der Verstand,
der Schöpfer der poetischen Rede die Phantasie. Während die prosaische
Rede vor allem Deutlichkeit und Übersichtlichkeit erfordert, verlangt
der poetische Stil in erster Linie Anschaulichkeit, Lebendigkeit
und Schönheit der Form. Selbstverständlich darf auch der prosaische
Stil nicht unschön und der poetische Ausdruck nicht unklar und ohne
Verstand sein, aber es handelt sich hier darum, was an erster Stelle
dem Stile das eigentümliche Gepräge gibt. Die höchste Stufe erreicht
der poetische Ausdruck, wenn er in genau abgemessenen Rhythmen,
in Versen und Strophen sich darstellt, und gewöhnlich nennt man
poetischen Stil nur den, der in diesen Formen zur Erscheinung kommt.
Doch spricht man auch von +poetischer Prosa+, und man sieht schon
hieraus, daß die Begriffe „+prosaischer+ und +poetischer Stil+“ sich
wegen ihrer Dehnbarkeit wenig zu einer wissenschaftlichen Bestimmung
der Stilgattungen eignen. Man teilt daher den Stil besser in folgende
Arten: ~a~) +Stil des Verstandes+; ~b~) +Stil des Gemütes+.[21] Der
Stil des Verstandes soll berichten und belehren, der Stil des Gemütes
rühren und bewegen.

  +Anmerkung.+ Prosa, entstanden aus ~oratio prorsa~, d. i. die
  vorwärts gerichtete, geradeaus gehende Rede (~proversa~), bei der
  sich nicht wie bei der poetischen Rede (~oratio versa~) die gleiche
  rhythmische Gliederung wiederholt; die poetische Rede kehrt gleichsam
  immer wieder um, während die Prosa vorwärts schreitet.


34. Der Stil des Verstandes.

Der Stil des Verstandes zerfällt zunächst in den +berichtenden+ und
+belehrenden+ (didaktischen) Stil.

Zu dem +berichtenden+ Stile gehören:

~a~) Der +Geschäftsstil+. Hierher rechnet man alle Arten von
amtlichen Berichten, Verträgen, Vermächtnissen, Zeitungsanzeigen,
Geschäftsbriefen, Beschreibungen von Bauten, Maschinen usw. Der
Geschäftsstil fordert vor allem +Deutlichkeit+, +Sprachrichtigkeit+,
+Bestimmtheit+ und +Kürze+. Bilder, veraltete und neugebildete Wörter,
mehrdeutige Ausdrücke, müßige Attribute sind streng zu meiden. Die
+Uneigentlichkeit+ des Ausdruckes wird hier zum Fehler; man gebe
jedem Begriffe die gebräuchlichste Benennung und suche nicht etwa das
Abstrakte durch Bilder zu versinnlichen oder den einfachen Ausdruck
durch Redefiguren auszuschmücken.

~b~) +Der erzählende Stil.+ Hierher gehören alle Erzählungen
von Begebenheiten, alle Beschreibungen und Schilderungen von
Naturereignissen, Erlebnissen usw. In der Idylle, im Roman, in der
Novelle und im Märchen verbindet sich der erzählende Stil mit dem
Gemütsstil und erhebt sich zu poetischer Darstellung. Der erzählende
Stil verlangt vor allem +Anschaulichkeit+ und +Lebendigkeit+; +Bilder+
und +Figuren+ sind hier oft von guter Wirkung. Doch darf darüber
niemals einfache Deutlichkeit und Natürlichkeit der Rede verloren
gehen. Lange Perioden, Häufung von Attributen und präpositionalen
Ausdrücken, Überladung mit Nebensätzen sind ganz besonders zu meiden.
Die Sätze seien vor allem leicht zu überschauen und unmittelbar
verständlich.

~c~) +Der historische Stil.+ Da die Geschichte die Schicksale und Taten
einzelner Menschen und Völker darstellt und in diesen Schicksalen
zugleich die ewigen Gesetze einer göttlichen Weltordnung zeigt, so muß
in der Erzählung weltgeschichtlicher Ereignisse immer ein gewisser
feierlicher Ernst mit zum Ausdrucke kommen. Durch diesen sittlichen
Ernst unterscheidet sich der historische Stil vom erzählenden. Während
der erzählende Stil oft zum einfachen Volkston herabsteigt und gerade
dadurch seine schönsten Wirkungen erzielt, verlangt der historische
Stil vor allem geistige Durchdringung und völlige Beherrschung des
Stoffes und eine glänzende Form, die dem Gedanken genau entspricht.
Bestimmtheit und Kürze, vor allem aber Wahrheit und Sachlichkeit sind
die ersten Erfordernisse dieser Stilart. Der eigentliche Schöpfer eines
deutschen historischen Stiles ist Schiller.[22] -- Im +Epos+ wird der
historische Stil zum poetischen Stile.

Den +belehrenden+ Stil kann man in zwei Unterarten einteilen, nämlich
in:

~a~) Den eigentlichen +Lehrstil+. Diese Stilart wird hauptsächlich
in Lehrbüchern angewendet, also überall da, wo es sich nicht um die
Erörterung und Begründung eines einzelnen wissenschaftlichen Satzes
handelt, sondern wo eine ganze Summe von Lehrsätzen dargestellt wird,
die als hinlänglich anerkannt und feststehend gelten. Deutlichkeit,
Bestimmtheit und Kürze sind die unentbehrlichen Eigenschaften dieser
Stilart.

~b~) Den +abhandelnden Stil+. Dieser Stil wird angewendet, wenn
es sich um die Erörterung, Begründung oder Widerlegung eines
einzelnen wissenschaftlichen Satzes handelt. Schärfe und Strenge der
Untersuchung, Genauigkeit und Ausführlichkeit der Beweisführung sind
unerläßliche Forderungen, wenn die Abhandlung den Leser überzeugen
soll. Die größte Klarheit ist hier die größte Schönheit.


35. Der Stil des Gemüts.

Der Stil des Gemüts erwächst aus dem Gefühl des Sprechenden oder
Schreibenden und will zugleich das Gefühl des Hörenden oder Lesenden
ergreifen oder bewegen. Bewegung des Gefühls ist also das eigentliche
Kennzeichen dieser Stilart. Je nachdem nun mehr die Schilderung der
eigenen Gefühle oder das Streben, den Hörer oder Leser durch die
Darstellung zu bewegen, in den Vordergrund tritt, unterscheidet man den
+lyrischen Stil+ und den +rednerischen Stil+.

~a~) Der +lyrische Stil+ tritt am reinsten zutage in der lyrischen
Poesie. Er wird aber auch in prosaischen Darstellungen erfordert,
wenn in Erzählungen, Trauerreden, feierlichen Glückwünschen usw. die
Gefühle der beteiligten Personen zum Ausdruck gebracht werden sollen.
Der lyrische Stil erscheint jedoch in der Prosa gewöhnlich anderen
Stilarten untergeordnet. Die höchste Steigerung des lyrischen Stiles
nennt man den +erhabenen+ Stil, der auf überwältigender Größe der
Empfindung beruht. -- Der lyrische Stil fordert vor allem +Wahrheit+
der Empfindung und +Lebendigkeit+ der Darstellung. Krankhafte
Empfindelei ist ebenso zu meiden wie bloße trockene Beschreibung
der Gefühle. Bilder und Figuren sind dieser Stilart unentbehrlich.
Der erhabene Stil namentlich bedient sich edler, nicht in der
Alltagssprache gebrauchter Wörter, z. B.: Wange (für Backen), Zähre
(für Träne), kiesen (für wählen), walten (für herrschen), Gewand (für
Kleid) usw. Solche Wörter nennt man ~verba solemnia~ (d. i. feierliche
Wörter), weil sie nur in gehobener Rede gebräuchlich sind.

~b~) +Der Rednerstil.+ Der Redner strebt vor allem danach, dem Willen
der Hörer eine bestimmte Richtung zu geben, und sucht das namentlich
durch starke Erregung des Gefühls zu erreichen: er will begeistern
oder erbauen. Eine nachhaltige Begeisterung wird er freilich nur dann
erwecken können, wenn seine Rede die Hörer zugleich +überzeugt+ hat;
daher darf nicht bloß das Gefühl sprechen, sondern dem Verstande
gebührt ein gleicher Anteil an der Gestaltung der Darstellung. Aber
auf der verständigen Klarheit und Deutlichkeit der Rede baut sich
dann jene belebtere Form der Darstellung auf, die das Gefühl des
Hörers leidenschaftlich zu erregen und mächtig zu ergreifen sucht.
Dadurch erst erhält der Rednerstil sein eigenartiges Gepräge. --
+Eintönigkeit+ im Bau der Sätze ist vor allem zu meiden; der Redner
muß vielmehr nach reicher Gliederung der Perioden, nach einer
großen Fülle verschiedenartiger Satz- und Periodenglieder und nach
außerordentlicher Mannigfaltigkeit im Aufbau derselben streben. Schöner
Rhythmus der Sätze ist hier ein Haupterfordernis. -- Man unterscheidet
+geistliche+ und +weltliche+ Reden; die +weltlichen+ zerfallen wieder
in +Schulreden+, +politische Reden+ und +gerichtliche Reden+.

Wie die Rede für die Prosa, so ist das +Drama+ für die Poesie der
Gipfelpunkt, den die Darstellung erreichen kann. Auch im Drama ist, wie
bei der Rede, das letzte Ziel eine starke Einwirkung auf das Gefühl des
Hörers, und auch das Drama verlangt daher jenen höchsten Schwung des
Stiles, der den Hörer mächtig mit sich fortreißt.

  +Anmerkung 1.+ Eine wohlgebaute Rede gliedert sich in der Regel in
  drei Teile: in den +Eingang+, die +Ausführung+ und den +Schluß+.
  -- ~a~) Der Eingang (~exordium~ oder ~expositio~) hat den Zweck,
  Wohlwollen zu gewinnen, die Aufmerksamkeit zu erregen und die
  Wißbegierde der Zuhörer in Anspruch zu nehmen. Man teilt daher
  den Eingang gewöhnlich wieder in drei Teile: 1. die ~captatio
  benevolentiae~, 2. die ~narratio facti~, d. i. Bericht über
  den tatsächlichen Anlaß zu der Rede, 3. die ~expositio~. Die
  ~captatio benevolentiae~ besteht darin, daß der Redner einige
  Worte voraufschickt, die seine Bescheidenheit und zugleich seine
  Freundlichkeit gegen den Hörer bekunden. In der ~narratio facti~
  gibt der Redner kurz an, was ihn zu seiner Rede veranlaßt hat.[23]
  Die ~expositio~ legt den Hauptgedanken, das Thema der Rede, und
  zuweilen auch die einzelnen Teile dar, in die es sich zerlegen läßt.
  -- Der ganze Eingang muß klar und deutlich und vor allem +kurz+
  sein. -- ~b~) Die Ausführung (~disputatio~) ist der eigentliche Kern
  der ganzen Rede. Man nennt diesen Teil auch die +Beweisführung+;
  denn hier wird der Hauptgedanke begründet und die entgegenstehenden
  Meinungen werden bekämpft. Der Redner sucht alle nur möglichen
  Einwendungen zu widerlegen, so daß zuletzt seine Gedanken als die
  Sieger in dem Kampfe erscheinen. -- ~c~) Der Schluß (~conclusio~)
  faßt noch einmal kurz die Hauptstücke der Ausführung zusammen
  (~recapitulatio~), sucht dann namentlich auf das Gefühl der Zuhörer
  nachdrücklich zu wirken (+pathetischer Teil+) und legt ihnen den
  praktischen Zweck der Rede ans Herz (eigentlicher +Schluß+). Den Kern
  der ~conclusio~ bildet der pathetische Teil, auf dessen Ausführung
  daher auch ganz besonderer Fleiß zu verwenden ist. Hier kann sich
  recht eigentlich das Talent des Redners zeigen.

  +Anmerkung 2.+ Als besondere Stilart wird zuweilen noch der
  +Briefstil+ unterschieden. Dieser bildet jedoch keine besondere
  Stilgattung, sondern der Briefschreiber wird sich bald des
  Geschäftsstiles, bald des erzählenden Stiles, bald des
  didaktischen Stiles usw. bedienen, je nachdem er in dem Briefe
  etwas Geschäftliches verhandeln oder etwas erzählen oder über etwas
  belehren will. Der Unterschied besteht hier nur in dem Umstande, daß
  der Brief immer eine schriftliche Mitteilung an eine einzelne Person
  (selten an mehrere) ist. Dieser Unterschied kommt in der Anrede und
  am Schlusse zum Ausdruck. Für vertrauliche Briefe gilt die Regel,
  daß sie sich so eng als möglich an die Umgangssprache anzuschließen
  haben. Vornehm klingende Phrasen und gesuchte Formen des Ausdrucks
  sind geschmacklos und stören den Leser.


~B.~ Die Mittel zur Ausbildung des Stiles.


36. Das Studium guter Muster.

Der Ausbildung der Sprache und des Stiles dient genau genommen der
gesamte Unterricht, den jemand genießt, aber es sind doch auch
besondere Mittel für diesen Zweck vorhanden, deren Gebrauch die
Fähigkeit, seine Gedanken klar und in gefälliger Form darzustellen,
außerordentlich fördert. Diese Mittel sind: ~a~) +Das Studium guter
Muster+; ~b~) +eigene Versuche, seine Gedanken über irgendein Thema
zusammenhängend und wohlgeordnet darzustellen+ (+Aufsätze+).

Das Studium guter Muster ist die erste Bedingung, die erfüllt werden
muß, wenn jemand auch nur einige stilistische Gewandtheit sich erwerben
will. Die Hauptwerke unserer großen Dichter und Schriftsteller vor
allem sollten von jedem, der seine deutsche Sprache liebt und achtet,
immer und immer wieder nicht etwa bloß flüchtig gelesen, sondern
gründlich studiert werden. Man scheide beim Lesen die Hauptgedanken
von den Nebengedanken, mache sich immer die Anordnung der Gedanken
(Disposition) klar, lerne die vorzüglichsten Stellen auswendig und
präge sich gute und geschmackvolle Redewendungen ein; man lese nicht
vielerlei neben- und durcheinander, sondern bleibe bei einem, und zwar
so lange, bis man mit dem Inhalte völlig vertraut geworden ist. Die
Schule wählt zwar eine Anzahl unserer bedeutendsten Dichtungen für die
gemeinsame Lektüre in der Klasse aus, aber sie muß doch bei dem Mangel
an Zeit vieles der Privatlektüre überlassen. Man lese auch zu Hause
laut, das bloße stille Lesen mit den Augen fördert das eigentliche
Stilgefühl, das Gefühl für die Schönheit und den Wohllaut des Satzbaues
viel zu wenig.

  +Anmerkung.+ Neben dem Lesen ist ganz besonders der Umgang mit
  Gebildeten für die Entwickelung des sprachlichen Ausdrucks von großer
  Wichtigkeit. Vgl. hierüber Herders Rede: „Von der Ausbildung der Rede
  und Sprache in Kindern und Jünglingen.“


37. Der Aufsatz.

Jeder Aufsatz handelt über einen bestimmten Gegenstand, welchen das
+Thema+ nennt, das dem Aufsatze voraufgestellt wird. Ist das Thema
festgestellt, so wird zunächst der Stoff +gesammelt+, d. h. alles
aufgesucht und zusammengestellt, was sich über den Gegenstand sagen
läßt. Der gesammelte Stoff wird dann in eine bestimmte, zweckmäßige
Ordnung gebracht. Diese Ordnung der Gedanken nach Inhalt und
natürlicher Folge heißt +Disposition+. Hieran endlich schließt sich die
+Ausarbeitung+, die das, was in der Disposition getrennt erscheint, in
einen angemessenen Zusammenhang bringt, und das, was in der Disposition
bloß allgemein angedeutet werden konnte, im einzelnen ausführt. Demnach
lassen sich die Tätigkeiten, die sich bei der Abfassung eines Aufsatzes
nötig machen, in folgende vier Gruppen bringen:

  1. +Aufstellung des Themas.+
  2. +Stoffsammlung.+
  3. +Disposition.+
  4. +Ausarbeitung.+


38. Das Thema und die Arten der Aufsätze.

Das Thema muß +klar+, +in sich abgerundet+ und +fruchtbar+ sein.
+Klar+ nennen wir ein Thema dann, wenn es so gefaßt ist, daß eine
Mehrdeutigkeit des Sinnes ausgeschlossen und der Stoff, der behandelt
werden soll, genau bestimmt ist. +In sich abgerundet+ ist das Thema,
wenn sein Inhalt genau begrenzt und so einer Abschweifung auf
Seitengebiete vorgebeugt ist. +Fruchtbar+ endlich heißt ein solches
Thema, das ausreichenden Stoff zur Behandlung, seien es Tatsachen oder
Gedanken, in sich schließt.

