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Title: Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Sechster Band
Author: Hauff, Wilhelm
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Sechster Band" ***


    Anmerkungen zur Transkription


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    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Wilhelm Hauffs

    sämtliche Werke in sechs Bänden

    Mit einer biographischen Einleitung
    von _Alfred Weile_

    Neu durchgesehene Ausgabe

    :: :: in neuester Rechtschreibung :: ::

    Sechster Band.

    A. Weichert Verlag, Berlin NO.⁴³, Neue Königstr. 9.



Märchen.



Inhaltsverzeichnis.


                                                    Seite

    Märchen als Almanach                                5

    Die Karawane                                       10

    Die Geschichte von Kalif Storch                    12

    Die Geschichte von dem Gespensterschiff            23

    Die Geschichte von der abgehauenen Hand            33

    Die Errettung Fatmes                               48

    Die Geschichte von dem kleinen Muck                64

    Das Märchen vom falschen Prinzen                   80

    Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven      102

    Der Zwerg Nase                                    110

    Abner, der Jude, der nichts gesehen hat           138

    Der Affe als Mensch                               148

    Die Geschichte Almansors                          171

    Das Wirtshaus im Spessart                         184

    Die Sage vom Hirschgulden                         189

    Das kalte Herz. Erste Abteilung                   209

    Saids Schicksale                                  232

    Die Höhle von Steenfoll                           270

    Das kalte Herz. Zweite Abteilung                  296



Märchen als Almanach.


In einem schönen fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die
Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von
Anfang an bis heute die Königin Phantasie. Mit vollen Händen spendete
diese, seit vielen Jahrhunderten, die Fülle des Segens über die Ihrigen
und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das Herz der
Königin war aber zu groß, als daß sie mit ihren Wohltaten bei ihrem
Lande stehen geblieben wäre; sie selbst im königlichen Schmuck ihrer
ewigen Jugend und Schönheit stieg herab auf die Erde; denn sie hatte
gehört, daß dort Menschen wohnen, die ihr Leben in traurigem Ernst,
unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie die schönsten Gaben
aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne Königin durch die
Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen fröhlich bei der
Arbeit, heiter in ihrem Ernst.

Auch ihre Kinder, nicht minder schön und lieblich als die königliche
Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam
Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die
Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja hie und da wollte es ihr
bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte.

»Was hast du, liebes Märchen,« sprach die Königin zu ihr; »du bist seit
deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner Mutter
nicht anvertrauen, was dir fehlt?«

»Ach! liebe Mutter,« antwortete Märchen, »ich hätte gewiß nicht so
lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der
deinige ist.«

»Sprich immer, meine Tochter,« bat die schöne Königin, »der Gram ist
ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn leicht
aus dem Wege.«

»Du willst es,« antwortete Märchen; »so höre: du weißt, wie gerne
ich mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch zu dem Aermsten
vor seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu
verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum
Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn ich
weiter ging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!«

»Armes Märchen!« sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, die
von einer Träne feucht war. »Aber du bildest dir vielleicht dies alles
nur ein?«

»Glaube mir, ich fühle es nur zu gut,« entgegnete Märchen, »sie lieben
mich nicht mehr. Ueberall, wo ich hinkomme, begegnen mir kalte Blicke;
nirgends bin ich mehr gern gesehen: selbst die Kinder, die ich doch
immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir altklug den Rücken
zu.«

Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend.

»Und woher soll es denn,« fragte die Königin, »kommen, Märchen, daß
sich die Leute da unten so geändert haben?«

»Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was aus
deinem Reich kommt, o Königin Phantasie! mit scharfem Blicke mustern
und prüfen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne ist, so
erheben sie ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder verleumden ihn
doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort glauben, daß man
gar keine Liebe, kein Fünkchen Zutrauen mehr findet. Ach! Wie gut
haben es meine Brüder, die Träume, fröhlich und leicht hüpfen sie auf
die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen Männern, besuchen die
schlummernden Menschen und weben und malen ihnen, was das Herz beglückt
und das Auge erfreut!«

»Deine Brüder sind Leichtfüße,« sagte die Königin, »und du, mein
Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwächter
kenne ich übrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie
aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er
geradeswegs aus meinem Reiche käme, und doch hatte er höchstens von
einem Berge zu uns herübergeschaut.«

»Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten?«
weinte Märchen. »Ach! wenn du wüßtest, wie sie es mir gemacht haben;
sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das nächste Mal
gar nicht mehr hereinzulassen.«

»Wie, meine Tochter nicht mehr einzulassen?« rief die Königin, und Zorn
erhöhte die Röte ihrer Wangen. »Aber ich sehe schon, woher dies kommt;
die böse Muhme hat uns verleumdet!«

»Die Mode? Nicht möglich!« rief Märchen. »Sie tat ja sonst immer so
freundlich.«

»Oh! Ich kenne sie, die Falsche,« antwortete die Königin, »aber
versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter; wer Gutes tun will,
darf nicht rasten.«

»Ach Mutter! wenn sie mich dann ganz zurückweisen, oder wenn sie
mich verleumden, daß mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und
verachtet in der Ecke stehen lassen?«

»Wenn die Alten, von der Mode betört, dich gering schätzen, so wende
dich an die Kleinen; wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende
ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brüder, die Träume, ja, ich
bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und
geküßt und schöne Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch
wohl, sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft
bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen herauflächeln und morgens,
wenn meine glänzenden Lämmer am Himmel ziehen, vor Freude die Hände
zusammenschlagen. Auch wenn sie größer werden, lieben sie mich noch,
ich helfe dann den lieblichen Mädchen bunte Kränze flechten, und die
wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu
ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen blauen Berge hohe Burgen und
glänzende Paläste auftauchen lasse und aus den rötlichen Wolken des
Abends kühne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszüge bilde.«

»O die guten Kinder!« rief Märchen bewegt aus. »Ja, es sei! Mit ihnen
will ich es noch einmal versuchen.«

»Ja, du gute Tochter,« sprach die Königin. »Gehe zu ihnen; aber ich
will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, daß du den Kleinen
gefällst und die Großen dich nicht zurückstoßen; siehe, das Gewand
eines Almanach will ich dir geben.«

»Eines Almanach, Mutter? Ach! -- ich schäme mich so vor den Leuten zu
prangen.«

Die Königin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand
eines Almanach. Es war von glänzenden Farben, und schöne Figuren
eingewoben.

Die Zofen flochten dem schönen Märchen das lange Haar; sie banden ihr
goldene Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um.

Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber
betrachtete sie mit Wohlgefallen und schloß sie in ihre Arme: »Gehe
hin,« sprach sie zu der Kleinen; »mein Segen sei mit dir. Und wenn sie
dich verachten und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht daß
spätere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder zuwenden.«

Also sprach die Königin _Phantasie_. Märchen aber stieg herab auf die
Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter
hausten; sie senkte das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand
enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor.

»Halt!« rief eine tiefe rauhe Stimme. »Wache heraus! Da kommt ein neuer
Almanach!«

Märchen zitterte, als sie dies hörte; viele ältliche Männer von
finsterem Aussehen stürzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der
Faust und hielten sie dem Märchen entgegen. Einer aus der Schar schritt
auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn: »Nur auch den Kopf
aufgerichtet, Herr Almanach,« schrie er, »daß man ihm in den Augen
ansieht, ob er was Rechtes ist oder nicht.« --

Errötend richtete Märchen das Köpfchen in die Höhe und schlug das
dunkle Auge auf.

»Das Märchen!« riefen die Wächter und lachten aus vollem Hals. »Das
Märchen! Haben Wunder gemeint, was da käme! Wie kommst du nur in diesen
Rock?«

»Die Mutter hat ihn mir angezogen,« antwortete Märchen.

»So? Sie will dich bei uns einschwärzen? Nichts da! Hebe dich weg,
mach, daß du fortkommst!« riefen die Wächter untereinander und erhoben
die scharfen Federn!

»Aber ich will ja nur zu den Kindern,« bat Märchen; »dies könnt ihr mir
ja doch erlauben?«

»Läuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?« rief einer
der Wächter. »Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor.«

»Laßt uns sehen, was sie diesmal weiß,« sprach ein anderer.

»Nun ja,« riefen sie, »sag an, was du weißt; aber beeile dich; denn wir
haben nicht viel Zeit für dich.«

Märchen streckte die Hand aus und beschrieb mit dem Zeigefinger
viele Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorüberziehen;
Karawanen, mit schönen Rossen geschmückte Reiter, viele Zelte im Sand
der Wüste; Vögel und Schiffe auf stürmischen Meeren; stille Wälder und
volkreiche Plätze und Straßen; Schlachten und friedliche Nomaden: sie
alle schwebten in belebten Bildern, in buntem Gewimmel vorüber.

Märchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen ließ,
nicht bemerkt, wie die Wächter des Tores nach und nach eingeschlafen
waren. Eben wollte sie neue Zeichen beschreiben, als ein freundlicher
Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. »Siehe her, gutes Märchen,«
sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, »für diese sind deine
bunten Sachen nichts; schlüpfe schnell durch das Tor, sie ahnen dann
nicht, daß du im Lande bist, und du kannst friedlich und unbemerkt
deine Straße ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern führen; in meinem
Hause geb' ich dir ein stilles, freundliches Plätzchen; dort kannst
du wohnen und für dich leben; wenn dann meine Söhne und Töchter gut
gelernt haben, dürfen sie mit ihren Gespielen zu dir kommen und dir
zuhören. Willst du so?«

»O, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich mich
befleißen, ihnen zuweilen ein heiteres Stündchen zu machen!«

Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr über die Füße der
schlafenden Wächter hinübersteigen. Lächelnd sah sich Märchen um, als
sie hinüber war, und schlüpfte dann schnell in das Tor.



Die Karawane.


Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren
Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in
weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der
Pferde; eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre
Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen
und hellleuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane
einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt
ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem
hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des
Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus,
und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban,
reich mit Gold gestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten
Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit
reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht
gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen
hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing,
gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen. Als der Reiter ungefähr auf
fünfzig Schritte dem Vortrab der Karawane nahe war, sprengte er sein
Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des Zuges
angelangt. Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, einen einzelnen
Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, daß die Wächter des Zuges,
einen Ueberfall befürchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten. »Was
wollt ihr?« rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen
sah. »Glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?«
Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer
aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. »Wer
ist der Herr der Karawane?« fragte der Reiter. »Sie gehört nicht
_einem_ Herrn,« antwortete der Gefragte, »sondern es sind mehrere
Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen, und die wir durch die
Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt.«
-- »So führt mich zu den Kaufleuten,« begehrte der Fremde. »Das
kann jetzt nicht geschehen,« antwortete der Führer, »weil wir ohne
Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine
Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten,
bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch
willfahren.« Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife,
die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an, in großen
Zügen zu rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt.
Dieser wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte, er wagte
es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich
er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das:
»Ihr raucht da einen guten Tabak,« oder: »Euer Rapp hat einen braven
Schritt,« immer nur mit einem kurzen »Ja, ja!« geantwortet. Endlich
waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte.
Der Anführer hatte seine Leute als Wachen ausgestellt, er selbst hielt
mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele,
schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten Führern geleitet. Nach
diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane
gehörte. Es waren meistens Männer von vorgerücktem Alter, ernst und
gesetzt aussehend, nur einer schien viel jünger als die übrigen, wie
auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele und Packpferde
schloß den Zug.

Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde ringsumher
gestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug.
Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den
Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf
goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speisen
und Getränke. »Wen bringt Ihr uns da?« rief der junge Kaufmann dem
Führer zu. Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde:
»Ich heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise
nach Mekka von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen
heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich
die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei
euch an. Erlaubet mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise, ihr werdet
euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommet,
werde ich eure Güte reichlich belohnen, denn ich bin der Neffe des
Großveziers.« Der Aelteste der Kaufleute nahm das Wort: »Selim Baruch,«
sprach er, »sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude,
dir beizustehen; vor allem aber setze dich und iß und trinke mit uns.«

Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen.
Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten
lange Pfeifen und türkischen Sorbett. Die Kaufleute saßen lange
schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen
und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die
Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen.
»So sitzen wir seit drei Tagen,« sprach er, »zu Pferd und am Tisch,
ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltig
Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder
Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine Freunde, das
uns die Zeit vertreibe?« Die vier älteren Kaufleute rauchten fort
und schienen ernsthaft nachzusinnen, der Fremde aber sprach: »Wenn
es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine,
auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den andern etwas erzählen.
Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben.« -- »Selim Baruch, du hast
wahr gesprochen,« sagte Achmet, der älteste der Kaufleute; »laßt uns
den Vorschlag annehmen.« -- »Es freut mich, wenn euch der Vorschlag
behagt,« sprach Selim, »damit ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges
verlange, so will ich den Anfang machen.«

Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den
Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder
voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende
Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem
tüchtigen Zuge Sorbett, strich den langen Bart über dem Mund weg und
sprach: »So hört denn _die Geschichte von Kalif Storch_.«



Die Geschichte von Kalif Storch.


1.

Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag
behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war
ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus.
Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hie und da
ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich
allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man sah
dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde konnte man
gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und leutselig war,
deswegen besuchte ihn auch sein Großvezier Mansor alle Tage um diese
Zeit. An diesem Nachmittag nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich
aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig
aus dem Mund und sprach: »Warum machst du ein so nachdenkliches
Gesicht, Großvezier?«

Der Großvezier schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte
sich vor seinem Herrn und antwortete: »Herr! ob ich ein nachdenkliches
Gesicht mache, weiß ich nicht, aber da unten am Schloß steht ein
Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert, nicht viel
überflüssiges Geld zu haben.«

Der Kalif, der seinem Großvezier schon lange gern eine Freude gemacht
hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer
heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser war
ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem
Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte.
Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kämme. Der
Kalif und sein Vezier musterten alles durch, und der Kalif kaufte
endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Veziers
aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder zumachen
wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch
Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine
Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift,
die weder der Kalif noch Mansor lesen konnten. »Ich bekam einmal diese
zwei Stücke von einem Kaufmann, der sie in Mekka auf der Straße fand,«
sagte der Krämer, »ich weiß nicht, was sie enthalten; euch stehen sie
um geringen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen.«
Der Kalif, der in seiner Bibliothek gern alte Manuskripte hatte, wenn
er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entließ
den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gern wissen, was die
Schrift enthalte, und fragte den Vezier, ob er keinen kenne, der es
entziffern könnte. »Gnädigster Herr und Gebieter,« antwortete dieser,
»an der großen Moschee wohnt ein Mann; er heißt Selim der Gelehrte,
der versteht alle Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese
geheimnisvollen Züge.«

Der gelehrte Selim war bald herbeigeholt. »Selim,« sprach zu ihm der
Kalif, »Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein
wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen,
so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so
bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen,
weil man dich dann umsonst Selim den Gelehrten nennt.« Selim verneigte
sich und sprach: »Dein Wille geschehe, o Herr!« Lange betrachtete er
die Schrift, plötzlich aber rief er aus: »Das ist Lateinisch, o Herr,
oder ich laß mich hängen.« -- »Sag, was drin steht,« befahl der Kalif,
»wenn es Lateinisch ist.«

Selim fing an zu übersetzen: »Mensch, der du dieses findest, preise
Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft
und dazu spricht: ~Mutabor~, der kann sich in jedes Tier verwandeln
und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine
menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten
und spreche jenes Wort. Aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du
nicht lachest, sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus deinem
Gedächtnis, und du bleibst ein Tier.«

Als Selim der Gelehrte also gelesen hatte, war der Kalif über die
Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemand etwas von dem
Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ ihn. Zu
seinem Großvezier aber sagte er: »Das heiß' ich gut einkaufen, Mansor!
Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin! Morgen früh kommst du zu
mir. Wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen etwas weniges aus
meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft und im Wasser, im Wald
und Feld gesprochen ward!«


2.

Kaum hatte am andern Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich
angekleidet, als schon der Großvezier erschien, ihn, wie er befohlen,
auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem
Zauberpulver in den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen,
zurückzubleiben, machte er sich mit dem Großvezier ganz allein auf
den Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen,
spähten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu
probieren. Der Vezier schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich
zu gehen, wo er schon oft viele Tiere, namentlich Störche, gesehen
habe, die durch ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine
Aufmerksamkeit erregt hätten.

Der Kalif billigte den Vorschlag seines Veziers und ging mit ihm dem
Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storchen
ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und hie und da etwas vor
sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen
andern Storchen dieser Gegend zuschweben.

»Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr,« sagte der Großvezier, »diese
zwei Langfüßler führen jetzt ein schönes Gespräch miteinander. Wie wäre
es, wenn wir Störche würden?«

»Wohl gesprochen!« antwortete der Kalif. »Aber vorher wollen wir noch
einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird. -- Richtig! Dreimal
gen Osten geneigt und ~Mutabor~ gesagt, so bin ich wieder Kalif und
du Vezier. Aber nur ums Himmels willen nicht gelacht, sonst sind wir
verloren!«

Während der Kalif also sprach, sah er den andern Storchen über ihrem
Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die
Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großvezier dar,
der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: ~Mutabor!~

Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen
gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche
Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln
und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und den Körper
bedeckten weiche Federn.

»Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großvezier,« sprach nach langem
Erstaunen der Kalif. »Beim Bart des Propheten, so etwas habe ich in
meinem Leben nicht gesehen.«

»Danke untertänigst,« erwiderte der Großvezier, indem er sich bückte;
»aber wenn ich es wagen darf, möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen
als Storch beinahe noch hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn
es Euch gefällig ist, daß wir unsere Kameraden dort belauschen und
erfahren, ob wir wirklich Storchisch können?«

Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen. Er putzte sich
mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf
den ersten Storchen zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich,
in ihre Nähe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes
Gespräch:

»Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?«

»Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir ein kleines
Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs gefällig
oder ein Froschschenkelein?«

»Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen
etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines
Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein wenig üben.«

Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch
das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach. Als sie
aber in malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln
anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten;
ein unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem
sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif faßte sich zuerst
wieder: »Das war einmal ein Spaß,« rief er, »der nicht mit Gold zu
bezahlen ist. Schade! daß die dummen Tiere durch unser Gelächter sich
haben verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiß auch noch gesungen!«

Aber jetzt fiel es dem Großvezier ein, daß das Lachen während der
Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen
mit. »Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein
Storch bleiben müßte! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich bring'
es nicht heraus.«

»Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: Mu -- Mu --
Mu --«

Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, daß ihre
Schnäbel beinahe die Erde berührten. Aber, o Jammer! Das Zauberwort war
ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalif bückte, so sehnlich
auch sein Vezier Mu -- Mu -- dazu rief, jede Erinnerung daran war
verschwunden, und der arme Chasid und sein Vezier waren und blieben
Störche.


3.

Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten gar
nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut
konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht,
um sich zu erkennen zu geben, denn wer hätte einem Storchen geglaubt,
daß er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt hätte, würden die
Einwohner von Bagdad einen Storchen zum Kalifen gewählt haben?

So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich
von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut
verspeisen konnten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie übrigens
keinen Appetit. Denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich
den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage
war, daß sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die Dächer von
Bagdad, um zu sehen, was darin vorging.

In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den
Straßen. Aber ungefähr am vierten Tage nach ihrer Verzauberung saßen
sie auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Straße einen
prächtigen Aufzug. Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in einem
goldgestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd,
umgeben von glänzenden Dienern. Halb Bagdad sprang ihm nach, und alle
schrien: »Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!« Da sahen die beiden
Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalif Chasid
sprach: »Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, Großvezier? Dieser
Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers Kaschnur,
der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe ich die
Hoffnung nicht auf. Komm mit mir, du treuer Gefährte meines Elends,
wir wollen zum Grab des Propheten wandern, vielleicht daß an heiliger
Stätte der Zauber gelöst wird.«

Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina
zu.

Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen, denn die beiden
Störche hatten noch wenig Uebung. »O Herr,« ächzte nach ein paar
Stunden der Großvezier, »ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr
lange aus, Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir
täten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen.«

Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale
eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen sie
dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten,
schien ehemals ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter
den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten
waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und
sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes
Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor stehen. »Herr
und Gebieter,« flüsterte er leise, »wenn es nur nicht töricht für
einen Großvezier, noch mehr aber für einen Storchen wäre, sich vor
Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumut, denn hierneben
hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.« Der Kalif blieb nun
auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher einem
Menschen, als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung wollte er
der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Vezier aber packte
ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn flehentlich, sie nicht in
neue unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens! Der Kalif, dem
auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug, riß sich mit
Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren Gang. Bald
war er an einer Tür angelangt, die nur angelehnt schien, und woraus
er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem
Schnabel die Tür auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen.
In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster
spärlich erleuchtet war, sah er eine große Nachteule am Boden sitzen.
Dicke Tränen rollten ihr aus den großen runden Augen, und mit heiserer
Stimme stieß sie ihre Klagen aus dem krummen Schnabel heraus. Als sie
aber den Kalifen und seinen Vezier, der indes auch herbeigeschlichen
war, erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte
sie mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem
großen Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch:
»Willkommen, ihr Störche, ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner
Errettung, denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist
mir einst prophezeit worden!«

Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich
mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche
Stellung und sprach: »Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben,
eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, daß
durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere
Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst.« Die
Nachteule bat ihn, zu erzählen, der Kalif aber hub an und erzählte, was
wir bereits wissen.


4.

Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie
ihm und sagte: »Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht
weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien,
ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer
Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt.
Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für
seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ ihn
die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte sich unter einer andern
Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst in meinem
Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als Sklave
verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche Gestalt
verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte er mich hierher und
rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: ›Da sollst du bleiben,
häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein Ende, oder bis
einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser schrecklichen Gestalt,
zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir und deinem stolzen Vater.‹

Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als
Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst den
Tieren ein Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen, denn ich
bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht über dies
Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von meinem Auge.«

Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die Augen
aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt.

Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken
versunken. »Wenn mich nicht alles täuscht,« sprach er, »so findet
zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo
finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?« Die Eule antwortete ihm: »O
Herr! auch mir ahnet dies; denn es ist mir einst in meiner frühesten
Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, daß ein Storch mir
ein großes Glück bringen werde; und ich wüßte vielleicht, wie wir uns
retten könnten.« Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf welchem
Weg sie meine. »Der Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht hat,«
sagte sie, »kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht weit von
diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen
zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzählten
dann einander ihre schändlichen Werke, vielleicht, daß er dann das
Zauberwort, das ihr vergessen habt, ausspricht.«

»O, teuerste Prinzessin,« rief der Kalif, »sag' an, _wann_ kommt er,
und wo ist der Saal?«

Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: »Nehmet es nicht
ungütig, aber nur unter _einer_ Bedingung kann ich euren Wunsch
erfüllen.« -- »Sprich aus! Sprich aus!« schrie Chasid. »Befiehl, es ist
mir jede recht.«

»Nämlich ich möchte auch gerne zugleich frei sein, dies kann aber nur
geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht.«

Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der
Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen.

»Großvezier,« sprach vor der Tür der Kalif, »das ist ein dummer Handel,
aber Ihr könntet sie schon nehmen.«

»So?« antwortete dieser, »daß mir meine Frau, wenn ich nach Hause
komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid
noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen schönen
Prinzessin die Hand geben.«

»Das ist es eben,« seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel
hängen ließ, »wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das heißt
die Katze im Sack kaufen!«

Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu, endlich aber, als der
Kalif sah, daß sein Vezier lieber Storch bleiben als die Eule heiraten
wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. Die
Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner besseren
Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die
Zauberer sich versammeln würden.

Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu
führen; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich strahlte
ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen.
Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig
zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie standen,
einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt und
prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des
Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen
und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein
Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten
die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft
hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu
erzählen. Er erzählte unter andern auch die Geschichte des Kalifen und
seines Veziers.

»Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?« fragte ihn ein
anderer Zauberer. »Ein recht schweres lateinisches, es heißt
_~Mutabor~_.«


5.

Als die Störche an ihrer Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor Freude
beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so schnell dem
Tore der Ruine zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der
Kalif gerührt zu der Eule: »Retterin meines Lebens und des Lebens
meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns getan,
mich zum Gemahl an.« Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal
bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die soeben
hinter dem Gebirge heraufstieg; »_~Mutabor~_!« riefen sie, und im Nu
waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten Lebens
lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen. Wer
beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne Dame,
herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen
die Hand. »Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?« sagte sie. Sie war
es; der Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut so entzückt, daß er
ausrief: es sei sein größtes Glück, daß er Storch geworden sei.

Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen
Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen
Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer Reise
nötig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort aber
erregte die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn für
tot ausgegeben, und das Volk war daher hoch erfreut, seinen geliebten
Herrscher wiederzuhaben.

Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger Mizra. Sie zogen
in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen.
Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die
Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Dem
Sohn aber, welcher nichts von den Künsten des Vaters verstand, ließ
der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das
letztere wählte, bot ihm der Großvezier die Dose. Eine tüchtige Prise,
und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in einen Storchen. Der
Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und in seinem Garten
aufstellen.

Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der
Prinzessin; seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der
Großvezier nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem
Storchenabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich
herab, den Großvezier nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg
dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte,
wedelte mit den Armen, wie mit Flügeln, und zeigte, wie jener sich
vergeblich nach Osten geneigt und Mu -- Mu -- dazu gerufen habe. Für
die Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine
große Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und
Mu -- Mu -- schrie, dann drohte ihm lächelnd der Vezier: er wollte das,
was vor der Tür der Prinzessin _Nachteule_ verhandelt worden sei, _der
Frau Kalifin_ mitteilen.

       *       *       *       *       *

Als Selim Baruch seine Geschichte geendet hatte, bezeigten sich die
Kaufleute sehr zufrieden damit. »Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns
vergangen, ohne daß wir es merkten, wie!« sagte einer derselben,
indem er die Decke des Zeltes zurückschlug. »Der Abendwind weht
kühl, wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen.« Seine
Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen,
und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie
herangezogen war, auf den Weg.

Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch; denn es war schwül am
Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich
an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten
sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er
ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, der andere
Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient,
als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren schon
heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen
einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist
hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann
wandte sich an den ältesten und sprach: »Selim Baruch hat uns gestern
einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns
auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele
Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein hübsches Märchen.«
Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im
Zweifel wäre, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich
fing er an zu sprechen:

»Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue
Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will
ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und
nicht jedem erzähle: _Die Geschichte von dem Gespensterschiff_.«



Die Geschichte von dem Gespensterschiff.


Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora. Er war weder arm noch
reich und einer von jenen Leuten, die nicht gern etwas wagen, aus
Furcht, das wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht
und recht und brachte es bald so weit, daß ich ihm an die Hand gehen
konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war und er eben die erste
größere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend
Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte ihn bald nachher
wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen hernach
lief die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine Güter
mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber
dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein
Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glück zu
probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet, der sich
aus alter Anhänglichkeit nicht von mir und meinem Schicksal trennen
wollte.

Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das
Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt.
Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren,
als uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches
Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht
genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. Er ließ alle Segel
einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die Nacht war angebrochen,
war hell und kalt, und der Kapitän glaubte schon, sich in den Anzeichen
des Sturmes getäuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das
wir vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes
Jauchzen und Geschrei erscholl von dem Verdeck herauf, worüber ich
mich, zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm, nicht wenig
wunderte. Aber der Kapitän an meiner Seite wurde blaß wie der Tod.
»Mein Schiff ist verloren,« rief er, »dort segelt der Tod!« Ehe ich ihn
noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, stürzten schon
heulend und schreiend die Matrosen herein: »Habt Ihr ihn gesehen?«
schrien sie, »jetzt ist's mit uns vorbei!«

Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte
sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der
Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb
sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten
Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen, und als
ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch
kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm, das Boot war nicht mehr
zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir
versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag
an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte faßte der Wind das
Boot, in welchem wir saßen und stürzte es um. Ich habe keinen meiner
Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte mich betäubt, und als ich
aufwachte, befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners,
der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen
hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserm Schiff war nichts mehr
zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein anderes
Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir näher hinzukamen,
erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns
vorbeifuhr, und welches den Kapitän so sehr in Schrecken gesetzt hatte.
Ich empfand ein sonderbares Grauen vor diesem Schiffe. Die Aeußerung
des Kapitäns, die sich so furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen
des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir
schrieen, niemand zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges
Rettungsmittel, darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll
erhalten hatte.

Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und
Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es.
Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf dem
Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der jüngste voran.
Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinen Augen dar,
als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, zwanzig
bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem Boden,
am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den Säbel in
der Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die Stirne
ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete; auch er war
tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen.
Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte
der Anblick des Verdeckes, das gar nichts Lebendiges, sondern nur so
viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir in
der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten.
Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch
Schrecklicheres sich darbiete. Aber alles blieb, wie es war. Weit und
breit nichts Lebendiges, als wir und das Weltmeer. Nicht einmal laut zu
sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am Mast angespießte Capitano
möchte seine starren Augen nach uns hindrehen, oder einer der Getöteten
möchte seinen Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe
gekommen, die in den Schiffsraum führte. Unwillkürlich machten wir dort
Halt und sahen einander an, denn keiner wagte es recht, seine Gedanken
zu äußern.

»O Herr,« sprach mein treuer Diener, »hier ist etwas Schreckliches
geschehen. Doch, wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, so
will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als
längere Zeit unter diesen Toten zubringen.« Ich dachte, wie er, wir
faßten ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille war
aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. Wir
standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe und
lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach bot einen
unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und anderes Geräte lagen
untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder wenigstens der
Capitano mußten vor kurzem gezecht haben, denn es lag alles noch umher.
Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach, überall
fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker usw. Ich war vor
Freude über diesen Anblick außer mir, denn da niemand auf dem Schiff
war, glaubte ich alles mir zueignen zu dürfen, Ibrahim aber machte mich
aufmerksam darauf, daß wir wahrscheinlich noch sehr weit vom Lande
seien, wohin wir allein und ohne menschliche Hilfe nicht kommen könnten.

Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichlichem
Maße vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier
schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der Leichen.
Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord zu werfen.
Aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, daß sich keiner
aus seiner Lage bewegen ließ. Wie fest gebannt lagen sie am Boden,
und man hätte die Bretter des Verdecks ausheben müssen, um sie zu
entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der Capitano
ließ sich nicht von seinem Mast losmachen, nicht einmal seinen Säbel
konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten den Tag in
trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu werden
anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, ich
selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung auszuspähen.
Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen berechnete, daß
es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so unwiderstehlicher
Schlaf, daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das auf dem Verdeck
stand, zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als Schlaf, denn ich
hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die
Segel im Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen und
Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich wollte mich aufrichten, um
danach zu schauen. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder
gefesselt, nicht einmal die Augen konnte ich aufschlagen. Aber immer
deutlicher wurden die Stimmen, es war mir, als wenn ein fröhliches
Schiffsvolk auf dem Verdeck sich umhertriebe. Mitunter glaubte ich die
kräftige Stimme eines Befehlenden zu hören, auch hörte ich Taue und
Segel deutlich auf- und abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die
Sinne, ich verfiel in einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein
Geräusch von Waffen zu hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne
schon hoch stand und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich
mich um, Sturm, Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört
hatte, kam mir wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich
alles wie gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der
Capitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und
stand auf, um meinen Alten zu suchen.

Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. »O Herr!« rief er aus, als
ich zu ihm hereintrat, »ich wollte lieber im tiefsten Grunde des Meeres
liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen.« Ich
fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir: »Als
ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf und vernahm, wie
man über meinem Haupte hin und her lief. Ich dachte zuerst, Ihr wäret
es, aber es waren wenigstens zwanzig, die oben umherliefen, auch hörte
ich rufen und schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab.
Da wußte ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehrte auf einige
Augenblicke meine Besinnung zurück, und da sah ich dann denselben Mann,
der oben am Mast angenagelt ist, an jenem Tisch dort sitzen, singend
und trinkend, aber der, der in einem roten Scharlachkleid nicht weit
von ihm am Boden liegt, saß neben ihm und half ihm trinken.« Also
erzählte mir mein alter Diener.

Ihr könnt es mir glauben, meine Freunde, daß mir gar nicht wohl zumut
war; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten gar wohl
gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir greulich. Mein
Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. »Jetzt hab' ich's!«
rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein Sprüchlein ein, das ihn
sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister Mann, gelehrt hatte, und
das gegen jeden Geister- und Zauberspuk helfen sollte; auch behauptete
er, jenen unnatürlichen Schlaf, der uns befiel, in der nächsten Nacht
verhindern zu können, wenn wir nämlich recht fleißig Sprüche aus dem
Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes gefiel mir wohl. In
banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen. Neben der Kajüte war
ein kleines Kämmerchen, dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen. Wir
bohrten mehrere Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die
ganze Kajüte zu überschauen; dann verschlossen wir die Türe, so gut es
ging, von innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle
vier Ecken. So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder
ungefähr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. Mein
Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans zu beten, was mir
auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden, die Taue
knarrten, Schritte gingen über das Verdeck, und mehrere Stimmen waren
deutlich zu unterscheiden. Mehrere Minuten hatten wir so in gespannter
Erwartung gesessen, da hörten wir etwas die Treppe der Kajüte
herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, den ihn
sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, herzusagen:

    »Kommt ihr herab aus der Luft,
    Steigt ihr aus tiefem Meer,
    Schlieft ihr in dunkler Gruft,
    Stammt ihr vom Feuer her:
    Allah ist euer Herr und Meister,
    Ihm sind gehorsam alle Geister.«

Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und
mir stieg das Haar zu Berg, als die Tür aufflog. Hereintrat jener
große, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte.
Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn, das Schwert aber
hatte er in die Scheide gesteckt, hinter ihm trat noch ein anderer
herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen
sehen. Der Capitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein bleiches
Gesicht, einen großen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, mit denen
er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen,
als er an unserer Tür vorüberging; er aber schien gar nicht auf die
Tür zu achten, die uns verbarg. Beide setzten sich an den Tisch, der
in der Mitte der Kajüte stand, und sprachen laut und fast schreiend
miteinander in einer unbekannten Sprache. Sie wurden immer lauter und
eifriger, bis endlich der Capitano mit geballter Faust auf den Tisch
hineinschlug, daß das Zimmer dröhnte. Mit wildem Gelächter sprang der
andere auf und winkte dem Capitano, ihm zu folgen. Dieser stand auf,
riß seinen Säbel aus der Scheide, und beide verließen das Gemach. Wir
atmeten freier, als sie weg waren; aber unsere Angst hatte noch lange
kein Ende. Immer lauter und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte
eilends hin und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich
ging ein wahrhaft höllischer Lärm los, so daß wir glaubten, das Verdeck
mit allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei --
auf einmal aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten,
hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als
früher, alle waren steif wie Holz.

So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten,
wohinzu, nach meiner Berechnung, Land liegen mußte; aber wenn es
auch bei Tag viele Meilen zurückgelegt hatte, bei Nacht schien es
immer wieder zurückzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am
nämlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht
anders erklären, als daß die Toten jede Nacht mit vollem Winde
zurücksegelten. Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht wurde,
alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe in der
Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und auch
das Sprüchlein des Großvaters dazu und banden es um die eingezogenen
Segel. Aengstlich warteten wir in unserem Kämmerchen den Erfolg ab.
Der Spuk schien diesmal noch ärger zu toben, aber siehe, am andern
Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie verlassen hatten.
Wir spannten den Tag über nur so viele Segel auf, als nötig waren, das
Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in fünf Tagen eine gute
Strecke zurück.

Endlich am Morgen des sechsten Tages entdeckten wir in geringer Ferne
Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere wunderbare
Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an einer Küste
hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer Entfernung eine
Stadt zu entdecken; wir ließen mit vieler Mühe einen Anker in die See,
der alsobald Grund faßte, setzten ein kleines Boot, das auf dem Verdeck
stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt zu. Nach einer
halben Stunde liefen wir in einen Fluß ein, der sich in die See ergoß,
und stiegen ans Ufer. Im Stadttor erkundigten wir uns, wie die Stadt
heiße und erfuhren, daß es eine indische Stadt sei, nicht weit von
der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir begaben uns
in eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer abenteuerlichen
Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem weisen und verständigen
Mann, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, daß ich einen solchen haben
möchte, der sich ein wenig auf Zauberei verstehe. Er führte mich in
eine abgelegene Straße an ein unscheinbares Haus, pochte an, und man
ließ mich eintreten, mit der Weisung, ich solle nur nach Muley fragen.

In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer
Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich suchte
den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich fragte
ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle, und wie ich es
angreifen müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir,
die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgend eines Frevels
auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich lösen, wenn
man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, als wenn man
die Bretter, auf denen sie liegen, losmache. Mir gehöre, von Gott
und Rechts wegen, das Schiff samt allen Gütern, weil ich es gleichsam
gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheim halten und ihm ein
kleines Geschenk von meinem Ueberfluß machen, er wolle dafür mit seinen
Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich versprach,
ihn reichlich zu belohnen und wir machten uns mit fünf Sklaven, die
mit Sägen und Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der
Zauberer Muley unsern glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen
des Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies das
einzige Mittel gewesen, uns zu retten.

Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir
machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon
vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie ans Land rudern,
um sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die
Toten haben ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie
man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir
fuhren fort, die Toten abzusägen, und vor Abend waren alle ans Land
gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord, als der, welcher am Mast
angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holz zu ziehen,
keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu verrücken. Ich
wußte nicht, was anzufangen war, man konnte doch nicht den Mastbaum
abhauen, um ihn ans Land zu führen. Doch aus dieser Verlegenheit half
Muley. Er ließ schnell einen Sklaven ans Land rudern, um einen Topf
mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der Zauberer
geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete die Erde auf das Haupt
des Toten. Sogleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und
die Wunde des Nagels in seiner Stirn fing an zu bluten. Wir zogen den
Nagel jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem der Sklaven in
die Arme.

»Wer hat mich hierhergeführt?« sprach er, nachdem er sich ein wenig
erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm.
»Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen
errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und
mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt
hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu meinen Vätern
gehen.« Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen
Zustand gekommen sei, und er sprach: »Vor fünfzig Jahren war ich ein
mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn
trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. Ich hatte
dieses Geschäft schon einige Zeit fortgeführt, da nahm ich einmal auf
Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine
Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die Heiligkeit des
Mannes, vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als er aber einst
in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen hatte,
übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit meinem Steuermann
viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, was mir ein Derwisch
gesagt hatte, und was ich mir von keinem Sultan hätte sagen lassen,
stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust.
Sterbend verwünschte er mich und meine Mannschaft, nicht sterben und
nicht leben zu können, bis wir unser Haupt auf die Erde legen. Der
Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See und verlachten seine
Drohungen; aber noch in derselben Nacht erfüllten sich seine Worte.
Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich gegen mich. Mit fürchterlicher
Wut wurde gestritten, bis meine Anhänger unterlagen und ich an den
Mast genagelt wurde. Aber auch die Empörer unterlagen ihren Wunden,
und bald war mein Schiff nur ein großes Grab. Auch mir brachen die
Augen, mein Atem hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur
eine Erstarrung, die mich gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur
nämlichen Stunde, da wir den Derwisch in die See geworfen, erwachten
ich und alle meine Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir
konnten nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen
und getan hatten. So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht
leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit
toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil
wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt
auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen.
Jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter
Retter, wenn Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als
Zeichen meiner Dankbarkeit.«

Der Capitano ließ sein Haupt sinken, als er soeben gesprochen hatte,
und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub.
Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn am Lande; aus
der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand
setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen andere
mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte
meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach meinem Vaterland
ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und
Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete
mein Unternehmen. Nach drei Vierteljahren lief ich noch einmal so
reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein.
Meine Mitbürger waren erstaunt über meine Reichtümer und mein Glück
und glaubten nicht anders, als ich habe das Diamantental des berühmten
Reisenden Sindbad gefunden. Ich ließ sie auf ihrem Glauben, von nun an
aber mußten die jungen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre
alt waren, in die Welt hinaus, um, gleich mir, ihr Glück zu machen. Ich
aber lebte ruhig und im Frieden, und alle fünf Jahre machte ich eine
Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu
danken und für den Capitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in
sein Paradies aufnehme.

       *       *       *       *       *

Die Reise der Karawane war den andern Tag ohne Hindernis fürder
gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim,
der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen:

»Ihr seid zwar der jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und
wißt für uns gewiß irgend einen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß
er uns erquicke nach der Hitze des Tages.« -- »Wohl möchte ich euch
etwas erzählen;« antwortete Muley, »das euch Spaß machen könnte, doch
der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; darum müssen meine
älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer so ernst
und verschlossen, sollte er uns nicht erzählen, was sein Leben so ernst
machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern
können, denn gern dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens
ist.«

Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in
mittleren Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich
ein Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine
Reisegefährten; denn er hatte ihnen durch sein ganzes Wesen Achtung
und Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur _eine_ Hand, und einige
seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so ernst
stimme.

Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: »Ich bin sehr
geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen,
von welchem ihr, auch mit dem besten Willen, mir helfen könntet.
Doch weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich
euch einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster
bin als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren
habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den
schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld davon
trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage
mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen
habt: _Die Geschichte von der abgehauenen Hand_.«



Die Geschichte von der abgehauenen Hand.


Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman bei
der Pforte und trieb nebenbei einen ziemlich einträglichen Handel mit
wohlriechenden Essenzen und seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute
Erziehung, indem er mich teils selbst unterrichtete, teils von einem
unserer Priester mir Unterricht geben ließ. Er bestimmte mich anfangs,
seinen Laden einmal zu übernehmen, da ich aber größere Fähigkeiten
zeigte, als er erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner
Freunde zum Arzt, weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als
die gewöhnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen
kann. Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon überredete
meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu
lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen könne.
Er selbst aber wolle mich, wenn er zurückreise, umsonst mitnehmen.
Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und
der Franke sagte mir, ich könne mich in drei Monaten bereit halten.
Ich war außer mir vor Freude, fremde Länder zu sehen, und konnte den
Augenblick nicht erwarten, wo wir uns einschiffen würden. Der Franke
hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise bereitet;
am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in sein Schlafkämmerlein.
Dort sah ich schöne Kleider und Waffen auf dem Tische liegen. Was meine
Blicke aber noch mehr anzog, war ein großer Haufe Goldes, denn ich
hatte noch nie so viel beieinander gesehen. Mein Vater umarmte mich
dort und sagte: »Siehe, mein Sohn, ich habe dir Kleider zu der Reise
besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die nämlichen, die mir dein
Großvater umhing, als ich in die Fremde auszog. Ich weiß, du kannst
sie führen; gebrauche sie aber nie, als wenn du angegriffen wirst; dann
aber schlage auch tüchtig drauf. Mein Vermögen ist nicht groß; siehe,
ich habe es in drei Teile geteilt, einer davon ist dein, einer davon
sei mein Unterhalt und Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges
unantastbares Gut, er diene _dir_ in der Stunde der Not.« So sprach
mein alter Vater, und Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung,
denn ich habe ihn nie wiedergesehen.

Die Reise ging gut von statten; wir waren bald im Lande der Franken
angelangt, und sechs Tagreisen hernach kamen wir in die große Stadt
Paris. Hier mietete mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet
mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig
anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein
tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn ich sagte, daß
ich gerne dort gewesen sei, denn die Sitten dieses Volkes gefielen mir
nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber waren
edle junge Männer.

Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir; in der
ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff
daher eine günstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen.

Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der hohen
Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten
und kam glücklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber
fand ich verschlossen, und die Nachbarn erstaunten, als sie mich
sahen, und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben.
Jener Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte
mir den Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete Haus
ein. Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte, nur das
Gold, das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den
Priester darüber, und dieser verneigte sich und sprach: »Euer Vater
ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche
vermacht.« Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich
machen? Ich hatte keine Zeugen gegen den Priester und mußte froh sein,
daß er nicht auch das Haus und die Waren meines Vaters als Vermächtnis
angesehen hatte. Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt
an aber kam es Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar
nicht ausbreiten, weil ich mich schämte, den Marktschreier zu machen,
und überall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den
Reichsten und Vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt nicht mehr an
den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden keinen
Abgang, denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, und
neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos über meine Lage
nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines Volkes
gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den Märkten
der Städte auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gern abkaufte,
weil sie aus der Fremde kamen, und daß man bei solchem Handel das
Hundertfache erwerben könne. Sogleich war auch mein Entschluß gefaßt.
Ich verkaufte mein väterliches Haus, gab einen Teil des gelösten Geldes
einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von dem übrigen aber kaufte
ich, was man in Franken selten hat, als Schals, seidene Zeuge, Salben
und Oele, mietete einen Platz auf einem Schiff und trat so meine
zweite Reise nach Frankenland an. Es schien, als ob das Glück, sobald
ich die Schlösser der Dardanellen im Rücken hatte, mir wieder günstig
geworden wäre. Unsere Fahrt war kurz und glücklich. Ich durchzog die
großen und kleinen Städte der Franken und fand überall willige Käufer
meiner Waren. Mein Freund in Stambul sandte mir immer wieder frische
Vorräte, und ich wurde von Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so
viel erspart hatte, daß ich glaubte, ein größeres Unternehmen wagen
zu können, zog ich mit meinen Waren nach Italien. Etwas muß ich aber
noch gestehen, was mir auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch
meine Arzneikunst zu Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch
Zettel verkünden, daß ein griechischer Arzt da sei, der schon viele
geheilt habe; und wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir
manche Zechine eingebracht. So war ich endlich nach der Stadt Florenz
in Italien gekommen. Ich nahm mir vor, längere Zeit in dieser Stadt
zu bleiben, teils weil sie mir sehr wohl gefiel, teils auch, weil ich
mich von den Strapazen meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete
mir ein Gewölbe in dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein
paar schöne Zimmer, die auf einen Altan führten, in einem Wirtshaus.
Sogleich ließ ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und
Kaufmann ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so strömten
auch die Käufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe Preise hatte,
so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich gefällig und freundlich
gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier Tage vergnügt in Florenz
verlebt, als ich eines Abends, da ich schon mein Gewölbe schließen und
nur die Vorräte in meinen Salbenbüchsen, nach meiner Gewohnheit, noch
einmal mustern wollte, in einer kleinen Büchse einen Zettel fand, den
ich mich nicht erinnerte, hineingetan zu haben. Ich öffnete den Zettel
und fand darin eine Einladung, diese Nacht, Punkt zwölf Uhr, auf der
Brücke, die man ~Ponte vecchio~ heißt, mich einzufinden. Ich sann
lange darüber nach, wer es wohl sein könnte, der mich dorthin einlud,
da ich aber keine Seele in Florenz kannte, dachte ich, man werde mich
vielleicht heimlich zu einem Kranken führen wollen, was schon öfter
geschehen war. Ich beschloß also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht
den Säbel um, den mir einst mein Vater geschenkt hatte.

Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und
kam bald auf die ~Ponte vecchio~. Ich fand die Brücke verlassen und öde
und beschloß zu warten, bis der erscheinen würde, der mich rief. Es war
eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab in die
Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen
der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr, ich richtete mich auf, und vor mir
stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel gehüllt, dessen einen
Zipfel er vor das Gesicht hielt.

Ich war anfangs etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir
stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: »Wenn Ihr mich habt
hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?« Der Rotmantel
wandte sich um und sagte langsam: »Folge!« Da ward mir's doch etwas
unheimlich zu Mut, mit diesem Unbekannten allein zu gehen; ich blieb
stehen und sprach: »Nicht also, lieber Herr; wollet Ihr mir vorerst
sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig zeigen, daß
ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt.« Der Rote aber schien sich
nicht darum zu kümmern. »Wenn du nicht willst, Zaleukos, so bleibe!«
antwortete er und ging weiter. Da entbrannte mein Zorn. »Meinet Ihr,«
rief ich aus, »ein Mann wie ich lasse sich von jedem Narren foppen,
und ich werde in dieser kalten Nacht umsonst gewartet haben?« In drei
Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie
noch lauter, indem ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der
Mantel blieb mir in der Hand, und der Unbekannte war um die nächste
Ecke verschwunden. Mein Zorn legte sich nach und nach, ich hatte doch
den Mantel, und dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem
wunderlichen Abenteuer geben. Ich hing ihn um und ging meinen Weg
weiter nach Hause. Als ich kaum noch hundert Schritte davon entfernt
war, streifte jemand dicht an mir vorüber und flüsterte in fränkischer
Sprache: »Nehmet Euch in acht, Graf, heute nacht ist nichts zu machen.«
Ehe ich mich aber umsehen konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und
ich sah nur noch einen Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser
Zuruf den Mantel und nicht mich anging, sah ich ein, doch gab er mir
kein Licht über die Sache. Am andern Morgen überlegte ich, was zu tun
sei. Ich war von Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als
hätte ich ihn gefunden, doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen
dritten holen lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die
Sache gehabt. Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher.
Er war von schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem
Pelz verbrämt und reich mit Gold gestickt. Der prachtvolle Anblick des
Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß.
-- Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte
aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer zu
finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen würde,
scharf ins Auge zu fassen, denn die Gestalt des Unbekannten, die sich
mir, nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch bestimmt
zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich viele
Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit alle Augen
auf sich zog, aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, keiner wollte
den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. Auffallend
war mir dabei, daß, wenn ich einen oder den anderen fragte, ob denn
sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit nein antworteten und
versicherten, eine so kostbare und geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu
haben.

Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der schon
oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel geboten
hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: »Bei
Gott! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum Bettler
darüber werden.« Zugleich begann er, seine Goldstücke aufzuzählen. Ich
kam in große Not; ich hatte den Mantel nur ausgehängt, um vielleicht
die Blicke meines Unbekannten darauf zu ziehen, und jetzt kam ein
junger Tor, um den ungeheuren Preis zu zahlen. Doch was blieb mir
übrig? Ich gab nach, denn es tat mir auf der anderen Seite der Gedanke
wohl, für mein nächtliches Abenteuer so schön entschädigt zu werden.
Der Jüngling hing sich den Mantel um und ging; er kehrte aber auf der
Schwelle wieder um, indem er ein Papier, das am Mantel befestigt war,
losmachte, mir zuwarf und sagte: »Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl
nicht zu dem Mantel gehört.« Gleichgültig nahm ich den Zettel, aber
siehe, dort stand geschrieben: »Bringe heute nacht, um die bewußte
Stunde, den Mantel auf die ~Ponte vecchio~, vierhundert Zechinen
warten deiner.« Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein
Glück selbst verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich
besann mich nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen,
sprang dem, der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: »Nehmt
Eure Zechinen wieder, guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann
ihn unmöglich hergeben.« Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß,
als er aber merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine
Forderung, schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen.
Doch ich war so glücklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreißen,
und wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei
zu Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr
erstaunt über die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. Ich
aber bot dem Jüngling zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert Zechinen
über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was meine Bitten
nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine guten Zechinen, ich
aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und mußte mir gefallen lassen,
daß man mich in ganz Florenz für einen Wahnsinnigen hielt. Doch die
Meinung der Leute war mir gleichgültig, ich wußte es ja besser als sie,
daß ich an dem Handel noch gewann.

Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit, wie gestern,
ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die ~Ponte vecchio~. Mit dem
letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich
zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. »Hast du den Mantel?«
wurde ich gefragt. »Ja, Herr,« antwortete ich, »aber er kostete mich
bar hundert Zechinen.« -- »Ich weiß es,« entgegnete jener. »Schau auf,
hier sind vierhundert.« Er trat mit mir an das breite Geländer der
Brücke und zählte die Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig
blitzten sie im Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! es ahnte
nicht, daß es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld
in die Tasche und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht
betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich
dunkle Augen furchtbar anblitzten. »Ich danke Euch, Herr, für Eure
Güte,« sprach ich zu ihm, »was verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage
ich Euch aber vorher, daß es nichts Unrechtes sein darf.« -- »Unnötige
Sorge,« antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern legte. »Ich
bedarf Eurer Hilfe als Arzt, doch nicht für einen Lebenden, sondern für
einen Toten.«

»Wie kann das sein?« rief ich voll Verwunderung.

»Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen,« erzählte er und
winkte mir zugleich, ihm zu folgen. »Ich wohnte hier mit ihr bei
einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an
einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach
einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der
Väter ruhen; viele, die in fremdem Lande starben, ruhen dennoch dort
einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper, meinem
Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit er
sie noch einmal sehe.« Diese Sitte, die Köpfe geliebter Anverwandten
abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor, doch wagte ich
nichts dagegen einzuwenden, aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen.
Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der Toten wohl
umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu führen. Doch
konnte ich mich nicht enthalten, zu fragen: warum denn dies alles so
geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse? Er antwortete mir,
daß seine Verwandten, die seine Absicht für grausam halten, bei Tage
ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der Kopf abgenommen, so
können sie wenig mehr darüber sagen; er hätte mir zwar den Kopf bringen
können, aber ein natürliches Gefühl halte ihn ab, ihn selbst abzunehmen.

Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein
Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen Spaziergangs.
Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten in eine kleine
Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich zumachte, und stiegen
nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. Sie führte in einen
spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in ein Zimmer gelangten,
das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, erleuchtete.

In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der
Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Tränen verbergen zu
wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und
schnell zu verrichten, und ging wieder zur Türe hinaus.

Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus
und näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar,
aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden
ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war
bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst einen Einschnitt in
die Haut, nach der Weise der Aerzte, wenn sie ein Glied abschneiden.
Sodann nahm ich mein schärfstes Messer und schnitt mit _einem_ Zug die
Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die Tote schlug die Augen auf,
schloß sie aber gleich wieder, und in einem tiefen Seufzer schien sie
jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. Zugleich schoß mir ein Strahl heißen
Blutes aus der Wunde entgegen. Ich überzeugte mich, daß ich erst die
Arme getötet hatte. Denn daß sie tot sei, war kein Zweifel, da es von
dieser Wunde keine Rettung gab. Ich stand einige Minuten in banger
Beklommenheit über das, was geschehen war. Hatte der Rotmantel mich
betrogen, oder war die Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das
letztere schien mir wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der
Verstorbenen nicht sagen, daß vielleicht ein weniger rascher Schnitt
sie erweckt hätte, ohne sie zu töten, darum wollte ich den Kopf
vollends ablösen, aber noch einmal stöhnte die Sterbende, streckte
sich in schmerzhafter Bewegung aus und starb. Da übermannte mich der
Schrecken, und ich stürzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draußen
im Gang war es finster; denn die Lampe war verlöscht, keine Spur
von meinem Begleiter war zu entdecken, und ich mußte aufs Ungefähr
mich im Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu
gelangen. Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend,
hinab. Auch unten war kein Mensch. Die Türe fand ich nur angelehnt,
und ich atmete freier, als ich auf der Straße war. Denn in dem Hause
war mir ganz unheimlich geworden. Vom Schrecken gespornt, rannte ich
in meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das
Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh
mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es
war mir wahrscheinlich, daß der Mann, der mich zu dieser verruchten
Tat, wie sie mir jetzt erschien, verführt hatte, mich nicht angeben
würde. Ich entschloß mich gleich, in mein Gewölbe an mein Geschäft
zu gehen und womöglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach! ein
neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen
Kummer. Meine Mütze und mein Gürtel, wie auch meine Messer fehlten mir,
und ich war ungewiß, ob ich sie in dem Zimmer der Getöteten gelassen
oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien das erste
wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Mörder entdecken.

Ich öffnete zur gewöhnlichen Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat
zu mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein
gesprächiger Mann. »Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen Geschichte,«
hub er an, »die heute nacht vorgefallen ist?« Ich tat, als ob ich
von nichts wüßte. »Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die ganze
Stadt erfüllt ist? Nicht wissen, daß die schönste Blume von Florenz,
Bianka, die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht ermordet wurde?
Ach! ich sah sie gestern noch so heiter durch die Straßen fahren mit
ihrem Bräutigam, denn heute hätten sie Hochzeit gehabt.« Jedes Wort
des Nachbars war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft kehrte meine
Marter wieder, denn jeder meiner Kunden erzählte mir die Geschichte,
immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte keiner so
Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um Mittag ungefähr
trat ein Mann vom Gericht in mein Gewölbe und bat mich, die Leute zu
entfernen. »Signore Zaleukos,« sprach er, indem er die Sachen, die ich
vermißt, hervorzog, »gehören diese Sachen Euch zu?« Ich besann mich,
ob ich sie nicht gänzlich ableugnen sollte, aber als ich durch die
halbgeöffnete Türe meinen Wirt und mehrere Bekannte, die wohl gegen
mich zeugen konnten, erblickte, beschloß ich, die Sache nicht noch
durch eine Lüge zu verschlimmern, und bekannte mich zu den vorgezeigten
Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu folgen, und führte mich in
ein großes Gebäude, das ich bald für das Gefängnis erkannte. Dort wies
er mir bis auf weiteres ein Gemach an.

Meine Lage war schrecklich, als ich in der Einsamkeit darüber
nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen,
kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß der
Glanz des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte, sonst hätte
ich nicht so blindlings in die Falle gehen können. Zwei Stunden nach
meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach geführt. Mehrere Treppen
ging es hinab, dann kam man in einen großen Saal. Um einen langen,
schwarzbehängten Tisch saßen dort zwölf Männer, meistens Greise. An
den Seiten des Saales zogen sich Bänke herab, angefüllt mit den
Vornehmsten von Florenz. Auf den Galerien, die in der Höhe angebracht
waren, standen, dicht gedrängt, die Zuschauer. Als ich bis vor den
schwarzen Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit finsterer,
trauriger Miene, es war der Gouverneur. Er sprach zu den Versammelten,
daß er als Vater in dieser Sache nicht richten könne, und daß er seine
Stelle für dieses Mal an den ältesten der Senatoren abtrete. Der
älteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens neunzig Jahren.
Er stand gebückt, und seine Schläfen waren mit dünnem, weißem Haar
umhängt, aber feurig brannten noch seine Augen, und seine Stimme war
stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob ich den Mord gestehe.
Ich bat ihn um Gehör und erzählte unerschrocken und mit vernehmlicher
Stimme, was ich getan hatte und was ich wußte. Ich bemerkte, daß der
Gouverneur während meiner Erzählung bald blaß, bald rot wurde, und
als ich geschlossen, fuhr er wütend auf: »Wie, Elender!« rief er mir
zu, »so willst du ein Verbrechen, was du aus Habgier begangen, noch
einem andern aufbürden?« Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung,
da er sich freiwillig seines Rechtes begeben habe, auch sei es gar
nicht so erwiesen, daß ich aus Habgier gefrevelt, denn nach seiner
eigenen Aussage sei ja der Getöteten nichts gestohlen worden. Ja, er
ging noch weiter. Er erklärte dem Gouverneur, daß er über das frühere
Leben seiner Tochter Rechenschaft geben müsse. Denn nur so könne man
schließen, ob ich die Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er
für heute das Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der
Verstorbenen, die ihm der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich
wurde wieder in mein Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen traurigen
Tag verlebte, immer mit dem heißen Wunsche beschäftigt, daß man doch
irgend eine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken
möchte. Voll Hoffnung trat ich den andern Tag in den Gerichtssaal.
Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich,
ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, daß sie von
derselben Hand sein müßten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten.
Ich äußerte dies den Senatoren, aber man schien nicht darauf zu achten
und antwortete, daß ich beides geschrieben haben könne und müsse,
denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z., der
Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten Drohungen an
die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie zu vollziehen
im Begriff war.

Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine
Person gegeben zu haben. Denn man behandelte mich an diesem Tage
mißtrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung
auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden müssen, aber man
sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir am
Schlusse dieses Gerichtstages alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag
wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil vor, daß ich,
eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei. Dahin
also war es mit mir gekommen! Verlassen von allem, was mir auf Erden
noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig in der
Blüte meiner Jahre vom Beile sterben!

Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal
entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker, meine Hoffnungen waren
dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet, da tat sich die
Türe meines Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich lange
schweigend betrachtete. »So finde ich dich wieder, Zaleukos?« sagte
er. Ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht erkannt,
aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in mir. Es
war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der Stadt Paris
während meiner Studien kannte. Er sagte, daß er zufällig nach Florenz
gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne, er habe von
meiner Geschichte gehört und sei gekommen, um mich noch einmal zu sehen
und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so schwer habe verschulden
können. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Er schien darüber sehr
verwundert und beschwor mich, ihm, meinem einzigen Freunde, alles zu
sagen und nicht mit einer Lüge von hinnen zu gehen. Ich schwur ihm mit
dem teuersten Eid, daß ich wahr gesprochen und daß keine andere Schuld
mich drücke, als daß ich, von dem Glanze des Goldes geblendet, das
Unwahrscheinliche der Erzählung des Unbekannten nicht erkannt habe.
»So hast du Bianka nicht gekannt?« fragte jener. Ich beteuerte ihm,
sie nie gesehen zu haben. Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes
Geheimnis auf der Tat liege, daß der Gouverneur meine Verurteilung
sehr hastig betrieben habe, und es sei nun ein Gerücht unter die Leute
gekommen, daß ich Bianka schon längst gekannt und aus Rache über ihre
Heirat mit einem andern sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, daß dies
alles ganz auf den Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an
der Tat mit nichts beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und
versprach mir, alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich
hatte wenig Hoffnung, doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der
Gesetze kundiger Mann sei, und daß er alles tun werde, mich zu retten.
Zwei lange Tage war ich in Ungewißheit; endlich erschien Valetty. »Ich
bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und frei
sein, aber mit Verlust einer Hand.« Gerührt dankte ich meinem Freunde
für mein Leben. Er sagte mir, daß der Gouverneur unerbittlich gewesen
sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen: daß er aber endlich,
um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt habe, wenn man in den
Büchern der Florentinischen Geschichte einen ähnlichen Fall finde,
so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die dort ausgesprochen
sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und Nacht in den alten
Büchern gelesen und endlich einen ganz dem meinigen ähnlichen Fall
gefunden. Dort laute die Strafe: es soll ihm die linke Hand abgehauen,
seine Güter eingezogen, er selbst auf ewig verbannt werden. So laute
jetzt auch meine Strafe, und ich solle mich jetzt bereiten zu der
schmerzhaften Stunde, die meiner warte. Ich will euch nicht diese
schreckliche Stunde vors Auge führen, wo ich auf offenem Markt meine
Hand auf den Block legte, wo mein eigenes Blut in weitem Bogen mich
überströmte!

Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah
er mich edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam
erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von Florenz
nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, nach
Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die ich
meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen zu
dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich denn
nicht mein Haus beziehe? Er sagte mir, daß ein fremder Mann unter
meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe,
derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen
werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von allen
meinen alten Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir
einen Brief, den der Mann, der für mich gekauft hatte, hier gelassen
habe.

Ich las ihn: »Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen,
daß du nicht fühlest den Verlust der _einen_. Das Haus, das du siehest,
und alles, was darin ist, ist dein, und alle Jahre wird man dir so viel
reichen, daß du zu den Reichen deines Volkes gehören wirst. Mögest
du dem vergeben, der unglücklicher ist als du!« Ich konnte ahnen, wer
es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage, es sei
ein Mann gewesen, den er für einen Franken gehalten, er habe einen
roten Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu gestehen, daß der
Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt sein
müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste eingerichtet,
auch ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je gehabt. Zehn Jahre
sind seitdem verstrichen; mehr aus alter Gewohnheit, als weil ich es
nötig hätte, setze ich meine Handelsreisen fort, doch habe ich jenes
Land, wo ich so unglücklich wurde, nie mehr gesehen. Jedes Jahr erhielt
ich seitdem tausend Goldstücke; aber wenn es mir auch Freude macht,
jenen Unglücklichen edel zu wissen, so kann er mir doch den Kummer
meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig lebt in mir das grauenvolle Bild
der ermordeten Bianka.

       *       *       *       *       *

Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt.
Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der
Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief
geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den
Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese Geschichte.

»Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd um ein so edles
Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?« fragte
der Fremde.

»Wohl gab es in früherer Zeit Stunden,« antwortete der Grieche, »in
denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über mich
gebracht und mein Leben vergiftet habe, aber ich fand Trost in dem
Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben;
auch ist _er_ wohl noch unglücklicher als ich.«

»Ihr seid ein edler Mann!« rief der Fremde und drückte gerührt dem
Griechen die Hand.

Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er trat
mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich nicht
der Ruhe überlassen dürfe, denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich
die Karawanen angegriffen werden, auch glauben seine Wachen in der
Entfernung mehrere Reiter zu sehen.

Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der
Fremde, aber wunderte sich über die Bestürzung und meinte, daß sie so
gut geschützt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht zu
fürchten brauchen.

»Ja, Herr!« entgegnete ihm der Anführer der Wache, »wenn es nur solches
Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen, aber seit
einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es,
auf seiner Hut zu sein.«

Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte
Kaufmann, antwortete ihm: »Es gehen allerlei Sagen unter dem Volk über
diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein übermenschliches
Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf
besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, den das Unglück
in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiß,
daß er ein verruchter Räuber und Dieb ist.«

»Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten,« entgegnete ihm Lezah, einer
der Kaufleute. »Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler
Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich
Euch ein Beispiel erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu
geordneten Menschen gemacht, und solange er die Wüste durchstreift,
darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt
er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den
Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet
weiter, denn Orbasan ist der Herr der Wüste.«

Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber,
die um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden.
Ein ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der
Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager
zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, um
zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die Kaufleute
berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen
oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei älteren Kaufleute
wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten
das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser aber
zog ruhig ein kleines blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel
hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das
Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter
werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley
glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf
das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen
gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch
diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie beugten
plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem großen
Bogen auf der Seite hin.

Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf
die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie
wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene
hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen: »Wer bist du, mächtiger
Fremdling,« rief er aus, »der du die wilden Horden der Wüste durch
einen Wink bezähmest?« -- »Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie
ist,« antwortete Selim Baruch. »Ich habe mich mit diesem Zeichen
versehen, als ich der Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat,
weiß ich selbst nicht, nur soviel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen
reiset, unter mächtigem Schutze steht.«

Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter.
Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die
Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können.

Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne
zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich,
brachen sie auf und zogen weiter.

Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem
Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen
Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort:

»Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler
Mann sei; erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der
Schicksale meines Bruders beweise. -- Mein Vater war Kadi in Acara. Er
hatte drei Kinder. Ich war der älteste, ein Bruder und eine Schwester
waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief
mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner
Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode bei ihm
bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst vor zwei
Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, welch
schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen, und wie gütig Allah
es gewendet hatte.«



Die Errettung Fatmes.


Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in
gleichem Alter. Jener hatte höchstens zwei Jahre voraus. Sie liebten
einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kränklichen
Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes sechzehntem
Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er ließ alle ihre
Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des Vaters
ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie ein, auf
einer Barke, die er gemietet und festlich geschmückt hatte, ein wenig
in die See hinaus zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen willigten mit
Freuden ein; denn der Abend war schön, und die Stadt gewährte besonders
abends, von dem Meere aus betrachtet, einen herrlichen Anblick. Den
Mädchen aber gefiel es so gut auf der Barke, daß sie meinen Bruder
bewogen, immer weiter in die See hinaus zu fahren. Mustapha gab aber
ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein Korsar hatte sehen
lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge in das
Meer. Dorthin wollten noch die Mädchen, um von da die Sonne in das
Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg herumruderten, sahen
sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit Bewaffneten besetzt
war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den Ruderern, sein Schiff
zu drehen und dem Lande zuzurudern. Wirklich schien sich auch seine
Besorgnis zu bestätigen, denn jene Barke kam jener meines Bruders
schnell nach, überholte sie, da sie mehr Ruder hatte, und hielt sich
immer zwischen dem Land und unserer Barke. Die Mädchen aber, als sie
die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, sprangen auf und schrieen
und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu beruhigen, umsonst stellte
er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr Hin- und Herrennen
die Barke in Gefahr brächten, umzuschlagen. Es half nichts, und da sie
sich endlich bei Annäherung des andern Bootes alle auf die hintere
Seite der Barke stürzten, schlug diese um. Indessen aber hatte man
vom Land aus die Bewegungen des fremden Bootes beobachtet, und da
man schon seit einiger Zeit Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte
dieses Boot Verdacht erregt, und mehrere Barken stießen vom Lande, um
der unsrigen beizustehen. Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um
die Untersinkenden aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche
Boot entwischt, auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten
aufgenommen hatten, war man ungewiß, ob alle gerettet seien. Man
näherte sich gegenseitig, und ach! es fand sich, daß meine Schwester
und eine ihrer Gespielinnen fehlten; zugleich entdeckte man aber einen
Fremden in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen
Mustaphas gestand er, daß er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen
ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine Gefährten auf ihrer
eiligen Flucht im Stich gelassen haben, indem er im Begriff gewesen
sei, die Mädchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, daß er
gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen.

Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha
war bis zum Tod betrübt; denn nicht nur, daß seine geliebte Schwester
verloren war, und daß er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu sein
-- jene Freundin Fatmes, die ihr Unglück teilte, war von ihren Eltern
ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte er es
noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von geringer
Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann. Als sein Schmerz
sich ein wenig gelegt hatte, ließ er Mustapha vor sich kommen und
sprach zu ihm: »Deine Torheit hat mir den Trost meines Alters und die
Freude meiner Augen geraubt. Geh hin, ich verbanne dich auf ewig von
meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen Nachkommen, und nur wenn du
mir Fatme wiederbringst, soll dein Haupt rein sein von dem Fluche des
Vaters.«

Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er sich
entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin aufzusuchen,
und wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu erbitten, und jetzt
schickte er ihn mit dem Fluch beladen in die Welt. Aber hatte ihn jener
Jammer vorher gebeugt, so stählte jetzt die Fülle des Unglücks, das er
nicht verdient hatte, seinen Mut.

Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und befragte ihn, wohin die Fahrt
seines Schiffes ginge, und erfuhr, daß sie Sklavenhandel trieben und
gewöhnlich in Balsora großen Markt hielten.

Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien
sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte ihm
einen Beutel mit Gold zur Unterstützung auf der Reise. Mustapha aber
nahm weinend von den Eltern Zoraidens, so hieß seine geraubte Braut,
Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora.

Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus
nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er mußte daher sehr starke
Tagereisen machen, um nicht zu lange nach den Seeräubern nach Balsora
zu kommen. Doch da er ein gutes Roß und kein Gepäck hatte, konnte er
hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. Aber am
Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges ritt, fielen
ihn plötzlich drei Männer an. Da er merkte, daß sie gut bewaffnet
und stark seien, und daß es weniger auf sein Geld und sein Roß als
auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich ihnen
ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm die Füße
unter dem Bauch seines Tieres zusammen, ihn selbst aber nahmen sie in
die Mitte und trabten, indem einer den Zügel seines Pferdes ergriff,
schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu sprechen.

Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin; der Fluch seines
Vaters schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen,
und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraiden retten zu
können, wenn er, aller Mittel beraubt, nur sein ärmliches Leben zu
ihrer Befreiung aufwenden könnte. Mustapha und seine stummen Begleiter
mochten wohl eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines
Seitental einbogen. Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt, ein
weicher, dunkelgrüner Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte
hinrollte, luden zur Ruhe ein. Wirklich sah er auch fünfzehn bis
zwanzig Zelte dort aufgeschlagen; an den Pflöcken der Zelte waren
Kamele und schöne Pferde angebunden, aus einem Zelte hervor tönte die
lustige Weise einer Zither und zweier schöner Männerstimmen. Meinem
Bruder schien es, als ob Leute, die ein so fröhliches Lagerplätzchen
sich erwählt hatten, nichts Böses gegen ihn im Sinn haben könnten, und
er folgte also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, als sie
seine Bande gelöst hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn
in ein Zelt, das größer als die übrigen und im Inneren hübsch, fast
zierlich aufgeputzt war. Prächtige goldgestickte Polster, gewirkte
Fußteppiche, übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und
Wohlleben verraten, hier schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der
Polster saß ein alter, kleiner Mann; sein Gesicht war häßlich, seine
Haut schwarzbraun und glänzend, und ein widriger Zug von tückischer
Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhaßt. Obgleich
sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch
Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, und
die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu bestätigen.
»_Wo ist der Starke?_« fragten sie den Kleinen. »Er ist auf der kleinen
Jagd,« antwortete jener, »aber er hat mir aufgetragen, seine Stelle zu
versehen.« -- »Das hat er nicht gescheit gemacht,« entgegnete einer der
Räuber, »denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder
zahlen soll, und das weiß der Starke besser als du.«

Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang
aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu erreichen,
denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu rächen; als
er aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an zu schimpfen
(und wahrlich! die andern blieben ihm nichts schuldig), daß das Zelt
von ihrem Streit erdröhnte. Da tat sich auf einmal die Türe des Zeltes
auf, und herein trat ein hoher stattlicher Mann, jung und schön wie
ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen waren, außer einem
reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, gering und einfach,
aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot Achtung, ohne Furcht
einzuflößen.

»Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?« rief er
den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille, endlich
erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es
gegangen sei. Da schien sich das Gesicht »des Starken«, wie sie ihn
nannten, vor Zorn zu röten. »Wann hätte ich dich je an meine Stelle
gesetzt, Hassan?« schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu.
Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch
viel kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttüre zu.
Ein hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen,
sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog.

Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor
den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte.
»Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast.«
Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: »Bassa von
Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan
stehst.« Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und
antwortete: »O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein, ich bin ein armer
Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!« Alle im Zelt waren
über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber sprach: »Es kann dir
wenig helfen, dich zu verstellen, denn ich will dir Leute vorführen,
die dich wohl kennen.« Er befahl, Zuleima vorzuführen. Man brachte ein
altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, ob sie in meinem Bruder
nicht den Bassa von Sulieika erkenne, antwortete: jawohl! Und sie
schwöre es beim Grab des Propheten, es sei der Bassa und kein anderer.
»Siehst du, Erbärmlicher! wie deine List zu Wasser geworden ist?«
begann zürnend der Starke. »Du bist mir zu elend, als daß ich meinen
guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif meines
Rosses will ich dich binden, morgen wenn die Sonne aufgeht, und durch
die Wälder will ich mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel
von Sulieika!« Da sank meinem armen Bruder der Mut. »Das ist der Fluch
meines harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt,« rief er
weinend, »und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!«
-- »Deine Verstellung hilft dir nichts,« sprach einer der Räuber, indem
er ihm die Hände auf den Rücken band, »mach', daß du aus dem Zelt
kommst, denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach seinem
Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!«

Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelte führen wollten,
begegneten sie drei andern, die einen Gefangenen vor sich hintrieben.
Sie traten mit ihm ein. »Hier bringen wir den Bassa, wie du uns
befohlen hast,« sprachen sie und führten den Gefangenen vor das Polster
des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder
Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Aehnlichkeit
auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im Gesicht und
hatte einen schwärzeren Bart. Der Starke schien sehr erstaunt über
die Erscheinung des zweiten Gefangenen: »Wer von euch ist denn der
rechte?« sprach er, indem er bald meinen Bruder, bald den andern Mann
ansah. »Wenn du den Bassa von Sulieika meinst,« antwortete in stolzem
Ton der Gefangene, »der bin ich!« Der Starke sah ihn lange mit seinem
ernsten, furchtbaren Blicke an, dann winkte er schweigend, den Bassa
wegzuführen. Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu,
zerschnitt seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs
Polster zu setzen. »Es tut mir leid, Fremdling,« sagte er, »daß ich
dich für jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren
Fügung des Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem
Untergang jenes Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder
führte.« Mein Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder
weiterreisen zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden
könne. Der Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und
als ihm Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht
in seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen;
den folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in
anderthalb Tagen nach Balsora bringe. Mein Bruder schlug ein, wurde
trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des
Räubers.

Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelte, vor dem
Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die
dem Herrn des Zeltes und dem kleinen, schwarzbraunen Mann anzugehören
schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem Schrecken, daß der
Kleine dringend den andern aufforderte, den Fremden zu töten, weil er,
wenn er freigelassen würde, sie alle verraten könnte.

Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er Ursache
war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien sich
einige Augenblicke zu besinnen. »Nein,« sprach er, »er ist mein
Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig, auch sieht er mir nicht
aus, wie wenn er uns verraten wollte.«

Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein.
»Friede sei mit dir, Mustapha,« sprach er, »laß uns den Morgentrunk
kosten und rüste dich dann zum Aufbruch.« Er reichte meinem Bruder
einen Becher Sorbett, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die
Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war,
schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im Rücken
und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald führte.
Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie auf der
Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet in
seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen ihrer
tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern
aufhängen lassen. Er habe ihm nun so lange auflauern lassen, und
heute noch müsse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas dagegen
einzuwenden, denn er war froh, selbst mit heiler Haut davongekommen zu
sein.

Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem
Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: »Mustapha, du
bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers Orbasan geworden;
ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen
und gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst ausgestanden,
und ich bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken,
und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich will eilen,
dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu deiner
Reise brauchen.« Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut, er nahm
den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drückte ihm
noch einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen und sprengte
mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, daß er ihn doch nicht
mehr werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben und
erschrak über die Größe von seines Gastfreundes Großmut, denn der
Beutel enthielt eine Menge Goldes. Er dankte Allah für seine Rettung,
empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade und zog dann heiteren Mutes
weiter auf seinem Wege nach Balsora.

       *       *       *       *       *

Hier schwieg Lezah und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an.
»Nein, wenn es so ist,« sprach dieser, »so verbessere ich gern mein
Urteil von Orbasan, denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schön
gehandelt.«

»Er hat getan wie ein braver Muselmann,« rief Muley; »aber ich hoffe,
du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen, denn wie mir bedünkt,
sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem Bruder erging,
und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne Zoraide befreit hat.«

»Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gern weiter,«
entgegnete Lezah, »denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings
abenteuerlich und wundervoll.«

       *       *       *       *       *

Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die
Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war,
fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten werde,
anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei Tage zu
spät komme. Man bedauerte seine Verspätung und erzählte ihm, daß er
viel verloren habe, denn noch an dem letzten Tage des Marktes seien
zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die Augen
aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich um sie
gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem so hohen
Preis verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe scheuen
können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, und es blieb ihm
kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er suche. Auch erfuhr
er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig Stunden von
Balsora wohne und Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer, reicher, aber schon
ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des Großherrn war, jetzt aber
sich mit seinen gesammelten Reichtümern zur Ruhe gesetzt habe.

Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem
Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als
er aber bedachte, daß er als einzelner Mann dem mächtigen Reisenden
doch nichts anhaben, noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte,
sann er auf einen andern Plan und hatte ihn auch bald gefunden. Die
Verwechselung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm beinahe so gefährlich
geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken, unter diesem Namen in
das Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen Versuch zur Rettung
der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er mietete daher einige
Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zu statten kam,
schaffte sich und seinen Dienern prächtige Kleider an und machte sich
auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. Nach fünf Tagen war er in die
Nähe dieses Schlosses gekommen. Es lag in einer schönen Ebene und war
rings von hohen Mauern umschlossen, die nur ganz wenig von den Gebäuden
überragt wurden. Als Mustapha dort angekommen war, färbte er Haar
und Bart schwarz, sein Gesicht aber bestrich er mit dem Saft einer
Pflanze, der ihm eine bräunliche Farbe gab, ganz, wie sie jener Bassa
gehabt hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in das Schloß
und ließ, im Namen des Bassa von Sulieika, um ein Nachtlager bitten.
Der Diener kam bald wieder, und mit ihm vier schön gekleidete Sklaven,
die Mustaphas Pferd am Zügel nahmen und in den Schloßhof führten. Dort
halfen sie ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine
breite Marmortreppe hinauf zu Thiuli.

Dieser, ein alter lustiger Geselle, empfing meinen Bruder ehrerbietig
und ließ ihm das beste, was sein Koch zubereiten konnte, aufsetzen.
Nach Tisch brachte Mustapha das Gespräch nach und nach auf die neuen
Sklavinnen, und Thiuli rühmte ihre Schönheit und beklagte nur, daß sie
immer so traurig seien, doch er glaubte, dieses würde sich bald geben.
Mein Bruder war sehr vergnügt über diesen Empfang und legte sich mit
den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder.

Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der
Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich
aufrichtete, glaubte er noch zu träumen, denn vor ihm stand jener
kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand,
sein breites Maul zu einem widrigen Lächeln verzogen. Mustapha zwickte
sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu überzeugen, ob er
denn wache, aber die Erscheinung blieb wie zuvor. »Was willst du an
meinem Bette?« rief Mustapha, als er sich von seinem Erstaunen erholt
hatte. »Bemühet Euch doch nicht so, Herr!« sprach der Kleine; »ich habe
wohl erraten, weswegen Ihr hierher kommt. Auch war mir Euer wertes
Gesicht noch erinnerlich, doch wahrlich, wenn ich nicht den Bassa mit
eigener Hand hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich vielleicht
getäuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen.«

»Vor allem sage, wie du hierher kommst?« entgegnete ihm Mustapha voll
Wut, daß er verraten war. »Das will ich Euch sagen,« antwortete jener;
»ich konnte mich mit dem Starken nicht länger vertragen, deswegen floh
ich; aber du, Mustapha, warst eigentlich die Ursache unseres Streites,
und dafür mußt du mir deine Schwester zur Frau geben, und ich will euch
zur Flucht behilflich sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem
neuen Herrn und erzähle ihm etwas von dem _neuen Bassa_.«

Mustapha war vor Schrecken und Wut außer sich: jetzt, wo er sich am
sicheren Ziel seiner Wünsche glaubte, sollte dieser Elende kommen und
sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte,
er mußte das kleine Ungetüm töten; mit _einem_ Sprung fuhr er daher
aus dem Bett auf den Kleinen zu, doch dieser, der etwas solches geahnt
haben mochte, ließ die Lampe fallen, daß sie verlöschte, und entsprang
im Dunkeln, indem er mörderisch um Hilfe schrie.

Jetzt war guter Rat teuer; die Mädchen mußte er für den Augenblick
aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das
Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen könnte. Es war eine
ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der andern Seite stand eine
hohe Mauer, die zu übersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster,
da hörte er viele Stimmen sich seinem Zimmer nähern; schon waren sie
an der Türe, da faßte er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine
Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart, aber
er fühlte, daß er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und
lief der Mauer zu, die den Hof umschloß, stieg, zum Erstaunen seiner
Verfolger, hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an
einen kleinen Wald kam, wo er sich erschöpft niederwarf. Hier überlegte
er, was zu tun sei. Seine Pferde und seine Diener hatte er müssen im
Stiche lassen, aber sein Geld, das er in dem Gürtel trug, hatte er
gerettet.

Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen andern Weg zur Rettung.
Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er um geringen
Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Bälde in eine Stadt trug. Dort
forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, erfahrenen
Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstücke, daß er ihm eine Arznei
mitteilte, die einen totähnlichen Schlaf herbeiführte, der durch ein
anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden könnte. Als er
im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen langen falschen
Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Büchsen und Kolben, so daß er
füglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud seine Sachen auf
einen Esel und reiste in das Schloß des Thiuli-Kos zurück. Er durfte
gewiß sein, diesmal nicht erkannt zu werden, denn der Bart entstellte
ihn so, daß er sich selbst kaum mehr kannte. Bei Thiuli angekommen,
ließ er sich als den Arzt Chakamankabudibaba anmelden, und wie er
es sich gedacht hatte, geschah es; der prachtvolle Name empfahl ihn
bei dem alten Narren ungemein, so daß er ihn gleich zu Tafel einlud.
Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine
Stunde besprochen hatten, beschloß der Alte, alle seine Sklavinnen der
Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude kaum
verbergen, daß er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen solle,
und folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail führte.
Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schön ausgeschmückt war, worin
sich aber niemand befand. »Chambaba oder wie du heißt, lieber Arzt,«
sprach Thiuli-Kos, »betrachte einmal jenes Loch dort in der Mauer,
dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, und du
kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist.« Mustapha
mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; doch
willigte Thiuli ein, daß er ihm allemal sagen wolle, wie sie sich
sonst gewöhnlich befänden. Thiuli zog nun einen langen Zettel aus dem
Gürtel und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln beim
Namen zu rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und der
Arzt den Puls untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und sämtlich
für gesund erklärt, da las Thiuli als die siebente »Fatme« ab, und
eine kleine weiße Hand schlüpfte aus der Mauer. Zitternd vor Freude
ergreift Mustapha diese Hand und erklärt sie mit wichtiger Miene für
bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl seinem weisen
Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei für sie zu bereiten. Der Arzt
ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: »_Fatme! Ich will dich
retten, wenn du dich entschließen kannst, eine Arznei zu nehmen, die
dich auf zwei Tage tot macht! doch ich besitze das Mittel, dich wieder
zum Leben zu bringen. Willst du, so sage nur, dieser Trank habe nicht
geholfen, und es wird mir ein Zeichen sein, daß du einwilligst._«

Bald kam er in das Zimmer zurück, wo Thiuli seiner harrte. Er brachte
ein unschädliches Tränklein mit, fühlte der kranken Fatme noch einmal
den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr Armband, das
Tränklein aber reichte er ihr durch die Oeffnung in der Mauer. Thiuli
schien in großen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob die Untersuchung
der übrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als er mit Mustapha das
Zimmer verlassen hatte, sprach er mit traurigem Ton: »Chadibaba, sage
aufrichtig, was hältst du von Fatmes Krankheit?« Chakamankabudibaba
antwortete mit einem tiefen Seufzer: »Ach, Herr! möge der Prophet dir
Trost verleihen, sie hat ein schleichendes Fieber, das ihr wohl den
Garaus machen kann.« Da entbrannte der Zorn Thiulis: »Was sagst du,
verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die ich zweitausend Goldstücke
gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, daß wenn du sie nicht
rettest, so hau' ich dir den Kopf ab!« Da merkte mein Bruder, daß er
einen dummen Streich gemacht habe und gab Thiuli wieder Hoffnung. Als
sie noch so sprachen, kam ein schwarzer Sklave aus dem Serail, dem
Arzt zu sagen, _daß das Tränklein nicht geholfen habe_. »Biete deine
ganze Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du dich schreibst, ich
zahl' dir, was du willst,« schrie Thiuli-Kos, fast heulend vor Angst,
so vieles Gold an den Tod zu verlieren. »Ich will ihr ein Säftlein
geben, das sie von aller Not befreit,« antwortete der Arzt. »Ja! ja!
gib ihr ein Säftlein,« schluchzte der alte Thiuli. Frohen Mutes ging
Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen und als er ihn dem schwarzen
Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf einmal nehmen müsse,
ging er zu Thiuli und sagte, er müsse noch einige heilsame Kräuter am
See holen, und eilte zum Tor hinaus. An dem See, der nicht weit von
dem Schloß entfernt war, zog er seine falschen Kleider aus und warf
sie ins Wasser, daß sie lustig umherschwammen, er selbst aber verbarg
sich im Gesträuch, wartete die Nacht ab und schlich sich dann in den
Begräbnisplatz an dem Schlosse Thiulis.

Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloß abwesend sein mochte,
brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, daß seine Sklavin Fatme
im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um schnell den Arzt
zu holen, aber bald kehrten seine Boten allein zurück und erzählten
ihm, daß der arme Arzt ins Wasser gefallen und ertrunken sei, seinen
schwarzen Talar sehe man mitten im See schwimmen, und hie und da gucke
auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. Als Thiuli keine
Rettung mehr sah, verwünschte er sich und die ganze Welt, raufte sich
den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Aber alles dies
konnte nichts helfen, denn Fatme gab bald unter den Händen der übrigen
Weiber den Geist auf. Als Thiuli die Nachricht ihres Todes hörte,
befahl er schnell einen Sarg zu machen, denn er konnte keinen Toten
im Hause leiden und ließ den Leichnam in das Begräbnishaus tragen.
Die Träger brachten den Sarg dorthin, setzten ihn schnell nieder und
entflohen, denn sie hatten unter den übrigen Särgen stöhnen und seufzen
gehört.

Mustapha, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die
Träger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete
sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann zog
er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob dann
den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, als
sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Züge zeigten! Weder meine
Schwester, noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem Sarg. Er
brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals zu fassen;
endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein Glas und
flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen auf und
schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte sie sich
des Vorgefallenen, sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu Mustaphas
Füßen. »Wie kann ich dir danken, gütiges Wesen,« rief sie aus, »daß
du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!« Mustapha
unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage: wie es denn geschehen
sei, daß sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet worden sei?
Jene sah ihn staunend an. »Jetzt wird mir meine Rettung erst klar,
die mir vorher unbegreiflich war,« antwortete sie; »wisse, man hieß
mich in jenem Schlosse Fatme, und mir hast du deinen Zettel und den
Rettungstrank gegeben.« Mein Bruder forderte die Gerettete auf, ihm von
seiner Schwester und Zoraiden Nachricht zu geben und erfuhr, daß sie
sich beide im Schloß befinden, aber nach der Gewohnheit Thiulis andere
Namen bekommen haben; sie heißen jetzt Mirza und Nurmahal.

Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen
Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und
versprach, ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Mädchen dennoch
retten könne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schöpfte Mustapha von
neuem Hoffnung und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, und sie sprach:

»Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe
ich gleich vom Anfang auf Rettung gesonnen, aber für mich allein war
sie zu schwer. In dem innern Hof des Schlosses wirst du einen Brunnen
bemerkt haben, der aus zehn Röhren Wasser speit; dieser Brunnen fiel
mir auf. Ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters einen ähnlichen
gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geräumige Wasserleitung
herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen auch so gebaut sei,
rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht und fragte nach seinem
Baumeister. ›Ich selbst habe ihn gebaut,‹ antwortete er, ›und das, was
du hier siehst, ist noch das geringste: aber das Wasser dazu kommt
wenigstens tausend Schritte weit von einem Bache her und geht durch
eine gewölbte Wasserleitung, die wenigstens mannshoch ist; und alles
dies habe ich selbst angegeben.‹ Als ich dies gehört hatte, wünschte
ich mir oft, nur auf einen Augenblick die Stärke eines Mannes zu haben,
um einen Stein aus der Seite des Brunnens ausheben zu können, dann
könnte ich fliehen, wohin ich wollte. Diese Wasserleitung nun will ich
dir zeigen; durch sie kannst du nachts in das Schloß gelangen und jene
befreien. Aber du mußt wenigstens noch zwei Männer bei dir haben, um
die Sklaven, die das Serail bei Nacht bewachen, zu überwältigen.«

So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in
seinen Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit
Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszuführen. Er versprach ihr,
für ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm
behilflich sein wollte, ins Schloß zu gelangen. Aber ein Gedanke machte
ihm noch Sorge, nämlich der, woher er zwei oder drei Gehilfen bekommen
könnte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das Versprechen, das ihm
jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner bedürfe, zu Hilfe zu eilen, und
er machte sich daher mit Fatme aus dem Begräbnis auf, um den Räuber
aufzusuchen.

In der nämlichen Stadt, wo er sich zum Arzte umgewandelt hatte, kaufte
er um sein letztes Geld ein Roß und mietete Fatme bei einer armen Frau
in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er Orbasan
zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen dahin. Er
fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor Orbasan, der ihn
freundlich bewillkommnete. Er erzählte ihm seine mißlungenen Versuche,
wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht enthalten konnte, hie und da
ein wenig zu lachen, besonders wenn er sich den Arzt Chakamankabudibaba
dachte. Ueber die Verräterei des Kleinen aber war er wütend; er schwur,
ihn mit eigener Hand aufzuhängen, wo er ihn finde. Meinem Bruder aber
versprach er, sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er sich vorher
von der Reise gestärkt haben würde. Mustapha blieb daher diese Nacht
wieder in Orbasans Zelt, mit dem ersten Frührot aber brachen sie auf,
und Orbasan nahm drei seiner tapfersten Männer, wohl beritten und
bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen
in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme zurückgelassen
hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen
Wald, von wo aus man das Schloß Thiulis in geringer Entfernung sehen
konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht abzuwarten. Sobald es
dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme geführt, an den Bach,
wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort ließen sie
Fatme und einen Diener mit den Rossen zurück und schickten sich an,
hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen Fatme noch
einmal alles genau, nämlich: daß sie durch den Brunnen in den innern
Schloßhof kämen, dort seien rechts und links in der Ecke zwei Türme, in
der sechsten Türe, vom Turme rechts gerechnet, befinden sich Fatme und
Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. Mit Waffen und Brecheisen
wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan und zwei andere Männer hinab
in die Wasserleitung; sie sanken zwar bis an den Gürtel ins Wasser,
aber nichtsdestoweniger gingen sie rüstig vorwärts. Nach einer halben
Stunde kamen sie an den Brunnen selbst und setzten sogleich ihre
Brecheisen an. Die Mauer war dick und fest, aber den vereinten Kräften
der vier Männer konnte sie nicht lange widerstehen, bald hatten sie
eine Oeffnung eingebrochen, groß genug, um bequem durchschlüpfen zu
können. Orbasan schlüpfte zuerst durch und half den andern nach; und
als sie alle im Hof waren, betrachteten sie die Seite des Schlosses,
die vor ihnen lag, um die beschriebene Tür zu erforschen. Aber sie
waren nicht einig, welche es sei, denn als sie von dem rechten Turm
zum linken zählten, fanden sie eine Türe, die zugemauert war, und
wußten nun nicht, ob Fatme diese übersprungen oder mitgezählt habe.
Aber Orbasan besann sich nicht lange. »Mein gutes Schwert wird mir
jede Tür öffnen!« rief er aus, ging auf die sechste zu, und die andern
folgten ihm. Sie öffneten die Tür und fanden sechs schwarze Sklaven auf
dem Boden liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich
zurückziehen, weil sie sahen, daß sie die rechte Türe verfehlt hatten,
als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter
Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber ehe
noch die Schwarzen recht wußten, wie ihnen geschah, stürzte Orbasan auf
den Kleinen zu, riß seinen Gürtel entzwei, verstopfte ihm den Mund und
band ihm die Hände auf den Rücken; dann wandte er sich an die Sklaven,
wovon schon einige von Mustapha und den zwei andern halb gebunden
waren, und half sie vollends überwältigen. Man setzte den Sklaven den
Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und Mirza wären, und
sie gestanden, daß sie im Gemach nebenan seien. Mustapha stürzte in das
Gemach und fand Fatme und Zoraiden, die der Lärm erweckt hatte. Schnell
rafften diese ihren Schmuck und ihre Kleider zusammen und folgten
Mustapha; die beiden Räuber schlugen indes Orbasan vor, zu plündern,
was man fände, doch dieser verbot es ihnen und sprach: man solle nicht
von Orbasan sagen können, daß er nachts in die Häuser steige, um Gold
zu stehlen. Mustapha und die Geretteten schlüpften schnell in die
Wasserleitung, wohin ihnen Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als
jene in die Wasserleitung hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan und
einer der Räuber den Kleinen und führten ihn hinaus in den Hof; dort
banden sie ihm eine seidene Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten,
um den Hals und hingen ihn an der höchsten Spitze des Brunnens auf.
Nachdem sie so den Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie
selbst auch hinab in die Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Tränen
dankten die beiden ihrem edelmütigen Retter Orbasan; doch dieser
trieb sie eilends zur Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, daß
sie Thiuli-Kos nach allen Seiten verfolgen ließ. Mit tiefer Rührung
trennten sich am andern Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan;
wahrlich! sie werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite
Sklavin, ging verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat
einzuschiffen.

Nach einer kurzen und vergnügten Reise kamen die Meinigen in die
Heimat. Meinen alten Vater tötete beinahe die Freude des Wiedersehens;
den andern Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein großes Fest,
an welchem die ganze Stadt teilnahm. Vor einer großen Versammlung von
Verwandten und Freunden mußte mein Bruder seine Geschichte erzählen,
und einstimmig priesen sie ihn und den edlen Räuber.

Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und führte
Zoraiden ihm zu. »So lösche ich denn,« sprach er mit feierlicher
Stimme, »den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die Belohnung,
die du dir durch deinen rastlosen Eifer erkämpft hast: nimm meinen
väterlichen Segen, und möge es nie unserer Stadt an Männern fehlen, die
an brüderlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir gleichen.«

       *       *       *       *       *

Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten
die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren
lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen
Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und
obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch
die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der
Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die
Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geöffnet
und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge,
lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die
selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. Aber nicht
genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er
gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen
hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, also
zu erzählen an:



Die Geschichte von dem kleinen Muck.


In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den
kleinen Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr
jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem
Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich
war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte, doch war er nur drei
bis vier Schuh hoch; dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, denn sein
Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen Kopf tragen, viel
größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz allein
in einem großen Haus und kochte sich sogar selbst, auch hätte man in
der Stadt nicht gewußt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging
nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein
mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre; doch sah man ihn oft
abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straße aus glaubte
man aber, nur sein großer Kopf allein laufe auf dem Dache umher. Ich
und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gern neckten und
belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck
ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus
und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe aufging und zuerst
der große Kopf mit dem noch größeren Turban herausguckte, wenn dann
das übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten
Mäntelein, weiten Beinkleidern und einem breiten Gürtel, an welchem
ein langer Dolch hing, so lang, daß man nicht wußte, ob Muck an dem
Dolch oder der Dolch an Muck stak, wenn er so heraustrat, da ertönte
die Luft von unserem Freudengeschrei, wir warfen unsere Mützen in die
Höhe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine Muck aber grüßte uns
mit ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen Schritten die Straße
hinab, dabei schlurfte er mit den Füßen, denn er hatte große, weite
Pantoffeln an, wie ich sie noch nie gesehen. Wir Knaben liefen hinter
ihm her und schrieen immer: »Kleiner Muck, kleiner Muck!« Auch hatten
wir ein lustiges Verslein, das wir, ihm zu Ehren, hie und da sangen; es
hieß:

    »Kleiner Muck, kleiner Muck,
    Wohnst in einem großen Haus,
    Gehst nur all' vier Wochen aus,
    Bist ein braver, kleiner Zwerg,
    Hast ein Köpflein wie ein Berg,
    Schau dich einmal um und guck,
    Lauf und fang uns, kleiner Muck.«

So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner
Schande muß ich es gestehen, ich trieb's am ärgsten, denn ich zupfte
ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die
großen Pantoffeln, daß er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich
vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines
Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige Zeit
dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den Muck wieder
herauskommen, Von meinem Vater begleitet, der ihn ehrerbietig an
der Hand hielt und an der Tür unter vielen Bücklingen sich von ihm
verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumut, ich blieb daher lange
in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der Hunger, den ich
ärger fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem
Kopf trat ich vor meinen Vater. »Du hast, wie ich höre, den guten
Muck geschimpft?« sprach er in sehr ernstem Tone. »Ich will dir die
Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiß nicht mehr
auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das _Gewöhnliche_.« Das
Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu richtig
aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr, schraubte
die Bernstein-Mundspitze ab und bearbeitete mich ärger als je zuvor.

Als die fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und
erzählte mir von dem _kleinen_ Muck:

Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Mukrah heißt, war ein
angesehener, aber armer Mann, hier in Nicea. Er lebte beinahe so
einsiedlerisch als jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl leiden,
weil er sich seiner Zwerggestalt schämte und ließ ihn daher auch in
Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten
Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn
immer, daß er, der schon längst die _Kinderschuhe zertreten_ haben
sollte, noch so dumm und läppisch sei.

Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb und
den kleinen Muck arm und unwissend zurückließ. Die harten Verwandten,
denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte,
jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt
hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er
sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters
aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein großer,
starker Mann gewesen, daher paßten die Kleider nicht. Muck aber wußte
bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider
an. Er schien aber vergessen zu haben, daß er auch in der Weite davon
schneiden müsse, daher sein sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu
sehen ist; der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen,
das blaue Mäntelein, alles dies sind Erbstücke seines Vaters, die
er seitdem getragen; den langen Damascener-Dolch seines Vaters aber
steckte er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein und wanderte zum Tore
hinaus.

Fröhlich wanderte er den ganzen Tag, denn er war ja ausgezogen, um sein
Glück zu suchen; wenn er einen Scherben auf der Erde im Sonnenschein
glänzen sah, so steckte er ihn gewiß zu sich, im Glauben, daß er sich
in den schönsten Diamanten verwandeln werde; sah er in der Ferne die
Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen
Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte
in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder
verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerte ihn seine
Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande
der Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist unter Hunger
und Kummer und verzweifelte, sein Glück zu finden; die Früchte des
Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager.
Am Morgen des dritten Tages erblickte er von einer Anhöhe eine große
Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen
schimmerten auf den Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich
herzuwinken. Ueberrascht stand er stille und betrachtete Stadt und
Gegend. »Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück finden,« sprach er zu
sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen Luftsprung, »_dort_ oder
_nirgends_.« Er raffte alle seine Kräfte zusammen und schritt auf
die Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch
erst gegen Mittag erreichen, denn seine kleinen Glieder versagten ihm
beinahe gänzlich ihren Dienst, und er mußte sich oft in den Schatten
einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der Stadt
angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban schöner um,
zog den Gürtel noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer;
dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stöcklein und
ging mutig zum Tor hinein.

Er war schon einige Straßen durchwandert, aber nirgends öffnete sich
eine Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: »Kleiner
Muck, komm herein und iß und trink und laß deine Füßlein ausruhen.«

Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen Haus
hinauf, da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und
rief mit singender Stimme:

    »Herbei, herbei,
    Gekocht ist der Brei,
    Den Tisch ließ ich decken,
    Drum laßt es euch schmecken;
    Ihr Nachbarn, herbei,
    Gekocht ist der Brei.«

Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen
hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der
Einladung folgen solle, endlich aber faßte er sich ein Herz und ging in
das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er beschloß,
ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser wüßten als er.

Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten
Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an
und fragte nach seinem Begehr. »Du hast ja jedermann zu deinem Brei
eingeladen,« antwortete der kleine Muck, »und weil ich gar so hungrig
bin, bin ich auch gekommen.« Die Alte lachte laut und sprach: »Woher
kommst du denn, wunderlicher Gesell? Die ganze Stadt weiß, daß ich
für niemand koche als für meine lieben Katzen, und hie und da lade
ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du siehst.« Der
kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod
so hart ergangen sei und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen
zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige Erzählung des Kleinen
wohlgefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein und gab ihm reichlich zu
essen und zu trinken. Als er gesättigt und gestärkt war, betrachtete
ihn die Frau lange und sagte dann: »Kleiner Muck, bleibe bei mir in
meinem Dienste, du hast geringe Mühe und sollst gut gehalten sein.«
Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und
wurde also der Bediente der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber
sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei Kater und vier
Katzen, diesen mußte der kleine Muck alle Morgen den Pelz kämmen und
mit köstlichen Salben einreiben; wenn die Frau ausging, mußte er auf
die Katzen Achtung geben, wenn sie aßen, mußte er ihnen die Schüsseln
vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene Polster legen und sie mit
samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus,
die er bedienen mußte, doch wurden mit diesen nicht so viele Umstände
gemacht wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder
hielt. Uebrigens führte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters
Haus, denn außer der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen.
Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut, er hatte immer zu
essen und wenig zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden
mit ihm zu sein; aber nach und nach wurden die Katzen unartig: wenn die
Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher,
warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, das
ihnen im Wege stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe heraufkommen
hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und wedelten ihr mit den
Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen wäre. Die Frau Ahavzi
geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah und schob
alles auf Muck; er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte, sie
glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem Diener.

Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier sein Glück
nicht gefunden habe und beschloß bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi
zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie
schlecht man ohne Geld lebt, so beschloß er, den Lohn, den ihm seine
Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf irgend
eine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi
ein Zimmer, das immer verschlossen war, und dessen Inneres er nie
gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehört, und er
hätte oft für sein Leben gern gewußt, was sie dort versteckt habe. Als
er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, daß dort die Schätze der
Frau versteckt sein könnten. Aber immer war die Türe fest verschlossen,
und er konnte daher den Schätzen nie beikommen.

Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines
der Hündlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich behandelt
wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste im hohen
Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebärdete sich
dabei, wie wenn Muck ihm folgen sollte. Muck, welcher gern mit den
Hunden spielte, folgte ihm, und siehe da, das Hündlein führte ihn in
die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine kleine Türe, die er nie zuvor
dort bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das Hündlein ging hinein,
und Muck folgte ihm, und wie freudig war er überrascht, als er sah, daß
er sich in dem Gemach befinde, das schon lange das Ziel seiner Wünsche
war. Er spähte überall umher, ob er kein Geld finden könnte, fand aber
nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen
umher. Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit
auf sich. Es war von Kristall, und schöne Figuren waren darauf
ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber o
Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, daß es einen Deckel hatte, der nur
leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in
tausend Stücken.

Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein
Schicksal entschieden, jetzt mußte er entfliehen, sonst schlug ihn
die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur noch
einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den Habseligkeiten
der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könnte. Da fielen ihm ein
Paar mächtig große Pantoffeln ins Auge, sie waren zwar nicht schön,
aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen, auch zogen ihn
jene wegen ihrer Größe an, denn hatte er diese am Fuß, so mußten ihm
hoffentlich alle Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe vertreten habe.
Er zog also schnell seine Töffelein aus und fuhr in die großen hinein.
Ein Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm
auch hier allzu müßig in der Ecke zu stehen, er nahm es also mit und
eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog
sein Mäntelein an, setzte den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch
in den Gürtel und lief, so schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus und
zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer
weiter fort, bis er vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell
war er in seinem ganzen Leben nicht gegangen, ja es schien ihm, als
könne er gar nicht aufhören zu rennen, denn eine unsichtbare Gewalt
schien ihn fortzureißen. Endlich bemerkte er, daß es mit den Pantoffeln
eine eigene Bewandtnis haben müsse, denn diese schossen immer fort und
führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise, stillzustehen,
aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie man
den Pferden zuruft, sich selbst zu: »Oh -- oh, halt, oh!« Da hielten
die Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder.

Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch
seine Dienste etwas erworben, das ihm in der Welt, auf seinem Weg das
Glück zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor
Erschöpfung ein, denn das Körperlein des kleinen Muck, das einen so
schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum
erschien ihm das Hündlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi zu
den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: »Lieber Muck, du
verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht: wisse, daß
wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so kannst
du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein kannst du
Schätze finden; denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die
Erde schlagen, bei Silber zweimal.« So träumte der kleine Muck. Als er
aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren Traum nach und beschloß,
alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, lupfte einen
Fuß, und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals
versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststück
dreimal hintereinander zu machen, der wird sich nicht wundern, wenn es
dem kleinen Muck nicht gleich glückte, besonders wenn man bedenkt, daß
ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog.

Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase, doch ließ er sich
nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glückte
es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte sich in
die nächste große Stadt, und -- die Pantoffeln ruderten hinauf in
die Lüfte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich der
kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich
schon auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren
und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter
den Leuten hin und her, hielt es aber bald für ratsamer, sich in eine
einsamere Straße zu begeben, denn auf dem Markt trat ihm bald da einer
auf die Pantoffeln, daß er beinahe umfiel, bald stieß er mit seinem
weit hinausstehenden Dolch einen oder den andern an, daß er mit Mühe
den Schlägen entging.

Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte,
um sich ein Stück Geld zu verdienen. Er hatte zwar ein Stäblein, das
ihm verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz
finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur
Not für Geld sehen lassen können, aber dazu war er doch zu stolz.
Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein. Vielleicht, dachte
er, können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren, und er beschloß,
sich als Schnellläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, daß
der König dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, so erfragte
er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine Wache, die ihn
fragte, was er hier zu suchen habe? Auf seine Antwort, daß er einen
Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er
sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen
Boten zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen von Kopf bis
zu den Füßen und sprach: »Wie, mit deinen Füßlein, die kaum so lang
als eine Spanne sind, willst du königlicher Schnellläufer werden? Hebe
dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen.«
Der kleine Muck versicherte ihm aber, daß es ihm vollkommen ernst sei
mit seinem Antrag, und daß er es mit dem Schnellsten auf eine Wette
ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam die Sache gar lächerlich
vor. Er befahl ihm, sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereit
zu halten, führte ihn in die Küche und sorgte dafür, daß ihm gehörig
Speise und Trank gereicht wurde. Er selbst aber begab sich zum König
und erzählte ihm vom kleinen Muck und seinem Anerbieten. Der König
war ein lustiger Herr, daher gefiel es ihm wohl, daß der Aufseher der
Sklaven den kleinen Menschen zu einem Spaß behalten habe. Er befahl
ihm, auf einer großen Wiese hinter dem Schloß Anstalten zu treffen, daß
das Wettlaufen mit Bequemlichkeit von seinem ganzen Hofstaat könnte
gesehen werden, und empfahl ihm nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg
zu haben. Der König erzählte seinen Prinzen und Prinzessinnen, was
sie diesen Abend für ein Schauspiel haben würden. Diese erzählten es
wieder ihren Dienern, und als der Abend herankam, war man in gespannter
Erwartung, und alles, was Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo
Gerüste aufgeschlagen waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu
sehen.

Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüste Platz
genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte
vor den hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein
allgemeines Freudengeschrei ertönte, als man des Kleinen ansichtig
wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das
Körperlein mit dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten
Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen
Füßlein in den weiten Pantoffeln -- nein! es war zu drollig anzusehen,
als daß man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ sich
aber durch das Gelächter nicht irre machen. Er stellte sich stolz, auf
sein Stöcklein gestützt, hin und erwartete seinen Gegner. Der Aufseher
der Sklaven hatte, nach Mucks eigenem Wunsche, den besten Läufer
ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen,
und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza, wie es
ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile, auf dasselbe
Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer über die Wiese hin.

Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber dieser
jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, überfing
ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend,
daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige Augenblicke
die Zuschauer, als aber der König zuerst in die Hände klatschte, da
jauchzte die Menge und alle riefen: »Hoch lebe der kleine Muck, der
Sieger im Wettlauf!«

Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem
König nieder und sprach: »Großmächtigster König, ich habe dir hier nur
eine kleine Probe meiner Kunst gegeben, wolle nun gestatten, daß man
mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe.« Der König aber antwortete
ihm: »Nein, du sollst mein Leibläufer und immer um meine Person sein,
lieber Muck, jährlich sollst du hundert Goldstücke erhalten als Lohn,
und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du speisen.«

So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er
so lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen.
Auch erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs, denn dieser
gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die
er dann mit der größten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle
besorgte.

Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan,
weil sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als
schnell zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie
veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen,
aber alle schlugen fehl an dem großen Zutrauen, das der König in seinen
geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in so kurzer
Zeit gebracht) setzte.

Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht
auf Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte
er, sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da
fiel ihm sein Stäblein, das er in seinem Glück außer acht gelassen
hatte, ein; wenn er Schätze finde, dachte er, werden ihm die Herren
schon geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, daß der Vater des
jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind
sein Land überfallen; man sagte auch, er sei darüber gestorben,
ohne daß er sein Geheimnis habe seinem Sohne mitteilen können. Von
nun an nahm Muck immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal
an einem Ort vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben
sei. Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des
Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das
Stöcklein in seiner Hand zucken. Und dreimal schlug es gegen den Boden.
Nun wußte er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen
Dolch heraus, machte Zeichen in die umstehenden Bäume und schlich sich
wieder in das Schloß; dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete
die Nacht zu seinem Unternehmen ab.

Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu
schaffen, als er geglaubt hatte. Seine Arme waren gar zu schwach, sein
Spaten aber groß und schwer; und er mochte wohl schon zwei Stunden
gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuß tief gegraben hatte. Endlich
stieß er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger,
und bald hatte er einen großen eisernen Deckel zu Tage gefördert;
er stieg selbst in die Grube hinab, um nachzuspähen, was wohl der
Deckel könnte bedeckt haben, und fand richtig einen großen Topf mit
Goldstücken angefüllt. Aber seine schwachen Kräfte reichten nicht hin,
den Topf zu heben, daher steckte er in seine Beinkleider und seinen
Gürtel, so viel er zu tragen vermochte, und auch sein Mäntelein füllte
er damit, bedeckte das übrige wieder sorgfältig und lud es auf den
Rücken. Aber wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Füßen gehabt
hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes
nieder. Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein
Gold unter den Polstern seines Sofas.

Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er,
das Blatt werde sich jetzt wenden, und er werde sich unter seinen
Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon
daran konnte man erkennen, daß der gute Muck keine gar zu sorgfältige
Erziehung genossen haben mußte, sonst hätte er sich wohl nicht
einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach! daß er
damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll
Gold aus dem Staub gemacht hätte!

Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen austeilte,
erweckte den Neid der übrigen Hofbedienten. Der Küchenmeister Ahuli
sagte: »Er ist ein Falschmünzer.« Der Sklavenaufseher Achmet sagte: »Er
hat's dem König abgeschwatzt.« Archaz, der Schatzmeister aber, sein
ärgster Feind, der selbst hie und da einen Griff in des Königs Kasse
tun möchte, sagte geradezu: »Er hat's gestohlen.« Um nun ihrer Sache
gewiß zu sein, verabredeten sie sich, und der Obermundschenk Korchuz
stellte sich eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor den
Augen des Königs. Er machte seine traurigen Gebärden so auffallend, daß
ihn der König fragte, was ihm fehle. »Ach!« antwortete er, »ich bin
traurig, daß ich die Gnade meines Herrn verloren habe.« -- »Was fabelst
du, Freund Korchuz?« entgegnete ihm der König, »seit wann hätte ich die
Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten lassen?« Der Obermundschenk
antwortete ihm, daß er ja den geheimen Oberleibläufer mit Gold belade,
seinen armen treuen Dienern aber nichts gebe.

Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die
Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen
brachten ihm leicht den Verdacht bei, daß Muck auf irgend eine Art das
Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung
der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gern Rechnung ablegte.
Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen
Muck acht zu geben, um ihn womöglich auf der Tat zu ertappen. Als nun
in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, der kleine Muck, da er
durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr erschöpft sah, den Spaten
nahm und in den Schloßgarten schlich, um dort von seinem geheimen
Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von
dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angeführt, und
in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein legen
wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn sogleich
vor den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes
mürrisch gemacht hatte, empfing seinen armen geheimen Oberleibläufer
sehr ungnädig und stellte sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte
den Topf vollends aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem
Mäntelein voll Gold vor die Füße des Königs gesetzt. Der Schatzmeister
sagte aus, daß er mit seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er
diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe.

Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei, und woher
er das Gold, das er vergraben, bekommen habe?

Der kleine Muck, im Gefühle seiner Unschuld, sagte aus, daß er diesen
Topf im Garten entdeckt habe, daß er ihn habe nicht ein- sondern
_aus_graben wollen.

Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König aber,
aufs höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen,
rief aus: »Wie, Elender! du willst deinen König so dumm und schändlich
belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! Ich
fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für die nämliche
erkennst, die in meinem Schatze fehlt?«

Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiß, so
viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit in dem königlichen Schatz,
und er könnte einen Eid darauf ablegen, daß dies das Gestohlene sei.

Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in
den Turm zu führen, dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es
wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Ausgang
der Sache zog dieser ab und zählte zu Hause die blinkenden Goldstücke;
aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daß unten in dem
Topf ein Zettel lag, der sagte:

    »Der Feind hat mein Land überschwemmt, daher verberge ich hier
    einen Teil meiner Schätze; wer es auch finden mag, den treffe
    der Fluch seines Königs, wenn er es nicht sogleich meinem Sohne
    ausliefert. --

            König Sadi.«

Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; er
wußte, daß auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war:
und doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem Könige nicht
verraten, weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln
beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hilfe
bringen, denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen war,
konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz umdrehen.
Als ihm aber am andern Tage sein Tod angekündigt wurde, da gedachte er
doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben, als mit ihm zu
sterben, ließ den König um geheimes Gehör bitten und entdeckte ihm das
Geheimnis. Der König maß von Anfang seinem Geständnis keinen Glauben
bei; aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König
zugestünde, daß er nicht getötet werden solle. Der König gab ihm sein
Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde
graben und befahl diesem, mit seinem Stäbchen zu suchen. In wenigen
Augenblicken hatte er es gefunden, denn das Stäbchen schlug deutlich
dreimal auf die Erde. Da merkte der König, daß ihn sein Schatzmeister
betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im Morgenlande gebräuchlich
ist, _eine seidene Schnur_, damit er sich selbst erdroßle. Zum kleinen
Muck aber sprach er: »Ich habe dir zwar dein Leben versprochen, aber
es scheint mir, als ob du nicht nur allein dieses Geheimnis mit dem
Stäbchen besitzest; darum bleibst du in ewiger Gefangenschaft, wenn
du nicht gestehst, was für eine Bewandtnis es mit deinem Schnellaufen
hatte.« Der kleine Muck, dem die einzige Nacht im Turm alle Lust zu
längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst
in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den König nicht das Geheimnis
von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst
in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im
Garten umher; oft wollte er anhalten, aber er wußte nicht, wie man die
Pantoffeln zum Stehen brachte, und der kleine Muck, der diese kleine
Rache sich nicht versagen konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig
niederfiel.

Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er
schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer
Atem hatte laufen lassen. »Ich habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit
und Leben zu schenken, aber innerhalb zwölf Stunden mußt du mein Land
verlassen, sonst lasse ich dich aufknüpfen.« Die Pantoffeln und das
Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer legen.

So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit
verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende
Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum
Glück nicht groß, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze,
obgleich ihm das Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewöhnt war,
sehr sauer ankam.

Als er über die Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die
dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben,
denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf
einen Platz, der ihm zu dem Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz
tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen schattigen Feigenbäumen
umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein, hier warf er sich nieder mit
dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern hier den
Tod zu erwarten. Ueber traurige Todesbetrachtungen schlief er ein; als
er aber wieder aufwachte und der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte
er doch, daß der Hungertod eine gefährliche Sache sei, und sah sich um,
ob er nirgends etwas zu essen bekommen könnte.

Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er geschlafen
hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ es sich
trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst
zu löschen. Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen
Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken langen Nase geschmückt
zeigte! Bestürzt griff er mit den Händen nach den Ohren, und wirklich,
sie waren über eine halbe Elle lang.

»Ich verdiene Eselsohren!« rief er aus, »denn ich habe mein Glück wie
ein Esel mit Füßen getreten.« -- Er wanderte unter den Bäumen umher,
und als er wieder Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen
seine Zuflucht nehmen, denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen.
Als ihm über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren
nicht unter seinem großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht gar
zu lächerlich aussehe, fühlte er, daß seine Ohren verschwunden seien.
Er lief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu überzeugen, und
wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige Gestalt, seine
lange unförmliche Nase hatte er nicht mehr. Jetzt merkte er aber, wie
dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase
und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er,
daß sein gütiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die Hand gebe,
glücklich zu sein. Er pflückte daher von jedem Baum, so viel er tragen
konnte, und ging in das Land zurück, das er vor kurzem verlassen hatte.
Dort machte er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider ganz
unkenntlich und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener König
bewohnte, und kam auch bald dort an.

Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich
selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des
Palastes, denn ihm war von früherer Zeit her wohl bekannt, daß hier
solche Seltenheiten von dem Küchenmeister für die königliche Tafel
eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den
Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die Waren
der Verkäufer, die sich am Tore des Palastes eingefunden hatten,
endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. »Ah! ein seltener
Bissen,« sagte er, »der Ihro Majestät gewiß behagen wird: was willst
du für den ganzen Korb?« Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen
Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister übergab
den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck machte sich
einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich das Unglück
an den Köpfen des Hofes zeige, möchte man ihn als Verkäufer aufsuchen
und bestrafen.

Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem
Küchenmeister einmal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten
Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn
aussuche; der Küchenmeister aber, welcher wohl wußte, welchen
Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich
und ließ nur einzelne Worte fallen, als: »Es ist noch nicht aller Tage
Abend,« oder: »Ende gut, alles gut,« so, daß die Prinzessinnen sehr
neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber die
schönen einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein allgemeines
Ah! dem Munde der Anwesenden. »Wie reif, wie appetitlich!« rief der
König, »Küchenmeister, du bist ein ganzer Kerl und verdienst unsere
ganz besondere Gnade!« Also sprechend, teilte der König, der mit
solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein pflegte, mit eigner Hand die
Feigen an seiner Tafel aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei,
die Hofdamen und die Veziere und Agas eine, die übrigen stellte er vor
sich hin und begann mit großem Behagen, sie zu verschlingen.

»Aber lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater,« rief
auf einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an,
ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über sein
Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander mit
Staunen und Schrecken, alle waren mehr oder minder mit dem sonderbaren
Kopfputz geschmückt.

Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach
allen Aerzten der Stadt, sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und
Mixturen, aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen
der Prinzen, aber die Ohren wuchsen nach.

Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich
zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, daß es jetzt Zeit sei, zu
handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen gelösten
Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte;
ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem
Säckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot als
fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig, als
aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und
Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte
alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn
schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloß er
eine Türe auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm
zu folgen. »Hier sind meine Schätze,« sprach der König, »wähle dir,
was es auch sei, es soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem
schmachvollen Uebel befreist.« Das war süße Musik in des kleinen Mucks
Ohren; er hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden
stehen sehen, gleich daneben lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher
in dem Saal, wie wenn er die Schätze des Königs bewundern wollte; kaum
aber war er an seine Pantoffeln gekommen, so schlüpfte er eilends
hinein, ergriff sein Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab und
zeigte dem erstaunten König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen
Mucks. »Treuloser König,« sprach er, »der du treue Dienste mit Undank
lohnst, nimm als wohlverdiente Strafe die Mißgestalt, die du trägst.
Die Ohren laß ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den
kleinen Muck.« Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf
dem Absatz herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um
Hilfe rufen konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebte der
Kleine hier in großem Wohlstand, aber einsam, denn er verachtet die
Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher,
wenn auch sein Aeußeres etwas Auffallendes haben mag, deine Bewunderung
mehr als deinen Spott verdient.

       *       *       *       *       *

»So erzählte mir mein Vater. Ich bezeigte ihm meine Reue über mein
rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte
mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich
erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und
wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil,
wir ehrten ihn, so lange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief
als vor Kadi und Mufti gebückt.« --

Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu
machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die
gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über und sie ergötzten
sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fünften
Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den übrigen
zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, sein Leben sei
zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen etwas davon
mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzählen, nämlich:
_Das Märchen vom falschen Prinzen_.



Das Märchen vom falschen Prinzen.


Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der
bei einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte.
Man konnte nicht sagen, daß Labakan ungeschickt mit der Nadel war,
im Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm
unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt. Aber ganz richtig war es
doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenweis in einem
fort nähen, daß ihm die Nadel in der Hand glühend ward und der Faden
rauchte; da gab es ihm dann ein Stück wie keinem andern. Ein andermal
aber, und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen Gedanken, sah
mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen
etwas so eigenes, daß sein Meister und die übrigen Gesellen von diesem
Zustande nie anders sprachen als: »Labakan hat wieder sein vornehmes
Gesicht.«

Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre
Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit
vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und
stolzen Schrittes durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn ihm
einer seiner Kameraden ein »Friede sei mit dir!« oder »Wie geht es,
Freund Labakan?« bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder nickte,
wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spaß
zu ihm sagte: »An dir ist ein Prinz verloren gegangen, Labakan,« so
freute er sich darüber und antwortete: »Habt Ihr das auch bemerkt?«
oder: »Ich habe es schon lange gedacht!«

So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume
Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein
guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte
Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein
Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, und
der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. Als
abends der Meister und die Gesellen sich hinweg begeben hatten, um nach
des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche Sehnsucht
Labakan wieder in die Werkstätte zurück, wo das Kleid des kaiserlichen
Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der
Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der Seide an dem
Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er mußte es anziehen, und
siehe da, es paßte ihm so trefflich, wie wenn es für ihn wäre gemacht
worden. »Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?« fragte er sich,
indem er im Zimmer auf und ab schritt. »Hat nicht der Meister selbst
schon gesagt, daß ich zum Prinzen geboren sei?« Mit den Kleidern schien
der Geselle eine ganz königliche Gesinnung angezogen zu haben; er
konnte sich nicht anders denken, als er sei ein unbekannter Königssohn,
und als solcher beschloß er, in die Welt zu reisen und einen Ort zu
verlassen, wo die Leute bisher so töricht gewesen waren, unter der
Hülle seines niedern Standes nicht seine angeborene Würde zu erkennen.
Das prachtvolle Kleid schien ihm von einer gütigen Fee geschickt; er
hütete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmähen, steckte
seine geringe Barschaft zu sich und wanderte, begünstigt von dem Dunkel
der Nacht, aus Alessandrias Toren.

Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung,
denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen
wollten gar nicht passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber
befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, daß das
seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, daß er sich durch
seine Fußwanderungen lächerlich mache, kaufte er um geringen Preis ein
altes Roß, welches sehr für ihn paßte, da es ihn mit seiner gesetzten
Ruhe und Sanftmut nie in Verlegenheit brachte, sich als geschickten
Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war.

Eines Tages, als er Schritts vor Schritt auf seinem Murva, so hatte
er sein Roß genannt, seine Straße zog, schloß sich ein Reiter an ihn
an und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der
Weg viel kürzer werde im Gespräch mit einem andern. Der Reiter war
ein fröhlicher, junger Mann, schön und angenehm im Umgang. Er hatte
mit Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über woher und wohin, und es
traf sich, daß auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die
Welt hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, des
unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen Auftrag,
den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, auszurichten.
Labakan ließ sich nicht so offenherzig über seine Verhältnisse aus,
er gab ihm zu verstehen, daß er von hoher Abkunft sei und zu seinem
Vergnügen reise.

Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder.
Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen
Gefährten Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und erfuhr
zu seinem Erstaunen folgendes: »Elfi Bey, der Bassa von Kairo, hatte
den Omar seit seiner frühesten Kindheit erzogen, und dieser hatte seine
Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden überfallen und
nach drei unglücklichen Schlachten, tödlich verwundet, fliehen mußte,
entdeckte er seinem Zögling, daß er nicht sein Neffe sei, sondern
der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher, aus Furcht vor den
Prophezeiungen seiner Sterndeuter, den jungen Prinzen von seinem Hofe
entfernt habe mit dem Schwur, ihn erst an seinem zweiundzwanzigsten
Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi Bey habe ihm den Namen seines
Vaters nicht genannt, sondern ihm nur aufs bestimmteste aufgetragen,
am fünften Tage des kommenden Monats Ramadan, an welchem Tage er
zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an der berühmten Säule El-Serujah,
vier Tagreisen östlich von Alessandria, einzufinden; dort solle er den
Männern, die an der Säule stehen werden, einen Dolch, den er ihm gab,
überreichen mit den Worten: ›Hier bin ich, den ihr suchet!‹ wenn sie
antworten: ›Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt,‹ so solle er
ihnen folgen, sie werden ihn zu seinem Vater führen.«

Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung,
er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen,
erzürnt darüber, daß das Schicksal jenem, obgleich er schon für den
Neffen eines mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohns
verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen not tut,
ausrüstete, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen
gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen
zwischen sich und dem Prinzen an. Er mußte sich gestehen, es sei jener
ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne lebhafte
Augen, eine kühngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes Benehmen,
kurz so viele Vorzüge des Aeußern, die jemand empfehlen können, waren
jenem eigen. Aber so viele Vorzüge er auch an seinem Begleiter fand,
so gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, daß ein Labakan dem
fürstlichen Vater wohl noch willkommener sein dürfte als der wirkliche
Prinz.

Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen
schlief er im nächsten Nachtlager ein: aber als er morgens aufwachte
und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig
schlafen und von seinem gewissen Glücke träumen konnte, da erwachte in
ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm das
ungünstige Schicksal versagt hatte; der Dolch, das Erkennungszeichen
des heimkehrenden Prinzen, stak in dem Gürtel des Schlafenden; leise
zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des Eigentümers zu stoßen. Doch
vor dem Gedanken des Mordes entsetzte sich die friedfertige Seele
des Gesellen, er begnügte sich, den Dolch zu sich zu stecken, das
schnellere Pferd des Prinzen für sich aufzäumen zu lassen, und ehe Omar
aufwachte und sich aller seiner Hoffnungen beraubt sah, hatte sein
treuloser Gefährte schon einen Vorsprung von mehreren Meilen.

Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem
Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also noch
vier Tage, um zu der Säule El-Serujah, welche ihm wohl bekannt war, zu
gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Säule befand, höchstens
noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er sich doch
hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem wahren Prinzen eingeholt
zu werden.

Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule El-Serujah. Sie
stand auf einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte auf
zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte lauter
bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch Zeit
genug gehabt, über die Rolle, die er zu spielen hatte, nachzudenken,
so machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich, aber der
Gedanke, daß er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, so daß er
getrösteter seinem Ziele entgegenging.

Die Gegend um die Säule El-Serujah war unbewohnt und öde, und der neue
Prinz wäre wegen seines Unterhaltes etwas in Verlegenheit gekommen,
wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen hätte. Er lagerte sich
also neben seinem Pferde unter einigen Palmen und erwartete dort sein
ferneres Schicksal.

Gegen die Mitte des andern Tages sah er einen großen Zug mit Pferden
und Kamelen über die Ebene her auf die Säule El-Serujah zu ziehen. Der
Zug hielt am Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand, man schlug
prachtvolle Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug eines
reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, daß die vielen Leute, welche
er sah, sich seinetwegen hierher bemüht hatten, und hätte ihnen gern
schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt, aber er mäßigte seine
Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste Morgen seine
kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen mußte.

Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem wichtigsten
Augenblicke seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, unbekannten
Sterblichen an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben sollte; zwar
fiel ihm, als er sein Pferd aufzäumte, um zu der Säule hinzureiten,
wohl auch das Unrechtmäßige seines Schrittes ein, zwar führten ihm
seine Gedanken den Schmerz des in seinen schönen Hoffnungen betrogenen
Fürstensohnes vor, aber der Würfel war geworfen, er konnte nicht mehr
ungeschehen machen, was geschehen war, und seine Eigenliebe flüsterte
ihm zu, daß er stattlich genug aussehe, um dem mächtigsten König sich
als Sohn vorzustellen; ermutigt durch diesen Gedanken, schwang er sich
auf sein Roß, nahm alle seine Tapferkeit zusammen, um es in einen
ordentlichen Galopp zu bringen, und in weniger als einer Viertelstunde
war er am Fuße des Hügels angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und
band es an eine Staude, deren mehrere an dem Hügel wuchsen; hierauf
zog er den Dolch des Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan.
Am Fuß der Säule standen sechs Männer um einen Greisen von hohem,
königlichem Ansehen; ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem
weißen Kaschmirschal umgürtet, der weiße, mit blitzenden Edelsteinen
geschmückte Turban bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und
Würde.

Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem er
ihm den Dolch darreichte: »Hier bin ich, den ihr suchet.«

»Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt,« antwortete der Greis mit
Freudentränen, »umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!«
Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte und
sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten
Fürsten.

Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen
Standes genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greises
aufrichtete, sah er einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel
zueilen. Der Reiter und sein Roß gewährten einen sonderbaren Anblick;
das Roß schien aus Eigensinn oder Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen;
in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es
daher; der Reiter aber trieb es mit Händen und Füßen zu schnellerem
Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Roß Murva und den echten
Prinzen Omar; aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn gefahren,
und er beschloß, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine
angemaßten Rechte zu behaupten.

Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken sehen, jetzt war
er trotz dem schlechten Trab des Rosses Murva am Fuße des Hügels
angekommen, warf sich vom Pferd und stürzte den Hügel hinan. »Haltet
ein,« rief er, »wer ihr auch sein möget, haltet ein und lasset euch
nicht von dem schändlichsten Betrüger täuschen; _ich_ heiße Omar, und
kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu mißbrauchen!«

Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über
diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen,
indem er bald den einen, bald den andern fragend ansah. Labakan aber
sprach mit mühsam errungener Ruhe: »Gnädigster Herr und Vater, laßt
Euch nicht irre machen durch diesen Menschen da. Es ist, soviel ich
weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan
geheißen, der mehr unser Mitleid als unsern Zorn verdient.«

Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen. Schäumend vor
Wut, wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen sich
dazwischen und hielten ihn fest, und der Fürst sprach: »Wahrhaftig,
mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückt; man binde ihn und setze
ihn auf eines unserer Dromedare; vielleicht, daß wir dem Unglücklichen
Hilfe schaffen können.«

Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fürsten zu:
»Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid, bei dem Andenken meiner
Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!«

»Ei, Gott bewahre uns,« antwortete dieser, »er fängt schon wieder
an, irre zu reden; wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen
kann!« Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel
hinuntergeleiten. Sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen Decken
behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die Ebene hin.
Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und band ihn auf
ein Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein
wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten.

Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte
lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem
er sich so lange gesehnt hatte. Aber die Sterndeuter, welche er um die
Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, daß er bis
ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde verdrängt
zu werden. Deswegen, um recht sicher zu gehen, hatte der Sultan den
Prinzen seinem alten erprobten Freunde Elfi Bey zum Erziehen gegeben
und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen Anblick geharrt.

Dieses hatte der Sultan unterwegs seinem vermeintlichen Sohne erzählt
und sich ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem
würdevollen Benehmen gezeigt.

Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den
Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der
Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte
und Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, waren
Bogen von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von allen
Farben schmückten die Häuser, und das Volk pries laut Gott und seinen
Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. Alles dies
erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto unglücklicher
mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer gefesselt, in
stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte sich um ihn bei
dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt. Den Namen Omar riefen tausend
und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug,
ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer oder der andere, wen man
denn so eng gebunden mit fortführe, und schrecklich tönte in das Ohr
des Prinzen die Antwort seiner Begleiter: es sei ein wahnsinniger
Schneider.

Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles
noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen
Städten. Die Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie
mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saale des Schlosses.
Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die
Wände waren mit hellblauem Tuch geschmückt, das an goldenen Quasten und
Schnüren in großen silbernen Haken hing.

Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale
viele kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum
Tag erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber
im Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß.
Der Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit
großen Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen
Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der Scheik
von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von weißen Pfaufedern
Kühlung zu.

So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn; auch sie hatte
ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsame Träume
hatten ihr den Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen
wollte. Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten und
Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der
Rosse tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die Tritte
der Kommenden, die Türen des Saales flogen auf, und durch die Reihen
der niederfallenden Diener eilte der Sultan, an der Hand seines Sohnes,
vor den Thron der Mutter.

»Hier,« sprach er, »bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange
gesehnt.«

Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede. »Das ist mein Sohn nicht!«
rief sie aus, »das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume
gezeigt hat!«

Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang
die Türe des Saales auf, Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von seinen
Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft entrissen
hatte; er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: »Hier will ich
sterben, laß mich töten, grausamer Vater, denn diese Schmach dulde ich
nicht länger!« Alles war bestürzt über diese Reden, man drängte sich um
den Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen
ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die in
sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem Throne
aufsprang. »Haltet ein!« rief sie. »Dieser und kein anderer ist der
Rechte, dieser ist's, den meine Augen nie gesehen, und den mein Herz
doch gekannt hat!«

Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen, aber der Sultan,
entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu binden.
»Ich habe hier zu entscheiden,« sprach er mit gebietender Stimme;
»und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, sondern nach
gewissen untrüglichen Zeichen; dieser hier (indem er auf Labakan
zeigte) ist mein Sohn, denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes
Elfi, den Dolch, gebracht.«

»Gestohlen hat er ihn,« schrie Omar, »mein argloses Vertrauen hat er
zum Verrat mißbraucht!« Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme
seines Sohnes, denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur
seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit
Gewalt aus dem Saale schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan
in sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er
doch seit fünfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte.

Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war
vollkommen überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans
bemächtigt hatte, denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele
bedeutsame Träume als ihren Sohn gezeigt.

Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um
ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies allerdings
schwierig, denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, hatte das
Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht und hatte auch, wie sie
erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst sich
erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, spielte.

Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah
begleitet hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt
dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und verwarfen
dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine alte kluge
Cirkassierin: »Wenn ich recht gehört habe, verehrte Gebieterin, so
nannte der Ueberbringer des Dolches, Labakan, den, welchen du für
deinen Sohn hältst, einen verwirrten Schneider?« -- »Ja, so ist es,«
antwortete die Sultanin; »aber was willst du damit?«

»Was meint Ihr,« fuhr jene fort, »wenn dieser Betrüger Eurem Sohn
seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte? -- und wenn dies ist, so gibt
es ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz
im geheimen sagen will.« Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und
diese flüsterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie
schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen.

Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten
des Sultans kannte und sie zu benutzen verstand. Sie schien daher ihm
nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen und bat sich nur eine
Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau leid
tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: »Ich möchte gerne den
beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere würde
sie vielleicht reiten, fechten und Speere werfen lassen, aber das sind
Sachen, die ein jeder kann; nein ich will ihnen etwas geben, wozu
Scharfsinn gehört. Es soll nämlich jeder von ihnen einen Kaftan und ein
Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal sehen, wer die
schönsten macht.«

Der Sultan lachte und sprach: »Ei, da hast du ja etwas recht Kluges
ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider
wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts.«

Die Sultanin aber berief sich darauf, daß er ihr die Bedingung zum
voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war,
gab endlich nach, obgleich er schwur, wenn der wahnsinnige Schneider
seinen Kaftan auch noch so schön mache, könne er ihn doch nicht für
seinen Sohn erkennen.

Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die Grillen
seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen Kaftan von
seiner Hand zu sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte das Herz vor
Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da soll die Frau
Sultanin bald Freude an mir erleben.

Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen, das andere
für den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man hatte
jedem nur ein hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und Faden
gegeben.

Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein
Sohn zutage fördern werde; aber auch der Sultanin pochte unruhig das
Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den beiden
zwei Tage zu ihrem Geschäft ausgesetzt; am dritten Tag ließ der Sultan
seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er in
jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen zu
lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan vor
den erstaunten Blicken des Sultans aus. »Sieh her, Vater,« sprach er,
»sieh her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein Meisterstück von einem
Kaftan ist? Da laß ich es mit dem geschicktesten Hofschneider auf eine
Wette ankommen, ob er einen solchen herausbringt.« --

Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: »Und was hast du
herausgebracht, mein Sohn?« Unwillig warf dieser den Seidenstoff und
die Schere auf den Boden. »Man hat mich gelehrt, ein Roß zu bändigen
und einen Säbel zu schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gänge
ihr Ziel -- aber die Künste der Nadel sind mir fremd, sie wären auch
unwürdig für einen Zögling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo.«

»O du echter Sohn meines Herrn,« rief die Sultanin. »Ach! daß ich dich
umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und Gebieter,«
sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, »daß ich diese List
gegen Euch gebraucht habe. Sehet Ihr jetzt noch nicht ein, wer Prinz
und wer Schneider ist? Fürwahr, der Kaftan ist köstlich, den Euer Herr
Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gern fragen, bei welchem Meister
er gelernt habe?«

Der Sultan saß in tiefen Gedanken, mißtrauisch bald seine Frau, bald
Labakan anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, daß
er sich so dumm verraten habe, zu bekämpfen suchte. »Auch dieser Beweis
genügt nicht,« sprach er. »Aber ich weiß, Allah sei es gedankt, ein
Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht.«

Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzuführen, schwang sich auf und
ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte,
nach einer alten Sage, eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft
schon den Königen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat
beigestanden war; dorthin eilte der Sultan.

In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Cedern umgeben.
Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein Sterblicher
diesen Platz; denn eine gewisse Scheu davor hatte sich aus alten Zeiten
vom Vater auf den Sohn vererbt.

Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an
einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit
lauter Stimme: »Wenn es wahr ist, daß du meinen Vätern gütigen Rat
erteiltest in der Stunde der Not, so verschmähe nicht die Bitte ihres
Enkels und rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist.«

Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Cedern
öffnete und eine verschleierte Frau in langen weißen Gewändern
hervortrat. »Ich weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein Wille
ist redlich, darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm diese zwei
Kistchen. Laß jene beiden, welche deine Söhne sein wollen, wählen. Ich
weiß, daß der, welcher der echte, das rechte nicht verfehlen wird.«
So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei kleine Kistchen von
Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; auf dem Deckel, welchen
der Sultan vergebens zu öffnen versuchte, standen Inschriften von
eingesetzten Diamanten.

Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl
in den Kistchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu öffnen
vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache, denn
auf dem einen stand: _Ehre und Ruhm_, auf dem andern: _Glück und
Reichtum_. Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl
schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, gleich
lockend seien.

Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin rufen
und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare Hoffnung
erfüllte sie, daß jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das Kistchen
wählen würde, welches seine königliche Abkunft beweisen sollte.

Vor dem Throne des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie
setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann
den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu
öffnen. Eine glänzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches,
die der Sultan berufen hatte, strömte durch die geöffnete Pforte. Sie
ließen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Wände entlang
aufgestellt waren.

Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum
zweitenmal, und Labakan wurde hereingeführt. Mit stolzem Schritte ging
er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: »Was
befiehlt mein Herr und Vater?«

Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: »Mein Sohn! es sind
Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen erhoben
worden; eines jener Kistchen enthält die Bestätigung deiner echten
Geburt; wähle! ich zweifle nicht, du wirst das rechte wählen!«

Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen; er erwog lange, was er
wählen sollte, endlich sprach er: »Verehrter Vater! was kann es Höheres
geben als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres als den Reichtum
deiner Gnade? Ich wähle das Kistchen, das die Aufschrift: _Glück_ und
_Reichtum_ zeigt.«

»Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast; einstweilen
setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina,« sagte der Sultan
und winkte seinen Sklaven.

Omar wurde hereingeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig,
und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. Er
warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des Sultans.

Der Sultan deutete ihm an, daß er eines der Kistchen zu wählen habe; er
stand auf und trat vor den Tisch.

Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: »Die letzten Tage haben
mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der Reichtum ist;
sie haben mich aber auch gelehrt, daß ein unzerstörbares Gut in der
Brust des Tapfern wohnt, die Ehre, und daß der leuchtende Stern des
Ruhmes nicht mit dem Glück zugleich vergeht. Und sollte ich einer Krone
entsagen, der Würfel liegt, _Ehre_ und _Ruhm_, ich wähle euch!«

Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwählt hatte; aber der
Sultan befahl ihm, einzuhalten, er winkte Labakan, gleichfalls vor
seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein
Kistchen.

Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen
Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte
sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: »Gott meiner
Väter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht
bewahrtest, gib nicht zu, daß ein Unwürdiger den Namen der Abassiden
schände, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser
Stunde der Prüfung.«

Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine
Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man hätte
ein Mäuschen über den Saal gehen hören, so still und gespannt waren
alle; die Hintersten machten lange Hälse, um über die Vorderen nach
den Kistchen sehen zu können. Jetzt sprach der Sultan: »Oeffnet die
Kistchen,« und diese, die vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte,
sprangen von selbst auf.

In dem Kistchen, das Omar gewählt hatte, lagen auf einem samtnen Kissen
eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans Kistchen -- eine
große Nadel und ein wenig Zwirn. Der Sultan befahl den beiden, ihre
Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Krönchen von dem Kissen in
seine Hand, und wunderbar war es anzusehen: wie er es nahm, wurde es
größer, bis es die Größe einer rechten Krone erreicht hatte. Er setzte
die Krone seinem Sohne Omar, der vor ihm kniete, auf das Haupt, küßte
ihn auf die Stirn und hieß ihn zu seiner Rechten sich niedersetzen. Zu
Labakan aber wandte er sich und sprach: »Es ist ein altes Sprichwort:
der Schuster bleibe bei seinem Leisten! Es scheint, als solltest du bei
der Nadel bleiben. Zwar hast du meine Gnade nicht verdient, aber es hat
jemand für dich gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum
schenke ich dir dein armseliges Leben, aber wenn ich dir guten Rats
bin, so beeile dich, daß du aus meinem Lande kommst.«

Beschämt, vernichtet wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle
nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen
drangen ihm aus den Augen. »Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?« sagte er.

»Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind ist des Abassiden
Stolz,« antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob; »gehe hin in
Frieden!«

»O du mein echter Sohn!« rief gerührt der alte Sultan und sank an die
Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Großen des Reiches
standen auf von ihren Sitzen und riefen Heil dem neuen Königssohn, und
unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen unter
dem Arm, aus dem Saal.

Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf
und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben
kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich
mit Perlen und Diamanten geschmückt, erinnerte ihn, daß er doch nicht
geträumt habe.

Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus seines
alten Meisters, stieg ab, band sein Rößlein an die Türe und trat in
die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, machte ein
großes Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er aber den Gast
näher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er seine Gesellen
und Lehrlinge herbei, und alle stürzten sich wie wütend auf den armen
Labakan, der keines solchen Empfanges gewärtig war, stießen und
schlugen ihn mit Bügeleisen und Ellenmaß, stachen ihn mit Nadeln und
zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er erschöpft auf einen Haufen
alter Kleider niedersank.

Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das
gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, daß er nur deswegen
wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm den
dreifachen Schadenersatz; der Meister und seine Gesellen fielen wieder
über ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Türe hinaus;
zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Roß Murva und ritt in eine
Karawanserei. Dort legte er sein müdes, zerschlagenes Haupt nieder und
stellte Betrachtungen an über die Leiden der Erde, über das so oft
verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit aller
Güter. Er schlief mit dem Entschluß ein, aller Größe zu entsagen und
ein ehrsamer Bürger zu werden.

Und den andern Tag gereute ihn sein Entschluß nicht; denn die schweren
Hände des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit aus ihm
herausgeprügelt zu haben.

Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen
Juwelenhändler, kaufte sich ein Haus und richtete eine Werkstatt zu
seinem Gewerbe ein. Als er alles gut eingerichtet und auch ein Schild
mit der Aufschrift: »_Labakan, Kleidermacher_« vor sein Fenster gehängt
hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die er
in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein Meister
so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschäft abgerufen,
und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch sonderbarer
Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel nähte emsig fort, ohne von jemand
geführt zu werden, sie machte feine, zierliche Stiche, wie sie selbst
Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht gemacht hatte!

Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich
und von großem Wert! Noch einen andern Wert hatte aber dies Geschenk,
nämlich: das Stückchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so fleißig
sein, als sie wollte.

Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider weit
und breit; er schnitt die Gewänder zu und machte den ersten Stich mit
der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter, ohne Unterlaß, bis
das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die ganze Stadt zu
Kunden, denn er arbeitete schön und außerordentlich billig, und nur
über _eines_ schüttelten die Leute von Alessandria den Kopf, nämlich:
daß er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Türen arbeitete.

So war der Spruch des Kistchens, _Glück_ und _Reichtum_ verheißend,
in Erfüllung gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in
bescheidenem Maße, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von
dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hörte, wenn
er hörte, daß dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines Volkes und
der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige Prinz bei
sich: »Es ist doch besser, daß ich ein Schneider geblieben bin, denn
um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefährliche Sache.« So lebte
Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen Mitbürgern, und wenn
die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so näht sie noch jetzt mit
dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide.

       *       *       *       *       *

Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket
el Had, oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden
Weges nach Kairo war. Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet,
und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen
entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel
Falch, denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung gehalten, wenn
man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet
hindurchgezogen ist.

Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von
dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit
ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute
Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der
Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher noch sich umgekleidet
habe, zu erscheinen.

Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf
der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und
Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen
Gast zu erwarten.

Langsamen und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu
seinem Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich
entgegenzugehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber
voll Entsetzen fuhr er zurück, als er die Tür öffnete, denn jener
schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf
ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die
Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote Mantel
mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den
schrecklichsten Stunden seines Lebens.

Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos' Brust; er hatte sich mit
diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben,
und doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene
qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines
Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele
vorüber.

»Was willst du, Schrecklicher?« rief der Grieche aus, als die
Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. »Weiche
schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!«

»Zaleukos!« sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor,
»Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?« Der Sprechende nahm die
Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde.

Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt; ihm graute vor dem Fremden;
denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der ~Ponte
vecchio~ erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte;
er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen.

»Ich errate deine Gedanken,« nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt
hatten; »deine Augen sehen fragend auf mich; -- ich hätte schweigen
und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich bin dir
Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es, auch auf die Gefahr hin,
daß du mir fluchest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du
sagtest einst zu mir: _Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu
lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich_; glaube dieses, mein
Freund, und höre meine Rechtfertigung.

Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich
bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der
jüngere Sohn eines alten berühmten französischen Hauses, war Konsul
seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahr an
in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst
einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit
meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, über
dem Meere bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die
Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen entrissen,
im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber, ach! ich fand
nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren
Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt,
desto unerwarteter hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen
heimgesucht. Mein Bruder, ein junger hoffnungsvoller Mann, erster
Sekretär meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen
Mädchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns, der in unserer
Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war
diese auf einmal verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch
ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte
endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei
in Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für
meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur zu bald kund
wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie
im Hause ihres Vaters kennen gelernt hatte, -- eingeschifft. Mein
Bruder, aufs äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die
Schuldige zur Strafe zu ziehen, doch vergebens; seine Versuche, die in
Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und
unser aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste
in sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht
zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in
Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte,
nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft
hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer
Regierung verdächtig gemacht und, durch die schändlichsten Mittel
gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers getötet
wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn
langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand,
der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein geworden
war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur _ein_ Gedanke
beschäftigte meine Seele, nur _ein_ Gedanke ließ mich meine Trauer
vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer
letzten Stunde in mir angefacht hatte.

In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein
zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem
Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen,
richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und
sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas
auszuführen, das sie mir auftragen würde. Ergriffen von den Worten der
sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide, zu tun, wie sie mir
sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen den Florentiner und
seine Tochter aus und legte mir mit den fürchterlichsten Drohungen
ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu rächen. Sie starb
in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner
Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den
Rest meines väterlichen Vermögens und schwur mir, alles an meine Rache
zu setzen oder selbst mit unterzugehen.

Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt;
mein Plan war aber um viel erschwert worden durch die Lage, in welcher
sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur
geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste
ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah
ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Straßen gehen; sein
unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestoßene
~Santo sacramento~ und ~Maledetto diavolo~ ließen mich den alten Pietro,
einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alessandria gekannt
hatte, erkennen. Ich war nicht im Zweifel, daß er über seinen Herrn in
Zorn geraten sei, und beschloß, seine Stimmung zu benützen. Er schien
sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, daß er
seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen
könne, und mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald
auf meine Seite. Das schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen
Mann in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes
öffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das
Leben des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem
Untergang meines Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er
gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so
schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja sie doch die Hauptursache
unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstenden
Herzen die Nachricht, daß gerade in dieser Zeit Bianka zum zweiten Mal
sich vermählen wollte; es war beschlossen, sie _mußte_ sterben. Aber
mir selbst graute vor der Tat, und auch Pietro traute ich zu wenig
Kraft zu; darum spähten wir umher nach einem Mann, der das Geschäft
vollbringen könnte. Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen,
denn gegen den Gouverneur würde keiner etwas solches unternommen
haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe,
zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den tauglichsten vor.
Den Verlauf der Sache weißt du. Nur an deiner übergroßen Vorsicht und
Ehrlichkeit schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit
dem Mantel.

Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs, er
hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht
durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte
darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war
ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer
Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster
Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem
Hause fände.

Ich schlich an den Palast, aber weder von Pietro noch von dir konnte
ich eine Spur entdecken; das Pförtchen aber war offen, so konnte ich
wenigstens hoffen, daß du die Gelegenheit zur Flucht benutzt haben
könntest.

Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und
ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz.
Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als man dort nach
einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte, mit dem Beisatz, man
habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in
banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine Rache schon
vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch
dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich
der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich fühlte, als ich dich
das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber damals, als
dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluß fest in mir, dir
deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt
du, nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit
dir machte.

Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer
nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir zu
leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir
getan.«

Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick
bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. »Ich wußte wohl, daß du
unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird, wie
eine dunkle Wolke, ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von
Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: wie kommst du unter dieser
Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in Konstantinopel
mir das Haus gekauft hattest?«

»Ich ging nach Alessandria zurück,« antwortete der Gefragte; »Haß gegen
alle Menschen tobte in meiner Brust; brennender Haß besonders gegen
jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen
Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria,
als jene Landung meiner Landsleute erfolgte.

Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum
sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und
schloß mich jenen tapfern Mamelucken an, die so oft der Schrecken des
französischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich
mich nicht entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren.
Ich lebte mit meiner kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein
unstätes, flüchtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe
zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fürsten ehren, denn
wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind wie eure Europäer, so
sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von Selbstsucht
und Ehrgeiz.«

Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm
nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener
fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und
wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei
ihm zu leben und zu sterben.

Gerührt sah ihn der Gastfreund an. »Daraus erkenne ich,« sagte er, »daß
du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen innigsten
Dank dafür.« Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem
Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkelblitzenden
Augen, der tiefen, geheimnisvollen Stimme seines Gastes beinahe graute.
»Dein Vorschlag ist schön,« sprach jener weiter, »er möchte für jeden
andern lockend sein, -- ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein
Roß gesattelt, schon erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!«

Die Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten
sich zum Abschied. »Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund,
der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?« fragte der Grieche.

Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und
sprach: »Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin _der Räuber
Orbasan_.«



Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven.


Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann. Wenn er
morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban aus
den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem reichen
Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging, langsamen,
gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten gelegt, seine
Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen und alle fünf
Schritte gedankenvoll seinen langen schwarzen Bart streichend; wenn
er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine Würde forderte, den
Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten, da blieben die Leute
auf der Straße stehen, schauten ihm nach und sprachen zu einander: Es
ist doch ein schöner, stattlicher Mann -- und reich; ein reicher Herr,
setzte wohl ein anderer hinzu; sehr reich; hat er nicht ein Schloß am
Hafen von Stambul? hat er nicht Güter und Felder und viele tausend
Stück Vieh und viele Sklaven? Ja, sprach ein dritter, und der Tatar,
der letzthin von Stambul her, vom Großherrn selbst, den der Prophet
segnen möge, an ihn geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheik
sehr in Ansehen stehe beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei
allen, ja beim Sultan selbst. Ja, rief ein vierter, seine Schritte sind
gesegnet. Er ist ein reicher, vornehmer Herr, aber -- aber -- ihr wißt,
was ich meine! -- Ja, ja! murmelten dann die andern dazwischen, es ist
wahr, er hat auch sein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen;
ist ein reicher, vornehmer Herr; aber, aber! --

Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von
Alessandria. Vor dem Hause war eine weite Terrasse mit Marmor
ummauert, beschattet von Palmbäumen. Dort saß er oft abends und
rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann
zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes, der eine trug seinen
Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße
von gediegenem Golde mit köstlichem Sorbett angefüllt, ein vierter
trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des
Herrn zu verscheuchen, andere waren Sänger und trugen Lauten und
Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte,
und der Gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen.

Aber sie harrten vergeblich auf seinen Wink, er verlangte nicht Musik
noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser Dichter der
Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbett zu sich nehmen noch Betel
kauen, ja selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfedern hatte vergebliche
Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend
umschwärmte.

Da blieben oft die Vorübergehenden stehen, staunten über die
Pracht des Hauses, über die reich gekleideten Sklaven und über die
Bequemlichkeiten, womit alles versehen war; aber wenn sie dann den
Scheik ansahen, wie er so ernst und düster unter den Palmen saß,
sein Auge nirgends hinwandte als auf die bläulichen Wölkchen seiner
Wasserpfeife, da schüttelten sie die Köpfe und sprachen: »Wahrlich, der
reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist ärmer, als der
nichts hat. Denn der Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu
genießen.« So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.

Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses unter
den Palmen saß, umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und
einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige
junge Leute, betrachteten ihn und lachten.

»Wahrlich,« sprach der eine, »das ist ein törichter Mann, der Scheik
Ali Banu. Hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. Alle
Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden. Meine Freunde müßten bei
mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel und Lachen
müßten diese traurigen Hallen füllen.«

»Ja,« erwiderte ein anderer, »das wäre nicht so übel, aber viele
Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans,
den der Prophet segne. Aber säße ich abends so unter den Palmen auf
dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und
musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und
allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht vornehm
die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbett reichen und
ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad.«

»Der Scheik,« sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber
war, »der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, und wirklich,
seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit in allen
Dichtern und Schriften der Weisheit. Aber ist auch sein Leben so
eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt? Dort steht ein
Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen, ich gäbe mein Festkleid dafür,
nur eine davon lesen zu dürfen, denn es sind gewiß seltene Sachen. Aber
er! Er sitzt und raucht und läßt Bücher -- Bücher sein. Wäre ich der
Scheik Ali Banu, der Kerl müßte mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr
hätte oder bis die Nacht heraufkäme. Und auch dann noch müßte er mir
lesen, bis ich entschlummert wäre.«

»Ha! Ihr wüßt mir recht, wie man sich ein köstliches Leben einrichtet,«
lachte der vierte. »Essen und trinken, singen und tanzen, Sprüche lesen
und Gedichte hören von armseligen Dichtern! Nein, ich würde es ganz
anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die
Menge. Da würde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt
Ende, und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg
wäre mir zu weit, um die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich
tun, wäre ich jener Mann dort.«

»Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist,«
sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen stand
und ihre Reden gehört hatte. »Aber erlaubet mir, daß ich es sage, die
Jugend ist auch töricht und schwatzt hie und da in den Tag hinein, ohne
zu wissen, was sie tut.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Alter?« fragten verwundert die jungen
Leute. »Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, daß wir die
Lebensart des Scheik tadeln?«

»Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen
Irrtum, so will es der Prophet,« erwiderte der alte Mann. »Der Scheik,
es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das Herz
verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. Meinet ihr,
er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor fünfzehn Jahren
gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle und lebte fröhlich
und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, die Freude seiner
Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und sprechen hörte, mußte
den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er war erst zehn Jahre alt,
und doch war er schon so gelehrt wie ein anderer kaum im achtzehnten.«

»Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!« rief der junge Schreiber.

»Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die
Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria.
Aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer. Es war damals die
Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser Land und
Krieg mit uns führten. Sie hatten Alessandria überwältigt und zogen
von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die Mamelucken. Der
Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit ihnen zu vertragen.
Aber sei es, weil sie lüstern waren nach seinen Schätzen, sei es,
weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich weiß es nicht genau;
kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und beschuldigten ihn, die
Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und Lebensmitteln unterstützt
zu haben. Er mochte seine Unschuld beweisen, wie er wollte, es half
nichts, denn die Franken sind ein rohes, hartherziges Volk, wenn es
darauf ankommt, Geld zu erpressen. Sie nahmen also seinen jungen Sohn,
Kairam geheißen, als Geisel in ihr Lager. Er bot ihnen viel Gold für
ihn, aber sie gaben ihn nicht los und wollten ihn zu noch höherem Gebot
steigern. Da kam ihnen auf einmal von ihrem Bassa oder was er war,
der Befehl, sich einzuschiffen. Niemand in Alessandria wußte ein Wort
davon, und -- plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen
Kairam, Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie
wieder etwas von ihm gehört.«

»O der arme Mann! wie hat ihn doch Allah geschlagen!« riefen einmütig
die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der,
umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß.

»Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren
Sohn. Er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog
den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach
Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie schifften
sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen endlich in das
Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in Alessandria gewesen waren.
Aber dort soll es gerade schrecklich zugegangen sein. Sie hatten ihren
Sultan umgebracht, und die Bassa und die Reichen und Armen schlugen
einander die Köpfe ab, und es war keine Ordnung im Lande. Vergeblich
suchten sie in jeder Stadt nach dem kleinen Kairam, niemand wollte von
ihm wissen, und der fränkische Doktor riet endlich dem Scheik, sich
einzuschiffen, weil sie sonst wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten.

So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik
gelebt wie an diesem Tage, denn er trauert um seinen Sohn, und er
hat recht. Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken: jetzt muß
vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten? Und wenn er sich
bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie es sein Amt und
seine Würde will, muß er nicht denken: jetzt hat er wohl nichts,
womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von Sängern und
Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht, jetzt muß
wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge vormachen und
musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den größten Kummer macht,
er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom Lande seiner Väter und
mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, abtrünnig werden vom
Glauben seiner Väter, und er werde ihn einst nicht umarmen können in
den Gärten des Paradieses!

Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen
an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz
seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln.
Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn
entrissen wurde, zwölf Sklaven frei.«

»Davon habe ich auch schon gehört,« entgegnete der Schreiber. »Aber man
trägt sich mit wunderlichen Reden. Von seinem Sohn wurde dabei nichts
erwähnt, wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und ganz
besonders erpicht auf Erzählungen. Da soll er jedes Jahr unter seinen
Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, den gibt
er frei.«

»Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute,« sagte der alte Mann;
»es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es genau; möglich ist, daß
er sich an diesem schweren Tage aufheitern will und sich Geschichten
erzählen läßt; doch gibt er sie frei um seines Sohnes willen. Doch der
Abend wird kühl und ich muß weitergehen. ~Salem aleikum~, Friede sei
mit euch, ihr jungen Herren, und denket in Zukunft besser von dem guten
Scheik.«

Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten noch
einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, indem sie
zueinander sprachen: »Ich möchte doch nicht der Scheik Ali Banu sein.«

       *       *       *       *       *

Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über
den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die
Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen. Da fiel ihnen der
alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den
Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als sie
dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden! Von dem Dache, wo
geputzte Sklavinnen spazieren gingen, wehten Wimpel und Fahnen, die
Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff
schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe
gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes, feines Tuch
ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid
oder zu einer Decke für die Füße.

»Ei, wie hat sich doch der Scheik geändert in den wenigen Tagen!«
sprach der junge Schreiber; »will er ein Fest geben? will er seine
Sänger und Tänzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! hat sie einer
so schön in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen Boden,
wahrlich, es ist schade dafür!«

»Weißt du, was ich denke?« sprach ein anderer. »Er empfängt sicherlich
einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie macht, wenn
ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des Großherrn ein
Haus mit seinem Besuche segnet. Wer mag wohl heute hierher kommen?«

»Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der weiß
ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können. Heda! Alter Herr!
Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?« So riefen sie, der alte Mann
aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er erkannte sie als die
jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen gesprochen. Sie machten
ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause des Scheik und fragten ihn,
ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl erwartet werde?

»Ihr glaubt wohl,« erwiderte er, »Ali Banu feiere ein großes
Freudenfest, oder ein Besuch eines großen Mannes beehre sein Haus? Dem
ist nicht also; aber heute ist der zwölfte Tag des Monats Ramadan, wie
ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt.«

»Aber beim Bart des Propheten!« rief einer der jungen Leute, »das sieht
ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es sein
berühmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der Scheik
ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand.«

»Urteilet Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?« fragte der
Alte lächelnd. »Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf,
die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom
Ziele geschossen. Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet.«

»So ist er gefunden?« riefen die Jünglinge und freuten sich.

»Nein, und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: vor acht
oder zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen
diesen Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speisete und
tränkte, da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und
matt im Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ. Der
Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen und
im Sterndeuten. Der trat, als er gestärkt war durch die milde Hand des
Scheiks, zu ihm und sprach: ›Ich kenne die Ursache deines Kummers;
ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an diesem Tage
deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der Trauer wird
dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird einst dein
Sohn zurückkehren.‹ So sprach der Derwisch. Es wäre Sünde für jeden
Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; der Gram Alis
wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er an diesem Tage
immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein Haus und seine
Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde anlangen.«

»Wunderbar!« erwiderte der Schreiber. »Aber zusehen möchte ich
doch, wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser
Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören, wie er sich
von seinen Sklaven erzählen läßt.«

»Nichts leichter als dies,« antwortete der Alte. »Der Aufseher der
Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir
an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, wo man unter der Menge
der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. Ich
will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu vier, und
da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf diesen Platz,
und ich will euch Antwort geben.«

So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten
sich, voll Begierde, zu sehen, wie sich dies alles begeben würde.

Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des Scheik
und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der Sklaven
erlaubt habe, sie einzuführen. Er ging voran, doch nicht durch die
reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein Seitenpförtchen,
das er sorgfältig wieder verschloß. Dann führte er sie durch mehrere
Gänge, bis sie in den großen Saal kamen. Hier war ein großes Gedränge
von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer, angesehene Herren
der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen waren, ihn in seinem
Schmerz zu trösten. Da waren Sklaven aller Art und aller Nationen.
Aber alle sahen kummervoll aus, denn sie liebten ihren Herrn und
trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem reichen Diwan, saßen
die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den Sklaven bedient. Neben
ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die Trauer um seinen Sohn
erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude zu sitzen. Er hatte
sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig auf die Tröstungen
zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten. Ihm gegenüber saßen
einige alte und junge Männer in Sklaventracht. Der Alte belehrte seine
jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die Ali Banu an diesem Tage
freigebe. Es waren unter ihnen auch einige Franken, und der Alte machte
besonders auf einen von ihnen aufmerksam, der von ausgezeichneter
Schönheit und noch sehr jung war. Der Scheik hatte ihn erst einige Tage
zuvor einem Sklavenhändler von Tunis um eine große Summe abgekauft und
gab ihn dennoch jetzt schon frei, weil er glaubte, je mehr Franken er
in ihr Vaterland zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen
Sohn erlösen.

Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik
dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward
tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen
werden sollten, und sprach mit vernehmlicher Stimme: »Ihr Männer, die
ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des
Scheik von Alessandria, tut nun, wie es Sitte ist an diesem Tag in
seinem Hause, und hebet an zu erzählen.« Sie flüsterten untereinander.
Dann aber nahm ein alter Sklave das Wort und fing an zu erzählen:



Der Zwerg Nase.


Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zuzeiten
Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und Zauberer
gegeben, oder die gar behaupten, jene Berichte von dem Treiben der
Genien und ihrer Fürsten, welche man von den Erzählern auf den Märkten
der Stadt hört, seien unwahr. Noch heute gibt es Feen, und es ist nicht
so lange her, daß ich selbst Zeuge einer Begebenheit war, wo offenbar
die Genien im Spiel waren, wie ich Euch berichten werde.

In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands,
lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und
recht. Er saß bei Tag an der Ecke der Straße und flickte Schuhe und
Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche anvertrauen
mochte; doch mußte er dann das Leder erst einkaufen, denn er war arm
und hatte keine Vorräte. Seine Frau verkaufte Gemüse und Früchte, die
sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte, und viele Leute
kauften gern bei ihr, weil sie reinlich und sauber gekleidet war und
ihr Gemüse auf gefällige Art auszubreiten und zu legen wußte.

Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht,
wohlgestaltet und für das Alter von acht Jahren schon ziemlich groß.
Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen,
und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau eingekauft
hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach Hause, und selten
kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine schöne Blume oder ein
Stückchen Geld oder Kuchen; denn die Herrschaften dieser Köche sahen
es gern, wenn man den schönen Knaben mit nach Hause brachte, und
beschenkten ihn immer reichlich.

Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich auf dem
Markte; sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl und anderem Gemüse,
allerlei Kräuter und Sämereien, auch in einem kleineren Körbchen frühe
Birnen, Aepfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hieß der Knabe,
saß neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: »Hierher, ihr
Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend diese Kräuter; frühe
Birnen, ihr Frauen, frühe Aepfel und Aprikosen, wer kauft? Meine Mutter
gibt es wohlfeil.« So rief der Knabe. Da kam ein altes Weib über den
Markt her; sie sah etwas zerrissen und zerlumpt aus, hatte ein kleines
spitziges Gesicht, vom Alter ganz eingefurcht, rote Augen und eine
spitzige, gebogene Nase, die gegen das Kinn hinabstrebte; sie ging an
einem langen Stock, und doch konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn
sie hinkte und rutschte und wankte, es war, als habe sie Räder in den
Beinen und könne alle Augenblicke umstülpen und mit der spitzigen Nase
aufs Pflaster fallen.

Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren
jetzt doch schon sechzehn Jahre, daß sie täglich auf dem Markte saß,
und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt. Aber sie erschrak
unwillkürlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren Körben stille
stand.

»Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?« fragte das alte Weib mit
unangenehmer, krächzender Stimme, indem sie beständig den Kopf hin und
her schüttelte.

»Ja, die bin ich,« antwortete die Schustersfrau; »ist Euch etwas
gefällig?«

»Wollen sehen, wollen sehen! Kräutlein schauen, Kräutlein schauen; ob
du hast, was ich brauche?« antwortete die Alte, beugte sich nieder vor
den Körben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, häßlichen Händen in den
Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die so schön und zierlich
ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte sie dann
eines um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie hin und
her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz abdrücken, wie sie
das alte Weib also mit ihren seltenen Kräutern hantieren sah; aber sie
wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht des Käufers, die Ware
zu prüfen, und überdies empfand sie ein sonderbares Grauen vor dem
Weibe. Als jene den ganzen Korb durchgemustert hatte, murmelte sie:
»Schlechtes Zeug, schlechtes Kraut, nichts von allem, was ich will, war
viel besser vor fünfzig Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!«

Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. »Höre, du bist ein
unverschämtes altes Weib,« rief er unmutig; »erst fährst du mit deinen
garstigen braunen Fingern in die schönen Kräuter hinein und drückst
sie zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, daß sie niemand
mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch unsere Ware
schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des Herzogs alles bei
uns!«

Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und
sprach mit heiserer Stimme: »Söhnchen, Söhnchen! Also gefällt dir
meine Nase, meine schöne, lange Nase? Sollst auch eine haben mitten
im Gesicht bis übers Kinn herab.« Während sie so sprach, rutschte
sie an den anderen Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die
herrlichsten weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie zusammen, daß
sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und sprach
auch hier: »Schlechte Ware, schlechter Kohl!«

»Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her,« rief der Kleine
ängstlich, »dein Hals ist ja so dünn wie ein Kohlstengel, der könnte
leicht abbrechen und dann fiele dein Kopf in den Korb hinein; wer
wollte dann noch kaufen?«

»Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?« murmelte die Alte lachend.
»Sollst gar keinen haben, Kopf muß in den Schultern stecken, daß er
nicht herabfällt vom kleinen Körperlein!«

»Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen da,« sagte
endlich die Frau des Schusters im Unmut über das lange Prüfen, Mustern
und Beriechen, »wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, Ihr
verscheucht mir ja die andern Kunden.«

»Gut, es sei, wie du sagst,« rief die Alte mit grimmigem Blick, »ich
will dir diese sechs Kohlhäupter abkaufen; aber siehe, ich muß mich auf
den Stab stützen und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein, daß
es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafür belohnen.«

Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte, denn ihm graute vor der
häßlichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es
doch für eine Sünde hielt, der alten, schwächlichen Frau diese Last
allein aufzubürden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die
Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weib über den
Markt hin.

Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei
Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam
und endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause stillhielt. Dort zog
sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit geschickt
in ein kleines Loch in der Türe, und plötzlich sprang diese krachend
auf. Aber wie war der kleine Jakob überrascht, als er eintrat! Das
Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von Marmor waren die
Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten Ebenholz, mit
Gold und geschliffenen Steinen eingelegt, der Boden aber war von Glas
und so glatt, daß der Kleine einigemal ausgleitete und umfiel. Die
Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und pfiff eine
Weise darauf, die gellend durch das Haus tönte. Da kamen sogleich
einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es aber ganz
sonderbar dünken, daß sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, Nußschalen
statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider angelegt und
sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe gesetzt hatten. »Wo
habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?« rief die Alte und
schlug mit dem Stock nach ihnen, daß sie jammernd in die Höhe sprangen,
»wie lange soll ich noch so dastehen?«

Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar
Schalen von Kokosnuß, mit Leder gefüttert, welche sie der Alten
geschickt an die Füße steckten.

Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von sich
und gleitete mit großer Schnelligkeit über den Glasboden hin, indem sie
den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog. Endlich hielt sie in einem
Zimmer stille, das mit allerlei Gerätschaften ausgeputzt, beinahe einer
Küche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz, und die Sofas, mit
reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach paßten. »Setze
dich, Söhnchen,« sagte die Alte recht freundlich, indem sie ihn in die
Ecke eines Sofas drückte und einen Tisch also vor ihn hinstellte, daß
er nicht mehr hervorkommen konnte. »Setze dich, du hast gar schwer zu
tragen gehabt, die Menschenköpfe sind nicht so leicht, nicht so leicht.«

»Aber Frau, was sprecht Ihr so wunderlich?« rief der Kleine, »müde bin
ich zwar, aber es waren ja Kohlköpfe, die ich getragen; Ihr habt sie
meiner Mutter abgekauft.«

»Ei, das weißt du falsch,« lachte das Weib, deckte den Deckel des
Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf
gefaßt hatte. Der Kleine war vor Schrecken außer sich; er konnte nicht
fassen, wie dies alles zuging, aber er dachte an seine Mutter; wenn
jemand von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde, dachte er bei
sich, da würde man gewiß meine Mutter dafür anklagen.

»Muß dir nun auch etwas geben zum Lohn, daß du so artig bist,«
murmelte die Alte, »gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein
Süppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst.« So
sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen
in menschlichen Kleidern; sie hatten Küchenschürzen umgebunden und
im Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge
Eichhörnchen hereingehüpft; sie hatten weite türkische Beinkleider
an, gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von
Samt. Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten
mit großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und brachten Pfannen
und Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter und Mehl herab und trugen es
auf den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von
Kokosschalen beständig hin und her, und der Kleine sah, daß sie es sich
recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt knisterte
das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der Pfanne, ein
angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer, die Alte aber rannte auf
und ab, die Eichhörnchen und Meerschweine ihr nach, und so oft sie am
Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase in den Topf. Endlich
fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf stieg aus dem Topf hervor,
und der Schaum floß herab ins Feuer. Da nahm sie ihn weg, goß davon in
eine silberne Schale und setzte sie dem kleinen Jakob vor.

»So, Söhnchen, so,« sprach sie, »iß nur dieses Süppchen, dann hast du
alles, was dir an mir so gefallen. Sollst auch ein geschickter Koch
werden, daß du doch etwas bist, aber Kräutlein, nein, das Kräutlein
sollst du nimmer finden, warum hat es deine Mutter nicht in ihrem
Korb gehabt?« Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto
aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich schmeckte.
Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise bereitet, aber so gut
war ihm noch nichts geworden. Der Duft von feinen Kräutern und Gewürzen
stieg aus der Suppe auf, dabei war sie süß und säuerlich zugleich und
sehr stark. Während er noch die letzten Tropfen der köstlichen Speise
austrank, zündeten die Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in
bläulichen Wolken durch das Zimmer schwebte, dichter und immer dichter
wurden diese Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauches wirkte
betäubend auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte,
daß er zu seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich ermannte, sank
er immer wieder von neuem in den Schlummer zurück und schlief endlich
wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein.

Sonderbare Träume kamen über ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte
seine Kleider aus und umhülle ihn dafür mit einem Eichhörnchenbalg.
Jetzt konnte er Sprünge machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er
ging mit den übrigen Eichhörnchen und Meerschweinen, die sehr artige,
gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei der alten
Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines Schuhputzers gebraucht,
d. h. er mußte die Kokosnüsse, welche die Frau statt der Pantoffeln
trug, mit Oel salben und durch Reiben glänzend machen. Da er nun in
seines Vaters Hause zu ähnlichen Geschäften oft angehalten worden war,
so ging es ihm flink von der Hand; etwa nach einem Jahre, träumte er
weiter, wurde er zu einem feineren Geschäft gebraucht; er mußte nämlich
mit noch einigen Eichhörnchen Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie
genug hatten, solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt
nämlich die Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil sie nicht
gut beißen konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so ließ sie sich
ihr Brot aus Sonnenstäubchen zubereiten.

Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das
Trinkwasser für die Alte sammelten. Man denke nicht, daß sie sich
hierzu etwa eine Zisterne hätte graben lassen oder ein Faß in den Hof
stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner
zu; die Eichhörnchen, und Jakob mit ihnen, mußten mit Haselnußschalen
den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser der
Alten. Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger
schwere Arbeit. Nach einem Jahre wurde er zum innern Dienst des Hauses
bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden rein zu machen; da nun
diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war es keine geringe
Arbeit. Sie mußten sie bürsten und altes Tuch an die Füße schnallen
und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten Jahre ward
er endlich zur Küche versetzt. Es war dies ein Ehrenamt, zu welchem
man nur nach langer Prüfung gelangen konnte. Jakob diente dort vom
Küchenjungen aufwärts bis zum ersten Pastetenmacher und erreichte
eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, was die
Küche betrifft, daß er sich oft über sich selbst wundern mußte;
die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei Essenzen,
Kräutersuppen, von allen Kräutlein der Erde zusammengesetzt, alles
lernte er, alles verstand er schnell und kräftig zu machen.

So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da
befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb
und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er solle ein Hühnlein
rupfen, mit Kräutern füllen und solches schön bräunlich und gelb
rösten, bis sie wiederkäme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. Er
drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in heißem Wasser, zog ihm
geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, daß sie glatt
und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann fing er
an, die Kräuter zu sammeln, womit er das Hühnlein füllen sollte. In
der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein Wandschränkchen, dessen
Türe halb geöffnet war, und das er sonst nie bemerkt hatte. Er ging
neugierig näher, um zu sehen, was es enthalte, und siehe da, es standen
viele Körbchen darinnen, von welchen ein starker, angenehmer Geruch
ausging. Er öffnete eines dieser Körbchen und fand darin Kräutlein
von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die Stengel und Blätter waren
blaugrün und trugen oben eine kleine Blume von brennendem Rot mit Gelb
verbrämt; er betrachtete sinnend diese Blume, beroch sie, und sie
strömte denselben starken Geruch aus, von dem einst jene Suppe, die ihm
die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber so stark war der Geruch, daß er
zu niesen anfing, immer heftiger niesen mußte und -- am Ende niesend
erwachte.

Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher.
»Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!« sprach er zu sich. »Hätte
ich jetzt doch schwören wollen, daß ich ein schnödes Eichhörnchen,
ein Kamerade von Meerschweinen und anderem Ungeziefer, dabei aber ein
großer Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, wenn ich ihr
alles erzähle! Aber wird sie nicht auch schmälen, daß ich in einem
fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem Markte?« Mit
diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; noch waren seine
Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein Nacken, denn er konnte
den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er mußte auch selbst über
sich lächeln, daß er so schlaftrunken war, denn alle Augenblicke,
ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase an einen Schrank oder
an die Wand oder schlug sie, wenn er sich schnell umwandte, an einen
Türpfosten. Die Eichhörnchen und Meerschweinchen liefen winselnd um ihn
her, als wollten sie ihn begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als
er auf der Schwelle war, denn es waren niedliche Tierchen, aber sie
fuhren auf ihren Nußschalen schnell ins Haus zurück, und er hörte sie
nur noch in der Ferne heulen.

Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die
Alte geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen
herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge; denn es mußte sich,
wie ihm dünkte, gerade in der Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall
hörte er rufen: »Ei, seht den häßlichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg her?
Ei, was hat er doch für eine lange Nase, und wie ihm der Kopf in den
Schultern steckt, und die braunen, häßlichen Hände!« Zu einer andern
Zeit wäre er wohl auch nachgelaufen, denn er sah für sein Leben gern
Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so mußte er sich
sputen, um zur Mutter zu kommen.

Es war ihm ganz ängstlich zu Mut, als er auf den Markt kam. Die Mutter
saß noch da und hatte noch ziemlich viele Früchte im Korb, lange konnte
er also nicht geschlafen haben, aber doch kam es ihm von weitem schon
vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die Vorübergehenden nicht
an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die Hand gestützt, und als
er näher kam, glaubte er auch, sie sei bleicher als sonst. Er zauderte,
was er tun sollte; endlich faßte er sich ein Herz, schlich sich
hinter sie hin, legte traulich seine Hand auf ihren Arm und sprach:
»Mütterchen, was fehlt dir? Bist du böse auf mich?«

Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des
Entsetzens zurück: »Was willst du von mir, häßlicher Zwerg!« rief sie.
»Fort, fort! Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden.«

»Aber Mutter, was hast du denn?« fragte Jakob ganz erschrocken; »dir
ist gewiß nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir jagen?«

»Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!« entgegnete Frau Hanne
zürnend. »Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien,
häßliche Mißgeburt.«

»Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!« sprach der
Kleine bekümmert zu sich; »was fange ich nur an, um sie nach Haus zu
bringen? Lieb Mütterchen, sei doch nur vernünftig; sieh mich doch nur
recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob.«

»Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt,« rief Hanne ihrer
Nachbarin zu; »seht nur den häßlichen Zwerg da, da steht er und
vertreibt mir gewiß alle Käufer, und mit meinem Unglück wagt er zu
spotten. Spricht zu mir: ich bin ja dein Sohn, dein Jakob -- der
Unverschämte!«

Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg sie
konnten, und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es, und schalten
ihn, daß er des Unglückes der armen Hanne spotte, der vor sieben Jahren
ihr bildschöner Knabe gestohlen worden sei, und drohten insgesamt, über
ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn er nicht alsobald ginge.

Der arme Jakob wußte nicht, was er von diesem allem denken sollte. War
er doch, wie er glaubte, heute früh, wie gewöhnlich, mit der Mutter
auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte aufstellen helfen, war
nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Süppchen
verzehrt, ein kleines Schläfchen gemacht und war jetzt wieder da;
und doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren!
Und sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm
vorgegangen? -- Als er sah, daß die Mutter gar nichts mehr von ihm
hören wollte, traten ihm die Tränen in die Augen, und er ging trauernd
die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag über Schuhe
flickte. »Ich will doch sehen,« dachte er bei sich, »ob er mich auch
nicht kennen will; unter die Türe will ich mich stellen und mit ihm
sprechen.« Als er an der Bude des Schusters angekommen war, stellte er
sich unter die Türe und schaute hinein. Der Meister war so emsig mit
seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn gar nicht sah; als er aber einmal
zufällig einen Blick nach der Türe warf, ließ er Schuhe, Draht und
Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: »Um Gottes willen,
was ist das, was ist das!«

»Guten Abend, Meister!« sprach der Kleine, indem er vollends in den
Laden trat, »wie geht es Euch?«

»Schlecht, schlecht, kleiner Herr!« antwortete der Vater, zu Jakobs
großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. »Das
Geschäft will mir nicht recht von der Hand. Bin so allein und werde
jetzt alt, und doch ist mir ein Geselle zu teuer.«

»Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand
gehen könnte bei der Arbeit?« forschte der Kleine weiter.

»Ich hatte einen, er hieß Jakob, und müßte jetzt ein schlanker,
gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die
Arme greifen könnte. Ha! das müßte ein Leben sein; schon als er zwölf
Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und verstand
schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er auch; der
hätte mir eine Kundschaft hergelockt, daß ich bald nicht mehr geflickt,
sondern nichts als Neues geliefert hätte! Aber so geht's in der Welt!«

»Wo ist denn aber Euer Sohn?« fragte Jakob mit zitternder Stimme seinen
Vater.

»Das weiß Gott,« antwortete er; »vor sieben Jahren, ja, so lange ist's
jetzt her, wurde er uns vom Markt weggestohlen.«

»Vor _sieben Jahren_?!« rief Jakob mit Entsetzen.

»Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie mein
Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den ganzen
Tag nicht zurückgekommen, sie habe überall geforscht und gesucht und es
nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, daß es so kommen
würde; der Jakob war ein schönes Kind, das muß man sagen, da war nun
meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die Leute lobten,
und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in vornehme Häuser.
Das war schon recht; er wurde allemal reichlich beschenkt; aber, sagte
ich, gib acht! die Stadt ist groß; viele schlechte Leute wohnen da, gib
mir auf den Jakob acht! Und so war es, wie ich sagte. Kommt einmal ein
altes, häßliches Weib auf den Markt, feilscht um Früchte und Gemüse und
kauft am Ende so viel, daß sie es nicht selbst tragen kann. Mein Weib,
die mitleidige Seele, gibt ihr den Jungen mit und -- hat ihn zur Stunde
nicht mehr gesehen.«

»Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?«

»Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen ihn ausrufen, wir gingen
von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den hübschen Jungen gekannt
und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles vergeblich. Auch die
Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte niemand kennen; aber ein
steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre gelebt hatte, sagte, es könne
wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen sein, die alle fünfzig Jahre
einmal in die Stadt komme, um sich allerlei einzukaufen.«

So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und
zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde
es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, daß er nämlich
nicht geträumt, sondern daß er sieben Jahre bei der bösen Fee als
Eichhörnchen gedient habe. Zorn und Gram erfüllten sein Herz so
sehr, daß es beinahe zersprengen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend
hatte ihm die Alte gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür? Daß
er Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, daß er ein Zimmer mit
gläsernem Fußboden rein machen konnte? Daß er von den Meerschweinchen
alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile so
da und dachte über sein Schicksal nach, da fragte ihn endlich sein
Vater: »Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger
Herr? etwa ein Paar neue Pantoffeln, oder,« setzte er lächelnd hinzu,
»vielleicht ein Futteral für Eure Nase?«

»Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?« sagte Jakob, »warum sollte ich
denn ein Futteral dazu brauchen?«

»Nun,« entgegnete der Schuster, »jeder nach seinem Geschmack; aber das
muß ich Euch sagen, hätte ich diese schreckliche Nase, ein Futteral
ließ' ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. Schaut, da
habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde man eine Elle
wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut wäret Ihr verwahrt, kleiner
Herr; so, weiß ich gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem Türpfosten, an jedem
Wagen, dem Ihr ausweichen wollet.«

Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er betastete seine Nase, sie
war dick und wohl zwei Hände lang! So hatte also die Alte auch seine
Gestalt verwandelt; darum kannte ihn also die Mutter nicht, darum
schalt man ihn einen häßlichen Zwerg! »Meister!« sprach er halb weinend
zu dem Schuster, »habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin ich mich
beschauen könnte?«

»Junger Herr,« erwiderte der Vater mit Ernst, »Ihr habt nicht gerade
eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen könnte, und Ihr habt
nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewöhnt es Euch
ab, es ist besonders bei Euch eine lächerliche Gewohnheit.«

»Ach, so laßt mich doch in den Spiegel schauen,« rief der Kleine,
»gewiß, es ist nicht aus Eitelkeit!«

»Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen; meine Frau hat ein
Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo sie es verborgen. Müßt Ihr aber
durchaus in den Spiegel gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban,
der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer Kopf;
gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!«

Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus,
schloß die Türe hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der
Kleine aber ging sehr niedergeschlagen über die Straße zu Urban, dem
Barbier, den er noch aus früheren Zeiten wohl kannte. »Guten Morgen,
Urban,« sprach er zu ihm, »ich komme, Euch um eine Gefälligkeit zu
bitten, seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel schauen.«

»Mit Vergnügen, dort steht er,« rief der Barbier lachend, und seine
Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. »Ihr
seid ein hübsches Bürschchen, schlank und fein, ein Hälschen wie ein
Schwan, Händchen wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann es
nicht schöner sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr;
aber beschauet Euch immer, man soll nicht von mir sagen, ich habe Euch
aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen.«

So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter füllte die Baderstube.
Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich
beschaut. Tränen traten ihm in die Augen. »Ja, so konntest du freilich
deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter,« sprach er zu sich,
»so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du gerne mit
ihm prangtest vor den Leuten!« Seine Augen waren klein geworden, wie
die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über Mund und
Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen worden zu sein,
denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den größten
Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen; sein Körper war noch
so groß als vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt war, aber wenn
andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe wachsen, so wuchs
er in die Breite, der Rücken und die Brust waren weit ausgebogen und
waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick gefüllter Sack; dieser
dicke Oberleib saß auf kleinen, schwachen Beinchen, die dieser Last
nicht gewachsen schienen, aber um so größer waren die Arme, die ihm am
Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie die eines wohlgewachsenen
Mannes, seine Hände waren grob und braungelb, seine Finger lang und
spinnenartig, und wenn er sie recht ausstreckte, konnte er damit auf
den Boden reichen, ohne daß er sich bückte. So sah er aus, der kleine
Jakob, zum mißgestalteten Zwerg war er geworden.

Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an
die Körbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr
getadelt hatte, die lange Nase, die häßlichen Finger, alles hatte sie
ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gänzlich
weggelassen.

»Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?« sagte der
Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. »Wahrlich,
wenn man sich dergleichen träumen lassen wollte, so komisch könnte es
einem im Traum nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen Vorschlag
machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr besucht, aber
doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wünsche. Das kommt daher, weil
mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen Riesen aufgefunden
hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein Riese zu werden, ist
gerade keine Kunst, aber so ein Männchen wie Ihr, ja, das ist schon ein
ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung,
Essen, Trinken, Kleider, alles sollt Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch
morgens unter meine Türe und ladet die Leute ein, hereinzukommen; Ihr
schlaget den Seifenschaum, reichet den Kunden das Handtuch, und seid
versichert, wir stehen uns beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als
jener mit dem Riesen, und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld.«

Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag, als
Lockvogel für einen Barbier zu dienen. Aber mußte er sich nicht diesen
Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher ganz
ruhig, daß er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging weiter.

Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt, so hatte sie
doch seinem Geist nichts anhaben können, das fühlte er wohl; denn er
dachte und fühlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan, nein, er
glaubte, in diesem Zeitraum weiser, verständiger geworden zu sein; er
trauerte nicht um seine verlorene Schönheit, nicht über diese häßliche
Gestalt, sondern nur darüber, daß er wie ein Hund von der Türe seines
Vaters gejagt werde. Darum beschloß er, noch einen Versuch bei seiner
Mutter zu machen.

Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören. Er
erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weib gegangen,
er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner Kindheit, erzählte
ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen gedient habe bei der
Fee, und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt. Die
Frau des Schusters wußte nicht, was sie denken sollte. Alles traf zu,
was er ihr von seiner Kindheit erzählte, aber wenn er davon sprach,
daß er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da sagte sie:
»Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen,« und wenn sie ihn ansah,
so verabscheute sie den häßlichen Zwerg und glaubte nicht, daß dies
ihr Sohn sein könne. Endlich hielt sie es fürs beste, mit ihrem Manne
darüber zu sprechen. Sie raffte also ihre Körbe zusammen und hieß ihn
mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters.

»Sieh einmal,« sprach sie zu diesem, »der Mensch da will unser
verlorener Jakob sein. Er hat mir alles erzählt, wie er uns vor sieben
Jahren gestohlen wurde, und wie er von einer Fee bezaubert worden sei.«

»So?« unterbrach sie der Schuster mit Zorn, »hat er dir dies erzählt?
Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzählt noch vor einer Stunde, und
jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Bezaubert bist du worden, mein
Söhnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern.« Dabei nahm er
einen Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang auf den
Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken und auf die langen Arme,
daß der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend davonlief.

In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige Seelen, die
einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches an sich trägt,
unterstützten. Daher kam es, daß der unglückliche Zwerg den ganzen Tag
ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, so
hart und kalt sie waren, zum Nachtlager wählen mußte.

Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne
erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie er sein Leben
fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen. Er fühlte sich zu
stolz, um als Aushängeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte
nicht zu einem Possenreißer sich verdingen und sich um Geld sehen
lassen; was sollte er anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, daß er
als Eichhörnchen große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; er
glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, daß er es mit manchem Koch
aufnehmen könne; er beschloß, seine Kunst zu benützen.

Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz
heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein
Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes,
o Herr! war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel
liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem Palast
begab sich der Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam, fragten die
Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit ihm; er aber
verlangte nach dem Oberküchenmeister. Sie lachten und führten ihn durch
die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener stehen, schauten
nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so daß nach und nach
ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die Treppe des Palastes
hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre Striegel weg, die Läufer
liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter vergaßen die Teppiche
auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es war ein Gewühl, als sei
der Feind vor den Toren, und das Geschrei: »Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt
ihr den Zwerg gesehen?« füllte die Lüfte.

Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine
ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe. »Um des Himmels willen,
ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm! Wisset ihr nicht, daß der Herr
noch schläft?« und dabei schwang er die Geißel und ließ sie unsanft
auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhüter niederfallen. »Ach,
Herr!« riefen sie, »seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen Zwerg,
einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen.« Der Aufseher des Palastes
zwang sich mit Mühe, nicht laut aufzulachen, als er des Kleinen
ansichtig wurde; denn er fürchtete, durch Lachen seiner Würde zu
schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die übrigen hinweg, führte den
Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. Als er hörte, jener
wolle zum Küchenmeister, erwiderte er: »Du irrst dich, mein Söhnchen!
Zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du willst Leibzwerg werden
beim Herzog; ist es nicht also?«

»Nein, Herr!« antwortete der Zwerg. »Ich bin ein geschickter
Koch und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum
Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen.«

»Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; übrigens bist du doch ein
unbesonnener Junge. In die Küche? Als Leibzwerg hättest du keine Arbeit
gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schöne Kleider. Doch,
wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so weit reichen, als
ein Mundkoch des Herrn nötig hat, und zum Küchenjungen bist du zu gut.«
Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher des Palastes bei der Hand und
führte ihn in die Gemächer des Oberküchenmeisters.

»Gnädiger Herr!« sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief,
daß er mit der Nase den Fußteppich berührte, »brauchet ihr keinen
geschickten Koch?«

Der Oberküchenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen,
brach dann in lautes Lachen aus und sprach: »Wie?« rief er, »du ein
Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, daß du nur auf einen
hinaufschauen kannst, wenn du dich auf die Zehen stellst und den Kopf
recht aus den Schultern herausarbeitest? O, lieber Kleiner! Wer dich
zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat dich zum
Narren gehabt.« So sprach der Oberküchenmeister und lachte weidlich,
und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und alle Diener, die im
Zimmer waren.

Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Was liegt
an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und
Gewürze in einem Hause, wo man dessen genug hat?« sprach er. »Gebet
mir irgend eine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was
ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein,
und Ihr sollet sagen müssen: er ist ein Koch nach Regel und Recht.«
Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es war wunderlich
anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Aeuglein hervorblitzte,
wie seine lange Nase sich hin und her schlängelte und seine dünnen
Spinnenfinger seine Rede begleiteten. »Wohlan!« rief der Küchenmeister
und nahm den Aufseher des Palastes unter dem Arme, »wohlan, es sei
um des Spaßes willen; lasset uns zur Küche gehen.« Sie gingen durch
mehrere Säle und Gänge und kamen endlich in die Küche. Es war dies
ein großes, weitläufiges Gebäude, herrlich eingerichtet; auf zwanzig
Herden brannten beständig Feuer, ein klares Wasser, das zugleich zum
Fischbehälter diente, floß mitten durch sie, in Schränken von Marmor
und köstlichem Holz waren die Vorräte aufgestellt, die man immer
zur Hand haben mußte, und zur Rechten und Linken waren zehn Säle,
in welchen alles aufgespeichert war, was man in allen Ländern von
Frankistan und selbst im Morgenlande Köstliches und Leckeres für den
Gaumen erfunden. Küchenbedienten aller Art liefen umher und rasselten
und hantierten mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumlöffeln;
als aber der Oberküchenmeister in die Küche eintrat, blieben sie alle
regungslos stehen, und nur das Feuer hörte man noch knistern und das
Bächlein rieseln.

»Was hat der Herr heute zum Frühstück befohlen?« fragte der Meister den
ersten Frühstückmacher, einen alten Koch.

»Herr! Die dänische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger
Klößchen.«

»Gut,« sprach der Küchenmeister weiter; »hast du gehört, was der Herr
speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu bereiten?
Die Klößchen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist ein Geheimnis.«

»Nichts leichter als dies,« erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der
Zwerg, denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen oft gemacht,
»nichts leichter, man gebe mir zu der Suppe die und die Kräuter, dies
und jenes Gewürz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und Eier; zu
den Klößchen aber,« sprach er leiser, daß es nur der Küchenmeister
und der Frühstückmacher hören konnten, »zu den Klößchen brauche ich
viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, Ingwer und ein gewisses
Kraut, das man Magentrost heißt.«

»Ha! Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?« rief
der Koch mit Staunen. »Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das
Kräutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewußt; ja, das muß es
noch angenehmer machen. O, du Wunder von einem Koch!«

»Das hätte ich nicht gedacht,« sagte der Oberküchenmeister, »doch
lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt,
Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück bereiten.«

Man tat, wie er befohlen und rüstete alles auf dem Herde zu; aber
da fand es sich, daß der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd
reichen konnte. Man setzte daher ein paar Stühle zusammen, legte
eine Marmorplatte darüber und lud den kleinen Wundermann ein, sein
Kunststück zu beginnen. In einem großen Kreise standen die Köche,
Küchenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und staunten,
wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er alles so
reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung fertig
war, befahl er, beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau so lange
kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu zählen, eins,
zwei, drei und so fort, und gerade, als er fünfhundert gezählt hatte,
rief er: »Halt!« die Töpfe wurden weggesetzt, und der Kleine lud den
Küchenmeister ein, zu kosten.

Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen goldenen Löffel
reichen, spülte ihn im Bach und überreichte ihn dem Oberküchenmeister;
dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen,
kostete, drückte die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge
und sprach dann: »Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich! Wollet
Ihr nicht auch ein Löfflein zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?«
Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, versuchte und war vor Vergnügen
und Lust außer sich. »Eure Kunst in Ehren, lieber Frühstückmacher, Ihr
seid ein erfahrener Koch, aber so herrlich habt Ihr weder die Suppe
noch die Hamburger Klöße machen können!« Auch der Koch versuchte jetzt,
schüttelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll die Hand und sagte: »Kleiner!
Du bist Meister in der Kunst, ja, das Kräutlein Magentrost, das gibt
allem einen ganz eigenen Reiz.«

In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Küche
und berichtete, daß der Herr das Frühstück verlange. Die Speisen
wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; der
Oberküchenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und unterhielt
sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb so lange da, als man ein
Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o Herr, und
dauert nicht halb so lange als das Gebet der Gläubigen), so kam schon
ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn. Er kleidete sich
schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten.

Der Herzog sah sehr vergnügt aus. Er hatte alles aufgezehrt, was auf
den silbernen Platten gewesen war und wischte sich eben den Bart ab,
als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat. »Höre, Küchenmeister,« sprach
er, »ich bin mit deinen Köchen bisher immer sehr zufrieden gewesen;
aber sage mir, wer hat heute mein Frühstück bereitet? So köstlich war
es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage an, wie er
heißt, der Koch, daß Wir ihm einige Dukaten zum Geschenk schicken.«

»Herr! Das ist eine wunderbare Geschichte,« antwortete der
Oberküchenmeister und erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg
gebracht, der durchaus Koch werden wollte, und wie sich dies alles
begeben. Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg vor sich
rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme. Da konnte nun
der arme Jakob freilich nicht sagen, daß er verzaubert worden sei und
früher als Eichhörnchen gedient habe. Doch blieb er bei der Wahrheit,
indem er erzählte, er sei jetzt ohne Vater und Mutter und habe bei
einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog fragte nicht weiter,
sondern ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt seines neuen Kochs.

»Willst du bei mir bleiben,« sprach er, »so will ich dir jährlich
fünfzig Dukaten, ein Festkleid und noch überdies zwei Paar Beinkleider
reichen lassen. Dafür mußt du aber täglich mein Frühstück selbst
bereiten, mußt angeben, wie das Mittagessen gemacht werden soll, und
überhaupt dich meiner Küche annehmen. Da jeder in meinem Palast seinen
eigenen Namen von mir empfängt, so sollst du ›Nase‹ heißen und die
Würde eines Unterküchenmeisters bekleiden.«

Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in Frankenland,
küßte ihm die Füße und versprach, ihm treu zu dienen.

So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte seinem Amt
Ehre. Denn man kann sagen, daß der Herzog ein ganz anderer Mann war,
während der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es
ihm oft beliebt, die Schüsseln oder Platten, die man ihm auftrug, den
Köchen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberküchenmeister selbst warf
er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfuß, der nicht weich genug
geworden war, so heftig an die Stirne, daß er umfiel und drei Tage
zu Bett liegen mußte. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan,
durch einige Hände voll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein
Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit der
Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt. Der
Herr aß jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der Kunst
seines kleinen Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er nie eine
Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war leutselig und
angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter.

Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister und den Zwerg Nase
rufen, setzte den einen rechts, den andern links zu sich und schob
ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der köstlichsten Speisen
in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schätzen wußten.

Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich
Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und einige
der vornehmsten Männer hatten es so weit gebracht beim Herzog, daß ihre
Diener in der Küche beim Zwerg Unterrichtsstunden genießen durften,
was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte täglich einen halben
Dukaten. Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu erhalten und sie
nicht neidisch auf ihn zu machen, überließ ihnen Nase dieses Geld, das
die Herren für den Unterricht ihrer Köche zahlen mußten.

So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem Wohlleben und Ehre, und
nur der Gedanke an seine Eltern betrübte ihn. So lebte er, ohne etwas
Merkwürdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. Der
Zwerg Nase war besonders geschickt und glücklich in seinen Einkäufen.
Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer selbst auf den
Markt, um Geflügel und Früchte einzukaufen. Eines Morgens ging er auch
auf den Gänsemarkt und forschte nach schweren fetten Gänsen, wie sie
der Herr liebte. Er war musternd schon einigemal auf und ab gegangen.
Seine Gestalt, weit entfernt, hier Lachen und Spott zu erregen, gebot
Ehrfurcht. Denn man erkannte ihn als den berühmten Mundkoch des
Herzogs, und jede Gänsefrau fühlte sich glücklich, wenn er ihr die Nase
zuwandte.

Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, die
auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen ihre Ware anpries und
nach Käufern schrie. Zu dieser trat er und maß und wog ihre Gänse. Sie
waren, wie er sie wünschte, und er kaufte drei samt dem Käfig, lud
sie auf seine breiten Schultern und trat den Rückweg an. Da kam es ihm
sonderbar vor, daß nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und schrien,
wie rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still und in sich
gekehrt dasaß und Seufzer ausstieß und ächzte wie ein Mensch. »Die
ist halb krank,« sprach er vor sich hin, »ich muß eilen, daß ich sie
umbringe und zurichte.« Aber die Gans antwortete ganz deutlich und laut:

    »Stichst du mich,
    So beiß' ich dich.
    Drückst du mir die Kehle ab,
    Bring' ich dich ins frühe Grab.«

Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder, und
die Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte. »Ei der
Tausend!« rief Nase. »Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das hätte ich
nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht ängstlich! Man weiß zu leben und
wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber ich wollte
wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. War ich ja
selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen.«

»Du hast recht,« erwiderte die Gans, »wenn du sagst, ich sei nicht in
dieser schmachvollen Hülle geboren worden. Ach, an meiner Wiege wurde
es mir nicht gesungen, daß Mimi, des großen Wetterbocks Tochter, in der
Küche eines Herzogs getötet werden soll!«

»Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi,« tröstete der Zwerg. »So
wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister Seiner Durchlaucht
bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen
Gemächern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und
meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen, den übrigen
Küchenmenschen werde ich sagen, daß ich eine Gans mit allerlei
besondern Kräutern für den Herzog mäste, und sobald sich Gelegenheit
findet, setze ich Sie in Freiheit.«

Die Gans dankte ihm mit Tränen, der Zwerg aber tat, wie er versprochen,
schlachtete die zwei andern Gänse, für Mimi aber baute er einen
eigenen Stall unter dem Vorwande, sie für den Herzog ganz besonders
zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewöhnliches Gänsefutter, sondern
versah sie mit Backwerk und süßen Speisen. So oft er freie Zeit hatte,
ging er hin, sich mit Ihr zu unterhalten und sie zu trösten. Sie
erzählten sich auch gegenseitig ihre Geschichten, und Nase erfuhr auf
diesem Wege, daß die Gans eine Tochter des Zauberers Wetterbock sei,
der auf der Insel Gotland lebe. Er sei in Streit geraten mit einer
alten Fee, die ihn durch Ränke und List überwunden und sie zur Rache
in eine Gans verwandelt und weit hinweg bis hierher gebracht habe. Als
der Zwerg Nase ihr seine Geschichte ebenfalls erzählt hatte, sprach
sie: »Ich bin nicht unerfahren in diesen Sachen. Mein Vater hat mir und
meinen Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er nämlich davon
mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb, deine
plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein rochst, auch einige
Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, daß du auf Kräuter
bezaubert bist, das heißt: wenn du das Kraut auffindest, das sich die
Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erlöst werden.«
Es war dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo sollte er das
Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schöpfte einige Hoffnung.

Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten
Fürsten, seinem Freunde. Er ließ daher seinen Zwerg Nase vor sich
kommen und sprach zu ihm: »Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du zeigen
mußt, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. Dieser
Fürst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir am
besten und ist ein großer Kenner einer feinen Küche und ein weiser
Mann. Sorge nun dafür, daß meine Tafel täglich also besorgt werde, daß
er immer mehr in Erstaunen gerät. Dabei darfst du, bei meiner Ungnade,
solange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafür kannst du dir
von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du nur brauchst. Und
wenn du Gold und Diamanten in Schmalz backen mußt, so tu' es. Ich will
lieber ein armer Mann werden, als erröten vor ihm.«

So sprach der Herzog. Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig
verbeugte: »Es sei, wie du sagst, o Herr! so es Gott gefällt, werde ich
alles so machen, daß es diesem Fürsten der Gutschmecker wohlgefällt.«

Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die
Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man
sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehüllt,
und seine Stimme hallte beständig durch das Gewölbe der Küche. Denn er
befahl als Herrscher den Küchenjungen und niederen Köchen. Herr! Ich
könnte es machen, wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in ihren
Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen herrlich
speisen lassen. Sie führen eine ganze Stunde lang all die Gerichte an,
die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch große Sehnsucht und
noch größeren Hunger in ihren Zuhörern, so daß diese unwillkürlich die
Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den Kameltreibern reichlich
mitteilen; doch ich nicht also.

Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte herrlich
und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als fünfmal,
und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges. Denn er sah
Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am fünfzehnten Tage aber
begab es sich, daß der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen ließ, ihn
seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte, wie er mit dem
Zwerg zufrieden sei?

»Du bist ein wunderbarer Koch,« antwortete der fremde Fürst, »und
weißt, was anständig essen heißt. Du hast in der ganzen Zeit, daß ich
hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich
bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du solange nicht die
Königin der Speisen, die Pastete Souzeraine?«

Der Zwerg war sehr erschrocken. Denn er hatte von dieser
Pastetenkönigin nie gehört, doch faßte er sich und antwortete: »O
Herr! noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an diesem
Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise. Denn mit was sollte dich
denn der Koch begrüßen am Tage des Scheidens, als mit der Königin der
Pasteten!«

»So?« entgegnete der Herzog lachend. »Und bei mir wolltest du wohl
warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begrüßen? Denn auch mir
hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch, denke auf einen andern
Scheidegruß, denn morgen mußt du die Pastete auf die Tafel setzen.«

»Es sei, wie du sagst, Herr!« antwortete der Zwerg und ging. Aber er
ging nicht vergnügt. Denn der Tag seiner Schande und seines Unglücks
war gekommen. Er wußte nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er ging
daher in seine Kammer und weinte über sein Schicksal. Da trat die Gans
Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm und fragte ihn
nach der Ursache seines Jammers. »Stille deine Tränen,« antwortete sie,
als sie von der Pastete Souzeraine gehört, »dieses Gericht kam oft auf
meines Vaters Tisch, und ich weiß ungefähr, was man dazu braucht, du
nimmst dies und jenes, so und soviel, und wenn es auch nicht durchaus
alles ist, was eigentlich dazu nötig, die Herren werden keinen so
feinen Geschmack haben.« So sprach Mimi. Der Zwerg aber sprang auf
vor Freuden, segnete den Tag, an welchem er die Gans gekauft hatte,
und schickte sich an, die Königin der Pasteten zuzurichten. Er machte
zuerst einen kleinen Versuch, und siehe, es schmeckte trefflich, und
der Oberküchenmeister, dem er davon zu kosten gab, pries aufs neue
seine ausgebreitete Kunst.

Den andern Tag setzte er die Pastete in größerer Form auf und schickte
sie, warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit Blumenkränzen
geschmückt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog sein bestes
Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als er eintrat, war der
Obervorschneider gerade damit beschäftigt, die Pastete zu zerschneiden
und auf einem silbernen Schäufelein dem Herzog und seinem Gaste
hinzureichen. Der Herzog tat einen tüchtigen Biß hinein, schlug die
Augen auf zur Decke und sprach, nachdem er geschluckt hatte: »Ah! ah!
ah! mit Recht nennt man dies die Königin der Pasteten; aber mein Zwerg
ist auch der König aller Köche, nicht also, lieber Freund?«

Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und prüfte
aufmerksam und lächelte dabei höhnisch und geheimnisvoll. »Das Ding ist
recht artig gemacht,« antwortete er, indem er den Teller hinwegrückte,
»aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das habe ich mir wohl
gedacht.«

Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor
Beschämung: »Hund von einem Zwerg!« rief er. »Wie wagst du es, deinem
Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken lassen zur
Strafe für deine schlechte Kocherei?«

»Ach Herr! Um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch zubereitet
nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß nichts fehlen!« so sprach der
Zwerg und zitterte.

»Es ist eine Lüge, du Bube!« erwiderte der Herzog und stieß ihn mit dem
Fuße von sich. »Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt etwas. Dich
selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine Pastete!«

»Habt Mitleiden!« rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem
Gast, dessen Füße er umfaßte. »Saget, was fehlt an dieser Speise, daß
sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen einer
Handvoll Fleisch und Mehl.«

»Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase,« antwortete der
Fremde mit Lachen; »das habe ich mir schon gestern gedacht, daß du
diese Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein
Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust,
ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie nie
essen wie ich.«

Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. »Und doch werde ich sie
essen,« rief er mit funkelnden Augen; »denn ich schwöre auf meine
fürstliche Ehre, entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, wie Ihr
sie verlanget -- oder den Kopf dieses Burschen aufgespießt auf dem Tor
meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir vierundzwanzig
Stunden Zeit!«

So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein
Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal, und daß er sterben
müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört. »Ist es nur dies,« sprach
sie, »dann kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte mich alle
Kräuter kennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer andern Zeit des
Todes gewesen, aber glücklicherweise ist es gerade Neumond, und um
diese Zeit blüht das Kräutlein. Doch sage an, sind alte Kastanienbäume
in der Nähe des Palastes?«

»O ja!« erwiderte Nase mit leichterem Herzen; »am See, zweihundert
Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?«

»Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein,« sagte Mimi. »Darum
laß uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich auf
deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen.«

Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. Dort
aber streckte der Türhüter sein Gewehr vor und sprach: »Mein guter
Nase, mit dir ist's vorbei, aus dem Hause darfst du nicht, ich habe den
strengsten Befehl darüber.«

»Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?« erwiderte der Zwerg.
»Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des Palastes
und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter suchen dürfe?«
Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der Garten hatte
hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu denken. Als aber
Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, setzte er sie behutsam
nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem See zu, wo die Kastanien
standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem Herzen; denn es war ja seine
letzte, einzige Hoffnung; fand sie das Kräutlein nicht, so stand sein
Entschluß fest, er stürzte sich dann lieber in den See, als daß er sich
köpfen ließ. Die Gans suchte aber vergebens, sie wandelte unter allen
Kastanien, sie wandte mit dem Schnabel jedes Gräschen um, es wollte
sich nichts zeigen, und sie fing aus Mitleid und Angst an zu weinen;
denn schon wurde der Abend dunkler, und die Gegenstände umher schwerer
zu erkennen.

Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und plötzlich rief
er: »Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter
Baum: laß uns dort hingehen und suchen, vielleicht blüht dort mein
Glück.« Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell
seine kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen
Schatten, und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen;
aber da blieb plötzlich die Gans stillstehen, schlug vor Freuden mit
den Flügeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflückte
etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel
überreichte und sprach: »Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine
Menge davon, so daß es dir nie daran fehlen kann.«

Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer Duft strömte ihm
daraus entgegen, der ihn unwillkürlich an die Szene seiner Verwandlung
erinnerte; die Stengel, die Blätter waren bläulichgrün, sie trugen eine
brennend rote Blume mit gelbem Rande.

»Gelobt sei Gott!« rief er endlich aus; »welches Wunder! Wisse, ich
glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhörnchen in
diese schändliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?«

»Noch nicht,« bat die Gans. »Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit
dir, laß uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst
hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes
versuchen.«

Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurück, und das Herz des
Zwerges pochte hörbar vor Erwartung. Nachdem er fünfzig oder sechzig
Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe zusammen in
ein Bündel geknüpft hatte, sprach er: »So es Gott gefällig ist, werde
ich diese Bürde los werden,« steckte seine Nase tief in die Kräuter
und zog ihren Duft ein.

Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte, wie sich
sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und
sah sie kleiner und kleiner werden, sein Rücken und seine Brust fingen
an sich zu ebnen, und seine Beine wurden länger.

Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu. »Ha! was du groß, was du
schön bist!« rief sie. »Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an dir von
allem, wie du vorher warst!« Da freute sich Jakob sehr, und er faltete
die Hände und betete. Aber seine Freude ließ ihn nicht vergessen,
welchen Dank er der Gans Mimi schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz,
zu seinen Eltern zu gehen, doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen
Wunsch und sprach: »Wem anders als dir, habe ich es zu danken, daß ich
mir selbst wiedergeschenkt bin? Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer
gefunden, hätte also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht gar
unter dem Beile des Henkers sterben müssen. Wohlan, ich will es dir
vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der so erfahren
ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können.« Die Gans
vergoß Freudentränen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam glücklich
und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich auf den Weg
nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat zu.

Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre Reise glücklich
vollendeten, daß Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob,
mit Geschenken beladen, entließ; daß er in seine Vaterstadt zurückkam,
und daß seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren
verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken, die er von
Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und glücklich
wurde?

Nur soviel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung aus dem
Palast des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am andern Tag der
Herzog seinen Schwur erfüllen und dem Zwerg, wenn er die Kräuter nicht
gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er nirgends
zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn heimlich
entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu berauben, und
klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei. Dadurch entstand denn ein großer
Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der Geschichte unter dem Namen
»Kräuterkrieg« wohl bekannt ist: es wurde manche Schlacht geschlagen,
aber am Ende doch Friede gemacht, und diesen Frieden nennt man bei uns
den »Pastetenfrieden«, weil beim Versöhnungsfest durch den Koch des
Fürsten die Souzeraine, die Königin der Pasteten, zubereitet wurde,
welche sich der Herzog trefflich schmecken ließ.

So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen; und dies, o
Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase.

       *       *       *       *       *

So erzählte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, ließ
der Scheik Ali Banu ihm und den andern Sklaven Früchte reichen, sich zu
erfrischen, und unterhielt sich, während sie aßen, mit seinen Freunden.
Die jungen Männer aber, die der Alte eingeführt hatte, waren voll Lobes
über den Scheik, sein Haus und alle seine Einrichtungen. »Wahrlich,«
sprach der junge Schreiber, »es gibt keinen angenehmeren Zeitvertreib,
als Geschichten anzuhören. Ich könnte tagelang so hinsitzen, die Beine
untergeschlagen, einen Arm aufs Kissen gestützt, die Stirne in die Hand
gelegt, und wenn es ginge, des Scheiks große Wasserpfeife in der Hand,
und Geschichten anhören, -- so ungefähr stelle ich mir das Leben vor in
den Gärten Mahommeds.«

»Solange Ihr jung seid und arbeiten könnt,« sprach der Alte, »kann ein
solcher träger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich Euch
zu, daß ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzählen zu hören. So alt
ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebzigste Jahr, so viel ich in
meinem Leben schon gehört habe, so verschmähe ich es doch nicht, wenn
an der Ecke ein Geschichtserzähler sitzt und um ihn in großem Kreis die
Zuhörer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhören. Man träumt sich ja
in die Begebenheiten hinein, die erzählt werden, man lebt mit diesen
Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit Feen und dergleichen
Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und hat nachher, wenn man
einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen, wie der Wanderer, der
sich gut versehen hat, wenn er durch die Wüste reist.«

»Ich habe nie so darüber nachgedacht,« erwiderte ein anderer der jungen
Leute, »worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. Aber mir
geht es wie Euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich ungeduldig
war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war mir anfangs
gleichgültig, von was es handelte, wenn es nur erzählt war, wenn nur
etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene Fabeln angehört,
die weise Männer erfunden, und in welche sie einen Kern ihrer Weisheit
gelegt haben, vom Fuchs und vom törichten Raben, vom Fuchs und vom
Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Löwen und den übrigen Tieren. Als
ich älter wurde und mehr unter die Menschen kam, genügten mir jene
kurzen Geschichten nicht mehr; sie mußten schon länger sein, mußten von
Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen handeln.«

»Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit,« unterbrach ihn einer
seiner Freunde. »Du warst es, der uns diesen Drang nach Erzählungen
aller Art beibrachte. Einer Eurer Sklaven wußte so viel zu erzählen,
als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wenn er fertig war
mit seiner Arbeit, mußte er sich zu uns setzen auf den Grasboden vor
dem Hause, und da baten wir solange; bis er zu erzählen anfing, und das
ging fort und fort, bis die Nacht heraufkam.«

»Und erschloß sich uns,« entgegnete der Schreiber, »erschloß sich
uns da nicht ein neues, nie gekanntes Reich, das Land der Genien und
Feen, bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palästen
von Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevölkert,
die erschienen, wenn man einen Ring hin und wiederdreht oder die
Wunderlampe reibt oder das Wort Salomons ausspricht, und in goldenen
Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fühlten uns unwillkürlich
in jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren
Fahrten, wir gingen mit Harun Al-Raschid, dem weisen Beherrscher der
Gläubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Vezier, so gut
als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man nachts
in Träumen lebt, und es gab keine schönere Tageszeit für uns als den
Abend, wo wir uns einfanden auf dem Rasenplatz, und der alte Sklave uns
erzählte. Aber sage uns, Alter, worin liegt es denn eigentlich, daß
wir damals so gerne erzählen hörten, daß es noch jetzt für uns keine
angenehmere Unterhaltung gibt?«

Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur
Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten, zu
antworten. Die jungen Leute wußten nicht, ob sie sich freuen sollten,
daß sie eine neue Geschichte anhören durften, oder ungehalten sein
darüber, daß ihr anziehendes Gespräch mit dem Alten unterbrochen worden
war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann:



Abner, der Jude, der nichts gesehen hat.


Herr, ich bin aus Mogador, am Strande des großen Meers, und, als der
großmächtigste Kaiser Muley Ismael über Fes und Marokko herrschte, hat
sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne hören
wirst. Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts gesehen
hat.

Juden, wie du weißt, gibt es überall, und sie sind überall Juden:
pfiffig, mit Falkenaugen für den kleinsten Vorteil begabt,
verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie mißhandelt werden, ihrer
Verschlagenheit sich bewußt und sich etwas darauf einbildend. Daß aber
doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, bewies
Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus spazieren ging.

Er schreitet einher, mit der spitzigen Mütze auf dem Kopf, in den
bescheidenen, nicht übermäßig reinlichen Mantel gehüllt, nimmt von
Zeit zu Zeit eine verstohlene Prise aus der goldenen Dose, die er
nicht gerne sehen läßt, streichelt sich den Knebelbart, und trotz
der umherrollenden Augen, welche ewige Furcht und Besorgnis und die
Begierde, etwas zu erspähen, womit etwas zu machen wäre, keinen
Augenblick ruhen läßt, leuchtet Zufriedenheit aus seiner beweglichen
Miene; er muß diesen Tag gute Geschäfte gemacht haben; und so ist es
auch. Er ist Arzt, ist Kaufmann, ist alles, was Geld einträgt; er hat
heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler verkauft, wohlfeil eine
Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen kranken Mann den letzten
Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern vor seinem Hintritt bereitet.

Eben war er auf einem Spaziergang aus einem kleinen Gehölz von Palmen
und Datteln getreten, da hörte er lautes Geschrei herbeilaufender
Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher Stallknechte, den
Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen Seiten unruhige Blicke
umherwarfen, wie Menschen, die etwas Verlorenes eifrig suchen.

»Philister,« rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, »hast du nicht
ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorüberrennen sehen?«

Abner antwortete: »Der beste Galoppläufer, den es gibt; zierlich
klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber,
sein Haar leuchtet golden, gleich dem großen Sabbatleuchter in der
Schule, fünfzehn Fäuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und
einen halben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von
dreiundzwanzigkarätigem Golde.«

»Er ist's!« rief der Oberstallmeister. »Er ist's!« rief der Chor der
Stallknechte! »Es ist der Emir,« rief ein alter Bereiter, »ich habe
es dem Prinzen Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der
Trense reiten, ich kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, daß er
ihn abwerfen würde, und sollte ich seine Rückenschmerzen mit dem Kopfe
bezahlen müssen, ich habe es vorausgesagt. -- Aber schnell, wohinzu ist
er gelaufen?«

»Habe ich doch gar kein Pferd gesehen,« erwiderte Abner lächelnd, »wie
kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd?«

Erstaunt über diesen Widerspruch, wollten die Herren vom Stalle eben
weiter in Abner dringen, da kam ein anderes Ereignis dazwischen.

Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war gerade
zu dieser Zeit auch der Leibschoßhund der Kaiserin entlaufen. Ein Haufe
schwarzer Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon von weitem:
»Habt Ihr den Schoßhund der Kaiserin nicht gesehen?«

»Es ist kein Hund, den ihr suchet, meine Herren,« sagte Abner, »es ist
eine Hündin.«

»Allerdings,« rief der erste Eunuch hocherfreut, »Aline, wo bist du?«

»Ein kleiner Wachtelhund,« fuhr Abner fort, »der vor kurzem Junge
geworfen, langes Behänge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten vordern
Bein.«

»Sie ist's, wie sie leibt und lebt!« rief der Chor der Schwarzen. »Es
ist Aline; die Kaiserin ist in Krämpfe verfallen, sobald sie vermißt
wurde; Aline, wo bist du? Was soll aus uns werden, wenn wir ohne dich
ins Harem zurückkehren? Sprich geschwind, wohin hast du sie laufen
sehen?«

»Ich habe gar keinen Hund gesehen, weiß ich doch nicht einmal, daß
meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt.«

Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners
Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum
seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so
unwahrscheinlich dies auch war, daß er Hund und Pferd gestohlen habe.
Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der
Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb
pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers.

Aufgebracht berief Muley Ismael, als er den Hergang vernommen, den
gewöhnlichen Rat des Palastes und führte, in Betracht der Wichtigkeit
des Gegenstandes, selbst den Vorsitz. Zur Eröffnung der Sache wurde
dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen
zuerkannt. Abner mochte schreien oder winseln, seine Unschuld beteuern
oder versprechen, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen, Sprüche
aus der Schrift oder dem Talmud anführen, mochte rufen: »Die Ungnade
des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen, aber seine Gnade ist
Tau auf dem Grase!« oder: »Laß nicht zuschlagen deine Hand, wenn dir
Augen und Ohren verschlossen sind« -- Muley Ismael winkte und schwur
bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle die
Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Krämpfe der Kaiserin mit dem
Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder beigebracht würden.

Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem
Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und
Pferd seien wiedergefunden. Alinen überraschte man in der Gesellschaft
einiger Möpse, sehr anständiger Leute, die sich aber für sie, als
Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er sich
müde gelaufen, das duftende Gras auf den grünen Wiesen am Bache Tara
wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem
ermüdeten fürstlichen Jäger, der, auf der Parforcejagd verirrt, über
dem schwarzen Brot und der Butter in der Hütte des Landmanns aller
Leckereien seiner Tafel vergißt.

Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Betragens,
und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spät, imstande, sich zu
verantworten, was er, nachdem er vor Seiner Hoheit Thron dreimal die
Erde mit der Stirne berührte, in folgenden Worten tat:

»Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Herr des Westens, Stern
der Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du
so glänzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie
das Eisen, höre mich, weil es deinem Sklaven vergönnt ist, vor deinem
strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben. Ich schwöre bei dem
Gott meiner Väter, bei Moses und den Propheten, daß ich dein heiliges
Pferd und meiner gnädigen Kaiserin liebenswürdigen Hund mit meines
Leibes Augen nicht gesehen habe. Höre aber, wie sich die Sache begeben.

Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen,
nichts denkend in dem kleinen Gehölze, wo ich die Ehre gehabt habe,
Seiner Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Seiner Wachsamkeit, dem
schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems zu begegnen; da gewahrte
ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines Tieres;
ich, dem die Spuren der Tiere überaus gut bekannt sind, erkenne sie
alsbald für die Fußstapfen eines kleinen Hundes; feine, langgezogene
Furchen liefen über die kleinen Unebenheiten des Sandbodens zwischen
diesen Spuren hin; es ist eine Hündin, sprach ich zu mir selbst,
und sie hat hängende Zitzen und hat Junge geworfen vor so und so
langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der Sand leicht
weggefegt zu sein schien, sagten mir, daß das Tier mit schönen, weit
herabhängenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt, wie in längeren
Zwischenräumen der Sand bedeutender aufgewühlt war, dachte ich: einen
schönen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und er muß anzusehen
sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt, zuweilen den Sand
damit zu peitschen, auch entging mir nicht, daß eine Pfote sich
beständig weniger tief in den Sand eindrückte; leider konnte mir da
nicht verborgen bleiben, daß die Hündin meiner gnädigsten Frau, wenn es
erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke.

Was das Roß deiner Hoheit betrifft, so wisse, daß ich, als ich in
einem Gange des Gehölzes zwischen Gebüschen hinwandelte, auf die
Spuren eines Pferdes aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edeln,
kleinen Huf, den feinen und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich
in meinem Herzen: Da ist gewesen ein Roß von der Rasse Tschenner, die
da ist die vornehmste von allen. Ist es ja noch nicht vier Monate,
hat mein gnädigster Kaiser einem Fürsten in Frankenland eine ganze
Koppel von dieser Rasse verkauft, und mein Bruder Ruben ist dabei
gewesen, wie sie sind handelseinig geworden, und mein gnädigster
Kaiser hat dabei gewonnen so und so viel. Als ich sah, wie die Spuren
so weit und so gleichmäßig voneinander entfernt waren, mußte ich
denken: das galoppiert schön, vornehm, und ist bloß mein Kaiser wert,
solch ein Tier zu besitzen, und ich gedachte des Streitrosses, von
dem geschrieben steht bei Hiob: ›Es strampfet auf den Boden und ist
freudig mit Kraft und zeucht aus den Geharnischten entgegen; es spottet
der Furcht und erschricket nicht und fleucht vor dem Schwert nicht,
wenn gleich wider es klinget der Köcher, und glänzen beide, Spieß und
Lanzen.‹ Und ich bückte mich, da ich etwas glänzen sah auf dem Boden,
wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein, darauf hatte das
Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, und ich erkannte,
daß es Hufeisen haben mußte von vierzehnlötigem Silber; muß ich doch
den Strich kennen von jeglichem Metall, es sei echt oder unecht. Der
Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuß weit, und hie und da sah
ich den Staub von den Palmen gestreift; der Gaul hat mit dem Schweif
gefochten, sprach ich, und er ist lang drei und einen halben Fuß; unter
Bäumen, deren Krone etwa fünf Fuß vom Boden anfing, sah ich frisch
abgestreifte Blätter; Seiner Schnelligkeit Rücken mußte sie abgestreift
haben; da haben wir ein Pferd von fünfzehn Fäusten; siehe da, unter
denselben Bäumen kleine Büschel goldglänzender Haare, und siehe da, es
ist ein Goldfuchs! Eben trat ich aus dem Gebüsche, da fiel an einer
Felswand ein Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen,
sprach ich, und was war's? Ein Probierstein war eingesprengt in dem
Gestein und ein haarfeiner Goldstrich darauf, wie ihn das Männchen mit
dem Pfeilbündel auf den Füchsen der sieben vereinigten Provinzen von
Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann. Der Strich mußte von
den Gebißstangen des flüchtigen Rosses rühren, die es im Vorbeispringen
gegen dieses Gestein gerieben. Kennt man ja doch deine erhabene
Prachtliebe, König der Könige, weiß man ja doch, daß sich das geringste
deiner Rosse schämen würde, auf einen andern als einen goldenen Zaum zu
beißen. Also hat es sich begeben, und wenn --«

»Nun, bei Mekka und Medina!« rief Muley Ismael, »das heiße ich Augen;
solche Augen könnten dir nicht schaden, Oberjägermeister, sie würden
dir eine Koppel Schweißhunde ersparen; du, Polizeiminister, könntest
damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser. Nun,
Philister, Wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns,
der Uns wohlgefallen hat, gnädig behandeln; die fünfzig Prügel, die du
richtig erhalten hast, sind fünfzig Zechinen wert, sie ersparen dir
fünfzig, denn du zahlst jetzt bloß noch fünfzig bar; zieh deinen Beutel
und enthalte dich für die Zukunft, Unseres kaiserlichen Eigentums zu
spotten; Wir bleiben dir übrigens in Gnaden gewogen.«

Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn Seine Majestät hatte
geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm
seine Schmerzen nicht, tröstete ihn nicht für seine teuren Zechinen.
Während er stöhnend und seufzend eine nach der andern aus dem Beutel
führte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, höhnte ihn
noch Schnuri, der kaiserliche Spaßmacher, fragte ihn, ob seine Zechinen
alle auf dem Steine sich bewährten, auf dem der Goldfuchs des Prinzen
Abdallah sein Gebiß probiert habe. »Deine Weisheit hat heute Ruhm
geerntet,« sprach er, »ich wollte aber noch fünfzig Zechinen wetten, es
wäre dir lieber, du hättest geschwiegen. Aber wie spricht der Prophet?
›Ein entschlüpftes Wort holt kein Wagen ein, und wenn er mit vier
flüchtigen Rossen bespannt wäre.‹ Auch kein Windspiel holt es ein, Herr
Abner, auch wenn es nicht hinkt.«

Nicht lange nach diesem für Abner schmerzlichen Ereignis ging er wieder
einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des Atlas
spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem einherstürmenden
Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anführer schrie ihn an:

»He! guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschützen
des Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muß diesen Weg
genommen haben ins Gebirg.«

»Kann nicht dienen, Herr General,« antwortete Abner.

»Ach! bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund
nicht gesehen hat? Mach' nur keine Umstände; hier muß der Sklave
vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines
Schweißes in der Luft? siehst du noch die Spuren seines flüchtigen
Fußes im hohen Grase? Sprich, der Sklave muß herbei; er ist einzig
im Sperlingschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestät
Lieblings-Zeitvertreib. Sprich! oder ich lasse dich sogleich krumm
fesseln.«

»Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab'
gesehen.«

»Jude, zum letzten Male: wohin ist der Sklave gelaufen? denk' an deine
Fußsohlen, denk' an deine Zechinen!«

»O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll
gesehen haben den Sperlingschützen, so lauft dorthin; ist er dort
nicht, so ist er anderswo.«

»Du hast ihn also gesehen?« brüllte ihn der Soldat an.

»Ja denn, Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt.«

Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber
ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber war
er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der
Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war
Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko.

»Hund von einem Juden,« schnaubte ihn der Kaiser an, »du wagst es,
kaiserliche Bediente, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf
falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der
Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen
wäre? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! hundert Zechinen
aus dem Beutel! Um wieviel die Sohlen schwellen unter den Hieben, um so
viel soll der Beutel einschnurren!«

Du weißt es, o Herr, im Reiche Fes und Marokko liebt man schnelle
Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert,
ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hatte. Er aber
verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen
und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Seine Majestät
geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend unter
dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach zu ihm
Schnuri, der Spaßmacher: »Gib dich zufrieden, Abner, undankbarer Abner;
ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder Verlust, den unser gnädiger
Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch dir empfindlichen Kummer
verursachen muß? Versprichst du mir aber ein gut Trinkgeld, so komme
ich jedesmal eine Stunde, bevor der Herr des Westens etwas verliert, an
deine Bude in der Judengasse und spreche: ›Gehe nicht aus deiner Hütte,
Abner, du weißt schon warum; schließe dich ein in dein Kämmerlein bis
zu Sonnenuntergang, beides unter Schloß und Riegel.‹«

Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat.

       *       *       *       *       *

Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden
war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer
Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen nun zu erklären, worin
denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege.

»Das will ich Euch jetzt sagen,« erwiderte der Alte; »der menschliche
Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser, das doch
in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die dichtesten
Gegenstände durchdringt. Er ist leicht und frei wie die Luft und
wird, wie diese, je höher er sich von der Erde hebt, desto leichter
und reiner. Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich hinauf über
das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen leichter und
freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen. Ihr selbst, mein
junger Freund, sagtet: ›Wir lebten in jenen Geschichten, wir dachten
und fühlten mit jenen Menschen,‹ und daher kommt der Reiz, den sie
für Euch hatten. Indem Ihr den Erzählungen des Sklaven zuhörtet, die
nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt Ihr selbst
auch _mitgedichtet_. Ihr bliebet nicht stehen bei den Gegenständen
um Euch, bei Euren gewöhnlichen Gedanken, nein, Ihr erlebtet alles
mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes Wunderbare begegnete, so
sehr nahmet Ihr teil an dem Mann, von dem man Euch erzählte. So erhob
sich Euer Geist am Faden einer solchen Geschichte über die Gegenwart,
die Euch nicht so schön, nicht so anziehend dünkte; so bewegte sich
dieser Geist in fremden, höheren Räumen freier und ungebundener, das
Märchen wurde Euch zur Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die
Wirklichkeit wurde zum Märchen, weil Euer Dichten und Sein im Märchen
lebte.«

»Ganz verstehe ich Euch nicht,« erwiderte der junge Kaufmann: »aber
Ihr habt recht mit dem, was Ihr saget, wir lebten im Märchen oder das
Märchen in uns. Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schöne Zeit;
wenn wir Muße dazu hatten, träumten wir wachend; wir stellten uns vor,
an wüste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir berieten uns,
was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen, und oft haben
wir im dichten Weidengebüsch uns Hütten gebaut, haben von elenden
Früchten ein kärgliches Mahl gehalten, obgleich wir hundert Schritte
weit zu Haus das beste hätten haben können; ja, es gab Zeiten, wo wir
auf die Erscheinung einer gütigen Fee oder eines wunderbaren Zwerges
warteten, die zu uns treten und sagen würden: ›Die Erde wird sich
alsobald auftun, wollt dann nur gefälligst herabsteigen in meinen
Palast von Bergkristall und Euch belieben lassen, was meine Diener, die
Meerkatzen, Euch auftischen?‹«

Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, daß er wahr
gesprochen habe. »Noch jetzt,« fuhr ein anderer fort, »noch jetzt
beschleicht mich hie und da dieser Zauber; ich würde mich zum Beispiel
nicht wenig ärgern über die dumme Fabel, wenn mein Bruder zur Türe
hereingestürzt käme und sagte: ›Weißt du schon das Unglück von unserem
Nachbar, dem dicken Bäcker? Er hat Händel gehabt mit einem Zauberer,
und dieser hat ihn aus Rache in einen Bären verwandelt, und jetzt liegt
er in seiner Kammer und heult entsetzlich;‹ ich würde mich ärgern und
ihn einen Lügner schelten. Aber wie anders, wenn mir erzählt würde, der
dicke Nachbar hab' eine weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land
unternommen, sei dort einem Zauberer in die Hände gefallen, der ihn in
einen Bären verwandelte. Ich würde mich nach und nach in die Geschichte
versetzt fühlen, würde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares
erleben, und es würde mich nicht sehr überraschen, wenn er in ein Fell
gesteckt würde und auf allen vieren gehen müßte.«

»Und doch,« sprach der Alte lächelnd, »gibt es eine sehr ergötzliche
Art von Erzählungen, wo weder Fee noch Zauberer erscheint, kein Schloß
von Kristall, keine Genien, die wunderbare Speisen bringen, kein
Vogel Rock, noch ein Zauberpferd: eine andere Art als die, welche man
gewöhnlich _Märchen_ nennt.«

»Wie versteht Ihr dies? Erklärt uns deutlicher, was Ihr meinet. Eine
andere Art als das Märchen?« sprachen die Jünglinge.

»Ich denke, man muß einen gewissen Unterschied machen zwischen
_Märchen_ und Erzählungen, die man im gemeinen Leben _Geschichten_
nennt. Wenn ich euch sage, ich will euch ein _Märchen_ erzählen, so
werdet ihr zum voraus darauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist,
die von dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem
Gebiet bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder um
deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung
anderer Wesen, als allein sterblicher Menschen, rechnen können; es
greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Märchen handelt,
fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten, ein;
die ganze Erzählung nimmt eine außergewöhnliche, wunderbare Gestalt an
und ist ungefähr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder viele
Gemälde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken nennen. Es
ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das Geschöpf Allahs,
sündigerweise wiederzuschöpfen in Farben und Gemälden, daher sieht
man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene Bäume und Zweige mit
Menschenköpfen, Menschen, die in einen Fisch oder Strauch ausgehen,
kurz Figuren, die an das gewöhnliche Leben erinnern und dennoch
ungewöhnlich sind; ihr versteht mich doch?«

»Ich glaube, Eure Meinung zu erraten,« sagte der Schreiber, »doch
fahret weiter fort.«

»Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich,
überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft in
fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben. Jedes
Land, jedes Volk hat solche Märchen, die Türken so gut wie die Perser,
die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es viele
geben, wenigstens erzählte mir einst ein gelehrter Giaur davon; doch
sind sie nicht so schön als die unsrigen; denn statt schöner Feien, die
in prachtvollen Palästen wohnen, haben sie zauberhafte Weiber, die sie
Hexen nennen, heimtückisches, häßliches Volk, das in elenden Hütten
wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greifen gezogen, durch die
blauen Lüfte zu fahren, reiten sie auf einem Besen durch den Nebel. Sie
haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind kleine verwachsene Kerlchen,
die allerlei Spuk machen. Das sind nun die Märchen; ganz anders ist es
aber mit den Erzählungen, die man gemeinhin Geschichten nennt. Diese
bleiben ganz ordentlich auf der Erde, tragen sich im gewöhnlichen
Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meistens nur die Verkettung der
Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwünschung oder
Feenspuk, wie im Märchen, sondern durch sich selbst oder die sonderbare
Fügung der Umstände reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird.«

»Richtig!« erwiderte einer der jungen Leute. »Solche reine Geschichten
finden sich auch in den herrlichen Erzählungen der Scheherezade,
die man Tausend und eine Nacht nennt. Die meisten Begebenheiten des
Königs Harun Al-Raschid und seines Veziers sind dieser Art. Sie gehen
verkleidet aus und sehen diesen oder jenen höchst sonderbaren Vorfall,
der sich nachher ganz natürlich auflöst.«

»Und dennoch werdet ihr gestehen müssen,« fuhr der Alte fort, »daß
jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der Tausend und eine
Nacht sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen,
in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Märchen eines Prinzen
Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers,
der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meer
zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden ihren
eigentümlichen Reiz gibt, nämlich das, daß wir etwas Auffallendes,
Außergewöhnliches mit erleben. Bei dem Märchen liegt dieses
Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften Zaubers in das
gewöhnliche Menschenleben, bei den Geschichten geschieht etwas zwar
nach natürlichen Gesetzen, aber auf überraschende ungewöhnliche Weise.«

»Sonderbar!« rief der Schreiber, »sonderbar, daß uns dann dieser
natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im
Märchen. Worin mag dies doch liegen?«

»Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen,« antwortete
der Alte. »Im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch
handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, daß die einzelnen Figuren und
ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können. Anders bei der
gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter gemäß
spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist.«

»Wahrlich, Ihr habt recht!« erwiderte der junge Kaufmann. »Ich habe mir
nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur so
gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen ergötzt,
das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. Aber
Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet; einen
Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen können.«

»Tuet das immer,« antwortete der Alte, »und Euer Genuß wird sich
vergrößern, wenn Ihr nachdenken lernet über das, was Ihr gehört. Doch
siehe, dort erhebt sich wieder ein Neuer, um zu erzählen.«

So war es, und ein anderer begann:



Der Affe als Mensch.


Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen
zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine
ergötzliche Geschichte von Sultanen und Vezieren erzählen könnte. Ihr
müßt mir daher schon erlauben, daß ich etwas aus meinem Vaterlande
erzähle, was Euch vielleicht auch einigen Spaß macht. Leider sind
unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euren, das heißt, sie
handeln nicht von Sultanen oder unseren Königen, nicht von Vezieren und
Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch Geheimeräte
und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht von Soldaten
handeln, gewöhnlich ganz bescheiden und unter den Bürgern.

Im südlichen Teil von Deutschland liegt das Städtchen Grünwiesel,
wo ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Städtchen, wie sie alle
sind. In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der
Seite ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markte das Haus des
Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar
engen Straßen wohnen die übrigen Menschen. Alles kennt sich, jedermann
weiß, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer oder der
Bürgermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel hat, so weiß
es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags kommen dann die
Frauen zu einander in die Visite, wie man es nennt, besprechen sich
bei starkem Kaffee und süßem Kuchen über diese große Begebenheit, und
der Schluß ist, daß der Oberpfarrer wahrscheinlich in die Lotterie
gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, daß der Bürgermeister sich
»schmieren« lasse, oder daß der Doktor vom Apotheker einige Goldstücke
bekommen habe, um recht teure Rezepte zu verschreiben. Ihr könnet Euch
denken, Herr, wie unangenehm es für eine so wohleingerichtete Stadt,
wie Grünwiesel, sein mußte, als ein Mann dorthin zog, von dem niemand
wußte, woher er kam, was er wollte, von was er lebte. Der Bürgermeister
hatte zwar seinen Paß gesehen, ein Papier, das bei uns jedermann haben
muß --

»Ist es denn so unsicher auf den Straßen,« unterbrach den Sklaven der
Scheik, »daß ihr einen Ferman eures Sultans haben müsset, um die Räuber
in Respekt zu setzen?«

»Nein, Herr,« entgegnete jener, »diese Papiere halten keinen Dieb
von uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, daß man überall
weiß, wen man vor sich hat.« -- Nun, der Bürgermeister hatte den Paß
untersucht und in einer Kaffeegesellschaft bei Doktors geäußert, der
Paß sei zwar ganz richtig visiert von Berlin bis nach Grünwiesel, aber
es stecke doch was dahinter. Denn der Mann sehe etwas verdächtig aus.
Der Bürgermeister hatte das größte Ansehen in der Stadt, kein Wunder,
daß von da an der Fremde als eine verdächtige Person angesehen wurde.
Und sein Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung
abbringen. Der fremde Mann mietete sich für einige Goldstücke ein
ganzes Haus, das bisher öde gestanden, ließ einen ganzen Wagen voll
sonderbarer Gerätschaften, als Oefen, Kunstherde, große Tiegel und
dergleichen, hineinschaffen und lebte von da an ganz für sich allein.
Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele in
sein Haus als ein alter Mann aus Grünwiesel, der ihm seine Einkäufe
in Brot, Fleisch und Gemüse besorgen mußte. Doch, auch dieser durfte
nur in die Flur des Hauses kommen, und dort nahm der fremde Mann das
Gekaufte in Empfang.

Ich war ein Knabe von zehn Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt
einzog, und ich kann mir noch heute, als wäre es gestern geschehen,
die Unruhe denken, die dieser Mann im Städtchen verursachte. Er kam
nachmittags nicht, wie andere Männer, auf die Kegelbahn, er kam abends
nicht ins Wirtshaus, um, wie die übrigen, bei einer Pfeife Tabak
über die Zeitung zu sprechen. Umsonst luden ihn nach der Reihe der
Bürgermeister, der Friedensrichter, der Doktor und der Oberpfarrer zum
Essen oder Kaffee ein, er ließ sich immer entschuldigen. Daher hielten
ihn einige für verrückt, andere für einen Juden, eine dritte Partei
behauptete steif und fest, er sei ein Zauberer oder Hexenmeister. Ich
wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt, und noch immer hieß der Mann in der
Stadt der fremde Herr.

Es begab sich aber eines Tages, daß Leute mit fremden Tieren in die
Stadt kamen. Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat,
welches sich verbeugen kann, einen Bären, der tanzt, einige Hunde und
Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und allerlei
Künste machen. Diese Leute durchziehen gewöhnlich die Stadt, halten
an den Kreuzstraßen und Plätzen, machen mit einer kleinen Trommel und
einer Pfeife eine übeltönende Musik, lassen ihre Truppe tanzen und
springen, und sammeln dann in den Häusern Geld ein. Die Truppe aber,
die sich diesmal in Grünwiesel sehen ließ, zeichnete sich durch einen
ungeheuren Orang-Utang aus, der beinahe Menschengröße hatte, auf zwei
Beinen ging und allerlei artige Künste zu machen verstand. Diese Hunds-
und Affenkomödie kam auch vor das Haus des fremden Herrn. Er erschien,
als die Trommel und Pfeife ertönte, von Anfang ganz unwillig hinter
den dunkeln, vom Alter angelaufenen Fenstern. Bald aber wurde er
freundlicher, schaute zu jedermanns Verwundern zum Fenster heraus und
lachte herzlich über die Künste des Orang-Utangs. Ja, er gab für den
Spaß ein so großes Silberstück, daß die ganze Stadt davon sprach.

Am andern Morgen zog die Tierbande weiter. Das Kamel mußte viele
Körbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem saßen, die
Tiertreiber aber und der große Affe gingen hinter dem Kamel. Kaum aber
waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde Herr
auf die Post, verlangte zu großer Verwunderung des Postmeisters einen
Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus, den Weg hin,
den die Tiere genommen hatten. Das ganze Städtchen ärgerte sich, daß
man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei. Es war schon Nacht,
als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam. Es saß aber
noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrückt und
um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der Torschreiber
hielt es für seine Pflicht, den andern Fremden anzureden und um seinen
Paß zu bitten; er antwortete aber sehr grob, indem er in einer ganz
unverständlichen Sprache brummte.

»Es ist mein Neffe,« sagte der fremde Mann freundlich zum Torschreiber,
indem er ihm einige Silbermünzen in die Hand drückte; »es ist mein
Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch. Er hat soeben in seiner
Mundart ein wenig geflucht, daß wir hier aufgehalten werden.«

»Ei, wenn es Dero Neffe ist,« antwortete der Torschreiber, »so kann er
wohl ohne Paß hereinkommen. Er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen wohnen?«

»Allerdings,« sagte der Fremde, »und hält sich wahrscheinlich längere
Zeit hier auf.«

Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde
Herr und sein Neffe fuhren ins Städtchen. Der Bürgermeister und die
ganze Stadt waren übrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber.
Er hätte doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen sich
merken sollen. Daraus hätte man dann leicht erfahren, was für ein
Landeskind er und der Onkel wäre. Der Torschreiber versicherte aber,
daß es weder Französisch noch Italienisch sei, wohl aber habe es so
breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe der junge
Herr gesagt: »~Goddam!~« So half der Torschreiber sich selbst aus der
Not und dem jungen Mann zu einem Namen. Denn man sprach jetzt nur von
dem jungen Engländer im Städtchen. --

Aber auch der junge Engländer wurde nicht sichtbar, weder auf der
Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere
Weise viel zu schaffen. -- Es begab sich nämlich oft, daß von dem sonst
so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Lärm
ausging, daß die Leute haufenweise vor dem Hause stehen blieben und
hinaufsahen. Man sah dann den jungen Engländer, angetan mit einem roten
Frack und grünen Beinkleidern, mit struppigem Haar und schrecklicher
Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her durch alle
Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten Schlafrock,
eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft, aber einigemal
kam es doch der Menge auf der Straße vor, als müsse er den Jungen
erreicht haben; denn man hörte klägliche Angsttöne und klatschende
Peitschenhiebe die Menge. An dieser grausamen Behandlung des fremden
jungen Mannes nahmen die Frauen des Städtchens so lebhaften Anteil,
daß sie endlich den Bürgermeister bewogen, einen Schritt in der Sache
zu tun. Er schrieb dem fremden Herrn ein Billett, worin er ihm die
unglimpfliche Behandlung seines Neffen in ziemlich derben Ausdrücken
vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner solche Szenen vorfielen, den
jungen Mann unter seinen besonderen Schutz zu nehmen.

Wer war aber mehr erstaunt als der Bürgermeister, wie er den Fremden
selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah! Der
alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der
Eltern des Jünglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei sonst
ein kluger, anstelliger Junge, äußerte er, aber die Sprache erlerne
er sehr schwer; er wünsche so sehnlich, seinem Neffen das Deutsche
recht geläufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu nehmen,
ihn in die Gesellschaften von Grünwiesel einzuführen, und dennoch
gehe demselben die Sprache so schwer ein, daß man oft nichts Besseres
tun könne, als ihn gehörig durchzupeitschen. Der Bürgermeister fand
sich durch diese Mitteilung völlig befriedigt, riet dem Alten zur
Mäßigung und erzählte abends im Bierkeller, daß er selten einen so
unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden: »Es ist nur
schade,« setzte er hinzu, »daß er so wenig in Gesellschaft kommt; doch
ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig Deutsch spricht, besucht
er meine Cercles öfter.«

Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Städtchens völlig
umgeändert. Man hielt den Fremden für einen artigen Mann, sehnte sich
nach seiner näheren Bekanntschaft und fand es ganz in der Ordnung,
wenn hie und da in dem öden Hause ein gräßliches Geschrei aufging;
»er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen Sprache,« sagten die
Grünwieseler und blieben nicht mehr stehen. Nach einem Vierteljahr
ungefähr schien der Unterricht im Deutschen beendigt; denn der Alte
ging jetzt um eine Stufe weiter vor. Es lebte ein alter gebrechlicher
Franzose in der Stadt, der den jungen Leuten Unterricht im Tanzen gab;
diesen ließ der Fremde zu sich rufen und sagte ihm, daß er seinen
Neffen im Tanzen unterrichten lassen wolle. Er gab ihm zu verstehen,
daß derselbe zwar sehr gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas
eigensinnig sei; er habe nämlich früher bei einem andern Meister
tanzen gelernt, und zwar nach so sonderbaren Touren, daß er sich nicht
füglich in der Gesellschaft produzieren könne; der Neffe halte sich
aber ebendeswegen für einen großen Tänzer, obgleich sein Tanz nicht
die entfernteste Aehnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Tänze, die man
in meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Aehnlichkeit mit
Ekossaise oder Française habe. Er versprach übrigens einen Taler
für die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnügen bereit, den
Unterricht des eigensinnigen Zöglings zu übernehmen.

Es gab, wie der Franzose unter der Hand versicherte, auf der Welt
nichts so Sonderbares als diese Tanzstunden. Der Neffe, ein ziemlich
großer, schlanker, junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte,
erschien in einem roten Frack, schön frisiert, in grünen weiten
Beinkleidern und glacierten Handschuhen. Er sprach wenig und mit
fremdem Accent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann
verfiel er aber oft plötzlich in fratzenhafte Sprünge, tanzte die
kühnsten Touren, wobei er Entrechats machte, daß dem Tanzmeister
Hören und Sehen verging; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die
zierlichen Tanzschuhe von den Füßen, warf sie dem Franzosen an den
Kopf und setzte nun auf allen vieren im Zimmer umher. Bei diesem Lärm
fuhr dann der alte Herr plötzlich in einem weiten roten Schlafrock,
eine Mütze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer heraus und
ließ die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Rücken des Neffen
niederfallen. Der Neffe fing dann an schrecklich zu heulen, sprang auf
Tische und hohe Kommoden, ja, selbst an den Kreuzstöcken der Fenster
hinauf und sprach eine fremde seltsame Sprache. Der Alte im roten
Schlafrock aber ließ sich nicht irre machen, faßte ihn am Bein, riß
ihn herab, bläute ihn durch und zog ihm mittels einer Schnalle die
Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und manierlich wurde,
und die Tanzstunde ohne Störung weiter ging.

Als aber der Tanzmeister seinen Zögling so weit gebracht hatte, daß man
Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie umgewandelt.
Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des öden Hauses auf
einen Tisch sich setzen mußte. Der Tanzmeister stellte dann die Dame
vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide und einen
ostindischen Schal anziehen ließ; der Neffe forderte ihn auf und fing
nun an mit ihm zu tanzen und zu walzen; er war aber ein unermüdlicher,
rasender Tänzer, er ließ den Meister nicht aus seinen langen Armen,
ob er ächzte und schrie, er mußte tanzen, bis er ermattet umsank oder
bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der Geige. Den Tanzmeister
brachten diese Unterrichtsstunden beinahe unter den Boden, aber der
Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt bekam, der gute Wein, den der
Alte aufwartete, machten, daß er immer wiederkam, wenn er auch den Tag
zuvor sich fest vorgenommen hatte, nicht mehr in das öde Haus zu gehen.

Die Leute in Grünwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als
der Franzose. Sie fanden, daß der junge Mann viel Anlage zum
Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im Städtchen freuten
sich, bei dem großen Mangel an Herren, einen so flinken Tänzer für den
nächsten Winter zu bekommen.

Eines Morgens berichteten die Mägde, die vom Markte heimkehrten,
ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis. Vor dem öden Hause sei
ein prächtiger Glaswagen gestanden, mit schönen Pferden bespannt,
und ein Bedienter in reicher Livree habe den Schlag gehalten. Da
sei die Türe des öden Hauses aufgegangen und zwei schön gekleidete
Herren herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere
wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt
und so rasend tanze. Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der
Bediente hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle sich
vor! sei geradezu auf Bürgermeisters Haus zugefahren.

Als die Frauen solches von ihren Mägden erzählen hörten, rissen sie
eilends die Küchenschürzen und die etwas unsauberen Hauben ab und
versetzten sich in Staat. »Es ist nichts gewisser,« sagten sie zu ihrer
Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchzimmer, das zugleich zu
sonstigem Gebrauch diente, aufzuräumen; »es ist nichts gewisser, als
daß der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einführt. Der alte Narr
war seit zehn Jahren nicht so artig, einen Fuß in unser Haus zu setzen,
aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der ein scharmanter Mensch
sein soll.« So sprachen sie und ermahnten ihre Söhne und Töchter, recht
manierlich auszusehen, wenn die Fremden kämen, sich gerade zu halten
und sich auch einer besseren Aussprache zu bedienen als gewöhnlich. Und
die klugen Frauen im Städtchen hatten nicht unrecht geraten; denn nach
der Reihe fuhr der alte Herr mit seinem Neffen umher, sich und ihn in
die Gewogenheit der Familien zu empfehlen.

Man war überall ganz erfüllt von den beiden Fremden und bedauerte,
nicht schon früher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben.
Der alte Herr zeigte sich als einen würdigen, sehr vernünftigen Mann,
der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig lächelte, so daß man
nicht gewiß war, ob es ihm Ernst sei oder nicht, aber er sprach über
das Wetter, über die Gegend, über das Sommervergnügen auf dem Keller
am Berge so klug und durchdacht, daß jedermann davon bezaubert war.
Aber der Neffe! Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen für sich.
Man konnte zwar, was sein Aeußeres betraf, sein Gesicht nicht schön
nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr
hervor, und der Teint war sehr bräunlich, auch machte er zuweilen
allerlei sonderbare Grimassen, drückte die Augen zu und fletschte mit
den Zähnen, aber dennoch fand man den Schnitt seiner Züge ungemein
interessant. Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als
seine Gestalt. Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib,
aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit großer Lebendigkeit im
Zimmer umher, warf sich hier in ein Sofa, dort in einen Lehnstuhl und
streckte die Beine von sich; aber was man bei einem andern jungen Mann
höchst gemein und unschicklich gefunden hätte, galt bei dem Neffen für
Genialität. »Er ist ein Engländer,« sagte man, »so sind sie alle; ein
Engländer kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, während zehn
Damen keinen Platz haben und umherstehen müssen; einem Engländer kann
man so etwas nicht übelnehmen.« Gegen den alten Herrn, seinen Oheim,
war er sehr fügsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhüpfen oder,
wie er gerne tat, die Füße auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte
ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen. Und wie konnte
man ihm so etwas übelnehmen, als vollends der Onkel in jedem Haus zu
der Dame sagte: »Mein Neffe ist noch ein wenig roh und ungebildet,
aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die wird ihn
gehörig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich Ihnen aufs
angelegenste.«

So war der Neffe also in die Welt eingeführt, und ganz Grünwiesel
sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von
diesem Ereignis. Der alte Herr blieb aber hierbei nicht stehen;
er schien seine Denk- und Lebensart gänzlich geändert zu haben.
Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg,
wo die vornehmeren Herren von Grünwiesel Bier tranken und sich am
Kegelschieben ergötzten. Der Neffe zeigte sich dort als einen flinken
Meister im Spiel; denn er warf nie unter fünf oder sechs; hie und da
schien zwar ein sonderbarer Geist über ihn zu kommen; es konnte ihm
einfallen, daß er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die
Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder wenn
er den Kranz oder den König geworfen, stand er plötzlich auf seinem
schön frisierten Haar und streckte die Beine in die Höhe, oder wenn
ein Wagen vorbeifuhr, saß er, ehe man sich dessen versah, oben auf dem
Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr ein Stückchen weit mit
und kam wieder zur Gesellschaft gesprungen.

Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Bürgermeister und die
anderen Männer sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der Ungezogenheit
seines Neffen; sie aber lachten, schrieben es seiner Jugend zu,
behaupteten, in diesem Alter selbst so leichtfüßig gewesen zu sein, und
liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten, ungemein.

Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig über ihn ärgerten und
dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Engländer allgemein als
ein Muster von Bildung und Verstand galt. Der alte Herr pflegte nämlich
mit seinem Neffen auch abends in den goldenen Hirsch, das Wirtshaus
des Städtchens, zu kommen. Obgleich der Neffe noch ein ganz junger
Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter, setzte sich hinter
sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog eine gewaltige Pfeife
heraus, zündete sie an und dampfte unter allen am ärgsten. Wurde nun
über die Zeitungen, über Krieg und Frieden gesprochen, gab der Doktor
die Meinung, der Bürgermeister jene, waren die anderen Herren ganz
erstaunt über so tiefe politische Kenntnisse, so konnte es dem Neffen
plötzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu sein; er schlug dann mit
der Hand, von welcher er nie die Handschuhe ablegte, auf den Tisch und
gab dem Bürgermeister und dem Doktor nicht undeutlich zu verstehen,
daß sie von diesem allen nichts genau wüßten, daß er diese Sachen ganz
anders gehört habe und tiefere Einsicht besitze. Er gab dann in einem
sonderbar gebrochenen Deutsch seine Meinung preis, die alle, zum großen
Aergernis des Bürgermeisters, ganz trefflich fanden; denn er mußte als
Engländer natürlich alles besser wissen.

Setzten sich dann der Bürgermeister und der Doktor in ihrem Zorn, den
sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so
rückte der Neffe hinzu, schaute dem Bürgermeister mit seiner großen
Brille über die Schultern herein und tadelte diesen oder jenen Zug,
sagte dem Doktor, so und so müsse er ziehen, so daß beide Männer
heimlich ganz grimmig wurden. Bot ihm dann der Bürgermeister ärgerlich
eine Partie an, um ihn gehörig matt zu machen, denn er hielt sich für
einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem Neffen die
Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig und manierlich wurde und
den Bürgermeister matt machte.

Man hatte bisher in Grünwiesel beinahe jeden Abend Karten gespielt,
die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbärmlich,
setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so
fein wie er, söhnte aber die beleidigten Herren gewöhnlich dadurch
wieder aus, daß er ungeheure Summen an sie verlor. Sie machten sich
auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunehmen; denn »er
ist ja ein Engländer, also von Hause aus reich,« sagten sie und schoben
die Dukaten in die Tasche.

So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und
Umgegend in ungemeines Ansehen. Man konnte sich seit Menschengedenken
nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in Grünwiesel gesehen zu
haben, und es war die sonderbarste Erscheinung, die man je bemerkt.
Man konnte nicht sagen, daß der Neffe irgend etwas gelernt hätte, als
etwas tanzen. Latein und Griechisch waren ihm, wie man zu sagen pflegt,
böhmische Dörfer. Bei einem Gesellschaftsspiel in Bürgermeisters Haus
sollte er etwas schreiben, und es fand sich, daß er nicht einmal seinen
Namen schreiben konnte; in der Geographie machte er die auffallendsten
Schnitzer; denn es kam ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach
Frankreich oder eine dänische nach Polen zu versetzen; er hatte
nichts gelesen, nichts studiert, und der Oberpfarrer schüttelte oft
bedenklich den Kopf über die rohe Unwissenheit des jungen Mannes; aber
dennoch fand man alles trefflich, was er tat oder sagte; denn er war
so unverschämt, immer recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner
Reden war: »Ich verstehe das besser!«

So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch
größerer Glorie auf. Man fand jede Gesellschaft langweilig, wo er
nicht zugegen war, man gähnte, wenn ein vernünftiger Mann etwas sagte;
wenn aber der Neffe selbst das törichtste Zeug in schlechtem Deutsch
vorbrachte, war alles Ohr. Es fand sich jetzt, daß der treffliche junge
Mann auch ein Dichter war; denn nicht leicht verging ein Abend, an
welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der Gesellschaft
einige Sonette vorlas. Es gab zwar einige Leute, die von dem einen Teil
dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht und ohne Sinn, einen
andern Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt gelesen haben; aber der
Neffe ließ sich nicht irre machen, er las und las, machte dann auf die
Schönheiten seiner Verse aufmerksam, und jedesmal erfolgte rauschender
Beifall.

Sein Triumph waren aber die Grünwieseler Bälle. Es konnte niemand
anhaltender, schneller tanzen als er, keiner machte so kühne und
ungemein zierliche Sprünge wie er. Dabei kleidete ihn sein Onkel immer
aufs prächtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm die
Kleider nicht recht am Leib sitzen wollten, fand man dennoch, daß ihn
alles allerliebst kleide. Die Männer fanden sich zwar bei diesen Tänzen
etwas beleidigt durch die neue Art, womit er auftrat. Sonst hatte immer
der Bürgermeister in eigener Person den Ball eröffnet, die vornehmsten
jungen Leute hatten das Recht, die übrigen Tänze anzuordnen, aber
seit der fremde junge Herr erschien, war dies alles ganz anders. Ohne
viel zu fragen, nahm er die nächste beste Dame bei der Hand, stellte
sich mit ihr obenan, machte alles, wie es ihm gefiel, und war Herr
und Meister und Ballkönig. Weil aber die Frauen diese Manieren ganz
trefflich und angenehm fanden, so durften die Männer nichts dagegen
einwenden, und der Neffe blieb bei seiner selbstgewählten Würde.

Das größte Vergnügen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu
gewähren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, lächelte immer
in sich hinein, und wenn alle Welt herbeiströmte, um ihm über den
anständigen wohlerzogenen Jüngling Lobsprüche zu erteilen, so konnte
er sich vor Freude gar nicht fassen, er brach dann in ein lustiges
Gelächter aus und bezeigte sich wie närrisch; die Grünwieseler
schrieben diese sonderbaren Ausbrüche der Freude seiner großen Liebe
zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung. Doch hie und da
mußte er auch sein väterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden; denn
mitten in den zierlichsten Tänzen konnte es dem jungen Mann einfallen,
mit einem kühnen Sprung auf die Tribüne, wo die Stadtmusikanten
saßen, zu setzen, dem Organisten den Konterbaß aus der Hand zu reißen
und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er wechselte auf einmal
und tanzte auf den Händen, Indem er die Beine in die Höhe streckte.
Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu nehmen, machte ihm dort
ernstliche Vorwürfe und zog ihm die Halsbinde fester an, daß er wieder
ganz gesittet wurde.

So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Bällen. Wie es
aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten
sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode,
wenn sie auch höchst lächerlich sein sollte, hat etwas Ansteckendes
an sich für junge Leute, die noch nicht über sich selbst und die Welt
nachgedacht haben. So war es auch in Grünwiesel mit dem Neffen und
seinen sonderbaren Sitten. Als nämlich die junge Welt sah, wie derselbe
mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und Schwatzen,
mit seinen groben Antworten gegen Aeltere eher geschätzt als getadelt
werde, daß man dies alles sogar sehr geistreich finde, so dachten
sie bei sich: »Es ist mir ein leichtes, auch solch ein geistreicher
Schlingel zu werden.« Sie waren sonst fleißige, geschickte junge Leute
gewesen; jetzt dachten sie: »Zu was hilft Gelehrsamkeit, wenn man
mit Unwissenheit besser fortkommt;« sie ließen die Bücher liegen und
trieben sich überall umher auf Plätzen und Straßen. Sonst waren sie
artig gewesen und höflich gegen jedermann, hatten gewartet, bis man
sie fragte und anständig und bescheiden geantwortet; jetzt standen sie
in die Reihen der Männer, schwatzten mit, gaben ihre Meinung preis und
lachten selbst dem Bürgermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte,
und behaupteten, alles viel besser zu wissen.

Sonst hatten die jungen Grünwieseler Abscheu gehegt gegen rohes und
gemeines Wesen. Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten
aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen
umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, große
Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute
zu sein; denn sie sahen ja aus wie der berühmte Neffe. Zu Hause oder
wenn sie auf Besuch waren, lagen sie mit Stiefeln und Sporen aufs
Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder
stützten die Wangen in beide Fäuste, die Ellbogen aber auf den Tisch,
was nun überaus reizend anzusehen war. Umsonst sagten ihnen ihre Mütter
und Freunde, wie töricht, wie unschicklich dies alles sei, sie beriefen
sich auf das glänzende Beispiel des Neffen. Umsonst stellte man ihnen
vor, daß man dem Neffen, als einem jungen Engländer, eine gewisse
Nationalroheit verzeihen müsse, die jungen Grünwieseler behaupteten,
ebensogut als der beste Engländer das Recht zu haben, auf geistreiche
Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie durch das böse
Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten in Grünwiesel
völlig untergingen.

Aber die Freude der jungen Leute in ihrem rohen, ungebundenen
Leben dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veränderte auf
einmal die ganze Szene. Die Wintervergnügungen sollte ein großes
Konzert beschließen, das teils von den Stadtmusikanten, teils von
geschickten Musikfreunden in Grünwiesel aufgeführt werden sollte.
Der Bürgermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott
ganz vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz
hatte, blies die Flöte, einige Jungfrauen aus Grünwiesel hatten
Arien einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet. Da äußerte
der alte Fremde, daß zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden
müsse, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett müsse in
jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen. Man war etwas
betreten über diese Aeußerung; die Tochter des Bürgermeisters sang
zwar wie eine Nachtigall, aber wo einen Herrn herbekommen, der mit ihr
ein Duett singen könnte? Man wollte endlich auf den alten Organisten
verfallen, der einst einen trefflichen Baß gesungen hatte; der Fremde
aber behauptete, dies alles sei nicht nötig, indem sein Neffe ganz
ausgezeichnet singe. Man war nicht wenig erstaunt über diese neue
treffliche Eigenschaft des jungen Mannes, er mußte zur Probe etwas
singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die man für
englisch hielt, sang er wie ein Engel. Man studierte also in aller Eile
das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem die Ohren der
Grünwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten.

Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht
beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Bürgermeister, der ihn
eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Maßregeln über seinen Neffen
auf. »Es ist eine gute Seele, mein Neffe,« sagte er, »aber hie und da
verfällt er in allerlei sonderbare Gedanken und fängt dann tolles Zeug
an; es ist mir ebendeswegen leid, daß ich dem Konzert nicht beiwohnen
kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weiß wohl warum!
Ich muß übrigens zu seiner Ehre sagen, daß dies nicht geistiger
Mutwille ist, sondern es ist körperlich, es liegt in seiner ganzen
Natur; wollten Sie nun, Herr Bürgermeister, wenn er etwa in solche
Gedanken verfiele, daß er sich auf ein Notenpult setzte, oder daß er
durchaus den Konterbaß streichen wollte oder dergleichen, wollten Sie
ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen oder, wenn es
auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen, Sie werden
sehen, wie artig und manierlich er dann wird.«

Der Bürgermeister dankte dem Kranken für sein Zutrauen und versprach im
Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten.

Der Konzertsaal war gedrängt voll; denn ganz Grünwiesel und die
Umgegend hatten sich eingefunden. Alle Jäger, Pfarrer, Amtleute,
Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit
zahlreicher Familie herbeigeströmt, um den seltenen Genuß mit den
Grünwieselern zu teilen. Die Stadtmusikanten hielten sich vortrefflich,
nach ihnen trat der Bürgermeister auf, der das Violoncell spielte,
begleitet vom Apotheker, der die Flöte blies; nach diesem sang der
Organist eine Baßarie mit allgemeinem Beifall, und auch der Doktor
wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem Fagott sich hören ließ.

Die erste Abteilung des Konzerts war vorbei, und jedermann war nun auf
die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des Bürgermeisters
Tochter ein Duett vortragen sollte. Der Neffe war in einem glänzenden
Anzug erschienen und hatte schon längst die Aufmerksamkeit aller
Anwesenden auf sich gezogen. Er hatte sich nämlich, ohne viel zu
fragen, in den prächtigen Lehnstuhl gelegt, der für eine Gräfin aus
der Nachbarschaft hergesetzt worden war; er streckte die Beine weit
von sich, schaute jedermann durch ein ungeheures Perspektiv an, das
er noch außer seiner großen Brille gebrauchte, und spielte mit einem
großen Fleischerhund, den er, trotz des Verbots, Hunde mitzunehmen, in
die Gesellschaft eingeführt hatte. Die Gräfin, für welche der Lehnstuhl
bereitet war, erschien, aber wer keine Miene machte, aufzustehen und
ihr den Platz einzuräumen, war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil
noch bequemer hinein, und niemand wagte es, dem jungen Mann etwas
darüber zu sagen; die vornehme Dame aber mußte auf einem ganz gemeinen
Strohsessel mitten unter den übrigen Frauen des Städtchens sitzen und
soll sich nicht wenig geärgert haben.

Während des herrlichen Spiels des Bürgermeisters, während des
Organisten trefflicher Baßarie, ja sogar während der Doktor auf dem
Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, ließ der
Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut
mit seinen Nachbarn, so daß jedermann, der ihn nicht kannte, über die
absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte.

Kein Wunder daher, daß alles sehr begierig war, wie er sein Duett
vortragen würde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten
hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Bürgermeister mit
seiner Tochter zu dem jungen Mann, überreichte ihm ein Notenblatt und
sprach: »Mosjöh! wäre es Ihnen jetzt gefällig, das Duetto zu singen?«
Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zähnen, sprang auf, und die
beiden andern folgten ihm an das Notenpult, und die ganze Gesellschaft
war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und winkte dem Neffen,
anzufangen. Dieser schaute durch seine großen Brillengläser in die
Noten und stieß greuliche, jämmerliche Töne aus. Der Organist aber
schrie ihm zu: »Zwei Töne tiefer, Wertester, ~C~ müssen Sie singen,
~C~!«

Statt aber ~C~ zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und
warf ihn dem Organisten an den Kopf, daß der Puder weit umherflog.
Als dies der Bürgermeister sah, dachte er: »Ha! jetzt hat er wieder
seine körperlichen Zufälle,« sprang hinzu, packte ihn am Hals und band
ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch schlimmer
mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern eine ganz
sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte große Sprünge. Der
Bürgermeister war in Verzweiflung über diese unangenehme Störung, er
faßte daher den Entschluß, dem jungen Mann, dem etwas ganz Besonderes
zugestoßen sein mußte, das Halstuch vollends abzulösen. Aber kaum hatte
er dies getan, so blieb er vor Schrecken wie erstarrt stehen, denn
statt menschlicher Haut und Farbe umgab den Hals des jungen Menschen
ein dunkelbraunes Fell, und alsobald setzte derselbe auch seine
Sprünge noch höher und sonderbarer fort, fuhr sich mit den glacierten
Handschuhen in die Haare, zog diese ab, und, o Wunder! diese schönen
Haare waren eine Perücke, die er dem Bürgermeister ins Gesicht warf,
und sein Kopf erschien mit demselben braunen Fell bewachsen.

Er setzte über Tische und Bänke, warf die Notenpulte um, zertrat
Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender. »Fangt ihn, fangt
ihn,« rief der Bürgermeister ganz außer sich, »er ist von Sinnen,
fangt ihn!« Das war aber eine schwierige Sache. Denn er hatte die
Handschuhe abgezogen und zeigte Nägel an den Händen, mit welchen er
den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte. Endlich gelang
es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden; er preßte ihm die
langen Arme zusammen, daß er nur noch mit den Füßen zappelte und mit
heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich umher und
betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar nicht mehr
aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der Nachbarschaft,
der ein großes Naturalienkabinett und allerlei ausgestopfte Tiere
besaß, trat näher, betrachtete ihn genau und rief dann voll
Verwunderung: »Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie bringen Sie
nur dies Tier in honette Gesellschaft? Das ist ja ein Affe, der ~Homo
Troglodytes Linnaei~, ich gebe sogleich sechs Taler für ihn, wenn Sie
mir ihn ablassen, und bälge ihn aus für mein Kabinett.«

Wer beschreibt das Erstaunen der Grünwieseler, als sie dies hörten!
»Was, ein Affe, ein Orang-Utang in unserer Gesellschaft? Der junge
Fremde ein ganz gewöhnlicher Affe?« riefen sie und sahen einander ganz
dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute seinen
Ohren nicht, die Männer untersuchten das Tier genauer, aber es war und
blieb ein ganz natürlicher Affe.

»Aber wie ist dies möglich!« rief die Frau Bürgermeisterin, »hat er
mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht, wie ein anderer
Mensch, bei mir zu Mittag gespeist?«

»Was?« eiferte die Frau Doktorin. »Wie? Hat er nicht oft und viel den
Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Manne gelehrt gesprochen und
geraucht?«

»Wie! ist es möglich!« riefen die Männer. »Hat er nicht mit uns
am Felsenkeller Kegel geschoben und über Politik gestritten wie
unsereiner?«

»Und wie?« klagten sie alle. »Hat er nicht sogar vorgetanzt auf unseren
Bällen? Ein Affe! ein Affe! Es ist ein Wunder, es ist Zauberei!«

»Ja, es ist Zauberei und teuflischer Spuk,« sagte der Bürgermeister,
indem er das Halstuch des Neffen oder Affen herbeibrachte. »Seht!
In diesem Tuch steckt der ganze Zauber, der ihn in unsern Augen
liebenswürdig machte. Da ist ein breiter Streifen elastischen
Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen beschrieben. Ich glaube
gar, es ist Lateinisch; kann es niemand lesen?«

Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie
Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und
sprach: »Mit nichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heißt:

    ~DER . AFFE . SEHR . POSSIERLICH . IST .
    ZUMAL . WENN . ER . VOM . APFEL . FRISST.~

Ja, ja, es ist höllischer Betrug, eine Art von Zauberei,« fuhr er fort,
»und es muß exemplarisch bestraft werden.«

Der Bürgermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich
auf den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein mußte, und sechs
Stadtsoldaten trugen den Affen, denn der Fremde sollte sogleich ins
Verhör genommen werden.

Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das öde
Haus. Denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben
würde. Man pochte an das Haus, man zog die Glocke, aber vergeblich,
es zeigte sich niemand. Da ließ der Bürgermeister in seiner Wut die
Türe einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden.
Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde
Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein großer
versiegelter Brief, an den Bürgermeister überschrieben, den dieser auch
sogleich öffnete. Er las:

        »Meine lieben Grünwieseler!

    Wenn ihr dies leset, bin ich nicht mehr in eurem Städtchen,
    und ihr werdet dann längst erfahren haben, wes Standes und
    Vaterlandes mein lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich
    mir mit euch erlaubte, als eine gute Lehre auf, einen Fremden,
    der für sich leben will, nicht in eure Gesellschaft zu nötigen.
    Ich selbst fühlte mich zu gut, um euer ewiges Klatschen, um
    eure schlechten Sitten und euer lächerliches Wesen zu teilen.
    Darum erzog ich einen jungen Orang-Utang, den ihr, als meinen
    Stellvertreter, so lieb gewonnen habt. Lebet wohl und benützet
    diese Lehre nach Kräften.«

Die Grünwieseler schämten sich nicht wenig vor dem ganzen Land. Ihr
Trost war, daß dies alles mit unnatürlichen Dingen zugegangen sei. Am
meisten schämten sich aber die jungen Leute in Grünwiesel, weil sie die
schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt hatten. Sie
stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie schaukelten nicht
mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt wurden, sie legten die
Brillen ab und waren artig und gesittet wie zuvor, und wenn je einer
wieder in solche schlechte, lächerliche Sitten verfiel, so sagten die
Grünwieseler: »Es ist ein Affe.« Der Affe aber, welcher so lange die
Rolle eines jungen Herrn gespielt hatte, wurde dem gelehrten Mann, der
ein Naturalienkabinett besaß, überantwortet. Dieser läßt ihn in seinem
Hof umhergehen, füttert ihn und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden,
wo er noch bis auf den heutigen Tag zu sehen ist.

       *       *       *       *       *

Es entstand ein Gelächter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und
auch die jungen Männer lachten mit. »Es muß doch sonderbare Leute geben
unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim Scheik
und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers, des
Bürgermeisters und ihrer törichten Frauen in Grünwiesel!«

»Du hast gewiß recht gesprochen,« erwiderte der junge Kaufmann. »In
Frankistan möchte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes,
wildes, barbarisches Volk, und für einen gebildeten Türken oder Perser
müßte es schrecklich sein, dort zu leben.«

»Das werdet ihr bald hören,« versprach der Alte. »Soviel mir der
Sklavenaufseher sagte, wird der schöne junge Mann dort vieles von
Frankistan erzählen. Denn er war lange dort und ist doch seiner Geburt
nach ein Muselmann.«

»Wie? jener, der zuletzt sitzt in der Reihe? Wahrlich, es ist eine
Sünde, daß der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schönste Sklave
im ganzen Land. Schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kühne Auge,
diese schöne Gestalt. Er kann ihm ja leichte Geschäfte geben. Er kann
ihn zum Fliegenwedler machen oder zum Pfeifenträger. Es ist ein Spaß,
ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher Sklave ist die
Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat er ihn, und gibt
ihn weg? Es ist Torheit, es ist Sünde!«

»Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Aegypten!« sprach
der Alte mit Nachdruck. »Sagte ich euch nicht schon, daß er ihn
losläßt, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen. Ihr
sagt, er ist schön und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit! Aber
der Sohn des Scheiks, den der Prophet in sein Vaterhaus zurückbringen
möge, der Sohn des Scheiks war ein schöner Knabe, und muß jetzt auch
groß sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen und einen
wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, seinen Sohn
dafür zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der tue es lieber
gar nicht oder -- recht!«

»Und sehet, des Scheiks Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet.
Ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Während der Erzählungen
streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zügen des
Freigelassenen. Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben.«

»Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzten
ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?« sagte der alte Mann.
»Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, so denkt er
wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet, er denkt wohl, ob
dort vielleicht ein barmherziger Mann wohne, der ihn loskaufe und
zurückschicke zum Vater.«

»Ihr möget recht haben,« erwiderte der junge Kaufmann, »und ich schäme
mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke,
während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind die
Menschen in der Regel schlecht, habt Ihr dies nicht auch gefunden,
Alter?«

»Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von
den Menschen,« antwortete dieser. »Es ging mir gerade wie Euch. Ich
lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen,
mußte selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die Menschen
alle für schlechte Geschöpfe zu halten. Doch, da fiel mir bei, daß
Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte, daß ein so
verworfenes Geschlecht auf dieser schönen Erde hause. Ich dachte nach
über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und siehe -- ich hatte
nur das Böse gezählt und das Gute vergessen. Ich hatte nicht acht
gegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit übte, ich hatte es
natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft lebten und gerecht
waren. So oft ich aber Böses, Schlechtes hörte, hatte ich es wohl
angemerkt in meinem Gedächtnis. Da fing ich an, mit ganz andern Augen
um mich zu schauen. Es freute mich, wenn ich das Gute nicht so sparsam
keimen sah, wie ich anfangs dachte, ich bemerkte das Böse weniger, oder
es fiel mir nicht so sehr auf, und so lernte ich die Menschen lieben,
lernte Gutes von Ihnen denken und habe mich in langen Jahren seltener
geirrt, wenn ich von einem Gutes sprach, als wenn ich ihn für geizig
oder gemein oder gottlos hielt.«

Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven
unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: »Mein Herr, der Scheik von
Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale
bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu
setzen.«

Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt über die Ehre, die dem
Alten widerfahren sollte, den sie für einen Bettler gehalten, und als
dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den
Sklavenaufseher zurück, und der Schreiber fragte ihn: »Beim Bart des
Propheten beschwöre ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit
dem wir sprachen, und den der Scheik also ehrt?«

»Wie!« rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die
Hände zusammen, »diesen Mann kennet ihr nicht?«

»Nein, wir wissen nicht, wer er ist.«

»Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Straße
sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst
letzthin gesagt: ›Das müssen wackere junge Leute sein, die dieser Mann
eines Gespräches würdigt.‹«

»Aber so sage doch, wer es ist!« rief der junge Kaufmann in höchster
Ungeduld.

»Gehet, ihr wollet mich nur zum Narren haben,« antwortete der
Sklavenaufseher. »In diesen Saal kommt sonst niemand, wer nicht
ausdrücklich eingeladen ist, und heute ließ der Alte dem Scheik sagen,
er werde einige junge Männer in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm
nicht ungelegen sei, und Ali Banu ließ ihm sagen, er habe über sein
Haus zu gebieten!«

»Lasse uns nicht länger in Ungewißheit. So wahr ich lebe, ich weiß
nicht, wer dieser Mann ist, wir lernten ihn zufällig kennen und
sprachen mit ihm.«

»Nun, dann dürfet ihr euch glücklich preisen; denn ihr habt mit einem
gelehrten, berühmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und
bewundern euch deshalb. Es ist niemand anders als Mustapha, der
gelehrte Derwisch.«

»Mustapha! der weise Mustapha, der den Sohn des Scheiks erzogen hat,
der viele gelehrte Bücher schrieb, der große Reisen machte in alle
Weltteile? Mit Mustapha haben wir gesprochen? Und gesprochen, als wär'
er unsereiner, so ganz ohne alle Ehrerbietung?«

       *       *       *       *       *

Noch waren die jungen Männer im Gespräch über diese Märchen und über
den Alten, den Derwisch Mustapha. Sie fühlten sich nicht wenig geehrt,
daß ein so alter und berühmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit gewürdigt
und sogar öfters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. Da kam
plötzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, ihm zum
Scheik zu folgen, der sie sprechen wolle. Den Jünglingen pochte das
Herz. Noch nie hatten sie mit einem so vornehmen Mann gesprochen, nicht
einmal allein, viel weniger in so großer Gesellschaft. Doch, sie faßten
sich, um nicht als Toren zu erscheinen, und folgten dem Aufseher der
Sklaven zum Scheik. Ali Banu saß auf einem reichen Polster und nahm
Sorbett zu sich. Zu seiner Rechten saß der Alte, sein dürftiges Kleid
ruhte auf herrlichen Polstern, seine ärmlichen Sandalen hatte er auf
einen reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt, aber sein schöner
Kopf, sein Auge voll Würde und Weisheit zeigten an, daß er würdig sei,
neben einem Mann wie der Scheik zu sitzen.

Der Scheik war sehr ernst, und der Alte schien ihm Trost und
Mut zuzusprechen. Die Jünglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor
das Angesicht des Scheiks eine List des Alten zu entdecken, der
wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespräch mit ihnen
zerstreuen wollte.

»Willkommen, ihr jungen Männer,« sprach der Scheik, »willkommen in dem
Hause Ali Banus. Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank verdient,
daß er euch hier einführte; doch zürne ich ihm ein wenig, daß er mich
nicht früher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist denn der junge
Schreiber?«

»Ich, o Herr! und zu Euren Diensten!« sprach der junge Schreiber, indem
er die Arme über der Brust kreuzte und sich tief verbeugte.

»Ihr hört also sehr gerne Geschichten und leset gerne Bücher mit
schönen Versen und Denksprüchen?«

Der junge Mann erschrak und errötete; denn ihm fiel bei, wie er damals
den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seiner Stelle
würde er sich erzählen oder aus Büchern vorlesen lassen. Er war dem
schwatzhaften Alten, der dem Scheik gewiß alles verraten hatte, in
diesem Augenblick recht gram, warf ihm einen bösen Blick zu und sprach
dann: »O Herr! allerdings kenne ich für meinen Teil keine angenehmere
Beschäftigung, als mit dergleichen den Tag zuzubringen. Es bildet den
Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder nach seiner Weise, ich tadle
darum gewiß keinen, der nicht --«

»Schon gut, schon gut,« unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte
den zweiten herbei. »Wer bist denn du?« fragte er ihn.

»Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst
schon einige Kranke geheilt.«

»Richtig,« erwiderte der Scheik, »und Ihr seid es auch, der das
Wohlleben liebet; Ihr möchtet gerne mit guten Freunden hie und da
tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?«

Der junge Mann war beschämt; er fühlte, daß er verraten war, und daß
der Alte auch von ihm dem Scheik gebeichtet haben mußte. Er faßte sich
aber ein Herz und antwortete: »O ja, Herr, ich rechne es unter des
Lebens Glückseligkeiten, hie und da mit guten Freunden fröhlich sein zu
können. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine Freunde
mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu bewirten; doch
sind wir auch dabei fröhlich, und es läßt sich denken, daß wir es noch
um ein gutes Teil mehr wären, wenn ich mehr Geld hätte.«

Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht
enthalten, darüber zu lachen. »Welcher ist denn der junge Kaufmann?«
fragte er weiter.

Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik;
denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheik aber sprach:
»Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr höret es gerne,
wenn gute Künstler etwas spielen und singen, und sehet gerne Tänzer
künstliche Tänze ausführen?«

Der junge Kaufmann antwortete: »Ich sehe wohl, o Herr, daß jener alte
Mann, um Euch zu belustigen, unsere Torheiten insgesamt verraten hat.
Wenn es ihm gelang, Euch dadurch aufzuheitern, so habe ich gerne zu
Eurem Scherze gedient. Was aber Musik und Tanz betrifft, so gestehe
ich, es gibt nicht leicht etwas, was mein Herz also vergnügt. Doch
glaubet nicht, daß ich deswegen Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht
ebenfalls --«

»Genug, nicht weiter!« rief der Scheik, lächelnd mit der Hand
abwehrend. »Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort steht
ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen möchte? Wer
seid denn Ihr, junger Herr?«

»Ich bin ein Maler, o Herr,« antwortete der junge Mann; »ich male
Landschaften teils an die Wände der Säle, teils auf Leinwand. Fremde
Länder zu sehen, ist allerdings mein Wunsch, denn man sieht dort
allerlei schöne Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man
sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schöner, als was man
nur so selbst erfindet.«

Der Scheik betrachtete jetzt die schönen, jungen Leute, und sein Blick
wurde ernst und düster. »Ich hatte einst auch einen lieben Sohn,«
sagte er, »und er müßte nun auch so herangewachsen sein wie ihr. Da
solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer Wünsche
würde von selbst befriedigt werden. Mit jenem würde er lesen, mit
diesem Musik hören, mit dem andern würde er gute Freunde einladen
und fröhlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler ließe ich ihn
ausziehen in schöne Gegenden und wäre dann gewiß, daß er immer wieder
zu mir zurückkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, und ich füge
mich seinem Willen ohne Murren. Doch, es steht in meiner Macht, eure
Wünsche dennoch zu erfüllen, und ihr sollet freudigen Herzens von Ali
Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund,« fuhr er fort, indem er sich zu
dem Schreiber wandte, »wohnt von jetzt an in meinem Hause und seid über
meine Bücher gesetzt. Ihr könnet noch dazu anschaffen, was Ihr wollet
und für gut haltet, und Euer einziges Geschäft sei, mir, wenn Ihr etwas
recht Schönes gelesen habt, zu erzählen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel
unter Freunden liebt, Ihr sollt der Aufseher über meine Vergnügungen
sein. Ich selbst zwar lebe einsam und ohne Freude, aber es ist meine
Pflicht, und mein Amt bringt es mit sich, hie und da viele Gäste
einzuladen. Dort sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und könnet
von Euren Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich,
auf etwas Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich
freilich seinem Geschäft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt;
aber alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Tänzer, Sänger und
Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet. Lasset Euch aufspielen
und tanzen nach Herzenslust. Und Ihr,« sprach er zu dem Maler, »Ihr
sollet fremde Länder sehen und das Auge durch Erfahrung schärfen. Mein
Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen antreten
könnet, tausend Goldstücke reichen, nebst zwei Pferden und einem
Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt, und wenn Ihr etwas Schönes
sehet, so malet es für mich.«

Die jungen Leute waren außer sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude
und Dank. Sie wollten den Boden vor den Füßen des gütigen Mannes
küssen, aber er ließ es nicht zu. »Wenn ihr einem zu danken habt,«
sprach er, »so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch
erzählte. Auch mir hat er dadurch Vergnügen gemacht, vier so muntere
junge Leute eurer Art kennen zu lernen.«

Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank der Jünglinge ab. »Sehet,«
sprach er, »wie man nie voreilig urteilen muß; habe ich euch zuviel von
diesem edlen Mann gesagt?«

»Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind,
erzählen hören,« unterbrach ihn Ali Banu, und die Jünglinge begaben
sich an ihre Plätze.

Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs,
durch seine Schönheit und seinen mutigen Blick in so hohem Grade auf
sich gezogen hatte, stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und
fing mit wohltönender Stimme also zu sprechen an:



Die Geschichte Almansors.


»O Herr! die Männer, die vor mir gesprochen haben, erzählten mancherlei
wunderbare Geschichten, die sie gehört hatten in fremden Ländern; ich
muß mit Beschämung gestehen, daß ich keine einzige Erzählung weiß, die
Eurer Aufmerksamkeit würdig wäre. Doch, wenn es Euch nicht langweilt,
will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines meiner Freunde vortragen.

Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand
befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für das
Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen Unglücklichen
auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen ich nicht
leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; darum fand
ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten, gerne zu dem
jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner Aussprache nach ein
Aegypter. Wir unterhielten uns recht angenehm miteinander und kamen
eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte zu erzählen, da dann die
meines Freundes allerdings bei weitem merkwürdiger war als die meinige.

Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt,
deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit
vergnügt und froh, und umgeben von allem Glanz und Bequemlichkeit der
Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich erzogen, und sein Geist
wurde frühzeitig ausgebildet; denn sein Vater war ein weiser Mann,
der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies hatte er zum Lehrer einen
berühmten Gelehrten, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger
Mensch wissen muß. Almansor war etwa zehn Jahre alt, als die Franken
über das Meer her in das Land kamen und Krieg mit seinem Volke führten.

Der Vater des Knaben mußte aber den Franken nicht sehr günstig gewesen
sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen wollte,
kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner treuen
Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben wollte,
schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager.«

Als der junge Sklave also erzählte, verhüllte der Scheik sein
Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. »Wie,«
riefen die Freunde des Scheiks, »wie kann der junge Mann dort so
töricht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus
aufreißen, statt sie zu mildern, wie kann er ihm seinen Schmerz
erneuern, statt ihn zu zerstreuen?« Der Sklavenaufseher selbst war
voll Zorn über den unverschämten Jüngling, und gebot ihm zu schweigen.
Der junge Sklave aber war sehr erstaunt über dies alles und fragte den
Scheik, ob denn in seiner Erzählung etwas liege, das sein Mißfallen
erregt habe? Der Scheik richtete sich bei diesen Worten auf und sprach:
»Seid doch ruhig, ihr Freunde; wie kann denn dieser Jüngling etwas
von meinem betrübten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter
diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken
verübten, nicht ein ähnliches Geschick wie das meine geben, kann nicht
vielleicht selbst jener Almansor -- doch, erzähle immer weiter, mein
junger Freund!« Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort:

»Der junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es
erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherren ließ ihn in
sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben,
die ihm ein Dragoman übersetzen mußte, er sorgte für ihn, daß ihm an
Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und
Mutter machte dennoch den Knaben höchst unglücklich. Er weinte viele
Tage lang, aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager
wurde abgebrochen, und Almansor glaubte, jetzt wieder zurückkehren zu
dürfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, führte Krieg
mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit
sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch
wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er
müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein. So war er viele Tage
lang auf dem Marsch.

Aber auf einmal entstand eine Bewegung im Heer, die dem Knaben nicht
entging; man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen,
und Almansor war außer sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken
in ihr Land zurückkehrten, jetzt mußte er ja frei werden. Man zog mit
Roß und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so weit,
daß man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten schifften sich
ein, aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil eingeschifft war. So
gerne Almansor gewacht hätte, weil er jede Stunde glaubte freigelassen
zu werden, so verfiel er doch endlich in einen tiefen Schlaf, und er
glaubte, die Franken haben ihm etwas unter das Wasser gemischt, um ihn
einzuschläfern. Denn als er aufwachte, schien der helle Tag in eine
kleine Kammer, worin er nicht gewesen war, als er einschlief. Er sprang
auf von seinem Lager, aber als er auf den Boden kam, fiel er um; denn
der Boden schwankte hin und wieder, und es schien alles sich zu bewegen
und im Kreis um ihn her zu tanzen. Er raffte sich wieder auf, hielt
sich an den Wänden fest, um aus dem Gemach zu kommen, worin er sich
befand.

Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wußte nicht,
ob er träume oder wache; denn er hatte nie Aehnliches gesehen oder
gehört. Endlich erreichte er eine kleine Treppe, mit Mühe stieg er
hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als
Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe. Da fing er kläglich
an zu weinen. Er wollte zurückgebracht werden, er wollte ins Meer sich
stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat; aber die Franken
hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu sich kommen,
versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald wieder in seine
Heimat kommen, und stellte ihm vor, daß es nicht mehr möglich gewesen
wäre, ihn vom Lande aus nach Hause zu bringen, dort aber hätte er, wenn
man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen müssen.

Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte
viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an
Aegyptens Küste, sondern in Frankistan! Almansor hatte während der
langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken
verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand
seine Sprache kannte, sehr gut zu statten kam. Er wurde viele Tage lang
durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das Volk
zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er wäre
der Sohn des Königs von Aegypten, der ihn zu seiner Ausbildung nach
Frankistan schicke.

So sagten aber diese Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie
haben Aegypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land.
Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in
eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt
übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und Gebräuchen
von Frankistan unterwies.

Er mußte vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr enge und knapp
waren, und bei weitem nicht so schön, wie seine ägyptischen. Dann
durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen machen,
sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeigen, so mußte er
mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz, die alle
Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom Kopf reißen,
und mit der andern Hand mußte er auf die Seite fahren und mit dem
rechten Fuße auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit übergeschlagenen
Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im Morgenland, sondern auf
hochbeinige Stühle mußte er sich setzen und die Füße herabhängen lassen
auf den Boden. Das Essen machte ihm auch nicht geringe Schwierigkeit;
denn alles, was er zum Mund bringen wollte, mußte er zuvor auf eine
Gabel von Eisen stecken.

Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte;
denn, wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: »~Salem
aleikum!~« so schlug er ihn mit dem Stock; denn er sollte sagen:
»~votre serviteur~.« Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken
oder sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen, und er
hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein Mann
in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war.

Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele
morgenländische Sprachen verstand, Arabisch, Persisch, Koptisch, sogar
Chinesisch, von jedem etwas; er galt in jenem Land für ein Wunder von
Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, daß er diese Sprachen andere
Leute lehrte. Dieser Mann ließ nun den jungen Almansor alle Wochen
einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit seltenen Früchten und
dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als wäre er zu Hause. Denn
der alte Herr war gar ein sonderbarer Mann. Er hatte Almansor Kleider
machen lassen, wie sie vornehme Leute in Aegypten tragen. Diese Kleider
bewahrte er in seinem Hause in einem besonderen Zimmer auf. Kam nun
Almansor, so schickte er ihn mit einem Bedienten in jenes Zimmer und
ließ ihn ganz nach seiner Landessitte ankleiden. Von da an ging es dann
nach »Klein-Arabien«; so nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten.

Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, als
Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen, und mit Blumen
ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche lagen
auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends aber ein
fränkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster saß der alte
Professor; er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich; um den Kopf
hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden, er hatte
einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte und
aussah wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen Mannes.
Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen Schlafrock hatte
machen lassen, weite türkische Beinkleider, gelbe Pantoffeln, und,
so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er einen türkischen
Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein Dolch mit falschen Steinen
besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen langen Pfeife und ließ
sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls persisch gekleidet
waren, und wovon die Hälfte Gesicht und Hände schwarz gefärbt hatte.

Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar verwunderlich
bedünken, aber bald sah er ein, daß solche Stunden, wenn er in die
Gedanken des Alten sich fügte, sehr nützlich für ihn seien. Durfte er
beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die fränkische
Sprache sehr verboten. Almansor mußte beim Eintreten den Friedensgruß
sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte: dann winkte er
dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann Persisch, Arabisch,
Koptisch und alle Sprachen untereinander zu sprechen, und nannte
dies eine gelehrte morgenländische Unterhaltung. Neben ihm stand ein
Bedienter, oder, was sie an diesem Tage vorstellten, ein Sklave, der
ein großes Buch hielt; das Buch aber war ein Wörterbuch, und wenn dem
Alten die Worte ausgingen, winkte er dem Sklaven, schlug flugs auf, was
er sagen wollte, und fuhr dann zu sprechen fort.

Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbett und
dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen machen,
so mußte er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im Morgenland.
Almansor las sehr schön Persisch, und das war der Hauptvorteil für den
Alten. Er hatte viele persische Manuskripte, aus diesen ließ er sich
von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam nach und merkte sich auf
diese Art die richtige Aussprache.

Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entließ ihn
der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben
an Geld oder Leinenzeug oder andern notwendigen Dingen davon, die ihm
der Doktor nicht geben wollte. So lebte Almansor einige Jahre in der
Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der
Heimat geringer. Als er aber etwa fünfzehn Jahre alt war, begab sich
ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluß hatte.

Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit
welchem Almansor so oft in Aegypten gesprochen hatte, zu ihrem König
und Beherrscher. Almansor wußte zwar und erkannte es an den großen
Festlichkeiten, daß etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe;
doch konnte er sich nicht denken, daß der König derselbe sei, den er
in Aegypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger
Mann. Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über
den breiten Fluß führen, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in
dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer
lehnte und in die Wellen sah. Die Züge des Mannes fielen ihm auf, und
er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die
Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte der Kammer
von Aegypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das Verständnis, daß
dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit welchem er oft im Lager
gesprochen, und der immer gütig für ihn gesorgt hatte; er wußte seinen
rechten Namen nicht genau, er faßte sich daher ein Herz, trat zu ihm,
nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten, und sprach, indem
er nach seiner Landessitte die Arme über der Brust kreuzte: »~Salem
aleikum~, Petit-Caporal!«

Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen
Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: »Himmel, ist es möglich!
Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Aegypten? Was
führt dich zu uns hierher?«

Da konnte sich Almansor nicht länger halten, er fing an bitterlich zu
weinen und sagte zu dem Mann: »So weißt du also nicht, was die Hunde,
deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weißt nicht,
daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe seit vielen
Jahren?«

»Ich will nicht hoffen,« sagte der Mann, und seine Stirne wurde
finster, »ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte.«

»Ach, freilich,« antwortete Almansor; »an jenem Tag, wo eure Soldaten
sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; sie nahmen
mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend rührte, zahlt
ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, der mich schlägt
und halb Hungers sterben läßt. Aber höre, Petit-Caporal,« fuhr er ganz
treuherzig fort, »es ist gut, daß ich dich hier traf, du mußt mir
helfen.«

Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche
Weise er denn helfen sollte.

»Siehe,« sagte Almansor, »es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas
verlangen; du warst von jeher so gütig gegen mich, aber ich weiß, du
bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst
du nie so schön gekleidet wie die andern; auch jetzt mußt du, nach
deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein.
Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne
Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen
Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Kapudan-Pascha;
nicht?«

»Nun ja,« antwortete der Mann, »aber wie weiter?«

»Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen,
Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich
freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer,
vor allem aber mußt du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem
arabischen Professor etwas davon zu sagen.«

»Wer ist denn der arabische Professor?« fragte jener.

»Ach, das ist ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzähle ich dir
ein andermal. Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus
Frankistan weg. Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es
mir aufrichtig!«

»Komm mit mir,« sagte der Mann, »vielleicht kann ich dir jetzt gleich
nützlich sein.«

»Jetzt?« rief der Jüngling mit Schrecken. »Jetzt um keinen Preis, da
würde mich der Doktor prügeln; ich muß eilen, daß ich nach Hause komme.«

»Was trägst du denn in diesem Korb?« fragte jener, indem er ihn
zurückhielt. Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen,
endlich aber sagte er: »Siehe, Petit-Caporal, ich muß hier Dienste tun
wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger
Mann und schickt mich alle Tage von unserm Hause eine Stunde weit auf
den Gemüse- und Fischmarkt; da muß ich dann unter den schmutzigen
Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen wohlfeiler
ist als in unserm Stadtteil. Siehe, wegen dieses schlechten Herings,
wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses Stückchens Butter muß ich
alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es mein Vater wüßte!«

Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war gerührt über die Not des
Knaben und antwortete: »Komm nur mit mir und sei getrost; der Doktor
soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder Hering noch
Salat verspeist. Sei getrosten Mutes und komm.« Er nahm bei diesen
Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und obgleich
diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag doch so
viele Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, daß er sich
entschloß, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, neben dem
Soldaten viele Straßen durch, und wunderbar wollte es ihm bedünken, daß
alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und stehen blieben und ihnen
nachschauten. Er äußerte dies auch gegen seinen Begleiter; dieser aber
lachte und sagte nichts darüber.

Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloß, auf welches der Mann
zuging. »Wohnst du hier, Petit-Caporal?« fragte Almansor.

»Hier ist meine Wohnung,« entgegnete jener, »und ich will dich zu
meiner Frau führen.«

»Ei, da wohnst du schön!« fuhr Almansor fort, »gewiß hat dir der Sultan
hier freie Wohnung gegeben?«

»Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht;« antwortete sein
Begleiter und führte ihn in das Schloß. Dort stiegen sie eine breite
Treppe hinan, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb
absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine
Frau auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden
Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte dann
Almansor in fränkischer Sprache vieles über Aegypten. Endlich sagte
Petit-Caporal zu dem Jüngling: »Weißt du, was das beste ist? Ich will
dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich sprechen.«

Almansor erschrak sehr, aber er gedachte an sein Elend und seine
Heimat. »Dem Unglücklichen,« sprach er zu den beiden, »dem
Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not, er
wird auch mich armen Knaben nicht verlassen. Ich will es tun, ich will
zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muß ich vor ihm niederfallen, muß ich
die Stirne mit dem Boden berühren, was muß ich tun?«

Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht
nötig.

»Sieht er schrecklich und majestätisch aus, der Sultan?« fragte er
weiter, »hat er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie
sieht er aus?«

Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: »Ich will dir ihn
lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten,
welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle im
Saal des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig abnehmen,
der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der Kaiser.« Bei
diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm nach dem Saal
des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm das Herz, und
die Kniee fingen ihm an zu zittern, als sie sich der Türe näherten.
Ein Bedienter öffnete die Türe, und da standen in einem Halbkreis
wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet und mit Gold und
Sternen überdeckt, wie es Sitte ist im Lande der Franken bei den
vornehmsten Agas und Bassas der Könige; und Almansor dachte, sein
Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse der Geringsten einer
sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt entblößt, und Almansor
fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut auf dem Kopf hätte; denn
dieser mußte der Kaiser sein. Aber vergebens war sein Suchen. Alle
hatten den Hut in der Hand, und der Kaiser mußte also nicht unter ihnen
sein; da fiel sein Blick zufällig auf seinen Begleiter, und siehe --
dieser hatte den Hut auf dem Kopfe sitzen!

Der Jüngling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange an
und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: »~Salem aleikum~,
Petit-Caporal! Soviel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der
Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch, du
bist der, der den Hut trägt -- Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?«

»Du hast's erraten,« antwortete jener, »und überdies bin ich dein
Freund. Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen
Verwirrung der Umstände zu und sei versichert, daß du mit dem ersten
Schiff in dein Vaterland zurücksegelst. Gehe jetzt wieder hinein zu
meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor, und was du weißt.
Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken, du aber
bleibst für deinen Aufenthalt in meinem Palast.«

So sprach der Mann, der Kaiser war; Almansor aber fiel vor ihm nieder
küßte seine Hand und bat ihn um Verzeihung, daß er ihn nicht erkannt
habe, er habe es ihm gewiß nicht angesehen, daß er Kaiser sei.

»Du hast recht,« erwiderte jener lachend, »wenn man nur wenige Tage
Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben.« So
sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen.

Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden. Den
arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählte, durfte er
noch einigemal besuchen, den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach
einigen Wochen ließ ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an,
daß ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Aegypten senden
wolle. Almansor war außer sich vor Freude; wenige Tage reichten hin, um
ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schätzen und
Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und schiffte
sich ein.

Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen, wollte seinen Mut im Unglück
noch länger stählen, und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch nicht
sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten damals
Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe weg, die
sie besiegen konnten, und so kam es, daß am sechsten Tage der Reise
das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von englischen Schiffen
umgeben und beschossen wurde; es mußte sich ergeben, und die ganze
Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff gebracht, das mit den andern
weiter segelte. Doch, auf der See ist es nicht weniger unsicher als
in der Wüste, wo unversehens die Räuber auf die Karawanen fallen und
totschlagen und plündern. Ein Kaper von Tunis überfiel das kleine
Schiff, das der Sturm von den größeren Schiffen getrennt hatte, und --
es wurde genommen, und alle Mannschaft nach Algier geführt und verkauft.

Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil
er ein rechtgläubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt wieder
alle Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen.
Dort lebte er bei einem reichen Mann fünf Jahre und mußte die Blumen
begießen und den Garten bauen. Da starb der reiche Mann ohne nahe
Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt,
und Almansor fiel in die Hände eines Sklavenmäklers. Dieser rüstete
um diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu
verkaufen. Der Zufall wollte, daß ich selbst ein Sklave dieses Händlers
war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich befand. Dort
lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine wunderbaren
Schicksale. Doch -- als wir landeten, war ich Zeuge der wunderbarsten
Fügung Allahs; es war die Küste seines Vaterlandes, an welche wir aus
dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, wo wir öffentlich
ausgeboten wurden, und, o Herr! daß ich es kurz sage, es war sein
eigener, sein teurer Vater, der ihn kaufte!«

       *       *       *       *       *

Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken über diese
Erzählung; sie hatte ihn unwillkürlich mit sich fortgerissen, seine
Brust hob sich, sein Auge glühte, und er war oft nahe daran, seinen
jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzählung schien ihn
nicht zu befriedigen.

»Er könnte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du?« so fing er an zu
fragen.

»Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre.«

»Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt? das hast du uns noch
nicht gesagt.«

»Wenn ich nicht irre,« antwortete jener, »so war es Alessandria!«

»Alessandria!!« rief der Scheik; »es ist mein Sohn; wo ist er, wo ist
er geblieben? Sagtest du nicht, daß er Kairam hieß? Hat er dunkle Augen
und braunes Haar?«

»Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht
Almansor.«

»Aber, Allah! Allah! sage mir doch: sein Vater hätte ihn vor deinen
Augen gekauft, sagst du; sagte er, es sei sein Vater? Also ist er doch
nicht mein Sohn!«

Der Sklave antwortete: »Er sprach zu mir: ›Allah sei gepriesen nach so
langem Unglück; das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt.‹ Nach einer
Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke, da rief er: ›O, was für
ein teures Geschenk des Himmels sind die Augen! Ich sehe noch einmal
meinen ehrwürdigen Vater!‹ Der Mann aber trat zu uns, betrachtet diesen
und jenen und kauft endlich den, dem dies alles begegnet ist; da rief
er Allah an, sprach ein heißes Dankgebet und flüsterte mir zu: ›Jetzt
gehe ich wieder ein in die Hallen meines Glückes; es ist mein eigener
Vater, der mich gekauft hat.‹«

»Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam!« sagte der Scheik, von
Schmerz bewegt.

Da konnte sich der Jüngling nicht mehr zurückhalten, Tränen der Freude
entstürzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheik und rief:
»Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam Almansor; denn Ihr seid es, der
ihn gekauft hat.«

»Allah, Allah! Ein Wunder, ein großes Wunder!« riefen die Anwesenden
und drängten sich herbei; der Scheik aber stand sprachlos und staunte
den Jüngling an, der sein schönes Antlitz zu ihm aufhob. »Mein Freund
Mustapha!« sprach er zu dem alten Derwisch, »vor meinen Augen hängt
ein Schleier von Tränen, daß ich nicht sehen kann, ob die Züge seiner
Mutter, die mein Kairam trug, auf seinem Gesicht eingegraben sind,
trete du her und schaue ihn an.«

Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand auf die Stirne
des jungen Mannes und sprach: »Kairam! wie hieß der Spruch, den ich dir
am Tage des Unglücks mitgab ins Lager der Franken?«

»Mein teurer Lehrer!« antwortete der Jüngling, indem er die Hand des
Alten an seine Lippen zog, »er hieß: ›_So einer Allah liebt und ein gut
Gewissen hat, ist er auch in der Wüste des Elends nicht allein; denn er
hat zwei Gefährten, die ihm tröstend zur Seite gehen._‹«

Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Jüngling
herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: »Nimm ihn hin;
so gewiß du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiß ist es dein Sohn
Kairam.«

Der Scheik war außer sich vor Freude und Entzücken; er betrachtete
immer von neuem wieder die Züge des Wiedergefundenen, und unleugbar
fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte. Und
alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik, und
jedem unter ihnen war es, als wäre ihm heute ein Sohn geschenkt worden.

Jetzt füllte wieder Gesang und Jubel diese Halle, wie in den Tagen
des Glückes und der Freude. Noch einmal mußte der Jüngling, und
noch ausführlicher, seine Geschichte erzählen, und alle priesen den
arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams
angenommen hatte. Man war beisammen bis in die Nacht, und als man
aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf daß
er immer dieses Freudentages gedenke.

Die vier jungen Männer aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie
ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, daß er
mit dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte,
daß der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile, und der andere alle
Vergnügungen für sie bereiten solle. Auch sie wurden reich beschenkt
und traten freudig aus dem Hause des Scheiks.

»Wem haben wir dies alles zu verdanken,« sprachen sie untereinander,
»wem anders als dem Alten? Wer hätte dies damals gedacht, als wir vor
diesem Hause standen und über den Scheik loszogen?«

»Und wie leicht hätte es uns einfallen können, die Lehren des alten
Mannes zu überhören,« sagte ein anderer, »oder ihn gar zu verspotten!
Denn er sah doch recht zerrissen und ärmlich aus, und wer konnte
denken, daß dies der weise Mustapha sei?«

»Und wunderbar! war es nicht hier, wo wir unsere Wünsche laut werden
ließen?« sprach der Schreiber. »Da wollte der eine reisen, der andere
singen und tanzen, der dritte gute Gesellschaft haben und ich --
Geschichten lesen und hören, und sind nicht alle unsere Wünsche in
Erfüllung gegangen? Darf ich nicht alle Bücher des Scheiks lesen und
kaufen, was ich will?«

»Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schönsten
Vergnügungen anordnen, und selbst dabei sein?« sagte der andere.

»Und ich? so oft mich mein Herz gelüstet, Gesang und Saitenspiel zu
hören, oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine
Sklaven ausbitten?«

»Und ich!« rief der Maler; »vor diesem Tage war ich arm und konnte
keinen Fuß aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin
ich will!«

»Ja,« sprachen sie alle, »es war doch gut, daß wir dem Alten folgten;
wer weiß, was aus uns geworden wäre?«

So sprachen sie und gingen freudig und glücklich nach Hause.



Das Wirtshaus im Spessart.


Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht
so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Bursche durch
diesen Wald. Der eine mochte achtzehn Jahre alt sein und war ein
Zirkelschmied, der andere, ein Goldarbeiter, konnte nach seinem
Aussehen kaum sechzehn Jahre haben und tat wohl jetzt eben seine erste
Reise in die Welt. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten
der riesengroßen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf
dem die beiden wanderten. Der Zirkelschmied schritt wacker vorwärts
und pfiff ein Lied, schwatzte auch zuweilen mit Munter, seinem Hund,
und schien sich nicht viel darum zu kümmern, daß die Nacht nicht
mehr fern, desto ferner aber die nächste Herberge sei. Aber Felix,
der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um. Wenn der Wind durch die
Bäume rauschte, so war es ihm, als höre er Tritte hinter sich. Wenn
das Gesträuch am Wege hin und her wankte und sich teilte, glaubte er
Gesichter hinter den Büschen lauern zu sehen.

Der junge Goldschmied war sonst nicht abergläubisch oder mutlos. In
Würzburg, wo er gelernt hatte, galt er unter seinen Kameraden für
einen unerschrockenen Burschen, dem das Herz am rechten Fleck sitze;
aber heute war ihm doch sonderbar zu Mut. Man hatte ihm vom Spessart
so mancherlei erzählt. Eine große Räuberbande sollte dort ihr Wesen
treiben, viele Reisende waren in den letzten Wochen geplündert worden,
ja, man sprach sogar von einigen greulichen Mordgeschichten, die vor
nicht langer Zeit dort vorgefallen seien. Da war ihm nun doch etwas
bange für sein Leben, denn sie waren ja nur zu zwei und konnten gegen
bewaffnete Räuber gar wenig ausrichten. Oft gereute es ihn, daß er dem
Zirkelschmied gefolgt war, noch eine Station zu gehen, statt am Eingang
des Waldes über Nacht zu bleiben.

»Und wenn ich heute nacht totgeschlagen werde und ums Leben und alles
komme, was ich bei mir habe, so ist's nur deine Schuld, Zirkelschmied,
denn du hast mich in den schrecklichen Wald hereingeschwatzt.«

»Sei kein Hasenfuß,« erwiderte der andere, »ein rechter
Handwerksbursche soll eigentlich sich gar nicht fürchten. Und was
meinst du denn? Meinst du, die Herren Räuber im Spessart werden uns die
Ehre antun, uns zu überfallen und totzuschlagen? Warum sollten sie sich
diese Mühe geben? Etwa wegen meines Sonntagsrocks, den ich im Ranzen
habe oder wegen des Zehrpfennigs von einem Taler? Da muß man schon mit
vieren fahren, in Gold und Seide gekleidet sein, wenn sie es der Mühe
wert finden, einen totzuschlagen.«

»Halt! hörst du nicht etwas pfeifen im Wald?« rief Felix ängstlich.

»Das war der Wind, der um die Bäume pfeift: geh nur rasch vorwärts,
lange kann es nicht mehr dauern.«

»Ja, du hast gut reden wegen des Totschlagens,« fuhr der Goldarbeiter
fort. »Dich fragen sie, was du hast, durchsuchen dich und nehmen dir
allenfalls den Sonntagsrock und den Gulden und dreißig Kreuzer. Aber
mich, mich schlagen sie gleich anfangs tot, nur weil ich Gold und
Geschmeide mit mir führe.«

»Ei, warum sollten sie dich totschlagen deswegen? Kämen jetzt vier
oder fünf dort aus dem Busch, mit geladenen Büchsen, die sie auf uns
anlegen, und fragten ganz höflich: ›Ihr Herren, was habt ihr bei euch‹?
und ›machet es euch bequem, wir wollen's euch tragen helfen,‹ und was
dergleichen anmutige Redensarten sind, da wärest du wohl kein Tor,
machtest dein Ränzchen auf und legtest die gelbe Weste, den blauen
Rock, zwei Hemden und alle Halsbänder und Armbänder und Kämme, und
was du sonst noch hast, höflich auf die Erde und bedanktest dich fürs
Leben, das sie dir schenkten?«

»So? meinst du,« entgegnete Felix sehr eifrig, »den Schmuck für
meine Frau Pate, die vornehme Gräfin, soll ich hergeben? Eher mein
Leben; eher laß ich mich in kleine Stücke zerschneiden. Hat sie nicht
Mutterstelle an mir vertreten und seit meinem zehnten Jahre mich
aufziehen lassen? Hat sie nicht die Lehre für mich bezahlt und Kleider
und alles? Und jetzt, da ich sie besuchen darf und etwas mitbringe von
meiner eigenen Arbeit, das sie beim Meister bestellt hat, jetzt, da
ich ihr an dem schönen Geschmeide zeigen könnte, was ich gelernt habe,
jetzt soll ich das alles hergeben und die gelbe Weste dazu, die ich
auch von ihr habe? Nein, lieber sterben, als daß ich den schlechten
Menschen meiner Frau Pate Geschmeide gebe!«

»Sei kein Narr!« rief der Zirkelschmied. »Wenn sie dich totschlagen,
bekommt die Frau Gräfin den Schmuck dennoch nicht. Drum ist es besser,
du gibst ihn her und erhältst dein Leben.«

Felix antwortete nicht. Die Nacht war jetzt ganz heraufgekommen,
und bei dem ungewissen Schein des Neumonds konnte man kaum auf fünf
Schritte vor sich sehen. Er wurde immer ängstlicher, hielt sich näher
an seinen Kameraden und war mit sich uneinig, ob er seine Reden und
Beweise billigen sollte oder nicht. Noch eine Stunde beinahe waren sie
so fortgegangen, da erblickten sie in der Ferne ein Licht. Der junge
Goldschmied meinte aber, man dürfe nicht trauen, vielleicht könnte
es ein Räuberhaus sein, aber der Zirkelschmied belehrte ihn, daß die
Räuber ihre Häuser oder Höhlen unter der Erde haben, und dies müsse das
Wirtshaus sein, das ihnen ein Mann am Eingang des Waldes beschrieben.

Es war ein langes, aber niedriges Haus, ein Karren stand davor, und
nebenan im Stalle hörte man Pferde wiehern. Der Zirkelschmied winkte
seinen Gesellen an ein Fenster, dessen Laden geöffnet waren. Sie
konnten, wenn sie sich auf die Zehen stellten, die Stube übersehen.
Am Ofen in einem Armstuhl schlief ein Mann, der seiner Kleidung nach
ein Fuhrmann und wohl auch der Herr des Karrens vor der Türe sein
konnte. An der andern Seite des Ofens saßen ein Weib und ein Mädchen
und spannen. Hinter dem Tisch an der Wand saß ein Mensch, der, ein Glas
Wein vor sich, den Kopf in die Hände gestützt hatte, so daß sie sein
Gesicht nicht sehen konnten. Der Zirkelschmied aber wollte aus seiner
Kleidung bemerken, daß er ein vornehmer Herr sein müsse.

Als sie so noch auf der Lauer standen, schlug ein Hund im Hause an.
Munter, des Zirkelschmieds Hund, antwortete, und eine Magd erschien in
der Türe und schaute nach den Fremden heraus.

Man versprach, ihnen Nachtessen und Betten geben zu können. Sie traten
ein und legten die schweren Bündel, Stock und Hut in die Ecken und
setzten sich zu dem Herrn am Tische. Dieser richtete sich bei ihrem
Gruße auf, und sie erblickten einen feinen jungen Mann, der ihnen
freundlich für ihren Gruß dankte.

»Ihr seid spät auf der Bahn,« sagte er. »Habt ihr euch nicht
gefürchtet, in so dunkler Nacht durch den Spessart zu reisen? Ich für
meinen Teil habe lieber mein Pferd in dieser Schenke eingestellt, als
daß ich nur noch eine Stunde weiter geritten wäre.«

»Da habt Ihr allerdings recht gehabt, Herr!« erwiderte der
Zirkelschmied. »Der Hufschlag eines schönen Pferdes ist Musik in den
Ohren dieses Gesindels und lockt sie auf eine Stunde weit. Aber wenn
ein paar arme Bursche wie wir durch den Wald schleichen, Leute, welchen
die Räuber eher selbst etwas schenken könnten, da heben sie keinen Fuß
auf!«

»Das ist wohl wahr,« entgegnete der Fuhrmann, der, durch die Ankunft
der Fremden erweckt, auch an den Tisch getreten war; »einem armen
Mann können sie nicht viel anhaben seines Geldes willen. Aber man hat
Beispiele, daß sie arme Leute nur aus Mordlust niederstießen oder sie
zwangen, unter die Bande zu treten und als Räuber zu dienen.«

»Nun, wenn es so aussieht mit diesen Leuten im Wald,« bemerkte der
junge Goldschmied, »so wird uns wahrhaftig auch dieses Haus wenig
Schutz gewähren. Wir sind nur zu vier, und mit dem Hausknecht fünf;
wenn es ihnen einfällt, zu zehn uns zu überfallen, was können wir gegen
sie? und überdies,« setzte er leise flüsternd hinzu, »wer steht uns
dafür, daß diese Wirtsleute ehrlich sind?«

»Da hat es gute Wege,« erwiderte der Fuhrmann. »Ich kenne diese
Wirtschaft seit mehr als zehn Jahren und habe nie etwas Unrechtes darin
verspürt. Der Mann ist selten zu Hause, man sagt, er treibe Weinhandel;
die Frau aber ist eine stille Frau, die niemand Böses will; nein,
dieser tut Ihr unrecht, Herr!«

»Und doch,« nahm der junge, vornehme Herr das Wort, »doch möchte ich
nicht so ganz verwerfen, was er gesagt. Erinnert Euch an die Gerüchte
von jenen Leuten, die in diesem Wald auf einmal spurlos verschwunden
sind. Mehrere davon hatten vorher gesagt, sie werden in diesem
Wirtshaus übernachten, und als man nach zwei oder drei Wochen nichts
von ihnen vernahm, ihrem Weg nachforschte und auch hier im Wirtshause
nachfragte, da soll nun keiner gesehen worden sein; verdächtig ist es
doch.«

»Weiß Gott!« rief der Zirkelschmied, »da handelten wir ja vernünftiger,
wenn wir unter dem nächsten besten Baum unser Nachtlager nähmen, als
hier in diesen vier Wänden, wo an kein Entspringen zu denken ist, wenn
sie einmal die Türe besetzt haben; denn die Fenster sind vergittert.«

Sie waren alle durch diese Reden nachdenklich geworden. Es schien gar
nicht unwahrscheinlich, daß die Schenke im Wald, sei es gezwungen
oder freiwillig, im Einverständnis mit den Räubern war. Die Nacht
schien ihnen daher gefährlich; denn wie manche Sage hatten sie gehört
von Wanderern, die man im Schlaf überfallen und gemordet hatte; und
sollte es auch nicht an ihr Leben gehen, so war doch ein Teil der
Gäste in der Waldschenke von so beschränkten Mitteln, daß ihnen ein
Raub an einem Teile ihrer Habe sehr empfindlich gewesen wäre. Sie
schauten verdrießlich und düster in ihre Gläser. Der junge Herr
wünschte auf seinem Roß durch ein sicheres, offenes Tal zu traben, der
Zirkelschmied wünschte sich zwölf seiner handfesten Kameraden, mit
Knütteln bewaffnet, als Leibgarde; Felix, der Goldarbeiter, trug Bange,
mehr um den Schmuck seiner Wohltäterin als um sein Leben; der Fuhrmann
aber, der einigemal den Rauch seiner Pfeife nachdenklich vor sich
hingeblasen, sprach leise: »Ihr Herren, im Schlaf wenigstens sollen sie
uns nicht überfallen. Ich für meinen Teil will, wenn nur noch einer mit
mir hält, die ganze Nacht wach bleiben.«

»Das will ich auch« -- »ich auch,« riefen die drei übrigen; »schlafen
könnte ich doch nicht,« setzte der junge Herr hinzu.

»Nun, so wollen wir etwas treiben, daß wir wach bleiben,« sagte der
Fuhrmann; »ich denke, weil wir doch gerade zu vier sind, könnten wir
Karten spielen, das hält wach und vertreibt die Zeit.«

»Ich spiele niemals Karten,« erwiderte der junge Herr, »darum kann ich
wenigstens nicht mithalten.«

»Und ich kenne die Karten gar nicht,« setzte Felix hinzu.

»Was können wir denn aber anfangen, wenn wir nicht spielen?« sprach
der Zirkelschmied. »Singen? Das geht nicht und würde nur das Gesindel
herbeilocken; einander Rätsel und Sprüche aufgeben zum Erraten? Das
dauert auch nicht lange. Wißt ihr was? Wie wäre es, wenn wir uns etwas
erzählten? Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, es hält doch wach
und vertreibt die Zeit so gut wie Kartenspiel.«

»Ich bin's zufrieden, wenn Ihr anfangen wollt,« sagte der junge Herr
lächelnd. »Ihr Herren vom Handwerk kommet in allen Ländern herum und
könnet schon etwas erzählen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und
Geschichten.«

»Ja, ja, man hört manches,« erwiderte der Zirkelschmied, »dafür
studieren Herren wie Ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle
Sachen geschrieben stehen; da wüßtet Ihr noch Klügeres und Schöneres zu
erzählen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich müßte
alles trügen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter.«

»Ein Gelehrter nicht,« lächelte der junge Herr, »wohl aber ein Student,
und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unsern
Büchern steht, eignet sich weniger zum Erzählen, als was Ihr hie und
dort gehört. Darum hebet immer an, wenn anders diese da gerne zuhören.«

»Noch höher als Kartenspiel,« erwiderte der Fuhrmann, »gilt bei mir,
wenn einer eine schöne Geschichte erzählt. Oft fahre ich auf der
Landstraße lieber im elendsten Schritt und horche einem zu, der neben
hergeht und etwas Schönes erzählt; manchen habe ich schon im schlechten
Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, daß er etwas
erzähle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deswegen
so lieb, weil er Geschichten weiß, die sieben Stunden lang und länger
dauern.«

»So geht es auch mir,« setzte der junge Goldarbeiter hinzu, »erzählen
höre ich für mein Leben gern, und mein Meister in Würzburg mußte mir
die Bücher ordentlich verbieten, daß ich nicht zu viel Geschichten las
und die Arbeit darüber vernachlässigte. Drum gib nur etwas Schönes
preis, Zirkelschmied, ich weiß, du könntest erzählen von jetzt an, bis
es Tag wird, ehe dein Vorrat ausginge.«

Der Zirkelschmied trank, um sich zu seinem Vortrag zu stärken, und hub
alsdann also an:



Die Sage vom Hirschgulden.


In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die
einst die stattlichste der Gegend war, Hohenzollern. Sie erhebt sich
auf einem runden, steilen Berg, und von ihrer schroffen Höhe sieht
man weit und frei ins Land. So weit und noch viel weiter, als man
diese Burg im Land umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der
Zollern gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen
deutschen Landen. Nun lebte vor vielen hundert Jahren, ich glaube,
das Schießpulver war noch nicht einmal erfunden, auf dieser Feste ein
Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht
sagen, daß er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen Nachbarn
in Fehde gelebt hätte, aber dennoch traute ihm niemand über den Weg ob
seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirne und seinem einsilbigen,
mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer dem Schloßgesinde, die ihn
je hatten ordentlich sprechen hören wie andere Menschen; denn wenn er
durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und schnell die Mütze abnahm,
sich hinstellte und sagte: »Guten Abend, Herr Graf, heute ist es schön
Wetter,« so antwortete er: »Dummes Zeug,« oder »Weiß schon.« Hatte aber
einer etwas nicht recht gemacht für ihn oder seine Rosse, begegnete ihm
ein Bauer im Hohlweg mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen nicht
schnell genug vorüberkommen konnte, so entlud sich sein Ingrimm in
einem Donner von Flüchen; doch hatte man nie gehört, daß er bei solchen
Gelegenheiten einen Bauern geschlagen hätte. In der Gegend aber hieß
man ihn »das böse Wetter von Zollern«.

Das böse Wetter von Zollern hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm
und so mild und freundlich war wie ein Maitag. Oft hatte sie Leute, die
ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch freundliche Worte
und ihre gütigen Blicke wieder mit ihm ausgesöhnt; den Armen aber tat
sie Gutes, wo sie konnte, und ließ es sich nicht verdrießen, sogar im
heißen Sommer oder im schrecklichsten Schneegestöber den steilen Berg
herabzugehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete
ihr auf solchen Wegen der Graf, so sagte er mürrisch: »Weiß schon,
dummes Zeug,« und ritt weiter.

Manch andere Frau hätte dieses mürrische Wesen abgeschreckt oder
eingeschüchtert; die eine hätte gedacht: was gehen mich die armen
Leute an, wenn mein Herr sie für dummes Zeug hält; die andere hätte
vielleicht aus Stolz oder Unmut ihre Liebe gegen einen so mürrischen
Gemahl erkalten lassen; doch nicht also Frau Hedwig von Zollern; die
liebte ihn nach wie vor, suchte mit ihrer schönen weißen Hand die
Falten von seiner braunen Stirne zu streichen, und liebte und ehrte
ihn. Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein junges Gräflein zum
Angebinde bescherte, liebte sie ihren Gatten nicht minder, indem sie
ihrem Söhnlein dennoch alle Pflichten einer zärtlichen Mutter erzeigte.
Drei Jahre lang vergingen, und der Graf von Zollern sah seinen Sohn nur
alle Sonntage nach Tische, wo er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er
blickte ihn dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihn
der Amme zurück. Als jedoch der Kleine »Vater« sagen konnte, schenkte
der Graf der Amme einen Gulden -- dem Kind machte er kein fröhliches
Gesicht.

An seinem dritten Geburtstag aber ließ der Graf seinem Sohn die
ersten Höslein anziehen und kleidete ihn prächtig in Samt und Seide;
dann befahl er, seinen Rappen und ein andres schönes Roß vorzuführen,
nahm den Kleinen auf den Arm und fing an, mit klirrenden Sporen die
Wendeltreppe hinabzusteigen. Frau Hedwig erstaunte, als sie dies sah.
Sie war sonst gewohnt nicht zu fragen, wo aus und wann heim? wenn
er ausritt, aber diesmal öffnete die Sorge um ihr Kind ihre Lippen.
»Wollet Ihr ausreiten, Herr Graf?« -- sprach sie; er gab keine Antwort.
-- »Wozu denn den Kleinen?« fragte sie weiter, »Kuno wird mit mir
spazieren gehen.«

»Weiß schon,« entgegnete das böse Wetter von Zollern und ging weiter;
und als er im Hof stand, nahm er den Knaben bei einem Füßlein, hob
ihn schnell in den Sattel, band ihn mit einem Tuch fest, schwang sich
selbst auf den Rappen und trabte zum Burgtore hinaus, indem er den
Zügel vom Rosse seines Söhnleins in die Hand nahm.

Dem Kleinen schien es anfangs großes Vergnügen zu gewähren, mit dem
Vater den Berg hinabzureiten. Er klopfte in die Hände, er lachte und
schüttelte sein Rößlein an den Mähnen, damit es schneller laufen
sollte, und der Graf hatte seine Freude daran, rief auch einigemal:
»Kannst ein wackerer Bursche werden.«

Als sie aber in der Ebene angekommen waren, und der Graf statt Schritt
Trab anschlug, da vergingen dem Kleinen die Sinne; er bat anfangs ganz
bescheiden, sein Vater möchte langsamer reiten, als es aber immer
schneller ging, und der heftige Wind dem armen Kuno beinahe den Atem
nahm, da fing er an, still zu weinen, wurde immer ungeduldiger und
schrie am Ende aus Leibeskräften.

»Weiß schon, dummes Zeug,« fing jetzt sein Vater an. »Heult der Junge
beim ersten Ritt; schweig oder -- -- --« Doch den Augenblick, als er
mit einem Fluche sein Söhnlein aufmuntern wollte, bäumte sich sein Roß;
der Zügel des andern entfiel seiner Hand, er arbeitete sich ab, Meister
seines Tieres zu werden, und als er es zur Ruhe gebracht hatte und sich
ängstlich nach seinem Kinde umsah, erblickte er dessen Pferd, wie es
ledig und ohne den kleinen Reiter der Burg zulief.

So ein harter, finsterer Mann der Graf von Zollern sonst war, so
überwand doch dieser Anblick sein Herz; er glaubte nicht anders, als
sein Kind liege zerschmettert am Wege; er raufte sich den Bart und
jammerte. Aber nirgends, so weit er zurückritt, sah er eine Spur von
dem Knaben; schon stellte er sich vor, das scheugewordene Roß habe ihn
in einen Wassergraben geschleudert, der neben dem Wege lag. Da hörte er
von einer Kinderstimme hinter sich seinen Namen rufen, und als er sich
flugs umwandte -- sieh! da saß ein altes Weib unweit der Straße unter
einem Baum und wiegte den Kleinen auf ihren Knieen.

»Wie kommst du zu dem Knaben, alte Hexe?« schrie der Graf in großem
Zorn; »sogleich bringe ihn heran zu mir!«

»Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer Gnaden!« lachte die alte,
häßliche Frau, »könntet sonst auch ein Unglück nehmen auf Eurem stolzen
Roß! Wie ich zu dem Junkerlein kam, fraget Ihr? Nun, sein Pferd ging
durch, und er hing nur noch mit einem Füßchen angebunden, und das Haar
streifte fast am Boden, da habe ich ihn aufgefangen in meiner Schürze.«

»Weiß schon!« rief der Herr von Zollern unmutig, »gib ihn jetzt
her; ich kann nicht wohl absteigen, das Roß ist wild und könnte ihn
schlagen.«

»Schenket mir einen Hirschgulden!« erwiderte die Frau demütig bittend.

»Dummes Zeug!« schrie der Graf und warf ihr einige Pfennige unter den
Baum.

»Nein! einen Hirschgulden könnte ich gut brauchen,« fuhr sie fort.

»Was Hirschgulden! bist selbst keinen Hirschgulden wert!« eiferte der
Graf. »Schnell das Kind her, oder ich hetze die Hunde auf dich.«

»So? Bin ich keinen Hirschgulden wert?« antwortete jene mit
höhnischem Lächeln. »Na! man wird ja sehen, _was von Eurem Erbe einen
Hirschgulden_ wert ist; aber da, die Pfennige behaltet für Euch.« Indem
sie dies sagte, warf sie die drei kleinen Kupferstücke dem Grafen zu,
und so gut konnte die Alte werfen, daß alle drei ganz gerade in den
kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf noch in der Hand hielt.

Der Graf wußte einige Minuten vor Staunen über diese wunderbare
Geschicklichkeit kein Wort hervorzubringen, endlich aber löste sich
sein Staunen in Wut auf. Er faßte seine Büchse, spannte den Hahn und
zielte dann auf die Alte. Diese herzte und küßte ganz ruhig den kleinen
Grafen, indem sie ihn so vor sich hin hielt, daß ihn die Kugel zuerst
hätte treffen müssen. »Bist ein guter frommer Junge,« sprach sie,
»bleibe nur so, und es wird dir nicht fehlen.« Dann ließ sie ihn los,
dräute dem Grafen mit dem Finger: »Zollern, Zollern, den Hirschgulden
bleibt Ihr mir noch schuldig,« rief sie und schlich, unbekümmert um
die Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstäbchen in den Wald.
Konrad, der Knappe, aber stieg zitternd von seinem Roß, hob das
Herrlein in den Sattel, schwang sich hinter ihm auf und ritt seinem
Gebieter nach, den Schloßberg hinauf.

Es war dies das erste und letzte Mal gewesen, daß das böse Wetter von
Zollern sein Söhnlein mitnahm zum Spazierenreiten; denn er hielt ihn,
weil er geweint und geschrieen, als die Pferde im Trab gingen, für
einen weichlichen Jungen, aus dem nicht viel Gutes zu machen sei, sah
ihn nur mit Unlust an, und so oft der Knabe, der seinen Vater herzlich
liebte, schmeichelnd und freundlich zu seinen Knieen kam, winkte er ihm
fortzugehen und rief: »Weiß schon! Dummes Zeug!« Frau Hedwig hatte alle
bösen Launen ihres Gemahls gerne getragen, aber dieses unfreundliche
Benehmen gegen das unschuldige Kind kränkte sie tief: sie erkrankte
mehreremal aus Schrecken, wenn der finstere Graf den Kleinen wegen
irgend eines geringen Fehlers hart abgestraft hatte, und starb endlich
in ihren besten Jahren, von ihrem Gesinde und der ganzen Umgegend, am
schmerzlichsten aber von ihrem Sohne beweint.

Von jetzt an wandte sich der Sinn des Grafen nur noch mehr von dem
Kleinen ab: er gab ihn seiner Amme und dem Hauskaplan zur Erziehung
und sah nicht viel nach ihm um, besonders da er bald darauf wieder ein
reiches Fräulein heiratete, die ihm nach Jahresfrist Zwillinge, zwei
junge Gräflein, schenkte.

Kunos liebster Spaziergang war zu dem alten Weiblein, die ihm einst
das Leben gerettet hatte. Sie erzählte ihm immer vieles von seiner
verstorbenen Mutter, und wieviel Gutes diese an ihr getan hatte. Die
Knechte und Mägde warnten ihn oft, er solle nicht so viel zu der Frau
Feldheimerin, so hieß die Alte, gehen, weil sie nichts mehr und nichts
weniger als eine Hexe sei; aber der Kleine fürchtete sich nicht, denn
der Schloßkaplan hatte ihn gelehrt, daß es keine Hexen gebe, und daß
die Sage, daß gewisse Frauen zaubern können und auf der Ofengabel durch
die Luft und auf den Brocken reiten, erlogen sei. Zwar sah er bei
der Frau Feldheimerin allerlei Dinge, die er nicht begreifen konnte;
des Kunststückchens mit den drei Pfennigen, die sie seinem Vater so
geschickt in den Beutel geworfen, erinnerte er sich noch ganz wohl,
auch konnte sie allerlei künstliche Salben und Tränklein bereiten,
womit sie Menschen und Vieh heilte; aber das war nicht wahr, was man
ihr nachsagte, daß sie eine Wetterpfanne habe, und wenn sie diese
über das Feuer hänge, komme ein schreckliches Donnerwetter. Sie lehrte
den kleinen Grafen mancherlei, was ihm nützlich war, zum Beispiel
allerlei Mittel für kranke Pferde, einen Trank gegen die Hundswut,
eine Lockspeise für Fische und viele andere nützliche Sachen. Die Frau
Feldheimerin war auch bald seine einzige Gesellschaft, denn seine Amme
starb, und seine Stiefmutter kümmerte sich nicht um ihn.

Als seine Brüder nach und nach heranwuchsen, hatte Kuno ein noch
traurigeres Leben als zuvor, sie hatten das Glück, beim ersten Ritt
nicht vom Pferde zu stürzen, und das böse Wetter von Zollern hielt
sie daher für ganz vernünftige und taugliche Jungen, liebte sie
ausschließlich, ritt alle Tage mit ihnen aus und lehrte sie alles, was
er selbst verstand. Da lernten sie aber nicht viel Gutes; lesen und
schreiben konnte er selbst nicht, und seine beiden trefflichen Söhne
sollten sich auch nicht die Zeit damit verderben; aber schon in ihrem
zehnten Jahre konnten sie so gräßlich fluchen als ihr Vater, fingen
mit jedem Händel an, vertrugen sich unter sich selbst so schlecht wie
ein Hund und Kater, und nur wenn sie gegen Kuno einen Streich verüben
wollten, verbanden sie sich und wurden Freunde.

Ihrer Mutter machte dies nicht viel Kummer, denn sie hielt es für
gesund und kräftig, wenn sich die Jungen balgten; aber dem alten Grafen
sagte es eines Tages ein Diener, und er antwortete zwar: »Weiß schon,
dummes Zeug,« nahm sich aber dennoch vor, für die Zukunft auf ein
Mittel zu sinnen, daß sich seine Söhne nicht gegenseitig totschlügen;
denn die Drohung der Frau Feldheimerin, die er in seinem Herzen für
eine ausgemachte Hexe hielt: »Na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe
einen Hirschgulden wert ist,« -- lag ihm noch immer in seinem Sinn.
Eines Tages, da er in der Umgegend seines Schlosses jagte, fielen ihm
zwei Berge ins Auge, die ihrer Form wegen wie zu Schlössern geschaffen
schienen, und sogleich beschloß er auch, dort zu bauen. Er baute
auf dem einen das Schloß Schalksberg, das er nach dem kleinern der
Zwillinge so nannte, weil dieser wegen allerlei böser Streiche längst
von ihm den Namen »kleiner Schalk« erhalten hatte; das andere Schloß,
das er baute, wollte er anfänglich Hirschguldenberg nennen, um die Hexe
zu verhöhnen, weil sie sein Erbe nicht einmal eines Hirschguldens wert
achtete, er ließ es aber bei dem einfacheren Hirschberg bewenden, und
so heißen die beiden Berge bis auf den heutigen Tag, und wer die Alb
bereist, kann sie sich zeigen lassen.

Das böse Wetter von Zollern hatte anfänglich im Sinn, seinem ältesten
Sohn Zollern, dem kleinen Schalk Schalksberg und dem andern Hirschberg
im Testament zu vermachen; aber seine Frau ruhte nicht eher, bis er
es änderte: »Der dumme Kuno,« so nannte sie den armen Knaben, weil er
nicht so wild und ausgelassen war wie ihre Söhne, »der dumme Kuno ist
ohnedies reich genug durch das, was er von seiner Mutter erbte, und er
soll auch noch das schöne, reiche Zollern haben? Und meine Söhne sollen
nichts bekommen, als jeder eine Burg, zu welcher nichts gehört als
Wald?«

Vergebens stellte ihr der Graf vor, daß man Kuno billigerweise das
Erstgeburtsrecht nicht rauben dürfe, sie weinte und zankte so lange,
bis das böse Wetter, das sonst niemand sich fügte, des lieben Friedens
willen nachgab und im Testament dem kleinen Schalk Schalksberg,
Wolf, dem größeren Zwillingsbruder, Zollern, und Kuno Hirschberg
mit dem Städtchen Balingen verschrieb. Bald darauf, nachdem er also
verfügt hatte, fiel er auch in eine schwere Krankheit. Zu dem Arzt,
der ihm sagte, daß er sterben müsse, sagte er »Ich weiß schon;«
und dem Schloßkaplan, der ihn ermahnte, sich zu einem frommen Ende
vorzubereiten, antwortete er: »Dummes Zeug,« fluchte und raste fort und
starb, wie er gelebt hatte, roh und als ein großer Sünder.

