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Title: Fuxloh - oder Die Taten und Anschläge des Kasper Dullhäubel
Author: Watzlik, Hans
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Fuxloh - oder Die Taten und Anschläge des Kasper Dullhäubel" ***


    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
    ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist
    ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    HANS WATZLIK

    Fuxloh

    oder

    Die Taten und Anschläge des
    Kasper Dullhäubel

    *

    Ein Schelmenroman

    [Illustration]

    L. STAACKMANN VERLAG / LEIPZIG

    1922



Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten.

Für Amerika:

~Copyright 1922 by L. Staackmann Verlag, Leipzig~.


Gedruckt bei Dr. Kurt Säuberlich in Leipzig



Das grüne Holz.


Fuxloh lag ganz hinten in der Welt zwischen den Örtern Blaustauden und
Grillenöd, abseits von den breiten Straßen duckte es sich verloren in
den Wäldern, ein gar rauhes Dorf voller Tannen. Obst trug dort nur ein
einziger Mostbirnbaum, der über hundert Jahre alt war, doch waren seine
Birnen so grausam herb, daß man schreien mußte, wenn man hineinbiß.
Sonst gediehen nur noch ein paar Vogelbeerbäume und Elexstauden
droben an den felsigen Wegen. Aber in ihrem Schatten blühte die
weltentlegenste Einfalt in tausend Blumen aus.

Heute findet man das Dorf nimmer, die Wälder sind darüber gewachsen.

Der Fuxloher Wind blies scharf und brannte den Bauern den Schlund aus.
Drum war in dem Ort der Durst daheim. Besonders vorzeiten blieben die
Männer oft wochenlang auf der Wirtsbank, sie knöpften sich den Latz
vom Hosenboden ab und saßen auf dem rohen Fleisch, um das Hirschleder
zu schonen. Am Samstag brachten ihnen die Weiber frische Hemden ins
Wirtshaus. Und hie und da banden sich die Säufer mit Stierketten
aneinander, daß keiner sich heimlich von der nassen Mette wegschleiche
und sie alle gemeinsam in des Rausches Elend fuhren.

Dazumal waren die Fuxloher als grobe Schelme, Wilderer und Raufer
verrufen, im Lauf der Zeiten aber verloren sie allmählich den übeln
Leumund. Es geschah kaum mehr, daß einer den Grenzstein in des Nachbarn
Acker rückte, Rösser wurden überhaupt nimmer gestohlen, und selten nur
weckte einen nachts das alte Raubschützenblut aus der Rast, daß er
aufsprang und an der bayrischen Grenze irgendwo auf einer Waldschneise
einen Bock niederknallte.

Nur im Dullhäubelhof hatte sich die alte Art der Fuxloher treulich
erhalten.

In einer Schlucht am Wolfsbach, wohin die Bauern vom Dorf herab immer
die Gänse trieben, daß sie schwimmen lernten, lag das Gehöft mit dem
moosgrünen Schopfdach, darunter an die Mauer ein verschmitztes Gesicht
gemalt war mit dem Spruch:

    Gott, gib jedem Lumpenhund
    zehnmal mehr, als er mir gunnt!

Vor langer Zeit, als die ungarische Königin Resel mit dem Preußen Krieg
führte, hauste der Pankraz Dullhäubel auf dem Hof. Bei dem kehrte der
Reichtum ein. Den Kopf deckte er sich allweil mit einem dreieckigen
Hut, an seinem Rock glänzten mehr Knöpfe, als Tage im Jahr waren. Er
ließ das Geld springen und hatte die nötige Münze dazu, denn er war ein
Werber, und damals, wo Soldaten gegen Preuß und Türk sein mußten, da
lohnte sich sein falsches Gewerb. Manch armen Schlucker fing er, der
sich über die Grenze herüber verirrt hatte, und der wurde ohne Erbarmen
ins Regiment gestoßen, und viele hatte der Pankraz am Gewissen, die im
Krieg auf der blutigen Fleischbank verdarben.

Dazumal kam auch ein Erdspiegel ins Haus, der Pankraz handelte ihn
einem wallischen Juden ab, und die Fuxloher fürchteten jetzt den Bauer,
der das zauberische Gerät verborgen hielt und dadurch Macht gewann über
alle andern.

Aber einmal fing er mit seinen Helfershelfern einen Handwerksburschen
und kettete ihm die Hände, und als er ihn gen Hirschenbrunn führte, um
ihn dort zu stellen, mußte er sich unterwegs bücken, die Schuhschnalle
zu schließen, die ihm aufgesprungen war. Den Augenblick nutzte der
Gefangene aus, er schlug dem Werber die Fesseln auf den Schädel, daß er
hin war.

Ein arger Vogel legt ein arges Ei.

Der Nachkömmling des Pankraz war der Servaz Dullhäubel. Der trieb sich
in grünen Jahren in den Wäldern des Lusens umher und schoß die stolzen
Hirsche und die starken Bären. Das Wildern fiel ihm leicht, da er sich
dazu himmlische Hilfe zu sichern wußte: er schaffte oft des Nachts ein
Wildbret in die Blaustaudner Pfarrküche, und dafür schloß der damalige
Geistliche ihn und seine Wege täglich ins Meßgebet ein.

Als dem Servaz einmal von einem Jäger der Fuß krumm geschossen wurde,
mußte er das freie Wildschützleben lassen, aber sein zorniges Blut
gab ihm keine Ruhe, und er wurde der wildeste Raufer waldauf und
waldab. Wenn er zum Kirchweihtanz ging, gab ihm die Bäurin immer sein
Totenhemd mit. Die Haut war ihm von Messern zerstochen, der Schädel
zerschrammt von splitternden Krügen, das eine Ohr abgebissen, die Zähne
eingeschlagen. Mit heraushängenden Därmen schleppte er sich einst von
Fuxloh nach Blaustauden zum Balbierer, dort schob er fein lind das
Gedärm zurück in seine alte Stätte, steckte Speck in das Loch und nähte
es sich selber mit des Balbierers Nadel zu. Die Naht hielt hernach noch
dreißig Jahre.

Er rühmte sich oft, der Richter solle ihm in seinem Buch ein Gesetzlein
vorweisen, danach er noch nicht abgestraft wäre. Kurz vor seinem
Absterben noch erschlug er auf der Kegelbahn den Waldheger von Daxloh
mit einem Kegel.

Der Apfel rollt nicht weit vom Baum.

Der Nachkömmling des Servaz war der Bonifaz Dullhäubel. Der hatte es
wiederum auf das Bier und den groben Bauernwein abgesehen und soff und
schlampampte, daß es ihm schier zu den Ohren herausrann. Fuhr er mit
dem Rössel in die Stadt, so schob er dort Kegel auf volle Flaschen
und streute das Geld den Kellnerinnen hin. Bei jedem Krug, der ihm
vorgesetzt wurde, tat er einen von den fünfundzwanzig Gupfknöpfen an
seinem Brustfleck auf; war die Weste ganz offen, so zahlte er seine
Schuld, knöpfelte wieder zu und hub von frischem an. So wurde er auch
in der größten Zeche nicht irr. Wenn er keinen Trunk mehr bewältigen
konnte, so bahrten Wirt und Hausknecht ihn auf seinem Wagen auf, das
Rössel zog an und trabte mit dem Schlafenden durch Wald und Sternschein
heim. Doch hielt es vor jedem Wirtshaus an, beim grünen Kuckuck, beim
Posthorn, bei der Siebenkittelwirtin, bei der Mausfalle, beim blauen
Mondschein, und wie die Einkehrstätten alle hießen, und der Trunkene
reckte sich aus dem Schlaf und gröhlte: »He, Wirt, füll nach!«

Ein anderes Anwesen wäre unter den Hammer gekommen, der Dullhäubelhof
aber hielt den Säufer aus. Viel Grund und Boden und Holz und Vieh
gehörten dazu, und die Bauern hätten noch viel reicher sein können,
wenn es sie darnach gelüstet hätte. Denn der Pankraz, der Guckähnel,
hatte einen schönen Schimmel im Stall stehen, und der Waldfürst hätte
das schneeblührieselweiße Roß gar gern geritten und dafür den ganzen
weitmächtigen Wald bis zum Lusen hingegeben. Der Pankraz aber hätte
nimmer getauscht, und wenn der Fürst vor ihm auf den Knieen gerutscht
wäre.

Wie gelebt, so gestorben. Vor lauter Gesundheittrinken kam der Bonifaz
Dullhäubel um die Gesundheit.

Die Fuxloher mähten gerade die Wiesen, da kroch der Bonifaz in der
Scheuer des Wirtes »zum pfalzenden Hahn« ins Heu, seinen schweren
Rausch zu verschlafen, und die Mäher verschütteten ihn aus Übermut
unter dem Heu. Sie vergaßen ihn aber hernach in ihrer heißen Arbeit und
erinnerten sich erst, als die Bäurin ins Dorf kam und nach dem Bonifaz
fragte. Schnell räumten sie das Heu weg; da lag der Vergrabene mit
lustigem Gesicht, aber erstickt. Weil die Burschen den Weg zum Gericht
scheuten, so halfen sie sich, wie sie es verstanden: sie schlugen einen
Haken in die Scheuer, wo sie am finstersten war, hängten den Toten dran
und drückten ihm seinen breiten filzenen Scheibenhut in die Stirn. Dann
schrieen sie das Unglück im Dorf aus: »Leut, Leut, der Bonifaz hat sich
aufgehängt!« Und weil eben ein Sturm anfing, glaubten die Fuxloher
ihnen gern und sahen mit Grausen, wie der Strick sich dem Bonifaz um
Hals und Bart schnürte, und der Totengräber in Blaustauden drunten grub
das Grab um drei Schuh tiefer als sonst, daß der Bonifaz nimmer heraus
und umgehen könne.

Die Bäurin gab ihm den Scheibenhut mit in die Truhe. Sie meinte, in
der Ewigkeit sei es hübsch lüftig, und der Selige sei allweil heikel
gewesen auf den Zugwind. Auch steckte sie ihm die Pfeife ins Maul, er
möge sich jenseits etwas vorqualmen, daß ihm Zeit und Ewigkeit besser
vergingen. Sie war ein fürsorgliches Weib, die Sodonia.

Wie die alten Vögel pfeifen, so stümpern die jungen.

Der Nachkömmling des Bonifaz war der Isidor Dullhäubel. Der schlug
sich, als er zur Mannheit kam, mit einem Stein die vordersten Zähne
aus, womit die Soldaten das Papier von den Patronen reißen, daß das
Pulver ins Gewehr rinne. So blieb der Isidor vor dem Krieg verschont.

Der neue Bauer meinte, ein richtiger Mann müsse neun Kinder zeugen,
und da mußte nicht bloß seine Bäurin daran glauben, sondern auch alle
Mägde, die auf dem Hofe dienten. Die Kinder außerhalb der Ehe wuchsen
frisch und fröhlich heran, die eheleiblichen aber wurden nicht alt.
Sein Weib, die Sanna, sorgte sich nicht um die Brut, sie schlief gern
und schlief allweil ein, wenn sie säugte, und der Säugling fiel ihr
dabei oft aus dem Schoß. So blieben ihr, ein einziges ausgenommen,
keine Kinder, trotzdem daß sie sehr fruchtbar war und nur Zwillinge und
Drillinge gebären konnte.

Sie grämte sich nicht um die Liebschaften des Bauers. Doch die Sodonia,
die Altbäurin, war ob der heidnischen Vielweiberei ihres Sohnes schwer
bekümmert. Aber wenn ihm wieder einmal ein Staudenkind auf die Welt kam
und die Sodonia ihm es als Sünde heftig verwies, lachte er nur: »Fürs
Lebendigmachen ist noch keiner gestraft worden.«

Der Isidor Dullhäubel führte allzeit sein Tabakglas mit, und weit
und breit tat es ihm keiner gleich im Schnupfen. Nicht einmal der
Blaustaudner Schulmeister, der, selbst wenn er die Orgel zum Hochamt
schlug, den Tabak nicht völlig entbehren konnte und darum auch beim
Spiel allweil ein braunes Häuflein auf dem Handrücken trug und die Nase
oft und oft inbrünstig dazu niederstoßen ließ und mitten in Gottes
Lobpreisung andächtig hineinschnupfte.

Als der Isidor noch frommer war, schnupfte er in den Fasten nicht, so
sehr es ihn auch lüstete; er tat sich einen Abbruch, um Gott wohl zu
gefallen. Erst am letzten Kartag, wenn der Pfarrer sang: »Christ ist
erstanden!«, da nahm er sich wieder das erste Schnüpflein. Als aber
am Auferstehungstag einmal der Geistliche kein Ende fand und Gebet
an Gebet, Litanei an Litanei knüpfte und nimmer in den Erlösungsruf
ausbrach, schlug sich der Isidor ungestüm den Tabak auf die Hand:
»Ob der Herrgott auferstanden ist oder nit, -- ich schnupf!« Seither
fastete seine Nase nimmer, und wenn ihm einer dies als Laster
vorrückte, wehrte er sich: »Das Schnupfen ist keine Sünd. Der Pfarrer
Eusebius hat seine Tabakdose sogar auf dem heiligen Kelch zum Altar
getragen. Freilich hat der mit seiner geistlichen Nase nur Spaniol
mögen, und ich schnupf brasilianischen Tabak. Aber unser Herrgott kennt
keinen Unterschied.«

Dazumal, als sie den alten Bonifaz vom Nagel herunternahmen, lümmelte
der Isidor mit seinem Nachbar, dem Mußmüller, im »pfalzenden Hahn«,
ließ sich von ihm über den Tod seines Vaters trösten und lüpfte eifrig
den Krug.

»Sei froh, daß er hin ist,« redete der Müller. »Es ist dein Glück,
daß er im Ausgeding gesessen ist, er hätt dir sonst den ganzen Hof
versoffen.«

Der Isidor schaute finster. »Soviel kann keiner versaufen, als ich hab.
Und vergönn es ihm, neid es ihm nit in die Grube nach!«

»Dullhäubel,« der Müller hob beschwörend die Stimme, »Dullhäubel, ich
weiß es: der Durst schluckt den Bach samt der Mühl.«

»Deinen Bach freilich, Gori, der hat kein Wasser,« grinste der Bauer.
»In aller Früh gehst du aus, schlagst mit der Stange den Tau von den
Erlen, daß du Wasser aufs Rad kriegst.«

In des Mußmüllers Stirn schnitten sich zwei scharfe senkrechte Falten,
er packte das Stutzenglas und hieb es dem Isidor auf den Schädel, daß
die Scherben flogen. Jetzt hob auch der Bauer sein Glas und trümmerte
es dem Müller auf das Hirn. Das alles geschah ohne sonderlichen Lärm.

Derweil der Wirt neue Gläser holte, saßen sie blutig und lachten.

»Nix für ungut, Müllner.«

»Tu her ein Schnöpflein, Isidor, daß wir einen andern Sinn kriegen!«

Der Bauer zog von dem blauen, geschliffenen Tabakglas den Stöpsel weg,
den er aus Weiberhaaren geflochten hatte, und die zwei kräftigten sich
an dem scharfen Brasil.

Der Wirt stolperte in die Stube. »Dullhäubel, dein Weib hat sich ein
ungeschicktes Wochenbett ausgesucht. Gerad vor der Kapelle hat die
Wehstund sie angepackt.«

Der Bauer pfiff halblaut vor sich hin; die Hand, die sich mit einem
Schnöpflein heben wollte, sank ihm.

»Sie ist über den Erhängten zu stark erschrocken,« redete die Wirtin
zum Fenster herein.

Der Müller riet: »Nachbar, drück die Knie zusamm, daß sie leichter
niederkommt!«

»Bei der Kapelle?« besann sich der Bauer. »Das ist kein ungeschickter
Ort, Wirt. Da springt der heilige Blaumantel heraus und steht ihr bei.«

»Wir Weiber helfen uns schon selber,« schwätzte die Wirtin. »Ich für
mein Teil komm um einen weißen Laib Brot nieder, ich geh dreimal in der
Stube hin und her und beutel das Kind ab.«

Der Isidor blähte sich auf. »Studieren muß er, der Bub. Ein hoher Herr
soll er werden; Steuern soll er einmal ausschreiben, den Müllnern und
den Wirtsleuten!« lächelte er mit pfiffigem Querblick.

»Was? Mir neue Steuern?« brauste der Gori. »Jetzt, wo wir Müllner so
schwer geschädigt sind von den neuen Zeiten? Alle Gerechtigkeit haben
sie uns genommen. Früher haben wir im Bach fischen dürfen, so weit
unsereiner den Hammer hat werfen können. Heut nimmer. Früher ist meine
Mühl eine Zwangmühl gewesen; heut schafft ein jeder sein Korn nach
Trippstrill und Schlampampen.«

»Dullhäubel, drei Buben!« rief die Wirtin in die Stube.

»Sakerment, wie viel?« Der Bauer hielt wie schwerhörig die Hand ans Ohr.

»Drei Buben. Bis jetzt.«

Der Dullhäubel faltete die Hände. »O Herr, halt ein mit deinem Segen!«

Die Tür knarrte, und auf der Schwelle stand die Hebamme mit einem
mächtigen Wickelpolster, drin zwei Büblein kläglich winselten. Eine
Magd trug das dritte Kind.

»Drei Buben, Bauer!« meldete die Hebamme. »Eine harte Geburt! Gerad vor
der Kapelle.«

Der Isidor Dullhäubel ergrimmte. »Hat er ihr also nit geholfen, der
Blaumantel? Da steht er schon so lang auf meinem Grund, und jetzt, wo
meine Buben anrücken, jetzt rührt und ruckt er sich nit. Jetzt reicht
er keine Hand.«

»Er ist halt ein Heiliger und keine Hebmutter,« beschwichtigte ihn der
Müller.

Aber der Bauer eiferte: »Ist doch schon die Muttergottes selber aus
ihrem silbernen Gewölk gestiegen und den Weibern beigesprungen in ihrer
Stund! Hätt nit der Tropf auch aus seiner Kapelle treten können?!«

»Wischt euch das Blut ab, Männer,« sagte die Hebamme, »und geht gleich
mit zur Taufe, daß die Würmer nit als Heiden absterben. Daß sie ins
Engelreich kommen und drüben einen Namen tragen. Der ist traurig dran,
der keinen Namen führt. Und die Drillinge werden nit lang leben, es
sind Siebenmonatkinder.«

Die zwei Männer standen auf und wankten mürrisch den Weibern nach ins
Pfarrdorf Blaustauden hinunter.

Dort in der Kirche legte die Hebfrau ihr Paar dem Müller in die Arme,
derweil der Bauer den einschichtigen Sprößling hielt. So traten sie zu
dem Taufstein.

Der Pfarrer ließ nicht lange warten.

»Hollah, drei auf einem Schub!« lachte er. »Die drei Eismänner haben
schon auf deinem Hof gehaust, sind wunderliche Heilige gewesen,
Dullhäubel. Taufen wir die da nach den drei Königen!«

Und er taufte sie Kasper, Melcher und Balthauser. Die Büblein hielten
sich mäuselstill, und erst, als bei der Taufe des Kasper, den der Bauer
selber hielt, der geistliche Herr fragte: »Widersagst du dem Teufel?«
da schrie der Bub gar mörderlich auf, als sei er von dem besessen, dem
er absagen sollte, und sei mit der Taufe gar nicht einverstanden.

»Halt das Maul, Kerl, oder ich schlag dir die Zähne ein!« drohte der
Pfarrer.

»Segnet ihn mir gut ein, Hochwürden, den Kasper!« bat der Bauer. »Spart
kein Wasser nit!«

Als die Männer den Weibern wieder die Täuflinge überließen, merkten
sie, daß der Melcher und der Balthauser kein Schnäuferlein mehr
taten. Der Müller mochte sie wohl ein wenig zu fest an sich gedrückt
haben, und es war ungewiß, ob sie getauft oder heidnisch ins Jenseits
eingefahren waren.

Der Bauer aber freute sich an dem Kasper. Der hielt die lebendigen
Augen offen und sah scharf darein. »Der hat gescheite Augen,«
frohlockte der Alte, »das ist ein Kreuzköpfel.«

»Er ist zu früh auf die Welt gekommen, der Spitzbub,« sagte die
Hebamme. »Ich will ihn auf der Schaufel dreimal in den Backofen
schieben, dann geratet er. Und gespieben hat er auch schon. Speibendes
Kind, bleibendes Kind!«

Der Isidor ließ im Wirtshaus noch einen gezuckerten Wein auftragen,
wie ihn die Weiber gern mögen, hernach schickte er die zwei mit dem
Lebendigen und den Toten heim.

Er selber trollte erst spät seinem Hof zu.

Vor der Kapelle rastete er. Der Mond lugte glashell hinein.

»Blaumantel, ob du schon schlafst?«

Der hölzerne Heilige drin redete nicht und deutete nicht.

»Geh, reck die Nase her und schnupf, heiliger Blaumantel!« spottete
Isidor. Er tappte sich zu dem Heiligen hin und schüttete ihm das
Tabakglas in den Bart.

Da nieste es auf einmal so schrecklich auf, daß die Kapelle zitterte.
Mit schlotternden Knieen floh der Bauer. Und eine grobe Stimme schrie
hinter ihm her: »Du wirst deine Schnutel, deine Schnufel nimmer lang
tragen!«

Was der beleidigte Heilige geweissagt hatte, das geschah. In ein paar
Jahren starb dem Isidor Dullhäubel die Nase am lebendigen Leib ab, wie
eine Blume an der grünen Staude verwelkt, und weil er hörte, daß die
alten Ritter, wenn ihnen die Hand abgehauen worden war, sich für die
fleischene eine eiserne an den Arm hatten schnallen lassen, so suchte
er einen Kupferschmied heim, und der setzte ihm eine kupferne Nase
zwischen die Augen.

Doch das Leben freute ihn nimmer, seit er nimmer schnupfen konnte, und
er vergaß es dem Blaumantel nicht, daß er ihn um das eindringlichste
Ergötzen seines Lebens betrogen hatte; schimpfend stampfte er an ihm
vorbei und rückte den Hut nimmer.

Als der Kasper so hoch wie der Stubentisch war, und sich schon selber
die Tür auftun konnte und ganz listig schon aus den engen Augen
herauslugte, da stellte der Bauer ihn vor die Kapelle und schalt
unflätig hinein. So keimte in dem kleinen Kasper ein Widerwille auf,
und der wuchs, als die Altbäurin Sodonia dem Buben, wenn er etwas
Schlechtes getan, mit dem Zorn des Heiligen drohte und diesen als
Vorbild eines wohlgefälligen Wandels hinstellte.

Die Alte rüstete den Heiligen mit der Pracht der wunderlichsten Wunder
aus und dichtete ihm alle Gewalt über Himmel, Hölle und Welt zu, so daß
der Herrgott, an ihm gemessen, nur ein ohnmächtiger Schatten schien.
Vor seinem Zauber wurde der Gichtbruch tanzend und wanderte der Lahme,
versiegte alles Gebrest; Stumme lobsangen ihn, Blinde wurden geheilt an
dem Schimmer seines blauen Mantels.

Der Kasper lehnte oft vor der Kapelle und staunte voll Angst und Trutz
hinein.

Am Bach, in dem gemauerten Häuslein, hinter der Gittertür geborgen vor
Regen und Schnee, hatte der Heilige seinen Unterschlupf. Mit krausem,
rotem Schädel, mit strengen, quellenden Augen und langer Nase stand er
drin, das Haupt geneigt unter der Last des Heiligenscheines, am Kinn
angeleimt einen fuchsfarbenen Bart aus Menschenhaar, den Mund weit
offen und die Arme abwehrend von sich gestreckt, als seufze er: »Gott,
hüt mich frommen Bruder vor dieser Welt!«

»Dein Guckähnel hat ihm einmal frevelmütig den Bart gestutzt, aber
gleich ist er ihm wieder nachgewachsen, dem Heiligen,« erzählte die
Sodonia dem Buben.

»Warum ist er denn heilig?«

»Weil er in einem Felsenloch gehaust hat sein Lebtag.«

»Da ist der Fuchs auch ein heiliger Mann, der schlaft auch in einem
Steinriegel hinter der Mühl.«

»Ein Vieh ist nit heilig,« sagte die Altbäurin verdrossen.

Der Kasper faltete die Stirn. »Woher ist der Blaumantel gekommen? Hat
er sich die Kapelle selber gebaut?«

Sie zog den Buben auf den Schoß und erzählte: »Gar überlang ist es
schon her, da haben die Hirten den hölzernen Heiligen in einem hohlen
Baum gefunden, da auf der Stelle, wo er jetzt steht. Sie haben ihn
nach Blaustauden geschafft und dort auf den Altar gestellt, aber er
ist davon und wieder zurück in seinen Baum. Jetzt haben sie ihn in die
Stadt gebracht, daß er nit in einen so langweiligen Einöd trauern müßt,
sondern ein paar ansehnliche Heilige um sich hätt, und daß er sich dran
gewöhnt, haben sie ihn in der ersten Nacht in eine Truhe unter Schloß
und Eisenband gelegt, und der Pfarrer und der Meßner haben sich darauf
gesetzt, daß der Vogel nit ausfliegt. Aber der Blaumantel hat die Truhe
gesprengt, Pfarrer und Meßner über den Haufen geworfen, und ist wieder
zurück in die Heimat. Er hat wollen in der Wildnis geehrt werden, wo er
gebetet und gebüßt hat. Da hat man über ihn die Kapelle gebaut.«

Der Kasper schielte mit den verzwinkerten Äuglein hinauf. »Mir hat aber
der Vater gesagt, die Fuxloher hätten den sakrischen Blaumantel auf der
Wallfahrt gestohlen, daß sie einen wohlfeilen Heiligen hätten. In einem
Sack hätten sie ihn daher gebracht.«

»Sei still, Bub,« warnte die Altbäurin, »sonst straft er dich auch.
Denk an dem Bauer seine Nase!«

»Meiner Nase darf er nix tun,« trotzte der Kasper.

»Still, still! Sonst kommt gar der Gankerl, steckt dich in den rußigen
Kessel, bratet dich, frißt dich.«

Es war, als würde dem Buben die kecke Rede vergolten, denn nach ein
paar Tagen wuchs ihm auf der Nasenspitze eine Warze, die ihm gar nicht
gut zu Gesicht stand. Das wurmte die Altbäurin, der an des Kasper
Sauberkeit gelegen war, aber das Hörnlein blieb, wie oft es auch mit
Wolfsmilch und mit Warzenkraut betupft, mit Fensterschweiß gewaschen
und mit Roßhaar gedrosselt wurde. Es frommte nicht heißes Schusterpech,
und als die Sodonia den Mißwuchs gar mit Zunder wegbrennen wollte,
brüllte der Bub entsetzlich und ließ keinen mehr an sich heran.

Da kam die Ulla daher, ein buckliges Bettelweiblein mit einem
kleinwinzigen Kopf, drin ein Hirn kaum Platz zu haben schien. Ihr
spitzes, haariges Kinn schlotterte, geschäftig drehte sie sich in der
Stube hin und her und knüpfte mit einem Faden fünf Knoten über der
Warze des Kasper, der sich wie verhext unter dem sonderbaren Tun des
Weibleins duckte. Nachher betete sie fünf Vaterunser und murmelte
noch ein Heimliches in sich hinein, daß den Buben ein Grausen anflog.
Schließlich humpelte sie hinters Haus, und wo die Tropfen vom Dach in
die Erde schlugen und eine Rinne gegraben hatten, dort verscharrte sie
den Faden.

Als der Mond neu wurde, war die Warze verschwunden, und der Kasper war
ein sauberer Bub mit blühroten Wangen, großem, kugelrundem Kopf und
flinken Füßen.

Die Ulla aber fürchtete er noch mehr als den Erdspiegel, der im Keller
unzugänglich verschlossen lag. Oft stahl er sich zu der verfallenen
Hütte der Alten und belauschte sie, wie sie zwischen den Felsen wilde
Kräuter brockte und eintrug, wie sie mit den Raben redete und den
Schlangen oder einer Staude etwas sagte oder gar einem Stein.

Sonst war er ein Waghals. Er ritt auf den Ochsen und Rössern, kletterte
auf die Tannen hinauf bis zur höchsten Spitze, rannte über den
Dachfirst, wo der Hauslauch grünte, und niemals stieß ihm ein Unglück
zu.

Nur einmal blieb ihm eine Bohne in der Nase stecken, sie wollte nicht
heraus und keimte schon.

»Sie wachst dir ins Hirn, Kasper,« jammerte die Altbäurin. »Der
Blaumantel wird dich ganz gewiß an der Nase verderben lassen. Ich seh
dich schon verkupfert.«

Der Bauer aber klemmte den Kasper zwischen die Kniee und drückte ihm
das Gesicht in eine Hand voll Tabak hinein. Da riß es dem Buben den
Kopf in die Höhe, er nieste sprühend, und die Bohne flog aus der Nase
an die Wand.

Jetzt haßte der Kasper den Blaumantel. Den heilsamen Tabak aber
begehrte er, und bald wußte er sich aus des Vaters ungenütztem Vorrat
den bräunlichen Staub zu verschaffen, der das Hirn so lieblich kitzelt
und erfrischt und das ganze Blut riegelt, wenn der Niesreiz von
inwendig her an die Nase herankriecht und schallend zerstäubt.

Weil der Kasper gar so waghalsig und ungebärdig aufwuchs und von den
Wipfeln schier nimmer herunter zu kriegen war, wo er die Krähennester
ausraubte, sorgte sich die Sodonia um des Enkels leibliches Wohl und
Seelenheil und fürchtete, er schlage allzusehr in die Art der Vorfahrer
am Dullhäubelhof.

Drum meinte sie zur Bäurin: »Du, Sanna, wir müssen den Daumen mehr auf
den Buben halten, daß er nit ausartet. Er hat nit Rast, nit Ruh, wie
aus Schlangenschwänzen ist er zusammgesetzt. Er zerreißt zu viel Hosen.«

Die Bäurin gähnte: »Das tut nix. Der Schneider bittet auch ums tägliche
Brot.«

Die Alte ließ nicht nach. »Der Kasper hat ein gutes Gemerk, wir sollten
ihm einen Schulmeister halten. Der Brunnkressenhannes wär ein gelehrter
Mann.« --

Da fand sich der Brunnkressenhannes im Hof ein.

Er war ein magerer, krummhälsiger Gesell, der den Bauern gegen einen
Jahrlohn das Vieh hütete. Auch bekam er alljährlich von der Gemeinde
ein neues Kuhhorn, und er prahlte oft, zu seinem Begräbnis brauche er
keine Musikanten, da würden alle Hirten aus dem Gebirg kommen und auf
den Hörnern, die in seiner Kammer hingen, ihm zu Grabe blasen.

Jetzt aber fragte ihn der Isidor Dullhäubel: »Hannes, kannst du
schreiben und lesen und rechnen?«

»Und singen auch,« nickte der Hannes stolz.

»Du sollst das alles unserm Kasper in den Kopf bringen. Triffst du das?«

Der Hirt bäumte sich auf. »Das vermag ich wohl. Ich hätt schier selber
in der Stadt die Schulmeisterprüfung hingelegt.«

»Warum hast du es nit getan?«

»Ei, da haben mich die Herren von der Schulmeisterschul gefragt,
was ich vom Specht wüßt. Ich hab langmächtig hin und her gedacht,
und zuletzt hab ich zugeben müssen, daß mir derselbige Specht ganz
unbekannt ist und daß ich ihnen überhaupt nix davon erzählen kann,
und wenn sie mich erschlagen. Da hat mich einer erschrecklich scharf
durch die Augengläser angeschaut und hat auf die Tür gedeutet. ›Behüt
Gott! Ich geh gern,‹ sag ich. Und wie ich glücklich draußen bin, steht
einer dort, der ist aus der Blaustaudner Pfarrei gewesen. ›Du,‹ sag
ich, ›hörst, jetzt gesteh mir auf dem Fleck, was ist denn das -- ein
Specht?‹ ›O du lieber Landsmann,‹ schreit der, ›du wirst doch schon
einmal einen Baumhackel gesehen haben?!‹ Nein, Dullhäubel, wenn ich
gewußt hätt, daß der Baumhackel in der Stadt sich Specht schreiben
laßt, den ganzen Tag hätt ich den studierten Herren davon erzählen
können.«

Der Dullhäubel holte den Hirschenbrunner Volkskalender vom
Fensterbrett, schlug ihn vorn auf und hielt ihn dem Hirten hin. »Jetzt
will ich mich überzeugen, ob du gut lesen kannst.«

Der Brunnkressenhannes holte aus der Brusttasche eine Brille herfür,
rüstete sich damit und setzte ein gelehrtes Gesicht auf.

»Mit Brillen lesen, ist keine Kunst,« rief der Bauer. »Das trifft ein
jeder.«

Der Hannes kehrte sich nicht dran und las langsam und gewichtig: »Sankt
Kilian stellt die Mäher an. Wann Maria im Regen übers Gebirg geht, dann
geht sie im Regen wieder zurück.«

Schnell deutete der Dullhäubel auf eine Eintragung, die auf der andern
Seite stand. »Ob du die Schrift auch verstehst?«

Der Brunnkreßner wischte mit dem Ärmel über die Nase und las: »Am
Montag nach Mariä Himmelfahrt ist der Kasper auf die Welt kommen. Den
Tag hernach ist unsere gelbfleckete Kuh, die Docke, beim Stier gewesen.«

»Selbes ist wahr,« freute sich der Bauer, »meine Mutter hat das
geschrieben. Die Zeit stimmt.«

Nun schlug er den Kalender hinten auf und hielt ihn lauernd dem Hirten
hin.

Der las: »Viehmärkte in Hirschenbrunn sind zu Georgi, am Tag vor Peter
und Pauli, zu Ägidi und zu Martini.«

Der Isidor wunderte sich über die Maßen. »Sakerment, wahr ist es,
vorn und hinten kann er lesen. Aber, Hannes, ich muß dich noch mehr
versuchen.«

Er rannte davon und kam nach einer hübschen Weile mit einem andern
Kalender zurück.

»Den hat mir der Mußmüllner geliehen, es ist ein Linzer Stadtkalender.
Ob du den auch verstehst?«

»Das wär nit schlecht.«

Der Hannes las, worauf des Dullhäubel derber Finger zeigte: »Ein Bauer
begehrte einen Viehpaß. Der Schreiber fragte: ›Auf wieviel Ochsen?‹ --
›Auf Zwei‹. -- ›Und der dritte treibt sie‹, lachte der Schreiber. --
›Und der vierte schreibt sie‹, lachte der Bauer.«

»Sakerment, ist das eine schöne, kurze Geschichte. Und ist sie auch
wahr? Und steht das wirklich so drin?« staunte der Dullhäubel.

»Ganz genau, ich beschwör dir es. Tausend Schwüre leg ich darauf ab in
einer Viertelstund!«

»So kannst du also einen jeden Kalender lesen vorn und hinten?«

»Oben und unten, geschrieben und gedruckt,« sagte der Hirt.

»Sakerment, wenn du jetzt noch die Gitarr zupfen könntest, du könntest
um die größte Schul einreichen,« meinte der Bauer.