In der Schule wird das Thema in der Regel vom Lehrer gegeben, und
die Aufgabe des Schreibenden besteht dann in bezug auf diesen Punkt
nur darin, sich den Sinn des Themas vollkommen +klar+ zu machen, der
+Abgrenzung+ des Stoffes, die in dem Thema gegeben ist, sich deutlich
bewußt zu werden und diese immer festzuhalten, sowie der Anregung
zur Auffindung von Stoff, die in dem Thema enthalten ist, sorgfältig
und mit Liebe nachzugehen. Im Leben hat man sich jedoch das Thema zu
Aufsätzen und umfangreicheren schriftlichen Arbeiten meist selbst zu
suchen, und man hat dann genau darauf zu achten, daß es den angeführten
drei Forderungen entspricht. Man versäume daher nicht, sich auch im
Aufstellen von Themen zu üben, was am besten dadurch geschieht, daß
man zu Abschnitten aus den Werken unserer großen Dichter, namentlich
Lessings, Goethes, Schillers, Herders u. a. nach sorgfältiger Lektüre
kurze und schlagende, d. h. genau bezeichnende Überschriften sucht.
Diese Übung ist fast ebenso wichtig als die Ausarbeitung eines
gegebenen Themas.

Das Thema kann den verschiedensten Stoffkreisen entlehnt sein. Die
wichtigsten Arten der Schulaufsätze sind:

~a~) +Die Erzählung.+ Eine Handlung wird in ihrem ununterbrochenen
Verlaufe dargestellt, so daß die einzelnen Teile derselben ein
zusammenhängendes Ganzes bilden.

~b~) +Die Beschreibung.+ Ein Gegenstand wird in bezug auf seine
+nebeneinanderliegenden+ Teile dargestellt. Eine gute Beschreibung
wird jedoch auch das im Raume Ruhende in einer gewissen zeitlichen
Aufeinanderfolge darzustellen wissen. So wird z. B. eine Pflanze
am besten in der Weise beschrieben, daß die einzelnen Teile in der
Reihenfolge aufgeführt werden, in welcher sie sich selbst entwickeln,
daß man also gleichsam die Pflanze vor sich entstehen sieht. Homer
erzählt, wie die Waffen nach und nach fertig werden oder wie ein
Kleidungsstück nach dem anderen angelegt wird. So ist immer das
Unbelebte und Unbewegte mit dem lebendigen Gang einer Handlung in
Verbindung zu setzen. Man vgl. hierüber Lessings Laokoon.

~c~) +Die Schilderung.+ Ein Gegenstand oder ein Ereignis wird in
besonders anschaulicher und lebendiger Weise dargestellt, z. B.: ein
Frühlingstag, ein Gewitter usw.

~d~) +Die Charakteristik.+ Die Eigenart einzelner Personen oder ganzer
Menschengattungen wird geschildert, z. B.: Gustav Adolf, Wallenstein,
der Geizige, der Jähzornige usw.

~e~) +Die Abhandlung.+ Die Abhandlung ist die höchste und schwierigste
Form des Aufsatzes, weil sie sich nicht mit konkreten Gegenständen,
sondern mit abstrakten Dingen, mit Begriffen, Sentenzen und
theoretischen Wahrheiten beschäftigt.

~f~) +Übersetzungen aus fremden Sprachen.+ Diese sind für die
Ausbildung des Stiles von großer Wichtigkeit, wenn sie mit Sorgfalt
ausgeführt werden, und wenn man streng darauf bedacht ist, jede
undeutsche Wendung zu meiden.


39. Das Sammeln des Stoffes.

Beim Sammeln des Stoffes schreibe man die Gedanken zunächst ohne
Rücksicht auf irgendwelche bestimmte Reihenfolge so nieder, wie sie
einem zufällig in den Sinn kommen. Gewöhnlich bilden sich aber dabei
von selbst schon gewisse Gesichtspunkte, nach denen der Stoff sich
ordnen läßt, mit heraus, die dann später willkommene Anhaltspunkte
für die Disposition bieten. Die Hauptmittel, um Stoff zur Behandlung
gegebener Themen zu finden, sind: Beobachtung der Natur und des Lebens,
sowie die Lektüre guter Werke.


40. Die Disposition.

Bevor man an die Darstellung selbst geht, muß der Gegenstand nach allen
Seiten durchdacht sein, und der Stoff, den man dabei gefunden hat, muß
geordnet werden. Es lassen sich oft sehr viele Teile und Unterteile
bilden, jeder Aufsatz hat aber in der Regel drei Hauptteile, nämlich:
~a~) den +Eingang+, ~b~) die +Ausführung+, ~c~) den +Schluß+.

~a~) Der +Eingang+ hat den Zweck, auf den darzustellenden Gegenstand
hinzuleiten. Er muß daher alles enthalten, was zum Verständnisse des
Folgenden notwendig ist, und muß das Interesse des Lesers erwecken.
Bei Erzählungen und Beschreibungen werden hauptsächlich Raum- und
Zeitverhältnisse (Lage, Ort, Jahreszeit u. ähnl.) den Inhalt bilden,
bei Abhandlungen wird von den Umständen zu reden sein, die den
Verfasser zum Schreiben veranlaßt haben, oder es werden allgemeine
Gedanken anzuführen sein, die zu dem besonderen Gedanken des Themas
hinführen, u. ähnl. Bei größeren Arbeiten muß die Einleitung immer das
Reifste und Vollendetste sein, man wird daher gut tun, sie zuletzt zu
schreiben.

~b~) Die +Ausführung+. Am Schlusse der Einleitung, namentlich bei
Abhandlungen, pflegt der Schreibende das Thema anzugeben, von dem
seine Darstellung handeln soll. Die Ausführung enthält nun die
eigentliche Darstellung; alles, was über den Gegenstand zu sagen ist,
muß klar, kurz und wohlgeordnet angeführt werden. Die Ausführung
gliedert sich daher wieder in eine Reihe von Haupt- und Unterteilen.
Die Hauptteile hebe man voneinander ab, leite aber durch geschickte
Wendungen von einem zum anderen über; die Unterteile dagegen müssen
ganz innig miteinander verbunden werden, so daß sie sich nicht so
stark voneinander abheben wie die Hauptteile. Bei der Erzählung,
Beschreibung und Schilderung ergeben sich die Teile gewöhnlich aus der
zeitlichen Folge oder der räumlichen Lage, bei der Abhandlung steigt
man im allgemeinen vom minder Wichtigen zum Wichtigeren auf. Ist bei
der Abhandlung das Thema allgemeiner Art, so wird es in der Ausführung
in seine Besonderheiten zerlegt, ist es dagegen ein besonderer Gedanke,
so wird es auf allgemeine Sätze zurückgeführt. Außerdem müssen
Beweisgründe für die Wahrheit, Widerlegungen der Einwürfe beigebracht
und die nötigen Folgerungen daraus gezogen werden.

~c~) Der +Schluß+ rundet den Aufsatz zu einem in sich geschlossenen
Ganzen ab. Bei der Erzählung, Beschreibung und Schilderung enthält
er gewöhnlich einen Hinweis auf die Folgen oder die Bedeutung eines
Vorganges oder auf den Gesamteindruck des beschriebenen Gegenstandes.
Der Schluß einer Abhandlung enthält in der Regel den Satz noch einmal,
der erörtert oder bewiesen werden sollte, indem das Ergebnis der
Beweisführung kurz zusammengefaßt wird. Der Schluß sei kurz, treffend
und bündig, er enthalte nichts Unnötiges und nichts, was sich nicht
zwanglos aus dem Vorhergehenden ergibt.


41. Dispositionsregeln.[24]

Die Anordnung und Gliederung des Stoffes, der in einem Aufsatze
dargestellt werden soll, ist eine Tätigkeit des Verstandes, sie muß
daher vor allen Dingen streng logisch sein. Das Wesen der Disposition
besteht darin, daß ein Ganzes in seine Teile zergliedert und die
Verhältnisse dargelegt werden, in denen die Teile zu dem Ganzen und
untereinander stehen. Man hat daher, wenn man irgendeine Teilung eines
Ganzen vornimmt, sich folgende drei Fragen zu beantworten:

  ~a~) Wie verhält sich das Ganze zu +den Teilen in ihrer Gesamtheit+?

  ~b~) Wie verhält sich +jeder einzelne Teil zum Ganzen+?

  ~c~) Wie verhalten sich +die einzelnen Teile untereinander+?

Bei ~a~) ergibt sich, daß das Ganze immer gleich ist der Summe seiner
Teile, und daß daher sofort eine empfindliche Lücke entsteht, wenn ein
Teil fehlt, oder ein störender Überschuß, wenn etwas Überflüssiges zu
den Teilen hinzugetan worden ist. Wollte man z. B. das Pflanzenreich
behandeln und dieses einteilen in Bäume und Sträucher, so würde
diese Teilung falsch sein, weil die Summe der Teile, d. i. hier die
Bäume und Sträucher zusammengenommen, gar nicht das Ganze, d. i. das
Pflanzenreich, ergäbe, sondern ganze große Gruppen, z. B. Blumen,
Moose, Pilze, Farne u. a., fehlten. Eine richtige Teilung dagegen ist
es, wenn man die Pflanzen in Phanerogamen und Kryptogamen einteilt, da
diese Teile zusammengenommen alle Pflanzen einschließen. Falsch würde
die Teilung aber sofort wieder werden, wenn man eine Gruppierung in
Phanerogamen, Kryptogamen und Zellpflanzen vornähme, indem man hier
einen überflüssigen Teil hinzufügte, denn die Zellpflanzen gehören
zu den Kryptogamen. Solche überflüssige Teile entstehen gewöhnlich
dadurch, daß man den ursprünglichen Einteilungsgrund nicht festhält,
sondern unvermerkt einen neuen Einteilungsgrund unterschiebt. Will
man einen Teil der Pflanzen als +Zellpflanzen+ (d. i. solche, die
nur aus Zellen bestehen) aufführen, so muß man ihm den anderen
als +Gefäßpflanzen+ (d. i. solche, die aus Zellen und Gefäßen
bestehen) gegenüberstellen, dann hat man wieder eine richtige und
vollständige Einteilung des Pflanzenreiches. Hier hat man dann den
inneren anatomischen Bau der Pflanzen als Einteilungsgrund angenommen
und durchgeführt, während für die Einteilung in Phanerogamen und
Kryptogamen der Einteilungsgrund aus der Beobachtung der Blüte
hervorgegangen ist (Blüte und Samen; keine Blüte und Sporen). Es ergibt
sich also bei diesem Punkte die wichtige Regel: +Die Disposition muß
vollständig sein+, d. h. es darf kein Teil fehlen, sie darf aber auch
keinen überzähligen Teil enthalten.

~b~) Betrachtet man das Verhältnis jedes einzelnen Teiles zum Ganzen,
so ergibt sich die Tatsache, daß das Ganze und der Teil nie einander
beigeordnet sein können, sondern daß jeder Teil immer dem Ganzen
untergeordnet ist. Jeder Teil muß sich daher genau in den durch das
Ganze gezogenen Grenzen halten und darf nicht über diese Grenzen
hinausgreifen; zugleich muß er sich aber auch auf seinem besonderen
Gebiete bewegen und darf nicht auf das Gebiet des Ganzen überschweifen.
Hat man also z. B. das Pflanzenreich in Phanerogamen und Kryptogamen
geteilt, so darf man bei keinem der Teile auf ein anderes Naturreich,
etwa das Tierreich oder Mineralreich, überschweifen, und ebensowenig
darf man bei den einzelnen Teilen von den Pflanzen im allgemeinen
sprechen, sondern man hat von den Phanerogamen, bzw. Kryptogamen zu
reden. Hieraus ergibt sich als zweite Hauptregel für das Disponieren:
+Jeder Teil muß dem Ganzen untergeordnet sein und sich zugleich durch
seinen besonderen Inhalt von dem Ganzen unterscheiden.+

~c~) Die einzelnen Teile untereinander dagegen sind sich +beigeordnet+.
Der eine Teil darf daher nicht wieder den anderen als Ganzes
umschließen, sondern jeder Teil muß sich durch seinen besonderen Inhalt
von dem anderen unterscheiden. Wollte ich also z. B. das Pflanzenreich
in Phanerogamen, Kryptogamen und Zellpflanzen einteilen, so würde diese
Teilung falsch sein, weil die Zellpflanzen wieder eine Unterabteilung
der Kryptogamen bilden, die in Gefäßkryptogamen und Zellpflanzen
zerfallen. Hieraus ergibt sich die dritte Hauptregel: +Die einzelnen
Teile müssen sich gegenseitig ausschließen.+

Man erkennt aus diesen allgemeinen Regeln, daß das Wichtigste +die
Wahl des Einteilungsgrundes+ und die +einheitliche+ Durchführung
der Disposition +nach dem gewählten Einteilungsgrunde+ ist. Der
Einteilungsgrund muß so gewählt sein, daß er eine erschöpfende
Behandlung des Wesentlichen gestattet, d. h. alles dessen, was dazu
dient, den Gegenstand seinem Wesen nach darzulegen. Soll man z. B.
ein Land schildern, so zerlege man es nicht äußerlich in einen
nördlichen, südlichen, östlichen und westlichen Teil oder gar in
einzelne von der Regierung geschaffene Bezirke, sondern man gehe
seiner äußeren und inneren Beschaffenheit nach, so daß man etwa der
Reihe nach seine Lage, seine Gewässer, seine Bodenverhältnisse, sein
Klima, seine Erzeugnisse und seine Bewohner betrachtet. An dem einmal
gewählten Einteilungsgrunde ist unbedingt festzuhalten, und es ist
der gröbste Fehler, wenn sich in einer Disposition zwei verschiedene
Einteilungsgründe durchkreuzen.

Endlich ist noch zu beachten die +Art des Teilens+ selbst. Man
unterscheidet die +Einteilung+ (Division) von der +Zerteilung+
(Partition). Die +Zerteilung+ besteht darin, daß man ein +Einzelwesen+
in seine +Bestandteile+ zerlegt, die +Einteilung+ darin, daß man
eine +Gattung+ in ihre +Arten+ gliedert. Zerlege ich eine Pflanze in
Wurzel, Stengel und Blüte, so habe ich eine +Zerteilung+ vorgenommen;
ordne ich aber die Pflanzen in Phanerogamen und Kryptogamen, so ist
das eine +Einteilung+. In der Disposition werden nun +Einteilung+ und
+Zerteilung+ aufs innigste verbunden. Durch die Einteilung finden wir
die Arten, durch die Zerteilung die einzelnen Bestandteile, und die
Disposition weist Arten und Teilen ihre rechte Stelle an. Ich kann
die Hauptteile einer Disposition durch +Zerteilung+, die Unterteile
der Hauptteile durch +Einteilung+ finden oder umgekehrt, und ich kann
überhaupt jeden Gegenstand +zerteilen+ oder +einteilen+, da es mir frei
steht, ihn als Einzelwesen oder Gattungsbegriff aufzufassen.