Aber sein Leichnam war noch nicht beigesetzt, so kam die Frau Gräfin
schon mit dem Testament herbei, sagte zu Kuno, ihrem Stiefsohn,
spöttisch, er möchte jetzt seine Gelehrsamkeit beweisen und selbst
nachlesen, was im Testament stehe, nämlich, daß er in Zollern nichts
mehr zu tun habe, und freute sich mit ihren Söhnen über das schöne
Vermögen und die beiden Schlösser, die sie ihm, dem Erstgeborenen,
entrissen hatten.

Kuno fügte sich ohne Murren in den Willen des Verstorbenen; aber mit
Tränen nahm er Abschied von der Burg, wo er geboren worden, wo seine
gute Mutter begraben lag, und wo der gute Schloßkaplan, und nahe dabei
seine einzige alte Freundin, Frau Feldheimerin, wohnte. Das Schloß
Hirschberg war zwar ein schönes, stattliches Gebäude, aber es war ihm
doch zu einsam und öde, und er wäre bald krank vor Sehnsucht nach
Hohenzollern geworden.

Die Gräfin und die Zwillingsbrüder, die jetzt achtzehn Jahre alt waren,
saßen eines Abends auf dem Söller und schauten den Schloßberg hinab; da
gewahrten sie einen stattlichen Ritter, der zu Pferde heraufritt, und
dem eine prachtvolle Sänfte, von zwei Maultieren getragen, und mehrere
Knechte folgten. Sie rieten lange hin und her, wer es wohl sein möchte,
da rief endlich der kleine Schalk: »Ei, das ist ja niemand anders als
unser Herr Bruder von Hirschberg.«

»Der dumme Kuno?« sprach die Gräfin verwundert. »Ei, der wird uns
die Ehre antun, uns zu sich einzuladen, und die schöne Sänfte hat er
für mich mitgebracht, um mich abzuholen nach Hirschberg; nein, so
viel Güte und Lebensart hätte ich meinem Herrn Sohn, dem dummen Kuno,
nicht zugetraut; eine Höflichkeit ist der andern wert, lasset uns
hinabsteigen an das Schloßtor, ihn zu empfangen; macht auch freundliche
Gesichter, vielleicht schenkt er uns in Hirschberg etwas, dir ein
Pferd, und dir einen Harnisch, und den Schmuck seiner Mutter hätte ich
schon lange gerne gehabt.«

»Geschenkt mag ich nichts von dem dummen Kuno,« so antwortete Wolf,
»und ein gutes Gesicht mach' ich ihm auch nicht. Aber unserm seligen
Herrn Vater könnte er meinetwegen bald folgen, dann würden wir
Hirschberg erben und alles, und Euch, Frau Mutter, wollten wir den
Schmuck um billigen Preis ablassen.«

»So, du Range?« eiferte die Mutter, »abkaufen soll ich euch den
Schmuck? Ist das der Dank dafür, daß ich euch Zollern verschafft habe?
Kleiner Schalk, nicht wahr, ich soll den Schmuck umsonst haben?«

»Umsonst ist der Tod, Frau Mutter!« erwiderte der Sohn lachend, »und
wenn es wahr ist, daß der Schmuck so viel wert ist als manches Schloß,
so werden wir wohl nicht die Toren sein, ihn Euch um den Hals zu
hängen. Sobald Kuno die Augen schließt, reiten wir hinunter, teilen ab,
und meinen Part am Schmuck verkaufe ich. Gebt Ihr dann mehr als der
Jude, Frau Mutter, so sollt Ihr ihn haben.«

Sie waren unter diesem Gespräch bis unter das Schloßtor gekommen, und
mit Mühe zwang sich die Frau Gräfin, ihren Grimm über den Schmuck zu
unterdrücken, denn soeben ritt Graf Kuno über die Zugbrücke. Als er
seiner Stiefmutter und seiner Brüder ansichtig wurde, hielt er sein
Pferd an, stieg ab und grüßte sie höflich. Denn, obgleich sie ihm viel
Leids angetan, bedachte er doch, daß es seine Brüder seien, und daß
diese böse Frau sein Vater geliebt hatte.

»Ei, das ist ja schön, daß der Herr Sohn uns auch besucht,« sagte die
Frau Gräfin mit süßer Stimme und huldreichem Lächeln. »Wie geht es denn
auf Hirschberg? Kann man sich dort eingewöhnen? Und gar eine Sänfte
hat man sich angeschafft? Ei, und wie prächtig, es dürfte sich keine
Kaiserin daran schämen; nun wird wohl auch die Hausfrau nicht mehr
lange fehlen, daß sie darin im Lande umherreist.«

»Habe bis jetzt noch nicht daran gedacht, gnädige Frau Mutter,«
erwiderte Kuno, »will mir deswegen andere Gesellschaft zur Unterhaltung
ins Haus nehmen und bin deswegen mit der Sänfte hierher gereist.«

»Ei, Ihr seid gar gütig und besorgt,« unterbrach ihn die Dame, indem
sie sich verneigte und lächelte.

»Denn er kommt doch nicht mehr gut zu Pferde fort,« sprach Kuno ganz
ruhig weiter, »der Pater Joseph nämlich, der Schloßkaplan. Ich will
ihn zu mir nehmen, er ist mein alter Lehrer, und wir haben es so
abgemacht, als ich Zollern verließ. Will auch unten am Berg die alte
Frau Feldheimerin mitnehmen. Lieber Gott! sie ist jetzt steinalt und
hat mir einst das Leben gerettet, als ich zum erstenmal ausritt mit
meinem seligen Vater; habe ja Zimmer genug in Hirschberg, und dort
soll sie absterben.« Er sprach es und ging durch den Hof, um den Pater
Schloßkaplan zu holen.

Aber der Junker Wolf biß vor Grimm die Lippen zusammen, die Frau Gräfin
wurde gelb vor Aerger, und der kleine Schalk lachte laut auf: »Was gebt
Ihr mir für meinen Gaul, den ich von ihm geschenkt kriege?« fragte er;
»Bruder Wolf, gib mir deinen Harnisch, den er dir gegeben, dafür. Ha!
ha! ha! den Pater und die alte Hexe will er zu sich nehmen? Das ist ein
schönes Paar, da kann er nun vormittags Griechisch lernen beim Kaplan
und nachmittags Unterricht im Hexen nehmen bei der Frau Feldheimerin.
Ei! was macht doch der dumme Kuno für Streiche.«

»Er ist ein ganz gemeiner Mensch!« erwiderte die Frau Gräfin, »und du
solltest nicht darüber lachen, kleiner Schalk; das ist eine Schande
für die ganze Familie, und man muß sich ja schämen vor der ganzen
Umgegend, wenn es heißt, der Graf von Zollern hat die alte Hexe, die
Feldheimerin, abgeholt in einer prachtvollen Sänfte und Maulesel dabei,
und läßt sie bei sich wohnen. Das hat er von seiner Mutter, die war
auch immer so gemein mit Kranken und schlechtem Gesindel. Ach, sein
Vater würde sich im Sarg wenden, wüßte er es.«

»Ja,« setzte der kleine Schalk hinzu, »der Vater würde noch in der
Gruft sagen: weiß schon, dummes Zeug!«

»Wahrhaftig! da kommt er mit dem alten Mann und schämt sich nicht, ihn
selbst unter dem Arm zu führen,« rief die Frau Gräfin mit Entsetzen,
»kommt, ich will ihm nicht mehr begegnen.«

Sie entfernten sich, und Kuno geleitete seinen alten Lehrer bis an die
Brücke und half ihm selbst in die Sänfte; unten aber am Berg hielt er
vor der Hütte der Frau Feldheimerin und fand sie schon fertig, mit
einem Bündel voll Gläschen und Töpfchen und Tränklein und anderem
Geräte nebst ihrem Buchsbaumstöcklein einzusteigen. --

Es kam übrigens nicht also, wie die Frau Gräfin von Zollern in ihrem
bösen Sinn hatte voraussehen wollen. In der ganzen Umgegend wunderte
man sich nicht über den Ritter Kuno. Man fand es schön und löblich,
daß er die letzten Tage der alten Frau Feldheimerin aufheitern wollte,
man pries ihn als einen frommen Herrn, weil er den alten Pater Joseph
in sein Schloß aufgenommen hatte. Die einzigen, die ihm gram waren
und auf ihn schmähten, waren seine Brüder und die Gräfin. Aber nur
zu ihrem eigenen Schaden, denn man nahm allgemein ein Aergernis an
so unnatürlichen Brüdern, und zur Wiedervergeltung ging die Sage,
daß sie mit ihrer Mutter schlecht und in beständigem Hader lebten
und unter sich selbst sich alles mögliche zuleide tun. Graf Kuno von
Zollern-Hirschberg machte mehrere Versuche, seine Brüder mit sich
auszusöhnen; denn es war ihm unerträglich, wenn sie oft an seiner Feste
vorbeiritten, aber nie einsprachen, wenn sie ihm in Wald und Feld
begegneten und ihn kälter begrüßten als einen Landfremden. Aber seine
Versuche schlugen meistens fehl, und er wurde noch überdies von ihnen
verhöhnt. Eines Tages fiel ihm noch ein Mittel ein, wie er vielleicht
ihre Herzen gewinnen könnte, denn er wußte, sie waren geizig und
habgierig. Es lag ein Teich zwischen den drei Schlössern beinahe in der
Mitte, jedoch so, daß er noch in Kunos Revier gehörte. In diesem Teich
befanden sich aber die besten Hechte und Karpfen der ganzen Umgegend,
und es war für die Brüder, die gerne fischten, ein nicht geringer
Verdruß, daß ihr Vater vergessen hatte, den Teich auf ihr Teil zu
schreiben. Sie waren zu stolz, um ohne Vorwissen ihres Bruders dort zu
fischen, und doch mochten sie ihm auch kein gutes Wort geben, daß er es
ihnen erlauben möchte. Nun kannte er aber seine Brüder, daß ihnen der
Teich am Herzen liege, er lud sie daher eines Tages ein, mit ihm dort
zusammenzukommen.

Es war ein schöner Frühlingsmorgen, als beinahe in demselben
Augenblick die drei Brüder von den drei Burgen dort zusammenkamen. »Ei!
sieh da,« rief der kleine Schalk, »das trifft sich ordentlich! ich bin
mit Schlag sieben Uhr in Schalksberg weggeritten.«

»Ich auch« -- »und ich« antworteten die Brüder vom Hirschberg und von
Zollern.

»Nun, da muß der Teich hier gerade in der Mitte liegen,« fuhr der
Kleine fort. »Es ist ein schönes Wasser.«

»Ja, und ebendarum habe ich euch hierher beschieden. Ich weiß, ihr
seid beide große Freunde vom Fischen, und ob ich gleich auch zuweilen
gerne die Angel auswerfe, so hat doch der Weiher Fische genug für drei
Schlösser, und an seinen Ufern ist Platz genug für unserer drei, selbst
wenn wir alle auf einmal zu angeln kämen. Darum will ich von heute
an, daß dieses Wasser Gemeingut für uns sei, und jeder von euch soll
gleiche Rechte daran haben wie ich.«

»Ei, der Herr Bruder ist ja gewaltig gnädig gesinnt,« sprach der kleine
Schalk mit höhnischem Lächeln, »gibt uns wahrhaftig sechs Morgen Wasser
und ein paar hundert Fischlein! Nu -- und was werden wir dagegen geben
müssen? Denn umsonst ist der Tod!«

»Umsonst sollt ihr ihn haben,« sagte Kuno gerührt, »ach! ich möchte
euch ja nur zuweilen an diesem Teich sehen und sprechen. Sind wir doch
_eines_ Vaters Söhne.«

»Nein!« erwiderte der vom Schalksberg, »das ginge schon nicht, denn es
ist nichts Einfältigeres, als in Gesellschaft zu fischen, es verjagt
immer einer dem andern die Fische. Wollen wir aber Tage ausmachen, etwa
Montag und Donnerstag du, Kuno, Dienstag und Freitag Wolf, Mittwoch und
Sonnabend ich -- so ist es mir ganz recht.«

»Mir nicht einmal dann,« rief der finstere Wolf. »Geschenkt will ich
nichts haben und will auch mit niemand teilen. Du hast recht, Kuno,
daß du uns den Weiher anbietest, denn wir haben eigentlich alle drei
gleichen Anteil daran, aber lasset uns darum würfeln, wer ihn in
Zukunft besitzen soll; werde ich glücklicher sein als ihr, so könnt ihr
immer bei mir anfragen, ob ihr fischen dürfet.«

»Ich würfle nie,« entgegnete Kuno, traurig über die Verstocktheit
seiner Brüder.

»Ja freilich,« lachte der kleine Schalk, »er ist ja gar fromm und
gottesfürchtig, der Herr Bruder, und hält das Würfelspiel für eine
Todsünde. Aber ich will euch was anderes vorschlagen, woran sich der
frömmste Klausner nicht schämen dürfte. Wir wollen uns Angelschnüre und
Haken holen, und wer diesen Morgen, bis die Glocke in Zollern zwölf Uhr
schlägt, die meisten Fische angelt, soll den Weiher eigen haben.«

»Ich bin eigentlich ein Tor,« sagte Kuno, »um das noch zu kämpfen, was
mir mit Recht als Erbe zugehört. Aber damit ihr sehet, daß es mir mit
der Teilung Ernst war, will ich mein Fischgeräte holen.«

Sie ritten heim, jeder nach seinem Schloß. Die Zwillinge schickten
in aller Eile ihre Diener aus, ließen alle alten Steine aufheben, um
Würmer zur Lockspeise für die Fische im Teich zu finden. Kuno aber
nahm sein gewöhnliches Angelzeug und die Speise, die ihn einst Frau
Feldheimerin zubereiten gelehrt, und war der erste, der wieder auf dem
Platz erschien. Er ließ, als die beiden Zwillinge kamen, diese die
besten und bequemsten Stellen auswählen und warf dann selbst seine
Angel aus. Da war es, als ob die Fische in ihm den Herrn dieses Teiches
erkannt hätten. Ganze Züge von Karpfen und Hechten zogen heran und
wimmelten um seine Angel. Die ältesten und größten drängten die kleinen
weg, jeden Augenblick zog er einen heraus, und wenn er die Angel wieder
ins Wasser warf, sperrten schon zwanzig, dreißig die Mäuler auf, um
an den spitzigen Haken anzubeißen. Es hatte noch nicht zwei Stunden
gedauert, so lag der Boden um ihn her voll der schönsten Fische. Da
hörte er auf zu fischen und ging zu seinen Brüdern, um zu sehen, was
für Geschäfte sie machten. Der kleine Schalk hatte einen kleinen
Karpfen und zwei elende Weißfische; Wolf drei Barben und zwei kleine
Gründlinge, und beide schauten trübselig in den Teich, denn sie konnten
die ungeheure Menge, die Kuno gefangen, gar wohl von ihrem Platz aus
bemerken. Als Kuno an seinen Bruder Wolf herankam, sprang dieser
halb wütend auf, zerriß die Angelschnur, brach die Rute in Stücke
und warf sie in den Teich. »Ich wollte, es wären tausend Haken, die
ich hineinwerfe, statt dem einen, und an jedem müßte eine von diesen
Kreaturen zappeln,« rief er, »aber mit rechten Dingen geht es nimmer
zu, es ist Zauberspiel und Hexenwerk, wie solltest du denn, dummer
Kuno, mehr Fische fangen in einer Stunde als ich in einem Jahr?«

»Ja, ja, jetzt erinnere ich mich,« fuhr der kleine Schalk fort, »bei
der Frau Feldheimerin, bei der schnöden Hexe, hat er das Fischen
gelernt, und wir waren Toren, mit ihm zu fischen; er wird doch bald
Hexenmeister werden.«

»Ihr schlechten Menschen!« entgegnete Kuno unmutig. »Diesen Morgen
habe ich hinlänglich Zeit gehabt, euren Geiz, eure Unverschämtheit und
eure Roheit einzusehen. Gehet jetzt und kommet nie wieder hierher, und
glaubt mir, es wäre für eure Seelen besser, wenn ihr nur halb so fromm
und gut wäret als jene Frau, die ihr eine Hexe scheltet.«

»Nein, eine eigentliche Hexe ist sie nicht!« sagte der Schalk spöttisch
lachend. »Solche Weiber können wahrsagen, aber Frau Feldheimerin ist so
wenig eine Wahrsagerin, als eine Gans ein Schwan werden kann. Hat sie
doch dem Vater gesagt, von seinem Erbe werde man einen guten Teil um
einen Hirschgulden kaufen können, das heißt, er werde ganz verlumpen,
und doch hat bei seinem Tod alles sein gehört, so weit man von der
Zinne von Zollern sehen kann! Geh, geh, Frau Feldheimerin ist nichts
als ein törichtes, altes Weib, und du -- der dumme Kuno.«

Nach diesen Worten entfernte sich der Kleine eilig, denn er fürchtete
den starken Arm seines Bruders, und Wolf folgte ihm, indem er alle
Flüche hersagte, die er von seinem Vater gelernt hatte.

In tiefster Seele betrübt, ging Kuno nach Hause, denn er sah jetzt
deutlich, daß seine Brüder nie mehr mit ihm sich vertragen wollten. Er
nahm sich auch ihre harten Worte so sehr zu Herzen, daß er des andern
Tages sehr krank wurde, und nur der Trost des würdigen Pater Joseph und
die kräftigen Tränklein der Frau Feldheimerin retteten ihn vom Tode.

Als aber seine Brüder erfuhren, daß ihr Bruder Kuno schwer
daniederliege, hielten sie ein fröhliches Bankett, und im Weinmut
sagten sie sich zu, wenn der dumme Kuno sterbe, so solle der, welcher
es zuerst erfahre, alle Kanonen lösen, um es dem andern anzuzeigen, und
wer zuerst kanoniere, solle das beste Faß Wein aus Kunos Keller vorweg
nehmen dürfen. Wolf ließ nun von da an immer einen Diener in der Nähe
von Hirschberg Wache halten, und der kleine Schalk bestach sogar einen
Diener Kunos mit vielem Geld, damit er es ihm schnell anzeige, wenn
sein Herr in den letzten Zügen liege.

Dieser Knecht aber war seinem milden und frommen Herrn mehr zugetan
als dem bösen Grafen von Schalksberg. Er fragte also eines Abends
Frau Feldheimerin teilnehmend nach dem Befinden seines Herrn, und
als diese sagte, daß es ganz gut mit ihm stehe, erzählte er ihr den
Anschlag der beiden Brüder, und daß sie Freudenschüsse tun wollten auf
des Grafen Kuno Tod. Darüber ergrimmte die Alte sehr. Sie erzählte es
flugs wieder dem Grafen, und als dieser an eine so große Lieblosigkeit
der Brüder nicht glauben wollte, so riet sie ihm, er solle die Probe
machen und aussprengen lassen, er sei tot, so werde man bald hören, ob
sie kanonieren, ob nicht. Der Graf ließ den Diener, den sein Bruder
bestochen, vor sich kommen, befragte ihn nochmals und befahl ihm, nach
Schalksberg zu reiten und sein nahes Ende zu verkünden.

Als nun der Knecht eilends von Hirschberg herabritt, sah ihn der Diener
des Grafen Wolf von Zollern, hielt ihn an und fragte, wohin er so
eilends zu reiten willens sei. »Ach,« sagte dieser, »mein armer Herr
wird diesen Abend nicht überleben, sie haben ihn alle aufgegeben.«

»So? ist's um diese Zeit?« rief jener, lief nach seinem Pferd, schwang
sich auf und jagte so eilends nach Zollern und den Schloßberg hinan,
daß sein Pferd am Tore niederfiel und er selbst nur noch »Graf Kuno
stirbt!« rufen konnte, ehe er ohnmächtig wurde. Da donnerten die
Kanonen von Hohenzollern herab, Graf Wolf freute sich mit seiner Mutter
über das gute Faß Wein und das Erbe, den Teich, über den Schmuck
und den starken Widerhall, den seine Kanonen gaben. Aber was er für
Widerhall gehalten, waren die Kanonen von Schalksberg, und Wolf sagte
lächelnd zu seiner Mutter: »So hat der Kleine auch einen Spion gehabt,
und wir müssen auch den Wein gleich teilen wie das übrige Erbe.« Dann
aber saß er zu Pferd, denn er argwöhnte, der kleine Schalk möchte
ihm zuvorkommen und vielleicht einige Kostbarkeiten des Verstorbenen
wegnehmen, ehe er käme.

Aber am Fischteich begegneten sich die beiden Brüder, und jeder
errötete vor dem andern, weil beide zuerst nach Hirschberg hatten
kommen wollen. Von Kuno sprachen sie kein Wort, als sie zusammen ihren
Weg fortsetzten, sondern sie berieten sich brüderlich, wie man es
in Zukunft halten wolle, und wem Hirschberg gehören solle. Wie sie
aber über die Zugbrücke und in den Schloßhof ritten, da schaute ihr
Bruder wohlbehalten und gesund zum Fenster heraus; aber Zorn und Unmut
sprühten aus seinen Blicken. Die Brüder erschraken sehr, als sie ihn
sahen, hielten ihn anfänglich für ein Gespenst und bekreuzten sich; als
sie aber sahen, daß er noch Fleisch und Blut habe, rief Wolf: »Ei, so
wollt' ich doch! Dummes Zeug, ich glaubte, du wärest gestorben.«

»Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben,« sagte der Kleine, der mit
giftigen Blicken nach seinem Bruder hinaufschaute.

Dieser aber sprach mit donnernder Stimme: »Von dieser Stunde an sind
alle Bande der Verwandtschaft zwischen uns los und ledig. Ich habe
eure Freudenschüsse wohl vernommen; aber sehet zu, auch ich habe fünf
Feldschlangen hier auf dem Hof stehen, und habe sie euch zu Ehren
scharf laden lassen. Machet, daß ihr aus dem Bereich meiner Kugeln
kommt, oder ihr sollt erfahren, wie man auf Hirschberg schießt.« Sie
ließen es sich nicht zweimal sagen, denn sie sahen ihm an, wie ernst
es ihm war; sie gaben also ihren Pferden die Sporen und hielten einen
Wettlauf den Berg hinunter, und ihr Bruder schoß eine Stückkugel hinter
ihnen her, die über ihren Köpfen wegsauste, daß sie beide zugleich eine
tiefe und höfliche Verbeugung machten; er wollte sie aber nur schrecken
und nicht verwunden. »Warum hast du denn geschossen?« fragte der kleine
Schalk unmutig, »du Tor, ich schoß nur, weil ich dich hörte.«

»Im Gegenteil, frag' nur die Mutter!« erwiderte Wolf. »Du warst es,
der zuerst schoß, und du hast diese Schande über uns gebracht, kleiner
Dachs.«

Der Kleine blieb ihm keinen Ehrentitel schuldig, und als sie am
Fischteich angekommen waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom
alten Wetter von Zollern geerbten Flüche zum besten und trennten sich
in Haß und Unlust.

Tags darauf aber machte Kuno sein Testament, und Frau Feldheimerin
sagte zum Pater: »Ich wollte was wetten, er hat keinen guten Brief für
die Kanoniere geschrieben.« Aber so neugierig sie war, und so oft sie
in ihren Liebling drang, er sagte ihr nicht, was im Testament stehe,
und sie erfuhr es auch nimmer, denn ein Jahr nachher verschied die gute
Frau, und ihre Salben und Tränklein halfen ihr nichts; denn sie starb
an keiner Krankheit, sondern am achtundneunzigsten Jahr, das auch einen
ganz gesunden Menschen endlich unter den Boden bringen kann. Graf Kuno
ließ sie bestatten, als ob sie nicht eine arme Frau, sondern seine
Mutter gewesen wäre, und es kam ihm nachher noch viel einsamer vor auf
seinem Schloß, besonders da der Pater Joseph der Frau Feldheimerin bald
folgte.

Doch diese Einsamkeit fühlte er nicht sehr lange; der gute Kuno starb
schon in seinem achtundzwanzigsten Jahr, und böse Leute behaupten an
Gift, das ihm der kleine Schalk beigebracht hatte.

Wie dem aber auch sei, einige Stunden nach seinem Tod vernahm man
wieder den Donner der Kanonen, und in Zollern und Schalksberg tat man
fünfundzwanzig Schüsse. »Diesmal hat er doch daran glauben müssen,«
sagte der Schalk, als sie unterwegs zusammentrafen.

»Ja,« antwortete Wolf, »und wenn er noch einmal aufersteht und zum
Fenster herausschimpft wie damals, so hab' ich eine Büchse bei mir, die
ihn höflich und stumm machen soll.«

Als sie den Schloßberg hinanritten, gesellte sich ein Reiter mit
Gefolge zu ihnen, den sie nicht kannten. Sie glaubten, er sei
vielleicht ein Freund ihres Bruders und komme, um ihn beisetzen zu
helfen. Daher gebärdeten sie sich kläglich, priesen vor ihm den
Verstorbenen, beklagten sein frühes Hinscheiden, und der kleine Schalk
preßte sich sogar einige Krokodilstränen aus. Der Ritter antwortete
ihnen aber nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite den
Hirschberg hinauf. »So, jetzt wollen wir es uns bequem machen, und
Wein herbei, Kellermeister, vom besten!« rief Wolf, als er abstieg.
Sie gingen die Wendeltreppen hinauf und in den Saal, auch dahin folgte
ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz breit an den
Tisch gesetzt hatten, zog jener ein Silberstück aus dem Wams, warf es
auf den Schiefertisch, daß es umherrollte und klingelte, und sprach:
»So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es wird just recht sein, ein
Hirschgulden.« Da sahen sich die beiden Brüder verwundert an, lachten
und fragten ihn, was er damit sagen wolle.

Der Ritter aber zog ein Pergament hervor, mit hinlänglichen Siegeln;
darin hatte der dumme Kuno alle Feindseligkeiten aufgezeichnet, die
ihm die Brüder bei seinen Lebzeiten bewiesen, und am Ende hatte er
verordnet und bekannt, daß sein ganzes Erbe, Hab und Gut, außer dem
Schmuck seiner seligen Frau Mutter, auf den Fall seines Todes an
Württemberg verkauft sei, und zwar _um einen elenden Hirschgulden_! Um
den Schmuck aber solle man in der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen.

Da erstaunten nun die beiden Brüder abermals, lachten aber nicht dazu,
sondern bissen die Zähne zusammen, denn sie konnten gegen Württemberg
nichts ausrichten, und so hatten sie das schöne Gut, Wald, Feld, die
Stadt Balingen und selbst -- den Fischteich verloren, und nichts geerbt
als einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf trotzig in sein
Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein Barett auf den Kopf und
ging ohne Gruß an dem württembergischen Kommissär vorbei, schwang sich
auf sein Roß und ritt nach Zollern.

Als ihn aber am andern Morgen seine Mutter mit Vorwürfen plagte, daß
sie Gut und Schmuck verscherzt haben, ritt er hinüber zum Schalk auf
der Schalksburg: »Wollen wir unser Erbe verspielen oder vertrinken?«
fragte er ihn.

»Vertrinken ist besser,« sagte der Schalk, »dann haben wir beide
gewonnen. Wir wollen nach Balingen reiten und uns den Leuten zum Trotz
dort sehen lassen, wenn wir auch gleich das Städtlein schmählich
verloren.«

»Und im Lamm schenkt man Roten, der Kaiser trinkt ihn nicht besser,«
setzte Wolf hinzu.

So ritten sie miteinander nach Balingen ins Lamm und fragten, was die
Maß Roter koste, und tranken sich zu, bis der Hirschgulden voll war. Da
stand Wolf auf, zog das Silberstück mit dem springenden Hirsch aus dem
Wams, warf es auf den Tisch und sprach: »Da habt Ihr Euren Gulden, so
wird's richtig sein.«

Der Wirt aber nahm den Gulden, besah ihn links, besah ihn rechts und
sagte lächelnd: »Ja, wenn es kein Hirschgulden wär', aber gestern nacht
kam der Bote von Stuttgart, und heute früh hat man es ausgetrommelt im
Namen des Grafen von Württemberg, dem jetzt das Städtlein eigen; die
sind abgeschätzt, und gebt mir nur anderes Geld.«

Da sahen sich die beiden Brüder erbleichend an. »Zahl' aus,« sagte der
eine; »hast du keine Münze?« sagte der andere, und kurz, sie mußten den
Gulden schuldig bleiben im Lamm in Balingen. Sie zogen schweigend und
nachdenkend ihren Weg; als sie aber an den Kreuzweg kamen, wo es rechts
nach Zollern, und links nach Schalksburg ging, da sagte der Schalk:
»Wie nun? Jetzt haben wir sogar weniger geerbt als gar nichts, und der
Wein war überdies schlecht.«

»Jawohl,« erwiderte sein Bruder. »Aber was die Feldheimerin sagte, ist
doch eingetroffen: Seht zu, wieviel von seinem Erbe übrig bleiben wird
um einen Hirschgulden! Jetzt haben wir nicht einmal ein Maß Wein dafür
kaufen können.«

»Weiß schon!« antwortete der von der Schalksburg.

»Dummes Zeug!« sagte der Zollern und ritt, zerfallen mit sich und der
Welt, seinem Schloß zu.

Das ist die Sage von dem Hirschgulden, endete der Zirkelschmied, und
wahr soll sie sein. Der Wirt in Dürrwangen, das nicht weit von den
drei Schlössern liegt, hat sie meinem guten Freund erzählt, der oft
als Wegweiser über die schwäbische Alb ging und immer in Dürrwangen
einkehrte.

       *       *       *       *       *

Die Gäste gaben dem Zirkelschmied Beifall. »Was man doch nicht alles
hört in der Welt,« rief der Fuhrmann. »Wahrhaftig, jetzt erst freut es
mich, daß wir die Zeit nicht mit Kartenspielen verderbten, so ist es
wahrlich besser, und gemerkt habe ich mir die Geschichte, daß ich sie
morgen meinen Kameraden erzählen kann, ohne ein Wort zu fehlen.«

»Mir fiel da, während Ihr so erzähltet, etwas ein,« sagte der Student.

»O erzählet, erzählet!« baten der Zirkelschmied und Felix.

»Gut,« antwortete jener, »ob die Reihe jetzt an mich kommt oder später,
ist gleichviel; ich muß ja doch heimgeben, was ich gehört. Das, was ich
erzählen will, soll sich wirklich einmal begeben haben.«

Er setzte sich zurecht und wollte eben anheben zu erzählen, als die
Wirtin den Spinnrocken beiseite setzte und zu den Gästen an den Tisch
trat. »Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette zu gehen,« sagte sie,
»es hat neun Uhr geschlagen, und morgen ist auch ein Tag.«

»Ei, so gehe zu Bette;« rief der Student, »setze noch eine Flasche Wein
für uns hierher, und dann wollen wir dich nicht länger abhalten.«

»Mit nichten,« entgegnete sie grämlich, »solange noch Gäste in der
Wirtsstube sitzen, können Wirtin und Dienstboten nicht weggehen. Und
kurz und gut, ihr Herren, machet, daß ihr auf eure Kammern kommet, mir
wird die Zeit lange, und länger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht
gezecht werden.«

»Was fällt Euch ein, Frau Wirtin?« sprach der Zirkelschmied staunend.
»Was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr auch
längst schlafet? Wir sind rechtliche Leute und werden Euch nichts
hinwegtragen, noch ohne Bezahlung fortgehen. Aber so lasse ich mir in
keinem Wirtshaus ausbieten.«

Die Frau rollte zornig die Augen: »Meint ihr, ich werde wegen jedem
Lumpen von Handwerksburschen, wegen jedem Straßenläufer, der mir zwölf
Kreuzer zu verdienen gibt, meine Hausordnung ändern? Ich sag' euch
jetzt zum letztenmal, daß ich den Unfug nicht leide!«

Noch einmal wollte der Zirkelschmied etwas entgegnen, aber der Student
sah ihn bedeutend an und winkte mit den Augen den übrigen. »Gut,«
sprach er, »wenn es denn die Frau Wirtin nicht haben will, so laßt uns
auf unsere Kammern gehen. Aber Lichter möchten wir gerne haben, um den
Weg zu finden.«

»Damit kann ich nicht dienen;« entgegnete sie finster, »die andern
werden schon den Weg im Dunkeln finden, und für Euch ist dies Stümpchen
hier hinlänglich; mehr habe ich nicht im Hause.«

Schweigend nahm der junge Herr das Licht und stand auf. Die andern
folgten ihm, und die Handwerksburschen nahmen ihre Bündel, um sie in
der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen dem Studenten nach, der
ihnen die Treppe hinanleuchtete.

Als sie oben angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten,
schloß sein Zimmer auf und winkte ihnen herein. »Jetzt ist kein Zweifel
mehr,« sagte er, »sie will uns verraten; habt ihr nicht bemerkt, wie
ängstlich sie uns zu Bette zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel
abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint wahrscheinlich, wir
werden uns jetzt niederlegen, und dann werde sie um so leichteres Spiel
haben.«

»Aber meint Ihr nicht, wir könnten noch entkommen?« fragte Felix. »Im
Wald kann man doch eher auf Rettung denken als hier im Zimmer.«

»Die Fenster sind auch hier vergittert,« rief der Student, indem er
vergebens versuchte, einen der Eisenstäbe des Gitters loszumachen.
»Uns bleibt nur _ein_ Ausweg, wenn wir entweichen wollen, durch die
Haustüre; aber ich glaube nicht, daß sie uns fortlassen werden.«

»Es käme auf den Versuch an,« sprach der Fuhrmann; »ich will einmal
probieren, ob ich bis in den Hof kommen kann. Ist dies möglich, so
kehre ich zurück und hole euch nach.« Die übrigen billigten diesen
Vorschlag, der Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den
Zehen nach der Treppe; ängstlich lauschten seine Genossen oben im
Zimmer, schon war er die eine Hälfte der Treppe glücklich und unbemerkt
hinabgestiegen; aber als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete
sich plötzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die Höhe, legte ihre
Tatzen auf seine Schultern und wies ihm, gerade seinem Gesicht
gegenüber, zwei Reihen langer, scharfer Zähne. Er wagte weder vor- noch
rückwärts auszuweichen; denn bei der geringsten Bewegung schnappte der
entsetzliche Hund nach seiner Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und
zu bellen, und alsobald erschienen der Hausknecht und die Frau mit
Lichtern.

»Wohin? was wollt Ihr?« rief die Frau.

»Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen,« antwortete der
Fuhrmann, am ganzen Leibe zitternd; denn als die Türe aufgegangen war,
hatte er mehrere braune, verdächtige Gesichter, Männer mit Büchsen in
der Hand, im Zimmer bemerkt.

»Das hättet Ihr alles auch vorher abmachen können,« sagte die Wirtin
mürrisch. »Fassan, daher! schließ die Hoftüre zu Jakob, und leuchte
dem Mann an seinen Karren.« Der Hund zog seine greuliche Schnauze und
seine Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurück und lagerte sich
wieder quer über die Treppe, der Hausknecht aber hatte das Hoftor
zugeschlossen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht
zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren
holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die er in die
nächste Stadt überbringen sollte; »das Stümpchen Licht oben kann kaum
noch eine Viertelstunde dauern,« sagte er zu sich; »und Licht müssen
wir dennoch haben!« Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen,
verbarg sie in dem Aermel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus
dem Karren, womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute nacht
bedecken wolle.

Glücklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzählte von dem großen
Hund, der als Wache an der Treppe liege, von den Männern, die er
flüchtig gesehen, von allen Anstalten, die man gemacht, um sich ihrer
zu versichern, und schloß damit, daß er seufzend sagte: »Wir werden
diese Nacht nicht überleben.«

»Das glaube ich nicht,« erwiderte der Student; »für so töricht kann
ich diese Leute nicht halten, daß sie wegen des geringen Vorteils,
den sie von uns hätten, vier Menschen ans Leben gehen sollten. Aber
verteidigen dürfen wir uns nicht. Ich für meinen Teil werde wohl am
meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Händen, es kostete
mich fünfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Börse, meine Kleider
gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als
alles dies.«

»Ihr habt gut reden,« erwiderte der Fuhrmann; »solche Sachen, wie Ihr
sie verlieren könnt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder; aber ich bin der
Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Güter auf meinem Karren und im
Stall zwei schöne Rosse, meinen einzigen Reichtum.«

»Ich kann unmöglich glauben, daß sie _Euch_ ein Leides tun werden,«
bemerkte der Goldschmied; »einen Boten zu berauben, würde schon viel
Geschrei und Lärmen ins Land machen. Aber dafür bin ich auch, was der
Herr dort sagt; lieber will ich gleich alles hergeben, was ich habe,
und mit einem Eid versprechen, nichts zu sagen, ja, niemals zu klagen,
als mich gegen Leute, die Büchsen und Pistolen haben, um meine geringe
Habe wehren.«

Der Fuhrmann hatte während dieser Reden seine Wachskerzen
hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und zündete sie an. »So laßt
uns in Gottes Namen erwarten, was über uns kommen wird,« sprach er;
»wir wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch Sprechen den
Schlaf abhalten.«

»Das wollen wir,« antwortete der Student; »und weil vorhin die Reihe an
mir stehen geblieben war, will ich euch etwas erzählen.«



Das kalte Herz.

Ein Märchen.

Erste Abteilung.


Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in
den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der Bäume wegen, obgleich man
nicht überall solch unermeßliche Menge herrlich aufgeschossener Tannen
findet, sondern wegen der Leute, die sich von den andern Menschen
ringsumher merkwürdig unterscheiden. Sie sind größer als gewöhnliche
Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der
stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, ihnen von Jugend
auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn
auch rauheren Mut als den Bewohnern der Stromtäler und Ebenen gegeben
hätte. Und nicht nur durch Haltung und Wuchs, auch durch ihre Sitten
und Trachten sondern sie sich von den Leuten, die außerhalb des Waldes
wohnen, streng ab. Am schönsten kleiden sich die Bewohner des badischen
Schwarzwaldes; die Männer lassen den Bart wachsen, wie er von Natur
dem Mann ums Kinn gegeben ist, ihre schwarzen Wämser, ihre ungeheuren,
enggefalteten Pluderhosen, ihre roten Strümpfe und die spitzen Hüte,
von einer weiten Scheibe umgeben, verleihen ihnen etwas Fremdartiges,
aber etwas Ernstes, Ehrwürdiges. Dort beschäftigen sich die Leute
gewöhnlich mit Glasmachen; auch verfertigen sie Uhren und tragen sie in
der halben Welt umher.

Auf der andern Seite des Waldes wohnt ein Teil desselben Stammes, aber
ihre Arbeiten haben ihnen andere Sitten und Gewohnheiten gegeben als
den Glasmachern. Sie handeln mit ihrem Wald; sie fällen und behauen
ihre Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar, und von dem
obern Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland, und am
Meer kennt man die Schwarzwälder und ihre langen Flöße; sie halten an
jeder Stadt, die am Strom liegt, an und erwarten stolz, ob man ihnen
Balken und Bretter abkaufen werde, ihre stärksten und längsten Balken
aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers, welche Schiffe
daraus bauen. Diese Menschen nun sind an ein rauhes, wanderndes Leben
gewöhnt. Ihre Freude ist, auf ihrem Holz die Ströme hinabzufahren, ihr
Leid, am Ufer wieder heraufzuwandeln. Darum ist auch ihr Prachtanzug so
verschieden von dem der Glasmänner im andern Teil des Schwarzwaldes.
Sie tragen Wämser von dunkler Leinwand, einen handbreiten, grünen
Hosenträger über die breite Brust, Beinkleider von schwarzem Leder,
aus deren Tasche ein Zollstab von Messing wie ein Ehrenzeichen
hervorschaut; ihr Stolz und ihre Freude aber sind ihre Stiefel, die
größten wahrscheinlich, welche auf irgend einem Teil der Erde Mode
sind; denn sie können zwei Spannen weit über das Knie hinaufgezogen
werden, und die »Flößer« können damit in drei Schuh tiefem Wasser
umherwandeln, ohne sich die Füße naß zu machen.

Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an
Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen törichten
Aberglauben benehmen können. Sonderbar ist es aber, daß auch die
Waldgeister, die der Sage nach im Schwarzwalde hausen, in diese
verschiedenen Trachten sich geteilt haben. So hat man versichert, daß
das Glasmännlein, ein gutes Geistchen von dreieinhalb Fuß Höhe, sich
nie anders zeige als in einem spitzen Hütlein mit großem Rand, mit Wams
und Pluderhöschen und roten Strümpfchen. Der Holländer Michel aber,
der auf der anderen Seite des Waldes umgeht, soll ein riesengroßer,
breitschultriger Kerl in der Kleidung der Flößer sein, und mehrere,
die ihn gesehen haben, wollen versichern, daß sie die Kälber nicht
aus ihrem Beutel bezahlen möchten, deren Felle man zu seinen Stiefeln
brauchen würde. »So groß, daß ein gewöhnlicher Mann bis an den Hals
hineinstehen könnte,« sagten sie, und wollten nichts übertrieben haben.

Mit diesen Waldgeistern soll einmal ein junger Schwarzwälder eine
sonderbare Geschichte gehabt haben, die ich erzählen will. Es lebte
nämlich im Schwarzwald eine Witwe, Frau Barbara Munkin; ihr Gatte
war Kohlenbrenner gewesen, und nach seinem Tod hielt sie ihren
sechzehnjährigen Knaben nach und nach zu demselben Geschäft an. Der
junge Peter Munk, ein schlanker Bursche, ließ es sich gefallen, weil
er es bei seinem Vater auch nicht anders gesehen hatte, die ganze
Woche über am rauchenden Meiler zu sitzen, oder schwarz und berußt und
den Leuten ein Abscheu hinab in die Städte zu fahren und seine Kohlen
zu verkaufen. Aber ein Köhler hat viel Zeit zum Nachdenken über sich
und andere, und wenn Peter Munk an seinem Meiler saß, stimmten die
dunkeln Bäume umher und die tiefe Waldesstille sein Herz zu Tränen und
unbewußter Sehnsucht. Es betrübte ihn etwas, es ärgerte ihn etwas, er
wußte nicht recht was. Endlich merkte er sich ab, was ihn ärgerte, und
das war -- sein Stand. »Ein schwarzer, einsamer Kohlenbrenner!« sagte
er sich. »Es ist ein elend Leben. Wie angesehen sind die Glasmänner,
die Uhrmacher, selbst die Musikanten am Sonntag abends! Und wenn Peter
Munk, rein gewaschen und geputzt, in des Vaters Ehrenwams mit silbernen
Knöpfen und mit nagelneuen, roten Strümpfen erscheint, und wenn dann
einer hinter mir hergeht und denkt: wer ist wohl der schlanke Bursche?
und lobt bei sich die Strümpfe und meinen stattlichen Gang -- sieh,
wenn er vorübergeht und schaut sich um, sagt er gewiß: _ach, es ist nur
der Kohlenmunkpeter_.«

Auch die Flößer auf der andern Seite waren ein Gegenstand seines
Neides. Wenn diese Waldriesen herüberkamen, mit stattlichen Kleidern,
und an Knöpfen, Schnallen und Ketten einen halben Zentner Silber auf
dem Leib trugen, wenn sie mit ausgespreizten Beinen und vornehmen
Gesichtern dem Tanz zuschauten, holländisch fluchten und wie die
vornehmsten Mynheers aus ellenlangen kölnischen Pfeifen rauchten, da
stellte er sich als das vollendetste Bild eines glücklichen Menschen
solch einen Flößer vor. Und wenn diese Glücklichen dann erst in die
Taschen fuhren, ganze Hände voll großer Taler herauslangten und um
Sechsbätzner würfelten, fünf Gulden hin, zehn her, so wollten ihm
die Sinne vergehen, und er schlich trübselig nach seiner Hütte;
denn an manchem Feiertagabend hatte er einen oder den andern dieser
»Holzherren« mehr verspielen sehen, als der arme Vater Munk in einem
Jahr verdiente. Es waren vorzüglich drei dieser Männer, von welchen
er nicht wußte, welchen er am meisten bewundern sollte. Der eine war
ein dicker, großer Mann mit rotem Gesicht und galt für den reichsten
Mann in der Runde. Man hieß ihn den dicken Ezechiel. Er reiste alle
Jahre zweimal mit Bauholz nach Amsterdam und hatte das Glück, es immer
um so viel teurer als andere zu verkaufen, daß er, wenn die übrigen
zu Fuß heimgingen, stattlich herauffahren konnte. Der andere war
der längste und magerste Mensch im ganzen Wald, man nannte ihn den
langen Schlurker, und diesen beneidete Munk wegen seiner ausnehmenden
Kühnheit; er widersprach den angesehensten Leuten, brauchte, wenn man
noch so gedrängt im Wirtshaus saß, mehr Platz als vier der Dicksten,
denn er stützte entweder beide Ellbogen auf den Tisch oder zog eines
seiner langen Beine zu sich auf die Bank, und doch wagte ihm keiner zu
widersprechen, denn er hatte unmenschlich viel Geld. Der dritte aber
war ein schöner, junger Mann, der am besten tanzte weit und breit und
daher den Namen Tanzbodenkönig hatte. Er war ein armer Mensch gewesen
und hatte bei einem Holzherrn als Knecht gedient; da wurde er auf
einmal steinreich; die einen sagten, er habe unter einer alten Tanne
einen Topf voll Geld gefunden, die anderen behaupteten, er habe unweit
Bingen im Rhein mit der Stechstange, womit die Flößer zuweilen nach den
Fischen stechen, einen Pack mit Goldstücken heraufgefischt, und der
Pack gehöre zu dem großen Nibelungenhort, der dort vergraben liegt;
kurz, er war auf einmal reich geworden und wurde von jung und alt
angesehen wie ein Prinz.

An diese drei Männer dachte Kohlenmunkpeter oft, wenn er einsam im
Tannenwald saß. Zwar hatten alle drei einen Hauptfehler, der sie bei
den Leuten verhaßt machte, es war dies ihr unmenschlicher Geiz, ihre
Gefühllosigkeit gegen Schuldner und Arme, denn die Schwarzwälder sind
ein gutmütiges Völklein; aber man weiß, wie es mit solchen Dingen geht,
waren sie auch wegen ihres Geizes verhaßt, so standen sie doch wegen
ihres Geldes in Ansehen; denn wer konnte Taler wegwerfen wie sie, als
ob man das Geld von den Tannen schüttelte?

»So geht es nicht mehr weiter,« sagte Peter eines Tages schmerzlich
betrübt zu sich; denn tags zuvor war Feiertag gewesen, und alles Volk
in der Schenke; »wenn ich nicht bald auf den grünen Zweig komme, so tu'
ich mir etwas zuleid; wär' ich doch nur so angesehen und reich wie der
dicke Ezechiel oder so kühn und so gewaltig wie der lange Schlurker
oder so berühmt, und könnte den Musikanten Taler statt Kreuzer zuwerfen
wie der Tanzbodenkönig! Wo nur der Bursche das Geld her hat?« Allerlei
Mittel ging er durch, wie man sich Geld erwerben könne, aber keines
wollte ihm gefallen: endlich fielen ihm auch die Sagen von Leuten
bei, die vor alten Zeiten durch den Holländer Michel und durch das
Glasmännlein reich geworden waren. So lang sein Vater noch lebte, kamen
oft andere arme Leute zum Besuch, und da wurde lang und breit von
reichen Menschen gesprochen, und wie sie reich geworden; da spielte nun
oft das Glasmännlein eine Rolle; ja, wenn er recht nachsann, konnte er
sich beinahe noch des Versleins erinnern, das man am Tannenbühl in der
Mitte des Waldes sprechen mußte, wenn es erscheinen sollte. Es fing an:

    Schatzhauser im grünen Tannenwald,
    Bist schon viel hundert Jahre alt,
    Dir gehört all Land, wo Tannen stehn --

Aber er mochte sein Gedächtnis anstrengen, wie er wollte, weiter konnte
er sich keines Verses mehr entsinnen. Er dachte oft, ob er nicht diesen
oder jenen alten Mann fragen sollte, wie das Sprüchlein heiße; aber
immer hielt ihn eine gewisse Scheu, seine Gedanken zu verraten, ab,
auch schloß er, es müsse die Sage vom Glasmännlein nicht sehr bekannt
sein, und den Spruch müßten nur wenige wissen, denn es gab nicht viele
reiche Leute im Wald, und -- warum hatten denn nicht sein Vater und
die andern armen Leute ihr Glück versucht? Er brachte endlich einmal
seine Mutter auf das Männlein zu sprechen, und diese erzählte ihm, was
er schon wußte, kannte auch nur noch die erste Zeile von dem Spruch
und sagte ihm endlich, nur Leuten, die an einem Sonntag zwischen elf
und zwei Uhr geboren seien, zeige sich das Geistchen. Er selbst würde
wohl dazu passen, wenn er nur das Sprüchlein wüßte, denn er sei Sonntag
mittags zwölf Uhr geboren.

Als dies der Kohlenmunkpeter hörte, war er vor Freude und vor
Begierde, dies Abenteuer zu unternehmen, beinahe außer sich. Es
schien ihm hinlänglich, einen Teil des Sprüchleins zu wissen und am
Sonntag geboren zu sein, und Glasmännlein mußte sich ihm zeigen. Als
er daher eines Tages seine Kohlen verkauft hatte, zündete er keinen
neuen Meiler an, sondern zog seines Vaters Staatswams und neue rote
Strümpfe an, setzte den Sonntagshut auf, faßte seinen fünf Fuß hohen
Schwarzdornstock in die Hand und nahm von der Mutter Abschied: »Ich muß
aufs Amt in die Stadt; denn wir werden bald spielen müssen, wer Soldat
wird, und da will ich dem Amtmann nur noch einmal einschärfen, daß
Ihr Witwe seid, und ich Euer einziger Sohn.« Die Mutter lobte seinen
Entschluß, er aber machte sich auf nach dem Tannenbühl. Der Tannenbühl
liegt auf der höchsten Höhe des Schwarzwaldes, und auf zwei Stunden
im Umkreis stand damals kein Dorf, ja, nicht einmal eine Hütte, denn
die abergläubischen Leute meinten, es sei dort unsicher. Man schlug
auch, so hoch und prachtvoll dort die Tannen standen, ungern Holz in
jenem Revier, denn oft waren den Holzhauern, wenn sie dort arbeiteten,
die Aexte vom Stiel gesprungen und in den Fuß gefahren, oder die Bäume
waren schnell umgestürzt und hatten die Männer mit umgerissen und
beschädigt oder gar getötet; auch hätte man die schönsten Bäume von
dorther nur zu Brennholz brauchen können, denn die Floßherren nahmen
nie einen Stamm aus dem Tannenbühl unter ein Floß auf, weil die Sage
ging, daß Mann und Holz verunglücke, wenn ein Tannenbühler mit im
Wasser sei. Daher kam es, daß im Tannenbühl die Bäume so dicht und so
hoch standen, daß es am hellen Tag beinahe Nacht war, und Peter Munk
wurde es ganz schaurig dort zu Mut; denn er hörte keine Stimme, keinen
Tritt als den seinigen, keine Axt; selbst die Vögel schienen diese
dichte Tannennacht zu vermeiden.

Kohlenmunkpeter hatte jetzt den höchsten Punkt des Tannenbühls
erreicht und stand vor einer Tanne von ungeheurem Umfang, um die ein
holländischer Schiffsherr an Ort und Stelle viele hundert Gulden
gegeben hätte. »Hier,« dachte er, »wird wohl der Schatzhauser wohnen,«
zog seinen großen Sonntagshut, machte vor dem Baum eine tiefe
Verbeugung, räusperte sich und sprach mit zitternder Stimme: »Wünsche
glückseligen Abend, Herr Glasmann.« Aber es erfolgte keine Antwort,
und alles umher war so still wie zuvor. »Vielleicht muß ich doch das
Verslein sprechen,« dachte er weiter und murmelte:

    Schatzhauser im grünen Tannenwald,
    Bist schon viel hundert Jahre alt,
    Dir gehört all Land, wo Tannen stehn --

Indem er diese Worte sprach, sah er zu seinem großen Schrecken
eine ganz kleine, sonderbare Gestalt hinter der dicken Tanne
hervorschauen; es war ihm, als habe er das Glasmännlein gesehen, wie
man es beschrieben, das schwarze Wämschen, die roten Strümpfchen,
das Hütchen, alles war so, selbst das blasse, aber feine und kluge
Gesichtchen, wovon man erzählte, glaubte er gesehen zu haben. Aber ach,
so schnell es hervorgeschaut hatte, das Glasmännlein, so schnell war
es auch wieder verschwunden! »Herr Glasmann,« rief nach einigem Zögern
Peter Munk, »seid so gütig und haltet mich nicht für Narren. -- Herr
Glasmann, wenn Ihr meint, ich habe Euch nicht gesehen, so täuschet Ihr
Euch sehr, ich sah Euch wohl hinter dem Baum hervorgucken.« -- Immer
keine Antwort, nur zuweilen glaubte er ein leises, heiseres Kichern
hinter dem Baum zu vernehmen. Endlich überwand seine Ungeduld die
Furcht, die ihn bis jetzt noch abgehalten hatte. »Warte, du kleiner
Bursche,« rief er, »dich will ich bald haben!« sprang mit einem Satz
hinter die Tanne, aber da war kein Schatzhauser im grünen Tannenwald,
und nur ein kleines, zierliches Eichhörnchen jagte an dem Baum hinauf.

Peter Munk schüttelte den Kopf; er sah ein, daß er die Beschwörung
bis auf einen gewissen Grad gebracht habe und daß ihm vielleicht nur
noch ein Reim zu dem Sprüchlein fehle, so könne er das Glasmännlein
hervorlocken; aber er sann hin, er sann her und fand nichts. Das
Eichhörnchen zeigte sich an den untersten Aesten der Tanne und schien
ihn aufzumuntern oder zu verspotten. Es putzte sich, es rollte den
schönen Schweif, es schaute ihn mit klugen Augen an, aber endlich
fürchtete er sich doch beinahe, mit diesem Tier allein zu sein;
denn bald schien das Eichhörnchen einen Menschenkopf zu haben und
einen dreispitzigen Hut zu tragen, bald war es ganz wie ein anderes
Eichhörnchen und hatte nur an den Hinterfüßen rote Strümpfe und
schwarze Schuhe. Kurz, es war ein lustiges Tier, aber dennoch graute
Kohlenpeter, denn er meinte, es gehe nicht mit rechten Dingen zu.

Mit schnelleren Schritten, als er gekommen war, zog Peter wieder ab.
Das Dunkel des Tannenwaldes schien immer schwärzer zu werden, die
Bäume standen immer dichter, und ihm fing an zu grauen, daß er im Trab
davonjagte, und erst, als er in der Ferne Hunde bellen hörte und bald
darauf zwischen den Bäumen den Rauch einer Hütte erblickte, wurde er
wieder ruhiger. Aber als er näher kam und die Tracht der Leute in der
Hütte erblickte, fand er, daß er aus Angst gerade die entgegengesetzte
Richtung genommen und statt zu den Glasleuten zu den Flößern gekommen
sei. Die Leute, die in der Hütte wohnten, waren Holzfäller; ein alter
Mann, sein Sohn, der Hauswirt, und einige erwachsene Enkel. Sie nahmen
Kohlenmunkpeter, der um ein Nachtlager bat, gut auf, ohne nach seinem
Namen und Wohnort zu fragen, gaben ihm Apfelwein zu trinken, und abends
wurde ein großer Auerhahn, die beste Schwarzwaldspeise, aufgesetzt.

Nach dem Nachtessen setzten sich die Hausfrau und ihre Töchter
mit ihren Kunkeln um den großen Lichtspan, den die Jungen mit dem
feinsten Tannenharz unterhielten, der Großvater, der Gast und der
Hauswirt rauchten und schauten den Weibern zu, die Bursche aber waren
beschäftigt, Löffel und Gabeln aus Holz zu schnitzeln. Draußen im Wald
heulte der Sturm und raste in den Tannen, man hörte da und dort sehr
heftige Schläge, und es schien oft, als ob ganze Bäume abgeknickt
würden und zusammenkrachten. Die furchtlosen Jungen wollten hinaus in
den Wald laufen und dies furchtbar schöne Schauspiel mitansehen, ihr
Großvater aber hielt sie mit strengem Wort und Blick zurück. »Ich will
keinem raten, daß er jetzt von der Tür geht,« rief er ihnen zu; »bei
Gott, der kommt nimmermehr wieder; denn der Holländer Michel baut sich
heute nacht ein neues G'stair (Floßgelenk) im Wald.«

Die Kleinen staunten ihn an; sie mochten von dem Holländer Michel
schon gehört haben, aber sie baten jetzt den Ehni, einmal recht schön
von jenem zu erzählen. Auch Peter Munk, der vom Holländer Michel auf
der andern Seite des Waldes nur undeutlich hatte sprechen gehört,
stimmte mit ein und fragte den Alten, wer und wo er sei. »Er ist der
Herr dieses Waldes, und nach dem zu schließen, daß Ihr in Eurem Alter
dies noch nicht erfahren, müßt Ihr drüben über dem Tannenbühl oder
wohl gar noch weiter zu Hause sein. Vom Holländer Michel will ich Euch
aber erzählen, was ich weiß, und wie die Sage von ihm geht. Vor etwa
hundert Jahren, so erzählte es wenigstens mein Ehni, war weit und breit
kein ehrlicheres Volk auf Erden als die Schwarzwälder. Jetzt, seit so
viel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich und schlecht. Die
jungen Bursche tanzen und johlen am Sonntag, und fluchen, daß es ein
Schrecken ist; damals war es aber anders, und wenn er jetzt zum Fenster
dort hereinschaute, so sag' ich's und hab' es oft gesagt, der Holländer
Michel ist schuld an all dieser Verderbnis. Es lebte also vor hundert
Jahren und drüber ein reicher Holzherr, der viel Gesinde hatte; er
handelte bis weit in den Rhein hinab, und sein Geschäft war gesegnet,
denn er war ein frommer Mann. Kommt eines Abends ein Mann an seine
Türe, dergleichen er noch nie gesehen. Seine Kleidung war wie die der
Schwarzwälder Bursche, aber er war einen guten Kopf höher als alle, und
man hatte noch nie geglaubt, daß es einen solchen Riesen geben könne.
Dieser bittet um Arbeit bei dem Holzherrn, und der Holzherr, der ihm
ansah, daß er stark und zu großen Lasten tüchtig sei, rechnet mit ihm
seinen Lohn, und sie schlagen ein. Der Michel war ein Arbeiter, wie
selbiger Holzherr noch keinen gehabt. Beim Baumschlagen galt er für
drei, und wenn sechs am einen End' schleppten, trug er allein das
andre. Als er aber ein halb Jahr Holz geschlagen, trat er eines Tages
vor seinen Herrn und begehrte von ihm: »Hab' jetzt lang genug hier Holz
gehackt, und so möcht' ich auch sehen, wohin meine Stämme kommen, und
wie wär' es, wenn Ihr mich auch mal auf den Floß ließet?«

Der Holzherr antwortete: »Ich will dir nicht im Wege sein, Michel,
wenn du ein wenig hinaus willst in die Welt; zwar beim Holzfällen
brauche ich starke Leute, wie du bist, auf dem Floß aber kommt es auf
Geschicklichkeit an, aber es sei für diesmal.«

Und so war es; der Floß, mit dem er abgehen sollte, hatte acht Glaich
(Glieder), und waren im letzten von den größten Zimmerbalken. Aber
was geschah? Am Abend zuvor bringt der lange Michel noch acht Balken
ans Wasser, so dick und lang, als man keinen je sah, und jeden trug
er so leicht auf der Schulter wie eine Flößerstange, so daß sich
alles entsetzte. Wo er sie gehauen, weiß bis heute noch niemand. Dem
Holzherrn lachte das Herz, als er dies sah, denn er berechnete, was
diese Balken kosten könnten; Michel aber sagte: »So, die sind für mich
zum Fahren, auf den kleinen Spänen dort kann ich nicht fortkommen;«
sein Herr wollte ihm zum Dank ein Paar Flößerstiefel schenken, aber
er warf sie auf die Seite und brachte ein Paar hervor, wie es sonst
noch keine gab; mein Großvater hat versichert, sie haben hundert Pfund
gewogen und seien fünf Fuß lang gewesen.

Der Floß fuhr ab, und hatte der Michel früher die Holzhauer in
Verwunderung gesetzt, so staunten jetzt die Flößer; denn statt daß der
Floß, wie man wegen der ungeheuren Balken geglaubt hatte, langsamer
auf dem Fluß ging, flog er, sobald sie in den Neckar kamen, wie ein
Pfeil; machte der Neckar eine Wendung, und hatten sonst die Flößer Mühe
gehabt, den Floß in der Mitte zu halten und nicht auf Kies oder Sand
zu stoßen, so sprang jetzt Michel allemal ins Wasser, rückte mit einem
Zug den Floß links oder rechts, so daß er ohne Gefahr vorüberglitt,
und kam dann eine gerade Stelle, so lief er aufs erste G'stair vor,
ließ alle ihre Stangen beisetzen, steckte seinen ungeheuren Weberbaum
ins Kies, und mit _einem_ Druck flog der Floß dahin, daß das Land und
Bäume und Dörfer vorbeizujagen schienen. So waren sie in der Hälfte
der Zeit, die man sonst brauchte, nach Köln am Rhein gekommen, wo sie
sonst ihre Ladung verkauft hatten; aber hier sprach Michel: »Ihr seid
mir rechte Kaufleute und versteht euren Nutzen! Meinet ihr denn, die
Kölner brauchen all dies Holz, das aus dem Schwarzwald kommt, für sich?
Nein, um den halben Wert kaufen sie es euch ab und verhandeln es teuer
nach Holland. Lasset uns die kleinen Balken hier verkaufen und mit den
großen nach Holland gehen; was wir über den gewöhnlichen Preis lösen,
ist unser eigener Profit.«

So sprach der arglistige Michel, und die anderen waren es zufrieden;
die einen, weil sie gern nach Holland gezogen wären, es zu sehen, die
andern des Geldes wegen. Nur ein einziger war redlich und mahnte sie
ab, das Gut ihres Herrn der Gefahr auszusetzen oder ihn um den höheren
Preis zu betrügen, aber sie hörten nicht auf ihn und vergaßen seine
Worte, aber der Holländer Michel vergaß sie nicht. Sie fuhren auch
mit dem Holz den Rhein hinab, Michel leitete den Floß und brachte
sie schnell bis nach Rotterdam. Dort bot man ihnen das Vierfache von
dem früheren Preis, und besonders die ungeheuren Balken des Michel
wurden mit schwerem Geld bezahlt. Als die Schwarzwälder so viel Geld
sahen, wußten sie sich vor Freude nicht zu fassen. Michel teilte ab,
einen Teil dem Holzherrn, die drei andern unter die Männer. Und nun
setzten sie sich mit Matrosen und anderem schlechten Gesindel in die
Wirtshäuser, verschlemmten und verspielten ihr Geld, den braven Mann
aber, der ihnen abgeraten, verkaufte der Holländer Michel an einen
Seelenverkäufer, und man hat nichts mehr von ihm gehört. Von da an war
den Burschen im Schwarzwald Holland das Paradies, und Holländer Michel
ihr König; die Holzherren erfuhren lange nichts von dem Handel, und
unvermerkt kamen Geld, Flüche, schlechte Sitten, Trunk und Spiel aus
Holland herauf.

Der Holländer Michel war aber, als die Geschichte herauskam, nirgends
zu finden, aber tot ist er auch nicht; seit hundert Jahren treibt er
seinen Spuk im Wald, und man sagt, daß er schon vielen behilflich
gewesen sei, reich zu werden, aber -- auf Kosten ihrer armen Seele, und
mehr will ich nicht sagen. Aber so viel ist gewiß, daß er noch jetzt in
solchen Sturmnächten im Tannenbühl, wo man nicht hauen soll, überall
die schönsten Tannen aussucht, und mein Vater hat ihn eine vier Schuh
dicke umbrechen sehen wie ein Rohr. Mit diesen beschenkt er die, welche
sich vom Rechten abwenden und zu ihm gehen; um Mitternacht bringen sie
dann die G'stair ins Wasser, und er rudert mit ihnen nach Holland. Aber
wäre ich Herr und König in Holland, ich ließe ihn mit Kartätschen in
den Boden schmettern, denn alle Schiffe, die von dem Holländer Michel
auch nur _einen_ Balken haben, müssen untergehen. Daher kommt es, daß
man von so viel Schiffbrüchen hört; wie könnte denn sonst ein schönes,
starkes Schiff, so groß als eine Kirche, zu Grunde gehen auf dem
Wasser? Aber so oft Holländer Michel in einer Sturmnacht im Schwarzwald
eine Tanne fällt, springt eine seiner alten aus den Fugen des Schiffes;
das Wasser dringt ein, und das Schiff ist mit Mann und Maus verloren.
Das ist die Sage vom Holländer Michel, und wahr ist es, alles Böse im
Schwarzwald schreibt sich von ihm her. Oh! er kann einen reich machen!«
setzte der Greis geheimnisvoll hinzu, »aber ich möchte nichts von ihm
haben; ich möchte um keinen Preis in der Haut des dicken Ezechiel und
des langen Schlurkers stecken; auch der Tanzbodenkönig soll sich ihm
ergeben haben!«

Der Sturm hatte sich während der Erzählung des Alten gelegt; die
Mädchen zündeten schüchtern die Lampen an und gingen weg; die Männer
aber legten Peter Munk einen Sack voll Laub als Kopfkissen auf die
Ofenbank und wünschten ihm gute Nacht.

Kohlenmunkpeter hatte noch nie so schwere Träume gehabt wie in dieser
Nacht; bald glaubte er, der finstere riesige Holländer Michel reiße
die Stubenfenster auf und reiche mit seinem ungeheuer langen Arm einen
Beutel voll Goldstücke herein, die er untereinanderschüttelte, daß es
hell und lieblich klang; bald sah er wieder das kleine, freundliche
Glasmännlein auf einer ungeheuren grünen Flasche im Zimmer umherreiten,
und er meinte, das heisere Lachen wieder zu hören, wie im Tannenbühl;
dann brummte es ihm wieder ins linke Ohr:

    »In Holland gibt's Gold,
    Könnt's haben, wenn Ihr wollt
    Um geringen Sold,
    Gold, Gold!«

Dann hörte er wieder in sein rechtes Ohr das Liedchen vom Schatzhauser
im grünen Tannenwald, und eine zarte Stimme flüsterte: »Dummer
Kohlenpeter, dummer Peter Munk, kannst kein Sprüchlein reimen auf
_stehen_, und bist doch am Sonntag geboren Schlag zwölf Uhr. Reime,
dummer Peter, reime!«

Er ächzte, er stöhnte im Schlaf, er mühte sich ab, einen Reim zu
finden, aber da er in seinem Leben noch keinen gemacht hatte, war
seine Mühe im Traume vergebens. Als er aber mit dem ersten Frührot
erwachte, kam ihm doch sein Traum sonderbar vor; er setzte sich
mit verschränkten Armen hinter den Tisch und dachte über die
Einflüsterungen nach, die ihm noch immer im Ohr lagen; »reime, dummer
Kohlenmunkpeter, reime,« sprach er zu sich und pochte mit dem Finger
an seine Stirne, aber es wollte kein Reim hervorkommen. Als er noch so
dasaß, trübe vor sich hinschaute und an den Reim auf stehen dachte, da
zogen drei Bursche vor dem Haus vorbei in den Wald, und einer sang im
Vorübergehen:

    »Am Berge tat ich stehen
    Und schaute in das Tal,
    Da hab' ich sie gesehen
    Zum allerletztenmal.«

Das fuhr wie ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr, und hastig raffte
er sich auf, stürzte aus dem Haus, weil er meinte, nicht recht gehört
zu haben, sprang den drei Burschen nach und packte den Sänger hastig
und unsanft beim Arm. »Halt, Freund,« rief er, »was habt Ihr da auf
_stehen_ gereimt? Tut mir die Liebe und sprecht, was Ihr gesungen.«

»Was ficht's dich an, Bursche?« entgegnete der Schwarzwälder. »Ich kann
singen, was ich will, und laß gleich meinen Arm los, oder --«

»Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!« schrie Peter beinahe
außer sich und packte ihn noch fester an; die zwei andern aber, als sie
dies sahen, zögerten nicht lange, sondern fielen mit derben Fäusten
über den armen Peter her und walkten ihn derb, bis er vor Schmerzen das
Gewand des dritten ließ und erschöpft in die Kniee sank. »Jetzt hast du
dein Teil,« sprachen sie lachend, »und merk' dir, toller Bursche, daß
du Leute, wie wir sind, nimmer anfällst auf offenem Wege.«

»Ach, ich will mir es gewißlich merken!« erwiderte Kohlenpeter
seufzend. »Aber so ich die Schläge habe, seid so gut und saget
deutlich, was jener gesungen.«

Da lachten sie aufs neue und spotteten ihn aus; aber der das Lied
gesungen, sagte es ihm vor, und lachend und singend zogen sie weiter.

»Also _sehen_;« sprach der arme Geschlagene, indem er sich mühsam
aufrichtete, »_sehen_ auf _stehen_, jetzt, Glasmännlein, wollen wir
wieder ein Wort zusammen sprechen.« Er ging in die Hütte, holte seinen
Hut und den langen Stock, nahm Abschied von den Bewohnern der Hütte
und trat seinen Rückweg nach dem Tannenbühl an. Er ging langsam und
sinnend seine Straße, denn er mußte ja einen Vers ersinnen; endlich,
als er schon in dem Bereich des Tannenbühls ging und die Tannen höher
und dichter wurden, hatte er auch seinen Vers gefunden und machte vor
Freuden einen Sprung in die Höhe. Da trat ein riesengroßer Mann in
Flößerkleidung, und eine Stange, so lang wie ein Mastbaum in der Hand,
hinter den Tannen hervor. Peter Munk sank beinahe in die Kniee, als
er jenen langsamen Schrittes neben sich wandeln sah; denn er dachte,
das ist der Holländer Michel und kein anderer. Noch immer schwieg die
furchtbare Gestalt, und Peter schielte zuweilen furchtsam nach ihm
hin. Er war wohl einen Kopf größer als der längste Mann, den Peter
je gesehen, sein Gesicht war nicht mehr jung, doch auch nicht alt,
aber voll Furchen und Falten; er trug ein Wams von Leinwand, und die
ungeheuren Stiefel, über die Lederbeinkleider heraufgezogen, waren
Peter aus der Sage wohl bekannt.

»Peter Munk, was tust du im Tannenbühl?« fragte der Waldkönig endlich
mit tiefer, dröhnender Stimme.

»Guten Morgen, Landsmann,« antwortete Peter, indem er sich
unerschrocken zeigen wollte, aber heftig zitterte. »Ich will durch den
Tannenbühl nach Haus zurück.«

»Peter Munk,« erwiderte jener und warf einen stechenden, furchtbaren
Blick nach ihm herüber, »dein Weg geht nicht durch diesen Hain.«

»Nun, so gerade just nicht,« sagte jener; »aber es macht heute warm, da
dachte ich, es wird hier kühler sein.«

»Lüge nicht, du Kohlenpeter!« rief Holländer Michel mit donnernder
Stimme, »oder ich schlag' dich mit der Stange zu Boden; meinst, ich
hab' dich nicht betteln sehen bei dem Kleinen?« setzte er sanft hinzu.
»Geh, geh, das war ein dummer Streich, und gut ist es, daß du das
Sprüchlein nicht wußtest; er ist ein Knauser, der kleine Kerl, und gibt
nicht viel, und wem er gibt, der wird seines Lebens nicht froh. --
Peter, du bist ein armer Tropf und dauerst mich in der Seele; so ein
munterer, schöner Bursche, der in der Welt was anfangen könnte, und
sollst Kohlen brennen! Wenn andere große Taler oder Dukaten aus dem
Aermel schütteln, kannst du kaum ein paar Sechser aufwenden; 's ist ein
ärmlich Leben.«

»Wahr ist's, und recht habt Ihr: ein elendes Leben.«

»Na, mir soll's nicht darauf ankommen,« fuhr der schreckliche Michel
fort: »hab' schon manchem braven Kerl aus der Not geholfen, und du
wärest nicht der erste. Sag' einmal, wieviel hundert Taler brauchst du
fürs erste?«

Bei diesen Worten schüttelte er das Geld in seiner ungeheuren Tasche
untereinander, und es klang wieder wie diese Nacht im Traum. Aber
Peters Herz zuckte ängstlich und schmerzhaft bei diesen Worten, es
wurde ihm kalt und warm, und der Holländer Michel sah nicht aus, wie
wenn er aus Mitleid Geld wegschenkte, ohne etwas dafür zu verlangen. Es
fielen ihm die geheimnisvollen Worte des alten Mannes über die reichen
Menschen ein, und von unerklärlicher Angst und Bangigkeit gejagt, rief
er: »Schön Dank, Herr! Aber mit Euch will ich nichts zu schaffen haben,
und ich kenn' Euch schon,« und lief, was er laufen konnte. -- Aber der
Waldgeist schritt mit ungeheuren Schritten neben ihm her und murmelte
dumpf und drohend: »Wirst's noch bereuen, Peter, wirst noch zu mir
kommen; auf deiner Stirne steht's geschrieben, in deinem Auge ist's zu
lesen; du entgehst mir nicht. -- Lauf nicht so schnell, höre nur noch
ein vernünftig Wort, dort ist schon meine Grenze.« Aber als Peter dies
hörte und unweit vor ihm einen kleinen Graben sah, beeilte er sich nur
noch mehr, über die Grenze zu kommen, so daß Michel am Ende schneller
laufen mußte und unter Flüchen und Drohungen ihn verfolgte. Der junge
Mann setzte mit einem verzweifelten Sprung über den Graben, denn er
sah, wie der Waldgeist mit seiner Stange ausholte und sie auf ihn
niederschmettern lassen wollte; er kam glücklich jenseits an, und die
Stange zersplitterte in der Luft, wie an einer unsichtbaren Mauer, und
ein langes Stück fiel zu Peter herüber.

Triumphierend hob er es auf, um es dem groben Holländer Michel
zuzuwerfen; aber in diesem Augenblick fühlte er das Stück Holz in
seiner Hand sich bewegen, und zu seinem Entsetzen sah er, daß es eine
ungeheure Schlange sei, was er in der Hand hielt, die sich schon mit
geifernder Zunge und mit blitzenden Augen an ihm hinaufbäumte. Er ließ
sie los, aber sie hatte sich schon fest um seinen Arm gewickelt und
kam mit schwankendem Kopf seinem Gesicht immer näher; da rauschte auf
einmal ein ungeheurer Auerhahn nieder, packte den Kopf der Schlange mit
dem Schnabel, erhob sich mit ihr in die Lüfte, und Holländer Michel,
der dies alles von dem Graben aus gesehen hatte, heulte und schrie und
raste, als die Schlange von einem Gewaltigern entführt ward.

Erschöpft und zitternd, setzte Peter seinen Weg fort; der Pfad wurde
steiler, die Gegend wilder, und bald fand er sich an der ungeheuren
Tanne. Er machte wieder wie gestern seine Verbeugungen gegen das
unsichtbare Glasmännlein und hub dann an:

    »Schatzhauser im grünen Tannenwald,
    Bist schon viel hundert Jahre alt.
    Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
    Läßt dich nur Sonntagskindern sehn.«

»Hast's zwar nicht ganz getroffen, aber weil du es bist,
Kohlenmunkpeter, so soll es so hingehen,« sprach eine zarte, feine
Stimme neben ihm. Erstaunt sah er sich um, und unter einer schönen
Tanne saß ein kleines, altes Männlein, in schwarzem Wams und roten
Strümpfen und den großen Hut auf dem Kopf. Er hatte ein feines,
freundliches Gesichtchen und ein Bärtchen, so zart wie aus Spinnweben;
er rauchte, was sonderbar anzusehen war, aus einer Pfeife von blauem
Glas, und als Peter näher trat, sah er zu seinem Erstaunen, daß auch
Kleider, Schuhe und Hut des Kleinen aus gefärbtem Glas bestanden; aber
es war geschmeidig, als ob es noch heiß wäre, denn es schmiegte sich
wie ein Tuch nach jeder Bewegung des Männleins.

»Du bist dem Flegel begegnet, dem Holländer Michel?« sagte der Kleine,
indem er zwischen jedem Worte sonderbar hüstelte. »Er hat dich recht
ängstigen wollen, aber seinen Kunstprügel habe ich ihm abgejagt, den
soll er nimmer wiederkriegen.«

»Ja, Herr Schatzhauser,« erwiderte Peter mit einer tiefen Verbeugung,
»es war mir recht bange. Aber Ihr seid wohl der Herr Auerhahn gewesen,
der die Schlange tot gebissen; da bedanke ich mich schönstens. -- Ich
komme aber, um mir Rats zu erholen bei Euch; es geht mir gar schlecht
und hinderlich; ein Kohlenbrenner bringt es nicht weit; und da ich noch
jung bin, dächte ich doch, es könnte noch was Besseres aus mir werden;
und wenn ich oft andere sehe, wie weit die es in kurzer Zeit gebracht
haben: wenn ich nur den Ezechiel nehme und den Tanzbodenkönig; die
haben Geld wie Heu.«

»Peter,« sagte der Kleine sehr ernst und blies den Rauch aus seiner
Pfeife weit hinweg; »Peter, sag' mir nichts von _diesen_. Was haben
sie davon, wenn sie hier ein paar Jahre dem Schein nach glücklich und
dann nachher desto unglücklicher sind? Du mußt dein Handwerk nicht
verachten; dein Vater und Großvater waren Ehrenleute und haben es
auch getrieben, Peter Munk! Ich will nicht hoffen, daß es Liebe zum
Müßiggang ist, was dich zu mir führt.«

Peter erschrak vor dem Ernst des Männleins und errötete. »Nein,« sagte
er, »Müßiggang, weiß ich wohl, Herr Schatzhauser im Tannenwald,
Müßiggang ist aller Laster Anfang, aber das könnet Ihr mir nicht
übelnehmen, wenn mir ein anderer Stand besser gefällt als der meinige.
Ein Kohlenbrenner ist halt so gar etwas Geringes auf der Welt, und die
Glasleute und Flößer und Uhrmacher und alle sind angesehener.«

»Hochmut kommt oft vor dem Fall,« erwiderte der kleine Herr vom
Tannenwald etwas freundlicher. »Ihr seid ein sonderbar Geschlecht, ihr
Menschen! Selten ist einer mit dem Stand ganz zufrieden, in dem er
geboren und erzogen ist; und was gilt's, wenn du ein Glasmann wärest,
möchtest du gern ein Holzherr sein, und wärest du Holzherr, so stünde
dir des Försters Dienst oder des Amtmanns Wohnung an? Aber es sei; wenn
du versprichst, brav zu arbeiten, so will ich dir zu etwas Besserem
verhelfen, Peter. Ich pflege jedem Sonntagskind, das sich zu mir zu
finden weiß, drei Wünsche zu gewähren. Die ersten zwei sind frei. Den
dritten kann ich verweigern, wenn er töricht ist. So wünsche dir also
jetzt etwas; aber -- Peter, etwas Gutes und Nützliches.«

»Heisa! Ihr seid ein treffliches Glasmännlein, und mit Recht nennt man
Euch Schatzhauser, denn bei Euch sind die Schätze zu Hause. Nu -- und
also darf ich wünschen, wonach mein Herz begehrt, so will ich denn fürs
erste, daß ich noch besser tanzen könne als der Tanzbodenkönig, und
immer so viel Geld in der Tasche habe als der dicke Ezechiel.«

»Du Tor!« erwiderte der Kleine zürnend. »Welch ein erbärmlicher Wunsch
ist dies, gut tanzen zu können und Geld zum Spiel zu haben! Schämst du
dich nicht, dummer Peter, dich selbst so um dein Glück zu betrügen? Was
nützt es dir und deiner armen Mutter, wenn du tanzen kannst? Was nützt
dir dein Geld, das nach deinem Wunsch nur für das Wirtshaus ist und wie
das des elenden Tanzbodenkönigs dort bleibt? Dann hast du wieder die
ganze Woche nichts und darbst wie zuvor. Noch einen Wunsch gebe ich dir
frei, aber sieh dich vor, daß du vernünftiger wünschest.«

Peter kratzte sich hinter den Ohren und sprach nach einigem Zögern:
»Nun, so wünsche ich mir die schönste und reichste Glashütte im ganzen
Schwarzwald mit allem Zugehör und Geld, sie zu leiten.«

»Sonst nichts?« fragte der Kleine mit besorglicher Miene, »Peter, sonst
nichts?«

»Nun -- Ihr könnet noch ein Pferd dazutun, und ein Wägelchen --«

»O, du dummer Kohlenmunkpeter!« rief der Kleine und warf seine gläserne
Pfeife im Unmut an eine dicke Tanne, daß sie in hundert Stücke sprang;
»Pferde? Wägelchen? Verstand, sag' ich dir, Verstand, gesunden
Menschenverstand und Einsicht hättest du dir wünschen sollen, aber
nicht Pferdchen und Wägelchen. Nun, werde nur nicht so traurig, wir
wollen sehen, daß es auch so nicht zu deinem Schaden ist; denn der
zweite Wunsch war im ganzen nicht töricht. Eine gute Glashütte nährt
auch ihren Mann und Meister, nur hättest du Einsicht und Verstand dazu
mitnehmen können, Wagen und Pferde wären dann wohl von selbst gekommen.«

»Aber, Herr Schatzhauser,« erwiderte Peter, »ich habe ja noch einen
Wunsch übrig. Da könnte ich ja Verstand wünschen, wenn er mir so
überaus nötig ist, wie Ihr meinet.«

»Nichts da. Du wirst noch in manche Verlegenheit kommen, wo du froh
sein wirst, wenn du noch einen Wunsch frei hast. Und nun mache dich auf
den Weg nach Hause. Hier sind,« sprach der kleine Tannengeist, indem
er ein kleines Beutelein aus der Tasche zog, »hier sind zweitausend
Gulden, und damit genug, und komm mir nicht wieder, um Geld zu fordern,
denn dann müßte ich dich an die höchste Tanne aufhängen. So hab' ich's
gehalten, seit ich in dem Wald wohne. Vor drei Tagen aber ist der alte
Winkfritz gestorben, der die große Glashütte gehabt hat im Unterwald.
Dorthin gehe morgen frühe, und mach' ein Bot auf das Gewerbe, wie es
recht ist. Halt dich wohl, sei fleißig, und ich will dich zuweilen
besuchen und dir mit Rat und Tat an die Hand gehen, weil du dir doch
keinen Verstand erbeten. Aber, und das sag' ich dir ernstlich, dein
erster Wunsch war böse. Nimm dich in acht vor dem Wirtshauslaufen,
Peter! 's hat noch bei keinem lange gut getan.« Das Männlein hatte,
während er dies sprach, eine neue Pfeife vom schönsten Beinglas
hervorgezogen, sie mit gedörrten Tannenzapfen gestopft und in den
kleinen, zahnlosen Mund gesteckt. Dann zog er ein ungeheures Brennglas
hervor, trat in die Sonne und zündete seine Pfeife an. Als er damit
fertig war, bot er dem Peter freundlich die Hand, gab ihm noch ein
paar gute Lehren auf den Weg, rauchte und blies immer schneller und
verschwand endlich in einer Rauchwolke, die nach echtem holländischen
Tabak roch und langsam sich kräuselnd in den Tannenwipfeln verschwebte.

Als Peter nach Haus kam, fand er seine Mutter sehr in Sorgen um
ihn, denn die gute Frau glaubte nicht anders, als ihr Sohn sei zum
Soldaten ausgehoben worden. Er aber war fröhlich und guter Dinge und
erzählte ihr, wie er im Wald einen guten Freund getroffen, der ihm
Geld vorgeschossen habe, um ein anderes Geschäft als Kohlenbrennen
anzufangen. Obgleich seine Mutter schon seit dreißig Jahren in der
Köhlerhütte wohnte und an den Anblick berußter Leute so gewöhnt war als
jede Müllerin an das Mehlgesicht ihres Mannes, so war sie doch eitel
genug, sobald ihr Peter ein glänzenderes Los zeigte, ihren früheren
Stand zu verachten, und sprach: »Ja, als Mutter eines Mannes, der
eine Glashütte besitzt, bin ich doch was anderes als Nachbarin Grete
und Bete, und setze mich in Zukunft vornehm in der Kirche, wo rechte
Leute sitzen.« Ihr Sohn aber wurde mit den Erben der Glashütte bald
handelseinig. Er behielt die Arbeiter, die er vorfand, bei sich und
ließ nun Tag und Nacht Glas machen. Anfangs gefiel ihm das Handwerk
wohl. Er pflegte gemächlich in die Glashütte hinabzusteigen, ging dort
mit vornehmen Schritten, die Hände in die Taschen gesteckt, hin und
her, guckte dahin, guckte dorthin, sprach dies und jenes, worüber seine
Arbeiter oft nicht wenig lachten, und seine größte Freude war, das Glas
blasen zu sehen, und oft machte er sich selbst an die Arbeit und formte
aus der noch weichen Masse die sonderbarsten Figuren. Bald aber war ihm
die Arbeit entleidet, und er kam zuerst nur noch eine Stunde des Tages
in die Hütte, dann nur alle zwei Tage, endlich die Woche nur einmal,
und seine Gesellen machten, was sie wollten. Das alles kam aber nur vom
Wirtshauslaufen. Den Sonntag, nachdem er vom Tannenbühl zurückgekommen
war, ging er ins Wirtshaus, und wer schon auf dem Tanzboden sprang, war
der Tanzbodenkönig, und der dicke Ezechiel saß auch schon hinter der
Maßkanne und knöchelte um Kronentaler. Da fuhr Peter schnell in die
Tasche, zu sehen, ob ihm das Glasmännlein Wort gehalten, und siehe,
seine Tasche strotzte von Silber und Gold. Auch in seinen Beinen zuckte
und drückte es, wie wenn sie tanzen und springen wollten, und als der
erste Tanz zu Ende war, stellte er sich mit seiner Tänzerin obenan
neben den Tanzbodenkönig, und sprang dieser drei Schuh hoch, so flog
Peter vier, und machte dieser wunderliche und zierliche Schritte, so
verschlang und drehte Peter seine Füße, daß alle Zuschauer vor Lust und
Verwunderung beinahe außer sich kamen. Als man aber auf dem Tanzboden
vernahm, daß Peter eine Glashütte gekauft habe, als man sah, daß er, so
oft er an den Musikanten vorbeitanzte, ihnen einen Sechsbätzner zuwarf,
da war des Staunens kein Ende. Die einen glaubten, er habe einen Schatz
im Walde gefunden, die andern meinten, er habe eine Erbschaft getan,
aber alle verehrten ihn jetzt und hielten ihn für einen gemachten Mann,
nur weil er Geld hatte. Verspielte er doch noch an demselben Abend
zwanzig Gulden, und nichtsdestominder rasselte und klang es in seiner
Tasche, wie wenn noch hundert Taler darin wären.