Damit war der Brunnkressenhannes als Schulmeister aufgenommen. --

Am andern Tag hütete der Hannes auf der Weide vor dem Vogeltänd das
Vieh. Das Kuhhorn im Gürtel, saß er auf einem Stein, und vor seinen
Zehen brannten die feurigen Nägelblumen. Rings graste das Vieh, ein
rotblümetes Stierlein scherzte, ein Heuschreck hüpfte aus dem Gras auf.
Am Himmel glänzte eine linde Wolke.

Da brachte der Isidor Dullhäubel seinen Schüler daher.

»Er wird bei mir Zucht lernen,« rief der Brunnkressenhannes. »Gute
Zucht tragt gute Frucht. Da setz dich her zu meinen Füßen, Kasper!«

Er räusperte sich und fing an: »Zuerst müssen wir von der Welt lernen.
Drum merk auf, und sag es mir dreimal nach: Die Welt ist eine Kugel.«

»Oha!« schrie der Bauer, der zuhörte. »Weitaus gefehlt! Die Welt ist
ein Teller.«

Der Hannes bog den krummen Hals und sah den Dullhäubel scheel an.
Nachher begann er wieder: »Du kannst es mir glauben, Kasper! Die Welt
ist so rund wie dein Schädel.«

Betroffen tastete der Bub seinen Kopf ab, als wolle er den rechten
Begriff von der Gestalt der Erde gewinnen.

Derweil widerstritt der Bauer: »Alles ist gerad und eben. Wo sieht man
es denn, daß die Welt kugelrund ist? Wenn es so wär, müßt man ja auf
der Seite hinunterfallen. Bucklet ist die Welt, aber rund nit.«

»Die Welt ist rund wie eine Kegelkugel und dreht sich,« sagte der
Brunnkressenhannes scharf und unwillig. »Schwätz mir nix drein, Bauer!«

Der Isidor erwiderte: »Wenn die Welt sich dreht, müßt einmal das Wasser
aus dem Brunn fallen, du Aff du! Und mit dem Kopf nach unten müßt man
zeitweilig gehen, du Aff du! Stell dich einmal auf die Stubendecke
hinauf, du Aff du, und fall nit herunter!«

Der Hirt ward hitzig. »Und dennoch dreht sich die Erde um die Sonne!«

Da holte der Bauer weit aus und reichte dem Hannes einen schallenden
Hieb. »Ich vertrag viel, aber so arg laß ich mich nit narren, du
falscher Lügenteufel. Hab ich es doch erst heut wieder gesehen, wie
die Sonn aus der Erd heraus gerodelt ist! Und die Sonn steht nit, sie
geht; doppelt so geschwind geht sie wie ein Mensch.«

Der Hannes rieb sich die Wange. »Du bist ein grobes Wetter, Bauer.
Aber es hilft dir nix. Und die Gelehrten wissen allerhand, was dir
seltsam ist, und sie haben recht. Wie könnten sie sonst die Stund genau
ansagen, wo sich der Mondschein verfinstert?«

»Das nehmen sie ja aus dem Hirschenbrunner Kalender, du Narr!«

»Und wer macht denn den Kalender, he?«

»Den Kalender hat es allweil gegeben, du Narr. Hör mir auf mit deinen
neugescheiten Gelehrten! Die wissen am End gar, wann Gott die Welt
erschaffen hat.«

»Jawohl, Bauer, am dreizehnten März.«

Da schlug der Isidor Dullhäubel ein Kreuz, daß er sich dabei schier die
kupferne Nase aus dem Gesicht gerissen hätte, und ging und überließ den
Kasper seinem Schulmeister.

Der hob den Finger. »Jetzt, Bub, mußt du einen Spruch lernen. Sag mir
ihn nach!

    Kind, horch, was dein Gewissen spricht
    und handle so, dann fehlst du nicht!
    Die innre Stimme ruft uns zu:
    Böses meide! Gutes tu!«

Zeile um Zeile drillte er dem Schüler ein, und der konnte es bald
auswendig.

»So, jetzt lernen wir Lieder singen!«

Der Hannes zog das Maul schief, sah ins Gras und begann mit meckernden,
hohen Lauten:

    »Morgens, wenn die Sonn aufgeht
    und der Tau im Gras da steht,
    treib ich mit verliebtem Schall
    meine Viehlein aus dem Stall
    auf die grüne Hutweid hin,
    ob ich gleich ein Hirt nur bin.«

»Nun, Kasper, wie gefallt dir das Lied? Es hat eine recht sittsame
Weis.«

»Gar nit gefallt es mir,« rief das Bauernbüblein.

»Du Lump, du fauler, du geringschätziger!« tadelte gekränkt der Hannes.
»Du wirst auch einmal so ein Bauer werden, der alle Tag Sonntag und
alle Sonntag Kirchweih hat und nix tut, als an den Zäunen lehnen. Weißt
du vielleicht ein schöneres Lied?«

Der Bub ließ es sich nicht schaffen und gellte aus höchstem Hals:

    »Ich schrei hü,
    ich schrei ho,
    ich schrei allweil
    hüstaho!«

»Da loset dem jungen Dullhäubel zu, der braucht keinen Schulmeister
nimmer,« sagte der Hirt bissig.

Er kramte einen messingenen Ring heraus, das war seine Sonnenuhr,
stellte sie gegen das Licht und sah nach der Stunde.

»Bub,« meinte er, »meine Zeit ist da, mich schläfert. Nimm derweil das
Vieh in acht!«

Er unterwies den Kasper noch, wie er sich als Hirt zu halten habe,
verblümelte dabei seine Rede mit vielerlei nutzbaren Sprüchen, sank
dann auf einmal steif und mit gläsernen Augen ins Gras zurück und
schlief.

Der Kasper kümmerte sich nicht um das Vieh, sondern kitzelte die
Grillen aus ihren Nestern, und hernach fing er ein paar Bienen, sperrte
sie in ein Schachtel, und die war der Stall, dort sollten sie Honig
melken. Dann grub er ein tiefes Hummelnest aus. Eine Hummel entkam
ihm und irrte herum wie ein fliegendes Baßgeiglein, eine andere aber
ertappte er und steckte sie zu den Bienen, denen sollte sie der Weisel
sein. Auch die Hummelzellen gab er ihnen in den Stall, sie sollten
sich ihrer als Schüsseln und Bratscherben bedienen.

Bald war sein unruhiger Sinn des stillen Spieles überdrüssig, und er
schlich sich zu zwei weidenden Kühen hin und knüpfte ihnen die Schwänze
zusammen, und als er hernach böse zu summen anhob wie eine Blutfliege,
wurden die zwei Tiere vor Angst irr, sie wollten fliehen und konnten
nicht, sie versuchten sich zu scheiden, und es gelang nicht, das eine
zerrte hin, das andere zog her, sie sprangen immer närrischer.

Der Kasper ergötzte sich daran, und daß seine Lust noch höher steige,
stahl er dem Hirten das Horn und stieß mit aller Wut seines Atems
darein.

Der Brunnkressenhannes taumelte auf. Er sah, wie die Kühe mit
verknüpften Schwänzen, die eine rechts, die andere links, einen jungen
Ahorn schier umrissen. Verzweifelt griff er sich ins Haar, das so karg
stand wie der armen Leute Hafer.

»Herrgott von Blaustauden, laß nur die Schwänze nit reißen!« Mit diesem
und noch manch anderem Stoßgebet rannte er den Kühen zu Hilfe.

Da tauchte der Meßner Grazian aus einer Staude, ein spitzköpfiger,
einseitiger Mann; die eine Achsel stand ihm höher als die andere. Er
deutete mit krummem Finger auf den Kasper. »Das ist ein liederlicher
Bursche. Der wird es zu nix bringen.«

Der Bub blies mißtönig auf dem Stengel einer Ringelblume und schaute,
kalt bis ins mittelste Herz, zu, wie der Hannes die ungeduldigen Kühe
auseinander tat.

»Dem liederlichen Burschen wird es einmal schlecht gehen,« weissagte
der Meßner Grazian, »der wird noch einmal Mäus und Grillen fressen.«

Indes hatte der Hirt sein umständliches Amt vollbracht und fiel nun
mit einem heimtückischen Sprung über den Kasper her, lieh sich dessen
Ohrwäschlein aus, tappte ihm nach dem Schopf und riß ihm eine dicken
Schübel Haare aus. Dabei keuchte er: »Dank hab die Rut, sie macht das
Knäblein gut!« und der Kasper sollte den Spruch wiederholen. Der aber
stampfte und strodelte unter den Krallen seines Meisters und krähte wie
ein junger Rabe, der aus dem Nest gefallen ist.

Der Grazian hingegen predigte aus der Staude heraus: »Der liederliche
Bursche rennt dem Galgen zu, er kann ihn nimmer erwarten. Hau zu,
Hannes! Hau so viel Ruten an ihm ab, als auf einem Joch wachsen!« --

Damals endete das kurze Schulmeistertum des Brunnkreßners.

Der Isidor Dullhäubel nahm seinen Buben her. »Kasper, du wirst ein
großer Bauer wie ich. Du wirst einmal Vieh und Felder und Holz haben.
Holz macht die Erde stolz, und du kannst einmal stolz den Kopf heben,
und die andern Fuxloher Bauern werden nur Notleider gegen dich sein.
Lernen sollst du nit viel, es ist nit gesund. Wer viel weiß, wird nit
feist.«

»Zum Hannes geh ich nimmer,« trotzte der Bub.

»Du brauchst auch nit, Bub. Die richtige Meinung über die Welt bring
ich dir bei, und lesen und schreiben lernst du von der Altbäurin.«

Es war die lustigste Lehrzeit, die der Kasper bei seinem Vater
verlebte. Weil der Bauer glaubte, das Gedächtnis sei die wichtigste
Arbeit des Gehirns, so mußte der Bub die scheckigsten Lügenmärlein
auswendig lernen, davon die Geschichte vom brennenden Wasser, das mit
Feuer gelöscht worden ist, und von der papierenen Kapelle, drin der
hölzerne Pfarrer eine haselne Messe liest, noch am glaubwürdigsten
war. Hernach brachte der Dullhäubel seinem Schüler, der lebhaft wie
ein Hirschlein darein sah, manchen Spottreim und manchen spitzigen
Stichelschwank bei und erzählte ihm die Streiche, derer die Dörfer
diesseits und jenseits des Gebirges bezichtigt wurden, und bald wußte
der Kasper jedem Ort ein Narrenglöckel anzuhängen, und er spottete über
die Bärnloher, denen einmal ein Ochs auf den Kirchturm hinaufgestiegen
war, und über die Daxloher, wo die Kühe so bitterlich hungern, daß eine
der andern den Schwanz abfrißt. Quackten im Mai die Frösche, so lachte
der Kasper: »Die Grillnöder singen!« Und wenn die Blaustaudner Glocken
über den Wald herauf klangen, sang er:

    »Die Blaustaudner läuten,
    sie läuten vor Not,
    sie fangen den Bettelmann
    und nehmen ihm's Brot.«

Der Bub konnte auch bald so kunstvoll mit der Peitsche schnalzen wie
ein alter Fuhrknecht. Er schob die Finger ins Maul und pfiff schrill,
daß es den ganzen Wald Vogeltänd durchdrang und die Krähen in den
Nestern sich duckten.

Weil er den Großen und den Kleinen seine Sprüche und Stichelnamen
anhängte, traute sich schier niemand am Dullhäubelhof vorüber, und der
Kasper war von allen gefürchtet wie ein bissiger Enterich. Drum fand
er auch zu seinen Spielen keinen Gesellen.

Nur des Mußmüllers Gid, ein stämmiger, vertrotzter Bub, vertrug
sich mit ihm, und die zwei bauten Wasserräder in den Wolfsbach,
durchstöberten die Felder nach gesprenkelten Rebhuhneiern und die
Wipfel nach Nestern, fingen Schnerrer und Kranwitvögel, brieten und
fraßen sie, fischten und krebsten, schopften und prügelten sich
weidlich und söhnten sich wieder aus.

Die Nachbarsbuben waren bald nimmer zu trennen. Und kam einmal der
Gid nicht früh genug aus dem Haus, so stellte sich der Kasper vor des
Müllers Tür und lockte mit seiner feinsten Kehle durchs Schlüsselloch
hinein: »Müllnerin, wenn du den alten Mostbirnbaum magst, mein Vater
laßt dir ihn ausgraben. Ist der Gid nit daheim?«

Er tat so fein und so schmeichelnd, weil die Mühle der einzige Ort auf
der Welt war, der ihm unheimlich schien. Denn der Müller Gori drohte
oft den unbändigen Buben: »Ich laß den Wassermann los, er liegt in der
Kuchel im Ofenloch an der Kette.« Und sprang gar der schwarze Hund
Zikan, den einmal böhmische Komödianten zurückgelassen hatten, hinter
dem Ofen hervor und fletschte den Kasper an, da verzog er sich schnell
und blieb eine kleine Weile artig.

Aber das Blut der Buben verlangte allmählich nach verwegeneren Dingen,
und die vererbte Rauflust regte sich. So zogen sie oft an die Gemarkung
des Dorfes und forderten schreiend die Widersacher heraus.

    »Salz in der Butten,
    Mehl in der Gruben,
    die Grillnöder sind
    Hagbutzelbuben.«

Die Grillnöder Buben litten den Schimpf nicht, und sie trauten sich
über die Schmäher, und so kam es zu zerkratzten Gesichtern, verbeulten
Schädeln und blutigen Häuten, wobei aber der Kasper meist gesund
davonging, denn er hielt sich zur rechten Zeit zurück und überließ den
Hauptanteil an dem Streit dem Gid.

Der Müllerbub war auch weitaus stärker als Kasper. Nur im Gedächtnis
fehlte es ihm.

Einmal schickte der Mußmüller seinen Gid zum Schuster, und dort
richtete der Bub den Auftrag ganz verkehrt aus. »Gelobt sei Jesus
Christus, Schuster,« sagte er, »da schickt dir der Schuh ein paar
Müllner, er laßt dich gar schön doppeln, daß du ihn bitten tätst, und
daß du ihm morgen die Schuh machst, er will sie heut noch anlegen.«

Als der Kasper das erfuhr, kannte er die verdrehte Rede gleich
auswendig, und er schonte den eigenen Freund nicht und sagte sie ihm
allweil wieder ins Gesicht, so daß oft bitterer Unfriede wurde zwischen
den Buben und zwischen den Vätern, denn keiner, der Dullhäubel nicht
und der Mußmüller nicht, ließ etwas über seinen Sprößling kommen.

Bald traute sich der Kasper mit seinen Schwänken an die großen Leute.

So saß einmal der Schmied mit seinem Gesellen beim Mittag, die Suppe
rauchte, und das Weib schnittelte Brot in den Topf. Da sprang der
Kasper in die Stube und schrie: »Schmied, helft, helft, euer Brunn
brennt!« Hurtig rannten Meister und Meisterin und Gesell hinaus zum
Brunnen, und als die Genarrten zurück kamen und alle Sakermenter
schalten, stand ein Ochs in der Stube, der hatte die Suppe ausgesoffen
und leckte sich noch die Nasenlöcher. »Den Hammer her!« brüllte der
Schmied. Er hätte das Bürschlein mit den Ohren vor seine Werkstatt
genagelt, wenn es nicht gar so entsetzlich um Erbarmen gebettelt hätte.

Der Kasper lernte dazumal, daß die Leute alles und auch das
Unglaublichste glauben, man braucht es ihnen nur zu sagen.

Derlei Unfug trieb er noch viel. Der Bauer litt es und nahm lachend den
Missetäter in Schutz. Ein einziges Mal nur vergriff er sich an ihm.

Die Grillnöder Buben brachten dem Kasper einen seltsamen Schimpf auf.
»Erdspiegelbub! Erdspiegelbub!« kreischten sie und zeigten auf ihn. Er
konnte sich nicht wehren, weil er nicht wußte, was das Wort bedeutete.

Der Brunnkressenhannes sagte ihm hernach, daß im Dullhäubelhof in
einem schauerlichen Loch neben dem Krautkeller der Spiegel aufbewahrt
sei, drin alles offenbar werde, und in dessen Glas jeder Dieb und
Räubersknecht sich zeigen müsse, wenn es der Bauer verlange.

Er erzählte: »Vor alter Zeit ist mein Ähnel einmal durchs Gehölz
gefahren. Plötzlich geht der Wagen nimmer vom Fleck. Die Ochsen legen
sich ins Joch, daß sie züngeln und der Schweiß ihnen rinnt wie ein
Bach, der Ähnel haut mit dem Geißelstecken auf das arme Vieh los,
umsonst, der Wagen steht wie angefroren. Da nimmt er vor lauter Zorn
die Axt und haut sie ins Hinterrad. Gleich rollt der Wagen wieder
fort, als ob nix gewesen wär. Wie der Ähnel hernach zum Dullhäubelhof
kommt, hört er es drin ächzen. Er schaut nach. Da liegt der Servaz
Dullhäubel blutig im Keller bei dem Erdspiegel und sein Fuß abgehackt
neben ihm. Der Servaz hat in dem Glas meinen Ähnel fahren sehen, hat
ihm einen Possen tun wollen und den Fuß aufs hintere Rad in den Spiegel
gestellt. Und wie mein Vorfahr dreingehaut hat, hat er dem Servaz den
Fuß abgehackt. Er soll hernach krumm gegangen sein, der Servaz.«

Der Kasper schlich sich am selben Tag noch in den Keller. Aber die
Tür zum Erdspiegel war vernagelt, und als er sie aufsprengen wollte,
ertappte der Bauer den neugierigen Buben und legte ihn übers Knie.

Das war das erste und letzte Mal, daß der Kasper des Vaters Faust
spürte.

Als die Sodonia den Enkel in solchen Ränken und Schwänken aufwachsen
sah, kränkte sie sich arg. Sie machte sich wunderliche Gedanken über
ihn und fürchtete sogar eine Zeitlang, der Kasper sei ein Wechselbalg
und in der Wiege vertauscht worden, und darum habe er auch einen gar
so großen Kopf und ein so boshaftes Gemüt, und sie bereute, daß sie ihm
nicht gleich nach der Geburt Märzhasenaugen um den Hals gehängt hatte,
den höllischen Tausch zu hindern.

Nun wollte sie seinem Übermut stauen, indem sie ihm die ewigen Leiden
vorhielt. Sie blätterte mit ihm durch des Kapuziners Cochem »Goldenen
Himmelsschlüssel« und wies ihm drin die Bilder, wie die Sünder am
Bratspieß des Teufels gespickt wurden und ihnen der Leibhafte mit
feuriger Axt das Fleisch vom Bein metzgerte und das Glied aus dem
Gelenk riß, wie Nattern mit giftigen Zungen die Verdammten mitten ins
Herz stachen und schleimige Kröten ihnen ins Maul krochen, und wie ein
derart gepeinigter Mensch sich nicht helfen und nicht wehren konnte,
zumal da er durch den Bauch an den Erdboden genagelt war.

In des Vaters Cochem Höllenspiegel gilbten dürre, duftende Nußblätter.
Die Sodonia ließ den Buben oft daran riechen und sagte dazu traurig:
»Die Blätter wachsen nit in Fuxloh, sie wachsen in einem Land, wo die
Leut milder sind.« Die Alte hatte aus einem fernen Dorf aus dem Vorland
des Gebirges herauf geheiratet.

Obschon der Kasper sich in der Nacht abergläubisch fürchtete, am
lichten Tag schreckte ihn der Ahnin Warnung nicht, daß auch er einmal
in den Höllenkessel hinabquirlen und drunten brennen und braten
müsse. Er wurde im Gegenteil immer begieriger, die marterlichsten und
verwickeltsten Peinen des Satans kennen zu lernen, als wolle er diesem
einstmals als gelernter Gesell behilflich sein. Das merkte die Sodonia
mit blutendem Herzen, und sie hakte bald den Höllenspiegel zu und malte
den Teufel nimmer an die Mauer.

Der Kasper schlief in ihrer Kammer, und wenn er nachts aufkam, sagte
sie mit ihm das Einmaleins auf, um ihn von bösen Gedanken abzuhalten,
und lehrte ihn kopfrechnen. Auch die Schrift brachte sie ihm bei, und
beim Lesen zeigte er sich recht anstellig, dabei aber geschah der große
Fehler, daß das abgegriffene Buch, darin er lesen lernte, »Die lustigen
Streiche des Till Eulenspiegel« hieß.

Die einzige Hoffnung der Sodonia war, daß der mißratene Mensch sich
schon geraderecken werde, wenn er einmal die Lehren des Glaubens aus
berufenem Mund hören werde.

Und es kam die Zeit, da versammelte der Pfarrer Sebastian Knaupler die
Fuxloher Kinder vor der Kapelle des Blaumantels, um sie für die erste
Beicht würdig vorzubereiten. Er lehrte sie die himmelschreienden und
die lässigen Sünden hersagen, erzählte ihnen die biblischen Geschichten
und münzte, was er da an geistlichen Dingen vorbrachte, in fröhlichen
und handgreiflichen Augenschein um.

Also hob er, als er von der Sündflut erzählte, die Kutte immer höher
und höher, damit das steigende Wasser recht anschaulich den Kindern
ans Herz schwölle, kletterte schließlich, von den Buben gehoben, auf
die Kapelle, das wachsende Meer zu verdeutschen, und rang droben die
Hände. Dem Häuflein drunten ward angst, mit weiten Augen schauten sie
zu dem geistlichen Herrn auf und in ihren Hirnen dämmerte der Umfang
des Strafgerichtes.

Da riß ein Lärm die kleine Gemeinde aus den Schauernder Sündflut in das
alltägliche Fuxloh zurück.

Der Brunnkressenhannes, der dem Pfarrer Sebastian Knaupler das
schulmeisterliche Amt neidete, sah von der Viehweide nieder, tutete und
näselte:

    »Auf der Wies und auch am Klee
    ich so lange umher geh,
    bis sich laßt ein Brünnlein finden,
    daß mein Vieh daraus kann trinken,
    allda setz ich mich in Ruh,
    nehm die Schwegel, pfeif dazu.«

Wie neugierige Gänse reckten die Kinder die Hälse und lauschten dem
Störer. Der Pfarrer drohte: »Da alter Grillenkitzler, jetzt halt schon
einmal das Maul!«

Um die Sinne der Kinder wieder an sich zu reißen und die
bergüberschwellende Flut in einem verwogenen Bild auszulegen, packte
er den Ast über sich und schwang sich in die Föhre. Er glitt aber
dabei aus und stürzte. Zum Glück verhängte er sich mit den Füßen in
eine Astgabel, die Kutte sank ihm über den Kopf verhüllend nieder und
entblößte zwei dünne, borstige Beine, die von einem kurzen Lederhöslein
nur spärlich bedeckt waren. Aus der Kutte heraus flehte er gedämpft um
Hilfe.

Die Kinder meinten, das gehöre alles zu der biblischen Geschichte,
drum rührten sie sich nicht, warteten und staunten. Schließlich kam
der Hannes mit einer Leiter gelaufen und erlöste den Herrn Sebastian
Knaupler aus seinem absalomischen Zustand.

Der Pfarrer wischte sich den Schweiß. »Kinder, für heut ist es genug.
Habt ihr alles begriffen?«

Der Kasper hob die Finger in die Höhe. »Ich begreif nit alles.«

»So mußt du mich fragen, kleine Seele!«

Hellauf rief der Bub: »Was für eine Himmelssünd ist das, die
Unkeuschheit?«

»Die Unkeuschheit,« brummte der Geistliche, »das ist, wenn einer die
Hosen verkehrt anzieht. Und frag nit zuviel, Bengel, und bet zu deinem
Schutzengel, er soll dich nit verlassen!«

»An den Schutzengel glaub ich nit,« sagte der Kasper keck.

»Warum nit?«

»Wenn ich einen Schutzengel hätt, so hätt er mir helfen raufen, wie
mich der Schmied in der Beiz gehabt hat.«

Da fiel der Pfarrer über den Buben her und rüttelte ihn beim Kragen.
»Du frevelhafter Teufel, wirst du gleich an deinen Schutzengel
glauben!« --

In der Woche vor dem Freudensonntag beichtete der Kasper zum erstenmal.
Der Pfarrer spitzte seine Ohren scharf, und der Sünderling wispelte
hurtig hinein: »Bei der Mußmühl weiß ich ein Nest, sind fünf Eierlein
drin, fliegt allweil eine Bachstelze hin. Dir sag ich es. Daß du es
aber niemanden sagst, Pfarrer!«

Der Herr Sebastian Knaupler zog das Schneuztuch heraus und schneuzte
sich lange. Dann schlug er ein ellenlanges Kreuz in die Luft und
segnete. »Geh hin, o Mensch, deine Sünden sind dir vergeben!«

       *       *       *       *       *

Der Kasper ging hin und wuchs sich gemächlich zu einem stämmigen
Burschen aus, stark und gelenkig. Sein Kopf war noch größer geworden,
nur die Augen blieben winzig und die Stimme hoch und dünn und kichernd,
wie er sie als Kind gehabt hatte.

Er plagte sich nicht, mit seiner Arbeit hätte er sich kaum das
tägliche Brot verdient. Viel lieber schlüffelte er im Dorf umher und
lauschte überall hin mit offenem Maul und verschlagenem, flinkem
Blick. Hemdärmlig stand er auf der Kegelstatt und wog und warf die
Scheibkugel, daß es donnerte.

Die Sodonia verwarnte ihn oft und rieb ihm vor, wie Müßiggang bösen
Ausgang nehme, besonders bei einer Bauernwirtschaft, er aber pfiff sich
ein Lied lustiger als das andere, rückte sich den Hut schief und sang:

    »Und ein bissel bin ich bucklet,
    und ein bissel bin ich krump,
    und ein bissel bin ich tilltapp,
    und ein bissel bin ich Lump.«

Weil er in der Rede gut beschlagen war und keinem die rechte Antwort
schuldig blieb, und weil er schier aus lauter schönen Spitzbübereien
zusammengesetzt war, wählten ihn die Burschen, die im Fasching vermummt
durch die Dörfer reisten, zu ihrem Hanswurst, und in diesem Amt trug er
einen strohenen Dreschflegel, einen Spitzhut und ein Kleid, aus hundert
bunten Flecken närrisch zusammengewürfelt wie seine Seele.

Der Müllergid ging als der Hauptmann voran, ein gefranstes Handtuch als
Schärpe vor der Brust, auf der Achsel einen Spieß, der sich unter dem
Speck bog, den sein tolles Gesindel aus den Rauchfängen der lachenden
Bauern heimste.

Und der Kasper stürzte jäh ins Knie, hob die Hände auf und schrie
kläglich: »Ihr lieben Daxloher, ich bitt euch um Gottes willen, gebt
her ein Pfund Teufelsspeck! Leugnet es nit, vor Dreikönig habt ihr
den Teufel abgestochen und in den Rauch gehängt. Und ich bitt euch
gar schön um eine kuhwarme Blutwurst, so lang muß sie sein, daß sie
sich neunmal um den Blaustaudner Turm wickeln laßt und dreimal um eure
Bürgermeisterin.«

Dann sprang er wie ein Heuschreck auf und schlug sich mit dem
Strohflegel eine Gasse durch die Gaffer, und während seine Gesellen
am Dorfanger tanzten und der Pritschenmeister einen der Zuschauer auf
die Bank legen ließ und ihm fünfundzwanzig auf die Hinterlandschaft
maß, durchstöberte der Kasper die Speckkammern und Ofenröhren der
unbewachten Gehöfte, und kam dann üppig beladen zurück zu seiner Bande
und jauchzte: »Die ganze Welt ist ein Fasching, juchu!«

In Blaustauden trieb der Kasper einen verreckten Geißbock auf. Sein
Gesindel grub hinterm Dorf ein Loch und senkte den Bock hinunter. Der
Kasper hielt die Grabrede: »Unser lieber, guter Herr Burgermeister ist
tot.« Und einer kniete neben ihm, als Wittib verkleidet und jammerte,
daß es einem das Herz zerspaltete und den Weibern rings das Wasser
aus den Augen sprang. »Ein guter Hausvater ist dahin,« hub der Kasper
wieder an, »ein braver Ehemann. Ihr Jungfern von Blaustauden, ich
wünsch euch allen einen so eifrigen Mann.«

Der Meßner Grazian aber, der unter den Leuten stand, begehrte auf. »Ich
laß den Blaustaudner Jungfern ihre Ehre nit angreifen,« schrie er und
drängte sich scharf zu dem Redner hin.

Gleich wurden die Köpfe rot, ein Knäuel ballte sich zusammen, Fäuste
reckten sich, und der Meßner lag auf einmal in der Grube auf dem
Geißbock.

Es wäre zu blutigen Schlägen gekommen, wenn nicht der neue
Pfarrer Nonatus Hurneyßl eingegriffen hätte, ein aufrichtiger
und entschlossener Mann. Mit dem Regenschirm jagte er die Leute
auseinander, verfolgte damit den Kasper, der sich mit dem Strohflegel
nur schwach wehren konnte, zum Ort hinaus und half schließlich mit dem
nämlichen Schirm seinem Meßner aus der Grube.

In der Nacht vor dem Fastensonntag trommelte es dem Grazian ans
Fenster. Der Grazian, in der Meinung, es gelte, einen Kranken zu
versehen, tat den Laden auf, und blitzschnell wurde etwas Gehörntes,
Fürchterliches, an eine Stange Gebundenes in die Stube gestoßen, und
das roch abscheulich.

»Der Teufel ist es, er stinkt nach Schwefel!« schrie die Meßnerin und
fiel aus einer Schwäche in die andere.

Der Grazian dachte gleich an seine Höllenfahrt und kroch plärrend
unters Bett.

Als die aufgeschreckten Nachbarn in die Stube leuchteten, fanden sie
einen halbverwesten Geißbock.

Der Grazian wollte sich den Fastenbraten und den daran hängenden Spott
nicht gefallen lassen und übergab die Sache dem Gericht. Der Täter aber
kam nicht auf, trotzdem daß alles mit den Fingern auf ihn hätte weisen
können.

Damals geigte die Sodonia dem Kasper tüchtig die Wahrheit, und es
schien, als ginge der Bursch in sich und verabscheue seinen Wandel, der
die Leute ärgerte.

Er stellte sich Tauben ein, züchtete sie und handelte damit und redete
von nichts mehr als von Schopf- und Kropf- und Trommeltauben, von
rotgesudelten und schwarzgesudelten, spiegelnden und rauhfüßeten Tauben
und pfiff den Vögeln den ganzen Tag und lockte sie, die über den First
des väterlichen Hauses trippelten.

Und in der Zeit dieser zärtlichen, weichen, sehnsüchtigen Pfiffe, und
während er die Spiele und Scherze der Vögel betrachtete, wie der Tauber
sein Weiblein umtanzte und girrend scharwenzelte und sie am Schnabel
zog, und wie die beiden beleidigt und dann wieder schön mit einander
taten, da wurde das Blut des Kasper ganz wunderlich, und er konnte sich
selber nicht begreifen.

Und einmal, der Mond blinkte in die Stube, wo Bauer und Bäurin in dem
breiten Himmelbett schliefen, da tappte sich der Kasper zur Tür. Aber
er stieß an einen Stuhl, und der Bauer fuhr auf und sah den Burschen
schleichen.

»Wohin denn, Bub?«

»Vater, heiraten möcht ich,« lallte der Kasper halb im Schlaf.

»Du hast recht. Heut noch nit, aber morgen, Bub. Und jetzt leg dich nur
wieder!«

Folgsam kehrte der Kasper um und schlief weiter. --

Seit jener Mondscheinnacht lachte der junge Dullhäubel den Dirnen in
die Augen. Und um sich vor ihnen ein Ansehen zu geben, handelte er sich
vom Krämer eine Tabakspfeife mit buntem Kopf ein, die steckte er in die
einwendige Brusttasche, daß das Mundstück herausguckte. Auch putzte er
sich mit einem blauen Hut, grasgrünen Hosenträgern und einer breiten
Uhrkette auf und ließ sich unter der Nase einen fuchsfeuerroten Schnurz
wachsen. Und seine Schultern wurden breiter, seine Hände fester und
griffiger. Nur die Stimme blieb ihm hoch und kindisch schrill.

Einmal saß die Sodonia nachts im Bett auf, weil sie sich den Schlaf
nicht erzwingen konnte. Da hörte sie es wie mit Diebestritten das Haus
umspüren und bald hernach den Kasper draußen halblaut singen:

    »Dirndel, tu auf
    und laß mich zu dir,
    bin ein armer Kaplan,
    sollst beten mit mir!«

Die Alte witterte neuen Unfug, und sie wollte die Hand über des
Burschen Unschuld halten. Denn seine Mutter, die Sanna, kümmerte sich
nicht um ihn, sie lag den halben Tag hinter der Scheuer unter der
Hollerstaude, und die Stalldirn fing ihr die Läuse.

Die Sodonia wurde wachsam, und bald darnach merkte sie, wie sich der
Kasper nach dem Essen davon zog und auch die Geißdirn verschwunden
war. Schleunig suchte sie Dachboden, Stall und Stadel durch, bis sie
schließlich zu einem alten, von Brombeergebüsch verwucherten Backofen
kam, dort sah sie vier Füße heraus stehen. Sie packte das eine Paar
kräftig an und zog den Kasper heraus.

Scheltend führte sie ihn zum Bauer. Aber der lachte unbändig und freute
sich über den Ort, wo die Verliebten ihre Zuflucht gefunden hatten.

Es war zum letztenmal, daß der Isidor Dullhäubel sich freute. Er
verfiel auf einmal, sein Gesicht wurde käsweiß, die kupferne Nase
überzog sich mit Grünspan, und er behauptete, sie täte ihm weh. Die
Kraft ging ihm aus.

Zu Mariä Geburt rief er den Kasper zu sich in die Stube. Er zog sich
die hirschlederne Hose aus, die von den Vorfahrern überkommen war, warf
sie dem Burschen hin und murrte: »Da!« Auf dem Tisch schillerten sieben
Tabakgläser, darin die Namen der Wochentage geschliffen waren, und das
Sonntagsglas glühte rot wie ein brennendes Herz. Der Bauer deutete
darauf und ächzte: »Da!« Hernach ließ er sich matt ins Himmelbett
fallen und starrte zu dem Spiegel hinauf, der darüber als Decke hing,
und sah droben das kalkige Gesicht und die grüne Nase und seufzte.

So wich der alte Bauer dem jungen. --

Am Kirchweihsonntag schleppte sich der Isidor Dullhäubel zum letztenmal
in den »pfalzenden Hahn«. Und als er mitternachts toll und voll
heimkehrte, weckte er seine Bäurin und sagte fröhlich: »Heut hab ich
die Krankheit versoffen.«

Der Kasper schwenkte noch am grauen Morgen die Dirnen im Tanz, als sein
Knecht ganz außer Atem daher kam. »Kasper, heimgehen sollst du. Der
Bauer ist gestorben.«

»Hast du mich erschreckt!« antwortete der Kasper. »Ich hab schon
gemeint, der rotblassete Tauber wär hin.«

       *       *       *       *       *

Der neue Bauer schaffte dem Toten ein schönes Begräbnis an. Die
kupferne Nase nahm er ihm, als er in der Truhe lag, weg, sie konnte dem
Isidor beim Jüngsten Gericht mehr schaden als nützen. Der Kasper band
sie an den Senkel der Stubenuhr, die schon längst ein stärkeres Gewicht
gebraucht hatte. So hing ihm allzeit ein Andenken an den Verewigten vor
Augen.