Über den „Wert einer guten Disposition“ äußert sich Herder in
einem seiner Briefe an einen jungen Theologen in folgender Weise:
„Disposition ist das Hauptwerk der Rede, sie ist das Gebäude, ohne
welches alle äußere Bekleidung nichts ist. Deshalb habe ich Sie, mein
Freund, vor allem Auswendiglernen schöner Ausdrücke, bunter Floskeln
und Sentenzen so ernstlich gewarnt. Diese locken ungemein ab vom
Wege, und der Jüngling, der solchen Irrlichtern folgt, ist verloren.
Ein Mensch, der nach schönen Worten hascht, der halbe Seiten von
Modesentenzen ausschreibt, hat kaum mein Vertrauen mehr; er tut eine
kopflose, kindische Arbeit. Alle Blumen des Vortrages müssen aus der
Sache selbst, an diesem Orte, an dieser Stelle, wie Blumen aus dem
Schoße ihrer Mutter Erde, hervorgehen; die Kunst des Gärtners pflanzte
und wartete sie nur eben an der besten Stelle. Da muß kein Bild, kein
Satz, kein Komma sein, das nicht aus diesem Thema wie ein Ast und
sein Zweig oder wie eine Blüte und ein Blatt aus solcher Wurzel an
solchem Stamme notwendig erwüchse. Wenn’s hier nicht steht, so stehe es
nirgends; aber die Rede ist dann unvollständig, sie hat, wie man bei
Gemälden sagt, ein Loch, eine Lücke. Alle Fehler verzeihe ich gern,
nur die Fehler der Disposition nicht. Steht, was untereinander gehört,
neben-, was nebeneinander gehört, untereinander, wiederholen sich die
Teile auf die schnödeste Weise, so daß, wenn von der Gefangennahme
Christi geredet werden soll, gefragt wird: 1. Wer ihn gefangen
genommen hat, 2. von wem er gefangen genommen worden ist; weiß endlich
der Verfasser gar keine Sätze herauszuziehen, sie weder unter- noch
nebeneinander zu ordnen; weiß er durchaus nicht, was dieser, was jener
Teil der Rede sei oder sein soll -- o weh, weh! Gehe er hin und lerne
Logik!

Zur Gewöhnung an Disposition ist die frühe Erlernung einer oder der
anderen Wissenschaft, die es nämlich am füglichsten erträgt, in
wohlgefügten Tabellen das beste Verfahren. Dem Auge und der Seele gibt
sie unvermerkt einen logischen Anblick. Ich weiß es sehr wohl, daß
krause Köpfe auch durch tabellarische Form nicht glatt werden; ich
weiß es auch wohl, daß, wenn man in jeder Periode wieder unendlich
klein disponiert, man ein ~moleste sedulus~, ein ~improbe artificiosus~
werde, der vor lauter Deutlichkeit stockdunkel, vor lauter Ordnung
verworren wird und zuletzt das Ganze gar aus dem Gesicht verliert.
Mißbräuche einer Sache heben aber die Sache nicht immer auf; immer
bleiben Logik und Disposition die Grundlage des Vortrages.

Eine ganz andere Frage ist’s, ob man die Disposition wie ein nacktes
Gerippe hinstellen soll. Das tut die Natur nicht, und die arme
eingeschränkte Nachahmerin derselben, die Kunst, soll’s noch weit
minder. Die Natur hat’s nicht mangeln lassen an schönen Formen; feste
Formen aber, richtige und gerade Linien machte sie überall zum Wesen
der Sache, das sie mit Schlängelungen und Krümmen überkleidet. Wenn
Wolfs und insonderheit des Philosophen Baumgarten Schriften auch kein
Verdienst hätten, so wäre es das, daß sie Ordnung in den Begriffen und
die letzteren eine spartanische Kürze und Strenge in Worten lehren.
So sehr Bako den Witz liebte, so genau disponiert sind seine besten
Schriften. Aristoteles ist ein fester Knochenmann wie der Tod, ganz
Disposition, ganz Ordnung. Wenn Winckelmanns Geschichte der Kunst kein
ander Verdienst hätte, so wäre es das, daß man in ihr wie in einem
griechischen Tempel zwischen Säulen und schöngeordneten Aussichten
über Zeiten und Völker wandelt; sie ist das schöne Ideal einer
wohlausgeteilten, hochangelegten Kunstgeschichte. Solche Bücher lesen
Sie, mein Freund, exzerpieren Sie dieselben und lernen Sie danach Ihre
Gedanken ordnen. Wer nicht disponieren kann, kann weder lernen noch
behalten noch wiederholen; noch weniger werden die’s können, die ihn
hören. Es ist ~arena sine calce~; die geflügelten Worte versausen.“


42. Die Chrie.

Die Chrie (χρεία, d. i. Gebrauch, Nutzanwendung), eine von dem Rhetor
Aphthonius im vierten Jahrhundert erfundene Form, ist eine Abhandlung
über ein Sprichwort oder eine Sentenz nach bestimmten Gesichtspunkten.
Die Disposition der Chrie ist genau vorgeschrieben und ist für jede
beliebige Sentenz immer dieselbe:

  ~a~) +Eingang+ (~Exordium~). Gewöhnlich wird hier der Autor der
  Sentenz gerühmt, oder es werden, wenn der Autor unbekannt ist,
  allgemeine Gedanken angeführt, die zu dem speziellen Gedanken der
  Sentenz hinleiten. Am Schlusse der Einleitung wird das Thema wörtlich
  angeführt.

  ~b~) +Erläuterung+ des Themas (~Expositio~). Es wird eine genaue
  Wort- und Sinnerklärung der Sentenz gegeben.

  ~c~) +Begründung+ (~Aetiologia~ oder ~Causa~). Die Wahrheit der
  Sentenz wird durch Gründe erwiesen.

  ~d~) +Gegenteil+ (~Contrarium~). Die entgegenstehenden Meinungen
  werden widerlegt.

  ~e~) +Gleichnis+ (~Simile~ oder ~Comparatio~). Das, was in der
  Sentenz ausgesprochen ist, wird mit ähnlichen Erscheinungen aus der
  Natur verglichen.

  ~f~) +Beispiel+ (~Exemplum~). Für die Wahrheit der Sentenz werden
  Fälle aus dem täglichen Leben oder aus der Geschichte angeführt.

  ~g~) +Zeugnis+ (~Testimonium~). Es werden Aussprüche großer Männer,
  Sprichwörter, Sitten, Gebräuche usw. angeführt, welche die Wahrheit
  der Sentenz bestätigen.

  ~h~) +Schluß+ (~Conclusio~). Das Gesagte wird noch einmal kurz
  zusammengefaßt (~Recapitulatio~) und eine Nutzanwendung daran
  geknüpft.

Die Chrie steht in der Mitte zwischen Erzählung und Abhandlung. Sie
ist nur eine Schulform der Darstellung, die sich im Anfange, wenn dem
Schüler die Fähigkeit selbständig zu disponieren noch mangelt, mit
Vorteil anwenden läßt, die aber bald abgestreift werden muß, da im
Leben weder Redner noch Schriftsteller von dieser Form Gebrauch machen.


43. Die Ausarbeitung.

Hat man das Thema nach allen Seiten hin durchdacht, den Stoff gesammelt
und die Disposition entworfen, so geht man an die eigentliche
Ausarbeitung. Hierbei sind vor allem die stilistischen Gesetze zu
beobachten, die bereits in der allgemeinen Stilistik im einzelnen
dargelegt sind. Man sage nichts, was nicht zur Sache gehört, gehe über
Nebensächliches rasch hinweg und meide vor allem Weitschweifigkeit
und leere Redseligkeit, die alle Gedankenkraft ersticken und den
Aufsatz um jede Wirkung bringen. Besondere Aufmerksamkeit wende man
den Übergängen zu, die sich zwischen den einzelnen Teilen nötig
machen und dazu dienen, die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen
herzustellen. Hauptregel ist hier, daß die Übergänge in den Gedanken,
nicht in bloßen Worten liegen müssen. Ein einziges Bindewort oder
Umstandswort, oftmals auch bloß die Wortstellung genügen in der Regel,
um sprachlich die Verknüpfung auszudrücken. Oftmals leitet eine Frage
geschickt zu dem nächsten Teile über. Je leichter und natürlicher die
Übergänge erscheinen, um so besser ist der ganze Aufsatz. Wortreichtum
in den Übergängen ist aufs sorgfältigste zu meiden. Unerträglich sind
Wendungen wie: „Nachdem wir nun die Phanerogamen betrachtet haben,
gehen wir zu den Kryptogamen über“ oder: „Sehen wir uns nun die
Kryptogamen näher an“ oder: „Es sind aber nicht nur die Phanerogamen
zu betrachten, sondern auch die Kryptogamen“ usw. Je genauer das ganze
Thema durchdacht worden ist, um so leichter und natürlicher werden sich
die Übergänge gestalten.


44. Über die Kunst, seine Gedanken gut auszusprechen.

+Justus Möser+ (1720-1794), der berühmte Verfasser der +Osnabrückischen
Geschichte+ und der +patriotischen Phantasien+, beantwortet in einem
Aufsatze, der dem letztgenannten Werke entnommen ist, die Frage:
„+Wie gelangt man zu einem guten Vortrage seiner Empfindungen?+“
„Ihre Klage, liebster Freund“, schreibt er, „daß Sie sich in Ausdruck
und Vorstellung selten ganz vollkommen genug tun können, wenn Sie
eine wichtig und mächtig empfundene Wahrheit anderen vortragen
wollen, mag leicht gegründet sein; aber daß dieses eben einen Mangel
der Sprache zur Ursache habe, davon bin ich noch nicht überzeugt.
Freilich sind alle Worte, besonders die toten auf dem Papiere,
welchen es wahrlich sehr an Physiognomie zum Ausdrucke fehlt, nur
sehr unvollkommene Zeichen unserer Empfindungen und Vorstellungen,
und man fühlt oft bei dem Schweigen eines Mannes mehr als bei den
schönsten niedergeschriebenen Reden. Allein auch jene Zeichen haben
ihre Begleitungen für den empfindenden und denkenden Leser, und wer
die Musik versteht, wird die Noten nicht sklavisch vortragen. Auch
der Leser, wenn er anders die gehörige Fähigkeit hat, kann an den ihm
vorgeschriebenen Worten sich zu dem Verfasser hinauf empfinden und aus
dessen Seele alles herausholen, was darin zurückblieb.

Eher möchte ich sagen, daß Sie Ihre Empfindungen und Gedanken selbst
nicht genug entwickelt hätten, wenn Sie solche vortragen wollen.
Die mehrsten unter den Schreibenden begnügen sich damit, ihren
Gegenstand mit aller Gelassenheit zu überdenken, sodann eine sogenannte
Disposition zu machen und ihren Satz danach auszuführen, oder sie
nützen die Heftigkeit des ersten Anfalles und geben uns aus ihrer
glühenden Einbildungskraft ein frisches Gemälde, was oft bunt und stark
genug ist und doch die Wirkung nicht tut, welche sie erwarteten. Aber
so nötig es auch ist, daß derjenige, der eine große Wahrheit mächtig
vortragen will, dieselbe vorher wohl überdenke, seinen Vortrag ordne,
und seinen Gegenstand, nachdem er ist, mit aller Wärme behandle, so
ist dieses doch noch der eigentliche Weg nicht, worauf man zu einer
kräftigen Darstellung seiner Empfindung gelangt.

Mir mag eine Wahrheit, nachdem ich mich davon aus Büchern und aus
eigenem Nachdenken unterrichtet habe, noch so sehr einleuchten, und
ich mag mich damit noch so bekannt dünken, so wage ich es doch nicht,
sogleich meine Disposition zu machen und sie danach zu behandeln;
vielmehr denke ich, sie habe noch unzählige Falten und Seiten, die
mir jetzt verborgen sind, und ich müßte erst suchen, solche soviel
möglich zu gewinnen, ehe ich an irgendeinen Vortrag oder Disposition
und Ausführung gedenken dürfe. Diesem nach werfe ich zuerst, sobald
ich mich von meinem Gegenstande begeistert und zum Vortragen geschickt
fühle, alles, was mir darüber beifällt, aufs Papier. Des anderen Tages
verfahre ich wieder so, wenn mich mein Gegenstand von neuem zu sich
reißt, und das wiederhole ich so lange, als das Feuer und die Begierde
zunimmt, immer tiefer in die Sache einzudringen. So wie ich eine
Lieferung auf das Papier gebracht und die Seele von ihrer ersten Last
entledigt habe, dehnt sie sich nach und nach weiter aus und gewinnt
neue Aussichten, die zuerst noch von näheren Bildern bedeckt wurden.
Je weiter sie eindringt und je mehr sie entdeckt, desto feuriger
und leidenschaftlicher wird sie für ihren geliebten Gegenstand. Sie
sieht immer schönere Verhältnisse, fühlt sich leichter und freier zum
Vergleichen, ist mit allen Teilen bekannt und vertraut, verweilet und
gefällt sich in deren Betrachtung, und hört nicht eher auf, als bis sie
gleichsam die letzte Gunst erhalten hat.

Und nun, wenn ich so weit bin, womit insgemein mehrere Tage und
Nächte, Morgen- und Abendstunden zugebracht sind, indem ich bei dem
geringsten Anscheine von Erschlaffung die Feder niederlege, fang’ ich
in der Stunde des Berufs an, mein Geschriebenes nachzulesen und zu
überdenken, wie ich meinen Vortrag einrichten wolle. Fast immer hat
sich während dieser Arbeit die beste Art und Weise, wie die Sache
vorgestellt sein will, von selbst entdeckt, oder wo ich hierüber noch
nicht mit mir einig werden kann, so lege ich mein Papier beiseite und
erwarte eine glücklichere Stunde, die durchaus von selbst kommen muß,
und leicht kommt, nachdem man einmal mit einer Wahrheit so vertraut
worden ist. Ist aber die beste Art der Vorstellung, die immer nur
einzig ist, während der Arbeit aus der Sache hervorgegangen, so fang’
ich allmählich an, alles, was ich auf diese Art meiner Seele abgewonnen
habe, danach zu ordnen, was sich nicht dazu paßt, wegzustreichen und
jedes auf seine Stelle zu bringen.

Insgemein fällt alles, was ich zuerst niedergeschrieben habe, ganz
weg, oder es sind zerstreute Einheiten, die ich jetzt nur mit der
herauskommenden Summe zu bemerken nötig habe. Desto mehr behalte
ich von den folgenden Operationen, worin sich alles schon mehr zur
Bestimmung geneigt hat, und der letzte Gewinn dient mehrenteils nur
zur Deutlichkeit und zur Erleichterung des Vortrages. Die Ordnung
oder Stellung der Gründe folgt nach dem Hauptplan von selbst, und
das Kolorit überlasse ich der Hand, die, was die erhitzte Einbildung
nunmehr mächtig fühlt, auch mächtig und feurig malt, ohne dabei einer
besonderen Leitung zu bedürfen.

Doch will ich nicht eben sagen, daß Sie sich sogleich hierin selbst
trauen sollen. Jeder Grund hat seine einzige Stelle, und er wirkt nicht
auf der einen, wie auf der anderen. Gesetzt, ich wollte Ihnen beweisen,
daß das frühere Disponieren sehr mißlich sei, und finge damit an, daß
ich Ihnen sagte: „Garrick bewunderte die Clairon als Frankreichs größte
Aktrice, aber er fand es doch klein, daß sie jeden Grad der Raserei,
worauf sie als Medea steigen wollte, vorher bei kaltem Blute und in
ihrem Zimmer bestimmen konnte“, so würden Sie freilich die Richtigkeit
der Vergleichung leicht finden, aber doch nicht alles dabei fühlen,
was ich wollte, daß Sie dabei fühlen sollten. Garrick disponierte
seine Rolle nie zum voraus, er arbeitete sich nur in die Situationen
der Personen hinein, welche er vorzustellen hatte, und überließ es
dann seiner mächtigen Seele, sich seiner ganzen Kunst nach ihren
augenblicklichen Empfindungen zu bedienen. Und das muß ein jeder tun,
der eine mächtige Empfindung mächtig ausdrücken will.