Als Peter sah, wie angesehen er war, wußte er sich vor Freude und
Stolz nicht zu fassen. Er warf das Geld mit vollen Händen weg und
teilte es den Armen reichlich mit, wußte er doch, wie ihn selbst einst
die Armut gedrückt hatte. Des Tanzbodenkönigs Künste wurden vor den
übernatürlichen Künsten des neuen Tänzers zu schanden, und Peter führte
jetzt den Namen Tanzkaiser. Die unternehmendsten Spieler am Sonntag
wagten nicht so viel wie er, aber sie verloren auch nicht so viel. Und
je mehr er verlor, desto mehr gewann er. Das verhielt sich aber ganz
so, wie er es vom kleinen Glasmännlein verlangt hatte. Er hatte sich
gewünscht, immer so viel Geld in der Tasche zu haben wie der dicke
Ezechiel, und gerade dieser war es, an welchen er sein Geld verspielte.
Und wenn er zwanzig, dreißig Gulden auf einmal verlor, so hatte er
sie alsobald wieder in der Tasche, wenn sie Ezechiel einstrich. Nach
und nach brachte er es aber im Schlemmen und Spielen weiter als die
schlechtesten Gesellen im Schwarzwald, und man nannte ihn öfter
Spielpeter als Tanzkaiser, denn er spielte jetzt auch beinahe an allen
Werktagen. Darüber kam aber seine Glashütte nach und nach in Verfall,
und daran war Peters Unverstand schuld. Glas ließ er machen, so viel
man immer machen konnte, aber er hatte mit der Hütte nicht zugleich das
Geheimnis gekauft, wohin man es am besten verschleißen könne. Er wußte
am Ende mit der Menge Glas nichts anzufangen und verkaufte es um den
halben Preis an herumziehende Händler, nur um seine Arbeiter bezahlen
zu können.

Eines Abends ging er auch wieder vom Wirtshaus heim und dachte trotz
des vielen Weines, den er getrunken, um sich fröhlich zu machen, mit
Schrecken und Gram an den Verfall seines Vermögens. Da bemerkte er auf
einmal, daß jemand neben ihm gehe, er sah sich um, und siehe da -- es
war das Glasmännlein. Da geriet er in Zorn und Eifer, vermaß sich hoch
und teuer und schwur, der Kleine sei an all seinem Unglück schuld. »Was
tu' ich nun mit Pferd und Wägelchen?« rief er, »was nützt mir die Hütte
und all mein Glas? Selbst als ich noch ein elender Köhlersbursch war,
lebte ich froher und hatte keine Sorgen. Jetzt weiß ich nicht, wann der
Amtmann kommt und meine Habe schätzt und mich vergantet der Schulden
wegen!«

»So?« entgegnete das Glasmännlein. »So? Ich also soll schuld daran
sein, wenn du unglücklich bist? Ist dies der Dank für meine Wohltaten?
Wer hieß dich auch so töricht wünschen? Ein Glasmann wolltest du sein
und wußtest nicht, wohin dein Glas verkaufen? Sagte ich dir nicht, du
solltest behutsam wünschen? Verstand, Peter, Klugheit hat dir gefehlt.«

»Was Verstand und Klugheit!« rief jener, »ich bin ein so kluger Bursche
als irgend einer und will es dir zeigen, Glasmännlein,« und bei diesen
Worten faßte er das Männlein unsanft am Kragen und schrie: »Hab' ich
dich jetzt, Schatzhauser im grünen Tannenwald? Und den dritten Wunsch
will ich jetzt tun, den sollst du mir gewähren. Und so will ich hier
auf der Stelle zweimalhunderttausend harte Taler, und ein Haus und
-- o weh!« schrie er und schüttelte die Hand, denn das Waldmännlein
hatte sich in glühendes Glas verwandelt und brannte in seiner Hand wie
sprühendes Feuer. Aber von dem Männlein war nichts mehr zu sehen.

Mehrere Tage lang erinnerte ihn seine geschwollene Hand an seine
Undankbarkeit und Torheit. Dann aber übertäubte er sein Gewissen und
sprach: »Und wenn sie mir die Glashütte und alles verkaufen, so bleibt
mir doch immer der dicke Ezechiel. Solange der Geld hat am Sonntag,
kann es mir nicht fehlen.«

Ja, Peter! Aber wenn er keines hat? Und so geschah es eines Tages,
und war ein wunderliches Rechenexempel. Denn eines Sonntags kam er
angefahren ans Wirtshaus, und die Leute streckten die Köpfe durch die
Fenster, und der eine sagte: »Da kommt der Spielpeter,« und der andere:
»Ja, der Tanzkaiser, der reiche Glasmann,« und ein dritter schüttelte
den Kopf und sprach: »Mit dem Reichtum kann man es machen, man sagt
allerlei von seinen Schulden, und in der Stadt hat einer gesagt, der
Amtmann würde nicht mehr lange säumen zum Auspfänden.« Indessen grüßte
der reiche Peter die Gäste am Fenster vornehm und gravitätisch, stieg
vom Wagen und schrie: »Sonnenwirt, guten Abend, ist der dicke Ezechiel
schon da?« Und eine tiefe Stimme rief: »Nur herein, Peter! Dein Platz
ist dir aufbehalten, wir sind schon da und bei den Karten.« So trat
Peter Munk in die Wirtsstube, fuhr gleich in die Tasche und merkte,
daß Ezechiel gut versehen sein müsse, denn seine Tasche war bis obenan
gefüllt.

Er setzte sich hinter den Tisch zu den andern und spielte und gewann
und verlor hin und her, und so spielten sie, bis andere ehrliche Leute,
als es Abend wurde, nach Hause gingen, und spielten bei Licht, bis
zwei andere Spieler sagten: »Jetzt ist's genug, und wir müssen heim zu
Frau und Kind.« Aber Spielpeter forderte den dicken Ezechiel auf zu
bleiben. Dieser wollte lange nicht, endlich aber rief er: »Gut, jetzt
will ich mein Geld zählen, und dann wollen wir knöcheln, den Satz um
fünf Gulden, denn niederer ist es doch nur Kinderspiel.« Er zog den
Beutel und zählte und fand hundert Gulden bar, und Spielpeter wußte
nun, wieviel er selbst habe, und brauchte es nicht erst zu zählen. Aber
hatte Ezechiel vorher gewonnen, so verlor er jetzt Satz für Satz und
fluchte greulich dabei. Warf er einen Pasch, gleich warf Spielpeter
auch einen, und immer zwei Augen höher. Da setzte er endlich die
letzten fünf Gulden auf den Tisch und rief: »Noch einmal, und wenn ich
auch den noch verliere, so höre ich doch nicht auf, dann leihst du mir
von deinem Gewinn, Peter, ein ehrlicher Kerl hilft dem andern!«

»Soviel du willst, und wenn es hundert Gulden sein sollten,« sprach
der Tanzkaiser, fröhlich über seinen Gewinn, und der dicke Ezechiel
schüttelte die Würfel und warf fünfzehn. »Pasch!« rief er, »jetzt
wollen wir sehen!« Peter aber warf achtzehn, und eine heisere bekannte
Stimme hinter ihm sprach: »So, das war der _letzte_.«

Er sah sich um, und riesengroß stand der Holländer Michel hinter ihm.
Erschrocken ließ er das Geld fallen, das er schon eingezogen hatte.
Aber der dicke Ezechiel sah den Waldmann nicht, sondern verlangte, der
Spielpeter solle ihm zehn Gulden vorstrecken zum Spiel. Halb im Traum
fuhr dieser mit der Hand in die Tasche, aber da war kein Geld, er
suchte in der andern Tasche, aber auch da fand sich nichts, er kehrte
den Rock um, aber es fiel kein roter Heller heraus, und jetzt erst
gedachte er seines eigenen ersten Wunsches, immer so viel Geld zu haben
als der dicke Ezechiel. Wie Rauch war alles verschwunden.

Der Wirt und Ezechiel sahen ihn staunend an, als er immer suchte und
sein Geld nicht finden konnte; sie wollten ihm nicht glauben, daß
er keines mehr habe; aber als sie endlich selbst in seinen Taschen
suchten, wurden sie zornig und schwuren, der Spielpeter sei ein böser
Zauberer und habe all das gewonnene Geld und sein eigenes nach Hause
gewünscht. Peter verteidigte sich standhaft, aber der Schein war gegen
ihn. Ezechiel sagte, er wolle die schreckliche Geschichte allen Leuten
im Schwarzwald erzählen, und der Wirt versprach ihm, morgen mit dem
frühesten in die Stadt zu gehen und Peter Munk als Zauberer anzuklagen,
und er wolle es erleben, setzte er hinzu, daß man ihn verbrenne. Dann
fielen sie wütend über ihn her, rissen ihm das Wams vom Leib und warfen
ihn zur Tür hinaus.

Kein Stern schien am Himmel, als Peter trübselig seiner Wohnung
zuschlich, aber dennoch konnte er eine dunkle Gestalt erkennen, die
neben ihm herschritt und endlich sprach: »Mit dir ist's aus, Peter
Munk, all deine Herrlichkeit ist zu Ende, und das hätt' ich dir schon
damals sagen können, als du nichts von mir hören wolltest und zu dem
dummen Glaszwerg liefst. Da siehst du jetzt, was man davon hat, wenn
man meinen Rat verachtet. Aber versuch' es einmal mit mir, ich habe
Mitleiden mit deinem Schicksal. Noch keinen hat es gereut, der sich
an mich wandte, und wenn du den Weg nicht scheust, morgen den ganzen
Tag bin ich am Tannenbühl zu sprechen, wenn du mich rufst.« Peter
merkte wohl, wer so zu ihm spreche, aber es kam ihm ein Grauen an. Er
antwortete nichts, sondern lief seinem Haus zu.

       *       *       *       *       *

Bei diesen Worten wurde der Erzähler durch ein Geräusch vor der Schenke
unterbrochen. Man hörte einen Wagen anfahren, mehrere Stimmen riefen
nach Licht, es wurde heftig an das Hoftor gepocht, und dazwischen
heulten mehrere Hunde. Die Kammer, die man dem Fuhrmann und den
Handwerksburschen angewiesen hatte, ging nach der Straße hinaus;
die vier Gäste sprangen auf und liefen dorthin, um zu sehen, was
vorgefallen sei. Soviel sie bei dem Schein einer Laterne sehen konnten,
stand ein großer Reisewagen vor der Schenke; soeben war ein großer Mann
beschäftigt, zwei verschleierte Frauen aus dem Wagen zu heben, und
einen Kutscher in Livree sah man die Pferde abspannen, ein Bedienter
aber schnallte den Koffer los. »Diesen sei Gott gnädig,« seufzte der
Fuhrmann. »Wenn diese mit heiler Haut aus dieser Schenke kommen, so ist
mir für meinen Karren auch nicht mehr bange.«

»Stille!« flüsterte der Student. »Mir ahnet, daß man eigentlich nicht
uns, sondern diesen Damen auflauert. Wahrscheinlich waren sie unten
schon von ihrer Reise unterrichtet. Wenn man sie nur warnen könnte!
Doch halt! Es ist im ganzen Wirtshaus kein anständiges Zimmer für die
Damen, als das neben dem meinigen. Dorthin wird man sie führen. Bleibet
ihr ruhig in dieser Kammer, ich will die Bedienten zu unterrichten
suchen.«

Der junge Mann schlich sich auf sein Zimmer, löschte die Kerzen aus und
ließ nur das Licht brennen, das ihm die Wirtin gegeben. Dann lauschte
er an der Türe.

Bald kam die Wirtin mit den Damen die Treppe herauf und führte sie mit
freundlichen, sanften Worten in das Zimmer nebenan. Sie redete ihren
Gästen zu, sich bald niederzulegen, weil sie von der Reise erschöpft
sein werden. Dann ging sie wieder hinab. Bald darauf hörte der Student
schwere männliche Tritte die Treppe heraufkommen. Er öffnete behutsam
die Türe und erblickte durch eine kleine Spalte den großen Mann,
welcher die Damen aus dem Wagen gehoben. Er trug ein Jagdkleid, hatte
einen Hirschfänger an der Seite und war wohl der Reisestallmeister
oder Begleiter der fremden Damen. Als der Student bemerkte, daß dieser
allein heraufgekommen war, öffnete er schnell die Türe und winkte dem
Mann, zu ihm einzutreten. Verwundert trat dieser näher, und ehe er noch
fragen konnte, was man von ihm wolle, flüsterte ihm jener zu: »Mein
Herr! Sie sind heute nacht in eine Räuberschenke geraten.«

Der Mann erschrak. Der Student zog ihn aber vollends in seine Türe und
erzählte ihm, wie verdächtig es in diesem Hause aussehe.

Der Jäger wurde sehr besorgt, als er dies hörte. Er belehrte den jungen
Mann, daß die Damen, eine Gräfin und die Kammerfrau, anfänglich die
ganze Nacht durch haben fahren wollen; aber etwa eine halbe Stunde
vor dieser Schenke sei ihnen ein Reiter begegnet, der sie angerufen
und gefragt habe, wohin sie reisen wollten. Als er vernommen, daß sie
gesonnen seien, die ganze Nacht durch den Spessart zu reisen, habe er
ihnen abgeraten, indem es gegenwärtig sehr unsicher sei. »Wenn Ihnen
am Rate eines redlichen Mannes etwas liegt,« habe er hinzugesetzt, »so
stehen Sie ab von diesem Gedanken; es liegt nicht weit von hier eine
Schenke; so schlecht und unbequem sie sein mag, so übernachten Sie
lieber daselbst, als daß Sie sich in dieser dunklen Nacht unnötig der
Gefahr preisgeben.« Der Mann, der ihnen dies geraten, habe sehr ehrlich
und rechtlich ausgesehen, und die Gräfin habe in der Angst vor einem
Räuberanfall befohlen, an dieser Schenke stillezuhalten.

Der Jäger hielt es für seine Pflicht, die Damen von der Gefahr, worin
sie schwebten, zu unterrichten. Er ging in das andere Zimmer, und bald
darauf öffnete er die Türe, welche von dem Zimmer der Gräfin in das
des Studenten führte. Die Gräfin, eine Dame von etwa vierzig Jahren,
trat vor Schrecken bleich zu dem Studenten heraus und ließ sich alles
noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich, was in dieser
mißlichen Lage zu tun sei, und beschloß, so behutsam wie möglich die
zwei Bedienten, den Fuhrmann und die Handwerksbursche herbeizuholen, um
im Fall eines Angriffs wenigstens gemeinsame Sache machen zu können.

Als dieses bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der Gräfin gegen
die Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden und Stühlen verrammelt.
Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau aufs Bette, und die zwei Bedienten
hielten bei ihr Wache. Die früheren Gäste aber und der Jäger setzten
sich im Zimmer des Studenten um den Tisch und beschlossen, die Gefahr
zu erwarten. Es mochte jetzt etwa zehn Uhr sein, im Hause war alles
ruhig und still, und noch machte man keine Miene, die Gäste zu stören.
Da sprach der Zirkelschmied: »Um wach zu bleiben, wäre es wohl das
beste, wir machten es wieder wie zuvor. Wir erzählen nämlich, was wir
von allerlei Geschichten wissen, und wenn der Herr Jäger nichts dagegen
hat, so könnten wir weiter fortfahren.« Der Jäger aber hatte nicht
nur nichts dagegen einzuwenden, sondern um seine Bereitwilligkeit zu
zeigen, versprach er, selbst etwas zu erzählen. Er hub an:



Saids Schicksale.


Zur Zeit Harun Al-Raschids, des Beherrschers von Bagdad, lebte ein Mann
in Balsora, mit Namen Benezar. Er hatte gerade so viel Vermögen, um für
sich bequem und ruhig leben zu können, ohne ein Geschäft oder einen
Handel zu treiben. Auch als ihm ein Sohn geboren wurde, ging er von
dieser Weise nicht ab. »Warum soll ich in meinem Alter noch schachern
und handeln,« sprach er zu seinen Nachbarn, »um vielleicht Said, meinem
Sohn, tausend Goldstücke mehr hinterlassen zu können, wenn es gut geht,
und geht es schlecht, tausend weniger? Wo zwei speisen, wird auch ein
dritter satt, sagt das Sprichwort, und wenn er nur sonst ein guter
Junge wird, soll es ihm an nichts fehlen.« So sprach Benezar und hielt
Wort. Denn er ließ auch seinen Sohn nicht zum Handeln oder einem Gewerbe
erziehen; doch unterließ er nicht, die Bücher der Weisheit mit ihm zu
lesen, und da nach seiner Ansicht einen jungen Mann außer Gelehrsamkeit
und Ehrfurcht vor dem Alter nichts mehr zierte als ein gewandter Arm
und Mut, so ließ er ihn frühe in den Waffen unterweisen, und Said galt
bald unter seinen Altersgenossen, ja, selbst unter älteren Jünglingen,
für einen gewaltigen Kämpfer, und im Reiten und Schwimmen tat es ihm
keiner zuvor.

Als er achtzehn Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach Mekka
zum Grab des Propheten, um an Ort und Stelle sein Gebet und seine
religiösen Uebungen zu verrichten, wie es Sitte und Gebot erforderten.
Ehe er abreiste, ließ ihn sein Vater noch einmal vor sich kommen, lobte
seine Aufführung, gab ihm gute Lehren, versah ihn mit Geld und sprach
dann: »Noch etwas, mein Sohn Said! Ich bin ein Mann, der über die
Vorurteile des Pöbels erhaben ist. Ich höre zwar gerne Geschichten von
Feien und Zauberern erzählen, weil mir die Zeit dabei angenehm vergeht;
doch bin ich weit entfernt, daran zu glauben, wie so viele unwissende
Menschen tun, daß diese Genien, oder wer sie sonst sein mögen, Einfluß
auf das Leben und Treiben der Menschen haben. Deine Mutter aber, sie
ist jetzt zwölf Jahre tot, deine Mutter glaubte so fest daran als an
den Koran; ja, sie hat mir in einer einsamen Stunde, nachdem ich ihr
geschworen, es niemand als ihrem Kinde zu entdecken, vertraut, daß
sie selbst von ihrer Geburt an mit einer Fee in Berührung gestanden
habe. Ich habe sie deswegen ausgelacht, und doch muß ich gestehen,
daß bei deiner Geburt, Said, einige Dinge vorfielen, die mich selbst
in Erstaunen setzten. Es hatte den ganzen Tag geregnet und gedonnert,
und der Himmel war so schwarz, daß man nichts lesen konnte ohne
Licht. Aber um vier Uhr nachmittags sagte man mir an, es sei mir ein
Knäblein geboren. Ich eilte nach den Gemächern deiner Mutter, um meinen
Erstgeborenen zu sehen und zu segnen, aber alle ihre Zofen standen vor
der Türe, und auf meine Fragen antworteten sie, daß jetzt niemand in
das Zimmer treten dürfe; Zemira, deine Mutter, habe alle hinausgehen
heißen, weil sie allein sein wolle. Ich pochte an die Türe, aber
umsonst, sie blieb verschlossen.

Während ich so halb unwillig unter den Zofen vor der Türe stand, klärte
sich der Himmel so plötzlich auf, wie ich es nie gesehen hatte, und
das wunderbarste war, daß nur über unserer lieben Stadt Balsora eine
reine, blaue Himmelswölbung erschien, ringsum aber lagen die Wolken
schwarz aufgerollt, und Blitze zuckten und schlängelten sich in diesem
Umkreis. Während ich noch dieses Schauspiel neugierig betrachtete, flog
die Tür meiner Gattin auf; ich aber ließ die Mägde noch außen harren
und trat allein in das Gemach, deine Mutter zu fragen, warum sie sich
eingeschlossen habe. Als ich eintrat, quoll mir ein so betäubender
Geruch von Rosen, Nelken und Hyazinthen entgegen, daß ich beinahe
verwirrt wurde. Deine Mutter brachte mir dich dar und deutete zugleich
auf ein silbernes Pfeifchen, das du um den Hals an einer goldenen
Kette, so fein wie Seide, trugst. ›Die gütige Frau, von welcher ich
dir einst erzählte, ist da gewesen,‹ sprach deine Mutter, ›sie hat
deinem Knaben dieses Angebinde gegeben.‹ -- ›Das war also die Hexe, die
das Wetter schön machte und diesen Rosen- und Nelkenduft hinterließ?‹
sprach ich lachend und ungläubig. ›Aber sie hätte etwas Besseres
bescheren können als dieses Pfeifchen; etwa einen Beutel voll Gold, ein
Pferd oder dergleichen.‹ Deine Mutter beschwur mich, nicht zu spotten,
weil die Feen, leicht erzürnt, ihren Segen in Unsegen verwandeln.

Ich tat es ihr zu Gefallen und schwieg, weil sie krank war, wir
sprachen auch nicht mehr von dem sonderbaren Vorfall, bis sechs Jahre
nachher, als sie fühlte, daß sie, so jung sie noch war, sterben müsse.
Da gab sie mir das Pfeifchen, trug mir auf, es einst, wenn du zwanzig
Jahre alt seiest, dir zu geben, denn keine Stunde zuvor dürfe ich dich
von mir lassen. Sie starb. Hier ist nun das Geschenk,« fuhr Benezar
fort, indem er ein silbernes Pfeifchen an einer langen goldenen Kette
aus einem Kästchen hervorsuchte, »und ich gebe es dir in deinem
achtzehnten, statt in deinem zwanzigsten Jahr, weil du abreisest und
ich vielleicht, ehe du heimkehrst, zu meinen Vätern versammelt werde.
Ich sehe keinen vernünftigen Grund ein, warum du noch zwei Jahre
hierbleiben sollst, wie es deine besorgte Mutter wünschte. Du bist ein
guter und gescheiter Junge, führst die Waffen so gut als einer von
vierundzwanzig Jahren, daher kann ich dich heute ebensogut für mündig
erklären, als wärest du schon zwanzig. Und nun ziehe in Frieden und
denke in Glück und Unglück, vor welchem der Himmel dich bewahren wolle,
an deinen Vater.«

So sprach Benezar von Balsora, als er seinen Sohn entließ. Said nahm
bewegt von ihm Abschied, hing die Kette um den Hals, steckte das
Pfeifchen in den Gürtel, schwang sich aufs Pferd und ritt nach dem
Ort, wo sich die Karawane nach Mekka versammelte. In kurzer Zeit waren
an achtzig Kamele und viele hundert Reiter beisammen; die Karawane
setzte sich in Marsch, und Said ritt aus dem Tor von Balsora, seiner
Vaterstadt, die er in langer Zeit nicht mehr sehen sollte.

Das Neue einer solchen Reise und die mancherlei niegesehenen
Gegenstände, die sich ihm aufdrängten, zerstreuten ihn anfangs; als
man sich aber der Wüste näherte und die Gegend immer öder und einsamer
wurde, da fing er an, über manches nachzudenken, und unter anderem auch
über die Worte, womit ihn Benezar, sein Vater, entlassen hatte.

Er zog das Pfeifchen hervor, beschaute es hin und her und setzte es
endlich an den Mund, um einen Versuch zu machen, ob es vielleicht einen
recht hellen und schönen Ton von sich gäbe; aber siehe, es tönte nicht;
er blähte die Backen auf und blies aus Leibeskräften, aber er konnte
keinen Ton hervorbringen, und, unwillig über das nutzlose Geschenk,
steckte er das Pfeifchen wieder in den Gürtel. Aber bald richteten sich
alle seine Gedanken wieder auf die geheimnisvollen Worte seiner Mutter;
er hatte von Feen manches gehört, aber nie hatte er erfahren, daß
dieser oder jener Nachbar in Balsora mit einem übernatürlichen Genius
in Verbindung gestanden sei, sondern man hatte die Sagen von diesen
Geistern immer in weit entfernte Länder und alte Zeiten versetzt, und
so glaubte er, es gäbe heutzutage keine solche Erscheinungen mehr,
oder die Feen haben aufgehört, die Menschen zu besuchen und an ihren
Schicksalen teilzunehmen. Obgleich er aber also dachte, so war er
doch immer wieder von neuem versucht, an irgend etwas Geheimnisvolles
und Uebernatürliches zu glauben, was mit seiner Mutter vorgegangen
sein könnte, und so kam es, daß er beinahe einen ganzen Tag wie ein
Träumender zu Pferde saß und weder an den Gesprächen der Reisenden
teilnahm, noch auf ihren Gesang oder ihr Gelächter achtete.

Said war ein sehr schöner Jüngling; sein Auge war mutig und kühn,
sein Mund voll Anmut, und so jung er war, so hatte er doch in seinem
ganzen Wesen schon eine gewisse Würde, die man in diesem Alter nicht
so oft trifft, und der Anstand, womit er, leicht aber sicher, und in
vollem kriegerischen Schmuck zu Pferde saß, zog die Blicke manches der
Reisenden auf sich. Ein alter Mann, der an seiner Seite ritt, fand
Wohlgefallen an ihm und versuchte, durch manche Fragen auch seinen
Geist zu prüfen. Said, welchem Ehrfurcht gegen das Alter eingeprägt
worden war, antwortete bescheiden, aber klug und umsichtig, so daß
der Alte eine große Freude an ihm hatte. Da aber der Geist des jungen
Mannes schon den ganzen Tag nur mit _einem_ Gegenstand beschäftigt
war, so geschah es, daß man bald auf das geheimnisvolle Reich der Feen
zu sprechen kam, und endlich fragte Said den Alten geradezu, ob er
glaube, daß es Feen, gute oder böse Geister geben könne, welche den
Menschen beschützen oder verfolgen.

Der alte Mann strich sich den Bart, neigte seinen Kopf hin und her und
sprach dann: »Leugnen läßt es sich nicht, daß es solche Geschichten
gegeben hat, obgleich ich bis heute weder einen Geisterzwerg noch
einen Genius als Riesen, weder einen Zauberer noch eine Fee gesehen
habe.« Der Alte hub dann an und erzählte dem jungen Mann so viele
und wunderbare Geschichten, daß ihm der Kopf schwindelte und er
nicht anders dachte, als alles, was bei seiner Geburt vorgegangen,
die Aenderung des Wetters, der süße Rosen- und Hyazinthenduft, sei
von großer und göttlicher Vorbedeutung, er selbst stehe unter dem
besonderen Schutz einer mächtigen, gütigen Fee, und das Pfeifchen sei
zu nichts Geringerem ihm geschenkt worden, als der Fee im Fall der Not
zu pfeifen. Er träumte die ganze Nacht von Schlössern, Zauberpferden,
Genien und dergleichen und lebte in einem wahren Feenreich.

Doch leider mußte er schon am folgenden Tage die Erfahrung machen,
wie nichtig all seine Träume im Schlafen oder Wachen seien. Die
Karawane war schon den größten Teil des Tages im gemächlichen Schritt
fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man
dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die einen hielten
sie für Sandhügel, die andern für Wolken, wieder andere für eine neue
Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief
mit lauter Stimme, sich vorzusehen, denn es sei eine Horde räuberischer
Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die
Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff
gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und
war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder
ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man
Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile
herangekommen waren und auf die Karawane einstürmten.

Die Männer wehrten sich tapfer, aber die Räuber waren über vierhundert
Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der
Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem
furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten
wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor,
setzte es an den Mund, blies und -- ließ es schmerzlich wieder sinken,
denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese
grausame Enttäuschung zielte er und schoß einen Araber, der sich durch
seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte
und fiel vom Pferd.

»Allah! was habt Ihr gemacht, junger Mensch!« rief der Alte an seiner
Seite. »Jetzt sind wir alle verloren.« Und so schien es auch; denn
kaum sahen die Räuber diesen Mann fallen, als sie ein schreckliches
Geschrei erhuben und mit solcher Wut eindrangen, daß die wenigen noch
unverwundeten Männer bald zersprengt wurden. Said sah sich in einem
Augenblick von fünf oder sechs umschwärmt. Er führte seine Lanze so
gewandt, daß keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt einer an,
legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben die Sehne schnellen
lassen, als ihm ein anderer winkte. Der junge Mann machte sich auf
einen neuen Angriff gefaßt, aber ehe er sich dessen versah, hatte ihm
einer der Araber eine Schlinge über den Kopf geworfen, und so sehr
er sich mühte, das Seil zu zerreißen, so war doch alles umsonst, die
Schlinge wurde fester und immer fester angezogen, und Said war gefangen.

Die Karawane war endlich entweder ganz aufgerieben oder gefangen
worden, und die Araber, welche nicht zu _einem_ Stamm gehörten, teilten
jetzt die Gefangenen und die übrige Beute und zogen dann, der eine Teil
nach Süden, der andere nach Osten. Neben Said ritten vier Bewaffnete,
welche ihn oft mit bitterem Grimm anschauten und Verwünschungen über
ihn ausstießen; er merkte, daß es ein vornehmer Mann, vielleicht
sogar ein Prinz gewesen sei, welchen er getötet hatte. Die Sklaverei,
welcher er entgegensah, war noch härter als der Tod, darum wünschte
er sich im stillen Glück, den Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen
zu haben, denn er glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getötet zu
werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen, und so oft er
sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren Spießen; einmal aber, als
das Pferd des einen strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und
erblickte zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefährten, welchen er
unter den Toten geglaubt hatte.

Endlich sah man in der Ferne Bäume und Zelte; als sie näher kamen,
strömte ihnen ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern entgegen, aber
kaum hatten diese einige Worte mit den Räubern gewechselt, als sie in
ein schreckliches Geheul ausbrachen und alle nach Said hinblickten, die
Arme gegen ihn aufhoben und Verwünschungen ausstießen. »Jener ist es,«
schrien sie, »der den großen Almansor erschlagen hat, den tapfersten
aller Männer; er muß sterben, wir wollen sein Fleisch dem Schakal der
Wüste zur Beute geben.« Dann drangen sie mit Holzstücken, Erdschollen
und was sie zur Hand hatten, so furchtbar auf Said ein, daß sich
die Räuber selbst ins Mittel legen mußten. »Hinweg, ihr Unmündigen,
fort, ihr Weiber!« riefen sie, und trieben die Menge mit den Lanzen
auseinander; »er hat den großen Almansor erschlagen im Gefecht, und er
muß sterben, aber nicht von der Hand eines Weibes, sondern vom Schwert
der Tapfern.«

Als sie unter den Zelten auf einem freien Platz angelangt
waren, machten sie Halt; die Gefangenen wurden je zwei und zwei
zusammengebunden, die Beute in die Zelte gebracht, Said aber wurde
einzeln gefesselt und in ein großes Zelt geführt. Dort saß ein alter,
prachtvoll gekleideter Mann, dessen ernste, stolze Miene verkündete,
daß er das Oberhaupt dieser Horde sei. Die Männer, welche Said führten,
traten traurig und mit gesenktem Haupt vor ihn hin. »Das Geheul der
Weiber sagt mir, was geschehen ist,« sprach der majestätische Mann,
indem er die Räuber der Reihe nach anblickte; »eure Mienen bestätigen
es -- Almansor ist gefallen.«

»Almansor ist gefallen,« antworteten die Männer, »aber hier, Selim,
Beherrscher der Wüste, ist sein Mörder, und wir bringen ihn, damit
du ihn richtest; welche Todesart soll er sterben? Sollen wir ihn aus
der Ferne mit Pfeilen erschießen, sollen wir ihn durch eine Gasse von
Lanzen jagen, oder willst du, daß er an einem Strick aufgehängt oder
von Pferden zerrissen werde?«

»Wer bist du?« fragte Selim, düster auf den Gefangenen blickend, der
zum Tode bereit, aber mutig vor ihm stand.

Said beantwortete seine Frage kurz und offen.

»Hast du meinen Sohn meuchlings umgebracht? Hast du ihn von hinten mit
einem Pfeil oder einer Lanze durchbohrt?«

»Nein, Herr!« antwortete Said. »Ich habe ihn in offenem Kampf beim
Angriff auf unsere Reihen von vorne getötet, weil er schon acht meiner
Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte.«

»Ist es also, wie er sprach?« fragte Selim die Männer, die ihn gefangen
hatten.

»Ja, Herr, er hat Almansor in offenem Kampf getötet,« sprach einer von
den Gefragten.

»Dann hat er nicht mehr und nicht minder getan, als wir selbst getan
haben würden,« versetzte Selim, »er hat seinen Feind, der ihm Freiheit
und Leben rauben wollte, bekämpft und erschlagen; drum löset schnell
seine Bande!«

Die Männer sahen ihn staunend an und gingen nur zaudernd und mit
Widerwillen ans Werk. »So soll der Mörder deines Sohnes, des tapfern
Almansor, nicht sterben?« fragte einer, indem er wütende Blicke auf
Said warf. »Hätten wir ihn lieber gleich umgebracht!«

»Er soll nicht sterben!« rief Selim, »und ich nehme ihn sogar in mein
eigenes Zelt auf, ich nehme ihn als meinen gerechten Anteil an der
Beute, er sei mein Diener.«

Said fand keine Worte, dem Alten zu danken; die Männer aber verließen
murrend das Zelt, und als sie den Weibern und Kindern, die draußen
versammelt waren und auf Saids Hinrichtung warteten, den Entschluß
des alten Selim mitteilten, erhoben sie ein schreckliches Geheul und
Geschrei und riefen, sie werden Almansors Tod an seinem Mörder rächen,
weil sein eigener Vater die Blutrache nicht üben wolle.

Die übrigen Gefangenen wurden an die Horden verteilt, einige entließ
man, um Lösegeld für die Reicheren einzutreiben, andere wurden zu den
Herden als Hirten geschickt, und manche, die vorher von zehn Sklaven
sich bedienen ließen, mußten die niedrigsten Dienste in diesem Lager
versehen. Nicht so Said. War es sein mutiges, heldenmäßiges Aussehen
oder der geheimnisvolle Zauber einer gütigen Fee, was den alten
Selim für den Jüngling einnahm? Man wußte es nicht zu sagen, aber
Said lebte in seinem Zelt mehr als Sohn denn als Diener. Aber die
unbegreifliche Zuneigung des alten Mannes zog ihm die Feindschaft der
übrigen Diener zu. Er begegnete überall nur feindlichen Blicken, und
wenn er allein durchs Lager ging, so hörte er ringsumher Schimpfworte
und Verwünschungen ausstoßen, ja, einigemale flogen Pfeile an seiner
Brust vorüber, die offenbar ihm gegolten hatten, und daß sie ihn
nicht trafen, schrieb er nur dem Pfeifchen zu, das er noch immer auf
der Brust trug, und welchem er diesen Schutz zuschrieb. Oft beklagte
er sich bei Selim über diese Angriffe auf sein Leben, aber vergebens
suchte dieser die Meuchelmörder ausfindig zu machen, denn die ganze
Horde schien gegen den begünstigten Fremdling verbunden zu sein. Da
sprach eines Tages Selim zu ihm: »Ich hatte gehofft, du werdest mir
vielleicht den Sohn ersetzen, der durch deine Hand umgekommen ist; an
dir und mir liegt nicht die Schuld, daß es nicht sein konnte; alle
sind gegen dich erbittert, und ich selbst kann dich in Zukunft nicht
mehr schützen, denn was hilft es dir oder mir, wenn sie dich heimlich
getötet haben, den Schuldigen zur Strafe zu ziehen? Darum, wenn die
Männer von ihrem Streifzug heimkehren, werde ich sagen, dein Vater habe
mir Lösegeld geschickt, und ich werde dich durch einige treue Männer
durch die Wüste geleiten lassen.«

»Aber kann ich irgend einem außer dir trauen?« fragte Said bestürzt.
»Werden sie mich nicht unterwegs töten?«

»Davor schützt dich der Eid, den sie mir schwören müssen, und den noch
keiner gebrochen hat,« erwiderte Selim mit großer Ruhe. Einige Tage
nachher kehrten die Männer ins Lager zurück, und Selim hielt sein
Versprechen. Er schenkte dem Jüngling Waffen, Kleider und ein Pferd,
versammelte die streitbaren Männer, wählte fünf zur Begleitung Saids
aus, ließ sie einen furchtbaren Eid ablegen, daß sie ihn nicht töten
wollen, und entließ ihn dann mit Tränen.

Die fünf Männer ritten finster und schweigend mit Said durch die Wüste;
der Jüngling sah, wie ungern sie den Auftrag erfüllten, und es machte
ihm nicht wenig Besorgnis, daß zwei von ihnen bei jenem Kampf zugegen
waren, wo er Almansor tötete. Als sie etwa acht Stunden zurückgelegt
hatten, hörte Said, daß sie untereinander flüsterten, und bemerkte,
daß ihre Mienen noch düsterer wurden als vorher. Er strengte sich an,
aufzuhorchen, und vernahm, daß sie sich in einer Sprache unterhielten,
die nur von dieser Horde, und immer nur bei geheimnisvollen oder
gefährlichen Unternehmungen, gesprochen wurde; Selim, der den Plan
gehabt hatte, den jungen Mann auf immer in seinem Zelt zu behalten,
hatte sich manche Stunde damit abgegeben, ihn diese geheimnisvollen
Worte zu lehren; aber es war nichts Erfreuliches, was er jetzt vernahm.

»Hier ist die Stelle,« sprach einer; »hier griffen wir die Karawane an,
und hier fiel der tapferste Mann von der Hand eines Knaben.«

»Der Wind hat die Spuren seines Pferdes verweht,« fuhr ein anderer
fort, »aber ich habe sie nicht vergessen.«

»Und zu unserer Schande soll der noch leben und frei sein, der Hand
an ihn legte? Wann hat man je gehört, daß ein Vater den Tod seines
einzigen Sohnes nicht rächte? Aber Selim wird alt und kindisch.«

»Und wenn es der Vater unterläßt,« sagte ein vierter, »so ist es
Freundespflicht, den gefallenen Freund zu rächen. Hier an dieser
Stelle sollten wir ihn niederhauen. So ist es Recht und Brauch seit den
ältesten Zeiten.«

»Aber wir haben dem Alten geschworen,« rief ein fünfter, »wir dürfen
ihn nicht töten, unser Eid darf nicht gebrochen werden.«

»Es ist wahr,« sprachen die andern, »wir haben geschworen, und der
Mörder darf frei ausgehen aus den Händen seiner Feinde.«

»Halt!« rief einer, der finsterste unter allen. »Der alte Selim ist
ein kluger Kopf, aber doch nicht so klug, als man glaubt; haben wir
ihm geschworen, diesen Burschen da- oder dorthin zu bringen? Nein, er
nahm uns nur den Schwur auf sein Leben ab, und dieses wollen wir ihm
schenken. Aber die brennende Sonne und die scharfen Zähne des Schakals
werden unsere Rache übernehmen. Hier an dieser Stelle wollen wir
ihn gebunden liegen lassen.« So sprach der Räuber, aber schon seit
einigen Minuten hatte sich Said auf das Aeußerste gefaßt gemacht, und
indem jener noch die letzten Worte sprach, riß er sein Pferd auf die
Seite, trieb es mit einem tüchtigen Hieb an und flog wie ein Vogel
über die Ebene hin. Die fünf Männer staunten einen Augenblick, aber
wohlbewandert in solchen Verfolgungen, teilten sie sich, jagten rechts
und links nach, und weil sie die Art und Weise, wie man in der Wüste
reiten muß, besser kannten, hatten zwei von ihnen den Flüchtling bald
überholt, wandten sich gegen ihn um, und als er auf die Seite floh,
fand er auch dort zwei Gegner, und den fünften in seinem Rücken. Der
Eid, ihn nicht zu töten, hielt sie ab, ihre Waffen zu gebrauchen; sie
warfen ihm auch jetzt wieder von hinten eine Schlinge über den Kopf,
zogen ihn vom Pferd, schlugen unbarmherzig auf ihn los, banden ihn dann
an Händen und Füßen und legten ihn in den glühenden Sand der Wüste.

Said flehte sie um Barmherzigkeit an, er versprach ihnen schreiend
ein großes Lösegeld, aber lachend schwangen sie sich auf und jagten
davon. Noch einige Augenblicke lauschte er auf die leichten Tritte
ihrer Rosse, dann aber gab er sich verloren. Er dachte an seinen Vater,
an den Gram des alten Mannes, wenn sein Sohn nicht mehr heimkehre;
er dachte an sein eigenes Elend, daß er so frühe sterben müsse; denn
nichts war ihm gewisser, als daß er in dem heißen Sand den martervollen
Tod des Verschmachtens sterben müsse oder daß er von einem Schakal
zerrissen werde. Die Sonne stieg immer höher und brannte glühend auf
seiner Stirne; mit unendlicher Mühe gelang es ihm, sich aufzuwälzen;
aber es gab ihm wenig Erleichterung. Das Pfeifchen an der Kette war
durch diese Anstrengung aus seinem Kleid gefallen. Er mühte sich so
lange, bis er es mit dem Mund erfassen konnte; endlich berührte es
seine Lippen, er versuchte zu blasen, aber auch in dieser schrecklichen
Not versagte es den Dienst. Verzweiflungsvoll ließ er den Kopf
zurücksinken, und endlich beraubte ihn die stechende Sonne der Sinne;
er fiel in eine tiefe Betäubung.

Nach vielen Stunden erwachte Said an einem Geräusch in seiner Nähe,
er fühlte zugleich, daß seine Schulter gepackt wurde, und er stieß
einen Schrei des Entsetzens aus, denn er glaubte nicht anders, als ein
Schakal sei herangekommen, ihn zu zerreißen. Jetzt wurde er auch an
den Beinen angefaßt, aber er fühlte, daß es nicht die Krallen eines
Raubtiers seien, die ihn faßten, sondern die Hände eines Mannes, der
sich sorgsam mit ihm beschäftigte und mit zwei oder drei andern sprach.
»Er lebt,« flüsterten sie, »aber er hält uns für Feinde.«

Endlich schlug Said die Augen auf und erblickte über sich das Gesicht
eines kleinen, dicken Mannes mit kleinen Augen und langem Bart. Dieser
sprach ihm freundlich zu, half ihm, sich aufzurichten, reichte ihm
Speise und Trank und erzählte ihm, während er sich stärkte, er sei ein
Kaufmann aus Bagdad, heiße Kalum-Bek und handle mit Schals und feinen
Schleiern für die Frauen. Er habe eine Handelsreise gemacht, sei jetzt
auf der Rückkehr nach Hause begriffen und, habe ihn elend und halbtot
im Sand liegen sehen. Sein prachtvoller Anzug und die blitzenden Steine
seines Dolches haben ihn aufmerksam gemacht; er habe alles angewandt,
ihn zu beleben, und es sei ihm also gelungen. Der Jüngling dankte ihm
für sein Leben, denn er sah wohl ein, daß er ohne die Dazwischenkunft
dieses Mannes elend hätte sterben müssen; und da er weder Mittel hatte,
sich selbst fortzuhelfen, noch willens war, zu Fuß und allein durch die
Wüste zu wandern, so nahm er dankbar einen Sitz auf einem der schwer
beladenen Kamele des Kaufmanns an und beschloß fürs erste, mit nach
Bagdad zu ziehen, vielleicht könnte er dort sich an eine Gesellschaft,
die nach Balsora reiste, anschließen.

Unterwegs erzählte der Kaufmann seinem Reisegefährten manches von dem
trefflichen Beherrscher der Gläubigen, Harun Al-Raschid. Er erzählte
ihm von seiner Gerechtigkeitsliebe und seinem Scharfsinn, wie er die
wunderbarsten Prozesse auf einfache und bewundernswürdige Weise zu
schlichten weiß; unter anderem führte er die Geschichte von dem Seiler,
die Geschichte von dem Topf mit Oliven an, Geschichten, die jedes Kind
weiß, die aber Said sehr bewunderte. »Unser Herr, der Beherrscher der
Gläubigen,« fuhr der Kaufmann fort, »unser Herr ist ein wunderbarer
Mann. Wenn Ihr meinet, er schlafe wie andere gemeine Leute, so täuscht
Ihr Euch sehr. Zwei, drei Stunden in der Morgendämmerung ist alles. Ich
muß das wissen, denn Messour, sein erster Kämmerer, ist mein Vetter,
und obgleich er so verschwiegen ist wie das Grab, was die Geheimnisse
seines Herrn anbelangt, so läßt er doch der guten Verwandtschaft
zulieb hin und wieder einen Wink fallen, wenn er sieht, daß einer aus
Neugierde beinahe vom Verstand kommen könnte. Statt nun wie andere
Menschen zu schlafen, schleicht der Kalif nachts durch die Straßen
von Bagdad, und selten verstreicht eine Woche, worin er nicht auf ein
Abenteuer stößt; denn Ihr müßt wissen, wie ja auch aus der Geschichte
mit dem Oliventopf erhellt, die so wahr ist als das Wort des Propheten,
daß er nicht mit der Wache und zu Pferd in vollem Putz und mit hundert
Fackelträgern seine Runde macht, wie er wohl tun könnte, wenn er
wollte; sondern angezogen, bald als Kaufmann, bald als Schiffer, bald
als Soldat, bald als Mufti, geht er umher und schaut, ob alles recht
und in Ordnung sei.

Daher kommt es aber auch, daß man in keiner Stadt nachts so höflich
gegen jeden Narren ist, auf den man stößt, wie in Bagdad; denn es
könnte ebensogut der Kalif wie ein schmutziger Araber aus der Wüste
sein, und es wächst Holz genug, um allen Menschen in und um Bagdad die
Bastonnade zu geben.«

So sprach der Kaufmann, und Said, so sehr ihn hin und wieder die
Sehnsucht nach seinem Vater quälte, freute sich doch, Bagdad und den
berühmten Harun Al-Raschid zu sehen.

Nach zehn Tagen kamen sie in Bagdad an, und Said staunte und bewunderte
die Herrlichkeiten dieser Stadt, die damals gerade in ihrem höchsten
Glanz war. Der Kaufmann lud ihn ein, mit in sein Haus zu kommen, und
Said nahm es gerne an; denn jetzt erst unter dem Gewühl der Menschen
fiel es ihm ein, daß hier wahrscheinlich außer der Luft und dem Wasser
des Tigris und einem Nachtlager auf den Stufen einer Moschee nichts
umsonst zu haben sein werde.

Den Tag nach seiner Ankunft, als er sich eben angekleidet hatte und
sich gestand, daß er in diesem prachtvollen kriegerischen Aufzug sich
in Bagdad wohl sehen lassen könne und vielleicht manchen Blick auf sich
ziehe, trat der Kaufmann in sein Zimmer. Er betrachtete den schönen
Jüngling mit schelmischem Lächeln, strich sich den Bart und sprach
dann: »Das ist alles recht schön, junger Herr! Aber was soll denn nun
aus Euch werden? Ihr seid, kommt es mir vor, ein großer Träumer und
denket nicht an den folgenden Tag; oder habt Ihr so viel Geld bei Euch,
um dem Kleid gemäß zu leben, das Ihr traget?«

»Lieber Herr Kalum-Bek,« sprach der Jüngling verlegen und errötend,
»Geld habe ich freilich nicht, aber vielleicht strecket Ihr mir etwas
vor, womit ich heimreisen kann! mein Vater wird es gewiß richtig
erstatten.«

»Dein Vater, Bursche?« rief der Kaufmann laut lachend. »Ich glaube,
die Sonne hat dir das Hirn verbrannt. Meinst du, ich glaube dir so
aufs Wort das ganze Märchen, das du mir in der Wüste erzähltest, daß
dein Vater ein reicher Mann in Balsora sei, du sein einziger Sohn,
und den Anfall der Araber, und dein Leben in ihrer Horde und dies und
jenes. Schon damals ärgerte ich mich über deine frechen Lügen und deine
Unverschämtheit. Ich weiß, daß in Balsora alle reichen Leute Kaufleute
sind, habe schon mit allen gehandelt und müßte von einem Benezar gehört
haben, und wenn er nur sechstausend Tomans im Vermögen hätte. Es ist
also entweder erlogen, daß du aus Balsora bist, oder dein Vater ist
ein armer Schlucker, dessen hergelaufenem Jungen ich keine Kupfermünze
leihen mag. Sodann der Ueberfall in der Wüste! Wann hat man gehört,
seit der weise Kalif Harun die Handelswege durch die Wüste gesichert
hat, daß es Räuber gewagt haben, eine Karawane zu plündern und sogar
Menschen hinwegzuführen? Auch müßte es bekannt geworden sein, aber
auf meinem ganzen Weg und auch hier in Bagdad, wo Menschen aus allen
Gegenden der Welt zusammenkommen, hat man nichts davon gesprochen. Das
ist die zweite Lüge, junger, unverschämter Mensch!«

Bleich vor Zorn und Unmut wollte Said dem kleinen bösen Mann in die
Rede fallen, jener aber schrie stärker als er und focht dazu mit den
Armen. »Und die dritte Lüge, du frecher Lügner, ist die Geschichte im
Lager Selims. Selims Name ist wohlbekannt unter allen, die jemals einen
Araber gesehen haben, aber Selim ist bekannt als der schrecklichste
und grausamste Räuber, und du wagst zu erzählen, du habest seinen Sohn
getötet und seiest nicht sogleich in Stücke gehauen worden; ja, du
treibst die Frechheit so weit, daß du das Unglaubliche sagst, Selim
habe dich gegen seine Horde beschützt, in sein eigenes Zelt aufgenommen
und ohne Lösegeld entlassen, statt daß er dich aufgehängt hätte an
den nächsten besten Baum, er, der oft Reisende gehängt hat, nur um
zu sehen, welche Gesichter sie machen, wenn sie aufgehängt sind. O du
abscheulicher Lügner!«

»Und ich kann nichts weiter sagen,« rief der Jüngling, »als daß alles
wahr ist bei meiner Seele und beim Bart des Propheten!«

»Was! bei deiner Seele willst du schwören?« schrie der Kaufmann, »bei
deiner schwarzen, lügenhaften Seele? Wer soll da glauben? Und beim Bart
des Propheten, du, der du selbst keinen Bart hast? Wer soll da trauen?«

»Ich habe freilich keine Zeugen,« fuhr Said fort, »aber habt Ihr mich
nicht gefesselt und elend gefunden?«

»Das beweist mir gar nichts,« sprach jener, »du bist gekleidet wie ein
stattlicher Räuber, und leicht hast du einen angefallen, der stärker
war als du, dich überwand und band.«

»Den einzelnen oder sogar zwei möchte ich sehen,« entgegnete Said, »die
mich niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten eine
Schlinge über den Kopf werfen. Ihr mögt in Eurem Bazar freilich nicht
wissen, was ein einzelner vermag, wenn er in den Waffen geübt ist. Aber
Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt Ihr denn
aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht unterstützet, so muß
ich betteln, und ich mag keinen meinesgleichen um eine Gnade anflehen;
an den Kalifen will ich mich wenden.«

»So?« sprach der Kaufmann höhnisch lächelnd. »An niemand anders wollt
Ihr Euch wenden als an unsern allergnädigsten Herrn? Das heiße ich
vornehm betteln! Ei, ei! Bedenket aber, junger, vornehmer Herr, daß
der Weg zum Kalifen an meinem Vetter Messour vorbeigeht, und daß es
mich ein Wort kostet, den Oberkämmerer darauf aufmerksam zu machen, wie
trefflich Ihr lügen könnet. -- Aber mich dauert deine Jugend, Said.
Du kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden. Ich will
dich in mein Gewölbe im Bazar nehmen, dort sollst du mir ein Jahr lang
dienen, und ist dies vorbei, und willst du nicht bei mir bleiben, so
zahle ich dir deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst,
nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora, meinetwegen zu
den Ungläubigen. Bis Mittag gebe ich dir Bedenkzeit; willst du, so ist
es gut, willst du nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die
Reisekosten, die du mir machtest, und den Platz auf dem Kamel, mache
mich mit deinen Kleidern und allem, was du hast, bezahlt und werfe dich
auf die Straße; dann kannst du beim Kalifen oder beim Mufti an der
Moschee oder im Bazar betteln.«

Mit diesen Worten verließ der böse Mann den unglücklichen Jüngling.
Said blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empört über die
Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn absichtlich mitgenommen und
in sein Haus gelockt hatte, damit er ihn in seine Gewalt bekäme.
Er versuchte, ob er nicht entfliehen könnte, aber sein Zimmer war
vergittert und die Türe verschlossen. Endlich, nachdem sein Sinn sich
lange dagegen gesträubt hatte, beschloß er fürs erste den Vorschlag des
Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewölbe zu dienen. Er sah ein,
daß ihm nichts Besseres zu tun übrig bleibe; denn wenn er auch entfloh,
so konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber er nahm sich
vor, so bald als möglich den Kalifen selbst um Schutz anzuflehen.

Den folgenden Tag führte Kalum-Bek seinen neuen Diener in sein Gewölbe
im Bazar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren,
womit er handelte, und wies ihm seinen besonderen Dienst an. Dieser
bestand darin, daß Said angekleidet wie ein Kaufmannsdiener, und nicht
mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der
andern einen prachtvollen Schleier, unter der Türe des Gewölbes stand,
die vorübergehenden Männer oder Frauen anrief, seine Waren vorzeigte,
ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud; und jetzt konnte
sich Said auch erklären, warum ihn Kalum-Bek zu diesem Geschäft
bestimmt habe. Er war ein kleiner, häßlicher Alter, und wenn er selbst
unter dem Laden stand und anrief, so sagte mancher Nachbar oder auch
einer der Vorübergehenden ein witziges Wort über ihn, oder die Knaben
spotteten seiner; und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber
jedermann sah gerne den jungen, schlanken Said, der mit Anstand die
Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten
wußte.

Als Kalum-Bek sah, daß sein Laden im Bazar an Kunden zunahm, seitdem
Said unter der Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann,
speiste ihn besser als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner
Kleidung immer schön und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch
solche Beweise der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig gerührt
und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen auf gute Art und
Weise, um in seine Vaterstadt zurückzukehren.

Eines Tages war im Gewölbe vieles gekauft worden, und alle Packknechte,
welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau
eintrat und noch einiges kaufte. Sie hatte bald gewählt und verlangte
dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage.
»In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken,« antwortete
Kalum-Bek, »nur so lange müßt Ihr Euch gedulden oder irgend einen
anderen Packer nehmen.«

»Seid Ihr ein Kaufmann und wollet Euren Kunden fremde Packer mitgeben?«
rief die Frau. »Kann nicht ein solcher Bursche im Gedräng mit meinem
Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure
Pflicht ist es nach Marktrecht, mir meinen Pack nach Hause tragen zu
lassen, und an Euch kann und will ich mich halten.«

»Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!« sprach der Kaufmann,
sich immer ängstlicher drehend. »Alle meine Packknechte sind
verschickt --«

»Das ist ein schlechtes Gewölbe, das nicht immer einige Knechte übrig
hat;« entgegnete das böse Weib. »Aber dort steht ja noch solch ein
junger Müßiggänger; komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trag ihn
mir nach.«

»Halt, halt!« schrie Kalum-Bek. »Das ist mein Aushängeschild, mein
Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!«

»Was da!« erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihren
Pack unter den Arm. »Das sind ein schlechter Kaufmann und elende Waren,
die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen müßigen Bengel
zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld
verdienen.«

»So lauf im Namen Arimans und aller bösen Geister,« murmelte Kalum-Bek
seinem Magnet zu; »und siehe zu, daß du bald wiederkommst; die alte
Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Bazar, wollte ich
mich länger weigern.«

Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes, als man ihrem Alter
zutrauen sollte, durch den Markt und die Straßen eilte. Sie stand
endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an, die Flügeltüren
sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu
folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr
Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals geschaut hatte. Dort
setzte sich die alte Frau erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen
Mann, seinen Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstück
und hieß ihn gehen.

Er war schon an der Türe, als eine helle, feine Stimme »Said« rief;
verwundert, daß man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine
wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, saß
statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung,
kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung.

»Said, mein lieber Junge,« sprach die Dame, »so sehr ich die Unfälle
bedaure, die dich nach Bagdad führten, so war doch dies der einzige,
vom Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem zwanzigsten Jahr
dein Vaterhaus verließest, dein Schicksal lösen würde. Said, hast du
noch dein Pfeifchen?«

»Wohl hab' ich es noch,« rief er freudig, indem er die goldne Kette
hervorzog; »und Ihr seid vielleicht die gütige Fee, die mir dieses
Angebinde gab, als ich geboren wurde?«

»Ich war die Freundin deiner Mutter,« antwortete die Fee, »und bin
auch deine Freundin, solange du gut bleibst. Ach! daß dein Vater, der
leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt hätte! Du würdest vielen Leiden
entgangen sein.«

»Nun, es hat wohl so kommen müssen!« erwiderte Said. »Aber, gnädigste
Fee, lasset einen tüchtigen Nordostwind an Euren Wolkenwagen spannen,
nehmet mich auf und führet mich in ein paar Minuten nach Balsora zu
meinem Vater; ich will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten
Jahre geduldig dort ausharren.«

Die Fee lächelte. »Du hast eine gute Weise, mit uns zu sprechen,«
antwortete sie, »aber, armer Said! es ist nicht möglich; ich vermag
jetzt, wo du außer deinem Vaterhause bist, nichts Wunderbares für dich
zu tun. Nicht einmal aus der Gewalt des elenden Kalum-Bek vermag ich
dich zu befreien! Er steht unter dem Schutz deiner mächtigen Feindin.«

»Also nicht nur eine gütige Freundin habe ich?« fragte Said, »auch eine
Feindin? Nun, ich glaube ihren Einfluß schon öfter erfahren zu haben.
Aber mit Rat dürfet Ihr mich doch unterstützen? Soll ich nicht zum
Kalifen gehen und ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird
mich gegen Kalum-Bek beschützen.«

»Ja, Harun ist ein weiser Mann!« erwiderte die Fee. »Aber leider ist
er auch nur ein Mensch. Er traut seinem Großkämmerer Messour so viel
als sich selbst, und er hat recht, denn er hat Messour erprobt und
treu gefunden. Messour aber traut deinem Freund Kalum-Bek auch wie
sich selbst, und darin hat er unrecht, denn Kalum ist ein schlechter
Mensch, wenn er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein
verschlagener Kopf und hat, sobald er hierher kam, seinem Vetter
Großkämmerer eine Fabel über dich erdichtet und angeheftet, und dieser
hat sie wieder dem Kalifen erzählt, so daß du, kämest du auch jetzt
gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen werden würdest, denn
er traute dir nicht. Aber es gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu
nahen, und es steht in den Sternen geschrieben, daß du seine Gnade
erwerben sollst.«

»Das ist freilich schlimm,« sagte Said wehmütig. »Da werde ich schon
noch einige Zeit der Ladenhüter des elenden Kalum-Bek sein müssen.
Aber eine Gnade, verehrte Frau, könnet Ihr mir doch gewähren. Ich bin
zum Waffenwerk erzogen, und meine höchste Freude ist ein Kampfspiel,
wo recht tüchtig gefochten wird mit Lanze, Bogen und stumpfem Schwert.
Nun halten die edelsten Jünglinge dieser Stadt alle Wochen ein solches
Kampfspiel. Aber nur Leute im höchsten Schmuck, und überdies nur
_freie_ Männer, dürfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein
Diener aus dem Bazar. Wenn Ihr nun bewirken könntet, daß ich alle
Wochen ein Pferd, Kleider, Waffen haben könnte, und daß man mein
Gesicht nicht so leicht erkennte --«

»Das ist ein Wunsch, wie ihn ein edler junger Mann wohl wagen darf,«
sprach die Fee; »der Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in
Syrien, und sein Geist scheint sich auf dich vererbt zu haben. Merke
dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und zwei berittene
Knappen, ferner Waffen und Kleider finden und ein Waschwasser für
dein Gesicht, das dich für alle Augen unkenntlich machen soll. Und
nun, Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft! In sechs
Monaten wird dein Pfeifchen tönen, und Zulimas Ohr wird für seine Töne
offen sein.«

Der Jüngling schied von seiner wunderbaren Beschützerin mit Dank und
Verehrung; er merkte sich das Haus und die Straße genau und ging dann
nach dem Bazar zurück.

Als Said in den Bazar zurückkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit,
um seinen Herrn und Meister Kalum-Bek zu unterstützen und zu retten.
Ein großes Gedränge war um den Laden, Knaben tanzten um den Kaufmann
her und verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut
zitternd und in großer Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand
einen Schal, in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam
aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet
hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners unter die Türe
gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten, häßlichen
Burschen kaufen. Da gingen zwei Männer den Bazar herab und wollten für
ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren suchend schon einigemal auf und
nieder gegangen, und eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken
wieder herabgehen.

Kalum-Bek, der dies bemerkte, wollte es sich zu nutze machen und rief:
»Hier, meine Herren, hier! Was suchet ihr? Schöne Schleier, schöne
Ware?«

»Guter Alter,« erwiderte einer, »deine Waren mögen recht gut sein, aber
unsere Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt geworden,
die Schleier bei niemand zu kaufen als bei dem schönen Ladendiener
Said; wir gehen schon eine halbe Stunde umher, ihn zu suchen, und
finden ihn nicht; aber kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so
kaufen wir dir ein andermal ab.«

»Allahit Allah!« rief Kalum-Bek freundlich grinsend. »Euch hat der
Prophet vor die rechte Türe geführt. Zum schönen Ladendiener wollet
ihr, um Schleier zu kaufen? Nun, tretet nur ein, hier ist sein Gewölbe.«

Der eine dieser Männer lachte über Kalums kleine und häßliche Gestalt
und seine Behauptung, daß er der schöne Ladendiener sei; der andere
aber glaubte, Kalum wolle sich über ihn lustig machen, blieb ihm nichts
schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam Kalum-Bek außer
sich; er rief seine Nachbarn zu Zeugen auf, daß man keinen andern Laden
als den seinigen das Gewölbe des schönen Ladendieners nenne; aber die
Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs, den er seit einiger Zeit hatte,
beneideten, wollten hiervon nichts wissen, und die beiden Männer gingen
nun dem alten Lügner, wie sie ihn nannten, ernstlich zu Leib. Kalum
verteidigte sich mehr durch Geschrei und Schimpfworte als durch seine
Faust, und so lockte er eine Menge Menschen vor sein Gewölbe; die halbe
Stadt kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle Umstehenden
gönnten ihm die Püffe, die er bekam, und schon packte ihn einer der
beiden Männer am Bart, als ebendieser am Arm gefaßt und mit einem
einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so daß sein Turban herabfiel und
seine Pantoffeln weit hinwegflogen.

Die Menge, welche es wahrscheinlich gerne gesehen hätte, wenn
Kalum-Bek mißhandelt worden wäre, murrte laut, der Gefährte des
Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt hatte, seinen
Freund niederzuwerfen; als er aber einen hohen, kräftigen Jüngling mit
blitzenden Augen und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es
nicht, ihn anzugreifen, da überdies Kalum, dem seine Rettung wie ein
Wunder erschien, auf den jungen Mann deutete und schrie: »Nun, was
wollt ihr denn mehr? Da steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der
schöne Ladendiener.« Die Leute umher lachten, weil sie wußten, daß
Kalum-Bek vorhin unrecht geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand
beschämt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter, ohne weder Schal
noch Schleier zu kaufen.

»O du Stern aller Ladendiener, du Krone des Bazars!« rief Kalum, als er
seinen Diener in den Laden führte: »Wahrlich, das heiße ich zu rechter
Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel legen; lag doch der
Bursche auf dem Boden, als ob er nie auf den Beinen gestanden wäre, und
ich -- ich hätte keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart kämmen
und salben zu lassen, wenn du nur zwei Minuten später kamst; womit kann
ich es dir vergelten?«

Es war nur das schnelle Gefühl des Mitleids gewesen, was Saids Hand
und Herz regiert hatte; jetzt, als dieses Gefühl sich legte, reute es
ihn fast, daß er die gute Züchtigung dem bösen Mann erspart hatte; ein
Dutzend Barthaare weniger, dachte er, hätten ihn auf zwölf Tage sanft
und geschmeidig gemacht; er suchte aber dennoch die günstige Stimmung
des Kaufmanns zu benutzen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst,
alle Wochen einmal einen Abend für sich benützen zu dürfen zu einem
Spaziergang, oder zu was es auch sei; Kalum gab es zu, denn er wußte
wohl, daß sein gezwungener Diener zu vernünftig sei, um ohne Geld und
gute Kleider zu entfliehen.

Bald hatte Said erreicht, was er wollte. Am nächsten Mittwoch, dem
Tag, wo sich die jungen Leute aus den vornehmsten Ständen auf einem
öffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihre kriegerischen
Uebungen zu halten, sagte er zu Kalum, er wolle diesen Abend für sich
benützen, und als dieser es erlaubt hatte, ging er in die Straße, wo
die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte auf. Die
Diener schienen auf seine Ankunft schon vorbereitet gewesen zu sein,
denn ohne ihn erst nach seinem Begehren zu fragen, führten sie ihn
die Treppe hinan in ein schönes Gemach; dort reichten sie ihm zuerst
das Waschwasser, das ihn unkenntlich machen sollte. Er benetzte sein
Gesicht damit, schaute dann in einen Metallspiegel und kannte sich
beinahe selbst nicht mehr, denn er war jetzt von der Sonne gebräunt,
trug einen schönen, schwarzen Bart und sah zum mindesten zehn Jahre
älter aus, als er in der Tat zählte.

Hierauf führten sie ihn in ein zweites Gemach, wo er eine vollständige
und prachtvolle Kleidung fand, in welcher sich der Kalif von Bagdad
selbst nicht hätte schämen dürfen an dem Tag, wo er im vollen Glanze
seiner Herrlichkeit sein Heer musterte. Außer einem Turban vom feinsten
Gewebe mit einer Agraffe von Diamanten und hohen Reiherfedern, einem
Kleid von schwerem, rotem Seidenzeug, mit silbernen Blumen durchwirkt,
fand Said einen Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein
gearbeitet war, daß er sich nach jeder Bewegung des Körpers schmiegte,
und doch zugleich so fest, daß ihn weder die Lanze noch das Schwert
durchdringen konnten. Eine Damaszener Klinge in reich verzierter
Scheide, mit einem Griff, dessen Steine Said unschätzbar deuchten,
vollendete seinen kriegerischen Schmuck. Als er völlig gerüstet wieder
aus der Türe trat, überreichte ihm einer der Diener ein seidenes Tuch
und sagte ihm, daß die Gebieterin des Hauses ihm dieses Tuch schicke;
wenn er damit sein Gesicht abwische, so werde der Bart und die braune
Farbe verschwinden.

In dem Hof des Hauses standen drei schöne Pferde; das schönste bestieg
Said, die beiden andern seine Diener, und dann trabte er freudig dem
Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden sollten. Durch den Glanz
seiner Kleider und die Pracht seiner Waffen zog er aller Augen auf
sich, und ein allgemeines Geflüster des Staunens entstand, als er in
den Ring, welchen die Menge umgab, einritt. Es war eine glänzende
Versammlung der tapfersten und edelsten Jünglinge Bagdads, selbst die
Brüder des Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen schwingen.
Als Said heranritt und niemand ihn zu kennen schien, ritt der Sohn des
Großveziers mit einigen Freunden auf ihn zu, grüßte ihn ehrerbietig,
lud ihn ein, an ihren Spielen teilzunehmen, und fragte ihn nach seinem
Namen und seinem Vaterland. Said gab vor, er heiße Almansor und komme
von Kairo, sei auf einer Reise begriffen und habe von der Tapferkeit
und Geschicklichkeit der jungen Edeln von Bagdad so vieles gehört, daß
er nicht gesäumt habe, sie zu sehen und kennen zu lernen. Den jungen
Leuten gefielen der Anstand und das mutige Wesen Said-Almansors; sie
ließen ihm eine Lanze reichen und seine Partei wählen, denn die ganze
Gesellschaft hatte sich in zwei Parteien geteilt, um einzeln und in
Scharen gegeneinander zu fechten.

Aber hatte schon Saids Aeußeres die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, so
staunte man jetzt noch mehr über seine ungewöhnliche Geschicklichkeit
und Behendigkeit. Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein
Schwert schwirrte noch behender umher. Er warf die Lanze so leicht,
weit und sicher, als wäre sie ein Pfeil, den er von einem sicheren
Bogen abgeschnellt hätte. Die Tapfersten seiner Gegenpartei besiegte
er, und am Schluß der Spiele war er so allgemein als Sieger anerkannt,
daß einer der Brüder des Kalifen und der Sohn des Großveziers, die auf
Saids Seite gekämpft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu streiten.
Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm besiegt, aber der Sohn des
Großveziers widerstand ihm so tapfer, daß sie es nach langem Kampf für
besser hielten, die Entscheidung für das nächste Mal aufzusparen.

Den Tag nach diesen Spielen sprach man in ganz Bagdad von nichts als
dem schönen, reichen und tapfern Fremdling; alle, die ihn gesehen
hatten, ja selbst, die von ihm besiegt waren, waren entzückt von seinen
edlen Sitten, und sogar vor seinen eignen Ohren im Gewölbe Kalum-Beks
wurde über ihn gesprochen; und man beklagte nur, daß niemand wisse, wo
er wohne. Das nächste Mal fand er im Hause der Fee ein noch schöneres
Kleid und noch köstlicheren Waffenschmuck. Diesmal hatte sich halb
Bagdad zugedrängt, selbst der Kalif sah von einem Balkon herab dem
Schauspiel zu; auch er bewunderte den Fremdling Almansor und hing ihm,
als die Spiele geendet hatten, eine große Denkmünze von Gold an einer
goldnen Kette um den Hals, um ihm seine Bewunderung zu bezeigen. Es
konnte nicht anders kommen, als daß dieser zweite, noch glänzendere
Sieg den Neid der jungen Leute von Bagdad aufregte. »Ein Fremdling,«
sprachen sie untereinander, »soll hierher kommen nach Bagdad, uns Ruhm,
Ehre und Sieg zu entreißen? Er soll sich an andern Orten damit brüsten
können, daß unter der Blüte von Bagdads Jünglingen keiner gewesen
sei, der es entfernt hätte mit ihm aufnehmen können?« So sprachen sie
und beschlossen, beim nächsten Kampfspiel, als wäre es aus Zufall
geschehen, zu fünf oder sechs über ihn herzufallen.

Saids scharfen Blicken entgingen diese Zeichen des Unmuts nicht; er
sah, wie sie in der Ecke zusammenstanden, flüsterten und mit bösen
Mienen auf ihn deuteten; er ahnte, daß außer dem Bruder des Kalifen
und dem Sohn des Großveziers keiner sehr freundlich gegen ihn gesinnt
sein möchte, und diese selbst wurden ihm durch ihre Fragen lästig: wo
sie ihn aufsuchen könnten, womit er sich beschäftige, was ihm in Bagdad
wohlgefallen habe, und dergleichen.

Es war ein sonderbarer Zufall, daß derjenige der jungen Männer,
welcher Said-Almansor mit den grimmigsten Blicken betrachtete und
am feindseligsten gegen ihn gesinnt schien, niemand anders war als
der Mann, den er vor einiger Zeit bei Kalum-Beks Bude niedergeworfen
hatte, als er gerade im Begriff war, dem unglücklichen Kaufmann den
Bart auszureißen. Dieser Mann betrachtete ihn immer aufmerksam und
neidisch, Said hatte ihn zwar schon einigemal besiegt, aber dies
war kein hinlänglicher Grund zu solcher Feindseligkeit, und Said
fürchtete schon, jener möchte ihn an seinem Wuchs oder an der Stimme
als Kalum-Beks Ladendiener erkannt haben, eine Entdeckung, die ihn
dem Spott und der Rache dieser Leute aussetzen würde. Der Anschlag,
welchen seine Neider auf ihn gemacht hatten, scheiterte sowohl an
seiner Vorsicht und Tapferkeit, als auch an der Freundschaft, womit ihm
der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großveziers zugetan waren. Als
diese sahen, daß er von wenigstens sechs umringt sei, die ihn vom Pferd
zu werfen oder zu entwaffnen suchten, sprengten sie herbei, jagten
den ganzen Trupp auseinander und drohten den jungen Leuten, welche so
verräterisch gehandelt hatten, sie aus der Kampfbahn zu stoßen. Mehr
denn vier Monate hatte Said auf diese Weise zum Erstaunen Bagdads seine
Tapferkeit erprobt, als er eines Abends beim Nachhausegehen von dem
Kampfplatz einige Stimmen vernahm, die ihm bekannt schienen. Vor ihm
gingen vier Männer, die sich langsamen Schrittes über etwas zu beraten
schienen. Als Said leise näher trat, hörte er, daß sie den Dialekt der
Horde Selims in der Wüste sprachen, und ahnte, daß die vier Männer auf
irgend eine Räuberei ausgingen. Sein erstes Gefühl war, sich von diesen
vieren zurückzuziehen; als er aber bedachte, daß er irgend etwas Böses
verhindern könnte, schlich er sich noch näher herzu, diese Männer zu
behorchen.

»Der Türsteher hat ausdrücklich gesagt, die Straße rechts vom Bazar,«
sprach der eine, »dort werde und müsse er heute nacht mit dem
Großvezier durchkommen.«

»Gut,« antwortete ein anderer. »Den Großvezier fürchte ich nicht; er
ist alt und wohl kein sonderlicher Held, aber der Kalif soll ein gutes
Schwert führen, und ich traue ihm nicht; es schleichen ihm gewiß zehn
oder zwölf von der Leibwache nach.«

»Keine Seele,« entgegnete ihm ein dritter. »Wenn man ihn je gesehen und
erkannt hat bei Nacht, war er immer nur allein mit dem Vezier oder mit
dem Oberkämmerling. Heute nacht muß er unser sein, aber es darf ihm
kein Leid geschehen.«

»Ich denke, das beste ist,« sprach der erste, »wir werfen ihm eine
Schlinge über den Kopf; töten dürfen wir ihn nicht, denn für seinen
Leichnam würden sie ein geringes Lösegeld geben, und überdies wären wir
nicht sicher, es zu bekommen.«

»Also eine Stunde vor Mitternacht!« sagten sie zusammen und schieden,
der eine hierhin, der andere dorthin.

Said war über diesen Anschlag nicht wenig erschrocken. Er beschloß,
sogleich zum Palast des Kalifen zu eilen und ihn von der Gefahr, die
ihm drohte, zu unterrichten. Aber als er schon durch mehrere Straßen
gelaufen war, fielen ihm die Worte der Fee bei, die ihm gesagt hatte,
wie schlecht er bei dem Kalifen angeschrieben sei: er bedachte, daß
man vielleicht seine Angabe verlachen oder als einen Versuch, bei dem
Beherrscher von Bagdad sich einzuschmeicheln, ansehen könnte, und so
hielt er seine Schritte an und achtete es für das beste, sich auf sein
gutes Schwert zu verlassen und den Kalifen persönlich aus den Händen
der Räuber zu retten.

Er ging daher nicht in Kalum-Beks Haus zurück, sondern setzte sich
auf die Stufen einer Moschee und wartete dort, bis die Nacht völlig
angebrochen war; dann ging er am Bazar vorbei in jene Straße, welche
die Räuber bezeichnet hatten, und verbarg sich hinter dem Vorsprung
eines Hauses. Er mochte ungefähr eine Stunde dort gestanden sein, als
er zwei Männer langsam die Straße herabkommen hörte; anfänglich glaubte
er, es seien der Kalif und der Großvezier, aber einer der Männer
klatschte in die Hände, und sogleich eilten zwei andere sehr leise die
Straße herauf vom Bazar her. Sie flüsterten eine Weile und teilten
sich dann; drei versteckten sich nicht weit von ihm, und einer ging in
der Straße auf und ab. Die Nacht war sehr finster, aber stille, und so
mußte sich Said auf sein scharfes Ohr beinahe ganz allein verlassen.

Wieder war etwa eine halbe Stunde vergangen, als man gegen den Bazar
hin Schritte vernahm. Der Räuber mochte sie auch gehört haben; er
schlich an Said vorüber dem Bazar zu. Die Schritte kamen näher, und
schon konnte Said einige dunkle Gestalten erkennen, als der Räuber in
die Hand klatschte, und in demselben Augenblick stürzten die drei aus
dem Hinterhalt hervor. Die Angegriffenen mußten übrigens bewaffnet
sein, denn er vernahm den Klang von aneinander geschlagenen Schwertern.
Sogleich zog er seine Damaszenerklinge und stürzte sich mit dem Rufe:
»Nieder mit den Feinden des großen Harun!« auf die Räuber, streckte
mit dem ersten Hieb einen zu Boden und drang dann auf zwei andere ein,
die eben im Begriff waren, einen Mann, um welchen sie einen Strick
geworfen hatten, zu entwaffnen. Er hieb blindlings auf den Strick ein,
um ihn zu zerschneiden, aber er traf dabei einen der Räuber so heftig
über den Arm, daß er ihm die Hand abschlug; der Räuber stürzte mit
fürchterlichem Geschrei auf die Kniee. Jetzt wandte sich der vierte,
der mit einem andern Mann gefochten hatte, gegen Said, der noch mit
dem dritten im Kampf war, aber der Mann, um welchen man die Schlinge
geworfen hatte, sah sich nicht sobald frei, als er seinen Dolch zog und
ihn dem Angreifenden von der Seite in die Brust stieß. Als dies der
noch Uebergebliebene sah, warf er seinen Säbel weg und floh.

Said blieb nicht lange in Ungewißheit, wen er gerettet habe; denn der
größere der beiden Männer trat zu ihm und sprach: »Das eine ist so
sonderbar wie das andere, dieser Angriff auf mein Leben oder meine
Freiheit, wie die unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wußtet Ihr, wer
ich bin? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen gewußt?«

»Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Said, »denn ich zweifle nicht,
daß du es bist, ich ging heute abend durch die Straße El Malek hinter
einigen Männern, deren fremden und geheimnisvollen Dialekt ich einst
gelernt habe. Sie sprachen davon, dich gefangen zu nehmen und den
würdigen Mann, deinen Vezier, zu töten. Weil es nun zu spät war, dich
zu warnen, beschloß ich, an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern
wollten, um dir beizustehen.«

»Danke dir,« sprach Harun, »an dieser Stätte ist übrigens nicht gut
weilen; nimm diesen Ring und komm damit morgen in meinen Palast; wir
wollen dann mehr über dich und deine Hilfe reden und sehen, wie ich
dich am besten belohnen kann. Komm, Vezier, hier ist nicht gut bleiben,
sie können wieder kommen.«

Er sprach es und wollte den Großvezier fortziehen, nachdem er dem
Jüngling einen Ring an den Finger gesteckt hatte; dieser aber bat
ihn, noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um und reichte dem
überraschten Jüngling einen schweren Beutel. »Junger Mann,« sprach er,
»mein Herr, der Kalif, kann dich zu allem machen, wozu er will, selbst
zu meinem Nachfolger, ich selbst kann wenig tun, und was ich tun kann,
geschieht heute besser als morgen; drum nimm diesen Beutel. Das soll
meinen Dank übrigens nicht abkaufen. So oft du irgend einen Wunsch
hast, komm getrost zu mir.«

Ganz trunken vor Glück eilte Said nach Hause. Aber hier wurde er
übel empfangen; Kalum-Bek wurde über sein langes Ausbleiben zuerst
unwillig und dann besorgt, denn er dachte, er könnte leicht das
schöne Aushängeschild seines Gewölbes verlieren. Er empfing ihn mit
Schmähworten und tobte und raste wie ein Wahnsinniger. Aber Said, der
einen Blick in den Beutel getan und gefunden hatte, daß er lauter
Goldstücke enthalte, bedachte, daß er jetzt nach seiner Heimat reisen
könne, auch ohne die Gnade des Kalifen, die gewiß nicht geringer war
als der Dank seines Veziers, und so blieb er ihm kein Wort schuldig,
sondern erklärte ihm rund und deutlich, daß er keine Stunde länger
bei ihm bleiben werde. Von Anfang erschrak Kalum-Bek hierüber sehr,
dann aber lachte er höhnisch und sprach: »Du Lump und Landläufer, du
ärmlicher Wicht! Wohin willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich
meine Hand von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen, und
wo ein Nachtlager?«

»Das soll Euch nicht kümmern, Herr Kalum-Bek,« antwortete Said trotzig,
»gehabt Euch wohl, mich sehet Ihr nicht wieder!«

Er sprach es und lief zur Türe hinaus, und Kalum-Bek schaute ihm
sprachlos vor Staunen nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den
Fall recht überlegt hatte, schickte er seine Packknechte aus und ließ
überall nach dem Flüchtling spähen. Lange suchten sie umsonst, endlich
aber kam einer zurück und sagte, er habe Said, den Ladendiener, aus
einer Moschee kommen und in eine Karawanserei gehen sehen. Er sei aber
ganz verändert, trage ein schönes Kleid, einen Dolch und Säbel, und
einen prachtvollen Turban.

Als Kalum-Bek dies hörte, schwur er und rief: »Bestohlen hat er mich
und sich dafür gekleidet. O, ich geschlagener Mann!« Dann lief er zum
Aufseher der Polizei, und da man wußte, daß er ein Verwandter von
Messour, dem Oberkämmerling, sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige
Polizeidiener von ihm zu erlangen, um Said zu verhaften. Said saß vor
einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit einem Kaufmann,
den er da gefunden, über eine Reise nach Balsora, seiner Vaterstadt;
da fielen plötzlich einige Männer über ihn her und banden ihm, trotz
seiner Gegenwehr, die Hände auf den Rücken. Er fragte sie, was sie
zu dieser Gewalttat berechtige, und sie antworteten, es geschehe im
Namen der Polizei und seines rechtmäßigen Gebieters Kalum-Bek. Zugleich
trat der kleine, häßliche Mann herzu, verhöhnte und verspottete Said,
griff in seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehenden und mit
Triumphgeschrei einen großen Beutel mit Gold heraus.

»Sehet! Das alles hat er mir nach und nach gestohlen, der schlechte
Mensch!« rief er, und die Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen
und riefen: »Wie! Noch so jung, so schön, und doch so schlecht! Zum
Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonnade erhalte.« So schleppten
sie ihn fort, und ein ungeheurer Zug Menschen aus allen Ständen schloß
sich an, sie riefen: »Sehet, das ist der schöne Ladendiener vom Bazar;
er hat seinen Herrn bestohlen und ist entflohen; zweihundert Goldstücke
hat er gestohlen.«

Der Aufseher der Polizei empfing den Gefangenen mit finsterer Miene;
Said wollte sprechen, aber der Beamte gebot ihm zu schweigen und
verhörte nur den kleinen Kaufmann. Er zeigte ihm den Beutel und fragte
ihn, ob ihm dieses Geld gestohlen worden sei; Kalum-Bek beschwor es;
aber sein Meineid verhalf ihm zwar zu dem Gold, doch nicht zu dem
schönen Ladendiener, der ihm tausend Goldstücke wert war, denn der
Richter sprach: »Nach einem Gesetz, das mein großmächtigster Herr, der
Kalif, erst vor wenigen Tagen geschärft hat, wird jeder Diebstahl, der
hundert Goldstücke übersteigt und auf dem Bazar begangen wird, mit
ewiger Verbannung auf eine wüste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt
gerade zu rechter Zeit, er macht die Zahl von zwanzig solcher Bursche
voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt und in die See geführt.«

Said war in Verzweiflung; er beschwor den Beamten, ihn anzuhören, ihn
nur ein Wort mit dem Kalifen sprechen zu lassen; aber er fand keine
Gnade. Kalum-Bek, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach ebenfalls
für ihn, aber der Richter antwortete: »Du hast dein Gold und kannst
zufrieden sein, gehe nach Hause und verhalte dich ruhig, sonst strafe
ich dich für jeden Widerspruch um zehn Goldstücke.« Kalum schwieg
bestürzt, der Richter aber winkte, und der unglückliche Said wurde
abgeführt.