Die Musikanten bliesen, der Pfarrer spritzte den Weihbrunn über die
Truhe und betete um das immerwährende Licht und um die ewige Rast, und
der Kasper heulte am Grab des Isidor Dullhäubel und begehrte, man solle
ihn gleich mit dem Alten einscharren.

Hernach ließ er sich nach ewigem Dorfbrauch ins Wirtshaus spielen,
und dort ging es feucht und lustig her, daß der junge Dullhäubel beim
Abschied schluchzend zu den Musikanten sagte: »Mein Vater hat jetzt
eine schöne Leich gehabt. Wenn wir leben und gesund sind, müßt ihr mir
bei meinem Begräbnis auch so schön aufspielen.« --

Der Mond war schon schlohweiß unterwegs, als sich der Trunkene
heimtrollte.

In der Blaumantelkapelle war es hellicht. Der Kasper Dullhäubel stierte
hinein. Ihm schien es, der Heilige beutle unwillig den Kopf und hebe
die Handteller gegen ihn, als greine er: »Fahr ab, du Sündenlümmel!«

»Du bist ein Lümmel, nit ich!« antwortete der Bauer. »Und meine Nase
nimmst du mir nit, die ist kerngesund. Schau nit so scheinheilig drein!
Wer weiß, wer du gewesen bist bei Lebzeiten.«

Der Heilige glotzte mit offenem Mund, der Mond verlieh ihm Leben.

»Dir verdank ich meinen roten Bart,« knurrte der Dullhäubel. »In dich
hat sich meine Mutter verschaut, wie sie mich getragen hat. Wir zwei
rechnen noch einmal ab miteinander. Und red nit so grob mit mir! Jetzt
bin ich der Dullhäubel.« --

Tags darauf bat er die Altbäurin, sie möge ihm ein altes Heiligenbuch
leihen, das er einmal in ihrer Truhe gesehen hatte.

Die Sodonia freute sich. »Das Buch schenk ich dir, Bauer. Das ist
recht, daß du jetzt einkehrst bei dir und das Leben der Heiligen lesen
willst, daß du ein Beispiel vor dir hast. Und so wachst in deiner
Frömmigkeit ein gutes Blümel aus deinem Vater seinem Grab.«

»Sind alle Heiligen drin?« fragte er kurz.

»Alle! Alle!« Sie nickte feierlich.

Eine Woche lang buchstabierte er sich durch das andächtige Buch,
daß er das Leben des Blaumantels kennen lerne. Er hoffte, in der
Erdenwallfahrt des heiligen Nachbarn einen schwarzen Fleck zu finden,
wie ja die stolzesten Heiligen oft die größten Sünder gewesen sind.
Vielleicht hat der Blaumantel einen Bauer im Roßhandel betrogen oder
es mit einem leichtfertigen Weibsbild gehalten oder gar irgendwo auf
der Straße einen Wegfahrer abgegurgelt. Es gibt gar wunderliche Brüder
unter den Heiligen. Und wenn der Dullhäubel den Fleck des hochfährtigen
Heiligen aufgedeckt hat, wird er ihm ein paar schöne Strahlen aus dem
Heiligenschein zupfen und ihm gehörig heimgeigen, wenn der Blaumantel
ihm noch einmal ins Gewissen reden sollte.

Doch wie scharf der Bauer auch die Buchstaben ins Auge nahm und
wie mißtrauisch sein Finger über die Zeilen tappte, daß ihm nichts
entwische, er fand in dem Buch nicht einmal den Namen des Heiligen.

»O du Duckmauser, wer weiß, was für einer du bist?« grinste der Kasper
Dullhäubel. »Jetzt will ich dir erst recht nachspüren.«

Er suchte den hochwürdigen Herrn Nonatus Hurneyßl heim.

Der Pfarrer lehnte gerad im Predigtstuhl, der ein großes, nach oben
offenes Schneckenhaus war, und erzählte die Marter des heiligen
Sebastian.

»Was gilt es, du kriegst den Pfeil in die Gurgel!« rief er. »Was gilt
es, du kriegst den Schuß in den Nabel! Bums, sitzt dir der Pfeil im
Schienbein! Ja, meine lieben Seelen, da sperrt ihr euer Maul auf
und loset. He, du alte Zipfelhaube im dritten Stuhl am Eck, schlaf
nit! Greift dich denn die Marter gar nit an? He, du Bürgermeister
von Grillenöd, räusper dich nit so laut! He, Mausfallenwirt, lach
nit so mit den Stockzähnen! Versuch es, laß du dir einmal von einem
gottschändlichen Buben mit der Schindelbüchse einen Nagel in den
geschwollenen Magen schießen!«

Da knarrte das Kirchtor, der Kasper Dullhäubel stand da und tappte
demütig in den Weihbrunnkessel.

»Gehorsamster Diener, Dullhäubel!« grüßte der Herr Nonatus Hurneyßl
grimmig. »Hast du den Weg verfehlt? Oder regnet es draußen, weil du
da herein kommst? Kannst du nit zur Zeit da sein? Mußt du mich in den
schönsten Martergeschichten stören? Hast du vielleicht einem Geißbock
die letzte Ölung geben müssen? Das möcht ich wissen, was du heut von
unserm Herrgott verlangst. Herrgott im Altar, trau dem Dullhäubel nit!
Ja ja, schnupf nur, und tröst deine Nase! Der Teufel wartet auf dich,
er bekränzt schon die große Bratröhre, wo er dich dünsten wird. Amen.«

Die Gemeinde murmelte: »Vergelts Gott!« und der Pfarrer stieg
schwerfällig von der Schneckenkanzel herab.

Nach der Messe schob sich der Dullhäubel in die Kanzlei des geistlichen
Herrn.

Der rief leutselig: »Ei, was für ein Wind tragt den Dullhäubel daher?
Willst du gar schon heiraten? Das wär ratsam. Deine Wirtschaft braucht
ein Weib.«

»Mich druckt ein besonderes Anliegen,« entgegnete der Bauer. »Sag
mir, Hochwürden, woher stammt denn unser guter Schutzheiliger, der
Blaumantel? Und was für Martern hat er erlitten, eh die Fuxloher ihn
in die Kapelle gesperrt haben?«

»Meine liebe Seele, ich kann dir darüber nit viel Auskunft geben.
Euer Heiliger schreibt sich eigentlich Sankt Aurazian, so steht es in
unserm Kirchenbuch zu lesen. Sonst ist über ihn nirgends ein Wort zu
lesen, so viel ich auch die Heiligengeschichte nachgeblättert hab. Mein
Vorgänger, der Pfarrer Sebastian Knaupler, hat in selbiger Sache einen
Brief an die päpstliche Kanzlei in Rom geschrieben, aber auch die haben
nix gewußt vom heiligen Aurazian. Er muß ein gar bescheidener Mann
gewesen sein, weil er nix von sich hinterlassen hat als seinen Namen.«

Der Dullhäubel dankte und ging. Bei der Siebenkittelwirtin kehrte er
ein und trank, bis er strotzte, und erst, als er keinen Trunk mehr
vermochte, besann er sich auf den Heimweg.

Die Nacht war schwarz, kalter Regen schlug durch den Wald. Der Steig
war voll Gerill und Geröll und voll lauernder, tückischer, schlüpfriger
Wurzeln, so daß der Bauer oft hinstürzte.

Vor der Kapelle zündete er sich die Pfeife an und beleuchtete den
Heiligen. Der wehrte mit den Armen ab, als wolle er keinen Teil haben
an dem Dullhäubel und als grause ihm vor dessen trunkenen Wandel.

»Herr Auraz Blaumantel, jetzt red du selber, wer du bist,« gröhlte der
Bauer. »Gelt, du staunst, daß ich deinen Taufnamen weiß? Ich komm dir
schon hinter die Schliche. Red, wer du bist! Du hast das Maul allweil
offen und kannst nit giges und nit goges sagen.«

Schärfer schlug der Regen nieder, der Wind bog die Bäume, der Wolfsbach
sauste.

»Von dir weiß nit einmal der Papst in Rom, woher du bist, du
zugereister Heiliger. Aber ich bin der Dullhäubel aus Fuxloh!«

Und er kroch in die Kapelle, rollte den Blaumantel in den Regen hinaus,
legte sich an seine Statt und schlief ein. --

In aller Frühe stapfte der Holzhacker Longinus Spucht mit seinem Weib
daher, zwei Leute, eines kleiner als das andre. Sie wollten weit in den
Lusenwald hinein, Bäume schneiden, und hörten es jetzt in der Kapelle
drin schnaufen und rasseln und gurgeln.

»Um teufelswillen, Weib, der Blaumantel schlaft hart,« wisperte der
Spucht.

»O du Batzenlippel,« spottete sie, »wie kann denn ein Hölzerner so
schnaufen?!«

»Also ist es ein Bär,« stammelte er.

»Schau hin, ob niemand in der Kapelle liegt!« befahl sie.

Er tat ein paar verzagte Schritte und rief: »Ist niemand in der
Kapelle?«

Da kreischte drin eine greuliche Stimme: »Was, bin ich jetzt auf einmal
der Niemand? Ein großer Herr bin ich, auf der Welt gibt es keinen
größern. Ich bin der -- --«

Weiter hörten die zwei nichts, sie rannten in einem Saus dem Wald zu. --

Die alte Ulla hob hernach den obdachlosen Heiligen wieder in seine alte
Heimstatt und wusch ihm den blauen Mantel, der arg beschmutzt war.

Im Gau des Lusens ging bald das Gerücht um, der Heilige habe mit zwei
armen Holzhackern ein frommes Gespräch geführt.

Der Dullhäubel aber prahlte sich, er habe die ganze Nacht mit dem
Blaumantel im »pfalzenden Hahn« gesoffen und Karten gespielt und habe
schließlich den trunkenen Heiligen heimschaffen müssen.

       *       *       *       *       *

Das Frühjahr kam, die Tage nahmen auf.

Da tändelten die Vögel, der Birkhahn krudelte, der Kiebitz tanzte um
seine Frau, der Fuchs lief der Füchsin nach und der Has der Häsin.

Und wie die Sterne so zierlich leuchteten und der breite Bauernmond
über den Fuxloher Heustadeln hing, stieg der Dullhäubel auf
halsbrecherischen Waldsteigen übers Gebirg hinüber ins Bayernland
der Einöd Kaltenherberg zu. Der Lugausbauer dort hatte eine mächtige
Tochter.

Das Gehöft lag schon finster.

Der Dullhäubel klopfte an.

Drin meldete sich der alte Lugaus. Er trat ans Fenster und spähte in
die weiße Nacht heraus.

»Bist du der Bauer?« fragte der Dullhäubel.

»Der bin ich.«

»Tu auf! Heiraten möcht ich. Deine Tochter möcht ich.«

»Hoho, wer bist denn du? Der Lugaus gibt sein Mensch nit dem ersten
besten, der in der Nacht daher reitet. Wir Bauern auf der Einöd sind
dumm, aber zum Narren haltet uns keiner.«

»Dem Mußmüllner aus Fuxloh sein Bub bin ich. Hast du noch nie nix
gehört von der Mußmühl?«

»Ei freilich! Komm nur herein! Bist herzlich gern gesehen.«

Der Alte riegelte die Tür auf, dann stieg er im Vorhaus die Stiege ein
paar Staffeln hinauf und rief in die Bodenluke hinein: »Ogath, heb
dich! Heb dich schleunig! Der Mußmüllnerbub ist da. Schlupf in den
Kittel! Leg an dein seidenes Gewand!«

Der Dullhäubel setzte sich auf eine mit Rosenstöcken reichlich bemalte
Truhe und ließ die Füße baumeln.

Die alte Bäurin gab ihm die Hand und kicherte und nickte unablässig.
Der Lugaus brannte einen Span an und steckte ihn in den Leuchter am
Ofen, hernach ließ er sich am Tisch nieder und schmunzelte übers ganze
stoppelige, faltige Gesicht.

»Gesehen hab ich dich noch nit, Müllnerbub,« sagte er. »Ich bin nur
ein einziges Mal drüben gewesen in Fuxloh. Der Weg her ist gar wild,
voller Steinfelsen und Gewurz. Dazumal bin ich mit dem Leiterwagen
herübergefahren von Fuxloh. Den Weg hab ich dersider verschworen
und verredet. Wie ich die Ochsen so antreib, verlier ich zuerst die
Leitern, hernach das linke Hinterrad, hernach das rechte, hernach das
linke Vorderrad, hernach das rechte, schließlich den Hinterwagen, und
wie ich daheim war, waren nur mehr die Ochsen da mit der Deichsel.«

Die Ogath trat herein, eine starke, große Dirne. Über Achsel und Brust
hing ihr ein haselbrauner Zopf; ein ganz kleines, feines Bärtlein wuchs
ihr über der Lippe, es stand ihr gar nicht schlecht.

»Da setz dich zu ihm hin,« sagte der Lugaus. »Heiraten sollst du!«

Halb schläfrig, halb verschämt ließ sie sich auf die Truhe nieder
und schmiegte sich an den Dullhäubel. Die alte Schwieger nickte und
kicherte.

»Die Ogath ist für dich, Müllnerbub, die kriegst du,« fing der Lugaus
wieder an. »Schau sie nur an, wie sie gestellt ist! Wie hochbrüstig
sie ist! Ja, meine Menscher haben Schmalz. Drei hab ich schon
ausgeheiratet, leicht hab ich sie angebracht. Die Ogath ist jetzt die
letzte.«

»Schön ist sie wie ein Nägleinstock,« kicherte die Lugausin.

Der Bursch tat den Arm um das volle, noch von Bett und Schlaf warme
Weib, und sie schielte heimlich zu ihm hinüber.

»So red ihm doch schön zu, Ogath!« drängte die Alte. »Bist denn du eine
Stummin?«

»Nach Fuxloh geb ich das Mensch gern, Fuxloh ist ein schönes Ort,«
sagte der Lugaus.

Die Junge erwiderte mit tiefer, lachender Stimme: »Herzlich gern geh
ich fort aus der Einöd.«

Der Dullhäubel gab ihr recht. »Eure Einöd gilt bei uns nit viel. Der
Isidor Dullhäubel, Gott schenk ihm das ewige Licht, hat gespottet, bei
euch täten sie den Mittag mit dem Kleiensack ausläuten.«

»Der Dullhäubel hätt über seinen kupfernen Kumpf spotten sollen!« fuhr
der Alte auf. »Wie man hört, hat den Hof jetzt wieder genau so ein
Spitzbub wie alle seine Vorfahrer.«

»Ich bin aber der Mußmüllnerbub,« redete der Dullhäubel flugs darein.

»Ein Müllner ist mir recht. Den nimmst du, Ogath! In einer Mühl staubt
es das ganze Jahr ein kleines Geld und ein großes auch. Freilich« --
dabei kniff der Lugaus listig ein Auge zu -- »Diebe sind die Müllner
alle.«

Die Schwieger rieb sich die hageren Hände, sie huschte emsig hin und
her, zupfte an der Ogath ihren Kittel, brachte dann einen Laib Brot und
nötigte den Hochzeitswerber zum Tisch.

»Du kommst in eine gute Freundschaft, Müllner,« sprach der Einöder.
»Mein Bub ist auch recht, der ist ein Herrgottelschnitzer in Straubing.
Den Kopf hat er von mir, die Füße sind wie Stangen, und einen Hund hat
er auch.«

»Sei nit so verstockt, Ogath! Red mit ihm!« riet die Alte.

Und die Dirne sprach: »Rot solltest du nit sein, Müllner! Ein roter
Bart steht selten auf einem guten Ort. Aber für sein Auswendiges kann
der Mensch nix. Sonst gefallst du mir.«

Der Lugaus und die Lugausin zischelten eifrig aufeinander ein und
winkten und lächelten sich zu. Die zwei Leute glichen sich sehr, die
breiten, runzlichen Stirnen, die kleinen, wackelnden Kinne, die langen
Nasen, dünnen Lippen und gutmütigen Augen ähnelten einander derart, daß
man nicht gewußt hätte, wer der Bauer und wer die Bäurin sei, wenn er
nicht die Hosen und sie nicht den Kittel angehabt hätte.

»Lugaus, wie hast du denn dein Weib kennen gelernt?« fragte der
Dullhäubel lustig.

»Ich bin zum Häusel hinein, und sie zum Häusel heraus, da haben wir uns
begegnet,« lachte der Alte. »Und zwischen Sommer und Winter ist es
gewesen: wie ich zu ihr gangen bin, ist die Welt grün gewesen, und wie
ich von ihr heim bin, hat es geschneit, alles in einer Nacht.«

»Und was ist es mit dem Heiratsgut, Bauer?«

»Ich laß mich nit lumpen. Einen Strumpf voller Silber kriegt meine
Tochter mit, zwei Küh und eine funkelneue Bettstatt. Und ein schönes
Spinnrad laß ich ihr drechseln.«

»Sie taugt überall hin, die Ogath,« eiferte die Alte, »in jeder Kuchel
kann sie stehen. Sie kann zwei Brühen kochen, eine süß, die andre
sauer. Und gerichtet ist sie auch gut, sie hat zwei Schürzen, eine
schwarztibetene und eine rottibene.«

»Bauer, Bäurin, das alles müßt ihr mir verschreiben,« begehrte der
Dullhäubel.

»Du sollst es schriftlich haben. Gleich setzen wir miteinander den
Heiratsbrief auf. Bäurin, bring Tinte, Feder und Papier, daß wir die
Sach in Gang und Schwang bringen.«

Die Alte stellte ein Fläschlein rußiges Wasser hin. Aber weil sie die
Gänse im Stall nicht aufstören wollte, gebrach es an einer Feder, und
Papier fand sie nicht vor.

Da wandte der Lugaus die Tischplatte um. »Das ist jetzt das Papier.«
Er reichte dem Dullhäubel einem Halm Kümmelstroh. »Da tauch ein,
Müllner, in die Tinte und schreib! Ich und mein Weib sind keine
Schriftgelehrten, zu unserer Zeit ist weit und breit keine Schul
gewesen.«

Der Alte schaffte jetzt an, und der Dullhäubel kratzte emsig mit dem
Stroh seine hagebuchenen Buchstaben auf den Tisch.

»Schreib hin, Müllner! ›Und die Ogath kriegt tausend Taler mit und
einen Kammerwagen voll Zeug und unsere Küh Köpfel und Prinzel. Der Name
des Herrn sein gelobt!‹« Hernach setzte der Lugaus drei Kreuze unter
den Heiratsbrief und drehte die Tischplatte wieder auf die alte Seite,
daß die Schrift nicht verwischt werde.

»Jetzt knie dich nieder, Ogath, daß ich dir den väterlichen Segen geb!«

Sie zierte sich ein wenig, dann fiel sie polternd auf ihre starken
Kniescheiben hin, die Bäurin schneuzte sich in den Unterkittel, der
Lugaus breitete wie ein Pfarrer über sie die Hände aus und sagte: »Sei
froh, Ogath, daß du keine alte Jungfer wirst, du brauchst nach dem Tod
nit im Moos die Kiebitze hüten!«

»Hör zu, Schwäher! Die zwei Küh tät ich mir gern anschauen,« bat der
Dullhäubel.

Der Lugaus leuchtete mit dem Span in den Stall, wo das Vieh lag und
atmete. Mit gekrümmtem Fuß trieb er die verbrieften Kühe auf. Sie
schauten sich mürrisch um und zogen das Maul scheel.

»He, Köpfel, auf, du mußt nach Fuxloh! Prinzel, du auch. Fuxloh ist ein
schönes Ort. Du kannst sie dir gleich mitnehmen, Müllner, die Küh.«

»Heut ist der Weg zu finster, Schwäher. Aber wann soll uns der Pfarrer
zusamm binden?«

»Meinetwegen heut noch,« kicherte der Lugaus.

»Schwäher, ich hätt der Ogath noch was heimlich zu sagen.«

Der Alte blinzelte schelmisch: »Geh nur zu mit ihr, Müllner, und sag
ihr es deutlich!«

Da ging der Dullhäubel mit der Ogath aus dem Gehöft in den Wald hinein.
Ein mondsüchtiges Füchslein gellte, lau strich die Luft durch die
Stämme, und Nacht und Himmel waren spiegelheiter.

Mit seinen läppischen Händen tappte er nach ihr.

»Laß mich aus!« schalt sie und entrang sich ihm.

Als er sie dennoch mit zangenden Fingern packte, kerbte sie ihm die
Nägel ins Gesicht.

Er ließ murrend ab. »Stutzig und trutzig bist du wie eine
Kranwitstaude!«

»Du kannst mich einmal genug anrühren,« tröstete sie, »heut wär es noch
zu früh. Aber jetzt geh ich mit dir, ich will die Mühl rauschen hören,
wo ich einmal die Müllnerin bin.«

Dem Dullhäubel schoß das Blut bis zum Schopf hinauf. Da hatte er sich
eine saubere Suppe eingebrockt! Wie die Dirne so ruhig und fest wie ein
Felsen vor ihm stand! Die gibt nimmer nach.

»Ich kann dich nit mitnehmen,« stotterte er. »Es paßt sich nit. Was
täten die Leut dazu sagen?«

»Die Leut sollen reden! In drei Wochen sind wir Mann und Weib.«

Sie faßte mit festem Griff seine Hand und schlug mit ihm den Weg über
die Grenze ein.

Es war still worden, der Fuchs klagte nimmer. Der Mond stand im
Vollschein.

»Bist du allweil so einsilbig?« fragte sie.

»Ich red oft ein ganzes Jahr nit,« stieß er heraus. Er stolperte
unwirsch dahin und dachte, wie er sie vertreiben und die Gefahr
abwenden könnte, die gäh wie ein Waldgewitter über ihn aufdrohte.

Im dicksten Tann blieb er plötzlich stehen und schaute sich ratlos um.
»Jetzt haben wir uns vergangen. Ich weiß keinen Weg.«

Sie lachte. »Wir steigen ins Tal. Drunten in den Schluchten hebt der
Bach an, der leitet uns gewiß zu deiner Mühl.«

Sie zog ihn den Waldsteig hinab; es war, sie rieche den rechten Weg.
Dem Dullhäubel ward unheimlich.

Wenn der Gid den Streich erfährt, dann weh!

Der Kasper Dullhäubel nahm sich vor, sich närrisch zu stellen, daß er
die felsenfeste Braut verscheuche.

Droben am Ast schrie ein Schuhu.

Der Bursch hielt an und zischte hastig: »Horch, wie schön der
Vigelvogel pfeift!«

»Du spassiger Bub du!« sagte sie ruhig.

Er langte nach einem Ast und wollte sich daran hinauf schwingen. Sie
hielt ihn zurück.

»Willst du hinauf, deinem Vigelvogel singen helfen?«

»Ich bin gefährlich«, knurrte er. »Der Mond zieht mich alle Nacht in
die Höh. Gestern bin ich aufgewacht, wie der Mond schwarz worden ist,
da bin ich in Blaustauden auf dem Turmknopf gesessen.«

»Der Mond nimmt mir dich nit, mein Müllner. Zieht er dich an, so häng
ich mich dran. Und ich bin gewichtig.«

»Ich bin gefährlich,« murmelte er. »Ich hab schon mehr als einen
umgebracht.«

»Das glaub ich nit,« sprach sie.

Er stierte sie finster an, lange, lange, bis ihr schauerlich zu Mut
wurde. Er fing auf einmal ohne Ursache grausig zu lachen an und sang
unverständliches Zeug: »Schön knieweit, schön dachslet, unten lauter
Leut, oben wie eine Tirolerin!«

»Müllnersbub, ist dir das Rädel laufend worden?« rief die Ogath
erschrocken.

»Weh, weh, weh! Das Mühlrad dreht sich mir im Kopf!« flüsterte er,
duckte sich und schlug einen Purzelbaum.

»Du hast ein Fieber, Bub.«

»Die Liebe zerwirrt mich, Dirn.« Er jauchzte hellauf, kniete dann vor
eine Rotkröpfelstaude hin und betete ein Vaterunser.

Sie riß ihn stark in die Höhe. »Entweder bist du unrichtig im Hirn,
oder feindet dich der höllische Geist an,« sagte sie. »Jetzt darf ich
dich nit verlassen, ich muß dich in die Mühl bringen und deinen Leuten
übergeben.«

Der Dullhäubel verzweifelte an seinem Glück, dumm und stumm ließ er
sich führen, und sie redete ihm tröstlich zu und betete still vor sich
hin, Gott möge seinen Verstand wieder hell werden lassen.

Je näher sie Fuxloh kamen, desto glühender ward dem Schelm der Weg
unter den Fersen. Er mußte die Ogath verscheuchen, sonst fiel ein Berg
von Unheil und Spott über ihn.

Er schluchzte auf einmal kläglich auf. »Ogath, ich verdien dich gar
nit. Kehr um, kehr um beizeiten! Ich könnt dein Unglück sein.«

»Ja warum denn?«

»O die Leut reden schlecht von mir! Aber es ist alles, alles nit wahr.
Die Ehr schneiden sie mir ab ellenlang. O die Welt ist grundverdorben!«

»Gar so schlimm werden sie dir doch nit nachreden, Bub. Und ein wenig
verzeih ich dir schon.«

»Ich schäm mich soviel,« plärrte er, und die Tränen rollten ihm übers
Gesicht. »Die Leut sagen, daß ich -- daß ich -- schwanger bin.«

Er riß blitzschnell das Messer heraus, stieß es in eine Fichte, hängte
den Hut daran und sprang in hohen Sätzen davon.

Ihr war um das schöne blaue Hütlein und um das blanke Messer leid, sie
raffte die Sachen an sich und rannte ihm nach, und weil sie gar flink
auf ihren rüstigen Beinen war, holte sie ihn ein, als er keuchend bei
der Blaumantelkapelle rastete und bei dem Heiligen Hilfe zu suchen
schien wie ein gehetzter Hirsch beim Einsiedel.

»Bub, Bub,« beschwor sie ihn, »wenn du so arg heuchelst, soll dich
der Herrgott strafen. Schwör mir bei dem Heiligen da, daß du mich nit
narrst. Der Heilige hat das Maul offen, steck die Hand hinein. Wenn du
falsch schwörst, beißt er sie dir ab.«

Aber der Dullhäubel entriß ihr das Messer und fuchtelte damit irrsinnig
im Wind herum. Taub gegen ihren Jammer, kniete er am Weg hin zu einem
dürren Kuhfladen, zerschnitt ihn und reichte ihr schluchzend die
Hälfte. »Ogath, nimm es an und trag es um den Hals zum Andenken!«

»Mein Herr und mein Gott!« rief sie aus und kehrte traurig um. Denn da
war nimmer zu helfen. --

Daheim drehte sie die Tischplatte um, zu sehen, was der Bräutigam
geschrieben hatte. Anstatt des Heiratsbriefes las sie einen Reim.

    Drunt im wilden Moos
    liegt ein totes Roß,
    vorn und hint offen,
    ist der Schwäher draus gschloffen.

Die Ogath rieb den Schandspruch mit einer Bürste ab. In ihrem Hirn
blieb er brennen.

Sie schluckte den Zorn hinunter und schwieg Vater und Mutter gegenüber.
Doch den falschen Buben wollte sie heimsuchen und ihm ein schweres
Donnerwetter anheben.

       *       *       *       *       *

Am Aller-Wetter-Herrentag ging die Ogath übers Gebirg nach Fuxloh, wo
sie sich den Weg zur Mußmühle weisen ließ.

Dort vor der Tür auf einem eingegrabenen Mühlstein stand der Gid und
zündete sich die Pfeife an. Zuerst rieb er das blauköpfige Zündholz
hinten am Sitzfleck, hernach am Knie und an der Schuhsohle, schließlich
spreizte er die Beine, bückte sich zu dem Mühlsteinpflaster und
streifte daran, und als auch das kein Feuer gab, schleuderte er
fluchend das Hölzlein weg.

Da stand die Ogath vor ihm. »Das Glöckel läutet, Mühlbursch. Schütt
Korn zu, statt daß du da so langweilig spielst.«

Der Gid staunte die starke fremde Dirne an, dann meinte er spöttisch:
»Hoho, da kommt eine daher gelaufen und will mir was schaffen.«

Sie antwortete stolz: »Ich reit nit auf der Geiß daher. Ich weiß, wer
ich bin und was ich hab, und ich weiß, wem ich angehör.«

Der junge Müller lachte. »Du kannst die Kaiserin selber sein, mir hast
du nix zu sagen. In der Mußmühl bin allweil ich der Herr.«

Da fühlte die Ogath einen brennenden Stich im Herzen und merkte, daß
sie von dem bösen Nachtbuben zwiefach betrogen worden war. Aber sie
ließ die Zähren, die ihr die Augen schwimmen machten, nicht übers Ufer
treten, und weil sie sich einmal die Mühle in den Kopf gesetzt hatte
und ihr der staubige, finsteräugige Bursch auf dem Mühlstein besser
gefiel als der fuchsbärtige Freier, und weil sie es daheim in der Einöd
nimmer freute, so wollte sie versuchen, ob sie da in dem brausenden
Haus ihr Bleiben könnte haben.

Und das Blut schlug ihr auf einmal so hart in der Ader, als sie sagte:
»Wenn du der Müllner bist, so frag ich dich, ob dein Weib keine Dirn
braucht?«

»Ich bin ledig,« antwortete er, »aber die Mutter hätt eine Hilf not,
sie ist nit gesund.«

Sie trat näher. »So ding mich auf. Stark bin ich. Da greif mir den Arm
an. Deine Mehlsäck heb ich leicht.« Und jäh umschlang sie den jungen
Müller bei den Knieen, und ehe er sich ihrer erwehren konnte, hob sie
ihn in die Höhe.

Als er verwirrt und schier taumelnd wieder Boden faßte, stammelte er:
»Du hebst einen Mühlstein. Du hast Kraft wie ein stürzendes Wasser. Du
bist zu brauchen.«

Er dingte sie auf, und sie half ihm in der Mühle, rannte die bestäubten
Stiegen auf und ab, goß das Korn in den Trichter und warf sich spielend
die Mehlsäcke über die Schulter, als wären sie mit Federn gefüllt.
Sie lernte die Schleusen öffnen und die Mühlsteine schärfen mit dem
Kieshammer und die Pfannen der Räder schmieren und besorgte das Vieh
im Stall und den Mittag am Tisch und die gichtische Müllerin im Bett.
So gewann sie bald das Herz der Alten, und die schwarzen Augen des Gid
flogen ihren schnellen und kräftigen Bewegungen allzeit nach.

Einmal abends saßen sie beisammen. Der Alte hatte die Stirn gerunzelt,
er starrte in die Milchsuppe wie in einen Spiegel und vergaß zu essen.

»Die Suppe kühlt dir aus,« mahnte die Müllerin. »Ärger dich nit über
das, was nit zu ändern ist!«

Der Alte drehte die trübe Stirn der Ogath zu. »Ja, Ogath, vormals hat
es eine schöne Gerechtigkeit für uns gegeben: meine Vorfahrer haben
von jedem Sack Getreid einen Zins einheben dürfen, und wenn ihn auch
die Fuxloher in der Kuckucksmühl, in der Grillenmühl oder in der
Samstagmühl haben mahlen lassen.«

»Heut sind die guten Gesetze abgeschafft,« tadelte der Gid. »Alle
Ordnung ist zerfallen. Das wurmt mich.«

Die Ogath redete wie ein tröstlicher Geist. »Männer, den Stein, den man
nit heben kann, laßt man liegen. Die Mußmühl wirft genug Geld ab und
hat genug zu mahlen; sie könnt sich noch einmal so geschwind drehen,
die Arbeit tät nit abreißen.«

»Es ist nit das allein, was mich betrübt,« raunte der Alte. »Aber jetzt
rührt sich der Mühlteufel wieder. Bei jeder vierten Brut meldet er
sich. Zuletzt ist er bei meinem Ähnel gewesen, -- jetzt kommt er zu
dir, Gid.«

Die Gichtische erhob sich ängstlich im Bett. »Hast du ihn gehört?«

»Jeden Samstag hör ich ihn, Weib, da plätschert er im Wasser unterm
Mühlrad.«

»Du irrst dich, Vater,« sprach der Gid. »Es rauscht und saust nur der
Bach so seltsam.«

»Ich hör ihn schon seit drei Samstagen,« beharrte der Alte.

Die Angst schüttelte die Bettlägrige wie ein Frost. »Hast du ihm am
letzten Nikolaitag was zu essen in die Radstube hinunter geschüttet?«

»Das hab ich besorgt, Weib. Und einen Filzhut hab ich ihm auch hinunter
geworfen, daß er sich ihn auf das grüne Haar setzt und uns den Frieden
laßt fürs ganze Jahr. Und jetzt ist er trotzdem da.«

»Wie schaut er denn aus?« lächelte die Ogath.

»Zwischen den Fingern hat er Häute wie ein Fischotter, und im Wasser
wird er nit naß. Im Wasser ist er stark wie neun Rösser, man kann ihn
nit überwinden; am Land ist er nit kräftiger als neun Fliegen. Wie der
Ähnel noch auf der Mühl gewesen ist, hat der Wassermann häufig in der
Nacht geklagt wie eine Seel, die die Seligkeit nit findet.«

»Ich leid ihn nit im Haus,« grollte der Gid, »ich richt ihm die
Otterfalle auf.« --

Von jetzt an blieb es in den Samstagnächten immer still unter dem
Mühlrad, wie atemlos auch die zwei Müller hinunterlosten.

Doch einmal, als der Gid den Vater aus dem Haus und die Ogath bei der
siechen Mutter wußte, da hörte er es durch das Brausen des Mühlrades
seltsam planschen und rauschen.

Der junge Mensch lauschte fieberisch.

Badet wirklich einer drunten mit schilfgrünem Schopf und spitzem Gebiß
und langen Krallen? Zählt er die Seelen der Ertrunkenen, die er unter
gläsernen Töpfen drunten gefangen hält?

Den Gid übermannte es, mit dem Unhold, der ihm die Werkstatt unheimlich
machte, auf Leben und Sterben zu raufen. Wild riß er die Tür zur
Radstube auf. In der schäumenden Traufe des Mühlrades, in wirbelnden,
stoßenden Wassern, im Dämmer sah er es schneeweiß leuchten, er hörte
einen weichen, entsetzten Schrei und stürzte sich hinab ins Wasser und
hielt den wunderkühlen, starken Leib seiner Magd Ogath in den Armen.

       *       *       *       *       *

Ehe der Mond sich wieder füllte, hielten die zwei Hochzeit.

Die ganze Freundschaft von Fuxloh und Grillenöd und jenhalb des
Gebirges rückte an, die Männer mit Myrtensträußen in den schwarzen
Röcklein, die Bäurinnen schwarzseiden vom Kopftuch bis zum Kittel, die
Jungfern schillernd in braunen und rötlichen Kleidern.

Der Hochzeitslader jauchzte und wünschte dem Bräutigam einen Stall
voller Ochsen und viel Körner im Kasten und einen Beutel voller Geld,
der schickt sich in die Welt. Der Braut herentgegen wünschte er den
Stall voller Kühe, davon eine mehr Milch gibt als dem Nachbarn seine
neun Stiere, und wünschte ihr in sechs Jahren sieben Kinder und zuletzt
einen rotschädligen Buben.