Das Kolorieren ist leichter, wenn man es von der Haltung trennt, aber
in Verbindung mit derselben schwer. Hierüber lassen sich nicht wohl
Regeln geben; man lernt es bloß durch eine aufmerksame Betrachtung
der Natur und viele Übung, was man entfernen oder vorrücken, stark
oder schwach ausdrücken soll. Das mehrste hängt jedoch hierbei von
der Unterordnung in der Gruppierung ab, und wenn Sie hierin glücklich
und richtig gewesen sind, so wird die Verschiedenheit des Standortes,
woraus die Leser, wofür Sie schreiben, Ihr Gemälde ansehen, nur eine
allgemeine Überlegung verdienen.

Unter Millionen Menschen ist vielleicht nur ein einziger, der seine
Seele so zu pressen weiß, daß sie alles hergibt, was sie hergeben kann.
Viele, sehr viele haben eine Menge von Eindrücken, sie mögen nun von
der Kunst oder von der Natur herrühren, bei sich verborgen, ohne daß
sie es selbst wissen; man muß die Seele in eine Situation versetzen, um
sich zu rühren; man muß sie erhitzen, um sich aufzuschließen, und zur
Schwärmerei bringen, um alles aufzuopfern. Horaz empfahl den Wein als
eine gelinde Tortur der Seele, andere halten die Liebe zum Gegenstande
für mächtiger, oder den Durst zu Entdeckungen; jeder muß hierin sich
selbst prüfen. Rousseau gab nie etwas von den ersten Aufwallungen
seiner Seele. Wer nur diese und nichts mehr gibt, der trägt nur
solche Wahrheiten vor, die dem Menschen insgemein auffallen und jedem
bekannt sind. Er hingegen arbeitete oft zehnmal auf die Art, wie ich
es Ihnen vorgeschlagen habe, und hörte nicht auf, solange noch etwas
zu gewinnen übrig war. Wenn dieses ein großer Mann tut, so kann man so
ziemlich sicher sein, daß er weiter vorgedrungen sei, als irgendein
anderer vor ihm. So oft Sie sich mächtiger in der Empfindung als im
Ausdrucke fühlen, so glauben Sie nur dreist, Ihre Seele sei faul, sie
wolle nicht alles hervorbringen. Greifen Sie dieselbe an, wenn Sie
fühlen, daß es Zeit ist, und lassen sie arbeiten. Alle Ideen, die ihr
jemals eingedrückt sind und die sie sich selbst aus den eingedrückten
unbemerkt gezogen hat, müssen in Bewegung und Glut gebracht werden; sie
muß vergleichen, schließen und empfinden, was sie auf andere Art ewig
nicht tun wird, sie muß verliebt und erhitzt werden gegen ihren großen
Gegenstand. -- Aber auch für die Liebe gibt es keine Disposition;
kaum weiß man es nachher zu erzählen, wie man von einer Situation zur
anderen gekommen ist.“[25]



Anhang zur Stilistik.


I. Übungsbeispiele zur Wiederholung der Syntax.

1. Und wenn die anderen Regimenter alle sich von dir wenden, wollen
wir allein dir treu sein, unser Leben für dich lassen, denn das
ist unsere Reiterpflicht, daß wir umkommen lieber, als dich sinken
lassen. +Schiller.+ -- 2. Jede öffentliche Entscheidung Egmonts war
ein Triumphzug; jedes Auge, das auf ihn geheftet war, erzählte sein
Leben; in der Ruhmredigkeit seiner Kriegsgefährten lebten seine Taten;
ihren Kindern hatten ihn die Mütter bei ritterlichen Spielen gezeigt.
+Schiller.+ -- 3. Zwar sichert uns die Macht vor der Verfolgung, und
wenn der Gegner nicht auch Flügel hat, so fürcht’ ich keinen Überfall,
dennoch bedarf’s der Vorsicht, denn wir haben es mit einem kecken
Feind und sind geschlagen. +Schiller.+ -- 4. Ihr kanntet ihn, wie er
mit Riesenschritte den Kreis des Wollens, des Vollbringens maß, durch
Zeit und Land der Völker Sinn und Sitte, das dunkle Buch mit heiterm
Blicke las; doch wie er atemlos in unsrer Mitte in Leiden bangte,
kümmerlich genas, das haben wir in traurig schönen Jahren, denn er
war unser, leidend miterfahren. +Goethe.+ -- 5. Unsere Wünsche sind
Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen,
was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten,
stellt sich unserer Einbildungskraft außer uns und in der Zukunft dar,
wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im stillen besitzen.
+Goethe.+ -- 6. Liegt nun eine solche Richtung entschieden in unserer
Natur, so wird mit jedem Schritt unserer Entwickelung ein Teil des
ersten Wunsches erfüllt, bei günstigen Umständen auf dem geraden Wege,
bei ungünstigen auf einem Umwege, von dem wir immer wieder nach jenem
einlenken. +Goethe.+ -- 7. Nun gesellen sich aber zur menschlichen
Beschränktheit noch so viele zufällige Hindernisse, daß hier ein
Begonnenes liegen bleibt, dort ein Ergriffenes aus der Hand fällt und
ein Wunsch nach dem anderen sich verzettelt. +Goethe.+ -- 8. Waren aber
diese Wünsche aus einem reinen Herzen entsprungen, dem Bedürfnis der
Zeit gemäß, so darf man ruhig rechts und links liegen und fallen lassen
und kann versichert sein, daß nicht allein dieses wieder aufgefunden
und aufgehoben werden muß, sondern daß auch noch gar manches Verwandte,
das man nie berührt, ja woran man nie gedacht hat, zum Vorschein kommen
werde. +Goethe.+ -- 9. Sehen wir nun während unseres Lebensganges
dasjenige von anderen geleistet, wozu wir selbst früher einen Beruf
fühlten, ihn aber mit manchem anderen aufgeben mußten, dann tritt das
schöne Gefühl ein, daß die Menschheit zusammen erst der wahre Mensch
ist und daß der einzelne nur froh und glücklich sein kann, wenn er den
Mut hat, sich im Ganzen zu fühlen. +Goethe.+ -- 10. Lieblich winket der
Wein, wenn er Empfindungen, bess’re, sanftere Luft, wenn er Gedanken
winkt, im sokratischen Becher, von der tauenden Ros’ umkränzt; wenn er
dringt bis ins Herz und zu Entschließungen, die der Säufer verkennt,
jeden Gedanken weckt, wenn er lehret verachten, was nicht würdig des
Weisen ist. +Klopstock.+ -- 11. Mag es sein, sprach der Schlaf, daß
ich den Unglücklichen erwünscht bin, denen ich die Last ihrer Sorgen
entnehme und sie mit milder Vergessenheit tränke, mag es sein, daß
ich dem Müden gefällig komme, den ich doch auch nur zu mühseliger
neuer Arbeit stärke: aber was bin ich denen, die nie ermüden, die von
keiner Sorge des Lebens wissen, denen ich immer nur den Kreis ihrer
Freuden störe? +Herder.+ -- 12. Nicht Opfer, nicht Gefahren will ich
scheu’n, den letzten Schritt, den äußersten zu meiden; doch eh’ ich
sinke in die Nichtigkeit, so klein aufhöre, der so groß begonnen, eh’
mich die Welt mit jenen Elenden verwechselt, die der Tag erschafft und
stürzt, eh’ spreche Welt und Nachwelt meinen Namen mit Abscheu aus,
und Friedland sei die Losung für jede fluchenswerte Tat! +Schiller.+
-- 13. Es begegnet mir von Zeit zu Zeit ein Jüngling, an dem ich
nichts verändert noch gebessert wünschte; nur macht mir bange, daß ich
manchen vollkommen geeignet sehe, im Zeitstrome mit fortzuschwimmen,
und hier ist’s, wo ich immerfort aufmerksam machen möchte: daß dem
Menschen in seinem zerbrechlichen Kahn eben deshalb das Ruder in die
Hand gegeben ist, damit er nicht der Willkür der Wellen, sondern dem
Willen seiner Einsicht Folge leiste. +Goethe.+ -- 14. Für das größte
Unheil unserer Zeit, die nichts reif werden läßt, muß ich halten, daß
man im nächsten Augenblick den vorhergehenden verspeist, den Tag im
Tage vertut und so immer aus der Hand in den Mund lebt, ohne irgend
etwas vor sich zu bringen. +Goethe.+ -- 15. Die gegenwärtige Welt
ist nicht wert, daß wir etwas für sie tun; denn die bestehende kann
in dem Augenblick abscheiden. Für die vergangene und künftige müssen
wir arbeiten; für jene, daß wir ihr Verdienst anerkennen, für diese,
daß wir ihren Wert zu erhöhen suchen. +Goethe.+ -- 16. Nicht die
Sprache an und für sich ist richtig, tüchtig, zierlich, sondern der
Geist ist es, der sich darin verkörpert, und so kommt es nicht auf
einen jeden an, ob er seinen Reden und Gedichten die wünschenswerten
Eigenschaften verleihen will: es ist die Frage, ob ihm die Natur
hierzu die geistigen und sittlichen Eigenschaften verliehen hat; die
geistigen: das Vermögen der An- und Durchschauung; die sittlichen: daß
er die bösen Dämonen ablehne, die ihn hindern könnten, dem Wahren die
Ehre zu geben. +Goethe.+ -- 17. Wenn ich das Aufklären und Erweitern
der Naturwissenschaften in der neuesten Zeit betrachte, so komme ich
mir vor wie ein Wanderer, der in der Morgendämmerung gegen Osten ging,
die heranwachsende Helle mit Freuden, aber ungeduldig anschaute und
die Zukunft des entscheidenden Lichtes mit Sehnsucht erwartete, aber
doch bei dem Hervortreten desselben die Augen wegwenden mußte, welche
den so sehr gewünschten und gehofften Glanz nicht ertragen konnten.
+Goethe.+ -- 18. Der Mensch ist so geneigt, sich mit dem Gemeinsten
abzugeben, Geist und Sinn stumpfen sich so leicht gegen Eindrücke des
Vollkommenen ab, daß man die Fähigkeit, es zu empfinden, bei sich auf
alle Weise erhalten sollte; denn einen solchen Genuß kann niemand
entbehren, und nur die Ungewißheit, etwas Gutes zu genießen, ist
Ursache, daß viele Menschen schon am Albernen und Abgeschmackten, wenn
es nur neu ist, Vergnügen finden. Man sollte alle Tage wenigstens ein
kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde
sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte
sprechen. +Goethe.+ -- 19. So viel Überwindung es dem Prinzen von
Oranien und seinen Freunden bei ihrer Denkungsart schon kosten mußte,
in diesem Streite nicht Partei zu nehmen, so sehr schon ihr natürlicher
Freiheitssinn, ihre Vaterlandsliebe und ihre Begriffe von Duldung unter
dem Zwange litten, den ihr Posten ihnen auferlegte: so sehr mußte das
Mißtrauen Philipps gegen sie, die wenige Achtung, mit der ihr Gutachten
seit langer Zeit pflegte aufgenommen zu werden, und das zurücksetzende
Betragen, das ihnen von der Herzogin widerfuhr, ihren Diensteifer
erkälten und ihnen die Fortsetzung einer Rolle erschweren, die sie
mit so vielem Widerwillen und so wenigem Danke spielten. +Schiller.+
-- 20. Am allertiefsten erniedrigt es uns vor dem Auslande, wenn wir
uns darauf legen, demselben zu schmeicheln. Es fehlt uns nämlich in
dieser Verrichtung an aller dem Ausländer eigenen Feinheit; um doch
ja nicht überhört zu werden, werden wir plump und übertreibend und
heben mit Vergötterungen und Versetzungen unter die Gestirne gleich
an. Dazu kommt, daß es bei uns das Ansehen hat, als ob es vorzüglich
der Schrecken und die Furcht sei, die unsere Lobeserhebungen uns
auspressen, aber es ist kein Gegenstand lächerlicher, denn ein
Furchtsamer, der die Schönheit und Anmut desjenigen lobpreist, was er
in der Tat für ein Ungeheuer hält, das er durch diese Schmeichelei nur
bestechen will, ihn nicht zu verschlingen. +Fichte.+


II. Rektionslehre.


~A.~ Rektion der Verben.


1. Verben, die den Akkusativ regieren.

~a~) Den Akkusativ regieren alle +transitiven Verben+ (vgl. Teil I, S.
162). Besonders hervorzuheben sind hier: 1. Die mit den Präpositionen
+durch+, +über+, +hinter+, +unter+, +um+ und mit +voll untrennbar+
zusammengesetzten Verben, sowie die Verben mit der Vorsilbe +be+,
z. B.: ein Buch durchblättern, einen Schrank durchsuchen, eine Schrift
übersetzen, einen Brief überbringen, den Freund hintergehen, einen
Vertrag unterschreiben, einen Schüler unterweisen, einen umringen,
eine Arbeit vollenden, eine Tat vollbringen, einen Befehl vollziehen,
einen bewundern, beweinen, berühren usw.[26] 2. Die +Verba causativa+
(vgl. Teil I, S. 171 flg.), z. B.: einen Baum fällen, Holz flößen,
einen Wagen fahren (d. i. führen), die Pferde tränken, den Hut
schwenken, Geld verschwenden usw. -- 3. Eine große Zahl formelhafter
Redewendungen, in denen der Begriff des Verbums erst durch den
Akkusativ eines Substantivs vollständig gemacht wird. Gewöhnlich sind
diese Wendungen Umschreibungen eines einfachen Verbums, z. B.: Abbitte
tun (d. i. abbitten), Abbruch, Schaden, einen Hieb, einen Fall, einen
Schlaf, einen Gefallen tun; eine Rede, Ruhe, Maß halten; Frieden,
Unruhe stiften; den Mut, das Herz, die Freundlichkeit, die Gnade haben;
Abschied, Urlaub, Schaden, die Freiheit, ein Ende nehmen; den Anfang,
sein Glück, Spaß machen usw. -- Sogar zu intransitiven Verben kann
auf diese Weise ein Akkusativ treten, z. B.: +Er schläft den+ ewigen
+Schlaf+. +Schiller.+ -- +Einen+ guten +Kampf+ hab’ ich +gekämpfet+.
+Luther.+ -- Ich muß +fliegen+ den kühnen +Flug+. +Klopstock.+ Man
nennt solche Akkusative +innere Objekte+ (vgl. I, S. 163 Anm.).

Außer dem Akkusativobjekte haben viele transitive Verben auch noch
ein Dativ- oder Genitivobjekt bei sich. Zu dem +Akkusativ der Sache+
tritt gewöhnlich ein +Dativ der Person+, und zu dem +Akkusativ der
Person+ tritt ein +Genitiv der Sache+, z. B. +Körper und Stimme+ leiht
die Schrift +dem stummen Gedanken+. +Schiller.+ -- +Drei Tage+ will
ich +dir+ schenken. +Schiller.+ -- Ihr zwangt mit frechem Possenspiel
die Richter, +den Schuldigen des Mordes+ loszusprechen. +Schiller.+ --
Nichts kann +ihn seines Schwurs+ entbinden. +Wieland.+ -- Mein Freund
versicherte +mir seinen Beistand+. Mein Freund versicherte +mich seines
Beistandes+.