Man brachte ihn in ein finsteres und feuchtes Gefängnis; neunzehn
elende Menschen lagen dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren
Leidensgefährten mit rohem Gelächter und Verwünschungen gegen den
Richter und den Kalifen. So schrecklich sein Schicksal vor ihm lag, so
fürchterlich der Gedanke war, auf eine wüste Insel verbannt zu werden,
so fand er doch noch einigen Trost darin, schon am folgenden Tag aus
diesem schrecklichen Gefängnis erlöst zu werden. Aber er täuschte sich
sehr, als er glaubte, sein Zustand auf dem Schiff werde besser sein.
In den untersten Raum, wo man nicht aufrecht stehen konnte, wurden die
zwanzig Verbrecher hinabgeworfen, und dort stießen und schlugen sie
sich um die besten Plätze.

Die Anker wurden gelichtet, und Said weinte bittere Tränen, als das
Schiff, das ihn von seinem Vaterland entführen sollte, sich zu bewegen
anfing. Nur einmal des Tages teilte man ihnen ein wenig Brot und
Früchte und einen Trunk süßen Wassers aus, und so dunkel war es in
dem Schiffsraum, daß man immer Lichter herabbringen mußte, wenn die
Gefangenen speisen sollten. Beinahe alle zwei, drei Tage fand man einen
Toten unter ihnen, so ungesund war die Luft in diesem Wasserkerker, und
Said wurde nur durch seine Jugend und seine feste Gesundheit erhalten.

Vierzehn Tage waren sie schon auf dem Wasser, als eines Tages die
Wellen heftiger rauschten, und ein ungewöhnliches Treiben und Rennen
auf dem Schiffe entstand.

Said ahnte, daß ein Sturm im Anzug sei; es war ihm sogar angenehm, denn
er hoffte, dann zu sterben.

Heftiger wurde das Schiff hin und her geworfen, und endlich saß es
mit schrecklichem Krachen fest. Geschrei und Geheul scholl von dem
Verdeck herab und mischte sich mit dem Brausen des Sturmes. Endlich
wurde es wieder stille, aber zu gleicher Zeit entdeckte auch einer
der Gefangenen, daß das Wasser in das Schiff eindringe. Sie pochten
an der Falltür nach oben, aber man antwortete ihnen nicht. Als daher
das Wasser immer heftiger eindrang, drängten sie sich mit vereinigten
Kräften gegen die Türe und sprengten sie auf.

Sie stiegen die Treppe hinan, aber oben fanden sie keinen Menschen
mehr. Die ganze Schiffsmannschaft hatte sich in Booten gerettet.
Jetzt gerieten die meisten Gefangenen in Verzweiflung; denn der Sturm
wütete immer heftiger, das Schiff krachte und senkte sich. Noch einige
Stunden saßen sie auf dem Verdeck und hielten ihre letzte Mahlzeit
von den Vorräten, die sie im Schiff gefunden, dann erneuerte sich auf
einmal der Sturm, das Schiff wurde von der Klippe, worauf es festsaß,
hinweggerissen und brach zusammen.

Said hatte sich am Mast angeklammert und hielt ihn, als das Schiff
geborsten war, noch immer fest. Die Wellen warfen ihn hin und her,
aber er hielt sich, mit den Füßen rudernd, immer wieder oben. So
schwamm er in immerwährender Todesgefahr eine halbe Stunde, da fiel
die Kette mit dem Pfeifchen wieder aus seinem Kleid, und noch einmal
wollte er versuchen, ob es nicht töne. Mit der einen Hand klammerte
er sich fest, mit der andern setzte er es an seinen Mund, blies, ein
heller, klarer Ton erscholl, und augenblicklich legte sich der Sturm,
und die Wellen glätteten sich, als hätte man Oel darauf gegossen. Kaum
hatte er sich mit leichterem Atem umgesehen, ob er nicht irgendwo
Land erspähen könnte, als der Mast unter ihm sich auf eine sonderbare
Weise auszudehnen und zu bewegen anfing, und zu seinem nicht geringen
Schrecken nahm er wahr, daß er nicht mehr auf Holz, sondern auf einem
ungeheuren Delphin reite; nach einigen Augenblicken aber kehrte seine
Fassung zurück, und da er sah, daß der Delphin zwar schnell, aber ruhig
und gelassen seine Bahn fortschwimme, schrieb er seine wunderbare
Rettung dem silbernen Pfeifchen und der gütigen Fee zu und rief seinen
feurigsten Dank in die Lüfte.

Pfeilschnell trug ihn sein wunderbares Pferd durch die Wogen, und
noch ehe es Abend wurde, sah er Land und erkannte einen breiten Fluß,
in welchen der Delphin auch sogleich einbog. Stromaufwärts ging es
langsamer, und um nicht verschmachten zu müssen, nahm Said, der sich
aus alten Zaubergeschichten erinnerte, wie man zaubern müsse, das
Pfeifchen heraus, pfiff laut und herzhaft und wünschte sich dann ein
gutes Mahl. Sogleich hielt der Fisch stille, und hervor aus dem Wasser
tauchte ein Tisch, so wenig naß, als ob er acht Tage an der Sonne
gestanden wäre, und reich besetzt mit köstlichen Speisen. Said griff
weidlich zu, denn seine Kost während seiner Gefangenschaft war schmal
und elend gewesen, und als er sich hinlänglich gesättigt hatte, sagte
er Dank; der Tisch tauchte nieder, er aber stauchte den Delphin in die
Seite, und sogleich schwamm dieser weiter den Fluß hinauf.

Die Sonne fing schon an zu sinken, als Said in dunkler Ferne eine
große Stadt erblickte, deren Minaretts ihm Aehnlichkeit mit denen von
Bagdad zu haben schienen. Der Gedanke an Bagdad war ihm nicht sehr
angenehm, aber sein Vertrauen auf die gütige Fee war so groß, daß er
fest glaubte, sie werde ihn nicht wieder in die Hände des schändlichen
Kalum-Bek fallen lassen. Zur Seite, etwa eine Meile von der Stadt und
nahe am Fluß erblickte er ein prachtvolles Landhaus, und zu seiner
großen Verwunderung lenkte der Fisch nach diesem Hause hin.

Auf dem Dach des Hauses standen mehrere schön gekleidete Männer, und am
Ufer sah Said eine große Menge Diener, und alle schauten nach ihm und
schlugen vor Verwunderung die Hände zusammen. An einer Marmortreppe,
die vom Wasser nach dem Lustschloß hinaufführte, hielt der Delphin
an, und kaum hatte Said einen Fuß auf die Treppe gesetzt, so war auch
schon der Fisch spurlos verschwunden. Zugleich eilten einige Diener die
Treppe herab und baten im Namen ihres Herrn, zu ihm hinaufzukommen, und
boten ihm trockene Kleider an. Er kleidete sich schnell um und folgte
dann den Dienern auf das Dach, wo er drei Männer fand, von welchen der
größte und schönste ihm freundlich und huldreich entgegenkam. »Wer bist
du, wunderbarer Fremdling,« sprach er, »der du die Fische des Meeres
zähmst und sie links und rechts leitest, wie der beste Reiter sein
Streitroß? Bist du ein Zauberer oder ein Mensch wie wir?«

»Herr!« antwortete Said, »mir ist es in den letzten Wochen schlecht
ergangen, wenn Ihr aber Vergnügen daran findet, so will ich Euch
erzählen.« Und nun hub er an und erzählte den drei Männern seine
Geschichte von dem Augenblick an, wo er seines Vaters Haus verlassen
hatte, bis zu seiner wunderbaren Rettung. Oft wurde er von ihnen mit
Zeichen des Staunens und der Verwunderung unterbrochen; aber als er
geendet hatte, sprach der Herr des Hauses, der ihn so freundlich
empfangen hatte: »Ich traue deinen Worten, Said! Aber du erzähltest
uns, daß du im Wettkampfe eine Kette gewonnen, und daß dir der Kalif
einen Ring geschenkt; kannst du wohl diese uns zeigen?«

»Hier auf meinem Herzen habe ich beide verwahrt,« sprach der Jüngling,
»und nur mit meinem Leben hätte ich so teure Geschenke hergegeben, denn
ich achte es für die ruhmvollste und schönste Tat, daß ich den großen
Kalifen aus den Händen seiner Mörder befreite.« Zugleich zog er Kette
und Ring hervor und übergab beides den Männern.

»Beim Bart des Propheten, er ist's, es ist _mein_ Ring!« rief der hohe,
schöne Mann. »Großvezier, laß uns ihn umarmen, denn hier steht unser
Retter.« Said war es wie ein Traum, als diese zwei ihn umschlangen,
aber alsobald warf er sich nieder und sprach: »Verzeihe, Beherrscher
der Gläubigen, daß ich so vor dir gesprochen habe, denn du bist kein
anderer als Harun Al-Raschid, der große Kalif von Bagdad.«

»Der bin ich, und dein Freund!« antwortete Harun, »und von dieser
Stunde an sollen sich alle deine trüben Schicksale wenden. Folge
mir nach Bagdad, bleibe in meiner Umgebung und sei einer meiner
vertrautesten Beamten, denn wahrlich, du hast in jener Nacht gezeigt,
daß dir Harun nicht gleichgültig sei, und nicht jeden meiner treuesten
Diener möchte ich auf gleiche Probe stellen!«

Said dankte dem Kalifen; er versprach ihm, auf immer bei ihm zu
bleiben, wenn er zuvor eine Reise zu seinem Vater, der in großen
Sorgen um ihn sein müsse, gemacht haben werde, und der Kalif fand dies
gerecht und billig. Sie setzten sich bald zu Pferd und kamen noch vor
Sonnenuntergang in Bagdad an. Der Kalif ließ Said eine lange Reihe
prachtvoll geschmückter Zimmer in seinem Palast anweisen und versprach
ihm noch überdies, ein eigenes Haus für ihn erbauen zu lassen.

Auf die erste Kunde von diesem Ereignis eilten die alten Waffenbrüder
Saids, der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großveziers herbei.
Sie umarmten ihn als Retter dieser teuren Männer und baten ihn, er
möchte ihr Freund werden. Aber sprachlos wurden sie vor Erstaunen, als
er sagte: »Euer Freund bin ich längst,« als er die Kette, die er als
Kampfpreis erhalten, hervorzog und sie an dieses und jenes erinnerte.
Sie hatten ihn immer nur schwärzlichbraun und mit langem Bart gesehen,
und erst als er erzählte, wie und warum er sich entstellt habe, als er
zu seiner Rechtfertigung stumpfe Waffen herbeibringen ließ, mit ihnen
focht und den Beweis gab, daß er Almansor der Tapfere sei, erst dann
umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und priesen sich glücklich, einen
solchen Freund zu haben.

Den folgenden Tag, als eben Said mit dem Großvezier bei Harun saß,
trat Messour, der Oberkämmerer, herein und sprach: »Beherrscher der
Gläubigen, so es anders sein kann, möchte ich dich um eine Gnade
bitten.«

»Ich will zuvor hören,« antwortete Harun.

»Draußen steht mein lieber, leiblicher Vetter Kalum-Bek, ein berühmter
Kaufmann auf dem Bazar,« sprach er, »der hat einen sonderbaren Handel
mit einem Mann aus Balsora, dessen Sohn bei Kalum-Bek diente, nachher
gestohlen hat, dann entlaufen ist, und niemand weiß wohin. Nun will
aber der Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn doch
nicht. Er wünscht daher und bittet um die Gnade, du möchtest kraft
deiner großen Erleuchtung und Weisheit sprechen zwischen dem Mann aus
Balsora und ihm.«

»Ich will richten!« erwiderte der Kalif. »In einer halben Stunde möge
dein Herr Vetter mit seinem Gegner in den Gerichtssaal treten.«

Als Messour dankend gegangen war, sprach Harun: »Das ist niemand
anders als dein Vater, Said, und da ich nun glücklicherweise alles,
wie es ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du, Said,
verbirgst dich hinter dem Vorhang meines Thrones, bis ich dich rufe,
und du, Großvezier, läßt mir sogleich den schlechten und voreiligen
Polizeirichter holen. Ich werde ihn im Verhör brauchen.«

Sie taten beide, wie er befohlen. Saids Herz pochte stärker, als er
seinen Vater, bleich und abgehärmt, mit wankenden Schritten in den
Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Beks feines, zuversichtliches
Lächeln, womit er zu seinem Vetter Oberkämmerer flüsterte, machte ihn
so grimmig, daß er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn losgestürzt
wäre. Denn seine größten Leiden und Kümmernisse hatte er diesem
schlechten Menschen zu danken.

Es waren viele Menschen im Saal, die den Kalifen Recht sprechen hören
wollten. Der Großvezier gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad auf
seinem Thron Platz genommen hatte, Stille und fragte, wer hier als
Kläger vor seinem Herrn erscheine.

Kalum-Bek trat mit frecher Stirne vor und sprach: »Vor einigen Tagen
stand ich unter der Türe meines Gewölbes im Bazar, als ein Ausrufer,
einen Beutel in der Hand, und diesen Mann hier neben sich, durch die
Buden schritt und rief: ›Einen Beutel Gold dem, der Auskunft geben kann
von Said aus Balsora.‹ Dieser Said war in meinen Diensten gewesen,
und ich rief daher: ›Hierher, Freund! ich kann den Beutel verdienen.‹
Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen mich ist, kam freundlich und
fragte, was ich wüßte. Ich antwortete: ›Ihr seid wohl Benezar, sein
Vater?‹ und als er dies freudig bejahte, erzählte ich ihm, wie ich den
jungen Menschen in der Wüste gefunden, gerettet und gepflegt und nach
Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens schenkte er mir den
Beutel. Aber hört diesen unsinnigen Menschen! Wie ich ihm nun weiter
erzählte, daß sein Sohn bei mir gedient habe, daß er schlechte Streiche
gemacht, gestohlen habe und davongegangen sei, will er es nicht
glauben, hadert schon seit einigen Tagen mit mir, fordert seinen Sohn
und sein Geld zurück, und beides kann ich nicht geben, denn das Geld
gebührt mir für die Nachricht, die ich ihm gab, und seinen ungeratenen
Burschen kann ich nicht herbeischaffen.«

Jetzt sprach auch Benezar. Er schilderte seinen Sohn, wie edel und
tugendhaft er sei, und daß er nie habe so schlecht sein können, zu
stehlen. Er forderte den Kalifen auf, streng zu untersuchen.

»Ich hoffe,« sprach Harun, »du hast, wie es Pflicht ist, den Diebstahl
angezeigt, Kalum-Bek?«

»Ei freilich!« rief jener lächelnd. »Vor den Polizeirichter habe ich
ihn geführt.«

»Man bringe den Polizeirichter!« befahl der Kalif.

Zum allgemeinen Erstaunen erschien dieser sogleich, wie durch Zauberei
herbeigebracht. Der Kalif fragte ihn, ob er sich dieses Handels
erinnere, und dieser gestand den Fall zu.

»Hast du den jungen Mann verhört, hat er den Diebstahl eingestanden?«
fragte Harun.

»Nein, er war sogar so verstockt, daß er niemand als Euch selbst
gestehen wollte!« erwiderte der Richter.

»Aber ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben,« sagte der Kalif.

»Ei, warum auch! da müßte ich alle Tage einen ganzen Pack solches
Gesindel zu Euch schicken, die Euch sprechen wollen.«

»Du weißt, daß mein Ohr für jeden offen ist,« antwortete Harun, »aber
wahrscheinlich waren die Beweise über den Diebstahl so klar, daß es
nicht nötig war, den jungen Menschen vor mein Angesicht zu bringen.
Du hattest wohl Zeugen, daß das Geld, das dir gestohlen wurde, dein
gehörte, Kalum?«

»Zeugen?« fragte dieser erbleichend. »Nein, Zeugen hatte ich nicht, und
Ihr wisset ja, Beherrscher der Gläubigen, daß ein Goldstück aussieht
wie das andere. Woher konnte ich denn Zeugen nehmen, daß diese hundert
Stücke in meiner Kasse fehlen?«

»An was erkanntest du denn, daß jene Summe gerade dir gehöre?« fragte
der Kalif.

»An dem Beutel, in welchem sie war,« erwiderte Kalum.

»Hast du den Beutel hier?« forschte jener weiter.

»Hier ist er,« sprach der Kaufmann, zog einen Beutel hervor und reichte
ihn dem Großvezier, damit er ihn dem Kalifen gebe.

Doch dieser rief mit verstelltem Erstaunen: »Beim Bart des Propheten!
der Beutel soll dein sein, du Hund? Mein gehörte dieser Beutel, und ich
gab ihn, mit hundert Goldstücken gefüllt, einem braven jungen Mann, der
mich aus einer großen Gefahr befreite.«

»Kannst du darauf schwören?« fragte der Kalif.

»So gewiß, als ich einst ins Paradies kommen will,« antwortete der
Vezier, »denn meine Tochter hat ihn selbst verfertigt.«

»Ei! ei!« rief Harun, »so wurdest du also falsch berichtet,
Polizeirichter? Warum hast du denn geglaubt, daß der Beutel diesem
Kaufmann gehöre?«

»Er hat geschworen,« antwortete der Polizeirichter furchtsam.

»So hast du falsch geschworen?« donnerte der Kalif den Kaufmann an, der
erbleichend und zitternd vor ihm stand.

»Allah, Allah!« rief jener. »Ich will gewiß nichts gegen den Herrn
Großvezier sagen, er ist ein glaubwürdiger Mann, aber ach! der Beutel
gehörte doch mein, und der nichtswürdige Said hat ihn gestohlen.
Tausend Tomans wollte ich geben, wenn er jetzt zur Stelle wäre.«

»Was hast du denn mit diesem Said angefangen?« fragte der Kalif. »Sag'
an, wohin man schicken muß, damit er vor mir Bekenntnis ablege!«

»Ich habe ihn auf eine wüste Insel geschickt,« sprach der
Polizeirichter.

»O Said! mein Sohn! mein Sohn!« rief der unglückliche Vater und weinte.

»So hat er also das Verbrechen bekannt?« fragte Harun.

Der Polizeirichter erbleichte. Er rollte seine Augen hin und her, und
endlich sprach er: »Wenn ich mich noch recht erinnern kann -- ja.«

»Du weißt es also nicht gewiß?« fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme
fort; »so wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor, Said, und du,
Kalum-Bek, zahlst vor allem tausend Goldstücke, weil er jetzt hier zur
Stelle ist.«

Kalum und der Polizeirichter glaubten, ein Gespenst zu sehen; sie
stürzten nieder und riefen: »Gnade! Gnade!« Benezar, vor Freuden halb
ohnmächtig, eilte in die Arme seines verlorenen Sohnes. Aber mit
eiserner Strenge fragte jetzt der Kalif: »Polizeirichter, hier steht
Said, hat er gestanden?«

»Nein, nein!« heulte der Polizeirichter, »ich habe nur Kalums Zeugnis
gehört, weil er ein angesehener Mann ist.«

»Habe ich dich darum als Richter über alle bestellt, daß du nur den
Vornehmen hörest?« rief Harun Al-Raschid mit edlem Zorn. »Auf zehn
Jahre verbanne ich dich auf eine wüste Insel, mitten im Meere, da
kannst du über Gerechtigkeit nachdenken, und du, elender Mensch, der du
Sterbende erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu deinen
Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt, tausend Tomans, weil du
sie versprochen, wenn Said käme, um für dich zu zeugen.«

Kalum freute sich, so wohlfeil aus dem bösen Handel zu kommen, und
wollte eben dem gütigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort: »Für den
falschen Eid wegen der hundert Goldstücke bekommst du hundert Hiebe auf
die Fußsohlen. Ferner hat Said zu wählen, ob er dein ganzes Gewölbe und
dich als Lastträger nehmen will, oder ob er mit zehn Goldstücken für
jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden ist?«

»Lasset den Elenden laufen, Kalif!« rief der Jüngling, »ich will
nichts, das sein gehörte.«

»Nein,« antwortete Harun, »ich will, daß du entschädigt werdest. Ich
wähle statt deiner die zehn Goldstücke für den Tag, und du magst
berechnen, wie viele Tage du in seinen Klauen warst. Jetzt fort mit
diesen Elenden.«

Sie wurden abgeführt, und der Kalif führte Benezar und Said in einen
andern Saal, dort erzählte er ihm selbst seine wunderbare Rettung durch
Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul Kalum-Beks unterbrochen,
dem man soeben im Hof seine hundert vollwichtigen Goldstücke auf die
Fußsohlen zählte.

Der Kalif lud Benezar ein, mit Said bei ihm in Bagdad zu leben. Er
sagte es zu und reiste nur noch einmal nach Hause, um sein großes
Vermögen abzuholen. Said aber lebte in dem Palast, den ihm der dankbare
Kalif erbaut hatte, wie ein Fürst. Der Bruder des Kalifen und der Sohn
des Großveziers waren seine Gesellschafter, und es war in Bagdad zum
Sprichwort geworden: »Ich möchte so gut und so glücklich sein als Said,
der Sohn Benezars.«

       *       *       *       *       *

»Bei solchen Unterhaltungen käme mir kein Schlaf in die Augen, wenn
ich auch zwei, drei und mehrere Nächte wach bleiben müßte,« sagte
der Zirkelschmied, als der Jäger geendigt hatte. »Und oft schon habe
ich dies bewährt gefunden. So war ich in früherer Zeit als Geselle
bei einem Glockengießer. Der Meister war ein reicher Mann und kein
Geizhals. Aber ebendarum wunderten wir uns nicht wenig, als wir einmal
eine große Arbeit hatten, und er, ganz gegen seine Gewohnheit, so
knickerig als möglich erschien. Es wurde in die neue Kirche eine Glocke
gegossen, und wir Jungen und Gesellen mußten die ganze Nacht am Herd
sitzen und das Feuer hüten. Wir glaubten nicht anders, als der Meister
werde sein Mutterfäßchen anstechen und uns den besten Wein vorsetzen.
Aber nicht also. Er ließ nur alle Stunden einen Umtrunk tun und fing
an, von seiner Wanderschaft, von seinem Leben allerlei Geschichten zu
erzählen, dann kam es an den Obergesellen, und so nach der Reihe, und
keiner von uns wurde schläfrig, denn begierig horchten wir alle zu.
Ehe wir uns dessen versahen, war es Tag. Da erkannten wir die List des
Meisters, daß er uns durch Reden habe wach halten wollen. Denn als die
Glocke fertig war, schonte er seinen Wein nicht und holte ein, was er
weislich in jener Nacht versäumte.«

»Das war ein vernünftiger Mann,« erwiderte der Student. »Für den
Schlaf, das ist gewiß, hilft nichts als Reden. Darum möchte ich diese
Nacht nicht einsam bleiben, weil ich mich gegen elf Uhr hin des
Schlafes nicht erwehren könnte.«

»Das haben auch die Bauersleute wohl bedacht,« sagte der Jäger. »Wenn
die Frauen und Mädchen in den langen Winterabenden bei Licht spinnen,
so bleiben sie nicht einsam zu Hause, weil sie da wohl mitten unter der
Arbeit einschliefen, sondern sie kommen zusammen in den sogenannten
Lichtstuben, setzen sich in großer Gesellschaft zur Arbeit und
erzählen.«

»Ja,« fiel der Fuhrmann ein, »da geht es oft recht greulich zu, daß
man sich ordentlich fürchten möchte, denn sie erzählen von feurigen
Geistern, die auf der Wiese gehen, von Kobolden, die nachts in den
Kammern poltern, und von Gespenstern, die Menschen und Vieh ängstigen.«

»Da haben sie nun freilich nicht die beste Unterhaltung,« entgegnete
der Student. »Mir, ich gestehe es, ist nichts so verhaßt als
Gespenstergeschichten.«

»Ei, da denke ich gerade das Gegenteil,« rief der Zirkelschmied. »Mir
ist es recht behaglich bei einer rechten Schauergeschichte. Es ist
gerade wie beim Regenwetter, wenn man unter dem Dach schläft. Man hört
die Tropfen tick, tack, tick, tack auf die Ziegeln herunterrauschen
und fühlt sich recht warm im Trockenen. So, wenn man bei Licht und in
Gesellschaft von Gespenstern hört, fühlt man sich sicher und behaglich.«

»Aber nachher?« fragte der Student. »Wenn einer zugehört hat, der dem
lächerlichen Glauben an Gespenster ergeben ist, wird er sich nicht
grauen, wenn er allein ist und im Dunkeln? Wird er nicht an alles
das Schauerliche denken, was er gehört? Ich kann mich noch heute
über diese Gespenstergeschichten ärgern, wenn ich an meine Kindheit
denke. Ich war ein munterer, aufgeweckter Junge und mochte vielleicht
etwas unruhiger sein, als meiner Amme lieb war. Da wußte sie nun kein
anderes Mittel, mich zum Schweigen zu bringen, als sie machte mich
fürchten. Sie erzählte mir allerlei schauerliche Geschichten von Hexen
und bösen Geistern, die im Hause spuken sollten, und wenn eine Katze
auf dem Boden ihr Wesen trieb, flüsterte sie mir ängstlich zu: ›Hörst
du, Söhnchen? Jetzt geht er wieder treppauf, treppab, der tote Mann.
Er trägt einen Kopf unter dem Arm, aber seine Augen glänzen doch wie
Laternen, Krallen hat er statt der Finger, und wenn er einen im Dunkeln
erwischt, dreht er ihm den Hals um.‹«

Die Männer lachten über diese Geschichten, aber der Student fuhr fort:
»Ich war zu jung, als daß ich hätte einsehen können, dies alles sei
unwahr und erfunden. Ich fürchtete mich nicht vor dem größten Jagdhund,
warf jeden meiner Gespielen in den Sand; aber wenn ich ins Dunkle kam,
drückte ich vor Angst die Augen zu, denn ich glaubte, jetzt werde der
tote Mann heranschleichen. Es ging so weit, daß ich nicht mehr allein
und ohne Licht aus der Türe gehen wollte, wenn es dunkel war, und wie
manchmal hat mich mein Vater nachher gezüchtigt, als er diese Unart
bemerkte! Aber lange Zeit konnte ich diese kindische Furcht nicht los
werden, und allein meine törichte Amme trug die Schuld.«

»Ja, das ist ein großer Fehler,« bemerkte der Jäger, »wenn man die
kindlichen Gedanken mit solchem Aberwitz füllt. Ich kann Ihnen
versichern, daß ich brave, beherzte Männer gekannt habe, Jäger, die
sich sonst vor drei Feinden nicht fürchteten -- wenn sie nachts im
Wald aufs Wild lauern sollten oder auf Wilddiebe, da gebrach es ihnen
oft plötzlich an Mut; denn sie sahen einen Baum für ein schreckliches
Gespenst, einen Busch für eine Hexe und ein paar Glühwürmer für die
Augen eines Ungetüms an, das im Dunkeln auf sie laure.«

»Und nicht nur für Kinder,« entgegnete der Student, »halte ich
Unterhaltung dieser Art für höchst schädlich und töricht, sondern
auch für jeden; denn welcher vernünftige Mensch wird sich über das
Treiben und Wesen von Dingen unterhalten, die eigentlich nur im Hirn
eines Toren wirklich sind? Dort spukt es, sonst nirgends. Doch am
allerschädlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolk. Dort
glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und dieser
Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genährt, wo sie sich
enge zusammensetzen und mit furchtsamer Stimme die allergreulichsten
Geschichten erzählen.«

»Ja, Herr!« erwiderte der Fuhrmann, »Ihr möget nicht unrecht haben;
schon manches Unglück ist durch solche Geschichten entstanden, ist
ja doch sogar meine eigene Schwester dadurch elendiglich ums Leben
gekommen.«

»Wie das? An solchen Geschichten?« riefen die Männer erstaunt.

»Jawohl, an solchen Geschichten;« sprach jener weiter. »In dem Dorf, wo
unser Vater wohnte, ist auch die Sitte, daß die Frauen und Mädchen in
den Winterabenden zum Spinnen sich zusammensetzen. Die jungen Bursche
kommen dann auch und erzählen mancherlei. So kam es eines Abends, daß
man von Gespenstern und Erscheinungen sprach, und die jungen Bursche
erzählten von einem alten Krämer, der schon vor zehn Jahren gestorben
sei, aber im Grab keine Ruhe finde. Jede Nacht werfe er die Erde von
sich ab, steige aus dem Grab, schleiche langsam und hustend, wie er
im Leben getan, nach seinem Laden und wäge dort Zucker und Kaffee ab,
indem er vor sich hinmurmele:

    »Drei Vierling, drei Vierling um Mitternacht
    Haben bei Tag ein Pfund gemacht.«

Viele behaupteten, ihn gesehen zu haben, und die Mädchen und Weiber
fingen an, sich zu fürchten. Meine Schwester aber, ein Mädchen von
sechzehn Jahren, wollte klüger sein als die andern, und sagte: ›Das
glaube ich alles nicht; wer einmal tot ist, kommt nicht wieder!‹ Sie
sagte es, aber leider ohne Ueberzeugung, denn sie hatte sich oft
schon gefürchtet. Da sagte einer von den jungen Leuten: ›Wenn du dies
glaubst, so wirst du dich auch nicht vor ihm fürchten; sein Grab ist
nur zwei Schritte von Käthchens, die letzthin gestorben. Wage es
einmal, gehe hin auf den Kirchhof, brich von Käthchens Grab eine Blume
und bringe sie uns, so wollen wir glauben, daß du dich vor dem Krämer
nicht fürchtest!‹

Meine Schwester schämte sich, von den andern verlacht zu werden, darum
sagte sie: ›O! das ist mir ein leichtes; was wollt ihr denn für eine
Blume?‹

›Es blüht im ganzen Dorf keine weiße Rose wie dort; drum bring' uns
einen Strauß von diesen,‹ antwortete eine ihrer Freundinnen. Sie
stand auf und ging, und alle Männer lobten ihren Mut, aber die Frauen
schüttelten den Kopf und sagten: ›Wenn es nur gut abläuft!‹ Meine
Schwester ging dem Kirchhof zu: der Mond schien hell, und sie fing
an zu schaudern, als es zwölf Uhr schlug und sie die Kirchhofpforte
öffnete.

Sie stieg über manchen Grabhügel weg, den sie kannte, und ihr Herz
wurde bange und immer banger, je näher sie zu Käthchens weißen Rosen
und zum Grab des gespenstigen Krämers kam.

Jetzt war sie da; zitternd kniete sie nieder und knickte die Blumen
ab. Da glaubte sie ganz in der Nähe ein Geräusch zu vernehmen; sie sah
sich um: zwei Schritte Von ihr flog die Erde von einem Grab hinweg,
und langsam richtete sich eine Gestalt daraus empor. Es war ein
alter, bleicher Mann mit einer weißen Schlafmütze auf dem Kopf. Meine
Schwester erschrak; sie schaute noch einmal hin, um sich zu überzeugen,
ob sie recht gesehen; als aber der im Grabe mit näselnder Stimme anfing
zu sprechen: ›Guten Abend, Jungfer; woher so spät?‹ da erfaßte sie ein
Grauen des Todes; sie raffte sich auf, sprang über die Gräber hin nach
jenem Hause, erzählte beinahe atemlos, was sie gesehen, und wurde so
schwach, daß man sie nach Hause tragen mußte. Was nützte es uns, daß
wir am andern Tage erfuhren, daß es der Totengräber gewesen sei, der
dort ein Grab gemacht und zu meiner armen Schwester gesprochen habe?
Sie verfiel, noch ehe sie dies erfahren konnte, in ein hitziges Fieber,
an welchem sie nach drei Tagen starb. Die Rosen zu ihrem Totenkranz
hatte sie sich selbst gebrochen.«

Der Fuhrmann schwieg, und eine Träne hing in seinen Augen, die andern
aber sahen teilnehmend auf ihn.

»So hat das arme Kind auch an diesem Köhlerglauben sterben müssen,«
sagte der junge Goldarbeiter; »mir fällt da eine Sage bei, die ich
euch wohl erzählen möchte, und die leider mit einem solchen Trauerfall
zusammenhängt.«



Die Höhle von Steenfoll.

Eine schottländische Sage.


Auf einer der Felseninseln Schottlands lebten vor vielen Jahren zwei
Fischer in glücklicher Eintracht. Sie waren beide unverheiratet, hatten
auch sonst keine Angehörigen, und ihre gemeinsame Arbeit, obgleich
verschieden angewendet, nährte sie beide. Im Alter kamen sie einander
ziemlich nahe, aber von Person und an Gemütsart glichen sie einander
nicht mehr als ein Adler und ein Seekalb.

Kaspar Strumpf war ein kurzer, dicker Mensch mit einem breiten
fetten Vollmondsgesicht und gutmütig lachenden Augen, denen Gram und
Sorge fremd zu sein schienen. Er war nicht nur fett, sondern auch
schläfrig und faul, und ihm fielen daher die Arbeiten des Hauses,
Kochen und Backen, das Stricken der Netze zum eigenen Fischfang und
zum Verkauf, auch ein großer Teil der Bestellung ihres kleinen Feldes
anheim. Ganz das Gegenteil war sein Gefährte; lang und hager, mit
kühner Habichtsnase und scharfen Augen, war er als der tätigste und
glücklichste Fischer, der unternehmendste Kletterer nach Vögeln und
Daunen, der fleißigste Feldarbeiter auf den Inseln und dabei als
der geldgierigste Händler auf dem Markte zu Kirchwall bekannt; aber
da seine Waren gut und sein Wandel frei von Betrug war, so handelte
jeder gern mit ihm, und Wilm Falke (so nannten ihn seine Landsleute)
und Kaspar Strumpf, mit welchem ersterer trotz seiner Habsucht gerne
seinen schwer errungenen Gewinn teilte, hatten nicht nur eine gute
Nahrung, sondern waren auch auf gutem Wege, einen gewissen Grad von
Wohlhabenheit zu erlangen. Aber Wohlhabenheit allein war es nicht,
was Falkes habsüchtigem Gemüte zusagte; er wollte reich, _sehr_ reich
werden, und da er bald einsehen lernte, daß auf dem gewöhnlichen Wege
des Fleißes das Reichwerden nicht sehr schnell vor sich ging, so
verfiel er zuletzt auf den Gedanken, er müßte seinen Reichtum durch
irgend einen außerordentlichen Glückszufall erlangen, und da nun dieser
Gedanke einmal von seinem heftig wallenden Geiste Besitz genommen, fand
er für nichts anderes Raum darin, und er fing an, mit Kaspar Strumpf
davon, als von einer gewissen Sache, zu reden. Dieser, dem alles, was
Falke sagte, für Evangelium galt, erzählte es seinen Nachbarn, und bald
verbreitete sich das Gerücht, Wilm Falke hätte sich entweder wirklich
dem Bösen für Gold verschrieben, oder hätte doch ein Anerbieten dazu
von dem Fürsten der Unterwelt bekommen.

Anfangs zwar verlachte Falke diese Gerüchte, aber allmählich gefiel
er sich in dem Gedanken, daß irgend ein Geist ihm einmal einen Schatz
verraten könne, und er widersprach nicht länger, wenn ihn seine
Landsleute damit aufzogen. Er trieb zwar noch immer sein Geschäft fort,
aber mit weniger Eifer, und verlor oft einen großen Teil der Zeit, die
er sonst mit Fischfang oder andern nützlichen Arbeiten zuzubringen
pflegte, in zwecklosem Suchen irgend eines Abenteuers, wodurch er
plötzlich reich werden sollte. Auch wollte es sein Unglück, daß, als
er eines Tages am einsamen Ufer stand und in unbestimmter Hoffnung auf
das bewegte Meer hinausblickte, als solle ihm von dorther sein großes
Glück kommen, eine große Welle unter einer Menge losgerissenen Mooses
und Gesteins eine gelbe Kugel -- eine Kugel von Gold -- zu seinen Füßen
rollte.

Wilm stand wie bezaubert; so waren denn seine Hoffnungen nicht
leere Träume gewesen, das Meer hatte ihm Gold, schönes, reines Gold
geschenkt, wahrscheinlich die Ueberreste einer schweren Barre, welche
die Wellen auf dem Meeresgrund bis zur Größe einer Flintenkugel
abgerieben. Und nun stand es klar vor seiner Seele, daß einmal irgendwo
an dieser Küste ein reichbeladenes Schiff gescheitert sein müsse, und
daß er dazu ersehen sei, die im Schoße des Meeres begrabenen Schätze
zu heben. Dies ward von nun an sein einziges Streben; seinen Fund
sorgfältig, selbst vor seinen Freunden verbergend, damit nicht auch
andere seiner Entdeckung auf die Spur kämen, versäumte er alles andere
und brachte Tage und Nächte an dieser Küste zu, wo er nicht sein Netz
nach Fischen, sondern eine eigens dazu verfertigte Schaufel -- nach
Gold auswarf. Aber er fand nichts als Armut; denn er selbst verdiente
nichts mehr, und Kaspars schläfrige Bemühungen reichten nicht hin, sie
beide zu ernähren. Im Suchen größerer Schätze verschwand nicht nur
das gefundene Gold, sondern allmählich auch das ganze Eigentum der
Junggesellen. Aber so wie Strumpf früher stillschweigend von Falke den
besten Teil seiner Nahrung hatte erwerben lassen, so ertrug er es auch
jetzt schweigend und ohne Murren, daß die zwecklose Tätigkeit desselben
sie ihm jetzt entzog; und gerade dieses sanftmütige Dulden seines
Freundes war es, was jenen nur noch mehr anspornte, sein rastloses
Suchen nach Reichtum weiter fortzusetzen. Was ihn aber noch tätiger
machte, war, daß, so oft er sich zur Ruhe niederlegte und seine Augen
sich zum Schlummer schlossen, etwas ihm ein Wort ins Ohr raunte, das er
zwar sehr deutlich zu vernehmen glaubte, und das ihm jedesmal dasselbe
schien, das er aber niemals behalten konnte. Zwar wußte er nicht, was
dieser Umstand, so sonderbar er auch war, mit seinem jetzigen Streben
zu tun haben könne; aber auf ein Gemüt, wie Wilm Falkes, mußte alles
wirken, und auch dieses geheimnisvolle Flüstern half ihn in dem Glauben
bestärken, daß ihm ein großes Glück bestimmt sei, das er nur in einem
Goldhaufen zu finden hoffte.

Eines Tages überraschte ihn ein Sturm am Ufer, wo er die Goldkugel
gefunden hatte, und die Heftigkeit desselben trieb ihn an, in einer
nahen Höhle Zuflucht zu suchen. Diese Höhle, welche die Einwohner die
Höhle von Steenfoll nennen, besteht aus einem langen unterirdischen
Gange, welcher sich mit zwei Mündungen gegen das Meer öffnet und den
Wellen einen freien Durchgang läßt, die sich beständig mit lautem
Brüllen schäumend durch denselben hinarbeiten. Diese Höhle war nur
an _einer_ Stelle zugänglich, und zwar durch eine Spalte von oben
her, welche aber selten von jemand anderem, als mutwilligen Knaben,
betreten ward, indem zu den eigenen Gefahren des Ortes sich noch der
Ruf eines Geisterspuks gesellte. Mit Mühe ließ Wilm sich in denselben
hinab und nahm ungefähr zwölf Fuß tief von der Oberfläche auf einem
vorspringenden Stein und unter einem überhängenden Felsenstück Platz,
wo er mit den brausenden Wellen unter seinen Füßen und dem wütenden
Sturm über seinem Haupte in seinen gewöhnlichen Gedankenzug verfiel,
nämlich von dem gescheiterten Schiff, und was für ein Schiff es wohl
gewesen sein möchte; denn trotz allen seinen Erkundigungen hatte
er selbst von den ältesten Einwohnern von keinem an dieser Stelle
gescheiterten Fahrzeuge Nachricht erhalten können. Wie lange er so
gesessen, wußte er selber nicht; als er aber endlich aus seinen
Träumereien erwachte, entdeckte er, daß der Sturm vorüber war; und er
wollte eben wieder emporsteigen, als eine Stimme sich aus der Tiefe
vernehmen ließ, und das Wort _Car-mil-han_ ganz deutlich in sein Ohr
drang. Erschrocken fuhr er in die Höhe und blickte in den leeren
Abgrund hinab. »Großer Gott!« schrie er, »das ist das Wort, das mich
in meinem Schlafe verfolgt! Was, ums Himmels willen, mag es bedeuten?«
-- »Carmilhan!« seufzte es noch einmal aus der Höhle herauf, als er
schon mit einem Fuß die Spalte verlassen hatte, und er floh wie ein
gescheuchtes Reh seiner Hütte zu.

Wilm war indessen keine Memme; die Sache war ihm nur unerwartet
gekommen, und sein Geldgeiz war auch überdies zu mächtig in ihm, als
daß ihn irgend ein Anschein von Gefahr hätte abschrecken können, auf
seinem gefahrvollen Pfade fortzuwandern. Einst, als er spät in der
Nacht beim Mondschein der Höhle von Steenfoll gegenüber mit seiner
Schaufel nach Schätzen fischte, blieb dieselbe auf einmal an etwas
hängen. Er zog aus Leibeskräften, aber die Masse blieb unbeweglich.
Inzwischen erhob sich der Wind, dunkle Wolken überzogen den Himmel,
heftig schaukelte das Boot und drohte umzuschlagen; aber Wilm ließ
sich nicht irre machen; er zog und zog, bis der Widerstand aufhörte,
und da er kein Gewicht fühlte, glaubte er, sein Seil wäre gebrochen.
Aber gerade, als die Wolken sich über dem Monde zusammenziehen wollten,
erschien eine runde, schwarze Masse auf der Oberfläche, und es erklang
das ihn verfolgende Wort Carmilhan! Hastig wollte er nach ihr greifen,
aber ebenso schnell, als er den Arm danach ausstreckte, verschwand sie
in der Dunkelheit der Nacht, und der eben losbrechende Sturm zwang
ihn, unter den nahen Felsen Zuflucht zu suchen. Hier schlief er vor
Ermüdung ein, um im Schlafe, von einer ungezügelten Einbildungskraft
gepeinigt, aufs neue die Qualen zu erdulden, die ihn sein rastloses
Streben nach Reichtum am Tage erleiden ließ. Die ersten Strahlen der
aufgehenden Sonne fielen auf den jetzt ruhigen Spiegel des Meeres, als
Falke erwachte. Eben wollte er wieder hinaus an die gewohnte Arbeit,
als er von ferne etwas auf sich zukommen sah. Er erkannte es bald für
ein Boot, und in demselben eine menschliche Gestalt; was aber sein
größtes Erstaunen erregte, war, daß das Fahrzeug sich ohne Segel oder
Ruder fortbewegte, und zwar mit dem Schnabel gegen das Ufer gekehrt,
und ohne daß die darin sitzende Gestalt sich im geringsten um das
Steuer zu bekümmern schien, wenn es ja eines hatte. Das Boot kam immer
näher und hielt endlich neben Wilms Fahrzeug stille. Die Person in
demselben zeigte sich jetzt als ein kleines, verschrumpftes, altes
Männchen, das, in gelbe Leinewand gekleidet und mit roter, in die Höhe
stehender Nachtmütze, mit geschlossenen Augen und unbeweglich wie ein
getrockneter Leichnam dasaß. Nachdem er es vergebens angerufen und
gestoßen hatte, wollte er eben einen Strick an dem Boote befestigen und
es wegführen, als das Männchen die Augen aufschlug und sich zu bewegen
anfing, auf eine Weise, welche selbst den kühnen Fischer mit Grausen
erfüllte.

»Wo bin ich?« fragte es nach einem tiefen Seufzer auf holländisch.
Falke, welcher von den holländischen Heringsfängern etwas von ihrer
Sprache gelernt hatte, nannte ihm den Namen der Insel und fragte, wer
er denn sei und was ihn hierher gebracht.

»Ich komme, um nach dem Carmilhan zu sehen.«

»Dem Carmilhan? Um Gottes willen! Was ist das?« rief der begierige
Fischer.

»Ich gebe keine Antwort auf Fragen, die man mir auf diese Weise tut,«
erwiderte das Männchen mit sichtbarer Angst.

»Nun,« schrie Falke, »was ist der Carmilhan?« --

»Der Carmilhan ist jetzt nichts, aber einst war es ein schönes Schiff,
mit mehr Gold beladen, als je ein anderes Fahrzeug getragen.«

»Wo ging es zugrunde, und wann?«

»Es war vor hundert Jahren; wo, weiß ich nicht genau; ich komme, um die
Stelle aufzusuchen und das verlorene Gold aufzufischen; willst du mir
helfen, so wollen wir den Fund miteinander teilen.«

»Mit ganzem Herzen; sag' mir nur, was muß ich tun?«

»Was du tun mußt, erfordert Mut; du mußt dich gerade vor Mitternacht in
die wildeste und einsamste Gegend auf der Insel begeben, begleitet von
einer Kuh, die du dort schlachten und dich von jemand in ihre frische
Haut wickeln lassen mußt. Dein Begleiter muß dich dann niederlegen und
allein lassen, und ehe es ein Uhr schlägt, weißt du, wo die Schätze des
Carmilhan liegen.«

»Auf diese Weise fiel des alten Engrol Sohn mit Leib und Seele ins
Verderben!« rief Wilm mit Entsetzen. »Du bist der böse Geist,« fuhr er
fort, indem er hastig davonruderte, »geh zur Hölle! Ich mag nichts mit
dir zu tun haben.«

Das Männchen knirschte, schimpfte und fluchte ihm nach; aber der
Fischer, welcher zu beiden Rudern gegriffen hatte, war ihm bald
außer Gehör und, nachdem er um einen Felsen gebogen, auch aus dem
Gesichte. Aber die Entdeckung, daß der böse Geist sich seinen Geiz
zu nutze zu machen und mit Gold in seine Schlingen zu locken suchte,
heilte den verblendeten Fischer nicht, im Gegenteil, er meinte die
Mitteilung des gelben Männchens benutzen zu können, ohne sich dem
Bösen zu überliefern; und indem er fortfuhr, an der öden Küste nach
Gold zu fischen, vernachlässigte er den Wohlstand, den ihm die reichen
Fischzüge in andern Gegenden des Meeres darboten, so wie alle andern
Mittel, auf die er ehemals seinen Fleiß verwendet, und versank von
Tag zu Tag nebst seinem Gefährten in tiefere Armut, bis es endlich
an den notwendigsten Lebensbedürfnissen zu fehlen anfing. Aber
obgleich dieser Verfall gänzlich Falkes Halsstarrigkeit und falscher
Begierde zugeschrieben werden mußte, und die Ernährung beider jetzt
Kaspar Strumpf allein anheimfiel, so machte ihm doch dieser niemals
den geringsten Vorwurf; ja, er bezeigte ihm immer noch dieselbe
Unterwürfigkeit, dasselbe Vertrauen in seinen bessern Verstand, als
zur Zeit, wo ihm seine Unternehmungen allezeit geglückt waren; dieser
Umstand vermehrte Falkes Leiden um ein großes, aber trieb ihn, noch
mehr nach Gold zu suchen, weil er dadurch hoffte, auch seinen Freund
für sein gegenwärtiges Entbehren schadlos halten zu können. Dabei
verfolgte ihn das teuflische Geflüster des Wortes Carmilhan noch immer
in seinem Schlummer; kurz, Not, getäuschte Erwartung und Geiz trieben
ihn zuletzt zu einer Art von Wahnsinn, so daß er wirklich beschloß, das
zu tun, was ihm das Männchen angeraten, obgleich er, nach der alten
Sage, wohl wußte, daß er sich damit den Mächten der Finsternis übergab.

Alle Gegenvorstellungen Kaspars waren vergebens. Falke ward nur um so
heftiger, je mehr jener ihn anflehte, von seinem verzweifelten Vorhaben
abzustehen -- und der gute, schwache Mensch willigte endlich ein, ihn
zu begleiten und ihm seinen Plan ausführen zu helfen. Beider Herzen
zogen sich schmerzhaft zusammen, als sie einen Strick um die Hörner
einer schönen Kuh, ihr letztes Eigentum, legten, die sie vom Kalbe
aufgezogen, und die sie sich immer zu verkaufen geweigert hatten, weil
sie's nicht über's Herz bringen konnten, sie in fremden Händen zu
sehen. Aber der böse Geist, welcher sich Wilms bemeisterte, erstickte
jetzt alle besseren Gefühle in ihm, und Kaspar wußte ihm in nichts zu
widerstehen. Es war im September, und die langen Nächte des langen
schottländischen Winters hatten angefangen. Die Nachtwolken wälzten
sich schwer vor dem rauhen Abendwinde und türmten sich wie Eisberge im
Maelstrom, tiefer Schatten füllte die Schluchten zwischen dem Gebirge
und den feuchten Torfsümpfen, und die trüben Betten der Ströme blickten
schwarz und furchtbar wie Höllenschlünde. Falke ging voran und Strumpf
folgte, schaudernd über seine eigene Kühnheit, und Tränen füllten sein
schweres Auge, so oft er das arme Tier ansah, welches so vertrauensvoll
und bewußtlos seinem baldigen Tode entgegenging, der ihm von der
Hand werden sollte, die ihm bisher seine Nahrung gereicht. Mit Mühe
erreichten sie das enge, sumpfige Bergtal, welches, hier und da mit
Moos und Heidekraut bewachsen, mit großen Steinen übersäet war und von
einer wilden Gebirgskette umgeben lag, die sich in grauen Nebel verlor,
und wohin der Fuß eines Menschen sich selten verstieg. Sie näherten
sich auf wankendem Boden einem großen Stein, welcher in der Mitte
stand, und von welchem ein verscheuchter Adler krächzend in die Höhe
flog. Die arme Kuh brüllte dumpf, als erkenne sie die Schrecknisse
des Ortes und ihr bevorstehendes Schicksal, Kaspar wandte sich weg,
um sich die schnellfließenden Tränen abzuwischen. Er blickte hinab
durch die Felsenöffnung, durch welche sie heraufgekommen waren, von wo
aus man die ferne Brandung des Meeres hörte; und dann hinauf nach den
Berggipfeln, auf welche sich ein kohlschwarzes Gewölk gelagert hatte,
aus welchem man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Murmeln vernahm. Als er
sich wieder nach Wilm umsah, hatte dieser bereits die arme Kuh an den
Stein gebunden und stand mit aufgehobener Axt im Begriff, das gute Tier
zu fällen.

Dies war zu viel für seinen Entschluß, sich in den Willen seines
Freundes zu fügen. Mit gerungenen Händen stürzte er sich auf die
Kniee. »Um Gottes willen, Wilm Falke!« schrie er mit der Stimme der
Verzweiflung, »schon dich, schone die Kuh! schone dich und mich! schone
deine Seele! -- Schone dein Leben! Und mußt du Gott so versuchen, so
warte bis morgen und opfere lieber ein anderes Tier als unsere liebe
Kuh!«

»Kaspar, bist du toll?« schrie Wilm wie ein Wahnsinniger, indem er noch
immer die Axt in die Höhe geschwungen hielt. »Soll ich die Kuh schonen
und verhungern?«

»Du sollst nicht verhungern,« antwortete Kaspar entschlossen, »solange
ich Hände habe, sollst du nicht verhungern. Ich will vom Morgen bis
in die Nacht für dich arbeiten. Nur bringe dich nicht um deiner Seele
Seligkeit, und laß mir das arme Tier leben!«

»Dann nimm die Axt und spalte mir den Kopf,« schrie Falke mit
verzweifeltem Tone, »ich gehe nicht von diesem Fleck, bis ich habe, was
ich verlange. -- Kannst du die Schätze des Carmilhan für mich heben?
Können deine Hände mehr erwerben als die elendesten Bedürfnisse des
Lebens? -- Aber sie können meinen Jammer enden -- komm, und laß mich
das Opfer sein!«

»Wilm, töte die Kuh, töte mich! Es liegt mir nichts daran, es ist mir
ja nur um deine Seligkeit zu tun. Ach! dies ist ja der Pikten-Altar,
und das Opfer, das du bringen willst, gehört der Finsternis.«

»Ich weiß von nichts dergleichen,« rief Falke, wild lachend, wie einer,
der entschlossen ist, nichts wissen zu wollen, was ihn von seinem
Vorsatz abbringen könnte. »Kaspar, du bist toll und machst mich toll --
aber da,« fuhr er fort, indem er das Beil von sich warf und das Messer
vom Steine aufnahm, wie wenn er sich durchstoßen wollte, »da! behalte
die Kuh statt meiner!«

Kaspar war in einem Augenblick bei ihm, riß ihm das Mordwerkzeug aus
der Hand, erfaßte das Beil, schwang es hoch um den Kopf und ließ es mit
solcher Gewalt auf des geliebten Tieres Kopf fallen, daß es, ohne zu
zucken und tot, zu seines Herrn Füßen niederstürzte.

Ein Blitz, begleitet von einem Donnerschlage, folgte dieser raschen
Handlung, und Falke starrte seinen Freund mit den Augen an, womit
ein Mann ein Kind anstaunen würde, das sich das zu tun getraut, was
er selbst nicht gewagt. Strumpf schien aber weder von dem Donner
erschreckt, noch durch das starre Erstaunen seines Gefährten außer
Fassung gebracht, sondern fiel, ohne ein Wort zu reden, über die Kuh
her und fing an, ihr die Haut abzuziehen. Als Wilm sich ein wenig
erholt hatte, half er ihm in diesem Geschäfte, aber mit so sichtbarem
Widerwillen, als er vorher begierig gewesen war, das Opfer vollendet zu
sehen. Während dieser Arbeit hatte sich das Gewitter zusammengezogen,
der Donner brüllte laut im Gebirge, und furchtbare Blitze schlängelten
sich um den Stein und über das Moos der Schlucht hin, während der Wind,
welcher diese Höhe noch nicht erreicht hatte, die untern Täler und das
Gestade mit wildem Heulen erfüllte. Und als die Haut endlich abgezogen
war, fanden beide Fischer sich schon bis auf die Haut durchnäßt. Sie
breiteten jene auf dem Boden aus, und Kaspar wickelte und band Falken,
so wie dieser es ihn geheißen, in derselben fest ein. Dann erst, als
dies geschehen war, brach der arme Mensch das lange Stillschweigen, und
indem er mitleidig auf seinen betörten Freund hinabblickte, fragte er
mit zitternder Stimme: »Kann ich noch etwas für dich tun, Wilm?«

»Nichts mehr,« erwiderte der andere, »lebe wohl!«

»Leb' wohl,« erwiderte Kaspar, »Gott sei mit dir und vergebe dir, wie
ich es tue!«

Dies waren die letzten Worte, welche Wilm von ihm hörte, denn im
nächsten Augenblick war er in der immer zunehmenden Dunkelheit
verschwunden. Und in demselben Augenblick brach auch einer der
fürchterlichsten Gewitterstürme, die Wilm nur je gehört hatte, aus.
Er fing an mit einem Blitz, welcher Falken nicht nur die Berge und
Felsen in seiner unmittelbaren Nähe, sondern auch das Tal unter ihm,
mit dem schäumenden Meere und den in der Bucht zerstreut liegenden
Felseninseln zeigte, zwischen welchen er die Erscheinung eines großen
fremdartigen und entmasteten Schiffes zu erblicken glaubte, welches
auch im Augenblick wieder in der schwärzesten Dunkelheit verschwand.
Die Donnerschläge wurden ganz betäubend. Eine Masse Felsenstücke
rollte vom Gebirge herab und drohte ihn zu erschlagen. Der Regen ergoß
sich in solcher Menge, daß er in einem Augenblick das enge Sumpftal
mit einer hohen Flut überströmte, welche bald bis zu Wilms Schultern
hinaufreichte, denn glücklicherweise hatte ihn Kaspar mit dem oberen
Teile des Körpers auf eine Erhöhung gelegt, sonst hätte er auf einmal
ertrinken müssen. Das Wasser stieg immer höher, und je mehr Wilm sich
anstrengte, sich aus seiner gefahrvollen Lage zu befreien, desto fester
umgab ihn die Haut. Umsonst rief er nach Kaspar. Kaspar war weit
weg. Gott in seiner Not anzurufen, wagte er nicht, und ein Schauder
ergriff ihn, wenn er die Mächte anflehen wollte, deren Gewalt er sich
hingegeben fühlte.

Schon drang ihm das Wasser in die Ohren, schon berührte es den Rand
der Lippen. »Gott, ich bin verloren!« schrie er, indem er einen Strom
über sein Gesicht hinstürzen fühlte -- aber in demselben Augenblicke
drang ein Schall, wie von einem nahen Wasserfall, schwach in sein
Gehör, und sogleich war auch sein Mund wieder unbedeckt. Die Flut
hatte sich durch das Gestein Bahn gebrochen. Und da auch zu gleicher
Zeit der Regen etwas nachließ, und das tiefe Dunkel des Himmels sich
etwas verzog, so ließ auch seine Verzweiflung nach, und es schien ihm
ein Strahl der Hoffnung zurückzukehren. Aber obgleich er sich wie
von einem Todeskampfe erschöpft fühlte und sehnlich wünschte, aus
seiner Gefangenschaft erlöst zu sein, so war doch der Zweck seines
verzweifelten Strebens noch nicht erreicht, und mit der verschwundenen
unmittelbaren Lebensgefahr kam auch die Habsucht mit all ihren Furien
in seine Brust zurück. Aber überzeugt, daß er in seiner Lage ausharren
müsse, um sein Ziel zu erreichen, hielt er sich ruhig und fiel vor
Kälte und Ermüdung in einen festen Schlaf.

Er mochte ungefähr zwei Stunden geschlafen haben, als ihn ein
kalter Wind, der ihm übers Gesicht fuhr, und ein Rauschen, wie von
herannahenden Meereswogen, aus seiner glücklichen Selbstvergessenheit
aufrüttelten. Der Himmel hatte sich aufs neue verfinstert. Ein Blitz,
wie der, welcher den ersten Sturm herbeigeführt, erhellte noch einmal
die Gegend umher, und er glaubte abermals das fremde Schiff zu
erblicken, das jetzt dicht vor der Steenfollklippe auf einer hohen
Welle zu hängen und dann jählings in den Abgrund zu schießen schien.
Er starrte noch immer nach dem Phantom, denn ein unaufhörliches
Blitzen hielt jetzt das Meer erleuchtet, als sich auf einmal eine
berghohe Wasserhose aus dem Tale erhob und ihn mit solcher Gewalt gegen
einen Felsen schleuderte, daß ihm alle Sinne vergingen. Als er wieder
zu sich selbst kam, hatte sich das Wetter verzogen, der Himmel war
heiter, aber das Wetterleuchten dauerte noch immer fort. Er lag dicht
am Fuße des Gebirges, welches dieses Tal umschloß, und er fühlte sich
so zerschlagen, daß er sich kaum zu rühren vermochte. Er hörte das
stillere Brausen der Brandung und mitten drinnen eine feierliche Musik
wie Kirchengesang. Diese Töne waren anfangs so schwach, daß er sie für
Täuschung hielt. Aber sie ließen sich immer wieder aufs neue vernehmen,
und jedesmal deutlicher und näher, und es schien ihm zuletzt, als könne
er darin die Melodie eines Psalmes unterscheiden, die er im vorigen
Sommer an Bord eines holländischen Heringsfängers gehört hatte.

Endlich unterschied er sogar Stimmen, und es deuchte ihm, als vernehme
er sogar die Worte jenes Liedes. Die Stimmen waren jetzt in dem
Tale, und als er sich mit Mühe zu einem Stein hingeschoben, auf den
er den Kopf legte, erblickte er wirklich einen Zug von menschlichen
Gestalten, von welchen diese Musik ausging, und der sich gerade auf
ihn zu bewegte. Kummer und Angst lagen auf den Gesichtern der Leute,
deren Kleider von Wasser zu triefen schienen. Jetzt waren sie dicht bei
ihm, und ihr Gesang schwieg. An ihrer Spitze waren mehrere Musikanten,
dann mehrere Seeleute, und hinter diesen kam ein großer, starker Mann
in altväterlicher, reich mit Gold besetzter Tracht, mit einem Schwert
an der Seite und einem langen, dicken spanischen Rohr mit goldenem
Knopf in der Hand. Ihm zur Linken ging ein Negerknabe, welcher seinem
Herrn von Zeit zu Zeit eine lange Pfeife reichte, aus der er einige
feierliche Züge tat, und dann weiterschritt. Er blieb kerzengerade vor
Wilm stehen, und ihm zu beiden Seiten stellten sich andere, minder
prächtig gekleidete Männer, welche alle Pfeifen in den Händen hatten,
die aber nicht so kostbar schienen als die Pfeife, welche dem dicken
Manne nachgetragen wurde. Hinter diesen traten andere Personen auf,
worunter mehrere Frauenspersonen, von denen einige Kinder in den Armen
oder an der Hand hatten, alle in kostbarer, aber fremdartiger Kleidung.
Ein Haufen holländischer Matrosen schloß den Zug, deren jeder den Mund
voll Tabak und zwischen den Zähnen ein braunes Pfeifchen hatte, das sie
in düsterer Stille rauchten.

Der Fischer blickte mit Grausen auf diese sonderbare Versammlung; aber
die Erwartung dessen, das da kommen werde, hielt seinen Mut aufrecht.
Lange standen sie so um ihn her, und der Rauch ihrer Pfeifen erhob
sich wie eine Wolke über sie, zwischen welcher die Sterne hindurch
blinkten. Der Kreis zog sich immer enger um Wilm her, das Rauchen
ward immer heftiger, und dicker die Wolke, die aus Mund und Pfeifen
hervorstieg. Falke war ein kühner, verwegener Mann, er hatte sich auf
Außerordentliches vorbereitet; aber als er diese unbegreifliche Menge
immer näher auf sich eindringen sah, als wolle sie ihn mit ihrer Masse
erdrücken, da entsank ihm der Mut, dicker Schweiß trat ihm vor die
Stirne, und er glaubte, vor Angst vergehen zu müssen. Aber man denke
sich erst seinen Schrecken, als er von ungefähr die Augen wandte und
dicht an seinem Kopf das gelbe Männchen steif und aufrecht sitzen
sah, wie er es zum erstenmal erblickt, nur daß es jetzt, als wie zum
Spotte der ganzen Versammlung, auch eine Pfeife im Munde hatte. In der
Todesangst, die ihn jetzt ergriff, rief er zu der Hauptperson gewendet:
»Im Namen dessen, dem Ihr dienet, wer seid Ihr? Und was verlangt Ihr
von mir?« Der große Mann rauchte drei Züge, feierlicher als je, gab
dann die Pfeife seinem Diener und antwortete mit schreckhafter Kälte:
»Ich bin Aldret Franz van der Swelder, Befehlshaber des Schiffes
_Carmilhan_ von Amsterdam, welches auf dem Heimwege von Batavia mit
Mann und Maus an dieser Felsenküste zu Grunde ging; dies sind meine
Offiziere, dies meine Passagiere, und jenes meine braven Seeleute,
welche alle mit mir ertranken. Warum hast du uns aus unsern tiefen
Wohnungen im Meere hervorgerufen? Warum störtest du unsere Ruhe?«

»Ich möchte wissen, wo die Schätze des Carmilhan liegen.«

»Am Boden des Meeres.«

»Wo?«

»In der Höhle von Steenfoll.«

»Wie soll ich sie bekommen?«

»Eine Gans taucht in den Schlund nach einem Hering; sind die Schätze
des Carmilhan nicht ebensoviel wert?«

»Wie viel davon werd' ich bekommen?«

»Mehr als du je verzehren wirst.« Das gelbe Männchen grinste, und
die ganze Versammlung lachte laut auf. »Bist du zu Ende?« fragte der
Hauptmann weiter.

»Ich bin's. Gehab' dich wohl!«

»Leb' wohl bis aufs Wiedersehen!« erwiderte der Holländer und wandte
sich zum Gehen, die Musikanten traten aufs neue an die Spitze, und der
ganze Zug entfernte sich in derselben Ordnung, in welcher er gekommen
war, und mit demselben feierlichen Gesang, welcher mit der Entfernung
immer leiser und undeutlicher wurde, bis er sich nach einiger Zeit
gänzlich im Geräusche der Brandung verlor. Jetzt strengte Wilm seine
letzten Kräfte an, sich aus seinen Banden zu befreien, und es gelang
ihm endlich, einen Arm los zu bekommen, womit er die ihn umwindenden
Stricke löste und sich endlich ganz aus der Haut wickelte. Ohne sich
umzusehen, eilte er nach seiner Hütte und fand den armen Kaspar
Strumpf in starrer Bewußtlosigkeit am Boden liegen. Mit Mühe brachte
er ihn wieder zu sich selbst, und der gute Mensch weinte vor Freude,
als er den verloren geglaubten Jugendfreund wieder vor sich sah. Aber
dieser beglückende Strahl verschwand schnell wieder, als er von diesem
vernahm, welch verzweifeltes Unternehmen er jetzt vorhatte.

»Ich wollte mich lieber in die Hölle stürzen, als diese nackten Wände
und dieses Elend länger ansehen. -- Folge mir oder nicht, ich gehe.«
Mit diesen Worten faßte Wilm eine Fackel, ein Feuerzeug und ein Seil
und eilte davon. Kaspar eilte ihm nach, so schnell er's vermochte,
und fand ihn schon auf dem Felsstück stehen, auf welchem er vormals
gegen den Sturm Schutz gefunden, und bereit, sich an dem Stricke in
den schwarzen, brausenden Schlund hinabzulassen. Als er fand, daß alle
seine Vorstellungen nichts über den rasenden Menschen vermochten,
bereitete er sich, ihm nachzusteigen, aber Falke befahl ihm, zu bleiben
und den Strick zu halten. Mit furchtbarer Anstrengung, wozu nur die
blindeste Habsucht den Mut und die Stärke geben konnte, kletterte
Falke in die Höhle hinab und kam endlich auf ein vorspringendes
Felsenstück zu stehen, unter welchem die Wogen schwarz und mit weißem
Schaume bekräuselt brausend dahineilten. Er blickte begierig umher
und sah endlich etwas gerade unter ihm im Wasser schimmern. Er legte
die Fackel nieder, stürzte sich hinab und erfaßte etwas Schweres,
das er auch heraufbrachte. Es war ein eisernes Kästchen voller
Goldstücke. Er verkündigte seinem Gefährten, was er gefunden, wollte
aber durchaus nicht auf sein Flehen hören, sich damit zu begnügen und
wieder heraufzusteigen. Falke meinte, dies wäre nur die erste Frucht
seiner langen Bemühungen. Er stürzte sich noch einmal hinab -- es
erscholl ein lautes Gelächter aus dem Meere, und Wilm Falke ward nie
wieder gesehen. Kaspar ging allein nach Hause, aber als ein anderer
Mensch. Die seltsamen Erschütterungen, die sein schwacher Kopf und
sein empfindsames Herz erlitten, zerrütteten ihm die Sinne. Er ließ
alles um sich her verfallen und wanderte Tag und Nacht gedankenlos
vor sich starrend umher, von allen seinen vorigen Bekannten bedauert
und gemieden. Ein Fischer will Wilm Falke in einer stürmischen Nacht
mitten unter der Mannschaft des Carmilhan am Ufer erkannt haben, und in
derselben Nacht verschwand auch Kaspar Strumpf.

Man suchte ihn allenthalben, allein nirgends hat man eine Spur von ihm
finden können. Aber die Sage geht, daß er oft nebst Falke mitten unter
der Mannschaft des Zauberschiffes gesehen worden sei, welches seitdem
zu regelmäßigen Zeiten an der Höhle von Steenfoll erschien.

       *       *       *       *       *

»Mitternacht ist längst vorüber,« sagte der Student, als der junge
Goldarbeiter seine Erzählung geendigt hatte, »jetzt hat es wohl keine
Gefahr mehr, und ich für meinen Teil bin so schläfrig, daß ich allen
raten möchte, niederzuliegen und getrost einzuschlafen.«

»Vor zwei Uhr morgens möcht' ich doch nicht trauen,« entgegnete der
Jäger; »das Sprichwort sagt: von elf bis zwei Uhr ist Diebes Zeit.«

»Das glaube ich auch,« bemerkte der Zirkelschmied; »denn wenn man
uns etwas anhaben will, ist wohl keine Zeit gelegener als die nach
Mitternacht. Drum meine ich, der Studiosus könnte in seiner Erzählung
fortfahren, die er noch nicht ganz vollendet hat.«

»Ich sträube mich nicht,« sagte dieser, »obgleich unser Nachbar, der
Herr Jäger, den Anfang nicht gehört hat.«

»Ich muß ihn mir hinzudenken, fanget nur an;« rief der Jäger.

»Nun denn,« wollte eben der Student beginnen, als sie durch das
Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden; alle hielten den Atem an
und horchten; zugleich stürzte einer der Bedienten aus dem Zimmer der
Gräfin und rief, daß wohl zehn bis zwölf bewaffnete Männer von der
Seite her auf die Schenke zukommen.

Der Jäger griff nach seiner Büchse, der Student nach seinem Pistol, die
Handwerksburschen nach ihren Stöcken, und der Fuhrmann zog ein langes
Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an.

»Laßt uns an die Treppe gehen!« rief der Student, »zwei oder drei
dieser Schurken sollen doch zuvor ihren Tod finden, ehe wir überwältigt
werden.« Zugleich gab er dem Zirkelschmied sein zweites Pistol und
riet, daß sie nur einer nach dem andern schießen wollten. Sie stellten
sich an die Treppe; der Student und der Jäger nahmen gerade ihre ganze
Breite ein; seitwärts neben dem Jäger stand der mutige Zirkelschmied
und beugte sich über das Geländer, indem er die Mündung seines Pistols
auf die Mitte der Treppe hielt. Der Goldarbeiter und der Fuhrmann
standen hinter ihnen, bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann
kommen sollte, das Ihrige zu tun. So standen sie einige Minuten in
stummer Erwartung; endlich hörte man die Haustüre aufgehen, sie
glaubten auch das Flüstern mehrerer Stimmen zu vernehmen.

Jetzt hörte man Tritte vieler Menschen der Treppe nahen, man kam die
Treppe herauf, und auf der ersten Hälfte zeigten sich drei Männer, die
wohl nicht auf den Empfang gefaßt waren, der ihnen bereitet war. Denn
als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jäger mit
starker Stimme: »Halt! Noch einen Schritt weiter, und ihr seid des
Todes. Spannet die Hähne, Freunde, und gut gezielt!«

Die Räuber erschraken, zogen sich eilig zurück und berieten sich mit
den übrigen. Nach einer Weile kam einer davon zurück und sprach: »Ihr
Herren! Es wäre Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu
wollen, denn wir sind unser genug, um euch völlig aufzureiben; aber
ziehet euch zurück, es soll keinem das Geringste zuleide geschehen; wir
wollen keines Groschen Wert von euch nehmen.«

»Was wollt ihr denn sonst?« rief der Student. »Meint ihr, wir werden
solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen, in Gottes
Namen! so kommet, aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne
ich auf die Stirne, daß er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben
soll!«

»Gebt uns die Dame heraus, gutwillig;« antwortete der Räuber. »Es soll
ihr nichts geschehen, wir wollen sie an einen sichern und bequemen Ort
führen, ihre Leute können zurückreiten und den Herrn Grafen bitten, er
möge sie mit zwanzigtausend Gulden auslösen.«

»Solche Vorschläge sollen wir uns machen lassen?« entgegnete der Jäger,
knirschend vor Wut, und spannte den Hahn. »Ich zähle drei, und wenn
du da unten nicht bei drei hinweg bist, so drücke ich los. -- Eins!
Zwei! --«

»Halt!« schrie der Räuber mit donnernder Stimme. »Ist das Sitte, auf
einen wehrlosen Mann zu schießen, der mit euch friedlich unterhandelt?
Törichter Bursche, du kannst mich totschießen, und dann hast du erst
keine große Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden,
die mich rächen werden. Was nützt es dann deiner Frau Gräfin, wenn
ihr tot oder verstümmelt auf der Flur lieget? Glaube mir, wenn sie
freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden, aber wenn
du, bis ich drei zähle, nicht den Hahn in Ruhe setzest, so soll es ihr
übel ergehen. Hahn in Ruh', eins, zwei, drei!«

»Mit diesen Hunden ist nicht zu spaßen,« flüsterte der Jäger, indem er
den Befehl des Räubers befolgte; »wahrhaftig, an meinem Leben liegt
nichts, aber wenn ich einen niederschieße, könnten sie meine Dame um so
härter behandeln. Ich will die Gräfin um Rat fragen. Gebt uns,« fuhr er
mit lauter Stimme fort, »gebt uns eine halbe Stunde Waffenstillstand,
um die Gräfin vorzubereiten, sie würde, wenn sie es so plötzlich
erfährt, den Tod davon haben.«

»Zugestanden,« antwortete der Räuber und ließ zugleich den Ausgang der
Treppe mit sechs Mann besetzen.

Bestürzt und verwirrt folgten die unglücklichen Reisenden dem Jäger
in das Zimmer der Gräfin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte
man verhandelt, daß ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und
zitterte heftig, aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in
ihr Schicksal zu ergeben: »Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler
braver Leute aufs Spiel setzen?« sagte sie. »Warum euch zu einer
vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht
kennet? Nein, ich sehe, daß keine andere Rettung ist, als den Elenden
zu folgen.«

Man war allgemein von dem Mut und dem Unglück der Dame ergriffen; der
Jäger weinte und schwur, daß er diese Schmach nicht überleben könne.
Der Student aber schmähte auf sich und seine Größe von sechs Fuß.
»Wäre ich nur um einen halben Kopf kleiner,« rief er, »und hätte ich
keinen Bart, so wüßte ich wohl, was ich zu tun hätte, ich ließe mir
von der Frau Gräfin Kleider geben und diese Elenden sollten spät genug
erfahren, welchen Mißgriff sie getan.«

Auch auf Felix hatte das Unglück dieser Frau großen Eindruck gemacht.
Ihr ganzes Wesen kam ihm so rührend und bekannt vor, es war ihm,
als sei es seine frühe verstorbene Mutter, die sich in dieser
schrecklichen Lage befände. Er fühlte sich so gehoben, so mutig, daß
er gerne sein Leben für das ihrige gegeben hätte. Doch als der Student
jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele
auf; er vergaß alle Angst, alle Rücksichten, und er dachte nur an die
Rettung dieser Frau. »Ist es nur dies,« sprach er, indem er schüchtern
und errötend hervortrat, »gehört nur ein kleiner Körper, ein bartloses
Kinn und ein mutiges Herz dazu, die gnädige Frau zu retten, so bin ich
vielleicht auch nicht zu schlecht dazu; ziehet in Gottes Namen meinen
Rock an, setzet meinen Hut auf Euer schönes Haar, und nehmet meinen
Bündel auf den Rücken und -- ziehet als Felix, der Goldarbeiter, Eure
Straße.«

Alle waren erstaunt über den Mut des Jünglings, der Jäger aber fiel
ihm freudig um den Hals. »Goldjunge,« rief er, »das wolltest du tun?
Wolltest dich in meiner gnädigen Frau Kleider stecken lassen und sie
retten? Das hat dir Gott eingegeben; aber allein sollst du nicht gehen,
ich will mich mit gefangen geben, will bei dir bleiben an deiner Seite,
als dein bester Freund, und solange _ich_ lebe, sollen sie dir nichts
anhaben dürfen.« -- »Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!« rief
der Student.

Es kostete lange Ueberredung, um die Gräfin zu diesem Vorschlag zu
überreden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein fremder
Mensch für sie sich aufopfern sollte; sie dachte sich im Fall einer
spätern Entdeckung die Rache der Räuber, die ganz auf den Unglücklichen
fallen würde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des
jungen Menschen, teils die Ueberzeugung, im Fall sie gerettet würde,
alles aufbieten zu können, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie
willigte ein. Der Jäger und die übrigen Reisenden begleiteten Felix
in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der
Gräfin überwarf. Der Jäger setzte ihm noch zum Ueberfluß einige
falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und
alle versicherten, daß man ihn nicht erkennen würde. Selbst der
Zirkelschmied schwur, daß, wenn er ihm auf der Straße begegnete, würde
er flink den Hut abziehen und nicht ahnen, daß er vor seinem mutigen
Kameraden sein Kompliment mache.

Die Gräfin hatte sich indessen mit Hilfe ihrer Kammerfrau aus dem
Ränzchen des jungen Goldarbeiters mit Kleidern versehen. Der Hut, tief
in die Stirn gedrückt, der Reisestock in der Hand, das etwas leichter
gewordene Bündel auf dem Rücken machten sie völlig unkenntlich, und
die Reisenden würden zu jeder andern Zeit über diese komische Maskerade
nicht wenig gelacht haben. Der neue Handwerksbursche dankte Felix mit
Tränen und versprach die schleunigste Hilfe.

»Nur noch _eine_ Bitte habe ich,« antwortete Felix, »in diesem
Ränzchen, das Sie auf dem Rücken tragen, befindet sich eine kleine
Schachtel; verwahren Sie diese sorgfältig, wenn sie verloren
ginge, wäre ich auf immer und ewig unglücklich; ich muß sie meiner
Pflegemutter bringen --«

»Gottfried, der Jäger, weiß mein Schloß,« entgegnete sie, »es soll Euch
alles unbeschädigt wieder zurückgestellt werden; denn ich hoffe, Ihr
kommet dann selbst, edler junger Mann, um den Dank meines Gatten und
den meinigen zu empfangen.«

Ehe noch Felix darauf antworten konnte, ertönten von der Treppe her
die rauhen Stimmen der Räuber; sie riefen, die Frist sei verflossen
und alles zur Abfahrt der Gräfin bereit. Der Jäger ging zu ihnen hinab
und erklärte ihnen, daß er die Dame nicht verlassen werde und lieber
mit ihnen gehe, wohin es auch sei, ehe er ohne seine Gebieterin vor
seinem Herrn erschiene. Auch der Student erklärte, diese Dame begleiten
zu wollen. Sie beratschlagten sich über diesen Fall und gestanden es
endlich zu, unter der Bedingung, daß der Jäger sogleich seine Waffen
abgebe. Zugleich befahlen sie, daß die übrigen Reisenden sich ruhig
verhalten sollen, wenn die Gräfin hinweggeführt werde.

Felix ließ den Schleier nieder, der über seinen Hut gebreitet war,
setzte sich in eine Ecke, die Stirne in die Hand gestützt, und in
dieser Stellung eines tief Betrübten erwartete er die Räuber. Die
Reisenden hatten sich in das andere Zimmer zurückgezogen, doch so,
daß sie, was vorging, überschauen konnten; der Jäger saß anscheinend
traurig, aber auf alles lauernd in der andern Ecke des Zimmers, das
die Gräfin bewohnt hatte. Nachdem sie einige Minuten so gesessen,
ging die Türe auf, und ein schöner, stattlich gekleideter Mann von
etwa sechsunddreißig Jahren trat in das Zimmer. Er trug eine Art von
militärischer Uniform, einen Orden auf der Brust, einen langen Säbel
an der Seite, und in der Hand hielt er einen Hut, von welchem schöne
Federn herabwallten. Zwei seiner Leute hatten gleich nach seinem
Eintritt die Türe besetzt.

Er ging mit einer tiefen Verbeugung auf Felix zu; er schien vor einer
Dame dieses Ranges etwas in Verlegenheit zu sein, er setzte mehreremal
an, bis es ihm gelang, geordnet zu sprechen. »Gnädige Frau,« sagte
er, »es gibt Fälle, worein man sich in Geduld schicken muß. Ein
solcher ist der Ihrige. Glauben Sie nicht, daß ich den Respekt vor
einer so ausgezeichneten Dame auch nur auf einen Augenblick aus den
Augen setzen werde; Sie werden alle Bequemlichkeit haben, Sie werden
über nichts klagen können, als vielleicht über den Schrecken, den
Sie diesen Abend gehabt.« Hier hielt er inne, als erwartete er eine
Antwort; als aber Felix beharrlich schwieg, fuhr er fort: »Sehen Sie
in mir keinen gemeinen Dieb, keinen Kehlabschneider. Ich bin ein
unglücklicher Mann, den widrige Verhältnisse zu diesem Leben zwangen.
Wir wollen uns auf immer aus dieser Gegend entfernen; aber wir brauchen
Reisegeld. Es wäre uns ein leichtes gewesen, Kaufleute oder Postwagen
zu überfallen, aber dann hätten wir vielleicht mehrere Leute auf
immer ins Unglück gestürzt. Der Herr Graf, Ihr Gemahl, hat vor sechs
Wochen eine Erbschaft von fünfmalhunderttausend Talern gemacht. Wir
erbitten uns zwanzigtausend Gulden von diesem Ueberfluß, gewiß eine
gerechte und bescheidene Forderung. Sie werden daher die Gnade haben,
jetzt sogleich einen offenen Brief an Ihren Gemahl zu schreiben, worin
Sie ihm melden, daß wir Sie zurückgehalten, daß er die Zahlung so
bald als möglich leisten möge, widrigenfalls -- Sie verstehen mich,
wir müßten dann etwas härter mit Ihnen selbst verfahren. Die Zahlung
wird nicht angenommen, wenn sie nicht unter dem Siegel der strengsten
Verschwiegenheit von einem einzelnen Mann hierher gebracht wird.«

Diese Szene wurde mit der gespanntesten Aufmerksamkeit von allen Gästen
der Waldschenke, am ängstlichsten wohl von der Gräfin beobachtet. Sie
glaubte jeden Augenblick, der Jüngling, der sich für sie geopfert,
könnte sich verraten. Sie war fest entschlossen, ihn um einen großen
Preis loszukaufen; aber ebenso fest stand ihr Gedanke, um keinen Preis
der Welt auch nur einen Schritt weit mit den Räubern zu gehen. Sie
hatte in der Rocktasche des Goldarbeiters ein Messer gefunden. Sie
hielt es geöffnet krampfhaft in der Hand, bereit, sich lieber zu töten,
als eine solche Schmach zu erdulden. Jedoch nicht minder ängstlich war
Felix selbst. Zwar stärkte und tröstete ihn der Gedanke, daß es eine
männliche und würdige Tat sei, einer bedrängten, hilflosen Frau auf
diese Weise beizustehen; aber er fürchtete, sich durch jede Bewegung,
durch seine Stimme zu verraten. Seine Angst steigerte sich, als der
Räuber von einem Briefe sprach, den er schreiben sollte.

Wie sollte er schreiben? welche Titel dem Grafen geben, welche Form dem
Briefe, ohne sich zu verraten?

Seine Angst stieg aufs höchste, als der Anführer der Räuber Papier und
Feder vor ihn hinlegte, ihn bat, den Schleier zurückzuschlagen und zu
schreiben.

Felix wußte nicht, wie hübsch ihm die Tracht paßte, in welche er
gekleidet war; hätte er es gewußt, er würde sich vor einer Entdeckung
nicht im mindesten gefürchtet haben. Denn als er endlich notgedrungen
den Schleier zurückschlug, schien der Herr in Uniform, betroffen von
der Schönheit der Dame und ihren etwas männlichen, mutigen Zügen, sie
nur noch ehrfurchtsvoller zu betrachten. Dem klaren Blicke des jungen
Goldschmieds entging dies nicht; getrost, daß wenigstens in diesem
gefährlichen Augenblick keine Entdeckung zu fürchten sei, ergriff er
die Feder und schrieb an seinen vermeintlichen Gemahl, nach einer Form,
wie er sie einst in einem alten Buche gelesen; er schrieb:

        »Mein Herr und Gemahl!

    Ich unglückliche Frau bin auf meiner Reise mitten in der Nacht
    plötzlich angehalten worden, und zwar von Leuten, welchen ich
    keine gute Absicht zutrauen kann. Sie werden mich so lange
    zurückhalten, bis Sie, Herr Graf, die Summe von 20000 Gulden
    für mich niedergelegt haben.

    Die Bedingung ist dabei, daß Sie nicht im mindesten über die
    Sache sich bei der Obrigkeit beschweren, noch ihre Hilfe
    nachsuchen, daß Sie das Geld durch einen einzelnen Mann in die
    Waldschenke im Spessart schicken; widrigenfalls ist mir mit
    längerer und harter Gefangenschaft gedroht.

    Es fleht Sie um schleunige Hilfe an

            Ihre unglückliche
            _Gemahlin_.«

Er reichte den merkwürdigen Brief dem Anführer der Räuber, der ihn
durchlas und billigte. »Es kommt nun ganz auf Ihre Bestimmung an,« fuhr
er fort, »ob Sie Ihre Kammerfrau oder Ihren Jäger zur Begleitung wählen
werden. Die eine dieser Personen werde ich mit dem Briefe an Ihren
Herrn Gemahl zurückschicken.«

»Der Jäger und dieser Herr hier werden mich begleiten,« antwortete
Felix.

»Gut,« entgegnete jener, indem er an die Türe ging und die Kammerfrau
herbeirief, »so unterrichten Sie diese Frau, was sie zu tun habe.«

Die Kammerfrau erschien mit Zittern und Beben. Auch Felix erblaßte,
wenn er bedachte, wie leicht er sich auch jetzt wieder verraten
könnte. Doch ein unbegreiflicher Mut, der ihn in jenen gefährlichen
Augenblicken stärkte, gab ihm auch jetzt wieder seine Reden ein. »Ich
habe dir nichts weiter aufzutragen,« sprach er, »als daß du den Grafen
bittest, mich so bald als möglich aus dieser unglücklichen Lage zu
reißen.«

»Und,« fuhr der Räuber fort, »daß Sie dem Herrn Grafen aufs genaueste
und ausdrücklichste empfehlen, daß er alles verschweige und nichts
gegen uns unternehme, bis seine Gemahlin in seinen Händen ist. Unsere
Kundschafter würden uns bald genug davon unterrichten, und ich möchte
dann für nichts stehen.«

Die zitternde Kammerfrau versprach alles. Es wurde ihr noch befohlen,
einige Kleidungsstücke und Linnenzeug für die Frau Gräfin in ein Bündel
zu packen, weil man sich nicht mit vielem Gepäck beladen könne, und
als dies geschehen war, forderte der Anführer der Räuber die Dame mit
einer Verbeugung auf, ihm zu folgen. Felix stand auf, der Jäger und der
Student folgten ihm, und alle drei stiegen, begleitet von dem Anführer
der Räuber, die Treppe hinab.