Da wies der Gid in die Weite: »Dort kommt endlich der Brautführer
daher, und der ist mein bester Freund, der Kasper Dullhäubel.«

Die Ogath war nicht wenig verdutzt, als sie den falschen Burschen daher
schlendern sah, der in der Nacht um sie gefreit. Er hatte sich zwar den
roten Schnurrbart weggeschabt, doch sie erkannte ihn an dem großen,
runden Kopf und den winzigen Zwinkeraugen gleich wieder. Sie tat aber,
als wäre er ihr fremd.

Der Dullhäubel hatte sich mit Maschen und Sträußlein fein
herausgeputzt, sein Brustfleck war mit doppelt aufgereihten
Silberzwanzigern verknöpfelt, und an der geschmiedeten Silberkette
klingelte ein silbernes Rössel und ein halbes Dutzend Frauentaler. Und
als die Brautschar gen Blaustauden ging und die Bauern jauchzend die
runden Hütlein schwangen, da warf der Dullhäubel seinen Hut am höchsten
und er schnackelte mit den Fingern und schnalzte mit der Zunge, und
keiner tat es ihm gleich.

Über den Wald herauf winkte der Turm mit dem Schindeldach, der
Wildtauber ruchzte im Tann, gelbe Schnäbel schwätzten, das Laub
spielte, Blumen liebäugelten auf der Wiese.

In ihren knisternden Schuhen trat die Braut stolz daher, ihr
lichtgrauer Seidenrock hatte tausend Falten und stand über die vielen
Unterkittel also breit gesträubt, daß sie kaum zur Kirchtür hinein
konnte. Im Haar saß ihr ein künstlicher Myrtenkranz, der vorn über der
stattlichen, ernsten Stirn wie eine Krone geflochten war und, sich über
dem Scheitel teilend, weit über den Nacken herabhing.

Mitten durch die in langhalsiger Neugier erstarrten Blaustaudner
führte der Dullhäubel die Braut zum Altar, und er konnte es sich nicht
versagen und wisperte ihr zu: »He, tragst du den Kranz mit Recht?«

Sie sah ihm groß in die fuchsschiefen Augen und antwortete: »O du
hundsschlechter Kerl!«

»Du hast mich also nit vergessen, Ogath. Schau, das freut mich.«

»Verschwunden bist du wie der Teufel, wenn man ihn mit Weihwasser
abspritzt,« murmelte sie zornig und kehrte sich ab.

Er zog sein Rubinglas aus dem Sack und tröstete sich mit
brasilianischem Tabak.

»Pfui Teufel,« sagte sie laut, »jetzt hab ich einen schnupfenden
Brautführer!«

Er schaute scheinheilig zur Orgel hinauf. »Ich freue mich schon auf die
schöne Musik,« flüsterte er. »Du wirst schauen, Ogath, wie zärtlich
unser Schulmeister orgelt. Das Wasser wird dir in die Augen schießen.«

Der Pfarrer Nonatus Hurneyßl schritt zum Altar und gab die Brautleute
zusammen. Es war ein Paar, wie es die Blaustaudner Kirche noch nie
überwölbt hatte, der starke, finsterschauende Mann Gid und die große,
schöne und stille Ogath.

Doch als der Orgler das Brautamt begann, hub ein derart wüster Mißklang
an, daß die Leute erschraken, der Schulmeister mußte einhalten, er
sprang wie besessen von der Orgelbank und fluchte, der Balgentreter
horchte in die Windkammer hinein, ob nicht der Leibhafte drin knotze,
und endlich kamen die Musikanten dahinter, daß ein verwogener Schelm in
der Nacht vorher die Orgelpfeifen unter einander vertauscht hatte.

       *       *       *       *       *

Das Hochzeitsmahl war im »pfalzenden Hahn« gerüstet.

Die Ogath saß schweigsam und blaß zwischen dem Gid und der Igelbäurin,
die als erfahrene Brautmutter sorgte, daß die alten Bräuche geübt
wurden.

Auf den Tellern dampfte Rindssuppe und Kuttelfleck und Bäuschel;
mit Zuckersachen besteckter Reis ward aufgetragen und Kaffee in
ansehnlichen, bunten Töpfen und dazu Gugelhupf und leckerer Kuchen.
Die Gäste packten sich Schweinsbraten und fette Würste in Bündel zum
Heimtragen ein. Als die Ehstandsbrühe, drinnen Rindfleisch schwamm, auf
den langen Tisch gesetzt wurde, sagte die Brautmutter mit bedächtiger
Würde zu den Brautleuten: »Nit süß und nit sauer, gerade recht, so wie
der Ehstand ist.«

Der Dullhäubel spießte einen Knödel auf, biß hinein und sprach kauend
über den Tisch hinüber zur Ogath: »Ob du schon weißt, warum bei eurer
Mühl keine Scheuer ist?«

Sie merkte, wie sich ihres Mannes Stirn verfinsterte, und wich der
Frage aus: »Ich weiß nix und will nix wissen.«

Der Dullhäubel aber kröpfte den Knödel hinunter und erzählte: »Da ist
in der Mühl einmal der Korbflicker auf der Stör, und die Müllnerin
stellt ihm eine Eierbrüh hin mit Knödeln. Der Mann will mit dem Löffel
einen Knödel auseinander zwingen, aber es geht nit. Jetzt setzt er
gewaltig an. Der Knödel weicht ab, haut das Fenster durch, doppelt
durch, springt draußen an einen Stein, daß das Licht davon fliegt,
schlagt an die Scheuer, die Scheuer fallt um. Da hat der Korbflicker
drein geschaut!«

Der Gid reckte sich und zückte die Gabel. »Kasper, du willst mich heut
an meinem Ehrentag spotten?!«

Die Ogath zog ihn auf die Bank zurück. »Du sollst doch einen Spaß
verstehen, Gid!«

Der junge Müller stocherte wütend ins Kraut hinein.

Der Dullhäubel grinste. »Selbigesmal, wie die Müllnerin, die die
steinernen Knödel hat kochen können, geheiratet hat, da ist es weit
gemütlicher gewesen als heut. Damals haben sie so kräftig getanzt, daß
der Fußboden durchgebrochen ist, und allsamt sind sie in den Stall
hinuntergepurzelt. Die Braut ist zwiespältig auf den Stier zu sitzen
kommen.«

Der Gid schlug auf den Tisch, daß die Ehstandsbrühe aushüpfte. »Du
lügst mehr, als ein roter Hund rennen kann, Kasper.«

Der alte Müller beugte sich zum Dullhäubel hin. »Du plauderst allerhand
Dummes über unsere Mühl, du Springinges mit deinem gelben Schnabel, und
ist doch die Mußmühl weitaus die fürnehmste Mühl gewesen. Die Fuxloher
Bauern haben bei uns mahlen müssen. Das Recht hab ich noch schriftlich
daheim, du kannst es lesen. Die alten Fürsten haben ihren Namen drunter
gesetzt. Heut haltet sich keiner mehr darnach, es ist eine untreue
Zeit. Jeder fahrt mit seinem Malter, wohin er will. Der Mühlzwang hätt
nit abgeschafft werden sollen. Das ist nit recht.«

Der Gid ward rot wie ein Feuer. »Die alte Pflicht muß wieder
aufkommen,« sagte er heiser. »Ich leid es nit anders. Allsamt wie ihr
da sitzt, Fuxloher, müßt ihr das Korn bei mir aufschütten. Ich setz es
durch.«

»Meinem Vater haben sie das Recht abgezwungen,« rief der Alte, »ins
fürstliche Schloß haben sie ihn geladen und haben ihn dort so lange
gehaut, bis er zu allem Ja und Amen gesagt hat. Jetzt gehen viele
Gaukelmühlen an unserem Bach, hat aber kein Müller ein rechtes Geschäft
und keiner recht zu fressen.«

»Das riegelt mir die Galle,« schrie der Gid.

»Am Papier haben wir es schwarz auf weiß, der Fürst hat es bestätigt.
Und was geschrieben ist, bleibt geschrieben. Ganz Fuxloh muß in die
Mußmühl!«

»Ich nit,« trotzte der Dullhäubel.

Mit einem Blick wie ein Stichmesser tappte der Gid über den Tisch, und
der alte Müller hielt den Dullhäubel schon an der Gurgel.

Im rechten Augenblick noch fuhr der Meßner Grazian darein, die
schneidende Stimme erhob er: »Lasset uns ein andächtiges Vaterunser
beten für die verstorbene Freundschaft des Bräutigams und der Braut!«

Da verstummte die Zwietracht, und alle Stimmen vermischten sich in
einem eintönigen Gebet für die verschollenen Seelen der Vorfahren.

Hernach spielten die Musikanten hellauf, daß in allen das Waldblut
zu zucken und zu springen anhub, und der Hochzeitslader schrie: »Das
Brautpaar soll vivat leben!«

Der Dullhäubel trat vor die Igelbäurin hin und begehrte als Brautführer
von ihr als sein Recht den ersten Tanz mit der Braut.

Die Brautmutter richtete sich hoch auf. »Erst bring mir eine Kerze, die
Tag und Nacht brennt!«

Jauchzend schwang sich der Dullhäubel zum Fenster in den Garten hinaus,
rannte um den Zaun herum und kam mit einer Brennessel wieder, und die
steckte er der Iglin in das Bierglas.

»Brenn dich nit an der Kerze, Brautmutter. Und jetzt laß mich mit ihr
landlerisch tanzen!«

»Brautweiser, erst bring mir sechs Lichter, ein jedes muß anders
brennen.«

Der Dullhäubel verschwand in der Kuchel und trug nach kurzer Weile ein
Brett daher, darauf glühten sechs kleine Stengelgläser mit Kirschgeist
und Kümmel und anderen roten, gelben und lichten Schnäpsen.

»Kostet den goldnen, Brautmutter!« lockte er und bot ihr ein Stämplein
dar, »das ist ein süßer Trunk, wie ihn die Weiber gern mögen. Du bist
ja genäschig wie eine Geiß.«

Die Iglin zierte sich ein wenig, griff dann schämig nach dem gelben
Schnaps, spitzte den Mund und kostete lächelnd. Im Hui ward ihr Gesicht
sauer, und es schüttelte sie am ganzen Leib. »Der Spitzbub hat mir
einen Essig gegeben,« schalt sie.

Hernach begehrte sie: »Eh ich dich tanzen laß mit der Jungfer Braut,
zeig mir ein Bett, drin neun Jungfern schlafen, keine in der Mitte,
keine am End!«

Der Dullhäubel kratzte sich hinterm Ohr und meinte, das errate der
Kuckuck. Aber er stieg auf den Dachboden und brachte ein Spinnrad daher
und drehte es, daß die neun Speichen lustig wirbelten.

»Du kannst gut raten,« lobte die Iglin. »Jetzt trag mir noch einen
lebendigen Braten auf!«

Während der Dullhäubel den Braten holte, kroch der Lukas Schellnober,
der bei der Musik den Baß blies und als der stärkste Mann in der Gegend
galt, unbemerkt unter den Tisch und packte die Ogath beim Fuß. Sie
kreischte und strampelte, und die Brautmutter half ihr und raufte den
Mann unbarmherzig bei den Haaren, und schließlich gab ihm die Braut
selber einen Schlag auf die Wange, daß es wie ein Schuß knallte. Doch
der Riese zog ihr, unbekümmert um alles, was da über ihn niederging,
den Schuh aus, kroch schnaufend unter dem Tisch herfür und trottete zur
Tür hinaus. Als er wiederkam, stellte er den Schuh mit Nelken und Rosen
und Stiefmütterlein gefüllt vor die Braut hin.

»Wirt, gib dem Grobian einen Krug Wein!« befahl die Iglin. »Den Fuß
hätt er ihr schier ausgerissen.«

Der Schuhräuber setzte sich auf ein Faß. »Die Ogath hat Kraft,«
staunte er, »die hat mir einen feinen Hieb gegeben. Einen Hieb, den
Gemeindestier schlaget er nieder. Einen Hieb, als wenn das Wetter
einschlaget.«

Vor lauter Freude an dieser Kraft vergaß er den Schmerz, der ihm im
Schädel summte.

Der Dullhäubel stellte derweil eine verdeckte Schüssel auf den Tisch.
»So, da wär der lebendige Braten.« Er hob den Deckel, und eine Maus
schlüpfte heraus, die hatte eine blaue Masche um den Hals.

Die Weiber kreischten, rafften die Kittel zusammen und stiegen auf die
Stühle und Bänke. Verwirrt jagte das Tierlein auf dem Tisch hin und
her, warf die Stengelgläser um, daß es ein feines Geklingel gab, und
wagte endlich den Sprung auf den Fußboden.

Die Iglin wurde jetzt feierlich. »Brautweiser, jetzt bau der Braut eine
silberne Brücke und nimm sie zum Tanz!«

Der Dullhäubel holte einen Geldstrumpf und legte zwei Reihen
Silbergulden von einem Tischeck zum andern, und die Ogath trat zaghaft
darauf und schwankte den silbernen Steig dahin und sank hinab in die
Arme des Dullhäubel, die Spielleute setzten an, und die zwei tanzten so
wild, daß der lange lose Myrtenkranz vom Haar der Braut weithin wehte.

Draußen vorm Wirtshaus saß die alte Ulla auf einem Stein. »Sie werden
doch drin nit auf mich vergessen,« raunte sie.

Eine Hand schob sich zur Tür heraus und warf ihr einen Kuchen in den
Schoß.

Sie lächelte. »Mir ist es ganz ein Ding, ob ich ein schwarzes Brot
krieg oder ein weißes. Das weiße eß ich lieber, nur wegen der Farbe.«

Drin am Tisch saß die Braut, der Ernst ihrer Stirn verging nicht, und
kein Lächeln erhellte ihr Gesicht, wie arge Späße auch der Dullhäubel
trieb.

Am meisten zielte sein Übermut nach dem Bräutigam.

»Zeig her, Gid, den Arm,« rief er, »ob dir das Haar dran bergan wachst!«

»Warum bergan?« fragte der Gid mißtrauisch.

»Weil ihr Müllner den andern Leuten in den Mehlsack greift.«

»Du heißt mich also ins Gesicht einen Dieb?« brauste der junge Müller.

Die Ogath beschwichtigte ihn. »Scher dich nit um solche Reden! Du
brauchst viel Mehl, wenn du alle bösen Mäuler verkleiben wolltest.«

»Ein jeder Sack raucht, wenn man drauf schlagt,« schrie der Gid. »Soll
ich allein mir alles gefallen lassen?«

Die Gäste murrten, daß der Dullhäubel Unfried stifte, und als dieser
merkte, daß sich der Groll wie ein dumpfes Gewölk um ihn zusammen zog,
da lenkte er ein und fing an, lustige Lügen zu erzählen über Leute,
die nicht da waren, und unterhaltliche Lieder zu singen, darin er sich
selbst ein Klämpflein anhängte, oder er streute sich Tabak auf die
linke und die rechte Achsel, drehte den Kopf wie ein Wendehals darnach
und schnupfte ihn mit der ausgiebigen Nase links und rechts weg.

Ob solcher Schnacken söhnten sich die Gäste wieder mit ihm aus. »Man
kann ihm nit feind sein, dem Faxenmacher,« lachten sie.

Als der Gid und die Ogath hernach zum erstenmal in der Brautkammer
lagen und die Mühle rastete, hörten die zwei die halbe Nacht draußen im
Garten die Pumpe ächzen.

Der Dullhäubel pumpte vor lauter Eifersucht den Brunnen aus.

       *       *       *       *       *

Die Jahre verwichen.

Der Dullhäubel wirtschaftete mit der Altbäurin und mit Knecht und Magd
auf seinem Hof. Die Mutter zählte nicht mit, die schlief stehend und
gehend ein.

Er selber mühte sich auch nicht sonderlich, es behagte ihm viel mehr,
den Fuxlohern allerhand Possen zu spielen, Land und Leute gen einander
zu hetzen, auf den Wirtstisch fest aufzutrumpfen und ein Leben zu
führen wie seine Vorfahrer.

Immer mehr wandte sich der Blaumantel hinter seinem Gitter von der Welt
ab, immer saurer sah er darein, wenn der Dullhäubel vorübertrollte,
und schließlich bildete sich der Bauer ein, der Heilige wisse um all
seine Schwänke und verrate sie vor Gottes Stuhl im Himmel. Drum besann
er sich viel, wie er den unliebsamen Widersacher wegschaffen könnte.

Einmal, am Simonjudastag, als das Kraut gehobelt und im Faß eingetreten
war, schleppte er den Heiligen heimlich in den Keller, und stellte ihn
statt eines Steines auf das Krautfaß, um es zu beschweren. »Jetzt bist
du beschäftigt, du Müßiggänger,« spottete er.

Doch seit der Hölzerne unterirdisch als Krautheiliger waltete, plagten
den Dullhäubel bergschwere Träume und vergällten ihm den Schlaf.

Ihm träumte, dem Blaumantel wüchsen Haar und Bart, und er, der Bauer,
müsse ihn scheren und stutzen. Zunächst setzte er ihm einen Topf auf
den Schädel, und was darunter an Haar hervorkringelte, schnitt er
ab. Es war aber steif wie Eisendraht und kaum zu bewältigen. Hernach
striegelte er ihn mit einem Igel, ein Kamm hätte den abscheulich
verfilzten Schopf nicht durchrütten können. Er schnitt ihm den Bart vom
Kinn und aus den Wangengruben und Nasenlöchern, schob ihm einen Löffel
in das Maul, daß sich die Haut daran straffe, seifte und schäumte ihn
ein und balbierte die Stoppeln mit einer Dachschindel. Der Bart aber
wuchs augenblicklich wieder nach, und so wurde das Balbieren zu einer
schrecklichen Mühe ohne Ende. Dabei glotzte der Blaumantel seinen
Schaber höllisch an, und der Löffelstiel stand ihm gräßlich aus den
grellroten Lefzen. Hundsmüd und zerknirscht fuhr der Dullhäubel aus dem
Schlaf, an seinem Hemd war kein trockener Faden.

Noch mehr quälte ein anderer Traum, der allnächtlich wiederkehrte. Der
Heilige im Krautkeller wuchs, wuchs durchs Gewölb in die Schlafkammer
des entsetzten Dullhäubel, wuchs durch den Boden zum Dach hinaus, daß
die Balken sich bogen und die Schindeln flogen und das Haus wankte
und schier stürzte. Nur die Kutte wuchs ihm nicht, und der Dullhäubel
mußte ihm hinten und vorn Schürzen und Leintücher vorhängen von
wegen der Schamhaftigkeit. Droben überm Dach zuckte und flammte der
Heiligenschein und drohte, Wald und Korn zu zünden. Da preßte der Bauer
einen Schrei aus der Brust, er schrie den Fuxlohern um Hilfe, aber
alle Fuxloher Männer vermochten den verwilderten Blaumantel nicht zu
überwinden, den sonst zwei zarte Jungfern stundenweit getragen auf der
Wallfahrt nach Maria Dorn.

Der Dullhäubel hörte aus diesen Träumen sein zerrissenes Gewissen
schreien, und als ihn der Blaumantel einmal wieder wie eine Trud
drückte, keuchte er aus dem Bett in den Keller hinab, stürzte den
Quälgeist kopfüber in einen Buckelkorb und schleppte ihn zur Kapelle.

Der Mond ging eben ab. Etwas Gespenstisches meckerte im finstern Moor.
Ein Hund schrie Mord über ein blaues Irrlicht. Ein griesgrämiger Rabe
hüstelte im Schlaf.

Der im Buckelkorb schien sich zu rühren und ward immer schwerer und
schwerer; der Dullhäubel meinte, Himmel und Erde müsse er tragen.
Vielleicht war das Schnitzbild überhaupt kein Heiliger, vielleicht
funkelte es hinter seinem Genick im Korb und war ein Bild des
Gottseibeiuns selber, das sich ein Zauberer und Götzenknecht geschnitzt
hatte in böser Absicht, und vielleicht springt der heidnische Kerl gar
aus dem Korb und schleudert den Bauer selber hinein und schleppt ihn --
Gott verhüt es! -- zum höllischen Backofen.

Dem Dullhäubel schnürte sich die Gurgel zu, sein Atem klemmte sich.
Vor Angst betete er laut und untertänig, und er stellte seinen blauen
Feind unter Bittreimen und Stoßseufzern wieder in die Nische.

Nach diesem Nachtgang lebte er gottesfürchtig und eingezogen, und
das um so lieber, als ihm die Fuxloher auflauerten, deren Heiligen
er mißbraucht hatte. Auch nahm er sich fest vor, jeden Gottestag die
Predigt zu hören und seinen Groschen zu opfern zur Ehre der Kirche und
zum eigenen irdischen und himmlischen Vorteil.

Doch der Teufel wacht und zieht dem bußfertigen Sünder gern eine
Sperrkette über den Weg. Also geschah es auch dem Dullhäubel, als er
sich wieder einmal dem Herrgott von Blaustauden zeigen und in aller
Bescheidenheit ganz hinten am Kirchtor hatte lehnen wollen.

Er stieg in die hirschledernen Hosen hinein, legte den Sonntagsrock an
und steckte das rubinene Glas zu sich. Im Hof trat er noch einmal zum
Saustall, den er sich ganz klein hatte zimmern lassen und redete durch
das Futtertürlein dem Vieh gütlich zu: »Friß nur, Sau, daß du einen
Leib aufnimmst! Oder hast du keine Ehr in dir?«

Wie er jetzt so treuherzig und in der besten Absicht bergab trabte und
der Wind über die Zäune strich und die Wiesen rauchten, sprang ihm
ein hitziger Mensch in den Weg, packte wie ein Straßenräuber ihn beim
Brustfleck und schrie: »Gerad will ich dich heimsuchen. Ich hab gehört,
du verkaufst eine Sau.«

»Meine Sau ist speckfeist. Ob ich sie dir geb, ist nit gewiß.« Und der
Dullhäubel vergaß schnöd des Herrgotts und kehrte mit dem Fleischhacker
schnurstracks um.

Die Sau wog gering. Weil sie aber kläglich in den winzigen Stall
gestellt war, so füllte sie ihn aus und erschien gar mächtig.

»Um wieviel ist sie dir feil, Bauer?«

»Um dreißig Gulden, Fleischhacker.«

Der Sauhändler prallte erschrocken zurück, machte Augen wie Pflugräder
und drohte, ins Knie zu fallen. »Dreißig Gulden?! Du bist närrisch
worden, Kasper.«

»Dreißig Gulden,« sagte der Bauer eintönig.

»Was wiegt die Sau?«

»Schätz sie ab, Luitel!«

»Dreißig Pfund wiegt sie. Kein Lot mehr.«

»Dreißig Pfund?! O du Raubersbub! Jetzt willst du mich betrügen, wo ich
dir so weit entgegen kommen bin mit dem Preis? Dreißig Pfund wiegt
eine ausgezogene Katz. Schau sie genau an, die Sau, sie geht schier nit
in den Stall hinein. Dreimal so viel wiegt sie zum mindesten!«

»Daß ich nit lach, Kasper! Neunzig Pfund hat sie nit einmal samt dem
Saustall.«

»Luitel, greif meine Ehr nit an!« drohte der Dullhäubel.

Der Händler sparte nicht mit seiner Verachtung. »He, das soll eine Sau
sein?« rief er empört. »Gib sie her um zwanzig Gulden!«

»Dreißig kostet sie. Das ist schandenwohlfeil.«

»Was tust du mir an?« stöhnte der Luitel. »So manches Jahr sind wir
treue Freunde gewesen. Und jetzt willst du mir das Blut aussaugen?
Dullhäubel, laß nach! Dullhäubel!! Dullhäubel!!!«

»Dreißig Gulden.«

»Hinwerden soll ich in fünf Minuten, wenn du von mir einen Kreuzer mehr
kriegst als zwanzig Gulden,« schwor der Fleischhacker.

Der Dullhäubel zog die Sackuhr. »In fünf Minuten? O Freund, da mußt du
dich hübsch fleißen!«

»Du spottest noch? Kasper, denk an deine letzte Stund! So ein elendes
Krepierlein! Die Knochen stehen ihm hinten und vorn heraus. Dem
Schinder hast du die Sau gestohlen. Gib sie her um fünfundzwanzig
Gulden!«

»Dreißig.«

»Lauter rothaarige Menscher soll dein Weib einmal kriegen!« fluchte der
Luitel. »Die Sau soll dir die Nase abfressen, daß du nimmer schnupfen
kannst!«

Der Dullhäubel ward blaß, tastete nach der Nase und trat einen Schritt
zurück. Die Verwünschung griff ihn an, und schier hätte er nachlassen.
Aber er erfing sich wieder und sagte sanft: »Dreißig Gulden.«

Der Luitel heulte auf. »Er treibt mich in die Verzweiflung Hast du
ein Herz im Leib, Kasper? Bist du ein Christ? Gib her die Sau um
achtundzwanzig Gulden! Reck her die Hand! Schlag ein!«

Er versuchte immer wieder in die Hand des Bauern einzuschlagen, die wie
tot hing. Er winselte, beschwor, fluchte, verwünschte.

Der Dullhäubel blieb kalt. »Geh heim, Fleischhacker! Du bist ja nit
verheiratet mit meiner Sau.«

»Tu sie her um achtundzwanzig Gulden fünfzig Kreuzer,« schluchzte der
Luitel, »und nimm dir die Sünd mit in die Ewigkeit!«

Jetzt seufzte der Dullhäubel wehmütig auf: »Ich will dich nit
unglücklich machen, und weil du mein Freund bist seit jeher, so gehört
dir die Sau um den Preis, den du jetzt selber geboten hast. Aber nit
gern laß ich dir sie. Sie ist meine einzige Freud gewesen; ich hab sie
aufgefüttert und wachsen sehen und zunehmen --.« Er wischte sich über
die Augen, seine Stimme erstickte.

Da schlugen die zwei ein. Der Handel war geschlossen.

Der Luitel blätterte die schmierige Brieftasche auf und zahlte.
Bedächtig zählte der Bauer das Geld nach, und als er es verwahrt hatte,
half er dem Händler das widerspenstige Tier bei den Ohren aus dem Stall
ziehen.

»O verflucht, ist die Sau gering!« stammelte der Luitel, als er sie im
hellen Taglicht sah.

Und als er sie gar durch das große Hoftor zerrte, wurde es ihm durch
den Vergleich recht augenscheinlich, wie winzig die Sau war. Vor Wut
ächzte er auf und drohte mit der Faust zurück.

Der Dullhäubel aber schüttelte das Geld und frohlockte laut: »Den hab
ich angeschmiert, daß ihm die Augen tropfen.« --

So übervorteilte er jeden, der sich mit ihm im Handel messen wollte.

Trieb er eine Kuh auf den Markt, so rührte er ihr im letzten Wirtshaus,
wo er einkehrte, eine kräftig gesalzene Mehlsuppe an, darauf durstete
das Vieh gar sehr und es soff wie ein dürrer Rasen Wasser in sich, bis
es die Wampe voll hatte. Dann stand es stattlich da und freute sich
eines guten Gewichtes, und der Dullhäubel schlug sie mit erklecklichem
Gewinn los.

Derlei Kniffe und Pfiffe hatte er einen ganzen Heuwagen voll.

Ein ganz besonderer Segen lag auf seinem Hof, trotzdem daß er seine
Hände schonte und die schönste Zeit beim Bier verlümmelte. Mit
glänzenden Fellen stand ihm das Vieh im Stall, seine Kühe kälberten
eifrig, seine Geißen kitzten dreifach und vierfach, seine Hennen legten
Eier mit zwei Dottern. Kein Reif sengte ihm die Erdäpfelblühe, kein
Schauer knickte sein Korn, sein Heu kam räuspendürr unters Dach.

Und mancher Fuxloher ward deswegen in dem gerechten Herrgott irr.

       *       *       *       *       *

Dem jungen Mußmüller wich der Dullhäubel aus, er scheute ihn. Der Gid
wurde immer hitziger und rauflustiger und stritt mit allen Leuten, weil
er das altverbriefte Recht wieder durchsetzen wollte. Auch sonst störte
ihm mancherlei das Glück, besonders aber, daß in der Mühle die Wiege
leer blieb.

Einmal stach den Dullhäubel der Kitzel, und er schlich sich den Bach
entlang, den mürrischen Nachbar ein wenig aus dem Häuslein zu bringen.

Die Vögel wuschen sich, am Zaun blühten die Hollerstauden. Die Mühle
rumpelte verschlafen, und das Rad knarrte verdrießlich: »Soll -- ich --
denn -- noch einmal -- umgehn?«

Mit unwirscher Stirn lehnte der Gid am Türstock. Es hatte schon lange
nicht geregnet, und wenig Wasser fiel aufs Rad. Die Ogath saß auf der
Sonnenbank und flickte.

Da rief der Dullhäubel hinter einer Erlenstaude: »Wie die sieben dürren
Jahr schaust du drein, Gid. Geht dir die staubige Mühl zu langsam?«

Die Eheleute schraken auf wie Hennen, wenn der Fuchs durch den Zaun
blinzt.

Der Nachbar setzte sich gemächlich auf einen Grenzstein jenseits
des Baches und fragte: »Strickst du den Geiferlatz für den neuen
Müllnerbuben, Ogath? Wann wirft der Krähvogel ihn euch in den
Rauchfang? Er laßt sich Zeit.«

»Du Daunderlaun, wir sind ohne Kinder auch lustig,« speiste sie ihn ab.

Er höhnte weiter: »Wer ist denn schuld daran, du oder der Mann?
Müllner, du mußt sie über neun Zäune tragen und schreien, die Nachbarn
sollen dir helfen.«

Er achtete nicht des Mühlrades, das bedächtig und schier drohend
brummte: »Juckt -- dich -- der -- Buckel? Juckt -- dich -- der --
Buckel?«

»Ich helf mir selbst,« grollte der Gid, »und dich brauch ich am
wenigsten. Du bist derselbe Lump wie deine Ähnel.«

»Der Apfel fallt nit weit vom Birnbaum,« entgegnete der Dullhäubel.
»Wenn ich ihr nur meine Pudelhaube hinwerfet, gleich krieget sie einen
Buben, die Ogath.«

»Ja, weil du der rotbartet Kasper bist,« knirschte der Gid. »Das muß
ich mir ins Gesicht sagen lassen, Ogath. Dran bist du schuld.«

»Ich geh wallfahrten gen Maria-Dorn,« seufzte sie bang. »Vielleicht
nutzt es.«

»Geh hin, wohin du willst! Ein Bub muß her.«

»Geh nacket in die Kindelkapelle, Ogath!« kicherte der Dullhäubel.

Der Müller wurde schneeweiß und packte einen Hammer, der auf der
Türschwelle lag. »Ich erschlag dich, ich bin Gott einen Toten
schuldig,« zischte er und sprang über den Bach.

Er war flinker als der Nachbar, und als er ihn gestellt hatte, schlug
er mit dem Hammer blind auf ihn los und traf ihn auf die Achsel, daß er
hin in die Binsen fiel.

Das Mühlrad ging auf einmal viel lustiger und spottete: »Hat dich der
Buckel gejuckt? Hat dich der Buckel gejuckt?«

Beruhigten Blutes kehrte der Gid zu seinem Weib zurück. »Den Grenzstein
will ich heut noch mit Kalk frisch überweißen, weil ein schlechter Kerl
drauf gesessen ist. Und ein Bub muß her, und wenn wir zwei solange drum
wallfahren müssen, daß uns bei jedem Schritt ein Blutstropfen von der
Ferse fällt!«

Indes raffte sich der Dullhäubel mit allerhand Gedanken an Schergen,
Gericht und Zuchthaus aus der Wiese auf, tappte nach der wehen Achsel
und schielte bös zur Mühle hinüber. »Blut ich, so klag ich; blut ich
nit, so klag ich nit.«

       *       *       *       *       *

Im Volk ging die Rede, daß einst von Gesetz wegen in der Mußmühle
kein Weib habe hausen dürfen. In Wahrheit verhielt es sich so, daß
unter jenem Dach nur wenig Kinder geboren wurden. Während es in den
Bauernstuben wimmelte, zogen die jeweiligen Müllersleute immer nur
einen einschichtigen, vertrotzten Buben als Samenstengel auf.

Der Ogath lag es wie ein Mühlstein am Herzen, daß sie Jahr für
Jahr galt ging. Sie hätte alles drum gegeben, und nicht nur ihres
verfinsterten Mannes wegen, wenn sie ein Kind gehabt hätte, und weil
alles Gebet, alle Sehnsucht und Traurigkeit fruchtlos blieb, so dachte
sie immer heißer an Wunderkräfte, die ihr den Segen aufschlössen.

Was ihr der Dullhäubel in seiner Verruchtheit geraten, ging ihr nimmer
aus dem Sinn.

Weit drin in der Wildnis des Lusens ist die Kindelkapelle. Dort hat
schon manches Mutterverlangen sich hingekehrt und ist erhört worden.
Doch die große Gnade kann nur durch ein großes Opfer herbei gelenkt
werden: nackt muß das Weib wallfahren zu jenem Gnadenursprung, in
letzter Blöße muß sie schreiten durch die Wälder, ehe ihr das Wunder
zuteil wird.

Von Woche zu Woche nahm sich die Ogath die seltsame Wallfahrt vor, doch
immer wieder schrak sie in Scham davor zurück, bis ihr Wunsch endlich
so gewaltig aufbrannte und alles andere davor verglomm.

Zu Mariä Heimsuchung fuhr der Müller in die Stadt ins Schloß, dort
wollte er noch einmal wegen des abgeschafften Mühlrechtes verhandeln.

Da schlich die Ogath barfuß in das Vogeltänd, das war der Wald,
der hinter der Mühle aufstieg und den Steig beschattete, der zur
Kindelkapelle führte.

Vor einer Steinhöhle hielt sie an. Ihre Brust ging hoch, angstvoll flog
ihr Blick durch die Bäume, sie trat aus dem Sonnenlicht in den tieferen
Schatten einer niedergreifenden Tanne. Zitternd band sie sich die blaue
Schürze los und legte sie in den Steinriß, sie tat die Joppe ab und den
Rock und die drei barchentenen Unterkittel und verbarg sie. Jetzt stand
sie im Hemd und lauschte todängstlich hinein in das Vogeltänd.

Nichts regte sich. Nur eine Drossel pfiff.

Sie wartete, bis der Vogel sich versungen hatte. Dann warf sie das Hemd
ab und war nackt.

Ihr schauderte.

Mit gefalteten Händen, mit fallenden Zähren begann sie die leidvolle
Wallfahrt.

Anfangs schien es ihr öfters, es halle der dumpfe Tritt eines Wandrers
ihr entgegen, und sie floh mit verhaltenem Atem hinter eine Staude und
lauschte lange und traurig.

Das Blut brannte ihr in den Wangen den weiten Weg. Sie schämte sich vor
den lustigen, spiegelnden Quellwassern, die sie überschreiten mußte,
sie schämte sich vor dem flüsternden Laub, das sie zu beschwätzen
schien, und vor den rauhen Felsen sogar, denn alles hatte heute Gesicht
und Augen. Jeder Stein am Steig, jede Wurzel am Hang, alles, alles
kehrte sich ihrer sündigen Nacktheit zu.