Wird neben dem Ganzen, auf welches sich die Tätigkeit eines transitiven
Verbums richtet, noch ein besonderer Teil des Ganzen genannt, der
zunächst von der Tätigkeit getroffen wird, so tritt entweder das Ganze
in den +Dativ+ und der Teil in den +Akkusativ+, z. B.: Er schnitt +mir
das Haar+, ich wasche +mir die Hände+; oder der Teil wird durch eine
+Präposition+ angeknüpft und das Ganze tritt, je nachdem die Beziehung
eine engere oder weniger enge ist, in den +Akkusativ+ oder in den
+Dativ+, z. B.: Er schlug +mich+ oder +mir+ auf den Rücken, er trat
+mich+ oder +mir+ auf den Fuß, er traf mich ins Gesicht, er sah mir ins
Gesicht, er nahm mich bei der Hand, er sah mir auf die Hände usw.

~b~) Einige +unpersönliche+ oder +unpersönlich gebrauchte Verben+ haben
einen +Akkusativ+ der Person (zuweilen auch einen Akkusativ der Sache)
bei sich, z. B.: es hungert +mich+, oder +mich+ hungert, dürstet,
friert, verlangt, gelüstet u. a. Hierher gehören Wendungen wie: es gibt
einen schweren Kampf, es gilt schnellen Rat, es hagelt todbringende
Geschosse, es regnet Steine u. a. -- Verwandt sind Konstruktionen, in
denen irgendeine Sache, die auch durch die Pronomina +das+ oder +es+
ausgedrückt sein kann, Subjekt ist, während die Person in den Akkusativ
tritt, z. B.: Diese Angelegenheit verdrießt mich, oder: das verdrießt
mich, es wundert, ärgert, freut, betrübt, jammert mich usw. Wie jammert
+mich das edle Herz+! +Goethe.+

~c~) Das Reflexivpronomen steht bei den meisten reflexiven Verben im
Akkusativ, z. B.: ich wundere mich, schäme mich, erinnere mich, sehne
mich, erbarme mich, fürchte mich usw.

~d~) Einige Verben werden mit einem +doppelten Akkusativ+ verbunden,
und zwar 1. mit zwei +Objektsakkusativen+:

  +lehren+[27], z. B.: Wer lehrte +dich diese gewaltigen Worte+?
  +Lessing.+ -- Und lehr’ du mich mit Fleiß und Acht, wie man
  die guten Schwerter macht. +Uhland.+ -- Lehre +mich tun+ nach
  deinem Wohlgefallen. +Luther.+ -- Du willst +Wahres mich+ lehren.
  +Schiller.+ -- Statt der passiven Form von +lehren+ gebraucht man
  in den Fällen, in welchen die Person mit genannt wird, die in einer
  Sache unterwiesen wird, am besten andere entsprechende Wendungen,
  wie: „Ich werde in einer Sache unterrichtet, unterwiesen, ich lerne
  eine Sache.“ Will man aber doch die passive Form von +lehren+
  anwenden, so ist der Ausdrucksweise: „Ich werde etwas gelehrt“[28]
  der Vorzug zu geben vor der Wendung: „+Mir+ wird etwas gelehrt.“
  Das Schlimmste, was uns widerfährt, +das+ werden +wir+ vom Tag
  gelehrt. +Goethe.+ -- Zu tadeln ist die Konstruktion: „+Mich wird+
  etwas gelehrt“ (statt: Ich werde etwas gelehrt), die sich auch bei
  einzelnen Schriftstellern findet.

  +fragen+: Der doppelte Akkusativ steht nur dann, wenn die Sache,
  nach der jemand fragt, durch ein Pronomen oder unbestimmtes Zahlwort
  ausgedrückt wird, sonst wird das sachliche Objekt durch die
  Präposition +nach+ angeknüpft, z. B.: er fragte mich +etwas+, +das+
  fragst +du mich+? er fragte +mich vieles+, +eins+ frage ich +dich+.
  Ihr habt +mich nichts+ zu fragen, Thekla? +Schiller.+ Dagegen:
  Er fragte +mich nach meinem Berufe+, er fragte +ihn nach seiner
  Herkunft+. -- Bei der passiven Form gebraucht man die Konstruktion:
  Er wurde +etwas+ oder +nach etwas+ gefragt. Er wurde nach seiner
  Herkunft gefragt. Das bin ich nicht gefragt worden. -- Auch bei
  +bitten+ kann ein +doppelter Akkusativ+ stehen, wenn die Sache,
  um die man bittet, durch ein Pronomen oder unbestimmtes Zahlwort
  ausgedrückt ist, z. B.: +Das+ bitte ich dich, +eins+ bitte ich dich
  u. ähnl. Sonst aber bedient man sich bei +bitten+ der Präposition
  +um+, z. B.: Die Feinde baten ihn +um Frieden+.

2. mit einem +Objektsakkusativ+ und einem +prädikativen Akkusativ+:

  +nennen+, +heißen+, +schelten+, +schimpfen+, +taufen+, z. B.: Man
  nannte, hieß +ihn den Wohltäter+ des Volkes; man schimpfte, schalt
  +ihn einen Verräter+; man taufte +den Knaben Karl+. Man nennt +mich+
  hier Don Philipps +Sohn+. +Schiller.+ -- Bei der Umwandlung in die
  passive Form treten beide Akkusative in den +Nominativ+, z. B.: Er
  +wurde der Wohltäter+ des Volkes genannt usw.

  +Anmerkung 1.+ Bei den Verben +lehren+, +nennen+, +heißen+ steht
  an Stelle des zweiten objektiven oder prädikativen Akkusativs oft
  auch ein +Infinitiv+, z. B.: Heiß +mich nicht reden+, heiß +mich
  schweigen+. +Goethe. Das+ nennst du Wort halten. Er lehrt +mich
  schreiben+. -- Ebenso werden die Verben +machen+, +hören+, +sehen+,
  +finden+, +fühlen+ oft mit einem +Akkusativ+ oder einem +Infinitiv+
  verbunden, z. B.: Der Kasus macht +mich lachen+. +Goethe.+ Noch
  +keinen+ sah ich fröhlich +enden+. +Schiller.+ Ich hörte +ihn
  kommen+, ich fand +ihn+ vor der Tür +sitzen+, er fühlte +die Gefahr
  herannahen+ usw. Bei den letztgenannten fünf Verben steht der
  Infinitiv an Stelle des ersten Partizips, das daher zuweilen mit
  dem Infinitiv wechselt, z. B.: Ich fand +ihn schlafend+ u. ähnl. --
  Die Stelle des zweiten (prädikativen) Akkusativs nimmt oft auch ein
  +Adjektiv+ ein, z. B.: Man schalt +ihn töricht+, man nannte +ihn
  weise+, wir preisen +dich glücklich+ u. a. -- Häufig wird auch der
  prädikative Akkusativ durch eine Konstruktion mit +als+ ersetzt,
  z. B.: Sie priesen ihn +als ihren Befreier+. Man bezeichnete ihn +als
  den Wohltäter+ des Volkes. Ich achte ihn +als treuen Ratgeber+ usw.

  +Anmerkung 2.+ Über +lassen+, +heißen+, +sehen+, +hören+ usw. in
  Verbindung mit transitiven Verben s. Teil I, S. 186 Anm. 1. -- Wenn
  der Akkusativ von dem Infinitiv regiert wird, erhält dieser passive
  Bedeutung. Der Satz: „Er ließ mich tragen“ kann einen doppelten Sinn
  haben, entweder bedeutet er: „Er befahl, daß ich etwas trage“ oder:
  „Er befahl, daß ich getragen werde.“ Im letzten Falle hängt der
  Akkusativ +mich+ von dem Infinitiv +tragen+ ab, und der Infinitiv
  hat daher passive Bedeutung. Er ließ ein Glas Wasser holen, d. i. er
  befahl, daß ein Glas Wasser geholt werde; ich hörte +dich preisen+,
  d. i. ich hörte, daß du gepriesen wurdest usw.

  +Anmerkung 3.+ Seit dem vorigen Jahrhundert findet sich in unserer
  Sprache das Verbum +heißen+ nicht selten mit dem +Dativ+ und
  +Infinitiv+ (in +aktiver+ Bedeutung) verbunden. Diese Konstruktion
  ist als fehlerhaft zu vermeiden, man muß also sagen: „Wer hat
  +dich+ das +tun+ heißen?“ nicht: „Wer hat +dir+ das tun heißen?“
  -- Der Dativ ist nur gestattet, wenn er von dem Infinitiv abhängig
  ist, und der Infinitiv hat dann immer +passive+ Bedeutung, z. B.:
  Er hieß +mir+ ein Glas Wasser bringen, d. h.: Er befahl, daß mir
  ein Glas Wasser +gebracht werde+. Dagegen: Er hieß +mich+ ein Glas
  Wasser bringen = Er befahl, daß ich ein Glas Wasser +bringe+. -- In
  derselben Weise unterscheidet man bei +lassen+: „Er ließ mir ein Glas
  Wasser bringen“, und: „Er ließ mich ein Glas Wasser bringen.“ Oder:
  „+Laß ihn+ nichts +merken+!“ heißt: „Bewirke, daß er nichts +merkt+.“
  „+Laß dir+ nichts merken!“ dagegen heißt: Bewirke, daß dir nichts
  +angemerkt+ wird.


2. Verben, die den Dativ regieren.

~a~) Den Dativ regieren die +intransitiven+ Verben: einem ähneln,
danken, dienen, drohen, fehlen, fluchen, folgen, frönen, frommen,
gleichen, glücken, helfen, huldigen, mangeln, nahen, nützen,
passen, schaden, scheinen, schmecken, schmeicheln, steuern, trauen,
trotzen, wehren, weichen, winken, ziemen, zürnen u. a. Auch viele
zusammengesetzte Intransitiva werden mit dem Dativ verbunden: einem
abgehen, abhelfen, abraten, anhängen, anliegen, auffallen, auflauern,
aufpassen, aufwarten, aushelfen, ausweichen, beifallen, beikommen,
beipflichten, beispringen, beistehen, beistimmen, einfallen,
einleuchten, entgegengehen, nachdenken, nacheifern, nachfolgen,
nachgeben, nachgehen, nachsehen, nachstehen, nachstellen, vorarbeiten,
vorbeugen, vorgehen, vorkommen, vorstehen, widerfahren, widersprechen,
widerstehen, zufallen, zufließen, zugehören, zuhören, zukommen,
zusehen, zustehen, zutrinken, zuwinken usw. Ferner: gebühren,
gebrechen, gefallen, gehören, gehorchen, gelingen, gereichen,
mißfallen, mißglücken, mißlingen, mißtrauen, begegnen, behagen,
bekommen, erliegen, erscheinen, verfallen, entfahren, entfallen,
entfliehen, entgehen, entkommen, entlaufen, entrinnen, entsagen,
entsprechen, entspringen, entwachsen, entweichen, entwischen u. a.

~b~) Viele +transitive+ Verben können neben dem Akkusativ der Sache
einen +Dativ der Person+ bei sich haben, z. B.: einem etwas borgen,
bringen, geben, glauben, gönnen, klagen, weigern, weihen, widmen,
zeigen u. a. (Vgl. S. 73.)

~c~) Einige +unpersönliche+ und +unpersönlich gebrauchte+ Verben nehmen
den +Dativ+ zu sich, z. B.: es graut mir, es +fehlt+, +gebricht+ oder
+mangelt+ mir an etwas, +mir+ ist daran gelegen oder liegt daran, es
schaudert mir, es ahnt, scheint, beliebt, bangt, bekommt mir usw.
Hierher gehören auch die Redewendungen wie: +Mir+ geht es gut, +mir+
ist übel zumute, +mir+ wird bange, wohl, weh usw.

~d~) Einige +zusammengesetzte Ausdrücke+, welche an Stelle eines
einfachen Verbums stehen, regieren den +Dativ+, z. B.: einem zu Hilfe
kommen, einem Hohn sprechen, einem zuteil werden, einem kund tun, einem
Schaden tun usw.

~e~) Einige +reflexive+ Verben haben das Reflexivpronomen im
+Dativ+[29] bei sich, z. B.: ich bilde +mir+ ein, ich maße +mir+ an,
ich nehme +mir+ vor, ich verbitte +mir+, ich bitte +mir+ aus, ich
getraue +mir+, ich stelle +mir+ vor, wage +mir+, gebe +mir+ Mühe usw.

~f~) Der +Dativ+ vertritt oft die Stelle eines +Possessivpronomens+
oder eines +possessiven Genitivs+, z. B.: Er lag ihm zu Füßen (statt:
zu seinen Füßen). Er warf sich +mir in die Arme+ (statt: in meine
Arme). Das Wasser netzt +ihm+ den (statt: seinen) nackten Fuß.
+Goethe.+ +Dem Freunde+ zittert die Hand = Die Hand +des Freundes+
zittert. (Vgl. S. 73.)

~g~) Zuweilen kann das Dativobjekt auch durch eine präpositionale
Wendung umschrieben werden, z. B.: ich schreibe +dir+ oder +an dich+,
ich gebe +dieser Familie+ oder +an diese Familie+ Geld, ich zahle,
schenke, gebe +dieser Gesellschaft+ oder +an diese Gesellschaft+ eine
Summe, ich habe +ihm+ oder +an ihn+ Geld geliehen usw. Der Dativ
hebt immer die unmittelbare persönliche Beziehung hervor, während
die präpositionale Umschreibung nur ein Richtungsverhältnis angibt
und eine entferntere, bloß mittelbare Beziehung andeutet. Zuweilen
jedoch werden dadurch noch weiter gehende Unterschiede der Bedeutung
bezeichnet, z. B.: ich verrate +dir+ etwas oder: ich verrate +an dich+
etwas. Die zweite Wendung schließt immer die bewußte Absicht des
Auslieferns oder Überlieferns mit ein, während die erste Wendung auch
dann gebraucht werden kann, wenn das Verraten unabsichtlich geschieht.
Er hat mich +an meine Feinde+ verraten. Durch seine Unbedachtsamkeit
hat er +meinen Feinden+ alles verraten.

  +Anmerkung 1.+ Um die persönliche Teilnahme an einem Ereignis mit
  besonderer Lebendigkeit hervorzuheben, fügt man oft den Dativ eines
  persönlichen Fürwortes in einen Satz ein, z. B.: Das war +dir+
  eine Pracht. -- Das waren +mir+ selige Tage! -- Es sind +Euch+ gar
  trotzige Kameraden. +Schiller+, u. ähnl. Man nennt diesen Dativ
  den +ethischen Dativ+. -- Der +Dativ+ steht ferner oft statt der
  Präposition +für mit dem Akkusativ+, z. B.: Wie herrlich leuchtet
  +mir+ die Natur (d. i. für mich). +Goethe.+ Die Uhr schlägt +keinem
  Glücklichen+. Was Thukydides +für Hellas+, Tacitus +für Rom+, das war
  er (Joh. v. Müller) +seinem Vaterlande+. +König Ludwig von Bayern.+
  Dieser Dativ heißt der ~Dativus commodi~.

  +Anmerkung 2.+ In dichterischer Sprache steht der Dativ oft da, wo
  in Prosa eine präpositionale Wendung gebraucht wird, z. B.: Nie hab’
  ich +dem Tod+ gezittert (statt: vor dem Tod). +Grillparzer.+ Ich will
  lachen +seinem Wüten+ (statt: über sein Wüten). +Derselbe.+


3. Verben, die den Genitiv regieren.

~a~) Den +Genitiv+ regieren die +intransitiven+ oder +intransitiv
gebrauchten Verben+: einer Sache achten, bedürfen, begehren, brauchen,
gedenken, entbehren, entgelten, entarten, ermangeln, erwähnen, fehlen
(d. i. nicht treffen), genießen, gewahren, harren, hüten, lachen,
mangeln, pflegen, schonen, sparen, spotten, vergessen, wahren,
wahrnehmen, walten, warten u. a. +Beispiele+: +Die dieser+ Welt
brauchen, daß sie +derselben+ nicht mißbrauchen. +Luther.+ -- Niemand
weiß, wie lange er +des Ackers+ entbehrt, und +des Gartens+, der ihn
ernährt. +Goethe.+ -- Du sollst +meines Volkes Israel+ hüten. +Luther.+
-- Wie ich +eines Felsenriffs+ gewahre, schrie ich den Knechten,
handlich zuzugehen. +Schiller.+ -- Und +Euer+ wahrlich! hätt’ ich nicht
gefehlt. +Schiller.+ -- Jetzt +pflegt+ sie einen Augenblick der Ruhe.
+Schiller.+ -- Gott hat die Menschen so gebildet, daß sie +der Gaben+
seiner Gnade mit Ergötzung genießen können. +Gellert.+ -- O nimm +der
Stunde+ wahr, eh’ sie entschlüpft. +Schiller.+ -- Zu ihr bring’ ich
dich jetzt, sie wartet +deiner+. +Schiller.+ -- Einige Intransitiva
haben nur in gewissen formelhaften Wendungen einen Genitiv bei sich,
z. B.: des guten Glaubens, der Hoffnung +leben+, Hungers +sterben+, des
Todes sterben u. ähnl.