Vor der Waldschenke standen viele Pferde; eines wurde dem Jäger
angewiesen, ein anderes, ein schönes, kleines Tier, mit einem
Damensattel versehen, stand für die Gräfin bereit, ein drittes gab
man dem Studenten. Der Hauptmann hob den jungen Goldschmied in den
Sattel, schnallte ihn fest und bestieg dann selbst sein Roß. Er stellte
sich zur Rechten der Dame auf, zur Linken hielt einer der Räuber; auf
gleiche Weise waren auch der Jäger und der Student umgeben. Nachdem
sich auch die übrige Bande zu Pferd gesetzt hatte, gab der Anführer mit
einer helltönenden Pfeife das Zeichen zum Aufbruch, und bald war die
ganze Schar im Walde verschwunden.

Die Gesellschaft, die im oberen Zimmer versammelt war, erholte sich
nach diesem Auftritt allmählich von ihrem Schrecken. Sie wären, wie
es nach großem Unglück oder plötzlicher Gefahr zu geschehen pflegt,
vielleicht sogar heiter gewesen, hätte sie nicht der Gedanke an ihre
drei Gefährten beschäftigt, die man vor ihren Augen hinweggeführt
hatte. Sie brachen in Bewunderung des jungen Goldschmieds aus, und die
Gräfin vergoß Tränen der Rührung, wenn sie bedachte, daß sie einem
Menschen so unendlich viel zu verdanken habe, dem sie nie zuvor Gutes
getan, den sie nicht einmal kannte. Ein Trost war es für alle, daß
der heldenmütige Jäger und der wackere Student ihn begleitet hatten,
konnten sie ihn doch trösten, wenn sich der junge Mann unglücklich
fühlte, ja, der Gedanke lag nicht gar zu Ferne, daß der verschlagene
Waidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden könnte. Sie berieten
sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Gräfin beschloß, da ja
sie kein Schwur gegen die Räuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl
zurückzureisen und alles aufzubieten, den Aufenthalt der Gefangenen zu
entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach nach Aschaffenburg
zu reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Räuber aufzurufen. Der
Zirkelschmied aber wollte seine Reise fortsetzen.

Die Reisenden wurden in dieser Nacht nicht mehr beunruhigt; Totenstille
herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so
schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bedienten der
Gräfin zu dem Wirt hinabgingen, um alles zur Abfahrt fertig zu machen,
kehrten sie schnell zurück und berichteten, daß sie die Wirtin und ihr
Gesinde in elendem Zustande gefunden hätten. Sie liegen gebunden in der
Schenke und flehen um Beistand.

Die Reisenden schauten sich bei dieser Nachricht erstaunt an. »Wie?«
rief der Zirkelschmied; »so sollten diese Leute dennoch unschuldig
sein? So hätten wir ihnen unrecht getan, und sie standen nicht im
Einverständnis mit den Räubern?«

»Ich lasse mich aufhängen statt ihrer,« erwiderte der Fuhrmann, »wenn
wir nicht dennoch recht hatten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht
überwiesen werden zu können. Erinnert ihr euch nicht der verdächtigen
Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, wie ich hinabgehen
wollte, wie mich der abgerichtete Hund nicht losließ, wie die Wirtin
und der Hausknecht sogleich erschienen und mürrisch fragten, was ich
denn noch zu tun hätte? Doch sie sind unser, wenigstens der Frau
Gräfin, Glück. Hätte es in der Schenke weniger verdächtig ausgesehen,
hätte uns die Wirtin nicht so mißtrauisch gemacht, wir wären nicht
zusammengestanden, wären nicht wach geblieben. Die Räuber hätten uns
überfallen im Schlafe, hätten zum wenigsten unsere Türe bewacht, und
diese Verwechslung des braven, jungen Burschen wäre nimmer möglich
geworden.«

Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle überein und
beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gesinde bei der Obrigkeit
anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt
nichts merken lassen. Die Bedienten und der Fuhrmann gingen daher
hinab in das Schenkzimmer, lösten die Bande der Diebeshehler auf und
bezeigten sich so mitleidig und bedauernd als möglich. Um ihre Gäste
noch mehr zu versöhnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung für
jeden und lud sie ein, recht bald wiederzukommen.

Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen
Abschied und fuhr seine Straße. Nach diesem machten sich die beiden
Handwerksbursche auf den Weg. So leicht der Bündel des Goldschmieds
war, so drückte er doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel
schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustüre die Wirtin ihre
verbrecherische Hand hinstreckte, um Abschied zu nehmen. »Ei, was
seid Ihr doch für ein junges Blut,« rief sie beim Anblick des zarten
Jungen, »noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiß ein
verdorbenes Kräutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun,
was geht es mich an, schenket mir die Ehre bei der Heimkehr, glückliche
Reise!«

Die Gräfin wagte vor Angst und Beben nicht zu antworten, sie fürchtete,
sich durch ihre zarte Stimme zu verraten. Der Zirkelschmied merkte es,
nahm seinen Gefährten unter den Arm, sagte der Wirtin Ade und stimmte
ein lustiges Lied an, während er dem Walde zuschritt.

»Jetzt erst bin ich in Sicherheit!« rief die Gräfin, als sie etwa
hundert Schritte entfernt waren. »Noch immer glaubte ich, die Frau
werde mich erkennen und durch ihre Knechte festnehmen. O, wie will ich
euch allen danken! Kommet auch Ihr auf mein Schloß, Ihr müßt doch Euren
Reisegenossen bei mir wieder abholen.«

Der Zirkelschmied sagte zu, und während sie noch sprachen, kam der
Wagen der Gräfin ihnen nachgefahren; schnell wurde die Türe geöffnet,
die Dame schlüpfte hinein, grüßte den jungen Handwerksburschen noch
einmal, und der Wagen fuhr weiter.

Um dieselbe Zeit hatten die Räuber und ihre Gefangenen den Lagerplatz
der Bande erreicht. Sie waren durch eine ungebahnte Waldstraße im
schnellsten Trab weggeritten; mit ihren Gefangenen wechselten sie
kein Wort, auch unter sich flüsterten sie nur zuweilen, wenn die
Richtung des Weges sich veränderte. Vor einer tiefen Waldschlucht
machte man endlich Halt. Die Räuber saßen ab, und ihr Anführer hob den
Goldarbeiter vom Pferd, indem er sich über den harten und eiligen Ritt
entschuldigte und fragte, ob doch die gnädige Frau nicht gar zu sehr
angegriffen sei.

Felix antwortete ihm so zierlich als möglich, daß er sich nach Ruhe
sehne, und der Hauptmann bot ihm den Arm, ihn in die Schlucht zu
führen. -- Es ging einen steilen Abhang hinab; der Fußpfad, welcher
hinabführte, war so schmal und abschüssig, daß der Anführer oft seine
Dame unterstützen mußte, um sie vor der Gefahr, hinabzustürzen,
zu bewahren. Endlich langte man unten an. Felix sah vor sich beim
matten Schein des anbrechenden Morgens ein enges, kleines Tal von
höchstens hundert Schritten im Umfang, das tief in einem Kessel hoch
hinanstrebender Felsen lag. Etwa sechs bis acht kleine Hütten waren
in dieser Schlucht aus Brettern und abgehauenen Bäumen aufgebaut.
Einige schmutzige Weiber schauten neugierig aus diesen Höhlen hervor,
und ein Rudel von zwölf großen Hunden und ihren unzähligen Jungen
umsprang heulend und bellend die Angekommenen. Der Hauptmann führte die
vermeintliche Gräfin in die beste dieser Hütten und sagte ihr, diese
sei ausschließlich zu ihrem Gebrauch bestimmt; auch erlaubte er auf
Felix' Verlangen, daß der Jäger und der Student zu ihm gelassen wurden.

Die Hütte war mit Rehfellen und Matten ausgelegt, die zugleich zum
Fußboden und Sitze dienen mußten. Einige Krüge und Schüsseln aus Holz
geschnitzt, eine alte Jagdflinte, und in der hintersten Ecke ein Lager,
aus ein paar Brettern gezimmert und mit wollenen Decken bekleidet,
welchem man den Namen eines Bettes nicht geben konnte, waren die
einzigen Geräte dieses gräflichen Palastes. Jetzt erst, allein gelassen
in dieser elenden Hütte, hatten die drei Gefangenen Zeit, über ihre
sonderbare Lage nachzudenken. Felix, der zwar seine edelmütige Handlung
keinen Augenblick bereute, aber doch für seine Zukunft im Fall einer
Entdeckung bange war, wollte sich in lauten Klagen Luft machen; der
Jäger aber rückte ihm schnell näher und flüsterte ihm zu: »Sei um
Gottes willen stille, lieber Junge; glaubst du denn nicht, daß man uns
behorcht?« -- »Aus jedem Wort, aus dem Ton deiner Sprache könnten sie
Verdacht schöpfen,« setzte der Student hinzu. Dem armen Felix blieb
nichts übrig, als stille zu weinen.

»Glaubt mir, Herr Jäger,« sagte er, »ich weine nicht aus Angst vor
diesen Räubern, oder aus Furcht vor dieser elenden Hütte, nein, es ist
ein ganz anderer Kummer, der mich drückt! Wie leicht kann die Gräfin
vergessen, was ich ihr schnell noch sagte, und dann hält man mich für
einen Dieb, und ich bin elend auf immer!«

»Aber was ist es denn, das dich so ängstigt?« fragte der Jäger,
verwundert über das Benehmen des jungen Menschen, der sich bisher so
mutig und stark betragen hatte.

»Höret zu, und Ihr werdet mir recht geben,« antwortete Felix. »Mein
Vater war ein geschickter Goldarbeiter in Nürnberg, und meine Mutter
hatte früher bei einer vornehmen Frau gedient als Kammerfrau, und
als sie meinen Vater heiratete, wurde sie von der Gräfin, welcher
sie gedient hatte, trefflich ausgestattet. Diese blieb meinen Eltern
immer gewogen, und als ich auf die Welt kam, wurde sie meine Pate und
beschenkte mich reichlich. Aber als meine Eltern bald nacheinander
an einer Seuche starben, und ich ganz allein und verlassen in der
Welt stand und ins Waisenhaus gebracht werden sollte, da vernahm die
Frau Pate unser Unglück, nahm sich meiner an und gab mich in ein
Erziehungshaus; und als ich alt genug war, schrieb sie mir, ob ich
nicht des Vaters Gewerbe lernen wollte. Ich war froh darüber und sagte
zu, und so gab sie mich meinem Meister in Würzburg in die Lehre. Ich
hatte Geschick zur Arbeit und brachte es bald so weit, daß mir der
Lehrbrief ausgestellt wurde und ich auf die Wanderschaft mich rüsten
konnte. Dies schrieb ich der Frau Pate, und flugs antwortete sie, daß
sie das Geld zur Wanderschaft gebe. Dabei schickte sie prachtvolle
Steine mit und verlangte, ich solle sie fassen zu einem schönen
Geschmeide, ich solle dann solches als Probe meiner Geschicklichkeit
selbst überbringen und das Reisegeld in Empfang nehmen. Meine Frau Pate
habe ich in meinem Leben nicht gesehen, und Ihr könnet denken, wie ich
mich auf sie freute. Tag und Nacht arbeitete ich an dem Schmuck, er
wurde so schön und zierlich, daß selbst der Meister darüber erstaunte.
Als er fertig war, packte ich alles sorgfältig auf den Boden meines
Ränzels, nahm Abschied vom Meister und wanderte meine Straße nach dem
Schlosse der Frau Pate. Da kamen,« fuhr er, in Tränen ausbrechend
fort, »diese schändlichen Menschen und zerstörten all meine Hoffnung.
Denn wenn Eure Frau Gräfin den Schmuck verliert oder vergißt, was ich
ihr sagte, und das schlechte Ränzchen wegwirft, wie soll ich dann
vor meine gnädige Frau Pate treten? Mit was soll ich mich ausweisen?
Woher die Steine ersetzen? Und das Reisegeld ist dann auch verloren,
und ich erscheine als ein undankbarer Mensch, der anvertrautes Gut so
leichtsinnig weggegeben. Und am Ende -- wird man mir glauben, wenn ich
den wunderbaren Vorfall erzähle?«

»Ueber das letztere seid getrost!« erwiderte der Jäger. »Ich glaube
nicht, daß bei der Gräfin Euer Schmuck verloren gehen kann; und wenn
auch, so wird sie sicherlich ihn ihrem Retter wiedererstatten und ein
Zeugnis über diese Vorfälle ausstellen. -- Wir verlassen Euch jetzt
auf einige Stunden, denn wahrhaftig, wir brauchen Schlaf, und nach den
Anstrengungen dieser Nacht werdet Ihr ihn auch nötig haben. Nachher
laßt uns im Gespräch unser Unglück auf Augenblicke vergessen oder,
besser noch, auf unsre Flucht denken.«

Sie gingen; Felix blieb allein zurück und versuchte, dem Rat des Jägers
zu folgen.

Als nach einigen Stunden der Jäger mit dem Studenten zurückkam, fand
er seinen jungen Freund gestärkter und munterer als zuvor. Er erzählte
dem Goldschmied, daß ihm der Hauptmann alle Sorgfalt für die Dame
empfohlen habe, und in wenigen Minuten werde eins der Weiber, die sie
unter den Hütten gesehen hatten, der gnädigen Gräfin Kaffee bringen und
ihre Dienste zur Aufwartung anbieten. Sie beschlossen, um ungestört
zu sein, diese Gefälligkeit nicht anzunehmen, und als das alte,
häßliche Zigeunerweib kam, das Frühstück vorsetzte und mit grinsender
Freundlichkeit fragte, ob sie nicht sonst noch zu Diensten sein könnte,
winkte ihr Felix zu gehen, und als sie noch zauderte, scheuchte sie
der Jäger aus der Hütte. Der Student erzählte dann weiter, was sie
sonst noch von dem Lager der Räuber gesehen. »Die Hütte, die Ihr
bewohnt, schönste Frau Gräfin,« sprach er, »scheint ursprünglich für
den Hauptmann bestimmt. Sie ist nicht so geräumig, aber schöner als die
übrigen. Außer dieser sind noch sechs andere da, in welchen die Weiber
und Kinder wohnen, denn von den Räubern sind selten mehr als sechs zu
Hause. Einer steht nicht weit von dieser Hütte Wache, der andere unten
am Weg in der Höhe, und ein dritter hat den Lauerposten oben am Eingang
in die Schlucht. Von zwei Stunden zu zwei Stunden werden sie von den
übrigen abgelöst. Jeder hat überdies zwei große Hunde neben sich
liegen, und sie alle sind so wachsam, daß man keinen Fuß aus der Hütte
setzen kann, ohne daß sie anschlagen. Ich habe keine Hoffnung, daß wir
uns durchstehlen können.«

»Machet mich nicht traurig, ich bin nach dem Schlummer mutiger
geworden,« entgegnete Felix, »gebet nicht alle Hoffnung auf, und
fürchtet Ihr Verrat, so lasset uns lieber jetzt von etwas anderem reden
und nicht lange voraus schon kummervoll sein. Herr Student, in der
Schenke habt Ihr angefangen, etwas zu erzählen, fahrt jetzt fort, denn
wir haben Zeit zum Plaudern.«

»Kann ich mich doch kaum erinnern, was es war,« antwortete der junge
Mann.

»Ihr erzähltet die Sage von dem _kalten Herzen_ und seid stehen
geblieben, wie der Wirt und der andere Spieler den Kohlenpeter aus der
Türe warfen.«

»Gut, jetzt entsinne ich mich wieder,« entgegnete er, »nun, wenn Ihr
weiter hören wollet, will ich fortfahren.«



Das kalte Herz.

Zweite Abteilung.


Als Peter am Montag morgen in seine Glashütte ging, da waren nicht
nur seine Arbeiter da, sondern auch andere Leute, die man nicht gerne
sieht, nämlich der Amtmann und drei Gerichtsdiener. Der Amtmann
wünschte Petern einen guten Morgen, fragte, wie er geschlafen, und zog
dann ein langes Register heraus, und darauf waren Peters Gläubiger
verzeichnet. »Könnt Ihr zahlen oder nicht?« fragte der Amtmann mit
strengem Blick. »Und macht es nur kurz, denn ich habe nicht viel
Zeit zu versäumen, und in den Turm ist es drei gute Stunden.« Da
verzagte Peter, gestand, daß er nichts mehr habe, und überließ es dem
Amtmann, Haus und Hof, Hütte und Stall, Wagen und Pferde zu schätzen;
und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen und prüften
und schätzten, dachte er, bis zum Tannenbühl ist's nicht weit; hat
mir der _Kleine_ nichts geholfen, so will ich es einmal mit dem
_Großen_ versuchen. Er lief dem Tannenbühl zu, so schnell, als ob die
Gerichtsdiener ihm auf den Fersen wären; es war ihm, als er an dem
Platz vorbeirannte, wo er das Glasmännlein zuerst gesprochen, als halte
ihn eine unsichtbare Hand auf, aber er riß sich los und lief weiter,
bis an die Grenze, die er sich früher wohl gemerkt hatte, und kaum
hatte er, beinahe atemlos: »Holländer Michel! Herr Holländer Michel!«
gerufen, als auch schon der riesengroße Flößer mit seiner Stange vor
ihm stand.

»Kommst du?« sprach dieser lachend. »Haben sie dir die Haut abziehen
und deinen Gläubigern verkaufen wollen? Nu, sei ruhig; dein ganzer
Jammer kommt, wie gesagt, von dem kleinen Glasmännlein, von dem
Separatisten und Frömmler her. Wenn man schenkt, muß man gleich recht
schenken, und nicht wie dieser Knauser. Doch komm,« fuhr er fort und
wandte sich gegen den Wald, »folge mir in mein Haus, dort wollen wir
sehen, ob wir handelseinig werden.«

»Handelseinig?« dachte Peter. »Was kann er denn von mir verlangen, was
kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen, oder was will
er?« Sie gingen zuerst über einen steilen Waldsteig hinan und standen
dann mit einemmale an einer dunkeln, tiefen, abschüssigen Schlucht;
Holländer Michel sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte
Marmortreppe wäre; aber bald wäre Peter in Ohnmacht gesunken, denn als
jener unten angekommen war, machte er sich so groß wie ein Kirchturm
und reichte ihm einen Arm, so lang als ein Weberbaum, und eine Hand
daran, so breit als der Tisch im Wirtshaus, und rief mit einer Stimme,
die herauf schallte wie eine tiefe Totenglocke: »Setz' dich nur auf
meine Hand und halte dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen.«
Peter tat zitternd, wie jener befohlen, nahm Platz auf der Hand und
hielt sich am Daumen des Riesen.

Es ging weit und tief hinab, aber dennoch ward es zu Peters
Verwunderung nicht dunkler; im Gegenteil, die Tageshelle schien sogar
zuzunehmen in der Schlucht, aber er konnte sie lange in den Augen nicht
ertragen. Der Holländer Michel hatte sich, je weiter Peter herabkam,
wieder kleiner gemacht und stand nun in seiner früheren Gestalt
vor einem Haus, so gering oder gut, als es reiche Bauern auf dem
Schwarzwald haben. Die Stube, worein Peter geführt wurde, unterschied
sich durch nichts von den Stuben anderer Leute als dadurch, daß sie
einsam schien.

Die hölzerne Wanduhr, der ungeheure Kachelofen, die breiten Bänke, die
Gerätschaften auf den Gesimsen waren hier wie überall. Michel wies ihm
einen Platz hinter dem großen Tisch an, ging dann hinaus und kam bald
mit einem Krug Wein und Gläsern wieder. Er goß ein, und nun schwatzten
sie, und Holländer Michel erzählte von den Freuden der Welt, von
fremden Ländern, schönen Städten und Flüssen, daß Peter, am Ende große
Sehnsucht danach bekommend, dies auch offen dem Holländer sagte.

»Wenn du im ganzen Körper Mut und Kraft, etwas zu unternehmen, hattest,
da konnten ein paar Schläge des dummen Herzens dich zittern machen;
und dann die Kränkungen der Ehre, das Unglück, für was soll sich
ein vernünftiger Kerl um dergleichen bekümmern? Hast du's im Kopf
empfunden, als dich letzthin einer einen Betrüger und schlechten Kerl
nannte? Hat es dir im Magen wehe getan, als der Amtmann kam, dich aus
dem Hause zu werfen? Was, sag' an, was hat dir wehe getan?«

»Mein Herz,« sprach Peter, indem er die Hand auf die pochende Brust
preßte; denn es war ihm, als ob sein Herz sich ängstlich hin und her
wendete.

»Du hast, nimm mir es nicht übel, du hast viele hundert Gulden an
schlechte Bettler und anderes Gesindel weggeworfen; was hat es
dir genützt? Sie haben dir dafür Segen und einen gesunden Leib
gewünscht; ja, bist du deswegen gesünder geworden? Um die Hälfte des
verschleuderten Geldes hättest du einen Arzt gehalten. Segen, ja, ein
schöner Segen, wenn man ausgepfändet und ausgestoßen wird! Und was war
es, das dich getrieben, in die Tasche zu fahren, so oft ein Bettelmann
seinen zerlumpten Hut hinstreckte? -- Dein Herz, auch wieder dein Herz,
und weder deine Augen, noch deine Zunge, deine Arme, noch deine Beine,
sondern dein Herz; du hast dir es, wie man richtig sagt, zu sehr zu
Herzen genommen.«

»Aber wie kann man sich denn angewöhnen, daß es nicht mehr so ist? Ich
gebe mir jetzt alle Mühe, es zu unterdrücken, und dennoch pocht mein
Herz und tut mir wehe.«

»Du, freilich,« rief jener mit Lachen, »du, armer Schelm, kannst nichts
dagegen tun; aber gib mir das kaum pochende Ding, und du wirst sehen,
wie gut du es dann hast.«

»Euch? mein Herz?« schrie der Peter mit Entsetzen. »Da müßte ich ja
sterben auf der Stelle! Nimmermehr!«

»Ja, wenn dir einer eurer Herren Chirurgen das Herz aus dem Leib
operieren wollte, da müßtest du wohl sterben; bei mir ist dies ein
anderes Ding; doch komm herein und überzeuge dich selbst.« Er stand bei
diesen Worten auf, öffnete eine Kammertüre und führte Peter hinein.
Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als er über die Schwelle trat,
aber er achtete es nicht, denn der Anblick, der sich ihm bot, war
sonderbar und überraschend. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen
Gläser mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, und in jedem dieser
Gläser lag ein Herz, auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt
und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las; da war das
Herz des Amtmanns in F., das Herz des dicken Ezechiel, das Herz des
Tanzbodenkönigs, das Herz des Oberförsters; da waren sechs Herzen
von Kornwucherern, acht von Werbe-Offizieren, drei von Geldmäklern --
kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgegend von
zwanzig Stunden.

»Schau'!« sprach Holländer Michel, »diese alle haben des Lebens Aengste
und Sorgen weggeworfen; keines dieser Herzen schlägt mehr ängstlich und
besorgt, und ihre ehemaligen Besitzer befinden sich wohl dabei, daß sie
den unruhigen Gast aus dem Hause haben.«

»Aber was tragen sie denn jetzt dafür in der Brust?« fragte Peter, den
dies alles, was er gesehen, beinahe schwindeln machte.

»Dies,« antwortete jener und reichte ihm aus einem Schubfach -- ein
steinernes Herz.

»So?« erwiderte er und konnte sich eines Schauers, der ihm über die
Haut ging, nicht erwehren. »Ein Herz von Marmelstein? Aber, horch'
einmal, Herr Holländer Michel, das muß doch gar kalt sein in der Brust.«

»Freilich, aber ganz angenehm kühl. Warum soll denn ein Herz warm sein?
Im Winter nützt dir die Wärme nichts, da hilft ein guter Kirschgeist
mehr als ein warmes Herz, und im Sommer, wenn alles schwül und heiß
ist, -- du glaubst nicht, wie dann solch ein Herz abkühlt. Und, wie
gesagt, weder Angst noch Schrecken, weder törichtes Mitleiden noch
anderer Jammer pocht an solch ein Herz.«

»Und das ist alles, was Ihr mir geben könnet,« fragte Peter unmutig,
»ich hoff' auf Geld, und Ihr wollet mir einen Stein geben!«

»Nu, ich denke, an hunderttausend Gulden hättest du fürs erste genug.
Wenn du es geschickt umtreibst, kannst du bald ein Millionär werden.«

»Hunderttausend?« rief der arme Köhler freudig. »Nun, so poche doch
nicht so ungestüm in meiner Brust, wir werden bald fertig sein
miteinander. Gut, Michel; gebt mir den Stein und das Geld, und die
Unruhe könnet Ihr aus dem Gehäuse nehmen.«

»Ich dachte es doch, daß du ein vernünftiger Bursche seiest,«
antwortete der Holländer freundlich lächelnd; »komm, laß uns noch eins
trinken, und dann will ich das Geld auszahlen.«

So setzten sie sich wieder in die Stube zum Wein, tranken und tranken
wieder, bis Peter in einen tiefen Schlaf verfiel.

Kohlenmunkpeter erwachte beim fröhlichen Schmettern eines Posthorns,
und siehe da, er saß in einem schönen Wagen, fuhr auf einer breiten
Straße dahin, und als er sich aus dem Wagen bog, sah er in blauer Ferne
hinter sich den Schwarzwald liegen. Anfänglich wollte er gar nicht
glauben, daß er es selbst sei, der in diesem Wagen sitze. Denn auch
seine Kleider waren gar nicht mehr dieselben, die er gestern getragen,
aber er erinnerte sich doch an alles so deutlich, daß er endlich sein
Nachsinnen aufgab und rief: »Der Kohlenmunkpeter bin ich, das ist
ausgemacht, und kein anderer.«

Er wunderte sich über sich selbst, daß er gar nicht wehmütig werden
konnte, als er jetzt zum erstenmal aus der stillen Heimat, aus den
Wäldern, wo er so lange gelebt, auszog. Selbst nicht, als er an seine
Mutter dachte, die jetzt wohl hilflos und im Elend saß, konnte er eine
Träne aus dem Auge pressen oder nur seufzen; denn es war ihm alles so
gleichgültig. »Ach, freilich,« sagte er dann, »Tränen und Seufzer,
Heimweh und Wehmut kommen ja aus dem Herzen, und Dank dem Holländer
Michel, -- das meine ist kalt und von Stein.«

Er legte seine Hand auf die Brust, und es war ganz ruhig dort und
rührte sich nichts. »Wenn er mit den Hunderttausenden so gut Wort hielt
wie mit dem Herzen, so soll es mich freuen,« sprach er, und fing an,
seinen Wagen zu untersuchen. Er fand Kleidungsstücke von aller Art,
wie er sie nur wünschen konnte, aber kein Geld. Endlich stieß er auf
eine Tasche und fand viele tausend Taler in Gold und Scheinen auf
Handlungshäuser in allen großen Städten. »Jetzt hab' ich's, wie ich's
wollte,« dachte er, setzte sich bequem in die Ecke des Wagens und fuhr
in die weite Welt.

Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher und schaute aus seinem Wagen links
und rechts an den Häusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nichts als
das Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt umher und ließ
sich die schönsten Merkwürdigkeiten zeigen. Aber es freute ihn nichts,
kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz, sein Herz von Stein nahm
an nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft für
alles Schöne. Nichts war ihm mehr geblieben als die Freude an Essen und
Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne Zweck durch die
Welt reiste, zu seiner Unterhaltung speiste und aus Langweile schlief.
Hie und da erinnerte er sich zwar, daß er fröhlicher, glücklicher
gewesen sei, als er noch arm war und arbeiten mußte, um sein Leben zu
fristen. Da hatte ihn jede schöne Aussicht ins Tal, Musik und Gesang
hatten ihn ergötzt, da hatte er sich stundenlang auf die einfache Kost,
die ihm die Mutter zu dem Meiler bringen sollte, gefreut. Wenn er so
über die Vergangenheit nachdachte, so kam es ihm ganz sonderbar vor,
daß er jetzt nicht einmal lachen konnte, und sonst hatte er über den
kleinsten Scherz gelacht. Wenn andere lachten, so verzog er nur aus
Höflichkeit den Mund, aber sein Herz -- lächelte nicht mit. Er fühlte
dann, daß er zwar überaus ruhig sei, aber zufrieden fühlte er sich
doch nicht. Es war nicht Heimweh oder Wehmut, sondern Oede, Ueberdruß,
freudenloses Leben, was ihn endlich wieder zur Heimat trieb.

Als er von Straßburg herüberfuhr und den dunkeln Wald seiner Heimat
erblickte, als er zum erstenmal wieder jene kräftigen Gestalten, jene
freundlichen, treuen Gesichter der Schwarzwälder sah, als sein Ohr die
heimatlichen Klänge, stark, tief, aber wohltönend, vernahm, da fühlte
er schnell an sein Herz, denn sein Blut wallte stärker, und er glaubte,
er müsse sich freuen und müsse weinen zugleich, aber -- wie konnte er
nur so töricht sein, er hatte ja ein Herz von Stein. Und Steine sind
tot und lächeln und weinen nicht.

Sein erster Gang war zum Holländer Michel, der ihn mit alter
Freundlichkeit aufnahm. »Michel,« sagte er zu ihm, »gereist bin ich
nun und habe alles gesehen, ist aber alles dummes Zeug, und ich hatte
nur Langeweile. Ueberhaupt, Euer steinernes Ding, das ich in der Brust
trage, schützt mich zwar vor manchem. Ich erzürne mich nie, bin nie
traurig, aber ich freue mich auch nie, und es ist mir, als wenn ich
nur halb lebte. Könnet Ihr das Steinherz nicht ein wenig beweglicher
machen? oder -- gebt mir lieber mein altes Herz. Ich hatte mich in
fünfundzwanzig Jahren daran gewöhnt, und wenn es zuweilen auch einen
dummen Streich machte, so war es doch munter und ein fröhliches Herz.«

Der Waldgeist lachte grimmig und bitter. »Wenn du einmal tot bist,
Peter Munk,« antwortete er, »dann soll es dir nicht fehlen; dann
sollst du dein weiches rührbares Herz wiederhaben, und du kannst dann
fühlen, was kommt, Freud' oder Leid. Aber hier oben kann es nicht
mehr dein werden! Doch, Peter! gereist bist du wohl, aber so wie du
lebtest, konnte es dir nichts nützen. Setze dich jetzt hier irgendwo
im Wald, bau' ein Haus, heirate, treibe dein Vermögen um, es hat dir
nur an Arbeit gefehlt, weil du müßig warest, hattest du Langeweile,
und schiebst jetzt alles auf dieses unschuldige Herz.« Peter sah ein,
daß Michel recht habe, was den Müßiggang beträfe, und nahm sich vor,
reich und immer reicher zu werden. Michel schenkte ihm noch einmal
hunderttausend Gulden und entließ ihn als seinen guten Freund.

Bald vernahm man im Schwarzwald die Märe, der Kohlenmunkpeter oder
Spielpeter sei wieder da, und noch viel reicher als zuvor. Es ging
auch jetzt wie immer; als er am Bettelstab war, wurde er in der Sonne
zur Türe hinausgeworfen, und als er jetzt an einem Sonntag nachmittag
seinen ersten Einzug dort hielt, schüttelten sie ihm die Hand, lobten
sein Pferd, fragten nach seiner Reise, und als er wieder mit dem
dicken Ezechiel um harte Taler spielte, stand er in der Achtung so
hoch als je. Er trieb jetzt aber nicht mehr das Glashandwerk, sondern
den Holzhandel, aber nur zum Schein. Sein Hauptgeschäft war, mit Korn
und Geld zu handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach
schuldig, aber er lieh Geld nur auf zehn Prozente aus oder verkaufte
Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen konnten, um den dreifachen
Wert. Mit dem Amtmann stand er jetzt in enger Freundschaft, und wenn
einer Herrn Peter Munk nicht auf den Tag bezahlte, so ritt der Amtmann
mit seinen Schergen hinaus, schätzte Haus und Hof, verkaufte es flugs
und trieb Vater, Mutter und Kind in den Wald. Anfangs machte dies dem
reichen Peter einige Unlust, denn die armen Ausgepfändeten belagerten
dann haufenweise seine Türe, die Männer flehten um Nachsicht, die
Weiber suchten das steinerne Herz zu erweichen, und die Kinder
winselten um ein Stücklein Brot. Aber als er sich ein paar tüchtige
Fleischerhunde angeschafft hatte, hörte diese Katzenmusik, wie er es
nannte, bald auf. Er pfiff und hetzte, und die Bettelleute flogen
schreiend auseinander. Am meisten Beschwerde machte ihm das »alte
Weib«. Das war aber niemand anders als Frau Munkin, Peters Mutter.
Sie war in Not und Elend geraten, als man ihr Haus und Hof verkauft
hatte, und ihr Sohn, als er reich zurückgekehrt war, hatte sich nicht
mehr nach ihr umgesehen. Da kam sie nun zuweilen, alt, schwach und
gebrechlich, an einem Stock, vor das Haus. Hinein wagte sie sich
nimmer, denn er hatte sie einmal weggejagt; aber es tat ihr wehe, von
den Guttaten anderer Menschen leben zu müssen, da der eigene Sohn ihr
ein sorgloses Alter hätte bereiten können. Aber das kalte Herz wurde
nimmer gerührt von dem Anblicke der bleichen, wohlbekannten Züge, von
den bittenden Blicken, von der welken, ausgestreckten Hand, von der
hinfälligen Gestalt. Mürrisch zog er, wenn sie Sonnabends an die Tür
pochte, einen Sechsbätzner hervor, schlug ihn in ein Papier und ließ
ihn hinausreichen durch einen Knecht. Er vernahm ihre zitternde Stimme,
wenn sie dankte und wünschte, es möge ihm wohlgehen auf Erden, er hörte
sie hüstelnd vor der Türe schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr
daran, als daß er wieder sechs Batzen umsonst ausgegeben.

Endlich kam Peter auf den Gedanken, zu heiraten. Er wußte, daß im
ganzen Schwarzwald jeder Vater ihm gerne seine Tochter geben werde;
aber er war schwierig in seiner Wahl, denn er wollte, daß man auch
hierin sein Glück und seinen Verstand preisen sollte; daher ritt
er umher im ganzen Wald, schaute hier, schaute dort, und keine der
schönen Schwarzwälderinnen deuchte ihm schön genug. Endlich, nachdem
er auf allen Tanzböden umsonst nach der Schönsten ausgeschaut hatte,
hörte er eines Tages, die Schönste und Tugendsamste im ganzen Wald sei
eines armen Holzhauers Tochter. Sie lebe still und für sich, besorge
geschickt und emsig ihres Vaters Haus und lasse sich nie auf dem
Tanzboden sehen, nicht einmal zu Pfingsten oder Kirmes. Als Peter von
diesem Wunder des Schwarzwaldes hörte, beschloß er, um sie zu werben,
und ritt nach der Hütte, die man ihm bezeichnet hatte. Der Vater der
schönen Lisbeth empfing den vornehmen Herrn mit Staunen und erstaunte
noch mehr, als er hörte, es sei dies der reiche Herr Peter, und er
wolle sein Schwiegersohn werden. Er besann sich auch nicht lange,
denn er meinte, all seine Sorge und Armut werde nun ein Ende haben,
sagte zu, ohne die schöne Lisbeth zu fragen, und das gute Kind war so
folgsam, daß sie ohne Widerrede Frau Peter Munkin wurde.

Aber es wurde der Armen nicht so gut, als sie sich geträumt hatte.
Sie glaubte, ihr Hauswesen wohl zu verstehen, aber sie konnte Herrn
Peter nichts zu Dank machen, sie hatte Mitleiden mit armen Leuten,
und da ihr Eheherr reich war, dachte sie, es sei keine Sünde, einem
armen Bettelweib einen Pfennig oder einem alten Mann einen Schnaps zu
reichen; aber als Herr Peter dies eines Tages merkte, sprach er mit
zürnenden Blicken und rauher Stimme: »Warum verschleuderst du mein
Vermögen an Lumpen und Straßenläufer? Hast du was mitgebracht ins Haus,
das du wegschenken könntest? Mit deines Vaters Bettelstab kann man
keine Suppe wärmen, und wirfst das Geld aus wie eine Fürstin. Noch
einmal laß dich betreten, so sollst du meine Hand fühlen!« Die schöne
Lisbeth weinte in ihrer Kammer über den harten Sinn ihres Mannes,
und sie wünschte oft, lieber heim zu sein in ihres Vaters ärmlicher
Hütte, als bei dem reichen, aber geizigen, hartherzigen Peter zu
hausen. Ach, hätte sie gewußt, daß er ein Herz von Marmor habe und
weder sie noch irgend einen Menschen lieben könnte, so hätte sie sich
wohl nicht gewundert. So oft sie aber jetzt unter der Türe saß und es
ging ein Bettelmann vorüber und zog den Hut und hub an seinen Spruch,
so drückte sie die Augen zu, das Elend nicht zu schauen, sie ballte
die Hand fester, damit sie nicht unwillkürlich in die Tasche fahre,
ein Kreuzerlein herauszulangen. So kam es, daß die schöne Lisbeth im
ganzen Wald verschrieen wurde, und es hieß, sie sei noch geiziger als
Peter Munk. Aber eines Tages saß Frau Lisbeth wieder vor dem Haus und
spann und murmelte ein Liedchen dazu; denn sie war munter, weil es
schön Wetter und Herr Peter ausgeritten war über Feld. Da kommt ein
altes Männlein des Weges daher, der trägt einen großen, schweren Sack,
und sie hört ihn schon von weitem keuchen. Teilnehmend sieht ihm Frau
Lisbeth zu und denkt, einem so alten kleinen Mann sollte man nicht mehr
so schwer aufladen.

Indes keucht und wankt das Männlein heran, und als es gegenüber von
Frau Lisbeth war, brach es unter dem Sack beinahe zusammen. »Ach, habt
die Barmherzigkeit, Frau, und reichet mir nur einen Trunk Wasser,«
sprach das Männlein; »ich kann nicht weiter, muß elend verschmachten.«

»Aber Ihr solltet in Eurem Alter nicht mehr so schwer tragen,« sagte
Frau Lisbeth.

»Ja, wenn ich nicht Boten gehen müßte, der Armut halber und um mein
Leben zu fristen,« antwortete er; »ach, so eine reiche Frau, wie Ihr,
wißt nicht, wie wehe Armut tut, und wie wohl ein frischer Trunk bei
solcher Hitze.«

Als sie dies hörte, eilte sie ins Haus, nahm einen Krug vom Gesims
und füllte ihn mit Wasser; doch als sie zurückkehrte und nur noch
wenige Schritte von ihm war und das Männlein sah, wie es so elend und
verkümmert auf dem Sack saß, da fühlte sie inniges Mitleid, bedachte,
daß ja ihr Mann nicht zu Hause sei, und so stellte sie den Wasserkrug
beiseite, nahm einen Becher und füllte ihn mit Wein, legte ein gutes
Roggenbrot darauf und brachte es dem Alten. »So, und ein Schluck Wein
mag Euch besser frommen als Wasser, da Ihr schon so gar alt seid,«
sprach sie; »aber trinket nicht so hastig und esset auch Brot dazu.«

Das Männlein sah sie staunend an, bis große Tränen in seinen alten
Augen standen, er trank und sprach dann: »Ich bin alt geworden, aber
ich hab' wenig Menschen gesehen, die so mitleidig wären und ihre Gaben
so schön und herzig zu spenden wußten wie Ihr, Frau Lisbeth. Aber es
wird Euch dafür auch recht wohl gehen auf Erden; solch ein Herz bleibt
nicht unbelohnt.«

»Nein, und den Lohn soll sie zur Stelle haben,« schrie eine
schreckliche Stimme, und als sie sich umsahen, war es Herr Peter mit
blutrotem Gesicht.

»Und sogar meinen Ehrenwein gießest du aus an Bettelleute, und meinen
Mundbecher gibst du an die Lippen der Straßenläufer? Da! nimm deinen
Lohn!« Frau Lisbeth stürzte zu seinen Füßen und bat um Verzeihung, aber
das steinerne Herz hatte kein Mitleid, er drehte die Peitsche um, die
er in der Hand hielt, und schlug sie mit dem Handgriff von Ebenholz
so heftig vor die schöne Stirne, daß sie leblos dem alten Mann in die
Arme sank. Als er dies sah, war es doch, als reute ihn die Tat auf der
Stelle; er bückte sich herab, zu schauen, ob noch Leben in ihr sei,
aber das Männlein sprach mit wohlbekannter Stimme: »Gib dir keine Mühe,
Kohlenpeter; es war die schönste und lieblichste Blume im Schwarzwald,
aber du hast sie zertreten, und nie mehr wird sie wieder blühen.«

Da wich alles Blut aus Peters Wangen, und er sprach: »Also Ihr seid es,
Herr Schatzhauser? Nun, was geschehen ist, ist geschehen, und es hat
wohl so kommen müssen. Ich hoffe aber, Ihr werdet mich nicht bei dem
Gericht anzeigen als Mörder.«

»Elender!« erwiderte das Glasmännlein. »Was würde es mir frommen,
wenn ich deine sterbliche Hülle an den Galgen brächte? Nicht irdische
Gerichte sind es, die du zu fürchten hast, sondern andere und
strengere; denn du hast deine Seele an den Bösen verkauft.«

»Und hab ich mein Herz verkauft,« schrie Peter, »so ist niemand daran
schuld als du und deine betrügerischen Schätze; du tückischer Geist
hast mich ins Verderben geführt, mich getrieben, daß ich bei einem
andern Hilfe suchte, und auf dir liegt die ganze Verantwortung.« Aber
kaum hatte er dies gesagt, so wuchs und schwoll das Glasmännlein und
wurde hoch und breit, und seine Augen sollen so groß gewesen sein
wie Suppenteller, und sein Mund war wie ein geheizter Backofen, und
Flammen blitzten daraus hervor. Peter warf sich auf die Kniee, und sein
steinernes Herz schützte ihn nicht, daß nicht seine Glieder zitterten
wie eine Espe. Mit Geierskrallen packte ihn der Waldgeist im Nacken,
drehte ihn um, wie ein Wirbelwind dürres Laub, und warf ihn dann zu
Boden, daß ihm alle Rippen knackten. »Erdenwurm!« rief er mit einer
Stimme, die wie der Donner rollte; »ich könnte dich zerschmettern, wenn
ich wollte, denn du hast gegen den Herrn des Waldes gefrevelt. Aber um
dieses toten Weibes willen, die mich gespeist und getränkt hat, gebe
ich dir acht Tage Frist. Bekehrst du dich nicht zum Guten, so komme ich
und zermalme dein Gebein, und du fährst hin in deinen Sünden.«

Es war schon Abend, als einige Männer, die vorbeigingen, den reichen
Peter Munk an der Erde liegen sahen. Sie wandten ihn hin und her und
suchten, ob noch Atem in ihm sei, aber lange war ihr Suchen vergebens.
Endlich ging einer in das Haus und brachte Wasser herbei und besprengte
ihn. Da holte Peter tief Atem, stöhnte und schlug die Augen auf,
schaute lange um sich her und fragte dann nach Frau Lisbeth, aber
keiner hatte sie gesehen. Er dankte den Männern für ihre Hilfe, schlich
sich in sein Haus und schaute sich um, aber Frau Lisbeth war weder im
Keller noch auf dem Boden, und das, was er für einen schrecklichen
Traum gehalten, war bittere Wahrheit. Wie er nun so ganz allein war, da
kamen ihm sonderbare Gedanken; er fürchtete sich vor nichts, denn sein
Herz war ja kalt; aber wenn er an den Tod seiner Frau dachte, kam ihm
sein eigenes Hinscheiden in den Sinn, und wie belastet er dahinfahren
werde, schwer belastet mit Tränen der Armen, mit tausend ihrer Flüche,
die sein Herz nicht erweichen konnten, mit dem Jammer der Elenden,
auf die er seine Hunde gehetzt, belastet mit der stillen Verzweiflung
seiner Mutter, mit dem Blute der schönen guten Lisbeth; und konnte er
doch nicht einmal dem alten Mann, ihrem Vater, Rechenschaft geben,
wenn er käme und fragte: »Wo ist meine Tochter, dein Weib?« Wie wollte
er einem andern Frage stehen, dem alle Wälder, alle Seen, alle Berge
gehören, und die Leben der Menschen?

Es quälte ihn auch nachts im Traume, und alle Augenblicke wachte er
auf an einer süßen Stimme, die ihm zurief: »Peter, schaff' dir ein
wärmeres Herz!« Und wenn er erwacht war, schloß er doch schnell wieder
die Augen, denn der Stimme nach mußte es Frau Lisbeth sein, die ihm
diese Warnung zurief. Den andern Tag ging er ins Wirtshaus, um seine
Gedanken zu zerstreuen, und dort traf er den dicken Ezechiel. Er setzte
sich zu ihm, sie sprachen dies und jenes vom schönen Wetter, vom Krieg,
von den Steuern und endlich auch vom Tod, und wie da und dort einer so
schnell gestorben sei. Da fragte Peter den Dicken, was er denn vom Tode
halte, und wie es nachher sein werde. Ezechiel antwortete ihm, daß man
den Leib begrabe, die Seele aber fahre entweder auf zum Himmel oder
hinab in die Hölle.

»Also begräbt man das Herz auch?« fragte Peter gespannt.

»Ei freilich, das wird auch begraben.«

»Wenn aber einer sein Herz nicht mehr hat?« fuhr Peter fort.

Ezechiel sah ihn bei diesen Worten schrecklich an. »Was willst du damit
sagen? Willst du mich foppen? Meinst du, ich habe kein Herz?«

»O, Herz genug, so fest wie Stein,« erwiderte Peter.

Ezechiel sah ihn verwundert an, schaute sich um, ob es niemand gehört
habe, und sprach dann: »Woher weißt du es? Oder pocht vielleicht das
deinige auch nicht mehr?«

»Pocht nicht mehr, wenigstens nicht hier in meiner Brust!« antwortete
Peter Munk. »Aber sag' mir, da du jetzt weißt, was ich meine, wie wird
es gehen mit _unseren_ Herzen?«

»Was kümmert dich dies, Gesell?« fragte Ezechiel lachend. »Hast ja auf
Erden vollauf zu leben, und damit genug. Das ist ja gerade das Bequeme
in unsern kalten Herzen, daß uns keine Furcht befällt vor solchen
Gedanken.«

»Wohl wahr, aber man denkt doch daran, und wenn ich auch jetzt keine
Furcht mehr kenne, so weiß ich doch wohl noch, wie sehr ich mich vor
der Hölle gefürchtet, als ich noch ein kleiner unschuldiger Knabe war.«

»Nun -- gut wird es uns gerade nicht gehen,« sagte Ezechiel. »Hab' mal
einen Schulmeister darüber gefragt, der sagte mir, daß nach dem Tod
die Herzen gewogen werden, wie schwer sie sich versündiget hätten. Die
leichten steigen auf, die schweren sinken hinab, und ich denke, unsere
Steine werden ein gutes Gewicht haben.«

»Ach freilich,« erwiderte Peter, »und es ist mir oft selbst unbequem,
daß mein Herz so teilnahmlos und ganz gleichgültig ist, wenn ich an
solche Dinge denke.«

So sprachen sie; aber in der nächsten Nacht hörte er fünf oder
sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: »Peter, schaff' dir
ein wärmeres Herz!« Er empfand keine Reue, daß er sie getötet, aber
wenn er dem Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er immer
dabei: »Wohin mag sie wohl gereist sein?« Sechs Tage hatte er es so
getrieben, und immer hörte er nachts diese Stimme, und immer dachte
er an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung; aber am siebenten
Morgen sprang er auf von seinem Lager und rief: »Nun ja, will sehen, ob
ich mir ein wärmeres Herz schaffen kann, denn der gleichgültige Stein
in meiner Brust macht mir das Leben nur langweilig und öde.« Er zog
schnell seinen Sonntagsstaat an und setzte sich auf sein Pferd und ritt
dem Tannenbühl zu.

Im Tannenbühl, wo die Bäume dichter standen, saß er ab, band sein Pferd
an und ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Hügels zu, und als er
vor der dicken Tanne stand, hub er seinen Spruch an:

    »Schatzhauser im grünen Tannenwald,
    Bist viele hundert Jahre alt.
    Dein ist all Land, wo Tannen stehen,
    Läßt dich nur Sonntagskindern sehen.«

Da kam das Glasmännlein hervor, aber nicht freundlich und traulich
wie sonst, sondern düster und traurig; es hatte ein Röcklein an von
schwarzem Glas, und ein langer Trauerflor flatterte herab vom Hut, und
Peter wußte wohl, um wen es traure.

»Was willst du von mir, Peter Munk?« fragte es mit dumpfer Stimme.

»Ich hab' noch einen Wunsch, Herr Schatzhauser,« antwortete Peter mit
niedergeschlagenen Augen.

»Können Steinherzen noch wünschen?« sagte jener. »Du hast alles, was du
für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen
Wunsch erfüllen.«

»Aber Ihr habt mir doch drei Wünsche zugesagt; einen hab' ich immer
noch übrig.«

»Doch kann ich ihn versagen, wenn er töricht ist,« fuhr der Waldgeist
fort; »aber wohlan, ich will hören, was du willst?«

»So nehmet mir den toten Stein heraus und gebet mir mein lebendiges
Herz,« sprach Peter.

»Hab' ich den Handel mit dir gemacht?« fragte das Glasmännlein. »Bin
ich der Holländer Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort,
bei ihm mußt du dein Herz suchen.«

»Ach, er gibt es nimmer zurück,« antwortete Peter.

»Du dauerst mich, so schlecht du auch bist,« sprach das Männlein
nach einigem Nachdenken. »Aber weil dein Wunsch nicht töricht ist,
so kann ich dir wenigstens meine Hilfe nicht versagen. So höre. Dein
Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber durch List,
und es wird vielleicht nicht schwer halten; denn Michel bleibt doch
nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So gehe
denn geradeswegs zu ihm hin und tue, wie ich dir heiße.« Und nun
unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem
Glas: »Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich freilassen,
wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du dann, was
du verlangt hast, erhalten, so komm wieder zu mir an diesen Ort.«

Peter Munk nahm das Kreuzlein, prägte sich alle Worte ins Gedächtnis
und ging weiter nach Holländer Michels Behausung. Er rief dreimal
seinen Namen, und alsobald stand der Riese vor ihm. »Du hast dein
Weib erschlagen?« fragte er ihn mit schrecklichem Lachen. »Hätt' es
auch so gemacht, sie hat dein Vermögen an das Bettelvolk gebracht.
Aber du wirst auf einige Zeit außer Landes gehen müssen, denn es wird
Lärm machen, wenn man sie nicht findet, und du brauchst wohl Geld und
kommst, um es zu holen?«

»Du hast's erraten,« erwiderte Peter, »und nur recht viel diesmal, denn
nach Amerika ist's weit.«

Michel ging voran und brachte ihn in seine Hütte, dort schloß er eine
Truhe auf, worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen Gold heraus.
Während er es so auf den Tisch hinzählte, sprach Peter: »Du bist ein
loser Vogel, Michel, daß du mich belogen hast, ich hätte einen Stein in
der Brust, und du habest mein Herz!«

»Und ist es denn nicht so?« fragte Michel staunend. »Fühlst du denn
dein Herz? Ist es nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram, kann
dich etwas reuen?«

»Du hast mein Herz nur stillestehen lassen, aber ich hab' es noch wie
sonst in meiner Brust und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, daß du
uns angelogen hast; du bist nicht der Mann dazu, der einem das Herz so
unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust reißen könnte; da müßtest du
zaubern können.«

»Aber ich versichere dir,« rief Michel unmutig, »du und Ezechiel und
alle reichen Leute, die es mit mir gehalten, haben solche kalten
Herzen wie du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner Kammer.«

»Ei, wie dir das Lügen von der Zunge geht!« lachte Peter. »Das mach' du
einem andern weis, meinst du, ich hab' auf meinen Reisen nicht solche
Kunststücke zu Dutzenden gesehen? Aus Wachs nachgeahmt sind deine
Herzen hier in der Kammer. Du bist ein reicher Kerl, das geb' ich zu;
aber zaubern kannst du nicht.«

Da ergrimmte der Riese und riß die Kammertüre auf. »Komm herein und
lies die Zettel alle, und jenes dort, schau', das ist Peter Munks Herz;
siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs machen?«

»Und doch ist es aus Wachs,« antwortete Peter. »So schlägt ein rechtes
Herz nicht, ich habe das meinige noch in der Brust. Nein, zaubern
kannst du nicht!«

»Aber ich will es dir beweisen!« rief jener ärgerlich. »Du sollst es
selbst fühlen, daß dies dein Herz ist.« Er nahm es, riß Peters Wams auf
und nahm einen Stein aus seiner Brust und zeigte ihn vor. Dann nahm er
das Herz, hauchte es an und setzte es behutsam an seine Stelle, und
alsobald fühlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich wieder darüber
freuen.

»Wie ist es dir jetzt?« fragte Michel lächelnd.

»Wahrhaftig, du hast doch recht gehabt,« antwortete Peter, indem er
behutsam sein Kreuzlein aus der Tasche zog. »Hätt' ich doch nicht
geglaubt, daß man dergleichen tun könne!«

»Nicht wahr? Und zaubern kann ich, das siehst du! aber komm, jetzt will
ich dir den Stein wieder hineinsetzen.«

»Gemach, Herr Michel!« rief Peter, trat einen Schritt zurück und hielt
ihm das Kreuzlein entgegen. »Mit Speck fängt man Mäuse, und diesmal
bist du der Betrogene.« Und zugleich fing er an zu beten, was ihm nur
beifiel.

Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich
hin und her wie ein Wurm, und ächzte und stöhnte, und alle Herzen
umher fingen an zu zucken und zu pochen, daß es tönte wie in der
Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fürchtete sich, es wurde ihm
ganz unheimlich zumut, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und
klimmte, von Angst getrieben, die Felsenwand hinan; denn er hörte,
daß Michel sich aufraffte, stampfte und tobte und ihm schreckliche
Flüche nachschickte. Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu; ein
schreckliches Wetter zog auf, Blitze fielen links und rechts an ihm
nieder und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten in dem
Revier des Glasmännleins an.

Sein Herz pochte freudig und nur darum, _weil_ es pochte. Dann aber
sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurück, wie auf das Gewitter, das
hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte. Er dachte
an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet, er
kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig,
als er an Glasmännleins Hügel kam.

Schatzhauser saß unter dem Tannenbaum und rauchte aus seiner kleinen
Pfeife, doch sah er munterer aus als zuvor. »Warum weinst du,
Kohlenpeter?« fragte er. »Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch
das kalte in deiner Brust?«

»Ach Herr!« seufzte Peter. »Als ich noch das kalte Steinherz trug, da
weinte ich nie, meine Augen waren so trocken als das Land im Juli;
jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan!
Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die
Hunde gehetzt, und Ihr wißt es ja selbst -- wie meine Peitsche auf ihre
schöne Stirne fiel!«

»Peter! Du warst ein großer Sünder!« sprach das Männlein. »Das Geld und
der Müßiggang haben dich verderbt, bis dein Herz zu Stein wurde, nicht
Freud', nicht Leid, keine Reue, kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue
versöhnt, und wenn ich nur wüßte, daß dir dein Leben recht leid tut, so
könnte ich schon noch was für dich tun.«

»Will nichts mehr,« antwortete Peter und ließ traurig sein Haupt
sinken. »Mit mir ist es aus; kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen;
was soll ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir
nimmer, was ich ihr getan, und vielleicht hab' ich sie unter den Boden
gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth, meine Frau! Schlaget mich lieber
auch tot, Herr Schatzhauser, dann hat mein elend Leben mit einem ein
Ende.«

»Gut,« erwiderte das Männlein, »wenn du nicht anders willst, so kannst
du es haben; meine Axt habe ich bei der Hand.« Er nahm ganz ruhig sein
Pfeiflein aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es ein. Dann stand
er langsam auf und ging hinter die Tannen. Peter aber setzte sich
weinend ins Gras, sein Leben war ihm nichts mehr, und er erwartete
geduldig den Todesstreich. Nach einiger Zeit hörte er leise Tritte
hinter sich und dachte: »Jetzt wird er kommen.«

»Schau' dich noch einmal um, Peter Munk!« rief das Männlein. Er wischte
sich die Tränen aus den Augen und schaute sich um und sah -- seine
Mutter und Lisbeth, seine Frau, die ihn freundlich anblickten. Da
sprang er freudig auf: »So bist du nicht tot, Lisbeth? Und auch Ihr
seid da, Mutter, und habt mir vergeben?«

»Sie wollen dir verzeihen,« sprach das Glasmännlein, »weil du wahre
Reue fühlst, und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines
Vaters Hütte und sei ein Köhler wie zuvor; bist du brav und bieder,
so wirst du dein Handwerk ehren, und deine Nachbarn werden dich mehr
lieben und achten, als wenn du zehn Tonnen Goldes hättest.« So sprach
das Glasmännlein und nahm Abschied von ihnen.

Die drei lobten und segneten ihn und gingen heim.

Das prachtvolle Haus des reichen Peter stand nicht mehr; der Blitz
hatte es angezündet und mit all seinen Schätzen niedergebrannt; aber
nach der väterlichen Hütte war es nicht weit; dorthin ging jetzt ihr
Weg, und der große Verlust bekümmerte sie nicht.

Aber wie staunten sie, als sie an die Hütte kamen! Sie war zu einem
schönen Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber gut und
reinlich.

»Das hat das gute Glasmännlein getan!« rief Peter.

»Wie schön!« sagte Frau Lisbeth. »Und hier ist mir viel heimischer als
in dem großen Hause mit dem vielen Gesinde.«

Von jetzt an wurde Peter Munk ein fleißiger und wackerer Mann. Er war
zufrieden mit dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und
so kam es, daß er durch eigene Kraft wohlhabend wurde und angesehen
und beliebt im ganzen Wald. Er zankte nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte
seine Mutter und gab den Armen, die an seine Türe pochten. Als nach
Jahr und Tag Frau Lisbeth von einem schönen Knaben genas, ging Peter
nach dem Tannenbühl und sagte sein Sprüchlein. Aber das Glasmännlein
zeigte sich nicht. »Herr Schatzhauser!« rief er laut, »hört mich doch;
ich will ja nichts anderes, als Euch zu Gevatter bitten bei meinem
Söhnlein!« Aber er gab keine Antwort; nur ein kurzer Windstoß sauste
durch die Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. »So will
ich dies zum Andenken mitnehmen, weil Ihr Euch doch nicht sehen lassen
wollet,« rief Peter, steckte die Zapfen in die Tasche und ging nach
Hause; aber als er zu Hause das Sonntagswams auszog und seine Mutter
die Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte, da fielen
vier stattliche Geldrollen heraus, und als man sie öffnete, waren es
lauter gute, neue badische Taler, und kein einziger falscher darunter.
Und das war das Patengeschenk des Männleins im Tannenwald für den
kleinen Peter.

So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als
Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: »Es ist doch besser,
zufrieden sein mit wenigem, als Gold und Güter haben, und ein _kaltes
Herz_.«

       *       *       *       *       *

Es mochten schon etwa fünf Tage vergangen sein, während Felix, der
Jäger und der Student noch immer unter den Räubern gefangen saßen. Sie
wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt,
aber dennoch sehnten sie sich nach Befreiung, denn je mehr die Zeit
fortrückte, desto höher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung. Am Abend
des fünften Tages erklärte der Jäger seinen Leidensgenossen, daß er
entschlossen sei, in dieser Nacht loszubrechen, und wenn es ihm auch
das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefährten zum gleichen
Entschluß auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen
könnten. »Den, der uns zunächst steht, nehme ich auf mich; es ist
Notwehr, und Not kennt kein Gebot, er muß sterben.«

»Sterben!« rief Felix entsetzt; »Ihr wollt ihn totschlagen?«

»Das bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei
Menschenleben zu retten. Wisset, daß ich die Räuber mit besorglicher
Miene habe flüstern hören, im Wald werde nach ihnen gestreift, und die
alten Weiber verrieten in ihrem Zorn die böse Absicht der Bande, sie
schimpften auf uns und gaben zu verstehen, wenn die Räuber angegriffen
würden, so müßten wir ohne Gnade sterben.«

»Gott im Himmel!« schrie der Jüngling entsetzt und verbarg sein Gesicht
in die Hände.

»Noch haben sie uns das Messer nicht an die Kehle gesetzt,« fuhr der
Jäger fort; »drum laßt uns ihnen zuvorkommen. Wenn es dunkel ist,
schleiche ich auf die nächste Wache zu; sie wird anrufen, ich werde ihm
zuflüstern, die Gräfin sei plötzlich sehr krank geworden, und indem er
sich umsieht, stoße ich ihn nieder. Dann hole ich Euch ab, junger Mann,
und der zweite kann uns ebensowenig entgehen; und beim dritten haben
wir zu zweit leichtes Spiel.«

Der Jäger sah bei diesen Worten so schrecklich aus, daß Felix sich vor
ihm fürchtete. Er wollte ihn bereden, von diesem blutigen Gedanken
abzustehen, als die Türe der Hütte leise aufging und schnell eine
Gestalt hereinschlüpfte. Es war der Hauptmann. Behutsam schloß er
wieder zu und winkte den Gefangenen, sich ruhig zu verhalten. Er setzte
sich neben Felix nieder und sprach:

»Frau Gräfin, Ihr seid in einer schlimmen Lage. Euer Herr Gemahl hat
nicht Wort gehalten, er hat nicht nur das Lösegeld nicht geschickt,
sondern er hat auch die Regierungen umher aufgeboten; bewaffnete
Mannschaft streift von allen Seiten durch den Wald, um mich und meine
Leute auszuheben. Ich habe Eurem Gemahl gedroht, Euch zu töten, wenn er
Miene mache, uns anzugreifen; doch es muß ihm entweder an Eurem Leben
wenig liegen, oder er traut unsern Schwüren nicht. Euer Leben ist in
unserer Hand, ist nach unsern Gesetzen verwirkt. Was wollet Ihr dagegen
einwenden?«

Bestürzt sahen die Gefangenen vor sich nieder, sie wußten nicht zu
antworten, denn Felix erkannte wohl, daß ihn das Geständnis über seine
Verkleidung nur noch mehr in Gefahr setzen könnte.

»Es ist mir unmöglich,« fuhr der Hauptmann fort, »eine Dame, die meine
vollkommene Achtung hat, also in Gefahr zu setzen. Darum will ich Euch
einen Vorschlag zur Rettung machen, es ist der einzige Ausweg, der Euch
übrig bleibt: _Ich will mit Euch entfliehen._«

Erstaunt, überrascht blickten ihn alle an; er aber sprach weiter: »Die
Mehrzahl meiner Gesellen ist entschlossen, sich nach Italien zu ziehen
und unter einer weitverbreiteten Bande Dienste zu nehmen. Mir für
meinen Teil behagt es nicht, unter einem andern zu dienen, und darum
werde ich keine gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Wenn Ihr mir
nun Euer Wort geben wolltet, Frau Gräfin, für mich gut zu sprechen,
Eure mächtigen Verbindungen zu meinem Schutze anzuwenden, so kann ich
Euch noch frei machen, ehe es zu spät ist.«

Felix schwieg verlegen; sein redliches Herz sträubte sich, den
Mann, der ihm das Leben retten wollte, geflissentlich einer Gefahr
auszusetzen, vor welcher er ihn nachher nicht schützen könnte. Als er
noch immer schwieg, fuhr der Hauptmann fort: »Man sucht gegenwärtig
überall Soldaten; ich will mit dem geringsten Dienst zufrieden sein.
Ich weiß, daß Ihr viel vermöget, aber ich will ja nichts weiter als
Euer Versprechen, etwas für mich in dieser Sache zu tun.«

»Nun denn,« antwortete Felix mit niedergeschlagenen Augen, »ich
verspreche Euch, was _ich_ tun kann, was in _meinen_ Kräften steht,
anzuwenden, um Euch nützlich zu sein. Liegt doch, wie es Euch auch
ergehe, ein Trost für mich darin, daß Ihr diesem Räuberleben Euch
selbst und freiwillig entzogen habt.«

Gerührt küßte der Hauptmann die Hand dieser gütigen Dame, flüsterte ihr
noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereit zu halten,
und verließ dann ebenso vorsichtig, wie er gekommen war, die Hütte.
Die Gefangenen atmeten freier, als er hinweggegangen war. »Wahrlich!«
rief der Jäger, »dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen
wir errettet werden! Hätte ich mir träumen lassen, daß in der Welt noch
etwas dergleichen geschehen könnte, und daß mir ein solches Abenteuer
begegnen sollte?«

»Wunderbar, allerdings!« erwiderte Felix. »Aber habe ich auch recht
getan, diesen Mann zu betrügen? Was kann ihm mein Schutz frommen? Saget
selbst, Jäger, heißt es ihn nicht an den Galgen locken, wenn ich ihm
nicht gestehe, wer ich bin?«

»Ei, wie mögt Ihr solche Skrupel haben, lieber Junge!« entgegnete
der Student, »nachdem Ihr Eure Rolle so meisterhaft gespielt! Nein,
darüber dürft Ihr Euch nicht ängstigen, das ist nichts anderes als
erlaubte Notwehr. Hat er doch den Frevel begangen, eine angesehene Frau
schändlicherweise von der Straße hinwegführen zu wollen, und wäret Ihr
nicht gewesen, wer weiß, wie es um das Leben der Gräfin stünde? Nein,
Ihr habt nicht unrecht getan; übrigens glaube ich, er wird bei den
Gerichten sich einen Stein im Brett gewinnen, wenn er, das Haupt dieses
Gesindels, sich selbst ausliefert.«

Dieser letztere Gedanke tröstete den jungen Goldschmied. Freudig bewegt
und doch wieder voll banger Besorgnis über das Gelingen des Planes
durchlebten sie die nächsten Stunden. Es war schon dunkel, als der
Hauptmann auf einen Augenblick in die Hütte trat, einen Bündel Kleider
niederlegte und sprach: »Frau Gräfin, um unsere Flucht zu erleichtern,
müßt Ihr notwendig diese Männerkleidung anlegen. Machet Euch fertig. In
einer Stunde treten wir den Marsch an.« Nach diesen Worten verließ er
die Gefangenen, und der Jäger hatte Mühe, nicht laut zu lachen. »Das
wäre nun die zweite Verkleidung,« rief er, »und ich wollte schwören,
diese steht Euch noch besser als die erste!«

Sie öffneten das Bündel und fanden ein hübsches Jagdkleid mit allem
Zubehör, das Felix trefflich paßte. Nachdem er sich gerüstet,
wollte der Jäger die Kleider der Gräfin in einen Winkel der Hütte
werfen, Felix gab es aber nicht zu; er legte sie zu einem kleinen
Bündel zusammen und äußerte, er wolle die Gräfin bitten, sie ihm zu
schenken, und sie dann sein ganzes Leben hindurch zum Andenken an diese
merkwürdigen Tage aufbewahren.

Endlich kam der Hauptmann. Er war vollständig bewaffnet und brachte
dem Jäger die Büchse, die man ihm abgenommen, und ein Pulverhorn.
Auch dem Studenten gab er eine Flinte, und Felix reichte er einen
Hirschfänger, mit der Bitte, ihn auf den Fall der Not umzuhängen. Es
war ein Glück für die drei, daß es sehr dunkel war, denn leicht hätten
die leuchtenden Blicke, womit Felix diese Waffe empfing, dem Räuber
seinen wahren Stand verraten können. Als sie behutsam aus der Hütte
getreten waren, bemerkte der Jäger, daß der gewöhnliche Posten an der
Hütte diesmal nicht besetzt sei. So war es möglich, daß sie unbemerkt
an den Hütten vorbeischleichen konnten, doch schlug der Hauptmann
nicht den gewöhnlichen Pfad ein, der aus der Schlucht in den Wald
hinaufführte, sondern er näherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht
und, wie es schien, unzugänglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen
waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an
dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Büchse auf den Rücken und
stieg zuerst hinan, dann rief er der Gräfin zu, ihm zu folgen, und bot
ihr die Hand zur Hilfe, der Jäger stieg zuletzt herauf. Hinter diesem
Felsen zeigte sich ein Fußpfad, den sie einschlugen und rasch vorwärts
gingen.

»Dieser Fußpfad,« sprach der Hauptmann, »führt nach der Aschaffenburger
Straße. Dorthin wollen wir uns begeben, denn ich habe genau erfahren,
daß Ihr Gemahl, der Graf, sich gegenwärtig dort aufhält.«

Schweigend zogen sie weiter, der Räuber immer voran, die drei andern
dicht hinter ihm. Nach drei Stunden hielten sie an; der Hauptmann lud
Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen, um auszuruhen. Er zog
Brot, eine Feldflasche mit altem Wein hervor und bot es den Ermüdeten
an. »Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf den Kordon
stoßen, den das Militär durch den Wald gezogen hat. In diesem Fall
bitte ich Sie, mit dem Anführer der Soldaten zu sprechen und gute
Behandlung für mich zu verlangen.«

Felix sagte auch dies zu, obwohl er sich von seiner Fürsprache geringen
Erfolg versprach. Sie ruhten noch eine halbe Stunde und brachen dann
auf. Sie mochten etwa wieder eine Stunde gegangen sein und näherten
sich schon der Landstraße, der Tag fing an heraufzukommen, und die
Dämmerung verbreitete sich schon im Wald, als ihre Schritte plötzlich
durch ein lautes »Halt! Steht!« gefesselt wurden. Sie hielten, und fünf
Soldaten rückten gegen sie vor und bedeuteten ihnen, sie müßten folgen
und vor dem kommandierenden Major sich über ihre Reise ausweisen. Als
sie noch etwa fünfzig Schritte gegangen waren, sahen sie links und
rechts im Gebüsch Gewehre blitzen, eine große Schar schien den Wald
besetzt zu haben. Der Major saß mit mehreren Offizieren und andern
Männern unter einer Eiche. Als die Gefangenen vor ihn gebracht wurden
und er eben anfangen wollte, sie zu examinieren über das »Woher« und
»Wohin,« sprang einer der Männer auf und rief: »Mein Gott, was sehe
ich, das ist ja Gottfried, unser Jäger!« -- »Jawohl, Herr Amtmann!«
antwortete der Jäger mit freudiger Stimme, »da bin ich, und wunderbar
gerettet aus der Hand des schlechten Gesindels.«

Die Offiziere erstaunten, ihn hier zu sehen; der Jäger aber bat den
Major und den Amtmann, mit ihm auf die Seite zu treten, und erzählte in
kurzen Worten, wie sie errettet worden, und wer der dritte sei, welcher
sie begleitete.

Erfreut über diese Nachricht traf der Major sogleich seine Maßregeln,
den wichtigen Gefangenen weiter transportieren zu lassen, den jungen
Goldschmied aber führte er zu seinen Kameraden, stellte ihn als den
heldenmütigen Jüngling vor, der die Gräfin durch seinen Mut und seine
Geistesgegenwart gerettet habe, und alle schüttelten Felix freudig die
Hand, lobten ihn und konnten nicht satt werden, sich von ihm und den
andern ihre Schicksale erzählen zu lassen.

Indessen war es völlig Tag geworden. Der Major beschloß, die Befreiten
selbst bis in die Stadt zu begleiten; er ging mit ihnen und dem Amtmann
der Gräfin in das nächste Dorf, wo sein Wagen stand, und dort mußte
sich Felix zu ihm in den Wagen setzen; der Jäger, der Student, der
Amtmann und viele andere Leute ritten vor und hinter ihnen, und so
zogen sie im Triumph der Stadt zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich das
Gerücht von dem Ueberfall in der Waldschenke, von der Aufopferung des
jungen Goldarbeiters in der Gegend verbreitet, und ebenso reißend ging
jetzt die Sage von seiner Befreiung von Mund zu Mund. Es war daher
nicht zu verwundern, daß in der Stadt, wohin sie zogen, die Straßen
gedrängt voll Menschen standen, die den jungen Helden sehen wollten.
Alles drängte sich zu, als der Wagen langsam hereinfuhr. »Das ist er,«
riefen sie, »seht ihr ihn dort im Wagen neben dem Offizier? Es lebe der
brave Goldschmiedsjunge!« und ein tausendstimmiges »Hoch!« füllte die
Lüfte.

Felix war beschämt, gerührt von der rauschenden Freude der Menge. Aber
noch ein rührender Anblick stand ihm auf dem Rathause der Stadt bevor.
Ein Mann von mittleren Jahren, in reichen Kleidern, empfing ihn an
der Treppe und umarmte ihn mit Tränen in den Augen. »Wie kann ich dir
vergelten, mein Sohn!« rief er. »Du hast mir viel gegeben, als ich
nahe daran war, unendlich viel zu verlieren! Du hast mir die Gattin,
meinen Kindern die Mutter gerettet, denn ihr zartes Leben hätte die
Schrecken einer solchen Gefangenschaft nicht ertragen.« Es war der
Gemahl der Gräfin, der diese Worte sprach. So sehr sich Felix sträuben
mochte, einen Lohn für seine Aufopferung zu bestimmen, so unerbittlich
schien der Graf darauf bestehen zu wollen. Da fiel dem Jüngling das
unglückliche Schicksal des Räuberhauptmanns ein; er erzählte, wie er
ihn gerettet, wie diese Rettung eigentlich der Gräfin gegolten habe.
Der Graf, gerührt nicht sowohl von der Handlung des Hauptmanns, als von
dem neuen Beweis einer edlen Uneigennützigkeit, den Felix durch die
Wahl seiner Bitte ablegte, versprach, das Seinige zu tun, um den Räuber
zu retten.

Noch an demselben Tag aber führte der Graf, begleitet von dem wackern
Jäger, den jungen Goldschmied nach seinem Schlosse, wo die Gräfin, noch
immer besorgt um das Schicksal des jungen Mannes, der sich für sie
geopfert, sehnsuchtsvoll auf Nachrichten wartete. Wer beschreibt ihre
Freude, als ihr Gemahl, den Retter an der Hand, in ihr Zimmer trat? Sie
fand kein Ende, ihn zu befragen, ihm zu danken; sie ließ ihre Kinder
herbeibringen und zeigte ihnen den hochherzigen Jüngling, dem ihre
Mutter so unendlich viel verdanke, und die Kleinen faßten seine Hände,
und der zarte Sinn ihres kindlichen Dankes, ihre Versicherungen, daß er
ihnen nach Vater und Mutter auf der ganzen Erde der Liebste sei, waren
ihm die schönste Entschädigung für manchen Kummer, für die schlaflosen
Nächte in der Hütte der Räuber.

Als die ersten Momente des frohen Wiedersehens vorüber waren, winkte
die Gräfin einem Diener, welcher bald darauf jene Kleider und das
wohlbekannte Ränzchen herbeibrachte, welche Felix der Gräfin in der
Waldschenke überlassen hatte. »Hier ist alles,« sprach sie mit gütigem
Lächeln, »was Ihr mir in jenen furchtbaren Augenblicken gegeben; es
ist der Zauber, womit Ihr mich umhüllt habt, um meine Verfolger mit
Blindheit zu schlagen. Es steht Euch wieder zu Diensten; doch will ich
Euch den Vorschlag machen, diese Kleider, die ich zum Andenken an Euch
aufbewahren möchte, mir zu überlassen und zum Tausch dafür die Summe
anzunehmen, welche die Räuber zum Lösegeld für mich bestimmten.«

Felix erschrak über die Größe dieses Geschenkes; sein edler Sinn
sträubte sich, einen Lohn für das anzunehmen, was er aus freiem Willen
getan. »Gnädige Gräfin,« sprach er bewegt, »ich kann dies nicht
annehmen. Die Kleider sollen Euer sein, wie Ihr es befehlet; jedoch die
Summe, von der Ihr sprechet, kann ich nicht annehmen. Doch weil ich
weiß, daß Ihr mich durch irgend etwas belohnen wollet, so erhaltet mir
Eure Gnade statt anderen Lohnes, und sollte ich in den Fall kommen,
Eurer Hilfe zu bedürfen, so dürft Ihr darauf rechnen, daß ich Euch
darum bitten werde.« Noch lange drang man in den jungen Mann, aber
nichts konnte seinen Sinn ändern. Die Gräfin und ihr Gemahl gaben
endlich nach, und schon wollte der Diener die Kleider und das Ränzchen
wieder wegtragen, als Felix sich an das Geschmeide erinnerte, das er im
Gefühl so vieler freudiger Szenen ganz vergessen hatte.

»Halt!« rief er. »Nur etwas müßt Ihr mir noch aus meinem Ränzchen zu
nehmen erlauben, gnädige Frau, das übrige ist dann ganz und völlig
Euer.«

»Schaltet nach Belieben,« sprach sie; »obgleich ich gerne alles zu
Eurem Gedächtnis behalten hätte, so nehmet nur, was Ihr etwa davon
nicht entbehren wollet. Doch, wenn man fragen darf, was liegt Euch denn
so sehr am Herzen, daß Ihr es mir nicht überlassen möget?«

Der Jüngling hatte während dieser Worte sein Ränzchen geöffnet und ein
Kästchen von rotem Saffian herausgenommen. »Was mein ist, könnt Ihr
alles haben,« erwiderte er lächelnd, »doch dies gehört meiner lieben
Frau Patin; ich habe es selbst gefertigt und muß es ihr bringen. Es ist
ein Schmuck, gnädige Frau,« fuhr er fort, indem er das Kästchen öffnete
und ihr hinbot; »ein Schmuck, an welchem ich mich selbst versucht habe.«

Sie nahm das Kästchen; aber nachdem sie kaum einen Blick darauf
geworfen, fuhr sie betroffen zurück.

»Wie! diese Steine!« rief sie. »Und für Eure Patin sind sie bestimmt,
sagtet Ihr?«

»Jawohl,« antwortete Felix, »meine Frau Patin hat mir die Steine
geschickt, ich habe sie gefaßt und bin auf dem Wege, sie selbst zu
überbringen.«

Gerührt sah ihn die Gräfin an; Tränen drangen aus ihren Augen. »So bist
du Felix Perner aus Nürnberg?« rief sie.

»Jawohl! Aber woher wißt Ihr so schnell meinen Namen?« fragte der
Jüngling und sah sie bestürzt an.

»O wundervolle Fügung des Himmels!« sprach sie gerührt zu ihrem
staunenden Gemahl. »Das ist ja Felix, unser Patchen, der Sohn unserer
Kammerfrau Sabine! Felix! Ich bin es ja, zu der du kommen wolltest; so
hast du deine Patin gerettet, ohne es zu wissen.«

»Wie? Seid denn Ihr die Gräfin Sandau, die so viel an mir und meiner
Mutter getan? Und dies ist das Schloß Mayenburg, wohin ich wandern
wollte? Wie danke ich dem gütigen Geschick, das mich so wunderbar mit
Euch zusammentreffen ließ; so habe ich Euch doch durch die Tat, wenn
auch in geringem Maß, meine große Dankbarkeit bezeigen können!«

»Du hast mehr an mir getan,« erwiderte sie, »als ich je an dir hätte
tun können; doch so lange ich lebe, will ich dir zu zeigen suchen, wie
unendlich viel wir alle dir schuldig sind. Mein Gatte soll dein Vater,
meine Kinder deine Geschwister, ich selbst will deine treue Mutter
sein, und dieser Schmuck, der dich zu mir führte in der Stunde der
höchsten Not, soll meine beste Zierde werden, denn er wird mich immer
an dich und deinen Edelmut erinnern.«

So sprach die Gräfin und hielt Wort. Sie unterstützte den glücklichen
Felix auf seinen Wanderungen reichlich. Als er zurückkam, als ein
geschickter Arbeiter in seiner Kunst, kaufte sie ihm in Nürnberg ein
Haus, richtete es vollständig ein, und ein nicht geringer Schmuck in
seinem besten Zimmer waren schön gemalte Bilder, welche die Szenen in
der Waldschenke und Felix' Leben unter den Räubern vorstellten.

Dort lebte Felix als ein geschickter Goldarbeiter, der Ruhm seiner
Kunst verband sich mit der wunderbaren Sage von seinem Heldenmut und
verschaffte ihm Kunden im ganzen Reiche. Viele Fremde, wenn sie durch
die schöne Stadt Nürnberg kamen, ließen sich in die Werkstatt des
berühmten Meisters Felix führen, um ihn zu sehen, zu bewundern, wohl
auch ein schönes Geschmeide bei ihm zu bestellen. Die angenehmsten
Besuche waren ihm aber der Jäger, der Zirkelschmied, der Student und
der Fuhrmann. So oft der letztere von Würzburg nach Fürth fuhr, sprach
er bei Felix ein; der Jäger brachte ihm beinahe alle Jahre Geschenke
von der Gräfin, der Zirkelschmied aber ließ sich, nachdem er in allen
Ländern umhergewandert war, bei Meister Felix nieder. Eines Tages
besuchte sie auch der Student. Er war indessen ein bedeutender Mann
im Staat geworden, schämte sich aber nicht, bei Meister Felix und dem
Zirkelschmied ein Abendessen zu verzehren. Sie erinnerten sich an alle
Szenen der Waldschenke, und der ehemalige Student erzählte, er habe
den Räuberhauptmann in Italien wiedergesehen; er habe sich gänzlich
gebessert und diene als braver Soldat dem König von Neapel.

Felix freute sich, als er dies hörte. Ohne diesen Mann wäre er zwar
vielleicht nicht in jene gefährliche Lage gekommen, aber ohne ihn
hätte er sich auch nicht aus Räuberhand befreien können. Und so
geschah es, daß der wackere Meister Goldschmied nur friedliche und
freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurückdachte an das _Wirtshaus
im Spessart_.



Gesamt-Inhaltsverzeichnis.


                                                               Seite

    Band 1. Hauffs Leben von Alfred Weile                          5

    Gedichte                                                      13

    Novellen. Erster Teil.

    Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich              57

    Othello                                                       63

    Die Bettlerin vom Pont des Arts                              104

    Jud Süß                                                      200

    Band 2. Novellen. Zweiter Teil.

    Das Bild des Kaisers                                           5

    Die letzten Ritter von Marienburg                             88

    Des Verfassers eigene Kritik über diese Novelle              144

    Die Sängerin                                                 145

    Phantasien im Bremer Ratskeller                              190

    Band 3. Lichtenstein. Romantische Sage                         5

    Band 4. Mitteilungen aus den Memoiren des Satans.

    I. Einleitung                                                  5

    Die Studien des Satan auf der berühmten Universität
    ...en                                                         30

    Unterhaltungen des Satan und des ewigen Juden in
    Berlin                                                        60

    Der Fluch. Novelle                                            83

    Satans Besuch bei Herrn von Goethe                           100

    Der Festtag im Fegefeuer                                     113

    II. Vorspiel                                                 132

    Der Fluch. Novelle (Fortsetzung)                             142

    Mein Besuch in Frankfurt                                     203

    Der Festtag im Fegefeuer. (Fortsetzung)                      236

    Inhaltsverzeichnis                                           258

    Band 5. Der Mann im Monde. Roman                               5

    Kontroverspredigt über H. Clauren und den Mann im Monde      193

    Skizzen.

    Die Bücher und die Lesewelt                                  225

    Freie Stunden am Fenster                                     240

    Der ästhetische Klub                                         264

    Ein paar Reisestunden                                        267

    Hochzeitgruß an Karl Grüneisen                               278

    Band 6. Märchen.

    Märchen als Almanach                                           5

    Die Karawane                                                  10

    Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven                 102

    Das Wirtshaus im Spessart                                    184

    Inhaltsverzeichnis                                             4



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipse wurde angepasst.

    Da dieser Band keine eigene Titelseite im Original besaß, wurde
    diese aus Band 4 rekonstruiert.

    Korrekturen:

    S. 38: mit → mit ihm
      wollte schon {mit ihm} davoneilen

    S. 80: Sizah → Sizah, zu
      Ali {Sizah, zu}, auch seine Geschichte

    S. 127: Köche → Küche
      überhaupt dich meiner {Küche} annehmen

    S. 223: hast → bist
      Du {bist} dem Flegel begegnet

    S. 241: frei → frei ausgehen
      Mörder darf {frei ausgehen} aus den Händen

    S. 263: schrie → schritt
      durch die Buden {schritt} und rief

    S. 313: zu → zu zweit
      dritten haben wir {zu zweit} leichtes

    S. 314: aufzuheben → auszuheben
      um mich und meine Leute {auszuheben}

    S. 317: vierte → dritte
      wer der {dritte} sei, welcher sie begleitete





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Wilhelm Hauffs sämtliche Werke in sechs Bänden. Sechster Band" ***

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