Der grüne Baumhackel lachte schrill, der Krummschnabel glotzte vom Ast,
spöttisch knickste das Rotschwänzel. Das Hirngrillein, der Guckauf, der
Nußhackel, die Spottvögel alle, die Schlangen am Weg, der verzagte Has,
der Hirsch, der unter der Berghollerstaude rastete und hinauf fraß, sie
alle schauten sie an, die da gläubig in ihrer schmerzlichen Keuschheit
dahin wallte.

»Vögel, berget die Äuglein im Gefieder!« bat sie. »Wend ab die Augen,
Wendehals! Ihr Blumen, verschließt euch und schaut mich nit so an! Zeig
mir mein Bild nit, du stiller Bach!«

Immer älter und verworrener wurde der Wald, schreckhaft verbogene Bäume
schickten die Wurzeln wie Nattern und Tatzelwürmer aus, Felsen trugen
tiefes, feuchtes Moos und trieften, Geier jagten schreiend über den
finster geschlossenen Wipfeln.

Mitten in diesen Schrecknissen ragte das Wunderkirchlein auf.

Es lag so mutterseligallein, so verhuscht und verborgen vor aller Welt,
so recht geeignet, daß ein armes Mutterherz oder eine betrübte Magd
oder ein reuiger Sünder oder, wer immer den Herzwurm hat, sich in aller
Geheime ausweinen konnte.

Die Ogath trat in das wetterverschlissene Bethäuslein. Das Herz ward
ihr sonnenlicht, als sie den Altar sah.

Da saß die Maria, die heilige Kindelbetterin, weiß wie ein Lilienblatt,
schlicht und einfältig, und neben ihr beugte sich der Zimmermann mit
dem eisgrauen Bart, ein uralter Tattel, über die Krippe, darin ganz
nackt und bloß das Himmelskind schlief, und zwei Eheleute schauten
furchtsam drein, denn die Könige waren gekommen, den Heiland im
kalten Stroh zu grüßen, der Kasper, schwarz wie ein Kohlenbrenner,
der Melcher, der Weihrauchkönig, reitend auf dem Kameltier, und der
Balthauser, der mit dem silbernen Stern tanzte. Ganz hinten, durch
zierliche Heiligenscheine aus ihrer Demut erhöht, knieten das Öchsel
und der ägyptische Esel.

Vor dem Altar stand eine große, leere Wiege.

Die Ogath aber redete mit der hohen Gnadenfrau: »Die Mußmüllnerin bin
ich, und es ist eine Sünd und eine Schand, wie ich da vor dir steh.
Aber deine Augen sind so still, und du schaust mir ins Herz bis auf den
Grund. Du siehst nix Schlechtes drin. Und ich bitt dich, trag meinen
Wunsch hin, wo man ihn hört. Mit gesegnetem Leib möcht ich gehen wie
die anderen Weiber, und so bitter gern tät ich am Anger vor der Mühl
Windeln bleichen, tät Hosen flicken für ein schlimmes Büblein, oder
wenn es ein Dirnlein sein sollt, wollt ich es gern zöpfeln und es hegen
und pflegen, und alles Herzleid tät ich willig tragen, was so ein Kind
bringt.«

Weiter fand sie keine Worte.

Sie kniete zur Wiege hin, legte ihren schmerzlichen Wunsch hinein
und wiegte still und versunken in den Anblick der heiligen Leute und
gläubig, daß das Wunder geschehe an der Frau, die es wagt, nackt zu
wallfahren.

Sie wiegte, bis die Sonne tief im Bergwald versunken war und die
Kapelle sich mit grauen Schatten füllte.

Im Dämmer ging sie heim, erbangend, wenn das Gras zischte oder der
Wind flüsterte, verzagend vor jedem Gebüsch. Denn selten gibt es eine
Staude, drin nicht ein Auge ist.

Die Raben kehrten in den Fichten ein zur nächtlichen Rast. Wie
stockende Geister leuchteten die weißen Grenzsteine. Droben tat sich
der Sternhimmel auf und funkelte durch die Wipfel nieder und silberte
Zweig und Laub.

Lichter aber schimmerte der Leib der Wallfahrerin, und die Blendnis
ihres Fleisches lockte und schrie durch die Nacht.

»Ich bin wie eine Latern,« klagte sie.

Der Wald ward sanfter, gangbarer der Weg. Durch die Stille hörte sie
schon die Mühle. Fern über den Bäumen sah sie hin und wieder das
Gebirg in schwarzen Klumpen dunkeln. Sie wanderte und wanderte im
Glanz ihres Leibes hin.

Als sie den Steinriß erreichte, wo sie das Gewand versteckt hatte,
huschte ein Mann aus den Felsen herfür und griff nach ihr.

Sie schloß die Augen und ließ willenlos alles geschehen.

Es mußte so sein.

       *       *       *       *       *

Als der Gid erfuhr, wie die Ogath wallfahren gegangen war, prügelte er
sie unbarmherzig, daß sie blau und blutig wurde, und das starke, stolze
Weib ließ sich schlagen und wehrte sich nicht.

Tags darauf kam der Zusch, ein närrischer Mann, zum Müller und lallte:
»Der Dullhäubel schickt mich. Du sollst ihm Haut und Haar von deinem
Weib schicken. Du hast gestern geschlagen.«

Der Gid jagte ihn davon. --

Im Frühjahr gebar die Ogath ein Dirnlein mit dickem, rotem Haar.

Der Müller zerbiß sich die Lippen, er hatte einen Buben begehrt.

»Woher hat sie das rote Haar?« murrte er.

Er versperrte sich immer mehr in sich selbst. Seine Augen flogen scheu,
die kargen Worte, die er redete, zauderten undeutlich an seinen
Lippen. Oft brütete er stundenlang über dem Brief, der den Vorfahren
Zins und Kundschaft verbürgt hatte, und sann auf Wege und Schliche und
Gewaltsamkeiten, sich wieder ins alte Recht zu setzen.

Einmal saß er am Fenster und quälte sich, eine Bittschrift an den
Kaiser aufzusetzen. Denn im fürstlichen Schloß hatte man ihm gesagt,
der Kaiser selber habe die Zwangmühlen abgeschafft. Er wollte mit der
Schrift nach Wien reisen und dort, wenn es nicht anders ginge, einen
Fußfall tun.

Da holperte draußen auf der Straße ein Wagen daher, der Fuhrmann pfiff
gell und knallte ohne Aufhör mit der Geißel. Der Gid riß das Fenster
auf und schaute hinaus. Es war der Dullhäubel. Seine Ochsen wollten den
mit Kornsäcken beladenen Wagen vorüberziehen.

Aufsprang der Gid, packte die Urkunde und rannte hinaus.

Er trat dem Fuhrwerk in den Weg und hielt die Ochsen an, die Augen
flirrten ihm.

»Kasper, wohin?«

»In die Mußmühl nit, in die Grillenmühl,« sagte der keck.

»Das ist gegen das Gesetz,« lechzte der Gid. »Da siehst du die Schrift.
Schwarz auf weiß steht drin, daß du bei mir mahlen mußt. Dein Hof steht
drin aufgeschrieben mit Tinte und Feder. Mir ist es nit ums Mahlgeld,
mir ist es ums Recht.«

»Ich mahl bei dem groben Müllner nit, der mit dem Hammer die Leut
erschlagt.«

»Gelt, Kasper, du fahrst an meiner Mühl vorbei, weil du weißt, was mir
ein Spieß ins Aug ist! Heut laß ich dich nit vorüber. Recht muß Recht
bleiben. Übers Recht gibt es keinen Weg.«

»Speib Gift, speib Gall!« sagte der Dullhäubel kalt. »Deine Red hat
keinen Kopf und keinen Fuß. Steck ein den Wisch Papier und fuchtel nit
so vor den Ochsen herum! Du zerrüttest sie mir.«

»O du grundschlechter Kasper, genau so wie deine Vorfahrer peinigst du
die Leut. Mit Bluthunden haben sie den jungen Burschen nachgespürt, das
lebendige Menschenblut haben sie um einen Judaslohn verraten!« spritzte
der Gid dem Dullhäubel ins Gesicht.

Der antwortete gelassen: »Du steigst mir auf den Buckel! Und es bleibt
dabei, der Grillenmüllner und kein andrer schrotet mir das Korn.«

Blutrot sprang der Müller den Bauer an. Diesmal aber war der Dullhäubel
gerüstet. Er riß eine Ochsensenne aus dem Wagen und schlug schrecklich
auf den Feind los.

Der Gid keuchte in sein Haus. Im Flur stand der alte Müller.

Der Gid faßte eine Hacke. »Reichlich hat er mich gehaut,« schnaubte
er. »Vater, du stellst dich hinter die Tür. Du packst ihn von hinten.
Gleich ist er da. Droben am Steinbühel graben wir ihn ein.«

Atemlos warteten die zwei.

Der Dullhäubel aber führte sein Korn schon weit und sang sein Leiblied.

    »Ich schrei hü,
    ich schrei ho,
    ich schrei allweil
    hüstaho.«

       *       *       *       *       *

Als dem Müller die Blutrünste und blauen Flecken vergangen waren,
steckte ihm der Bote einen Brief zu, und damit wurde er vors Gericht
beschieden.

Der Dullhäubel hatte geklagt, der Gid habe ihn auf hellichter Straße
überfallen, ihn und seine Vorfahrer geschmäht und verschändet und ihn
schließlich mit einer Ochsensenne halb erschlagen.

»O der falsche Fuchs!« schrie der Gid. »Erst haut er mich grün und
gelb, hernach zieht er mich vors Gericht. Auf der Stell klag ich ihn
auch.« --

Der Dullhäubel rüstete sich indes emsig für den Gerichtstag. Er wollte
den lieben Mußmüller so weit bringen, daß er kniefällig um Verzeihung
heulte.

In der Scheuer übte er seine Rede ein. Vorerst neigte er sich nach
allen Seiten, denn er dachte sich den Gerichtshof rund wie einen Kreis
und rings lauter Richter und Schergen und sich selber in der Mitte.

»Gnädigster, allerstrengster Herr Gerichtshof!« hub er an. »Indem daß
der Herr Ägid Wilfinger, Müllnermeister in Fuxloh, mich, den Herrn
Kasper Dullhäubel, ehrengeachteten Bauern daselbst und eheleiblichen
Sohn und Nachfolger des Herrn Isidor Dullhäubel, indem daß derselbe
denselben und seine Ochsen auf freier Straße angepackt hat und mich
hat zwingen wollen, daß ich in seiner Mühl mahl, wo doch schon der
Herr Kaiser Josef im Jahr achtundvierzig alle Zwangmühlen verboten
hat, und weil ich selbem Müllner nit zu Willen war, hat er mich und
meine gottseligen Vorfahrer mit boshaften Wörtern verunehrt und hat
insbesonders mir -- mit Verlaub zu sagen -- geschafft, ich soll ihm auf
den Buckel steigen. Nachdem dies geschehen war, hat er mich mit einer
Ochsensenne so kläglich genotnötigt, daß ich vierzehn Tag meine Arbeit
hab versäumen müssen und Hand und Fuß nit rühren können. So, jetzt hat
der Widersacher das Wort.«

Damit ging der Dullhäubel in die Ecke der Scheuer, wo spinnverwebt
die Putzmühle stand, und drehte sie fünf Vaterunser lang, daß sie
rumpelte und fauchte, und deutete also die Rede an, womit der Gid sich
verteidigte.

Als der Bauer an der Putzmühle in einen gelinden, warmen Schweiß
geraten war, setzte er ab und sprach wiederum in der eigenen Sache.

»Allerhöchster und ehrbarer Herr Gerichtshof! Indem daß der Ägid
Wilfinger sich gar so lügenhaft verteidigt und mit seinen Spitzfünden
der Wahrheit unverschämt ins Gesicht schlagt und behauptet, es hätte
sich alles umgekehrt zugetragen und ich hätte ihm mit einer Ochsensenne
leibgefährlich und schandbar zugesetzt, daß er schleunig in der
Mühl habe seine Zuflucht holen müssen: so verschwör ich mich mit
dem härtesten Schwur, daß der Müllner jetzt abscheulich gelogen und
getrogen hat. Gott soll mich strafen, wie ich da steh, wenn nur ein
einziges Wort nit wahr ist!«

Jetzt ließ er wieder die Putzmühle lärmen, und dies bedeutete wieder
die Antwort des Gid.

Hernach schloß er die Verhandlung und sagte: »Indem daß der Müllner von
seinem halssteifen Leugnen nit ablaßt und in ohrenblaserischer Weis
mich, seinen Nachbarn und vormals treuen Freund ins Zuchthaus bringen
will, so trag ich alleruntertänigst seine gerechte Bestrafung an. Ich
bitt euch, sperrt den Herrn Ägid Wilfinger drei oder vier Jahr bei
Wasser und Brot ein, daß mir mein Recht geschieht und er hernach als
ein verbesserter Müllner wieder auf die Welt kommt.«

Er verneigte sich nach allen Winden und ging aus der Scheuer, seiner
Sache sicher. --

Am Gerichtstag putzte sich der Dullhäubel wie ein Pfingstelreiter
heraus: er schirrte sich in die grasgrünen Hosenhalfter und steckte
einen Häherspiegel in den blauen Hut, die Silberknöpfe glänzten am
Brustfleck, und so trat er getrost aus dem Haus.

Als die Sodonia über ihn ein Kreuz schlug, sagte er: »Heut wird es ein
Rausch, ob ich gewinn oder verlier.«

Vor seinem Hof aber hockte die Ulla, sie ließ ihr zahnlücketes Lächeln
spielen und grüßte: »Guten Morgen in aller Fruh, Bauer!«

Das alte Weib deutete er als übles Vorzeichen. Fluchend rannte er
in die Stube zurück, tauchte alle fünf Finger in den Weihbrunn und
besprengte sich kräftig, daß alles Gelüst des Teufel zu schanden werde.
Dann schlich er zur Hintertür davon und ging in einem weiten Ring um
das Bettelweib. --

Der Gerichtshof schaute ganz anders aus, als wie der Dullhäubel
geträumt hatte. Es war eine sonnige Stube, drin auf grünem Tisch
zwischen zwei Kerzen das Kreuz mit dem angenagelten Herrgott stand.

Der Richter hatte einen breiten Goldbart, eine rötliche Nase und graue,
scharfe Augen, die einen durch Mark und Bein schauten.

Der Schreiber, dem zwischen den Augenbrauen eine mächtige Warze saß,
zog eben den Pfropf aus einem Tintenfläschlein. Neben ihm glänzte eine
schneeweiße Gansfeder.

Als der Dullhäubel in die Stube trat, war der Müller schon drin.
»Holla, gefehlt ist es,« dachte der Bauer, »jetzt ist mir der Kerl
zuvor kommen!« Doch hoffte er die Scharte auszuwetzen, und er grüßte
artig: »Gelobt sei Jesus Christus, Herr Gerichtshof und Herr Schreiber!«

Er wollte auch den Mann neben der schneeweißen Gansfeder ehren, denn
wie leicht konnte der ein Wörtlein in seine Schrift rinnen lassen, das
einem das Genick brach.

Der Goldbart murrte etwas und deutete ungeduldig auf einen Sessel.
Doch der Dullhäubel hielt es an der Zeit, seinen Trumpf auszuspielen,
er holte das Tabakglas herfür und bot es mit zwinkerndem Blick auf die
rötliche Nase dem Richter hin.

»Was unterstehen Sie sich?« brüllte dieser.

Der Dullhäubel legte die Hand demütig aufs Herz. »Herr Gerichtshof, ich
bin halt ein dummer Bauer.«

Er knickte auf den Sessel nieder, der blaue Hut fiel ihm auf den
Fußboden. »Holla,« dachte er, »jetzt hab ich mich verrechnet. Aber
meine Red muß mich herausreißen.«

Die Stimme des strengen Mannes kam auf einmal ganz unglaublich mild und
zart aus dem Goldbart heraus, die starken Augen wurden ihm feucht, er
zupfte an seiner Nase.

»Leutlein, euch hat der Herrgott nachbarlich hingesetzt in das schöne,
friedliche Tal am Wolfsbach, und ihr steht jetzt in dieser Stube euch
gegenüber wie zwei Waldratten, die sonst nichts mehr zu fressen haben
als eins das andere. Was verklagt ihr euch wegen ein paar überflüssiger
Hiebe und ein paar lustiger Wörter? Besinnt euch, ihr strittigen
Männer! Es kann kein gut tun, wenn einer von euch wegen des andern
abgestraft wird. Es wächst Haß daraus, und der Haß glost weiter in Kind
und Kindeskind und schlägt allweil wieder giftig aus der Asche. Denkt
an den Frieden eurer Enkel! Söhnt euch aus! Gebt euch die Hände!«

»Ich will mein Recht,« trotzte der Müller.

»Ich auch,« rief der Dullhäubel.

Das graue Auge des Richters verfinsterte sich, mit langen Schritten
ging er von Wand zu Wand.

»Es ist gut,« sagte er. »Und jetzt erzählen Sie mir den Vorfall,
Wilfinger!«

Der Gid stellte sich kerzengerad hin wie ein Soldat und begann rauh:
»Ich komm aus der Mühl. Der Kasper steht auf der Straße. Ich zeig ihm
unsern Freibrief. Wir reden nit lang, da reißt er die Ochsensenne aus
dem Wagen. Wenn ich nit renn, erschlagt er mich.«

»Umgekehrt ist es gewesen!« kreischte der Dullhäubel.

»Ruhig!« knurrte der Richter. »Ägid Wilfinger, beschwören Sie Ihre
Aussage!«

Die Kerzen flackerten unheimlich, und der Gid reckte den Arm steif auf
bis schier zur Decke und stammelte nach, was der Richter vorsprach.

»Falsch hat er geschworen, der staubige Teufel!« schalt der Dullhäubel.
»Dir wasch ich noch einmal die Kutteln.«

»Du elendiger Bauerntrumpf!« grollte der Gid. »Erwisch ich dich noch
einmal, ich hämmer dich hin, daß du nimmer aufstehst!«

Der Richter rieb sich die Fäuste. »Das ist ein spitzer Handel, Männer,«
reizte er die zwei. »Redet euch nur die Leber frei!« Der Bart zitterte
ihm unter dem lachenden Mund. Lachend riß er das Fenster auf.

Das Geschrei der zwei Fuxloher versammelte drunten am Markt die
Stadtleute. Sie horchten und lachten.

Der Dullhäubel war rot wie ein Truthahn. »Müllnerdieb, Müllnerdieb!«
zeterte er. Ihm fiel nichts anderes ein.

Der Gid hatte keine Farbe im Gesicht. »Du abgefeimter Fuchs,« sprühte
er, »du drehst dem Teufel einen Knopf in den Schweif.«

Sie wüteten gen einander wie zwei leer laufende Mühlsteine, mit bösen
Reden stachen sie auf sich ein, vergangene Zeiten öffneten sie und
rissen die verweste Schande der Voreltern heraus.

»Du Lump!« brauste der Gid. »Und allsamt seid ihr Lumpen gewesen auf
euerm Hof. Der Vater sauft sich zu Tod, der Ähnel sucht die letzte Rast
am Strick, dem Guckähnel wird der Hirnschädel eingehaut, und wer weiß,
wie viel von deiner Brut am Galgen gezappelt haben!«

Der Dullhäubel blieb nichts schuldig. »Du ehrlicher Müllner, dein
Vater ein ehrlicher Mann, dein Ähnel, dein Urähnel, dein Guckähnel,
lauter redliche Müllner! Kein Körnlein ist euch stecken blieben im
Fingernagel, kein Stäublein Mehl ist haften blieben an euern Schürzen,
keinen Sand habt ihr gemischt --.«

»Was? Du willst an meinem ehrlichen Gewerb schnipfeln?« Der Gid langte
hinüber, wie der Bär nach Reiner dem Fuchs greift.

Schnell barg der Schreiber das Tintenfaß und sah sich nach der Tür um.

Dem Richter schien es genug. Er brüllte, daß die Scheiben klirrten:
»Ruhe! Sonst laß ich euch dingfest machen und ins Zuchthaus schmeißen!«

Der Dullhäubel aber bäumte sich auf: »Hat der Gid geschworen, muß man
mich auch schwören lassen!« Er schwang die rechte Hand in die Höhe
und spreizte die Finger, die linke ließ er mit zur Erde gereckten
Schwurfingern hängen; er glaubte, so müsse der Schwur ohne Schaden
durch den Leib gehen, auch wenn er nicht ganz echt sei.

Der Goldbärtige schaute ihn mit einem Blick an, der ihm den Arm lähmte,
und sagte halblaut: »Ihr zwei versteckten Lümmeln, augenblicklich
versöhnt ihr euch, sonst laß ich euch krumm schließen, daß euch die
Knochen brechen! Glaubt ihr, ich hab die Zeit gestohlen, daß ich
mit einem groben Müller und einem spitzfindigen Schelm, der da kalt
schwören will, herumschlage? Im Hui vergleicht euch! Und dann hinaus
mit euch!«

Die Widersacher schauten verdutzt drein, der Richter aber winkte
entschlossen hinab auf den Marktplatz, dort stand ein riesiger Mann mit
einem Säbel.

Den zweien wurde ängstig.

Der Säbel klapperte draußen die Stiege herauf. Der Dullhäubel langte
sich nach dem Hals, als würge ihn etwas. Dem Müller war, eine Sense
fahre ihm durch die Kniee.

»Gid, verzeih!« ächzte der eine.

»Kasper, vergiß!« murmelte der andere.

Der Mann mit dem Säbel trat herein. Sein Gesicht war ernst, als müsse
er in die Feldschlacht gehen. Er wischte sich links und rechts über den
Schnurrbart.

Der Richter sprach zu ihm: »Sie, Herr Notnagel, rennen Sie gleich zum
Postmeister hinüber! Er soll nicht aufs Kegelscheiben vergessen. Im
Wirtshaus zum Blumenstöckel.« --

Die zwei Fuxloher atmeten auf, als sie draußen auf dem Gang standen.

Der Gang war weitläufig und finster, und drum verirrten sie sich und
gerieten an eine eisenbeschlagene Tür, die halboffen stand.

Der Dullhäubel spähte hinein.

In der Kammer drin war nichts zu sehen als ein vergittertes Fenster
und eine hölzerne Liegerstatt. An die Wände hatten die Leute, die
hier einschichtig über den Lauf der Welt nachgedacht hatten, allerlei
Ergötzliches gezeichnet. Neben dem Bild eines mit Raben und baumelnden
Schuften wohlversehenen Galgens waren Gesicht und Brüste eines üppigen
Zigeunerkindes zu schauen, Schergen mit Säbeln und Hahnenbüschen auf
dem Hut starrten von der Mauer nieder, unbekümmerte Sprüche luden zur
Besinnung ein; auch mancher Reim war verzeichnet, der ein artiges Gemüt
verletzt hätte, und mit blauem Stift stand steif und groß hingemalt:
»Ade, du trauter Ort! Ich bin da gesessen ein paar schöne Wochen.«

Dem Dullhäubel wurde ganz heimlich in der Kammer. Die Sonne zeichnete
das Gitter gar lustig auf die Liegerstatt hin und zierte die Spinnweben
im Winkel mit regenbogenen Farben. Eine Maus kroch aus ihrem Loch und
stellte ein Männlein.

Ungern verließ der Dullhäubel die Stätte. Er deutete mit dem Daumen
zurück und sagte zu dem Müller: »Wenn mir das alte Bettelweib nit
begegnet wär, du säßest jetzt da drin. Schad drum!«

       *       *       *       *       *

Die Ulla wohnte am Vogeltänd neben einem Felsen. Ihre zerrissene
Hütte war mit Stangen und Stecken kläglich gestützt, Türsäulen und
Fensterstöcke waren morsch, die Scheiben zerbrochen und mit Papier
verklebt. Die Schindeln faulten am Dach und waren zum Teil durch
Baumrinden ersetzt. Doch darauf glänzten Steine mit schönen glasigen
Gebilden, so daß es auf all der Armseligkeit wunderlich blitzte.

Im Fenster wuchs in einer Scherbe kümmerlich die Blume Zagelhintaus.
Ein Kienbaum verschattete die Hütte, ihm wucherte im Gezweig ein
Hexenbesen, kraus verwachsen wie das Nest eines verrufenen Vogels.

Es war morgens. Der Guckauf lockte hell.

Die Waldkräutlerin brockte vor ihrer Tür einen struppigen Schlafapfel
aus dem Dorn, sie wollte ihn abends ins Bett legen, weil sie nimmer gut
schlief.

Zu dem winzigen Fenster meckerte die Geiß heraus. Die Ulla humpelte hin
und spaßte: »Gib mir ein Bussel, Geiß!«

Als wär er aus dem Felsen gesprungen, stand der Dullhäubel da.

»Du hast die Geiß gern, Ulla. Du brauchst sie wohl Zum Reiten? Reitest
du auf den Lusen tanzen? Das ist ein hoher Berg.«

Die Alte nickte gutmütig mit dem kleinen Vogelkopf. »Du bist heut gut
aufgelegt, Bauer. Dir hab ich einmal eine Warze besprochen. Weißt du
es noch? Jetzt bist du ein schöner Mann worden. Geh, schenk mir was!
Schau, wie armselig meine Heimat dasteht!«

Sie deutete auf die Tür, die müd in den Angeln hing.

»Die Tür ist schlecht,« sagte der Bauer, »aber du brauchst sie nit
besser, du reitest ja zum Rauchfang ein und aus.«

Die Geiß stand jetzt in der Tür, die Vorderbeine gespreizt, und horchte
neugierig zu.

»O mein liebes Vieh, der Bauer macht uns zwei schlecht. Du bist ein
Schwänkmacher, Dullhäubel. Freilich geht es mir schlecht. Wenn nur
genug Brot wär, drei Zähne hab ich schon noch,« kicherte sie kläglich.
»Ach ja, die Not ist mein Kuchelmensch und Schmalhans der Meister.«

»Aber Milch hast du genug?« fragte der Bauer scharf.

»Nit viel, gar nit viel. Was halt die Geiß hergibt.«

»Alte, du weißt, daß in meinem Hof der Erdspiegel ist. Drin seh ich
alles auf der Welt. Wie ich gestern abends hinein schau, seh ich dich
den Wegzeiger gegen Grillenöd melken. Zur gleichen Zeit hebt meine
beste Kuh, die schwarzrückete Stallmeisterin, gottskläglich an zu
plärren. Ich schau nach, da steht sie im Stall, zittert am ganzen Leib
und schwitzt, als wenn sie einer geritten hätt. Ich hab sie gleich
melken wollen, da hat sie nit ein bißlein Milch gegeben, nur ein
Tropfen Blut ist ihr aus dem Euter geronnen. He, was hast du meine Kuh
verzaubert, Hex?« rannte er.

Sie rang die dürren Hände. »Das ist nit wahr, der Erdspiegel lügt. Ich
bin ein frommes Weib und keine Schlangenköchin.«

Er fuhr fort: »Im ersten Zorn bin ich in das Vogeltänd gelaufen, hab
dir die Milch vom Ofen wegreißen wollen. Da seh ich durch die Luft
einen Strohwisch schießen, in deinen Rauchfang schießt er hinein, er
sprüht vor lauter Feuer. Ist das nit dein Liebhaber gewesen, Hex?«

Sie starrte ihn mit den blöden Augen an. »Du irrst dich, Dullhäubel, du
irrst dich dreimal. Es wird nur ein Sternlein in den Rauchfang gefallen
sein. O weh, wie redest du so schrecklich von mir armem Weib! Ich tu
ja niemand nix, ich tu nur beten, allweil hab ich die Nase im Betbuch,
wenn ich auch nit lesen kann.«

»Jetzt weiß ich, Ulla, wer mir im Stadel die Mäus wachsen laßt und im
Haus das Unziefer. Jetzt weiß ich, wer den Nebel her winkt und das
schwarze Wetter. Du bist es, Hex!«

»Ich hab ja gar keine Kraft,« jammerte sie, »wie könnt ich das tun? Es
ist ja alles nit wahr, nit wahr.«

Unbarmherzig redete er: »Aus deiner Geiß springt die Milch wie der
Brunnen aus der Erd, die Milch rinnt dir ums Haus nach, Ulla. Zum Lusen
bist du auf einem Besen geflogen, der hinter dir gebrannt hat. Du
zauberst und zinzelst und zanzelst und machst Weiber und Küh galt.«

»O du Unfang, du bodenloser, was bringst du mich in Kummer? Deine üble
Nachred wird mir schaden, niemand wird mir eine Gabe schenken wollen.
Aber jetzt geh ich hin und laß dich am Gericht verklagen.«

»Der Richter ist mein bester Freund, der tut mir nix,« lachte der
Schelm. »Und wenn die armen Leut klagen, so gilt es nit. Und wer steht
gegen mich auf? Ich bin der Dullhäubel aus Fuxloh!«

»Das ist eine bitterliche Wahrheit,« lispelte sie, »an der Armut wischt
ein jeder seinen Schuh. Aber, lieber Kasper, ich bin keine Hex.«

»Du bist es. Dein ganzer Leib legt Zeugenschaft dafür ab: deine Finger
sind wie Krallen, dein Kinnbein ist dürr und krumm, dein Gesicht ist
runzlig, als ob die Hennen drin gekratzt hätten. Die Augen rinnen dir
aus.«

»Ich bin ja alt! Alt bin ich!« wimmerte sie. »Blut könnt ich weinen. Du
wirst mich verschreien in ganz Fuxloh.«

»Wenn du ein gerades Weib wärst, die Augen frisch, die Wangen weiß und
rot und glatt,« der Dullhäubel schnalzte, »und wenn du sonst am Leib
schön fest und dick wärst, da könnt der Erdspiegel zehnmal sagen, daß
du hexest. Niemand tät ihm glauben.«

»Das laßt sich nimmer ändern,« sprach sie traurig. »Und wenn ich noch
so gut essen könnt, mein Leib ist alt und laßt sich nimmer frisch
aufbauen.«

Da flüsterte er: »Und doch weiß ich einen Rat. Geh in die
Altweibermühl!«

Wie Abendsonnenlicht glitt es über die enge Stirn der Ulla. »Ja, die
Altweibermühl! Ich hab schon davon reden hören. Aber sie ist weit,
meine Füß ergehen den Weg nimmer.«

»Geh in die Mußmühl! Der Gid mahlt dich blitzsauber und blutjung.
Zweifelst du? Ich lüg dich nit an. Du könntest mich sonst mit einem
Buschen Haberstroh erschießen in der Thomasnacht.«

Lachend trollte er sich.

Die Alte stand wie verzaubert. Noch einmal jung werden, Kraft haben in
Händen und Füßen, klar und stark sein im Hirn, von den Leuten geehrt
werden, tanzen und springen können, und es noch einmal und besser und
schlauer versuchen mit dem Leben!

Sie ging im Ring um diesen lichten Wunsch, sie bestaunte ihn von allen
Seiten und lugte scheu hin, wie ein Bettelkind durch die Zaunstecken
in einen fremden, feinen Garten lugt voll edler Lilien und lieber
Rosenstauden und Bäume mit gelbem Obst.

Sie glaubte es gern, daß es ein Mühlrad gebe, das die Alten wieder jung
mahle. Wie hätten denn sonst die Leute davon reden können!

Sie packte vor Freude die Geiß bei den Füßen, hob sie auf und schwenkte
und schleifte mit dem glotzenden Tier einen gelinden Tanz. --

Als sie am dritten Tag das Herz nimmer bezwang, nahm sie ihren Stecken
und ging in die Mußmühle.

Den Weg hin pflasterte sie mit vielen Träumen, die holder glitzerten
als der Tau an den Gräsern. Und die Vögel pfiffen die kreuz und
die quer, der Baumhackel jauchzte wie ein Hochzeiter, der Himmel
droben war glasblau, und die Erde war zart und freundlich wie ein
Kränzelgarten.

Die Ulla wanderte die Erlen und Weiden entlang bis zum grünen Weiher,
darein der Bach sich sammelnd und verrastend mündete.

Der Gid schleppte eben dem Glöckelbauer die Säcke in die Mühle.

»Bin ich da recht in der Altweibermühl?« fragte sie, und das Herz
schlug ihr hellauf.

Der Gid ließ den Sack von der Achsel gleiten und schaute sie wild an.

»Die bringt der Mußmühl einen neuen Namen auf,« lachte der Glöckelbauer.

»Jung sollst du mich mahlen,« redete sie ein wenig scheuer. »Der
Dullhäubel schickt mich her.«

»Zu Trutz und Neid tut er mir alles!« rief der Gid in weinerlicher Wut.
Und er rollte sie an: »Komm mit!«

Sie beschwichtigte ihn. »Sei nit bös! Ich bin halt ein armes Fürwitzel.«

»Zum Altweibermahlen täten die Fuxloher freilich meine Mühl kennen, da
fahret keiner vorbei.« Er stapfte grimmig voraus.

Im Vorderhaus standen einige Holzschuhe. Da schmeichelte die Ulla, den
Zornigen zu begüten: »Ihr habt aber viel Holzschuh, da kommen gewiß
auf jeden zwei.«

Er führte sie durch das zitternde Haus, und auf einmal weilte sie
verwirrt an einem Ort voll staubiger Stiegen und Leitern, der Wellbaum
drehte sich, die Gänge klapperten, volle Säcke lehnten aneinander,
weiße Mehlhaufen waren aufgeschüttet.

Unheimlich rührte sich das Haus, belebt vom stürzenden Wasser, das
das Wesen eines Geistes hatte. Unsichtbar irgendwo schwang sich das
Mühlrad, vom Geschäufel zischte und fiel es. Die Aufschüttkasten
schüttelten und rüttelten sich ruhelos, gespenstisch regte sich das
Beutelwerk. Immer tosender schlapperte und klapperte alles, und der
Ulla Herz schlotterte immer banger.

Eine Mehltruhe stand halb offen, und das Weiblein fürchtete, ein grauer
Kobold könne herauskriechen und ihr ein Leides tun.

Und auf einmal schoß ihr eine gewaltige Angst vor dem Jungwerden ins
Knie.

Soll sie die bittere Welt noch einmal durchreisen, jetzt, wo sie der
Ewigkeit und ihrem Frieden schon so nahe ist? Sie sollte sich doch ihr
Alter nicht so hart bekümmern lassen!

Und die Geiß daheim, die wird die Ulla nimmer erkennen, wenn sie jung
und fremd dahertanzt. Die gute Geiß wird den Bart traurig hangen lassen.

Sie schrak auf. In dem Gebraus hatte sie den Müller vergessen.

Der packte sie grob und schwang sie über den Mühltrichter. »Soll ich
dich fallen lassen?«

Sie schrie auf. Sie fühlte sich verschlungen, zermalmt unter den
harten Steinen. Wild krampfte sie sich in des Müllers Rock. »Heilige
Muttergottes, hilf! Breit deinen Reifrock aus! Ich will nimmer jung
werden.«

Die Sinne vergingen ihr. --

Als sie wieder zu sich kam, lag sie am Weiher. Die Mühle brauste
gedämpft, Mücken schwirrten.

Sie besann sich lange. Hernach wisperte sie: »Gott, wie geht es zu in
deiner Welt!«

Voller Angst und Neugier kroch sie zum Teich hin, schlupfte durch die
Felberstauden und schaute in den stillen, grünen Spiegel: da nickte ein
altes, verschrumpftes Schwesterlein herauf.