Die meisten der genannten Verben werden gegenwärtig jedoch nur in
dichterischer Sprache noch mit dem Genitiv verbunden, in prosaischer
Sprache werden sie zum größten Teile transitiv gebraucht und regieren
den Akkusativ, oder sie bleiben auch da intransitiv und nehmen ein
präpositionales Objekt zu sich. So sagt man gewöhnlich: auf etwas
achten, eine Sache begehren, brauchen, an etwas gedenken, eine Sache
entbehren, erwähnen, fehlen, genießen, gewahren, auf etwas harren, eine
Sache hüten, über etwas lachen, es mangelt mir an etwas, über etwas
spotten, eine Sache schonen, sparen, vergessen, wahren, wahrnehmen,
über etwas walten, auf etwas warten, einen Kranken +warten+ (d. i.
pflegen). +Pflegen+ wird nur in den Wendungen: +des Rates, des Umgangs,
der Ruhe pflegen+ mit dem Genitiv verbunden, sonst mit dem Akkusativ,
z. B. einen Kranken pflegen (vgl. I, 169). -- Auch +bedürfen+ kann mit
dem Akkusativ verbunden werden.

~b~) Viele +transitive Verben+ haben neben dem +Akkusativ der Person+
einen +Genitiv der Sache+ bei sich (vgl. S. 73), z. B.: ich +klage dich
eines Verbrechens an+, ich +beraube dich einer Sache+, ich +belehre
dich eines Besseren+ (sonst gewöhnlich: einen +über etwas+ belehren),
er +beschuldigt+ ihn +eines Verbrechens+, er +entbindet+ mich +meines
Versprechens+ (oder: von meinem Versprechen), er +entblößte ihn aller
seiner Habe+, er +enthob+ mich +aller Sorgen+, man +entkleidete+ ihn
+seiner Würde+, man +entließ+ ihn +seines Amtes+ (oder: aus seinem
Amte), man +entledigte+ ihn +seines Gepäcks+, man +entsetzte+ ihn
+des Amtes+, man +entwöhnte+ ihn +aller Furcht+, das +gemahnt+ mich
+vergangener Zeiten+ (oder: an vergangene Zeiten), man +sprach+ ihn
+des Mordes los+ (gewöhnlich von dem Morde), er +mahnt+ mich +meines
Versprechens+ (oder: an mein Versprechen), man +überführte+ ihn +des
Verbrechens+, er +überhob+ mich +aller Sorge+, er +überwies+ mich
+eines Fehlers+, er +versicherte+ mich +seiner Dankbarkeit+, er
+würdigte+ mich +keines Wortes+, er +zeiht+ mich +einer Sünde+.

~c~) Einige +unpersönlich gebrauchte+ Verben regieren neben dem
+Akkusativ der Person einen Genitiv der Sache+, z. B.: Mich +erbarmt
dieses Unglücklichen+, mich +reut dieses+ schlimmen +Handels+, ihn
+jammerte des Volkes+, es +verdrießt mich der Mühe nicht+, es +lohnt+
sich +der Mühe+. Gewöhnlich konstruiert man jedoch die Ausdrücke
persönlich (mit Ausnahme von +sich lohnen+, das am besten immer mit
dem Genitiv verbunden wird) und setzt also statt des Genitivs den
+Nominativ+, z. B.: +Dieser+ traurige +Zustand+ erbarmt mich, +das
Volk+ jammert mich, +der Weg+ verdrießt mich, +dieser+ unüberlegte
+Schritt+ reut mich. Neben: „Mich gelüstet +einer Sache+“ sagt man
gewöhnlich: „Mich gelüstet +nach+ einer Sache.“

~d~) Viele +reflexive+ Verben regieren den Genitiv, z. B.: sich
+einer Sache+ anmaßen (gewöhnlich: sich +eine Sache+ anmaßen), +sich
jemandes annehmen+, +sich einer Sache bedienen+, +sich einer Sache
befleißigen+, +begeben+, +bemächtigen+, +bemeistern+, +bescheiden+,
sich einer Sache +entäußern+, +enthalten+, +entschlagen+, +entsinnen+,
+erbarmen+ (gewöhnlich: sich +über etwas+ erbarmen), sich einer +Sache
erdreisten+, +erfrechen+, +erfreuen+ (oder: sich +an etwas+ erfreuen),
+erinnern+, +erkühnen+, +erledigen+, +erwehren+, +freuen+, +getrösten+,
+rühmen+, +schämen+, +unterfangen+, +vergewissern+, +vermessen+,
+versehen+, +versichern+, +weigern+, +verwundern+ (gewöhnlich: sich
+über etwas+ wundern). Einige Reflexiva werden nur noch in formelhaften
Wendungen mit dem Genitiv verbunden, z. B.: sich +eines Besseren+
besinnen, sich +Rats+ erholen, sich +seiner Haut+ wehren u. a.

~e~) Statt des Genitivs gebraucht man gewöhnlich +Präpositionen+ bei
folgenden Verben:

+An+ mit dem +Dativ+ bei: mangeln, sich erfreuen, z. B.: Du ließest
es +an+ +gutem Rat+ nicht mangeln. Ich erfreue mich +an dem Grün+ der
Wiesen.

+An+ mit dem +Akkusativ+ bei: denken, gedenken, sich erinnern,
gemahnen, mahnen, z. B.: Denke +an die vergangene Zeit+! Erinnere dich
+an dein Versprechen+. Das gemahnt mich +an die alte Freundschaft+.

+Auf+ mit dem +Akkusativ+ bei: achten, harren, warten, sich besinnen.
Ich achte +auf diese Erscheinung+, harre, warte +auf dich+ usw.

+Nach+ bei: verlangen, es gelüstet mich. Auch +begehren+, das meist mit
dem Akkusativ verbunden wird (vgl. S. 78), regiert in der Bedeutung:
„sehnend verlangen“ ein präpositionales Objekt, das durch +nach+
angeknüpft wird.

+Über+ mit dem +Akkusativ+ bei: walten, lachen, spotten, belehren, sich
erbarmen, sich freuen, sich wundern.

+Von+ bei: entbinden, entblößen, entledigen, entsetzen, entwöhnen, sich
enthalten. +Überzeugen+, das früher auch mit dem Genitiv verbunden
wurde, wird jetzt nur noch mit einem präpositionalen Objekte verbunden:
einen +von etwas+ überzeugen.

Bei anderen Verben bedient man sich in der prosaischen Rede statt des
+Genitivs+ einer Umschreibung durch den +Infinitiv mit zu+, z. B.: Er
erdreistet, erfrecht, erkühnt sich +zu kommen+. Er vermißt sich, das
Werk +zu vollbringen+; er unterfängt, unterwindet sich, mit ihm +zu
reden+; er weigert sich +zu gehen+ usw. Die Verben +sich entblöden+[30]
und +sich unterstehen+, die früher auch mit dem Genitiv verbunden
wurden, lassen gegenwärtig nur noch die angegebene Konstruktion zu,
z. B.: Du solltest +dich entblöden+ (d. i. dich scheuen, schämen), aus
diesem Ton +zu reden+. +Wieland.+ Ich werd’ mich unterstehen, euch +das
zu wehren+. +Schiller.+ In der Frage: „+Was+ unterstehst du dich?“
ist der Akkusativ an die Stelle des älteren Genitivs getreten: „+Wes+
unterstehst +du dich+?“ Ebenso in: +Das+ (früher: des) unterstehst du
dich!

~f~) Über den +prädikativen Genitiv+, der mit dem +Objektsgenitiv+
nicht verwechselt werden darf, vgl. I, 183 Anm. 1.


4. Verben mit schwankender Rektion.

  +angehen+ (in der Bedeutung: +betreffen+) ist mit dem +Akkusativ+,
  nicht mit dem Dativ zu verbinden. Das geht +dich+ (nicht: +dir+)
  nichts an. Unrichtig sagt also +Fichte+: Das geht +dem Weibe+ nichts
  an.

  +ankommen+ (in der Bedeutung: +befallen+) regiert den +Akkusativ+,
  z. B.: Es wird +dich+ Angst ankommen. +Luther.+ Da kam +mich+
  Furcht und Zittern an. +Luther.+ Doch kommt +mich+ bald die Lust
  zu schreiben wieder an. +Opitz.+ Doch hat sich neben dem Akkusativ
  allmählich auch der +Dativ+ eingebürgert; dieser findet sich bei
  +Goethe+, +Schiller+, +Herder+, +Bürger+ u. a. Man kann daher auch
  sagen: +Mir+ kommt ein Grauen an.

  +ankommen+ (in der Bedeutung: +werden+, verbunden mit Adverbien)
  regiert den +Dativ+, z. B.: es kommt +mir+ sauer an (d. i.: es +wird+
  mir sauer), es kommt mir +leicht+, +schwer+, +hart+ an.

  +anwandeln+ regiert den +Akkusativ+: Was wandelte +den Ritter+ an?
  +Schiller.+ -- Es schien +ihn+ gleich nur anzuwandeln, mit dieser
  Dirne geradehin zu handeln. +Goethe.+ Mich wandelt Furcht, Angst,
  eine Schwäche usw. an. -- Neben dem Akkusativ findet sich wie bei
  +ankommen+ auch der Dativ, z. B.: Wenn +ihr+ nur nicht ein unzeitiger
  Appetit anwandelt. +Weiße.+ -- Es wandelte +ihr+ plötzlich eine
  kleine Schwachheit an. +Lessing.+ -- Namentlich in den Formen, die
  mit +sein+ gebildet werden, wird der +Dativ+ gebraucht: Ich weiß
  nicht, was +ihm+ angewandelt ist. Doch kann man auch hier sagen: Ich
  weiß nicht, was +ihn+ angewandelt ist.[31]

  +anfechten+ ist nur mit dem Akkusativ zu verbinden. Was ficht +dich
  an+?

  +sich anmaßen+ wird mit dem +Dativ der Person+ und +Akkusativ der
  Sache+ verbunden, z. B.: Ich maße +mir ein Vorrecht+ an. -- Doch
  findet sich in dichterischer Sprache auch der +Akkusativ der Person+
  und der +Genitiv der Sache+, z. B.: Nicht unwürdig hab’ ich +mich des
  Bundes angemaßt+ mit deiner Tochter. +Schiller.+ Der Konstruktion mit
  dem +Dativ+ ist der Vorzug zu geben.

  +anliegen+ ist nur mit dem +Dativ+ zu verbinden, z. B.: Lag sie +mir+
  an mit unabläss’gem Flehn. +Schiller.+ Der Akkusativ, der sich bei
  Lessing, Klopstock, Jean Paul, Putlitz u. a. findet, ist +unrichtig+
  und nicht zu gestatten.

  +begegnen+ regiert nur den +Dativ+ und wird mit +sein+ konjugiert,
  z. B.: Ich +bin dir+ begegnet. Andere Konstruktionen, die bei
  +Lessing+, +Schiller+ u. a. sich finden, sind nicht gut zu heißen.

  +belieben+ wird gewöhnlich unpersönlich konstruiert, z. B.: +es
  beliebte dir+, nicht zu kommen. Doch ist auch die persönliche
  Konstruktion nicht ungebräuchlich: +Du beliebtest+ nicht zu kommen.
  Beide Konstruktionen sind statthaft.

  +bedeuten+ (in dem Sinne von: belehren, unterweisen) wird mit dem
  +Akkusativ+ verbunden, z. B.: Therese bedeutete +den Verwalter+ in
  allem; sie konnte ihm von jeder Kleinigkeit Rechenschaft geben.
  +Goethe.+ -- In dem Sinne: „zu verstehen geben“ regiert +bedeuten+
  den +Dativ+, z. B.: er ließ +mir+ bedeuten, daß ich schweigen sollte.

  +beneiden+ regiert den Akkusativ: einen beneiden, einen um etwas
  beneiden. +Um dies Vergnügen+ muß +mich+ ein Prinz beneiden.
  +Gellert.+ -- Früher wurde +beneiden+ zuweilen auch mit dem Dativ der
  Person und dem Akkusativ der Sache verbunden, z. B.: Die ganze Welt
  wird +dir dein Glück+ beneiden. Ich beneide +ihm diese Lobsprüche+
  nicht. +Lessing.+ Diese Konstruktion ist veraltet.

  +betten+ (d. i. ein Bett machen, eine Schlafstätte bereiten)
  regierte ursprünglich den +Dativ+. Stehe auf und bette +dir+ selber.
  Apostelgesch. 9, 34. -- Seit Goethe hat sich dagegen der +Akkusativ+
  eingebürgert, so daß +betten+ so viel heißt wie: +zu Bett legen+,
  z. B.: Du bettest +dich+ auf Stroh, man hat +ihn+ schlecht gebettet
  usw. Beide Kasus sind statthaft.

  +bezahlen+ wird entweder bloß mit dem +Akkusativ der Person+
  verbunden, z. B.: ich bezahle +dich+ noch heute, oder mit dem +Dativ
  der Person+ und dem +Akkusativ der Sache+, z. B.: ich bezahle +meine
  Schuld+, ich +bezahle dir meine Schuld+.

  +dünken+ (deuchte, gedeucht, vgl. I, 167) regiert den Akkusativ:
  +Mich+ dünkt. Der Dativ ist zu verwerfen.

  +ekeln.+ Man sagt entweder unpersönlich: +Mir+ (besser als: +mich+)
  ekelt vor einer Sache; oder reflexiv: +Ich ekle mich+ vor einer
  Sache; zuweilen kommt auch die Konstruktion vor: Die Sache +ekelt+
  mich (gewöhnlich: Die Sache +ekelt+ mich +an+).

  +gelten+ (in der Bedeutung: betreffen, auf etwas gerichtet sein,
  etwas zum Ziele haben) wird mit dem Dativ verbunden, z. B.: Der
  Anschlag galt +deinem Leben+, die Kugel galt +dir+ usw. Wird dagegen
  +gelten+ unpersönlich gebraucht in der Bedeutung: es kommt an auf
  --, oder: es steht auf dem Spiele, so tritt die +Sache+, auf die es
  ankommt oder die auf dem Spiele steht, in den Akkusativ, z. B.: es
  gilt dein Leben, dein Vermögen, einen festen Entschluß, einen harten
  Kampf, eine rasche Entscheidung usw.

  +getrauen.+ Man sagt besser: „Ich getraue oder traue +mich+, etwas zu
  tun“, als: ich getraue +mir+, etwas zu tun.

  +helfen+ wird mit dem +Dativ+ verbunden. Dein Glaube hat +dir+
  geholfen. +Luther.+ -- Früher wurde es mit dem +Dativ+ nur in der
  Bedeutung: „beistehen, Hilfe leisten“ verbunden, dagegen in der
  Bedeutung: „fördern, weiter bringen“ mit dem +Akkusativ+. Was hilft
  +dich’s+, daß du in Ägypten zeuchst? +Luther.+ All mein Wirken und
  Schonen hilft +mich+ nichts. +Goethe.+ Doch ist auch in dieser
  zweiten Bedeutung jetzt nur der +Dativ+ üblich, z. B.: Das hilft
  +dir+ alles nichts.

  +kleiden+ regiert nur den +Akkusativ+, auch in der Bedeutung: passen,
  stehen. Also: Dieser Hut kleidet +dich+ (nicht: dir) gut.

  +kosten+ (in der Bedeutung: zu stehen kommen) kann sowohl mit dem
  +Dativ+, als auch mit dem +Akkusativ+ verbunden werden: Dieses Werk
  hat +mir+ oder +mich+ viel Anstrengung gekostet, das Fest kostet
  +ihm+ oder +ihn+ viel Geld. Es kostet +mich+ viel Zeit. +Lessing.+ Es
  kostet +dir+ ein einzig Wort. +Schiller.+ Diese Tat kostet +ihm+ oder
  +ihn+ das Leben. -- Ebenso wird: +zu stehen kommen+ mit dem +Dativ+
  oder +Akkusativ+ verbunden, z. B.: Diese Erkenntnis kommt +ihm+ oder
  +ihn+ teuer zu stehen.

  +liebkosen+ regiert ursprünglich den +Dativ+: Der Vater liebkost
  +dem Knaben+, ebenso in passivischer Form: +Dem+ Knaben wird von
  dem Vater geliebkost. Der Gebrauch hat aber das Verbum in ein
  +transitives+ verwandelt und gibt dem +Akkusativ+ den Vorzug: Der
  Vater liebkost +den Knaben+ und: +Der Knabe+ wird von dem Vater
  geliebkost. Da sich der Akkusativ einmal eingebürgert hat, sind beide
  Kasus zu gestatten.

  +lohnen+ regiert den +Dativ der Person+ und den +Akkusativ der
  Sache+, z. B.: Er +hat mir meine Dienste+ übel gelohnt. -- Es wird
  jedoch auch bloß mit dem +Dativ der Person+ oder +der Sache+ (die
  dann personifiziert erscheint) verbunden, z. B.: +Ihm+ lohnt der Ton,
  der aus der Kehle dringt. +Chamisso.+ Gott lohnt +dem Fleiße+. --
  Ferner kann +lohnen+ auch bloß den +Akkusativ der Sache+ oder +der
  Person+ regieren, z. B.: Der Erfolg lohnt +die Mühe+, +den Fleiß+
  nicht. Wer hohen Muts sich rühmen kann, +den+ lohnt nicht Gold, +den+
  lohnt Gesang. +Bürger.+ -- Das unpersönliche: +es lohnt+ oder +es
  lohnt sich+ dagegen wird mit dem +Genitiv+ verbunden, z. B.: es lohnt
  +der Mühe+, es lohnt (oder +verlohnt+) sich nicht der Mühe.

  +nachahmen+ regiert den +Dativ der Person+ und den +Akkusativ
  der Sache+: ich ahme +dir etwas+ nach. -- Es kann nun auch der
  bloße Dativ der Person stehen: er ahmt +dem Horaz+ nach, oder der
  bloße Akkusativ der Sache: er ahmt +die Oden+ des Horaz nach. --
  Doch kann auch die Person in den Akkusativ treten, und hier gilt
  folgende Regel: Bedeutet +nachahmen+ so viel wie: „einem Vorbilde
  nachstreben“, so wird es mit dem +Dativ+ verbunden, z. B.: das Kind
  +ahmt dem Vater+ nach, er ahmt +den+ größten +Dichtern+ nach usw.;
  heißt es aber so viel wie: „nachbilden, kopieren“, so regiert es den
  +Akkusativ+, z. B.: der Schauspieler ahmt auf der Bühne täuschend
  +einen Kranken+, +einen Dichter+, +einen Franzosen+ usw. nach. „Er
  ahme +ihnen+ (den Menschen), aber nicht wie jener amerikanische
  Vogel, der die +Stimme+ anderer Vögel nachahmt, unverständig und
  knechtisch nach.“ +Herder.+

  +nachsuchen ist intransitiv.+ Man sagt: ich suche +um etwas+ nach.
  Doch findet sich +nachsuchen+ auch transitiv gebraucht: ich suche
  +etwas+ nach. Dem +intransitiven+ Gebrauche ist aber der Vorzug zu
  geben.

  +rufen+ kann mit dem +Dativ+ oder +Akkusativ+ der Person verbunden
  werden. Mit dem +Dativ+ heißt es: +einem zurufen+, d. h. einem durch
  laute Stimme ein Zeichen geben, daß er aufmerke, z. B.: Der Herr rief
  +dem Samuel+, +dem Moses+. Wer ruft +dem Heer+ der Sterne? +Gellert.+
  -- Mit dem +Akkusativ+ dagegen heißt es: +einen herbeirufen+, d. h.
  einem durch laute Stimme zu verstehen geben, daß er sich uns nähere,
  z. B.: Der Vater hat +dich+ gerufen, d. h. du sollst zu ihm kommen.
  Der König rief +den Sänger+ zu sich. Die Glocke ruft +dich+ zur
  Kirche. Die Trompete ruft +die Krieger+ zur Schlacht.

  +überwiegen+ regiert den +Akkusativ+. Der Tadel überwog +das Lob+.
  Der +Dativ+, der auch bei einigen Schriftstellern vorkommt, ist nicht
  zu empfehlen.

  +sich unterstehen+ regiert den +Akkusativ+ der Person. Man darf also
  nur sagen: Was unterstehst +du dich+? nicht: Was unterstehst du +dir+?

  +sich unterziehen+ regiert vorwiegend den +Dativ+, z. B.: er
  unterzieht sich +dem Auftrage+, besser als: +des Auftrages+.

  +versichern+ regiert entweder den +Akkusativ der Person+ und den
  +Genitiv der Sache+: ich versichere +dich meines Schutzes+; oder den
  +Dativ der Person+ und den +Akkusativ der Sache+: ich versichere +dir
  meinen Schutz+. Man darf also sagen: „Das versichere ich +Ihnen+“
  oder: „+Dessen+ versichere ich +Sie+“, falsch aber ist es zu sagen:
  +Das versichere ich Sie!+ -- Wird die Sache durch einen Nebensatz
  ausgedrückt, so kann die Person sowohl in den +Dativ+ als auch
  in den +Akkusativ+ treten. Ich kann also sagen: „+Ich versichere
  Ihnen+, daß ich die Wahrheit sage“ und: „+Ich versichere Sie+, daß
  ich die Wahrheit sage.“ Im ersten Falle vertritt der Nebensatz ein
  +Akkusativ-+, im zweiten Falle ein +Genitivobjekt+. -- In der Form:
  „+Ich bin versichert+“ nimmt das Wort den +Genitiv+ zu sich: Ich bin
  +deines Schutzes+ versichert, sei +meines Beistandes+ versichert. Der
  Genitiv kann hier jedoch auch durch die Präposition +von+ umschrieben
  werden: Du kannst +von der Wahrheit+ meiner Aussage versichert sein.

  +sich zeigen.+ Der prädikative Zusatz mit +als+, der zu diesem Verbum
  zu treten pflegt, kann sowohl im +Nominativ+, als auch im +Akkusativ+
  stehen; doch ergibt sich dabei ein Unterschied der Bedeutung: +sich
  zeigen+ mit dem +Nominativ+ heißt: „in die Erscheinung treten“, und
  zwar wird dadurch das +Unabsichtliche+ hervorgehoben; +sich zeigen+
  mit dem +Akkusativ+ dagegen heißt: „in die Erscheinung treten
  lassen“, und zwar wird dabei das +Absichtliche+ betont. Demnach
  unterscheide man: er zeigte sich +als Held+ (der er war), und er
  zeigte sich +als Helden+ (für den man ihn bis dahin nicht gehalten
  hatte, oder: als den er sich erweisen wollte). In derselben Weise
  wechseln in der Konstruktion die Verben: +sich erweisen+, +sich
  ankündigen+, +sich darstellen+, +sich empfehlen+, +sich beweisen+
  u. a. Er erweist sich +als mein Freund+, er erweist sich +als meinen
  Freund+ usw.


~B.~ Rektion der Verbalsubstantive.

Die Verbalsubstantive, die von einem +transitiven+ Verbum gebildet
werden, regieren den +Genitiv+. Der Akkusativ, mit dem die transitiven
Verben verbunden werden, verwandelt sich also in den +Genitiv+, z. B.:
+eine Stadt+ erbauen: die Erbauung +der Stadt+; +eine Burg+
erobern: die Eroberung +der Burg+; +ein Denkmal+ errichten: die
Errichtung +eines Denkmals+. Man nennt diesen Genitiv den +~Genitivus
objectivus~+, zum Unterschiede von dem +~Genitivus subjectivus~+;
der letztere bezeichnet die Person oder Sache, der etwas gehört,
an der sich etwas befindet, oder von der etwas ausgeht, z. B.: das
Haus +meines Freundes+, die Früchte +des Baumes+, die Heldentaten
+Siegfrieds+.

Zu den +Verbalsubstantiven+, die von +intransitiven+ Verben gebildet
werden, tritt das +Genitiv- oder Dativobjekt+ des Verbums in der
Regel +nicht im Genitiv oder Dativ+ hinzu, sondern es wird durch eine
+Präposition+ angeknüpft, z. B.: er erinnerte sich vergangener Stunden:
die Erinnerung +an vergangene Stunden+; er gehorchte +dem Gesetze+:
der Gehorsam +gegen das Gesetz+; er stimmte +meinem Vorschlage zu+:
+die Zustimmung zu meinem Vorschlage+; er zürnte +dem Freunde+: der
+Zorn gegen den Freund+ usw. -- Diejenigen Verbalsubstantive natürlich,
die von Verben stammen, die auch transitiv gebraucht werden (wie
hauptsächlich die Verben, die außer dem +Genitiv+ auch den +Akkusativ+
regieren, vgl. S. 78), können das Objekt auch im +Genitiv+ zu sich
nehmen, z. B.: das Bedürfnis +der Ruhe+, die Erwähnung +dieses
Vorfalls+, der Genuß +geistiger Getränke+, die Wahrnehmung +dieser
Zustände+, die Entbehrung +des Notwendigsten+ usw. Nach Maßgabe
dieser Bildungen hat man auch das Wort +Erinnerung+ mit dem +Genitiv+
verbunden, z. B.: die Erinnerung vergangener Zeiten, die Erinnerung
jener Stunden usw.[32] -- Im übrigen aber ist die Regel festzuhalten,
daß ein +objektiver Genitiv+ nur zu solchen Verbalsubstantiven treten
kann, die von +transitiven+ Verben gebildet sind.

  +Anmerkung.+ Wenn zu Verbalsubstantiven, die von intransitiven Verben
  stammen, ein +Genitiv+ tritt, so ist dies ein +subjektiver+, nicht
  aber ein +objektiver Genitiv+, z. B.: der Zorn +des Freundes+, d. i.
  der Zorn, den der Freund empfindet (nicht: der Zorn +gegen+ den
  Freund), der Gehorsam +des Soldaten+ (d. i. der Gehorsam, den der
  Soldat zeigt) usw.


~C.~ Rektion der Adjektive.


1. Adjektive, die den Dativ regieren.

Mit dem Dativ werden verbunden die Adjektive: einem +ähnlich+ sein,
einem +abtrünnig+ werden, einem angeboren sein, angehörig, angelegen,
angemessen, angenehm, anstößig, bedenklich, begreiflich, behaglich,
behilflich, bekannt, bequem, beschieden, beschwerlich, bewußt, böse,
dankbar, dienstbar, dienlich, deutlich, eigen, eigentümlich, ergeben,
entbehrlich, erfreulich, erinnerlich, erklärlich, ersprießlich,
feil, feind, fremd, furchtbar, fürchterlich, gefährlich, gehorsam,
geläufig, gemäß, gemeinsam, genehm, gesund, getreu, geneigt, gewogen,
gewachsen, gleich, gleichgültig, gnädig, gram, günstig, heilsam,
hold, abhold, hinderlich, kund, lästig, leicht, leid, lieb, möglich,
nachteilig, nahe, nötig (not), nützlich (nütze), peinlich, recht,
schädlich, schmerzlich, schrecklich, schuldig, teuer, treu, tröstlich,
überlegen, verantwortlich, verbunden, verderblich, verhaßt, verwandt,
wichtig, widrig, widerwärtig, willkommen, zugänglich, zugehörig u. a.
Namentlich auch viele Adjektive, die mit der Vorsilbe +un+- gebildet
werden, gehören hierher, z. B.: unangenehm, unähnlich, unbegreiflich,
unbehaglich, unvergeßlich usw.

Oft wird das +Dativobjekt+ durch eine Präposition umschrieben, z. B.:
er ist böse +auf mich+ (statt: er ist +mir+ böse); es ist gefährlich,
schrecklich, schmerzlich, verderblich, notwendig usw. +für mich+.

  +Anmerkung.+ Wenn ich die Wörtchen +zu+, +allzu+, +genug+ zu
  einem Adjektivum setze, so kann ich mit jedem Adjektivum den
  Dativ verbinden, z. B.: Das ist +mir zu hoch+, +zu schwer+,
  +allzugewöhnlich+; das ist +ihm+ nicht gut +genug+ usw.


2. Adjektive, die den Genitiv regieren.

Mit dem +Genitiv+ werden verbunden die Adjektive: ansichtig, bar
(aller Freuden bar), bedürftig, benötigt, bewußt, eingedenk, fähig,
froh, gedenk, geständig, gewahr, gewärtig, gewiß, gewohnt, habhaft,
kundig, ledig, leer, los, mächtig, müde, quitt, satt, schuldig, sicher,
teilhaftig, überdrüssig, verdächtig, verlustig, voll, wert, würdig,
und die mit +un-+ gebildeten Verneinungen dieser Adjektive, soweit sie
sich bilden lassen, z. B.: unbewußt, uneingedenk, unkundig u. a. --
Manche werden nur noch in bestimmten formelhaften Wendungen mit dem
Genitiv verbunden, z. B.: +Handels einig+, Handels +eins+, eitler Ehre
+geizig+. -- Statt des +Genitivs+ gebraucht man auch Präpositionen,
z. B.: +froh über etwas+ (statt: einer Sache froh), voll, leer, ledig,
+los von etwas+ usw.

Wenn man sagt: ich bin es müde, satt, gewiß, wert, geständig, bedürftig
usw., so ist dieses es nicht der Akkusativ, wie ältere Grammatiker
angenommen haben, sondern der +Genitiv+. Ursprünglich heißt nämlich
der Genitiv Sing. des Pronomens der dritten Person (für das männliche
und sächliche Geschlecht) ~ës~ (got. ~is~). An die Stelle des alten
ursprünglichen Genitivs trat später der Genitiv des reflexiven
Pronomens ~sîn~ (d. i. sein, seiner). Der alte Genitiv +es+ wurde
dadurch verdrängt, erhielt sich aber noch in einzelnen Wendungen. Zu
diesen gehören die oben angeführten, sowie die Ausdrücke: er hat +es+
sich unterstanden; du wirst mir +es+ dank wissen; er will +es+ nicht
Wort haben; ehe er +es+ sich versah; wir haben ~es~ nicht Ursache; wir
sind +es+ nicht gewohnt usw.

  +Anmerkung.+ In Wendungen wie: +keinen Pfennig+ wert, +einen Taler+
  wert, +einen Groschen+ schuldig u. ähnl. ist der +Akkusativ+ nicht
  ein von den Adjektiven +wert+, +schuldig+ usw. regiertes Objekt,
  sondern ein +adverbialer Akkusativ des Wertes+, vgl. I, 189.


~D.~ Rektion der Präpositionen.

Über den Kasus, den die einzelnen Präpositionen regieren, vgl. I,
S. 120-132. Hier sei nur auf einige Schwankungen im Gebrauche der
Präpositionen hingewiesen:

+Unweit+, +unfern+. Diese Präpositionen werden am besten immer mit
dem +Genitiv+ verbunden. Der Dativ, der sich auch findet (z. B. bei
Schiller, Grimm u. a.), ist nicht zu empfehlen.