Die Ulla hüpfte vor Freuden auf und bat die im Wasser um Verzeihung,
daß sie sie schier um ihre grauen Haare und vertrauten Runzeln und
ehrwürdigen Hände gebracht hätte. Ein Muttergotteswunder, so glaubte
sie, habe den Frevel verhütet.

Als sie heim ging, lag der Dullhäubel vor seinem Hof am Wasen und
reckte die Arme faul von sich.

»Der Müllner hat grob gemahlen,« spottete er. »Jetzt mußt du halt
Wolkenschieben gehen auf den Hötschenberg in Tirol.«

       *       *       *       *       *

Im »pfalzenden Hahn« ging es hoch und hell her. Der Kirchweihtanz
dauerte schon die zweite Nacht.

Enganeinander hockten die Musikanten auf ihrer Bühne. Der starke
Lukas Schellnober blies den Baß, der Aumichel griff die Klarinette,
der Spielmannfranz und seine Buben geigten. Und wenn die Musikanten
rasteten, zirpte der Kanari, der aus dem Vogelhaus dem Treiben
zuschaute.

Die Bauernsohlen stampften die altbairischen Tänze. Der Glöckelbauer
schwang die Iglin, der Igelbauer die Glöckelbäurin; der Holzhacker
Longinus Spucht drehte wie besessen des Meßners Weib, derweil der
Grazian gottergeben und mit niedergeschlagenen Augen die Spuchtin weit
von sich hielt. Der Burgermeister tanzte mit der Burgermeisterin, der
Müller mit der Müllerin. Der Dorfnarr sprang in Holzschuhen durch die
Stube; zuweilen schlug er eine Blechstürze schallend an die Wand und
schrie: »Ich bin ein Steirer!«

Der Dullhäubel drängte eine junge Dirne in die Ecke.

»Deine Zähne glanzen, Stasel,« schmeichelte er.

»Mit Zinnkraut hab ich sie geputzt, Kasper.«

»Du bist süß wie ein Zuckerstock, Stasel. Komm mit mir vors Haus und
laß mich schlecken!«

»Nein, nein, Bauer, draußen ist es mir zu finster, ich könnt mich wo
anstoßen. Und du bist mir zu wenig treu.«

»Ich hab ein kugelrundes Herz, es rollt von einer zur andern, Stasel.
Heut zu dir.«

»Ich dank schön,« sagte sie schnippisch, »ich bin kein Apfelbaum an der
Straße, wo ein jeder Bub hinaufsteigt.«

Die Fuxloher hatten ihre Bäurinnen ausgeführt, und auch aus Blaustauden
und Grillenöd waren Gäste da, und sie sprangen und trampelten,
schleiften und jauchzten und sangen grell durcheinander.

»Musikanten, spielt die ›Sommerblume‹!« schaffte der Müller an.

»Nein, das ›Wintergrün‹ will ich tanzen,« begehrte der Dullhäubel.

Die Ausgedingler mischten in der Kuchel die Karten und spielten ein
Spiel, das kroch so faul und endlos um den Tisch, daß die Sage recht
haben mochte, einmal seien dabei vier Männer erfroren.

Neben der Bodenstiege im Vorhaus schenkte der Wirt aus, vor ihm auf
einem langen Tisch standen die Krüge der Tänzer.

Alles drehte sich eben, niemand war im Vorhaus. Mit eiligen Augen nahm
der Wirt den Vorteil wahr: er packte einen Maßkrug nach dem andern und
goß das Bier durch den Trichter ins Faß zurück. Hernach lehnte er sich
träumerisch mit überschlagenen Beinen und verschränkten Armen an die
Stiege und wartete.

Die Tänzer kamen mit den erhitzten Tänzerinnen und wollten trinken.

Der Müller schrie:» Verflucht, da hat mir schon wieder einer das Bier
ausgesoffen!«

Der Lippenlix aus Blaustauden murrte bös: »Gerad ist mein Krug voll
gewesen, und jetzt ist er leer. Wirt, das geht nit mit rechten Dingen
zu.«

Der Dullhäubel ließ sich frisch einschenken. Er kostete und spie aus:
»Wirt, dein Bier ist abscheulich warm. Pfui Teufel!«

»Geduldet euch,« tröstete der Wirt, »gleich wird frisch angezapft.
Jetzt kommt das Faß, wo die schwarze Katz drauf sitzt.«

Der Longinus Spucht stimmte das Rinaldinilied an. Er hatte einen
rauhen, grimmigen Hals. Sein stockfinsterer Bart deckte die Brust weit
hinunter, so daß er keinen Brustfleck brauchte. Wegen des finsteren
Bartes war schon mancher Wandersmann umgekehrt, der den Spucht von
weitem im Wald sah.

Der Brunnkressenhannes setzte sich zum Dullhäubel hin. »Mein lieber
Freund,« sagte er, »in der guten alten Zeit ist es anders gewesen. Ich
wünsch mir nix mehr, als daß wieder ein so kräftiges Bier gebraut wird
wie vormals. Wenn man das Glas ausgetrunken hat, ist der Boden noch
schneeweiß gewesen vor lauter Faum. So kräftig ist es gewesen. Heut
bringt kein Bräuer mehr einen rechten Faum zusammen.«

Der Dullhäubel tat, als höre er nicht und kehrte sich ab. Da stupfte
ihn der Hannes mit dem Ellbogen an. »Bauer, tu her ein Schnüpflein.
Der Tabak ist ein magnetisches Pulver, das zieht die Nase an.«

»Setz dich nit an meinen Tisch,« antwortete der Bauer grob. »Du bist
nur ein Häuselmann mit einer Kuh.«

»Lausig bin ich nit, daß du wegruckst von mir.« Der Hannes stand auf
und trug beleidigt seinen Krug davon. »Freilich muß einer stolz sein,
wenn er einen so großen Hof hat wie der Dullhäubel. Der Ofen allein ist
dort so groß, daß der Bauer drei Paar Ochsen einspannen muß, wenn er
die Bratschüssel aus der Röhre ziehen will.«

»Ihr werdet wieder solang wörteln, bis ihr rauft,« mahnte der Wirt
scharf.

Der Longinus Spucht hub ein anderes Räuberlied an.

    »'s gibt kein schönres Leben auf Erden
    in der weit und breiten Welt,
    als ein Straßenrauber werden,
    morden um das liebe Geld.«

Die Musikanten setzten an, und Jauchzen und Gepolter verdeckten seine
grobe Stimme. Alles drängte zum Tanz.

Als sich der Wirt wieder allein spürte, hob er gemächlich den
Holzschlägel, womit er sonst die Piepe in die Fässer trieb, und schlug
ihn dreimal dröhnend an die Bodenstiege. Dann gellte er in die Stube:
»Leut, frisch angezapft hab ich!« und schenkte wieder aus dem alten Faß.

Der Grazian huschte heran und trank. »Jetzt ist das Bier viel besser.«

Der Spucht wischte sich erquickt den feuchten Bart. »Das Bier hat
Kraft,« lobte er, »es raucht einem zur Nase heraus.«

»Wirt, bring eine Zange her!« begehrte der Igelbauer. »Am Türstock
steht ein Nagel heraus, die Burgermeisterin hat sich dran den Kittel
zerrissen.«

Doch der Lukas Schellnober hüpfte von seinem hohen Sitz herab und riß
den Nagel mit den blanken Zähnen so gründlich heraus, daß schier der
Türstock mitging.

Alle staunten über die Gewalt, und der Lukas Schellnober stand da,
stark wie ein Hebebaum.

Nur der Dullhäubel winkte geringschätzig. »Mein Ähnel hat eine
Pflugschar auseinander gebrochen und einen eisernen Haken mit dem
kleinen Finger in die Mauer getrieben.«

Da packte der starke Bläser den Prahler samt seinem Stuhl und hob
ihn auf den Tisch, daß er zappelnd droben saß, und alle lachten und
gönnten es ihm.

Wütend kroch er herunter. Doch wußte er sich gleich wieder ein Ansehen
zu schaffen, er zündete sich die Pfeife mit einem Guldenzettel an,
schob sich den Hut ins Genick und schloß hochmütig die Augen. »Soll mir
das einer nachtun in Fuxloh!«

Die Leute hatten nicht lange Zeit, über den verbrannten Gulden zu
staunen, denn der Spucht und der Grazian waren wegen ihrer Weiber in
Streit geraten, und alles scharte sich um die zwei.

Der Spucht war eifersüchtig worden und behauptete, der Meßner stoße
beim Tanz häufig mit dem Knie an das Knie der Spuchtin. »Ich hau dich,
Grazian, daß dir das Maul auf die Seite hängt,« drohte er und spickte
die Drohung mit seinen finsteren Blicken.

»Hau her!« trotzte der Grazian.

»Hau erst du her!« begehrte der Spucht und wich einen Schritt zurück.
Sein Bart sträubte sich.

Dem Meßner schwoll das Herz. »Hast du eine Schneid, so wag dich an
mich!« Er hob einen Stuhl auf und brüllte. Der Spucht duckte sich.

Vom Faß her rief der Wirt: »Grazian, wenn du raufen willst, räum ich
dich hinaus.«

Der Narr tanzte täppisch zwischen die Streiter und sang die Worte:
»Hofacker, Krautacker!« Ein anderes Lied konnte er nicht.

»Recht hast du, Zusch, stift Frieden!« lobte ihn der Burgermeister.

»Komm her, Narr, trink!« Der Dullhäubel hob das abgestandene Traufbier
unter dem Faß weg und schwenkte es. Der Zusch trank mit stieren Augen.

Dann spreizte der Dullhäubel die Beine auseinander. »Jetzt bedank dich,
Narr, und schlief durch.«

Da ließ sich der Zusch auf alle vier nieder und kroch durch.

Seine Mutter kam in die Stube. »Wo mag denn mein armer Narr sein?«
fragte sie betrübt. »Ich such ihn schon die halbe Nacht.«

Als sie ihn dem Bauer durch die Beine kriechen sah, weinte sie in die
Schürze und zog den Narren mit sich fort.

»Den Kasper soll man hauen, bis er nach Feuer stinkt,« schalt der
Müller.

Der Dullhäubel aber mischte sich keck in den Tanz. Dabei sprang er wie
ein Heuschreck, schaffte sich unbekümmert Platz und stieß die andern
aus dem Weg.

Den Lippenlix aus Blaustauden faßte er beim Knopf. »Du Schönbart bist
mir auf die Zehen getreten, das Weh schießt mir bis zum Ellbogen
herauf.«

Mit einem Schlag stand eine Rotte Blaustaudner Burschen hinter dem
Lippenlix bereit. Der zwirbelte sich den langmächtigen Schnurrbart und
lauerte, er war ein stößiger Mensch, mit dem keiner gern anband.

Der Dullhäubel schmeckte die Gefahr. »Nix für ungut!« schmeichelte er.
»Was stellt ihr euch gegen mich? Reibt euch an dem Müllner! Der sagt
allweil, in Blaustauden sind lauter rotaugige Menscher.«

»Traut dem Kasper nit, er hat zwei Zungen in der Gosche,« warnte der
Öchseltreiber Mathes aus Grillenöd.

»Die Grillnöder rühren sich,« spottete der Dullhäubel. »Ist das wahr,
Mathes, daß bei euch alle stehlen, nur der heilige Sebastian in der
Kapelle nit? Der ist angebunden.«

Der Bauer hatte die Lacher auf seiner Seite. Und der Lippenlix
zwirbelte den schönen Bart und bekräftigte: »Die Grillnöder sind
bekannt. Wenn sie Kirchweih haben, müssen sie in den andern Dörfern den
Stall zusperren.«

»Der Kasper setzt den Hut auf, wie der Wind hergeht, einmal so, einmal
anders,« greinte der Öchseltreiber, fand aber kein Gehör.

»Sing uns das Fuxloher Lied, Kasper!« verlangten die aus Blaustauden.

Da krähte der Dullhäubel den Spott über sein Dorf.

    »Von hint bin ich fürher,
    vom schwarzen Laib Brot,
    kein weißes Brot eß ich nit,
    da brennt mich der Sod.«

Dem Burgermeister schlug die Röte in den Kopf. »Du bist wie der
Wiedehopf, Kasper, der beschmeißt auch das eigene Nest.«

»Dreiunddreißig Menscher hab ich,« rief der Dullhäubel, »alle Jungfern
von Fuxloh gehören mir, und alle Weiber sind mein gewesen.«

»Jetzt haltst du das Maul!« schnarchte ihn der Igelbauer an.

»Du willst mir was schaffen?« höhnte der Dullhäubel. »Wer bist du, und
wer bin ich? Du treibst dreizehn Mäus auf den Markt. Einen Fleck Grund
hast du, nit größer als ein Hosentürlein, und schon laßt du dich einen
Bauer heißen.«

Die Musikanten fingen schnell einen Ländler an und überlärmten die
Schandrede des Dullhäubel.

Den Ländler hatte der Müller bestellt und bezahlt, und er und die
Ogath tanzten ihn allein, derweil die andern im Ring herum standen und
zuschauten.

»Der Gid reckt sich auf über uns alle,« stichelte der Dullhäubel. »Das
ist keine Kunst, er hat das Geld, er stiehlt uns alle ab, uns Bauern.«

»Dein Tanz hat keinen Schmiß, Müllner,« nörgelte der Lippenlix.

»Er kann leicht das Geld ausstreuen,« spottete der Dullhäubel. »Seine
Vorfahrer sind klug gewesen, sie haben ihren Kühen den vordern Leib
abgehackt, der nur gefressen hat; den hintern Teil haben sie weiter
leben lassen. Wegen der Milch und dem Dung.«

»Hör nit auf seine Lügen und sein Plauderwerk, Gid!« bat die Ogath.
»Und gehen wir heim!«

Er schnitt ein Gesicht wie ein Gewitter und schwieg.

Der Spucht saß im Flur beim Wirt, sein Deckelglas hinter dem dicken
Bart versteckt, daß es die Spuchtin nicht merke. »Jetzt wird es erst
schön,« freute er sich, »jetzt streiten sie gewiß.« Die kohlfinsteren
Augen glühten ihm.

»O die Jähköpfe!« klagte der Wirt. »Heut setzt es ein Unglück.«

Drin in der Stube fing der Lippenlix an, dem Müller in den Weg zu
tanzen, er taumelte plump vor ihm her, der Messergriff stand ihm zum
Sack hinaus.

Der Gid stellte ihn. »Begehrst du was?«

»Von dir am letzten!«

Da rief der Müller laut: »Wirt, die Halbe Bier sollt einen Zwanziger
kosten, daß nit ein jeder Lauser sich eins kaufen kann, der es nit
vertragt.«

»Ich stürz dich um, Gid,« krächzte der Lippenlix.

Der Wirt sprang zwischen die Männer. »Du Blaustaudner Schurimuri, braus
nit so daher. Rauf dich daheim aus, wenn dich die Kraft juckt! Du
unbändiger Stier du!«

Der Lippenlix schob sich mürrisch zur Tür hinaus. Seine Spießgesellen
rückten an einem Tisch zusammen und brüllten grobe, rauflustige Lieder.

»Jetzt gehst du heim!« herrschte der Müller sein Weib an.

»Du gehst mit, Gid!«

Er zog die schweren Brauen zusammen. Da ging sie allein. --

Draußen vorm Wirtshaus zischelte einer auf den Lippenlix ein. »Da
steigt er drin auf und ab wie der Hahn in den Gerstenhalmen, der Gid.
Und uns laßt er nix gelten. Nur nix gefallen lassen, nur nit langmütig
sein, Lix! Der Langmut zieht den Übermut ins Haus.«

»Die Gall gießt sich mir aus,« stöhnte der andere.

»Sei nit verzagt, Lix, und geh den stolzen Müllner an! Steif dich nur
auf mich! Ich verlaß dich nit. Da schnupf einmal! Das ist ein Tabak aus
den heißen Ländern, der hitzt und kräftigt. He, Bruder, wie heißt der
Spruch? Erst schnupfen, dann hupfen, erst saufen, dann raufen.«

Der Brunnkressenhannes wankte aus dem Haus und besang sich mit hoher
Hirtenstimme schwermütig den Heimweg.

    »Wird mir dann die Zeit zu lang,
    sing ich einen Waldgesang,
    und verkriech mich in den Hecken,
    lehn mich an den Hirtenstecken
    und ergreif die Feldschalmei,
    dieses macht mich sorgenfrei.« --

Drin in der Stube rief der Dullhäubel: »Spielt auf, Spielleut, daß
es schnalzt! Ihr dürft euch dafür den höchsten Baum in meinem Wald
umschneiden. Aber der Herr Ägid Wilfinger darf nimmer mittun, der hat
schon genug allein getanzt. Andre Leut sind auch noch da.«

Da stoben die Weiber türaus, der Wirbel ordnete sich, und
augenblicklich standen sich die Männer mit feurigen Augen und fertiger
Faust in zwei Haufen gegenüber. Um den Dullhäubel sammelten sich die
Blaustaudner und ein paar Fuxloher, die der Gid wegen des Mühlzwanges
beleidigt hatte.

Alles lauerte. Alles erwartete den ersten Wetterschlag.

Nur die Musikanten blieben gleichgültig. Die Geiger tranken und
schmierten den Fiedelbogen, der Klarinetter dudelte tiefsinnig für sich
hin, und der starke Lukas Schellnober war schnarchend auf seinen Stuhl
zurückgesunken.

Der Lippenlix hub an. »Müllner, du bist rauschig, du kannst die Zung
nimmer heben. Geh heim, leg dich nieder zu deinem Weib!« Und fauchend
stieß er sein Messer durch den Tisch.

»Müllner, du bist der Gescheitere, ich bitt dich, gib nach!« bettelte
der Wirt.

Der Gid vergilbte, als hätte er die Gallensucht. »Das ist noch
nie geschehen, seit die Welt steht, daß sich hätt ein Mußmüllner
heimschicken lassen wie ein Hütbub. Da grab ich mich eher lebendig ein.«

»Er schneidet ein Gesicht wie neun Pfund Teufel,« hetzte der
Dullhäubel. »Lix, laß ihm den Darm heraus!«

Da klingelte es. Ein Stein flog aus der Nacht splitternd zum Fenster
herein, er traf die Klarinette, und sie fuhr dem Aumichel in das Maul
und stieß ihm einen Zahn aus.

Das war das Zeichen. Jäh hoben sich die Fäuste. Der Burgermeister
stürzte sich keifend zwischen die Raufer.

Das Vogelhaus fiel von der Wand und zerbrach. Eilig tappte der Wirt
nach dem Kanari und verwahrte ihn in der Bratröhre des Ofens. Über ihn
schlug es wie ein wildes Wasser zusammen.

Die Wirtin stieg auf einen Tisch und sprengte jammernd Weihwasser über
den Kampf; aber die Tropfen halfen nichts, es hätte einer Feuerspritze
bedurft. Alles packte zu. Worte flogen hin und zurück, spitz und
scharf, wie wenn Stahl in den Stein beißt. Die Kartenspieler hatten
ihre Trümpfe weggeworfen und tauchten in dem Wirbel unter.

Der Dullhäubel trank indes im Vorhaus ruhig seinen Krug aus, wischte
sich den Schnauzbart und ging, ohne zu zahlen, heim.

Der Müller faßte den Lippenlix und drückte ihn ins Knie. »Ich schwing
dich, ich lupf dich!« keuchte er.

»Blut mußt du rotzen!« trotzte der Lix.

Ein Stuhl krachte auf einen Schädel. Krüge wurden geschwungen, flogen,
trafen, splitterten. Aus den Knäueln, die sich auf der Erde wälzten,
tauchten Beine auf und strampelten. Einer schrie immer wieder: »Das ist
heut eine Hetz! Das ist eine Hetz!«

»Alle miteinander jag ich euch auf den Baum hinauf!« drohte der Spucht
und floh zum Haus hinaus.

»Ich hol den Schergen,« weinte, kreischte, brüllte, winselte der Wirt.
Seine heiseren Schreie gingen unter.

Die Spielleute sprangen von der Bühne in die Schlacht hinab und taten
mit. Nur der riesige Baßbläser schlief seelenruhig und entrückt auf
seiner Höhe.

Das Getümmel wälzte sich hin und her, die Streiter redeten nimmer.
Auf einmal wuchs der Lippenlix aus dem Wirrwarr heraus, mit
dem Bierschlägel schlug er die Lampe von der Decke. Da war es
stockhimmelfinster.

Der Streit ging in der Finsternis weiter. Niemand suchte mehr einen
Feind, jeder nahm den, der ihm in den Griff kam. Alles tobte. Keiner
feierte.

Der Longinus Spucht schrie zu dem zerbrochenen Fenster herein:
»Himmelsakerment, wenn ihr nit bald aufhört, rauf ich auch noch mit!
Das müßt mit schlechten Dingen zugehen, wenn ich nit ein paar umbrächt!«

In höchster Not tappte sich der Wirt an der Bühne hinauf, er rüttelte
den schlafenden Bläser. »Lukas! Still die Leut ab! Stift Frieden! Hau
zu!«

Der Lukas Schellnober fuhr schwerschlachtig auf, trunken vom Schlaf.
»Wohin soll ich denn hauen?«

»Hau gradaus! Hau, wohin du willst! Du triffst keinen Unrechten.«

Der Riese riß das Mundstück von seinem Baßhorn und ließ sich in die
tümmelnde Finsternis hinab. Er teilte mit dem Mundstück Hiebe nach
links und rechts aus und schrie: »Hui aus! Hui aus!«

Es war als käme eine Mauer daher. Heulend meldete sich, wen der Lukas
mit seiner greulichen Kraft traf. Täumlig und toll suchten sie die Tür,
fluchend, wimmernd quetschten sie sich hinaus. Bald war der untümliche
Mann allein in der Stube.

Der Wirt kam und leuchtete mit einer Kerze die Verwüstung an. Scherben
und Blutlachen spiegelten, Bänke und Stühle lagen zertrümmert oder mit
ausgerissenen Füßen, Öl stank. Durch die zerschlagenen Fenster stieß
der Nachtwind herein.

Die Musikanten fanden sich wieder ein. Der Lukas Schellnober saß ruhig
droben auf der Bühne und putzte mit einem Holz das Blut und die Haare
aus dem Mundstück. Dann schraubte er es wieder an den Baß, führte es zu
den Lippen, und seine Gesellen stimmten ein und machten wieder zum Tanz
lüstern.

Zerschrammt und blutrünstig, struppig und zerfetzt, doch auch abgekühlt
von der Nachtluft, befreit und friedsam kamen die Raufer wieder, die
Weiber und die Dirnen blieben nicht aus, die Wirtin fegte die Stube
rein, und bald drehten sich wieder alle in schönster Eintracht. --

Draußen kroch der Müller auf Händen und Füßen heim, mit zornzerrissenen
Lippen, qualvoll, ohne Laut. Er hörte fern die Geigen und die
Klarinette summen und den Baß stoßweise murren.

Der Mond verschien, der Wald ward grau. Das Wichtel rief, der
Totenvogel.

Drei fürchterliche Stunden kroch er.

Frühgeläut erklang. Die Sonne ging auf, sie schwamm wie ein gräßlicher
Blutfleck im Dunst.

Die Ogath kam aus der Mühle. Die Zunge ward ihr steif vor Schreck, als
sie den Mann vor sich liegen sah, das Gesicht verfallen, die Stirn
aschfahl, blutig.

»Den Fuß hat mir einer mit dem Bierschlägel abgeschlagen,« raunte er.

»Wer?«

»Ich verrat ihn nit.«

»O wärst du heimgangen mit mir, Gid! Reut dich denn deine Gesundheit
nit?« schluchzte sie.

»Ich reu mich um nix.«

»O das ist ein Wehtag! O mein lieber Müllner, was haben sie mit dir
angefangen?!«

»Das tut nix,« sagte er gleichmütig. »Hätt ich den Bierschlägel gehabt,
ich hätt ihm dasselbe getan.«

       *       *       *       *       *

Nach langem Krankenlager ward der Gid vom Wundarzt wieder hergestellt.
Aber er ging krumm.

Auch sein Herz war verdüstert. Immer eigenköpfiger, immer wunderlicher
wurde er, mürrisch hinkte er durch die Mühle. Dem rothaarigen Dirnlein,
das um ihn aufwuchs, sah er mit argen Augen nach. Sein Weib redete er
kaum mehr an. Es war schwer, mit ihm zu hausen.

Den Gerechtigkeitsbrief hatte er sich ans Tor genagelt: alle Welt
sollte sehen, daß er in seinem Recht gekränkt wurde. Aber die Welt
kehrte sich nicht daran und schaffte ihr Malter zum Grillenmüller, der
war ein lachender Mann.

Im Wirtshaus kam es zu einem wilden Streit zwischen den Müllern.

Der Grill schrie: »Fahrt ihm die alten Weiber hin, dem Gid! Das soll
erzwungen werden, eine solche Zwangmühl brauchen wir.«

»Dein Weib mahl ich zuerst, die hat es am nötigsten,« antwortete der
Gid.

»Die Ulla hat deine Mühl verhext, Gid,« spottete der Teufelmüller, »es
fallt lauter Ratzendreck aus den Steinen heraus.«,

Der Mußmüller grollte: »Red nur du nix von Zauberei! Deine Mühl hat der
Teufel am Buckel daher gebracht. Kein guter Christ soll drin mahlen
lassen. Und eure Mühlen sind nur Gaukelmühlen gegen die meine, mit
einer Hand halt ich sie auf. Mit einer Hand, alle zwei auf einmal!«

»Versuch es!« schrien die andern. --

In jener Nacht blieb die Grillenmühle stehen. Unterm Mühlrad lag der
Gid mit zermalmtem Arm und zerdrückter Brust. Er hatte sein Wort
gehalten.

Sie legten den Leichnam auf eine Stubentür und trugen ihn heim zu
seinem Weib.

       *       *       *       *       *

Die Altbäurin Sodonia konnte nimmer.

Man mußte sie speisen wie ein kleines Kind. Das Fleisch ward ihr
offen vor lauter Liegen. Und weil sie nimmer schaffen und nimmer
den Dienstboten nachgehen konnte, so wartete sie ungeduldig auf die
Erlösung.

Als ihre Stunde kam, stand der Dullhäubel demütig an dem Bettfuß.

»Kasper, ich sterb,« seufzte sie. »Was wird aus dem Hof, wenn ich
nimmer bin? Ich hab gespart. Wenn der Geier mir eine Henne erstoßen
hat, bin ich ihm bis in den Wald nach. Ich bin geizig gewesen, keine
Nuß hat man mir von unsern Haselstauden brechen dürfen. Ich bin ein
Weib gewesen wie ein Sporn. Den Hof hab ich gehalten.«

»Das weiß ich, Altbäurin,« wisperte er, »und ich dank dir dafür.«

»Aber deine Mutter taugt nix,« tadelte die Alte. »Sie kann nur so weit
zählen und rechnen, als ihr die Finger zu Hilf kommen. Am liebsten
schlaft sie. Ordnung kennt sie nit. Mein Gott, wo soll sie denn die
Ordnung gelernt haben?! Sie stammt aus einem Haus her, das ist mit
Kuhfladen gedeckt. Ich bin allweil gegen die Heirat gewesen, aber der
Isidor hat mir nit gefolgt. In der Seligkeit drüben werf ich ihm es
noch vor, wenn ich ihn dort find. O es ist mir leid um den schönen Hof!«

»Ich werd mich schon kümmern,« schluchzte er, »ich versprech es dir.«

»Ach du!« winkte sie verächtlich. »Du hast die Faulheit von deiner
Mutter geerbt. Allweil lehnst du in der Sonn umher und tust keinen
Handstreich. Die Gurgel taufen und die Leut narren, das triffst du.
Dein Leben stößt dich in Schulden. Schämst du dich nit vor den Leuten?«

»Mich gehen die Leut nix an,« trotzte er.

»So fürcht unsern Herrgott!«

»Nach Fuxloh sieht er nit. Fuxloh liegt hinter dem Herrgott seinem
Buckel.«

»Du irrst dich, Kasper. Der Teufel äugt wie ein Stoßvogel. Hüt dich!
Und tracht, daß du einmal am Himmelstisch essen darfst und trinken und
des höllischen Feindes spottest. Ich will dich droben in der Seligkeit
erwarten, und du mußt mir Rechenschaft legen über den Hof. Aber was
nutzt meine Red? Du beutelst dich ab wie ein nasser Hund.«

»Ich will mich verbessern,« sprach er zerknirscht.

»Und noch eins, Kasper. Du bist jetzt ein gestandener Mann. Ein Weib
tut dir not. Mit Schmerzen hab ich dir im Sommer zugeschaut, wie du
den Graserinnen keine Ruh gegeben hast. Leugn es nit! Ich rat dir,
nimm dir ein gutes Weib, die hausen kann! Wähl nit zu lang! Wer gar zu
lang unter den Schaffen umgreift, erwischt zuletzt das Dreckschaff.
Heirat nit so eine Flankin, die sich aufputzt und aufstutzt und sich am
Werktag Löcklein und Schnecklein dreht! Nimm dir eine wie dem Mußmüller
seine Wittib! Versprich mir es um des Hofes willen!«

Er reichte ihr die Hand, und dicke Zähren rollten nieder auf seine
hirschledernen Hosen. »Ich versprech es dir. Alles Gute versprech ich
dir.«

»Was heunst du denn?« beschwichtigte sie ihn. »Ich hab mir mit drei
Dullhäubeln genug ausgestanden. Vergönn es mir, daß ich abgestandenes
Weib aus Zeit und Leid in die ewige Freud hinfahr!«

An einem glasheitern Herbsttag, die elftausend Jungfern spannen im
Himmel die Altsommerseide, und gelbes Laub mengte sich in das müde
Grün, da legte man die Altbäurin ins Grab.

       *       *       *       *       *

Jetzt ging es auf dem Hof nimmer schön zu. Der Dullhäubel sorgte sich
um nichts und führte seinen schlechten Wandel weiter. Knechte und
Dirnen wurden säumig, da sie die Augen der Altbäurin unterm Rasen
wußten. Das Vieh röhrte vergeblich um Futter, der Stall wurde nicht
ausgemistet, das Korn nicht gedroschen, das Haus war voll Schmutz.

Die Sanna, die Mutter des Bauern, wärmte sich den Rücken an dem grünen
Kachelofen, schlief und aß und schlief wieder ein. Das Schicksal des
Hofes rührte nicht an ihre schläfrige Seele.

An einem Wintertag sagte sie zum Dullhäubel: »Bub, jetzt bin ich
vierzig Jahr in der Fremd, jetzt verlang ich wieder heim zu meinen
Leuten.«

»Warum, Mutter? Es fehlt dir ja nix bei mir.«

»Ich hab mich in euer Leben da nie recht eingewöhnt. Und ich will mich
von der Fremd ausrasten. Am Sonntag führst du mich heim.«

Sie ließ sich nicht halten, und er hielt sie nicht. --

Am Tag Pauli Bekehrung zog sich der Dullhäubel die Pelzhaube über die
Ohren und schirrte das Roß vor den Schlitten. Darauf packte er Gewand
und Federbett der Mutter und setzte sie warm darein. Nun fuhren sie
bergan.

Hoch noch über dem hochgelegenen Grillenöd mitten in Geröllhalden und
struppigen Wäldern war die Heimat der Sanna, das Siebenschläferhaus
geheißen, die einsamste Einschicht im Gebirg.

Der Dullhäubel deutete mit der Peitsche hinauf. »Wird es dir nit zu
rauh droben sein, Mutter? Droben ist es so kalt, daß sie am Tag vor
der Sonnwend zum letztenmal und am Tag nach der Sonnwend zum erstenmal
heizen.«

Der Hagbutzdorn brannte im blanken Schnee, schlohweißer Nebel wob in
den Tälern drunten. In den Ebereschen schnabulierten bunte Pestvögel,
und Elstern schätterten durch die gläserne Stille.

An einem Bildstock war zu lesen, daß an selber Stelle im Hochsommer ein
Kohlenbrenner erfroren war. --

Der Siebenschläferhof war schwer verschneit. Keine Menschenspur führte
hin, nur hie und da eine Hasenfährte oder ein Fuchsentritt. Die Fenster
waren unter den angeflogenen Flocken erblindet.

»Der Hof ist ausgestorben,« murmelte der Dullhäubel. »Kehren wir um!«

Doch die Sanna deutete auf den Rauchfang. Ein ganz dünner, schier
luftblauer Rauch stieg gleich schüchternem Atem auf und meldete Leben.

Der Bauer klopfte an die Tür, an die Fenster. »Auf, der Dullhäubel ist
da!«

Es rührte sich nichts.

Schließlich trommelte er mit einem Prügel an die Tür, daß der Wald
rings hallte.

Endlich schlurfte es drinnen im Flur.

Die Tür wurde aufgeriegelt. Ein zottiger, graubärtiger Mann, die Augen
voll Schlaf, trat auf die Schwelle und fragte: »Was -- was kommst du
daher in dem stumpfen Wetter? Was -- was willst du mitten im Winter?«

»Darf man dich nur im Sommer heimsuchen, Vetter?«

Der Alte gähnte: »Schlaft der Igel, -- schlaft der Bär, - schlaft der
Ratz. Die rechten Leut -- schlafen -- im Winter.«

Drin in der Stube schliefen sie im Bett, auf dem Ofen, auf Bank und
Truhe, die Bäurin und die Kinder.

»Grüß dich Gott, Bruder!« sagte die Sanna.

»Dich -- dich auch!« antwortete er und legte sich auf die Ofenbank. Die
Erinnerung arbeitete schwerfällig in seinem Hirn.

»Vierzig Jahr haben wir uns nimmer gesehen,« meinte sie, »das ist lang.«

»Das -- das ist lang,« wiederholte er träumerisch.

»Mein Bauer ist gestorben. Der da ist mein Bub, der Kasper.«

»Der -- der Kasper,« kam der Widerhall.

»Jetzt frag ich, ob ihr mich daheim laßt bei euch,« sagte die Sanna.

Der Alte wies auf eine leere Truhe. »Leg -- leg dich nur nieder!«

Der Dullhäubel wurde ungeduldig und schrie: »Ihr habt einen seltsamen
Hausbrauch. Steht auf, Freundschaft! Kocht auf! Uns hungert. Und
schlafen wollen wir nit.«

Da regten sich die Schläfer, sie hoben die wirrhaarigen Köpfe und
sperrten tölpisch den Mund auf.

»Ist -- ist der Sommer da, weil -- weil der Star so hell pfigerzt?«
lallte einer der Buben.

Die Muhme kroch aus dem Bett und schob einige Knorren ins Feuer, da
wachte auch der Ofen auf und murmelte in sich hinein.

»Schlafen sie denn den ganzen Winter, Mutter?« staunte der Dullhäubel.

»Was sollen sie Schöneres tun, wenn das Dreschen vorbei ist und sie die
andere Arbeit vollbracht haben?« antwortete die Sanna.

Die Muhme schob einen Topf auf die Platte und nickte. »Jetzt -- jetzt
ist die ruhsame Zeit.«

Die aufgeschossenen Burschen und die stämmigen Dirnen fletschten
lachend die Zähne, stießen sich an und deuteten mit den Fingern auf den
Dullhäubel.

Er fragte die zwei Jungfern nach den Namen.

»Bi -- bi -- bibiana,« stammelte die eine.

»Ju -- ju -- juliana,« die andere.

»Und wie schreibt ihr euch, Buben?«

»Zy -- zy -- Zyprian.«

»Bartholo -- mä -- mä.«

»Ihr -- ihr -- habt eure schönen Namen noch nit gut eingelernt,«
spottete der Vetter aus Fuxloh.

Die Muhme entschuldigte ihre Brut. »Es -- es handelt sich alleweil
nur ums erste Wörtel, um -- um den Anlauf. Magst -- magst du keine
heiraten, Kasper, von -- von meinen Menschern?«

Das Gewölk der heißen Suppe flatterte über den Tisch, daran die
Siebenschläferleute mit breiten Ellbogen lümmelten. Sie holten die
Blechlöffel hervor, die unter der Tischplatte an Riemen hingen, und
dann lallte die ganze stotternde Sippe den Engelgruß. Die Alte fuhr mit
einer zweizinkigen Gabel in die Schüssel und rührte um, während die
andern die Suppe so ungestüm kalt bliesen, daß sie über den Rand wallte.

Dem Dullhäubel kam ein zorniges Grausen an, er stand vom Tisch auf und
ging zu seinem Schimmel hinaus und schaute ihm zu, wie artig er sein
Heu fraß.

Erst als er meinte, daß drinnen die Mahlzeit verschlungen sei, traute
er sich wieder hinein.

Die Siebenschläferleute leckten eben die Löffel ab, trockneten sie am
Ärmel und hängten sie wieder unter den Tisch.

»Jetzt -- jetzt schlafen wir weiter,« murmelte der Vetter.

»Mutter, bleibst du wirklich da?« fragte der Dullhäubel.

Sie nickte gähnend.

Er griff nach der Tür. »Also gute Nacht, Freundschaft! Schlaft euch gut
aus! In vierzig Jahren such ich euch wieder heim.«

Und er sprang in den Schlitten und schnalzte mit der Geißel. »Renn,
Schimmel, renn zu!«

       *       *       *       *       *

Es war Feierabend.

Der Schmied Sulpiz Schlagendrauf hämmerte noch dreimal auf den leeren
Amboß, hernach räumte er sein Werkzeug auf, blies die Laterne aus,
die von der gewölbten Decke hing, und reckte wohlig die langen,
ausgearbeiteten Arme.

Da stand der Dullhäubel im Mondschein an der Tür.

Der Schmied mochte ihn nicht leiden. Als er einmal mit seinem Weib
gestritten hatte, war der Dullhäubel wetterläuten gerannt.

»Du könntest auch bei Taglicht kommen,« greinte der Sulpiz, »Soll ich
dir den Schimmel beschlagen? Oder das Hirn?«

»Plaudern möcht ich mit dir.« Der Bauer redete süß wie eine Flöte. »Nur
plaudern. Die Zeit wird mir zu lang in der Finsterweil. Und von dir
lernt man was. Du bist ein gewitzigter Mann, hast schon drei Weiber
begraben.«

»An die Wand hab ich sie gemalt, die Gespenster, zum ewigen Andenken,«
lachte der Schmied und trat den Blasbalg. In der Esse loderte es auf
und erhellte das Gewölb. Drei greuliche Weiber waren mit Ruß an die
Mauer gezeichnet: sie hatten Krallen an den Fingern und Fangzähne im
Maul, glotzende, schlimme Augen und zerstrüpptes Haar. Es war ein übler
Anblick.

»Mit welcher von den dreien hast du es am schönsten gehabt?« fragte der
Dullhäubel.

Der Sulpiz Schlagendrauf griff auf ein Mäuerlein und brachte drei
Holzäpfel.

»Beiß in den hinein!«

Der Bauer kostete. »Pfui Teufel, ist der sauer! Den Atem nimmt es mir.«

Der Schmied hielt den zweiten Apfel hin. »Versuch den!«

»Das Maul reißt es mir auseinander, den Schlund zerschneidet es mir!«
fluchte der Dullhäubel.

»Friß den dritten!«

»Gelts Gott tausendmal, Sulpiz! Ich kann nimmer. Ich mag mich nit
vergiften.«

»Verstehst du jetzt, Junggesell, wie es mir notgedrungenem Ehemann
dreimal ergangen ist? Die erste ist lang und hager gewesen, die zweite
kurz und dick, die dritte nit klein, nit groß, nit dick, nit dünn. Es
ist aber ein Teufel wie der andere gewesen. Das bravste Weib heißt
Luder, den andern ihre Namen darf ich nit verraten, sonst zerreißen sie
mich.«

Ein altes Männlein schlüpfte in die Werkstatt herein.

»Grüß Gott, Hammer und Amboß! Ich hab gerad jetzt dein Feuer
aufleuchten sehen. Eine Bitt hab ich.« Er knöpfte den Brustfleck auf
und zog einen Ziegel herfür. »Wärme mir ihn, Schmied! Ich trag allweil
den lauwarmen Ziegel am Bauch, das tut mir so gut für mein inwendiges
Leiden.«

Der Sulpiz Schlagendrauf legte den Ziegel an die Glut. Und wieder in
die alten Zeiten versunken, brummte er: »Das größte Leiden ist ein
Weib. Es ist ein Höllhaken, es zischt wie das Fegfeuer.«

Das Männlein luchste hin. »Willst du wieder heiraten, Meister Ruß? Oder
du, Dullhäubel?«

»Ich nit,« ächzte der Schmied.

»Ich schon gar nit, Didelmann!« rief der Dullhäubel.

»Kasper, dich juckt es,« redete der Sulpiz. »Aber hör auf mich! Es
gibt keinen Mann, der das Heiraten nit tausendmal bereut. Der Pfarrer
Hurneyßl selber hat gepredigt, daß so mancher bei seiner Hochzeit
glaubt, er greift nach der Zuckerbüchse, aber derweil erwischt er die
Pfefferbüchse.«

»Der Pfarrer hat leicht schelten,« antwortete der Dullhäubel, »der hat
eine steinrabenalte Köchin bei sich.«

»Kasper, du bist ein lediger Bursch, du kennst die Weiberleut nit. Die
kennst du erst, wenn du mit ihnen verheiratet bist. Vor der Hochzeit
ist eine jede wie eine zugedeckte Schüssel.«

Der Didelmann nahm den Ziegel vom Feuer, schob ihn wieder unter den
Brustfleck und erzählte dabei: »Anno eins, wie der große Wind gegangen
ist, haben wir einen Bären gefangen. Der hat uns viel Schaden getan,
drum haben wir uns beraten, was die grausamste Straf für das Vieh wär.
Da ist ein uralter Mann aufgestanden, Irg Kolroß hat er sich geheißen,
und der hat gesagt: ›Laßt den Bären heiraten!‹ Der Alte ist nit der
Dümmere gewesen.«

Kichernd schlüpfte der Didelmann aus dem Gewölb.

»Der eine redet hü, der andere hott,« seufzte der Dullhäubel, »ich kenn
mich nit aus mit dem Heiraten.« --

Das Frühjahr kam, die Bauern legten die Fäustlinge ab und schnitten das
Moos von den Bäumen. Das Gras nahm zu. Da rannen die Maibrünnlein, der
Hahn balzte und krugelte, der Wendehals rief schmachtend »woid, woid«
und verrenkte sich vor Verliebtheit schier den Kragen. Der Guckauf
raufte und hochzeitete. Lau wurden die Nächte, und der Mond schaute
scheinheilig drein.

Wenn der Dullhäubel nachts auf den Schemel stieg, das hochgerüstete
Bett zu erklettern, seufzte er: »Das Himmelbett ist mir viel zu breit.«
Er wälzte sich ohne Schlaf, und das Blut zuckte ihm. --

Einmal ging die Spuchtin an seinem Hof vorbei, sie schleppte einen Korb
Klaubholz aus dem Vogeltänd.

Der Dullhäubel stürzte ihr nach, den Atem verschlug es ihm schier.
»Holzhackerin, komm heut noch einmal in den Wald, ich schenk dir einen
dürren Baum. Komm aber allein! Ich helf dir ihn abschneiden.«

Sie sah ihn mitleidig an. »Bauer, ich dank schön für den Baum. Ich hol
ihn morgen mit meinem Mann. Aber du, Bauer, brauchst eine, die dir
das Bett schön macht und emsig und zutätig deine Wirtschaft zusammen
haltet. Heirat bald! Dann wachst dir ein nagelneues Herz.«

»Ich weiß mir keine,« sprach er betrübt.

»Nimm die Ogath!« --

Der Dullhäubel träumte wieder schwer. Ein sagenhafter Urvater erschien
ihm, auf dem Kopf eine kleine rote Haube mit einer baumelnden Dulle
daran, und der gebot ihm, das Geschlecht der Dullhäubel schleunig
fortzupflanzen.

Und wenn der Bauer nächtens heimkam und der Mond im Vollschein stand,
da war ihm, es stünden auf dem Lichtboden des Gehöftes die verstorbenen
Vorfahrer Pankraz, Servaz und Bonifaz, die Bärte bereift wie die
Eismänner, und der Isidor mit der kupfernen Nase, und sie drohten herab
auf den unfruchtbaren Nachkömmling.

       *       *       *       *       *

Die Ogath verlebte trübe Zeiten.

Der alte Müller war jetzt Herr im Haus. Mit kalten Augen, mürrischem
Maul schlich er durch die Mühle und raunzte den lieben Tag über Wind
und Wetter, es mochte heiter sein oder trüb. Und immer härter geizte
er, sie und ihr Kind sollten nur Erdäpfel essen und sauere Milch, und
wenn sie im Winter die eisige Stube heizen wollte, riß er ihr das
Scheitlein Brennholz aus der Hand.

Die Mühle ging immer öder und grämlicher, ewig gleich hob sich das
Geschäufel aus der Tiefe, mühselig, in schwerfälliger Gewalt, grünlich
triefend, und versank wieder.

Immer öder kamen und sanken der Ogath die Tage. Sie wurde des Lebens
verdrossen.

Als sie dem Alten einmal vorwarf, er lasse sie und das Kind hungern,
lachte er hämisch. »Seltsam, seltsam, wie malefizblond dein Dirnlein
ist! Schier wie dem Dullhäubel sein Bart.«

Da ward sie still und schaute das Kind lange in Gedanken an.

Am selben Tag noch machte sie sich gegen Kaltenherberg auf, sie wollte
sich mit den Eltern beraten. In der Mühle hielt sie es nimmer aus.

Am Weg begegnete ihr der Narr. Eine bunte Schürze, die er um den Hals
gebunden hatte, hing ihm am Rücken nieder. Er breitete die Arme aus wie
der Pfarrer am Altar und sang lateinisch.

Die Ogath duckte sich hinter einer Kranwitstaude. Sie wußte, daß er
kürzlich seine Mutter gezwungen hatte, in den Kleiderkasten zu steigen,
den Kasten hatte er dann umgeworfen und die Frau drin besungen wie
eine Leiche im Sarg.

Doch seine gefährlichen Augen hatten die Ogath schon erspäht. Mit ein
paar lächerlichwilden Sprüngen stand er vor ihr und krächzte: »Knie
dich hinein in den Dorn, Maria!«

Zitternd folgte sie ihm. Sie fürchtete die flackernde Unruhe in seinem
Blick. Und als sie mitten im stechenden Busch kniete, raunte er: »Jetzt
bin ich der Erzengel. Ich will dich segnen unter den Weibern. Aber
zuerst schneid ich dir das sündhafte Haar ab.«

Er wetzte sein Messer am Knie.

Furchtbar schrie sie auf vor Angst. Was mochte der irre Mensch vorhaben?

Da kam der Dullhäubel den Hang vom Vogeltänd herunter gelaufen. Von
weitem schrie er: »Stocknarr, ich erschlag dich!«

Der Zusch warf sich ihm zu Füßen und winselte, er möge ihn leben lassen.

Totenblaß kroch das Weib aus dem Strauch. »Händ und Knie sind mir wund,
der Kittel ist zerrissen,« weinte sie. »Alle Bitternis muß man sich
gefallen lassen, wenn man keinen Mann mehr hat. Fallt ein Stein vom
Himmel, so fallt er auf eine Wittibin.«

Der Dullhäubel senkte die Augen. »Wie geht es dir, Ogath? Ich hab dich
schon lang nimmer gesehen.«

»Es ist redlich drei Jahr her, daß ich im Wittibstuhl sitz,« erzählte
sie. »Dem Alten muß ich den Mühlknecht machen, und in der Nacht kann
ich nit schlafen, so arg treiben es die Ratzen. Ich will davon, mit
Zähren feucht ich meinen Weg. Zu meinem Bruder will ich, will das
Herrgottelschnitzen lernen.«

Verlegen striegelte sich der Bauer durchs Haar, er schrumpfte fast
zusammen vor dem großen, ernsten Weib. Er stammelte: »Heut wär mir
schier die Scheuer abgebrannt, die Dirn hat die glühende Asche
hinausgeworfen. Ogath, mein Hof braucht eine Bäurin.«

»Willst du wieder einen Heiratsbrief schreiben?« antwortete sie herb.

Sie kehrte zur Mühle zurück, in zerrissenem Gewand wollte sie nicht vor
die Ihren treten. Der Bauer schlich neben ihr her und redete nichts.

Über den Steg kam ihr das Dirnlein entgegen.

Die Ogath atmete schwer auf, als sie den roten Zopf ihres Kindes
glänzen sah. »Dullhäubel,« sagte sie, »nur einmal in deinem Leben red
die Wahrheit! Ist das dein Kind?«

»Ja!« wisperte er zerknirscht.

»Die Schand muß zugedeckt werden,« sprach sie. »In drei Wochen heiraten
wir.«

[Illustration]



Der graue Sünder.


Der Dullhäubel hatte die Ogath heimgeführt. Sie war fleißig und ernst,
hielt den Hof fest in der Hand und gebar ihm zu dem ersten Dirnlein
noch elf andere, allesamt rothaarig.

Er war ein Mann in den besten Jahren worden. Das Haar hing ihm tief
in die pfiffig gerunzelte Stirn, über den kleinen Augen hafteten die
Brauen wie rote, borstige Raupen, der Fuchsbart deckte ihm Kinn und
Lippen. Die Nase war ein wenig schief gebogen. Denn er schnupfte weit
eifriger als früher, und der Tabak, wie er ihn vormals genossen,
schmeckte ihm nimmer, er war ihm zu mild. Drum mischte er ihn jetzt
nicht nur mit Schmalz, daß er sich binde und nicht so leicht zerstäube,
sondern er rieb auch Glasscherben drein, daß er die Nase schärfer
angreife und das Hirn aufrüttle.

Der also verstärkte Schmalzler scheuchte ihm die Sorgen, die ihm seine
Schelmenstücke eintrugen, und tröstete ihn, wenn ihm die Bäurin das
Gewissen riegelte, oder wenn ihn der Blaumantel mit seinem höllischen
Blick durchbohrte.

Denn trotz seiner Jahre kam der Dullhäubel nicht aus der Bubenhaut
heraus, sein Kopf wimmelte voll schabernackischer Pläne, und die
Lust, dem lieben Nächsten ein Schwänklein und Schwänzlein anzubinden,
verringerte sich ihm nicht.

       *       *       *       *       *

Einmal schlachteten sie im Dullhäubelhof eine Sau. Da wollte sich der
Bauer von der Arbeit wegschrauben und meinte, er habe in der Stadt
zu tun, er müsse dort in die Steuerstube schauen und dem Marktpreis
nachfragen, und am Heimweg wolle er das Kalb mitbringen, das die Bäurin
in Blaustauden gekauft hatte.

In Hirschenbrunn kehrte er in jedem Haus ein, wo der Herrgott den Arm
herausstreckte, horchte scheinheilig den Reden der Stadtleute zu und
ließ sich erzählen, was in den Zeitungen gedruckt war.

Eine hübsche Weile stand er vor einem Arzneiladen und überlegte.
Hernach trat er ein, den Schmalzler auf dem Handrücken, schaute sich
lange um, starrte einfältig das Krokodil an, das, an die Decke
gekettet, scheußlich nach ihm herabfletschte, schnupfte ausgiebig,
schaute sich wieder um und wackelte tölpisch mit dem Kopf.

Geschäftig fragte der Apotheker: »Was begehrt Ihr? Dachsschmalz?
Regenwurmöl? Mausohrsaft? Pfefferminz?«

»Du hast es wohl nit, Wurzelkrämer,« sagte der Bauer schüchtern und
drehte den Hut in der Hand.

»Wollt Ihr Schwefel? Kupferwasser? Ein Quintel Weinsteinöl? Salniter?
Salarmoniak? Eine Wagenschmiere? Eine Handsalbe?«

Der Dullhäubel sah den Apotheker tiefsinnig an. »Ich krieg es wohl nit
da herin,« murmelte er.

»Besinnt Euch, Vetter! Hat Euch der Doktor einen Giftzettel
geschrieben? Braucht Ihr eine Kropfschmiere? Eine Laussalbe? Ein
Windsäftlein fürs Kind?« sprudelte der Mann hinterm Ladentisch.

Der Dullhäubel horchte ihm ehrfürchtig zu, und als dem Apotheker der
Atem ausging, faßte er die Klinke, schnitt ein Koboldsgesicht und
sagte: »Also behüt dich Gott, Wurzler! Einen Peitschenstecken hätt ich
gebraucht.« --

Gemächlich ging er heim.

In Blaustauden suchte er den Burgermeister auf, von dem hatte die Ogath
ein Kalb, dessen braunscheckiges Fell ihr wohl gefiel, zur Aufzucht
erstanden.

Als der Mittag ausgeläutet ward, zog der Dullhäubel, den Burgermeister
am Arm und das Kalb leitend, durchs Dorf. Auf der Brücke hielt er an
und begann grell zu singen:

    »Die Blaustaudner läuten,
    sie läuten vor Not,
    sie fangen den Bettelmann
    und nehmen ihm 's Brot.«

Der Burgermeister vermahnte ihn: »Sing das nit, Freund! Sing ein
anderes! Und überleg dir, mit wem du gehst! Ist dir nix heilig?«

Dem Dullhäubel war nichts heilig. Er packte das Kalb am Ohr und redete
ihm hinein: »Merk auf, Burgermeisterlein! Wie der Teufel den Heiland
versucht hat, hat er ihn auf den Lusen geführt, und von dem Berg aus
hat er ihm die ganze Welt gezeigt. Aber Blaustauden ist ihm zu rußig
gewesen, das hat er verstecken wollen und hat geschwind seinen Schweif
darauf gelegt.«

Da schellte der Burgermeister dem Spottvogel eins hinter die Ohren, daß
dem der Hut in den Bach flog, und lief schleunig davon. Der Dullhäubel
stand da, das Kalb am Strick, und mußte den Widersacher rennen und den
Hut schwimmen lassen.

Als er am Freithof vorüber trieb, stieg gerade der Totengräber aus
einem Grab. Der versuchte, einen breitkrempigen Filzhut auf den Kopf zu
setzen, aber der Hut war ihm zu weit und sank ihm bis zum Maul herunter.

»Staches, zu dem Hut mußt du dir einen größern Schädel anschaffen!«
riet der Dullhäubel.

»Ich hab den Filz jetzt gefunden,« sagte der Staches, »in deinem Ähnel
seiner Grube ist er gelegen. Ja, der Bonifaz muß heraus, er hat lang
genug gerastet. Unserm Rauchfangkehrer muß er Platz machen.«

Der Bauer band das Kalb an einen Stein, darein das Bild einer
Pfarrersköchin gemeißelt war, den Kochlöffel in der Hand.

Aus dem geöffneten Grab grinste der Schädel des Bonifaz herauf, die
Pfeife war ihm noch unverwest ins falsche Gebiß geklemmt, das der Ähnel
selber sich aus einem Rindsknochen geschnitzt hatte.

Der Dullhäubel setzte den Hut auf, der der Verwesung so tapfer
widerstanden, und er paßte ihm wie angemessen. »Der Alte braucht ihn
nimmer,« sagte er, »ich nehm ihn mit. Die Pfeife drunten aber kannst du
dir nehmen, Staches.«

Dem Totengräber grauste. »Vergelts Gott, ich trag kein Verlangen
darnach.«

Der Bauer zerrte das Kalb weiter, und oft tappte er nach dem Hut, den
ihm der Ähnel zur gelegenen Zeit aus der Ewigkeit geschickt hatte.

Ein Haus sperrte ihm den Weg, das trug den einladenden Spruch überm Tor:

    Das ist das Wirtshaus an der Straßen;
    wer einen Durst hat, kann hier einen lassen.

Und weil der Dullhäubel himmelblau gelaunt war, zog er das Kalb mit
sich in die Stube und band es an den Tischfuß.

Die Wirtin saß gerade beim Nähzeug und riß die Augen auf ob der
seltsamen Gäste.

»Siebenkittelwirtin, schenk ein! Dem Zöpfel da,« der Bauer deutete auf
das Kalb, »gibst du einen Kirschgeist!«

Auf der Bank unter dem schräg vorhängenden Spiegel lungerte der
Lippenlix und strich sich den stolzen Schnurrbart. »Sitz her, Kasper!«
sagte er. »Geld hab ich wie ein Sautreiber. Spiel mir es ab!«

»Ich mag nit, Schönbart.«

»Wirtin, schaff Karten her!« begehrte der Lix. »Spielen wir
Grünoberfangen um drei Zündhölzer! Oder willst du färbeln? Oder
lampeln?«

Er fuhr ganz wild über die Karten her, mischte sie, ließ abheben und
gab aus.

Sie trumpften auf den Tisch. »Und da hast du eine Eichel!« »Und da friß
den König!« »Und heraus mit der Schellensau!« So flog es hin und zurück.

Die Karten aber, die der Lix wie einen Fächer in der Hand faltete,
malten sich in dem Spiegel ab, der über ihm sanft geneigt hing, und der
Dullhäubel luchste heimlich empor und sah droben alle Trümpfe, die der
andere in der Hand hielt, und gewann darum Spiel auf Spiel.

»Wie geht das heut zu?« staunte der Lix. »Aber ich hör nit auf, und
wenn ich meine hundshäutenen Hosen ausziehen und nacket heimrennen muß.«

Es wurde finster. Die Wirtin zündete die Kerze an. Das Kalb wurde
unruhig und blökte.

Der Lix setzte das letzte Sechserlein dran und verlor. Er schalt Gott
und alle Heiligen. »Du Raubersknecht, keinen zerbrochenen Groschen hast
du mir lassen, das ganze Geld schatzt du mir ab. Der Teufel soll dich
vom Abtritt wegholen! Es ist Zauberei dahinter. Gib das Kalb weg, oder
ich erstech es!«

»Dem Zöpfel tust du nix, Schönbart,« sagte der Dullhäubel und strich
den Gewinst ein. »Ich bin satt. Ich geh heim.«

»Oho, weil ich jetzt gewinnen könnt, gehst du davon, du Fuchs aus
Fuxloh? Noch einmal spiel mit mir! Die Haut zieh mir auch noch ab!
Wirtin, streck Geld für!«

»Dir nit,« schnippte sie.

Er setzte seine Uhr ein samt der Kette. Unwillig tickte sie am Tisch.
Das Kalb plärrte, der Dullhäubel gewann.

Der Lix ließ das Maul hangen. Auf einmal starrte er wild unter den
Tisch. »Hast du nit einen Roßfuß? Du gewinnst ja wie der Teufel
selberst. Und noch einmal spielen wir. Meinen Bart setz ich ein, es ist
niemanden in der Pfarre ein schönerer gewachsen.«

Mit zitternden Fingern mischte er. Herz war Trumpf.

Der Dullhäubel hielt alle Trümpfe in den Händen und warf sie kichernd
auf den Tisch. Dann griff er in das Nähzeug der Wirtin um die Schere.

Der Lix riß die Augen auf wie eine gestochene Geiß. »He, willst du
meinen Leib schänden, jetzt, wo du mich ausgeraubt hast?«

Der Dullhäubel ergriff den schönen Schnurrbart. »Halt dich, Lix!
Zahl deine Schuld! Zahlen bringt Frieden.« Und ehe sich der Lix aus
seiner Versteinerung erholte, hatte er ihm den Bart links und rechts
weggeschnitten und ins Kerzenlicht gehalten, wo das Haar mit übelm
Geruch verbrannte.

Jetzt heulte der Verstümmelte auf und ward inne, was er verloren hatte.

Der Dullhäubel war mit dem Kalb schon an der Luft, und weil er ein
wenig schwankte, riß er einen Stecken aus dem Zaun und stützte sich
darauf.

Hoher Sommer war es. Der Hundsstern ging auf, verschlafen schaute der
Mond in die Welt.

Im Wald drin rastete der Bauer, er stieß den Stecken in den Grund und
band das Zöpfel dran. Dann warf er sich neben dem Weg ins Moos.

Er mochte wohl ein wenig eingenickt sein, als er aufschrak. Eine Dirne
kam daher, jung und flink wie ein Wiesenwasser.

»Wohin denn in aller Nacht, du Allerschönste?« fragte er.

»Zum Bader um einen Blutegel,« erwiderte sie. »Ist das der richtige
Weg?«

»Schleun dich nit so! Wer ist denn krank?«

»Dem Vater schwärt der Zahn. Du wirst ihn ja kennen, den Lukas. Ein
Musikant ist er. Er haltet es nimmer aus vor Weh.«

»Der Lukas soll zum Fuxloher Schmied gehen, der reißt ihm zwei Zähne
mit einem Griff,« riet der Bauer.

»Mein Vater hat schon alles versucht. Mit einem glühenden Nagel hat er
sich den Zahn ausgebrannt. Es hat nit genutzt. Den Bart hat er sich
wachsen lassen gegen das Weh. Mit einem Strick hat er den Zahn dem
Stier an den Schweif gebunden; der Zahn hat sich nicht geruckt, eher
wär dem Vieh der Schweif abgerissen.«

»Setz dich her, Dirn!« lud er sie ein. »Wie heißt du denn?«

Sie ließ sich zu ihm ins Moos hin, sittsam deckte sie die Füße mit dem
Kittel zu. Der Mond lugte ihr in das derbe, frische Gesicht.

»Müd bin ich,« sagte sie, »übers Gebirg hab ich müssen. Mechel heißen
sie mich daheim, der Schulmeister hat mich Mathilde Schellnober
geschrieben. Und wer bist denn du?«

Er dachte ein wenig nach. Dann sagte er unschuldig: »Aus Blaustauden
bin ich. Ein Tischlergesell. Franz bin ich getauft. Nach dem heiligen
Franziskus.«

Er tastete nach ihrer Hand, sie zuckte nicht zurück.

»Bist du brav, Tischler?« fragte sie.

»Freilich. Bei Tag und Nacht bin ich brav. Nur mit den Weibern bin ich
ungeschickt. Ich kann nit lügen, drum mag mich keine.« So redete er
sanft und traurig.

»Das ist kein Fehler,« tröstete sie.

»Mein Geschäft braucht ein Weib, ich möcht mich selbständig machen.
Weißt du mir keine, Mechel?«

»Ich wüßt genug, aber ich sag dir sie nit.«

»Warum denn nit, Mechel?« Er drehte den Kopf wie ein girrender Tauber
und schmeichelte: »Du bist so sauber, dein Bild will ich auf alle
Truhen malen.«

»Es sind schon noch schönere Dirnen im Wald,« antwortete sie kurz.
Unruhig rückte sie hin und her.

Schnell legte er ihr den Arm um die Hüfte.

Sie stieß ihn von sich. »Ich muß zum Bader. Sonst verzieht sich der Weg
hoch in die Nacht. Und das hab ich von der Mutter sagen hören, daß die
Mannsleut alle falsch sind. Du drehst dich um und liebst eine andere.«

Er legte die Hand auf den Brustfleck. »O, du kennst mich nit. Ich bin
treu wie der Tauber der Tauberin.«

Sie musterte ihn scharf. »Ganz jung bist du nimmer,« sprach sie.

»Im besten Saft steh ich, Mechel. Schön bin ich nit, aber heikel.«

»Mein Heiratsgut ist gering, Tischler,« meinte sie zaghaft. »Der Vater
ist ein Musikant; was er verdient, vertut er.«

»Wenn du nur eine buchsbaumene Bettstatt mitbringst!« spaßte er. Das
Kopftuch zog er ihr herab und krauelte ihr lind das krause Haar.

»Meine Zöpfe sind gelb,« lächelte sie, »ich wasch sie jedes Frühjahr
mit Märzenschnee.«

Er packte das baumfrische Kind fester. »Mechel, spreiz dich nit!«
bettelte er.

»Du bist aber hitzig, Franz,« lispelte sie verschämt.

Schneidiger griff er nach ihr. Da blitzte das Mondlicht an seinem
Finger.

Sie schnellte schreiend auf. »Tischler du tragst einen Ehring!«

Er wurde demütig, seine Stirne krauste sich. »Im Witstand bin ich,
Mechel, im Witstand. Der Herrgott hat sie mir hingenommen. Niemand
kocht mir, niemand macht mir das Bett.« Die Stimme knickte ihm.

Sie wurde neugierig. »Woran ist sie gestorben?«

»Ich hab gehört, am Rotlauf.«

»Hast du gut mit ihr gelebt?«

»Ich hab nit bei ihr liegen wollen, sie hat kalte Füße gehabt. Ja, ein
Wittiber bin ich, und das ist mein einziger Tadel.«

Die lieben, dummbraunen Augen der Mechel glänzten voll Mitleid. Und er
merkte es und riß sie zu sich hin und herzte und halste sie, bis sie
ganz wirr bat: »Tischler, hör auf! Du bringst mich in die Lieb, und ich
bin noch zu jung dazu.«

Droben schoß ein Stern über den Himmel, Johanniskühlein flogen glimmend.

»Laß ab, Tischler! Die Buben werden mir einen ströhernen Mann aufs Dach
setzen. Die Schand begehr ich nit. -- Und wenn einer daherkommt!«

»Wer wird denn gerad jetzt unterwegs sein!« tröstete er. »Es rührt und
reibt sich nix.«

Sie rang mit versagender Kraft gegen ihn.

»Ich heirat dich ja. Und wenn du mich gern hast, der Himmel fallt nit
ein,« zischte er.

Da stapfte es den mondverdämmerten Weg daher, Steine rollten, ein
Stecken klang an einen Fels.

Die Mechel sprang auf und rauschte wie eine gehetzte Hirschkuh ins
Gebüsch.

Die alte Ulla humpelte mit der Geiß daher.

»Verdammte Nachthex!« brauste der Dullhäubel sie an.

»Verspätet hab ich mich. Die Geiß hab ich zum Bock geführt,« sagte sie
bang.

»Geh geschwind heim, dein Kater will gemolken sein. Er gibt dir täglich
zwölf Seidel Milch, dir Nachthex.«

»Bauer, du machst mich schwarz,« flehte sie. »Die Kinder spotten mir
schon nach ›Hex! Hex!‹ Die Leut speuzen aus vor mir und verriegeln die
Tür, wenn ich betteln komm. Und ich bin doch nur ein überständiges Weib
und kann nimmer essen, nimmer schlafen.«

»Aber hexen kannst du,« rief er unbarmherzig.

»O du gar schlimmer Mann, was feindest du mich an? Unschuldig bin ich,
der Blaumantel kann es mir bezeugen. O die Welt ist voller Angst und
Nöten! Und man kann sich kaum aufrecken bei der teuern Zeit, kaum
schnaufen kann man.«

Ein toller Schwank war dem Dullhäubel durch den Kopf geschossen. »Hexen
kannst du,« bestand er. »Du verzauberst den heiligen Blaumantel selber.
Ruf ihn um die Mitternacht. Dann stürzt er dir ins Haus. Versuch es!«

Er rannte in das mondscheinige Gebüsch der Mechel nach. Sie war nimmer
zu finden. --

Als er zur Kapelle kam, räusperte es sich droben im Föhrenbaum. Zwei
dürre Beine schlotterten vom Ast.

Der Dullhäubel schlug ein Kreuz. »Wer sitzt da droben?«

»Ein Schlaghäusel richt ich auf für den Mondschein,« erwiderte es. Es
war der Narr.

Der Bauer atmete auf. »Gehustet hast du wie ein krowatischer Schuster,
Zusch.«

»Ich bin Rudolf von Habsburg, der Sohn Josefs des Zweiten,« sagte der
Narr feierlich.

»Steig herunter, Zusch, du erschlagst dich!«

»Ich sterb nit. Ich werd hundertfünfundzwanzig Jahr alt und fahr dann
gleich ins Himmelreich, weil ich eine reine Jungfrau blieben bin.«

»Die Nacht ist nit warm,« hub der Dullhäubel listig an, »sogar dem
Blaumantel scheppern die Zähne vor Kälte.«

Der Narr fuhr wie ein Eichkater von der Föhre herab. »Ich zünd ihm
die Kapelle an, dem Heiligen, daß er sich die Händ wärmt,« murmelte
er. Stumpf lagerte der Blödsinn auf seiner Stirn, doch seine Augen
zündelten.

»Große Hitz tut dem Blaumantel nit gut,« lenkte der Schelm ein. »Trag
ihn lieber, wenn der Nachtwächter zwölf schreit, der Ulla in die Hütte
und leg ihn zu ihr ins Bett, dort erwärmt er sich gewiß.«

Der Besessene nickte und kletterte in die Kapelle.

Da lachte sich der Bauer in die Faust und ging ins Dorf hinauf und
klopfte den Wirt wach. Der tat ihm mürrisch auf, stellte ihm einen
gesalzenen Fisch und ein paar Flaschen Bier hin und legte sich wieder
ins Stroh.

Der Dullhäubel trank allein im Mondschein. --

Indessen hatte die Ulla ihr armseliges Bett bereitet. Sie lag ohne
Ruhe, die Reden des Bauern hatten ihr das kleine Hirn ganz gar
und verwirrt. War sie vielleicht doch, ohne es zu wissen, eine
Gabelreiterin?

Sie dachte mühselig nach, ob ihr nie etwas zugestoßen, was nicht
geheuer gewesen. Aber ihr enges Leben lag schlicht und ohne Rätsel vor
ihr.

Lang quälte sie sich ab und flüchtete schließlich vor sich selber in
den Schlaf.

Da träumt ihr, sie flöge über das Land hin. Tief unten lagen Kirchturm
und Freithof, Häuser und grasendes Vieh. Über den Wald flog sie und
hob die Knie hoch, daß sie sich nicht an den Tannenspitzen stoße. An
den Nestern streifte sie vorbei, drin die Rabenhennen gluckten, einem
hohen Berg zu, und der trug ein Feuer. Mitten im Wald drunten stand ein
zerbrochenes Häusel, aus seinem Rauchfang ritt ein rußiges Weib auf
einem Schürhaken heraus und ritt neben ihr her, und als die Ulla die
andere scharf anschaute, so war sie es selber. Schaudernd schlug sie
ein Kreuz. Da stürzte sie strahlenschnell in die Tiefe, schlug auf und
erwachte.

Sie besann sich des Traumes. Es war doch lustig gewesen, so ohne
Beschwernis zu fliegen und so weit in die Welt hinein zu schauen.
Könnte man nur ganz kleinwunderwenig die Hexenkunst treiben, wie viel
leichter würde doch das bittere Leben! Ach, sie wollte ja nur der Geiß
eine Raufe voll Futter hexen und ein paar Scheiter Holz in den Ofen,
wenn der harte Winter draußen stürmt und die Hohlwege zudeckt!