+Während+, +ungeachtet+, +wegen+ sind nur mit dem +Genitiv+, nicht
mit dem +Dativ+ zu verbinden. Fehlerhaft ist es also, zu sagen:
+demungeachtet+ (statt des richtigen: +dessen+ ungeachtet), während
+dem+ (statt des richtigen: während +dessen+), wegen +dir+ (statt:
+deinetwegen+)[33] u. ähnl. -- Es kommt zuweilen vor, daß der Genitiv
äußerlich nicht erkennbar ist, z. B.: während +acht Tage+, während
+zehn Jahre+, wegen +Scheltworte+; ebenso bei einigen anderen
Präpositionen, z. B.: er hat +statt Bösen+ Gutes empfangen, innerhalb
+drei Jahre+ usw. In solchen Fällen pflegt gewöhnlich der +Dativ+ als
Ersatz des Genitivs verwendet zu werden, und man sagt: während +acht
Tagen+, während +zehn Jahren+, wegen +Scheltworten+, er hat +statt
Bösem+ Gutes empfangen, innerhalb +drei Jahren+ usw. Empfehlenswert
ist es, in solchen Fällen ein Wort, an dem der Genitiv deutlich zutage
tritt, einzuschieben und etwa zu sagen: während +eines Zeitraumes+ von
acht Tagen, wegen +heftiger Scheltworte+, er hat statt des +Bösen+
Gutes empfangen, innerhalb +einer Zeit+ von drei Jahren usw.

+Statt+ ist als Präposition immer mit dem Genitiv zu verbinden. Doch
kann das Wort, wie +außer+ (vgl. hierüber I, 128 flg.), auch als
+Konjunktion+ stehen und regiert dann gar keinen Kasus; der +Dativ+
oder +Akkusativ+, der dann gewöhnlich auf +statt+ folgt, ist von
dem Verbum und nicht von +statt+ abhängig, z. B.: „Er hat +mir+
geschrieben, statt +dir+; er hat das Schreiben +an mich+ geschickt,
statt +an dich+; er hat +mich+ angesprochen, statt +dich+ usw.“

Über +längs+, +zufolge+, +trotz+, sowie über +entlang+ s. I, 122, 123
u. 125, desgl. über +bei+ S. 124 Anm.

+Ohne+ ist immer mit dem +Akkusativ+ zu verbinden. Lessing, Herder
und Goethe haben, dem Beispiele Luthers folgend, zwar zuweilen die
Präposition +ohne+ mit dem Dativ verbunden, doch ist dieser Gebrauch
veraltet und daher heute zu vermeiden.

+Bis+ wird in der Regel noch mit einer anderen Präposition verbunden,
z. B. Es war ein König in Thule gar treu +bis an+ das Grab. +Goethe.+
-- So konnte die ganze Ebene mit flachen Schiffen +bis+ fast +unter+
die Mauer von Antwerpen befahren werden. +Schiller.+ -- +Bis auf+
wenige Reste hat das Feuer alles verzehrt. Er kletterte +bis zum+
Gipfel des Baumes empor. Blücher drang +bis über+ den Rhein vor und
folgte dem Feinde +bis nach+ Paris. Der Feind wurde +bis hinter+
die Verschanzungswälle zurückgetrieben. Er wurde von der schlimmen
Nachricht +bis ins+ Innerste getroffen.

Nur vor Adverbien und Ortsnamen ohne Artikel, sowie zwischen
Zahlwörtern steht +bis+ für sich allein, z. B.: +Bis hierher+ und nicht
weiter! -- +Bis heute+, bis morgen, bis dahin, bis dorthin; +zwölf bis
vierzehn+, in acht bis vierzehn Tagen, zwei- bis dreimal usw. Ich fuhr
+bis Leipzig+, bis Rußland, bis Frankreich usw.

Bei +zu+ und +um+ ist zu merken, daß sie +nur+ mit +einem+ Kasus
stehen, nämlich +zu+ immer mit dem Dativ, mag es nun den +Ort+ (wo),
z. B. zu Worms, zu Aachen, zu Haus, zu Wasser und zu Lande, zur
Rechten, zur Linken, zu beiden Seiten usw.; die +Richtung+ (wohin),
z. B. von Ort zu Ort, von Haus zu Haus, zur Kirche, zur Schmiede, zur
Schule gehen, zur Hölle fahren, zur Ruhe kommen usw.; +die Verbindung
von Dingen+, z. B. er goß Wasser zum Wein, er aß Fleisch zum Gemüse,
Butter zum Brote usw., oder ein +Größenverhältnis+ bezeichnen, z. B.
zum Teil, zur Hälfte, zu dritt, wir waren zu vier, zu fünf, zu
hunderten, zu tausenden; ich habe Fleisch, das Pfund zu einer Mark,
gekauft usw. +Um+ dagegen steht immer +nur mit dem Akkusativ+, mag es
den Ort (wo), z. B. der Feind lagerte +um die Stadt+, die Soldaten
lagen +um das Feuer+, wir saßen +um den Tisch+, oder +die Richtung+
(wohin) bezeichnen, z. B. wir gingen um die Stadt, um das Haus, die
Feinde stellten sich um das Gebäude usw. Fehler gegen diese einfachen
Regeln kommen nicht selten vor, es ist daher notwendig, besonders
darauf aufmerksam zu machen.


FOOTNOTES:

[1] Ein Beispiel einer solchen völligen Vermischung ist +Schießls
System der Stilistik+. Straubing 1884. Vergleiche meine Besprechung in
Zarnckes Literarischem Zentralblatt 1885.

[2] Eine große Zahl guter Verdeutschungen enthält das treffliche
„+Wörterbuch von Verdeutschungen entbehrlicher Fremdwörter+“ von +Herm.
Dunger+ (Leipzig 1882), das nicht dringend genug empfohlen werden kann,
sowie das +Verdeutschungswörterbuch+ von +Otto Sarrazin+ (3. Aufl.
Berlin 1906). Erklärung und Verdeutschung der Fremdwörter zugleich
bietet +Heyses+ Fremdwörterbuch, neu bearbeitet von O. Lyon (18. Aufl.
Hannover, Hahn, 1903).

[3] Wer sich weiter über diesen Gegenstand unterrichten will, sei
hier namentlich auf +Brandstäters+ Buch über die Gallizismen in
der deutschen Sprache verwiesen, das jedoch häufig über das Ziel
hinausschießt.

[4] So sagt Adelung: „+Düster+ wird nur in den gemeinen Mundarten,
besonders Ober- und Niedersachsens, für +dunkel+, +finster+ gebraucht.
Es ist der +edlern+ und +höhern Schreibart unwürdig+.“ Adelungs
Wb. I, 1622. Von +dröhnen+ urteilt er ähnlich; +dreist+ läßt er
nur mit gewissen Einschränkungen zu. Über +staunen+ sagt er: „Nach
dem Beispiele Hallers und einiger anderer neuerer schweizerischer
Schriftsteller ist es auch von den Hochdeutschen in der höheren
Schreibart wieder eingeführt worden“, a. a. O. IV, 313. Von den
beiden Wörtern +Schrank+ und +Schrein+ läßt er nur +Schrank+ für die
Schriftsprache gelten und bezeichnet +Schrein+ als ein im Hochdeutschen
ungewöhnliches, nur noch in einigen Provinzen übliches Wort. a. a. O.
III, 1641 u. 1654 usw.

[5] Wörterbuch IV, 355.

[6] a. a. O. II, 552 unter +Gemeinort+.

[7] Namentlich auch die stilistische Seite der Synonymik ist
berücksichtigt in „+Eberhards synonymischem Handwörterbuche der
deutschen Sprache+“, neu bearbeitet von O. Lyon. 16. Aufl. Leipzig 1904.

[8] Einige Stilistiker, z. B. Wackernagel, Becker, scheiden +Wohllaut+
und +Wohlklang+; wir fassen beides unter der Bezeichnung +Wohllaut+
zusammen.

[9] Ich entnehme diesen Ausdruck Wackernagel, der zuerst die Metonymie
mit größerer Klarheit dargestellt hat, als es gewöhnlich geschieht.

[10] Eine gute Nachbildung des griechischen Originals, in dem der
Begriff τήκειν, schmelzen, in den Formen τήκειο, κατατήκετο, κατέτηξεν,
τηκόμενος, τήκετο wiederkehrt.

[11] Es sei hier auf +Rudolf Hildebrands+ ausgezeichnete Schrift: „+Vom
deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung
und Bildung überhaupt+“, 7. Aufl., S. 103 flgg., 122 verwiesen, die
zahlreiche Beispiele dieser Art behandelt.

[12] Bei Luther findet sich neben +sieh+ die Form +siehe+, und nach ihm
haben auch +Goethe+ u. a. beide Formen angewendet. Man kann die Form
+siehe+ daher als Ausnahme gelten lassen.

[13] Den Apostroph zur Bezeichnung der Apokope hat Konrad Geßner in
Deutschland eingeführt, er nahm das Zeichen aus dem Griechischen
herüber.

[14] Jakob Grimm hat in seiner Grammatik nachgewiesen, daß die passive
Bedeutung des ersten Partizips sich in allen germanischen Sprachen
findet.

[15] Die Regel, daß das Partizipium +nur auf das Subjekt+ bezogen
werden dürfe, ist unrichtig und widerspricht geradezu dem Geiste der
deutschen Sprache.

[16] Vgl. über die absolute Partizipialkonstruktion namentlich
Andresen, Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit, S. 120 flg.

[17] Beispiele dieser Art finden sich bei unseren besten Dichtern und
Schriftstellern. Was wir diesen verzeihen, ist darum aber noch nicht
nachzuahmen.

[18] Wenn Nominativ und Akkusativ gleichlauten, duldet der
Sprachgebrauch in einigen Fällen die Zusammenziehung, z. B.: +Was+ ich
bin und habe. Die alten Grammatiker betrachteten die von der strengen
Korrektheit abweichende Zusammenziehung als eine besondere Redefigur,
die sie +Zeugma+ (d. i. Zusammenjochung) nannten.

[19] Doch finden sich manche Abweichungen von dieser Regel, die sich
als +Fügungen nach dem Sinne+ wohl rechtfertigen lassen, z. B.: „Ein
streitendes +Gestaltenheer+, die seinen Sinn in Sklavenbanden hielten.“
(Schiller.) „Es gibt im +Menschenleben+ Augenblicke, wo er dem
Weltgeist näher ist als sonst.“ +Derselbe.+ Vgl. hierüber Fr. Grüter,
Zwei Schulprogramme über die Synesis, Münster 1855 und 1867.

[20] Gewöhnlich wird die falsche Regel aufgestellt: +als+ sei
vergleichend dem +Grade+ und +Maße+ nach, daher müsse man sagen:
„ebenso groß +als+ ich“ und nicht: „ebenso groß +wie+ ich.“ Die
Geschichte unserer Sprache erweist diese Regel als unhaltbar. Vgl.
meine Erörterung des Verhältnisses zwischen +als+ und +wie+ in +Beckers
Deutschem Stil+ S. 211-217.

[21] Wir schließen uns hier in den Hauptpunkten der Einteilung an, die
+Becker+ gegeben hat, nur mit dem Unterschiede, daß wir bei dieser
Einteilung prosaischen und poetischen Stil zusammenfassen, während
Becker diese beiden Stilgattungen scheidet und wieder in Unterarten
zerlegt. +Wackernagel+ teilt den Stil in folgende Arten: ~a~) Stil des
Verstandes (lehrhafte Prosa); ~b~) Stil der Einbildung (Epos, Drama);
~c~) Stil des Gefühls (oratorische Prosa, Lyrik).

[22] Vgl. meine Darstellung der Entwickelung des historischen Stiles in
Beckers deutschem Stil, S. 457 flg.

[23] Bei einer Predigt besteht die ~narratio facti~ in der Verlesung
des Bibeltextes.

[24] Eingehend handelt über die Disposition: +Deinhardt+, in seinen
+Beiträgen zur Dispositionslehre+, die allen empfohlen seien, die sich
weiter über den Gegenstand unterrichten wollen. Wir folgen hier im
allgemeinen den nämlichen Grundsätzen, wie sie schon von Quintilian und
Cicero dargelegt worden sind.

[25] Mösers sämtl. Werke, neu geordnet und aus dem Nachlasse gemehrt
durch +B. R. Abeken+. 2. Ausg. 1858, IV. S. 5.

[26] Ausnahmen sind die intransitiven Verben: hinterbleiben,
unterbleiben, beharren, beruhen, bestehen, begegnen, behagen, bekommen,
es beliebt, unterliegen.

[27] +Lehren+ (got. ~laisjan~, Kausativum zu got. ~lais~, d. i. +weiß+)
heißt eigentlich „wissen machen“. Einige Schriftsteller verbinden
+lehren+ mit dem +Dativ+ der Person, z. B.: Da hat +er den Franzosen+
das Schwimmen gelehrt. +Arndt.+ -- Lehr’ unser deutsches Recht +dem
Franzmann+ im Gefecht. +Rückert.+ Dieser Gebrauch ist nicht gut zu
heißen. Vgl. +Heyse-Lyon+, S. 303 flg.

[28] Vgl. mhd.: ~ich bin den site gelêret~.

[29] Grimm nennt nur die Verben +reflexive+, die das Reflexivpronomen
im +Akkusativ+ bei sich haben. Man könne daher die, die es im Dativ bei
sich haben, genauer +unechte Reflexiva+ nennen.

[30] +Sich entblöden+ bedeutet eigentlich „in den Zustand des
Blödeseins eintreten“; die Vorsilbe +ent+ ist hier nicht privativ,
sondern inchoativ, d. h. sie drückt das Eintreten in einen Zustand aus,
wie in: entblühen, entblößen, entschlafen usw. -- Gegenwärtig ist von
+sich entblöden+ hauptsächlich die Verneinung „sich nicht entblöden“
in Gebrauch, und zwar in der Bedeutung: „sich nicht scheuen, sich
erdreisten.“ +Frisch+ in seinem +Deutsch-lateinischen Wörterbuche+
I, 111 c und +Grimm+ (Wörterbuch III, 499) erklären sich gegen
diesen Sprachgebrauch; sie fassen die Vorsilbe +ent-+ in +entblöden+
als das privative +ent-+ (im Sinne von +weg+, +los+) auf und legen
infolgedessen dem Worte +entblöden+ die gerade entgegengesetzte
Bedeutung: „die Blödigkeit benehmen, beherzt machen“ bei. Zwar wird
+sich entblöden+ von einigen Schriftstellern in dieser letzteren
Bedeutung gebraucht, z. B. von Wieland, Gleim u. a.; doch dieselben
Schriftsteller wenden +sich entblöden+ auch in der oben angeführten
Bedeutung von „sich scheuen“ an, und der heutige Sprachgebrauch kennt
nur noch diese Bedeutung, die zugleich die ursprüngliche ist. Vgl.
hierzu meine Bearbeitung des Artikels „+Entblöden+“ in Eberhards
synonymischem Handwörterbuche, 16. Aufl. S. 375 flg.

[31] Noch +Adelung+ (Wörterbuch, 2. Aufl. I, S. 400) ließ bei
+anwandeln+ nur den Dativ gelten, während +Heyse+, +Becker+ u. a. nur
den Akkusativ zulassen. Es sind jedoch beide Kasus zu gestatten, obwohl
dem +Akkusativ+ der Vorzug zu geben ist.

[32] Viele Beispiele dieser Art führt +Andresen+ (Sprachgebrauch und
Sprachrichtigkeit, 7. Aufl. S. 182) aus Goethes Werken an.

[33] +Deinetwegen+ weist wie +meinetwegen+, +seinetwegen+ usw. auf die
ursprüngliche Form der Präposition +wegen+ zurück, vgl. I, 252. Das
Wort enthält den Plural des Possessivpronomens und heißt eigentlich:
~von dînen wegen~.





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