Ein fernes Wachthorn blies vom Dorf her Mitternacht.

Da lüstete es die Ulla, jetzt schnell einmal, nur einmal die Kunst und
die Kraft zu versuchen, die ihr der Dullhäubel andichtete, und weil
ihr in der Eile nichts anderes einfiel, rief sie einen Spruch, den
sie vorzeiten vergeblich gebetet: »Heiliger Antoni, schick mir den
Bräutigam in die Kammer!«

Und schon trampelte es draußen. Und ob sie es auch entsetzt mit
den Händen abwehrte und den freveln Spruch widerrief, die Tür ward
aufgestoßen, ein schwarzer Kerl sprang herein, wälzte ihr etwas
Schweres ins Bett und verschwand.

Der Ulla setzte der Herzschlag aus.

Der Teufel hatte sie beschenkt. Also war sie doch eine Hexe. So viele
Jahre hatte sie fromm gelebt, und jetzt verfiel sie der Hölle. O was
hatte sie getan?!

Ein Schuhu höhnte draußen, der Wind murmelte unheimlich ums Haus.

In ihr schrie es um Hilfe. Ihre Seele hatte ein dünnes, verzagtes,
windverwehtes Stimmlein und führte eine unbeholfene Rede.

Alter Leute Seele ist so matt wie ihre Hände. Und das Gebet der Ulla
hatte gebrochene Flügel. Ihr war, es dringe nicht zu Gott, es steige
nicht über die Tannen hinaus, es falle wie ein Stein schwer und
schmerzhaft zurück in ihr Herz.

Neben ihr lag das Sündige, Schreckhafte, Unbekannte, der Zeuge ihres
Hexentums. Das Fieber glühte in ihren Fingern, doch sie wagte nicht
hinzugreifen.

Der Mond rückte und spiegelte in dem weißen Haar der Greisin. Auf
einmal leuchtete er voll über das Bett.

Der heilige Blaumantel lag mit wachen, weit offenen Augen neben ihr.

»O weh, der Dullhäubel hat nit gelogen,« seufzte sie, »Ich bin eine
Hex!«

Schwerfällig tickte die Uhr, und da ihr Zeiger immer wieder zurücksank,
wußte das Weib nicht, ob der Morgen schon nahe sei. Furchtsam schaute
sie den an, der ihr Bett teilte.

Als es graute, spannte sie die Geiß vor ein Wägelein, lud den Heiligen
auf und schaffte ihn zurück in die Kapelle. -- -- --

Der Mond grinste.

Um den Dullhäubel drehte sich die Welt wie ein Rad. Er lehnte sich an
einen Baum und horchte. Irgendwo quackten die Frösche.

»Ihr Grillnöder, was singt ihr?« schrie er. »Ihr könnt es ja nit.« Er
fing an zu quacken, die Frösche ein Besseres zu lehren. Doch sie ließen
sich nicht schulmeistern.

Dann heulte er auf wie ein Mondscheinhund und weckte alle Kläffer
und Köter rings in den Einschichten, daß sie zornig bellten oder in
gezogenem Geheul klagten und die Leute in den Betten ängstigten.

Die Kapelle war leer. Da johlte der Trunkene: »Herrgott, schau
herunter! Dein Heiliger schlaft bei einem alten Weib.«

Der Wendehals auf der Fähre drehte den Kopf nach dem kreisenden Himmel.
Ein Schuhu kreischte. Ohne Rast gurgelte der Wolfsbach.

Wie der Dullhäubel neben dem Wasser dahintaumelte, rutschte er aus und
plumpste hinein. Die kühle Flut wusch ihm den Kopf und ernüchterte
ihn. Er blies, ächzte und schnaubte und kroch ans Ufer, den Blaumantel
verwünschend, dem er das Unglück zuschrieb.

Als er sich wieder auf den Füßen fühlte, war sein erster Gedanke: »Heut
hau ich einmal mein Weib!«

Er kam heim und tappte durch den Hof ins Vorhaus. Die Stubentür aber
war versperrt; ein Strohsack lag davor, der schien für ihn bereitet.

Der Dullhäubel rüttelte. »Ogath, ich sag dir es im guten, tu auf!«

Drin rührte sich nichts.

»Bäurin, tu auf! Tu auf, Bäurin! Ich bin es. Der Dullhäubel ist es.
Dein Kasper,« schmeichelte er. »Weib, laß dir sagen, riegel auf!«

Er drängte das Ohr ans Schlüsselloch. Kein Hauch war zu hören.

Da kam ihm die Hitze. »Tu auf, Weib, sonst hol ich die Hacke und spreng
die Tür auf!«

Drin meldete es sich ruhig: »Wag es! Den Kittel schlag ich dir um den
Schädel, solang ein Fetzen dran ist. Draußen hast du den Strohsack.«

»Laß mich doch nit zugrund gehen!« schluchzte er. »In den Bach bin ich
gefallen, waschelnaß bin ich.«

»Warum bist du nit ersoffen?« sagte sie aufgebracht. »O mein
gottseliger Mann, der Gid, ist tausendmal besser gewesen als du! Das
ganze Geld versäst du im Saufhaus.«

»Herr, erbarm dich meiner!« murmelte er wie bei einer Litanei.

»Den Hof versaufst du, deine Kinder werden einmal nacket gehen!«

»Herr, erbarm dich meiner!« antwortete er dumpf.

»Die Kellnerinnen reißt und rumpfst du herum.«

»Herr, erbarm dich meiner!«

»Nacht für Nacht reitest du die Zung in die Schwemm,« eiferte sie.
»Vertu nit alles, daß du einmal ein anständiges Begräbnis kriegst!«

»Begraben muß ich werden. Das hab ich noch nie gehört, daß einer
eingeackert worden ist.«

»Schäm dich! Der Dunst und Dampf redet aus deinem Hirn.«

»Ich schäm mich in den Kniebug hinein, da sieht es niemand.«

»Hast du das Kalb in den Stall eingestellt? Hast du es nit verjuxt?«

»Jesmaria, das Kalb hab ich im Wald vergessen!« rief er erschrocken.
»An den Zaunstecken steht es gebunden.«

»Himmlischer Vater, da haben wir wieder den Schaden! O wenn das mein
Gottseliger erlebt hätt!«

Die häufige Mahnung an den Gottseligen verdroß ihn. Er wollte überhaupt
für heute die Zwiesprache enden. Drum sagte er: »Weib, ich bet jetzt.
Stör mich nit! Du begehst eine Todsünd.«

»Du und beten?!« spottete sie. »Ja sausen und brausen laßt du es,
dein Gut verstreust du. Und ich muß mich mit den zwölf Menschern
durchfretten.«

Er richtete sich auf. »Weib, reiz mich nit! Wenn ich wild bin, ist der
Zorn auch gleich da. Wer macht uns arm? Du mit deiner Fruchtbarkeit.
Was du treibst, ist zuviel. Und nit einen einzigen Buben, lauter
Menscher! Die kannst du dir nit genug kriegen, zu Dreikönig eins, zu
Allerheiligen wieder eins.«

»Du Schandvogel!« schalt und schelmte sie. »Du Rabenseel!«

Er blieb nichts schuldig. »Du Truchtel, sei still!«

Ein Schimpf rankte sich in den andern.

»Du Flank du, du Schlank du!«

»Du Runzel, du Schlunzel!«

»Du Sauftümpel, du Galgenbraten!«

»Du Zahnraffel, du Schürhaken!«

»Du Abfaum, du alter Schepperer!«

»Du Schebrelle, du Rabatsche!«

»Du lasterhaftes Bockfell!«

Er gab nach. »Weib, wie einen Pudelhund beutelt es mich vor Kälte.
Erbarm ich dir nit? O an dir erleb ich keine Freud, jeden Schluck in
die Gurgel zählst du mir!«

Murrend warf er sich auf den Strohsack.

Der reichliche Trunk wirkte, und der Dullhäubel schlief ein.

Kaum hatte er die Augen zu, so beugte sich der Blaumantel über sein
Bett, daß ihm der hölzerne Leib krachte.

»Dullhäubel,« wispelte er, »ich bleib nimmer in der Einöd. Es sind mir
zu viel Narren und Diebe da.«

»Ich trag dich nach Blaustauden,« stöhnte dienstwillig der Träumer.

»Zu den hochnasigen Heiligen in die Kirche will ich nit,« erwiderte der
Blaumantel, »die Goldenen und Silbernen verachten meine hölzerne Kutte.
Schieb mich ins Dorf! Neben dem ›pfalzenden Hahn‹ will ich sein.«

Gleich stand der Dullhäubel hinter der Kapelle und schob an und stemmte
sich daran, es war eine schwere Plage, aber die Kapelle rückte nicht
vom Ort, und der Bauer schnaufte und ein scharfer Durst peinigte ihm
Zunge und Gaumen und brannte ihm tief in den Schlund hinab, und sogar
Magen und Gedärme dürsteten ihm und lechzten nach einem Trunk. Und
wieder warf sich der Dullhäubel gegen die Mauer, drängte und schob. Den
Schweiß, der ihm von den Brauen tropfte, fing er mit dem Maul auf, um
sich zu erquicken. Doch die Kapelle saß wie ein Fels in der Erde. Da
bleckte der Blaumantel wild lachend die Zähne, schwang sich aufs Dach
und ritt droben wie ein Reiter auf dem Roß und schrie: »Wieh!« Jetzt
rührte sich die Kapelle und fuhr wie ein schneller Wagen bergan.

Der Dullhäubel erwachte, staunend und blöd hockte er auf dem Strohsack.

Den peinigenden Durst zu löschen, richtete er sich auf und tappte
in den Keller, wo auf einer Bank die Milchtöpfe standen, ergriff
einen davon und soff. Er mußte saufen, süß oder sauer, Kuhmilch oder
Geißmilch, es galt ihm gleich. Er soff wie ein glühender Stein. In
endlosem Zug schlampte er den Ton bis auf das Neiglein aus, wischte
sich schnaufend den Bart und taumelte satt hin aufs Stroh. --

Der Hahn krähte, der Tag graute an. Schon rumorte die Bäurin in der
Stube.

Mit einem schrecklichen Druck im Magen erwachte der Dullhäubel. Er
stützte sich ächzend, riß das Maul auf, und ein wilder Blutguß schoß
auf das Pflaster des Vorhauses.

»Bäurin! Bäurin!« winselte er. »Zu Hilf, schnell! Aus ist es! Dahin
geht es!«

Als sie aus der Stube kam, brach ihm wieder das Blut in dickem Strahl
aus dem Hals. Sein Auge stierte, Bart und Brust und Hände, Strohsack
und Estrich, alles war rot besudelt.

Die Ogath rang die Hände über dem Kopf. »Himmlischer Vater, er hat den
Blutsturz!«

»Rühr dich!« stöhnte er. »Den Pfarrer hol, den Bader! O mir ist
hundselend! Den Pfarrer schickt mir, ich bin ein großer Sünder. O, daß
ich gar so viel Blut hab!«

»Den Bauch reib ich dir mit Kampferöl,« rief sie. »Ich koch dir ein
Helfkräutel, einen Tausendguldenkrauttee, der hilft.«

»Nix hilft,« schrie er ungeduldig, »den Geistlichen hol!«

Sie rannte die Bodenstiege hinauf und weckte die Kinder. »Wabel,
Reigel, Rosel, Portiunkel, Stasel, Kathel, Liesel, Urschel, Mariandel,
Kundel, Luzel, Stanzel! Geschwind, der Bauer geht ein!«

Die zwei ältesten Töchter liefen nach Blaustauden.

Die Wabel klopfte das Pfarrhaus wach. »Hochwürden, der Vater hat Blut
lassen. Die Mutter laßt bitten, Ihr sollt ihm die Seel aussegnen. Den
Flederwisch nehmt auch gleich mit, daß Ihr den Bauer besprengt!«

»Wenn es den letzten Schnapper giebt, kommen sie daher,« zürnte der
Geistliche. »Sonst sieht man manchen nit in der Kirche. Es stehen in
der Meß oft mehr Heilige als Leut umeinander.«

»Rennt, Pfarrer! Das Blut schießt ihm heraus wie gestern der
abgestochenen Sau.«

Der Herr Nonatus war ein seeleneifriger Mann. Er sagte: »Ich geh gleich
mit. Der größte Sünder ist mir am allerliebsten, und der Dullhäubel
zahlt sich aus. Meßner, läut das Speisglöckel!«

Die Reigel weckte den Bader.

Der bärbeißige Wundarzt Gottfried Mehlstäubl nahm gleich eine Flasche
Blutegel mit.

»Was ist denn los mit dem Dullhäubel?« fragte er. »Hat er wieder einen
Kapuzinerrausch heimgebracht? Hat er sich die Wampe überfressen? Ist
ihm der Darm auseinander gesprungen?«

»Blutkrank ist er,« weinte die Reigel. »Einen ganzen Zuber voll Blut
hat er gespieben. Jetzt lechzt er.«

»Heul nit, Dirndel, ich helf ihm. Ich hab schon andern Leuten geholfen.
Unserm Burgermeister hab ich den Bandwurm abgetrieben, fünfzig Ellen
lang.« --

Derweilen lag der Dullhäubel blutig im Stroh. Er hörte in der Ferne
das Glöckel, dessen Geläut den Weg des Pfarrers begleitete. Er betete:
»Heiliger Blaumantel, liebreicher Fürbitter im Himmel, steh zu mir!
Wenn ich wieder gesund bin, stift ich dir eine Kerze, so lang wie eine
Deichsel, vor deiner Kapelle soll sie brennen Sommer und Winter, Tag
und Nacht.«

Der Grazian, der wegen seines Alters als Meßner abgedankt worden war,
fand sich ein, und nicht ungern sah er die letzte Stunde des Schelmen
nahe. Denn die verweste Geiß stank ihm noch immer aus dem Magen, und er
hatte den Streich nie verwinden können.

»Schau, schau, Dullhäubel,« sagte er, »gestern hast du noch
heimgejodelt von der Siebenkittelwirtin, und heut gehst du auf dem
letzten Gras. ›Gestern im Trab, heut ins Grab‹, heißt es. Du schaust
aus wie der linke Schächer.«

Der Bauer griff an die Brust, die Zunge schlotterte ihm. »Mir wird ganz
herzschlächtig.«

»Zieh die Strumpf und die Schuh aus, Dullhäubel, und renn der Höll zu!
Wart nit auf die heilige Wegzehrung, sie hilft dir nimmer. Ja, den Tod
betrügst du nit, du Sündenbock, du Leutfopper, du Bauchbruder, du Trost
dem Teufel! Dahin mußt du mit deinen Rieben und Ränken. Ich seh dich
schon schneeweiß in der Truhe.«

»Ich sterb nit,« kreischte der Dullhäubel auf.

»Rümpf dich und wind dich, du kommst ihm nit aus, dem Sensenwetzer. Im
Sündenstank fahrst du hin.«

»Jedes Haar wirft seinen Schatten,« wehrte sich der Bauer. »Warum soll
denn gerad ich keinen Fehler haben?!«

Unbarmherzig predigte der Meßner: »Jetzt liegst du auf der Streu, jetzt
schießt das Blut heraus, das wilde Dullhäubelblut, das kein gut getan
hat sein Lebtag. In einer kurzen Weil tümmelt der Teufel vor der Tür
und zerrt dich davon bei den Füßen. In die Höll strudelst du hinab.«

»Laß mich aus, Grazian, verschon meine Sterbensnot!«

»Ja, mein lieber Freund, jedem wird gelohnt nach seinen Werken. Wenn
der Teufel herwürgt mit offenem Schlund und hernach deine Seel zwischen
den Zähnen hintragt, ich trau mir es gar nit zu sagen, wohin! Ja, mein
lieber Freund, wenn der ganze Himmel papieren wär, und auf jedem Stern
säß ein Schreibersknecht, sie könnten allsamt gar nit beschreiben, was
eine Seel leidet im ewigen Pech.«

»Meßner, das weiß ich. Ich dank dir.« Der Schweiß brach dem Bauer aus.

Die Ogath trat aus der Stalltür. »Der Didelmann hat uns das Kalb daher
gebracht, gottlob,« sagte sie, »es ist ganz wild.«

Wieder hub der Grazian an: »Es ist schad, Dullhäubel, daß Gott dich mit
so einem guten, wirtschaftlichen Weib versorgt hat!«

»Bäurin, ich will gut tun, wenn ich wieder aufkomm,« gelobte der
Dullhäubel.

»Ja, wenn die Zaunstecken blühen,« sprach sie unwirsch. »Du tätst es
wieder treiben wie ehmals, die Händ schonen, die Weiber verfolgen, Vieh
und Leut foppen. Ausgestanden hab ich genug mit dir. Ein Selbstler bist
du gewesen, hast an Weib und Kind nit gedacht und an die Gemeinde nit,
nur an dich und allweil nur an dich. Und eine lederne Röhre hast du im
Hals, die brennt und muß feucht gehalten werden. So, jetzt hab ich dir
es gesagt.«

»Gelts Gott, Bäurin, gelts Gott! Du hast die Wahrheit geredet,«
wispelte er. Die Augen fielen ihm zu.

»Heilige Mutter Anna,« schrie der Grazian, »er wird schon blau! Der
Teufel schreit juchhe.« Er stieß ein Gebet aus. »Lasset uns beten zu
den heiligen drei Königen, sie sollen ihm den Weg weisen, er muß in die
Ewigkeit wandern.«

Jetzt kam der Pfarrer mit dem Bader daher, und die Dirnlein drängten
nach, neugierig und furchtsam.

Der Bauer tat die glasigen Augen auf und röchelte: »Pfarrer, Bader, der
Tod geht mir zu.«

Der Wundarzt Gottfried Mehlstäubl staunte: »Sakerlot, du hast
unglaublich viel Blut gekotzt! Mensch, mußt du vollblütig sein! Wo
fehlt es denn? Hast du ein kaltes Fieber oder ein glosendes? Schüttelt
es dich? Reißt es dich? Kratzt dich der Hals? Ist dir das Zäpflein
gefallen?«

Der Kranke deutete auf den Magen. »Da in der Herzgrube tut es weh.«

»Hast du den Stuhl offen?« forschte der Arzt. »Hast du dich nit
überfressen, Schlauch? Ja, der Fraß wühlt sich mit dem eigenen Rüssel
das Grab auf. Die Runstadern sind dir geschwollen. Tu das Maul auf und
zeig her deinen Schlung!«

»Im Bauch rumpelt es mir,« flüsterte der Bauer.

Der Bader entschied: »Du hast es auf der Leber. Eine jede Krankheit
rührt von der Leber her. Du hast wohl einen kalten Trunk getan, he?«

»Bader, gib mir was ein, ein Pulver, einen Saft, daß ich am Leben
bleib!« klagte der Dullhäubel.

»Halt das Maul, Wehdarm! Ich muß auch einmal sterben,« antwortete der
Gottfried Mehlstäubl.

»Da schau meine unversorgten Kinder an und hilf!« Der Bauer deutete mit
Kinn und Bart auf die zwölf Dirnlein.

»Kinder hast du in allen Größen wie eine Bodenstiege. Aber was nutzt
das alles, wenn sich eine giftige Sucht einschleicht. Ich schätz, du
überlebst die Stund nimmer.«

»Herr Pfarrer,« lallte der Dullhäubel, »richt mich her -- für die
Ewigkeit!«

Da drückte ihm der Grazian einen geweihten Rosenkranz in die Hand, die
Ogath wischte mit dem Fürtuch über die Augen, die Kinder weinten.

»Gottlob, daß du dich nit in Halsstörrigkeit verhärtest, Dullhäubel,«
begann der Pfarrer. »So tu Reu und Leid, mein lieber Christ!«

Des Baders Neugier war noch nicht gestillt. »Und wo fehlt es denn sonst
noch, Bauer? Plagen dich die Würmer? Bläht dich der Wind?«

Doch der Dullhäubel räusperte und rächste sich, fuhr jäh auf, gurgelte,
und wieder schoß das Blut heraus. Alle wichen zurück, die Bäurin
scheuchte die Kinder hinaus. Blaß und matt sank der Bauer zurück.

Der Gottfried Mehlstäubl krauste die Stirn. »Seltsam! Seltsam! Vetter,
die Reih ist an dir. Hättest du mir alle Jahr deinen Brunn schauen
lassen, wie der Grazian da, tät ich mich in deinem Leib besser
auskennen.«

»Der Tod zeichnet ihn,« sagte der Pfarrer. »Laßt uns allein, daß ich
ihn geschwind noch auströste!«

Da gingen alle hinaus.

»Öl mich ein, Hochwürden, öl mich! Richt mich zusamm -- fein sauber --
für den Weg!« drängte der Bauer.

»Jetzt, Dullhäubel, häut dich!« begann der Herr Nonatus Hurneyßl. »Tu
ab das Gewand deiner Sünden! Wann und wo bist du das letztemal beichten
gewesen? Bei mir nit.«

»Den zweiten Sonntag nach Ostern -- hab ich gebeichtigt -- in Bärnloh.«

»So, so, in einer fremden Pfarre, bei dem schwerhörigen Pater, und an
dem Tag, wo die Roßdieb beichten gehen? Eine saubere Seel! Aber jetzt
her mit deinen Sünden!«

Der Dullhäubel bekannte: »Öfter hab ich mich versündigt als Steine im
Bach sind und Bäume im Wald.«

»Sieben Straßen laufen zur Höll, das sind die Todsünden. Hast du eine
begangen?« forschte der Pfarrer.

Der Sünder sprudelte: »Gefressen hab ich, gesoffen, gerauft,
gescholten, geschworen, gelogen und betrogen, die Weiber nit in ihren
Ehren lassen, mit den Jungfern gescherzt, am Freitag bin ich fensterln
gangen, den Leumund hab ich den Leuten genommen, verfrevelt hab ich
mich gegen den heiligen Blaumantel. Jetzt weiß ich nix mehr.«

Dem Pfarrer wirbelte das Hirn. »Ein Gewissen magst du haben wie ein
Scheuertor,« staunte er.

»Der Teufel hat mich im Schlund, reiß mich heraus, Hochwürden!« zeterte
der Dullhäubel. »Bind mich los, bind mir die Sünden ab und öl mich!«

»Nur langsam, Dullhäubel, und hübsch eins nach dem andern. Hast du
nit gejuchzt und gejodelt und gegalmt zur Unzeit und unzüchtige
Rockenlieder gesungen?«

»Das hab ich alles getan, Pfarrer. Bind mich los!«

»Ich will dich nit dem Teufel zuteil werden lassen. Aber sag mir, hast
du ein einzigesmal im Leben ein gutes Werk verrichtet?«

»Freilich, Pfarrer. Die Feiertage hab ich emsig gehalten, die
abgeschafften auch. Und zwölf Christen hab ich in die Welt gesetzt.«

Der rüstige Beichtvater sah ihn verdutzt an. »Ah, so bist du gesotten?
Du willst unsern Gott und unsern Teufel überlisten?« Und er holte aus
und reichte dem Sünder eins auf den Schädel. »Dafür erlaß ich dir die
Bußgebete, du alter Spaßvogel.«

»Das ist mir lieb,« sagte der Dullhäubel erleichtert.

»Jetzt geratest du halt ins Fegfeuer, Bauer, und das ist eine scharfe
Lauge. Wasch dich drin, reib dir die Seel unverdrossen ab! Und
fahrst du hernach in den Himmel, so führ dich gut auf, daß du meinem
Pfarrsprengel keine Schand antust.«

»Ich werd mich doch nit zu dem höllischen Bären verirren?« verzagte der
Kranke. »Ist es drunten wirklich so heiß?«

Der Pfarrer schaute den Dullhäubel ernsthaft an. »In der Höll ist es
so heiß, daß die gepeinigte Seel, die den Kniffen und Kunstgriffen
des Satans erlegen ist, gar kläglich herausschreit: ›Gebt mir ein
Schmiedfeuer, daß ich mich dran kühl!‹ So kalt ist das irdische Feuer
dagegen.«

»Ich riech schon lauter Brand,« wimmerte der Bauer. »O wär ich gesund,
ich wollt anders leben! Einen Sack tät ich anziehen und wallfahren
gen Maria-Dorn. Sterb ich aber,« seine Stimme versiegte schier, »so
stift ich eine ewige Meß meiner Seel zum Trost, und dem Blaumantel,
meinem Fürbitter, soll ein Wachsstock brennen hundert Jahr. O weh, wie
schlecht wird mir jetzt!«

»Was ist, Dullhäubel, was ist?«

»Der Schleim steigt mir im Hals, ich erstick, ich krieg den
Schleimschlag! O weh, von der Welt scheid ich, in die Höll spring ich.«
Er rülpste, und das Blut sprudelte ihm wieder gräßlich aus dem Hals.

»Leut, er stirbt!« schrie der Pfarrer.

Der Bader, der Grazian, der Knecht und die Kinder liefen herein.

Schrecklich schaute der Bauer aus, weiß wie Kalk lag er dort, die
Lippen voller Blut.

Die Ogath trug die brennende Sterbekerze daher und drückte sie ihm in
die Hand. Er aber verdrehte die Augen grausam und fluchte: »Sakerment,
bin ich noch nit hin?!« Er röchelte.

»Bäurin,« meinte er auf einmal, »es ist wunderlich, jetzt mitten im
Sterben lüstet mich nach einem Schnupftabak. Geh, tu mir die Lieb an!
Es ist das Letzte, was ich von dir begehr.«

»Jetzt ist ausgeschnupft,« sagte sie kurz. »Jetzt halt die Herren nit
auf und schau zu, daß du einmal stirbst!«

»Ich sterb, und keines tut einen Schrei,« sprach er wehmütig, »keins
weint einen Tropfen, keinen Seufziger druckt es euch aus.«

Der Kopf sank ihm auf die Seite, das Kinn hing ihm.

»Jetzt erklenkt ihn der Satan,« rief der Grazian.

»Macht Tür und Fenster auf, sonst reißt seine Seel ein Loch durchs
Dach!«

»Ihm stehen schon die Augen,« nickte der Bader.

»Er ist am Weg,« flüsterte der Pfarrer.

Der Sterbende hauchte noch einmal: »Mein letzter Wille! Meine Töchter
-- dürfen nur auf einen Hof -- hinheiraten, wo ein Glöckelturm drauf
ist. Ich bin ein großer Bauer -- gewesen.«

Jetzt lag er blaß und still.

Die kleinen Dirnlein klammerten sich weinend an den Kittel der Mutter,
und sie zog tief Atem: »Jetzt bin ich wieder eine Wittfrau.«

Plötzlich erhob sich im Keller ein großes Geschrei. Die Wabel, die
älteste Tochter, kam die Staffeln herauf, einen leeren Topf in der Hand.

»Mutter, ich weiß, was dem Bauer fehlt!« Sie lachte, daß ihr die Zähren
rannen, sie lachte, daß sie den Atem verlor und schier in einem Husten
erstickte.

Der Gottfried Mehlstäubl nickte. »Sie ist närrisch worden.«

»Was lachst du jetzt, wo dein Vater vor das ewige Gericht hintritt?«
verwies sie der Pfarrer streng.

Die Wabel schwenkte den Topf. »Blut hat er gespieben,« brüllte sie
vor Lachen, »Blut, aber nit sein eigenes. Gestern haben wir eine Sau
getötet, das Blut haben wir ihr abgelassen, in den Keller haben wir
es gestellt. Der Vater hat in seinem Rausch -- das ganze Saublut
ausgesoffen.«

»Herrgott von Blaustauden,« schrie die Bäurin, »das ganze Saublut? Heut
hab ich es backen wollen.«

Leben und Röte kehrten in die Wangen des Dullhäubel zurück, er tat die
Augen ganz schmal auf und lallte: »Liebe Freunde, es ist nit unmöglich.«

Des Pfarrers Hals verfiel in einen Krampf.

Der Bader hielt sich den Bauch. »Gespieben hast du wie ein
Hochzeitshund, Dullhäubel. Du könntest die Wissenschaft irr führen! Du
hast aber auch einen sauberen Hinfahrtsfraß genossen. Gelt, die Suppe
ist dir zu feist gewesen? Jetzt steh auf, nimm dein Bett und geh!«

Der Herr Nonatus Hurneyßl hatte sich wieder beruhigt. »Bauer,« sagte
er, »der Herrgott hat dir heut einen Spiegel vorgehalten. Fang ein
neues Leben an!«

Der Dullhäubel drückte pfiffig ein Auge zu. »Bader, ich bin allweil
schnell gesund worden. Einmal hab ich mir beim Holzhacken eine
Hand wurzweg abgehaut. In vierzehn Tagen ist sie mir wieder sauber
nachgewachsen. Heut weiß ich nimmer, ist es die linke gewesen oder die
rechte. Und jetzt, Ogath, gib den Tabak her! Das ist die beste Arznei.«

Er schnupfte, legte sich dann zurück, schnarchte wie eine Brettmühle
und überließ die um sein Sterbebett Versammelten ihren Betrachtungen.

       *       *       *       *       *

Blitzblau lugten die Schlehstauden drein, und die letzte Bauernrose
brannte im Gärtlein. Die Luft hing voll zarter Fäden, die alten Weiber
hatten ihren Sommertag.

Im Stadel drosch die Ogath mit ihren ältesten Töchtern das Rüttstroh,
sie wollte damit die Betten frisch füllen. Fröhlich klangen die drei
prallenden Flegel, und der Dullhäubel legte dem Dreischlag die Worte
unter: »Schind die Katz!« und schlich sich hinter den Stauden davon, um
der Tenne auszuweichen.

Die Kapelle umging er in einem Bogen: des Blaumantels Blick vertrug
er nimmer, weil er ihm die Kerze nicht opferte, die er ihm in der
Sterbensangst gelobt hatte.

Vom Dorf klingelte der Schmiedhammer.

Beim Sulpiz gab es immer Gesellschaft, Köhler brachten die hölzerne
Kohle, Fuhrleute ließen die Rösser beschlagen, die Bauern ließen sich
die Axt schärfen, Kundschaft kam mit zerbrochenem Eisengerät, und
manchen trieb andere Not hin.

Heute suchte der Lukas Schellnober in dem rußigen Gewölbe Hilfe.
»Schmied,« redete er, »du bist die letzte Zuflucht. Der Zahn tut mir
arg weh, ich könnt mir das Kinnbein vom Schädel reißen.«

»Sieh ihm den Zahn, Sulpiz!« meinte der Dullhäubel. »Speib in die Händ,
der riesige Mann hat Zähne wie eine Wildsau.«

Der Sulpiz Schlagendrauf beeilte sich nicht. Er trug eine glühende
Stange zum Amboß. Bevor er drauf schlug, reckte er sie jeden von seinen
drei Weibern hin, die er an die Wand gerußt hatte, und gröhlte: »Leck!
Leck! Leck!« und dann fuhr er jäh und heimtückisch damit dem Dullhäubel
unter die Nase: »Schmeck! Schmeck!«

Der Bauer fuhr zurück bis zur Tür.

Zornig hämmerte der Meister auf das Eisen los. Es war nicht zu
verwundern, daß die Kinder von Fuxloh den wilden Mann mit dem
verworrenen Rußbart für den Teufel hielten.

»Hau zu, Schwarzer,« neckte der Dullhäubel aus wohlabgemessener Ferne,
»hau zu und denk, du hast dein viertes Weib unter dir!«

Der Sulpiz schüttelte den Hammer. »Halt das Maul oder ich zerschmied
dich! Was stehst du da wie eine Martersäul? Hast du daheim keine
Arbeit? Was begehrst du?«

»Die Feuerzang sollst du mir leihen, daß ich meine Bäurin wieder einmal
angreifen kann.«

Das gefiel dem Schmied. Er tauchte die Stange ins Wasser, daß sie
zischte, und deutete auf eines von den Rußbildern. »Die erste dort,
die Luzel ist es. Einmal fahrt sie zur Kirchweih nach Bärnloh, ich
bin allein im Haus. Um Mitternacht klopft es an die Tür, steht ein
Kohlschwarzer draußen, die Augen glosen ihm. Ich soll ihm den Rappen
beschlagen. Ich schau das Roß an. Es hat zwei schwarze Zöpf geflochten
wie die Luzel. Die zwei wilden Augen schauen mich an wie die Luzel,
wann sie mit mir gerauft hat. Ich beschlag das Roß auf allen vier
Hufen. Der Kerl springt drauf, sagt kein Geltsgott, und reitet dahin.
In der Früh liegt mein Weib neben mir im Bett mit Hufeisen an Händen
und Füßen.«

Der Sulpiz lachte, daß das Eisen in der Werkstatt klirrte.

»Du kannst leicht lachen, Schmied, dich martert nix,« sagte der
Zahnwehmann und hielt sich den verbundenen Kopf.

»Schäm dich, Musikant,« tadelte der Rußige. »Du bist so stark wie ein
Felsenbaum und dabei so ungesund.«

»Wer ist heutigentags gesund?« greinte der Lukas. »Ja, vormals haben
die Leut mehr ausgehalten. Mein Vater zum Beispiel hat Glas gefressen,
das Blut ist ihm aus dem Maul geronnen, er hat Bier darüber gegossen,
und gut ist es gewesen. Bis er einmal so ein neuartiges Lampenglas
gegessen hat, da ist er magenkrank worden. Das neumodische Teufelswerk
ist nix nutz, das altwäldlerische Glas ist viel milder gewesen.« Und er
wimmerte auf: »Weh und weh, mein Zahn!«

Der Schmied ließ sich auf den Amboß hin: »Duck dich her, Lukas!«

Da kauerte der Musikant auf die Erde, der Sulpiz klemmte den
verbundenen Kopf zwischen seine Kniee und zog einen Schlüssel aus der
Tasche.

»Tu das Maul auf! Welcher Zahn ist es?«

Ächzend deutete der Leidensmann in sich hinein. Der Schmied griff zu
und drehte, daß ihm die Adern am Arm schwollen, indes der Geklemmte die
vierzehn Nothelfer anschrie.

»Der Stockzahn rührt sich nit, der Teufel!« schalt der Sulpiz. Er fuhr
dem Gepeinigten noch einmal ins Gebiß, und mit einem Ruck, daß schier
der Amboß wankte, riß er einen mächtigen Zahn heraus.

»Du hast den falschen erwischt,« rief der Lukas, »das gilt nit!«

»Die Hauptsach ist, daß das böse Blut abgeht,« tröstete der
Zahnbrecher. »Jetzt geh zum Misthaufen und speib das Blut aus!«

Der Musikant legte ein Sechserlein auf den Amboß. »Wenn es besser wird,
trag ich den Zahn nach Maria-Dorn und häng ihn der Muttergottes mit
einem seidenen Band um den Hals,« gelobte er.

»Und du lümmelst noch allweil da?« schnauzte der Schmied den Dullhäubel
an. »Ich verdien Geld, und du versäumst dein Geschäft.«

»Ich kann nix versäumen, Meister.«

»Eine junge Dirn ist da gewesen und hat nach deinem Hof gefragt. Sie
will in den Erdspiegel schauen.«

Hastig nahm der Dullhäubel den Weg unter die Füße.

Es war zum erstenmal, daß ihn jemand um den Erdspiegel anging. Die
Leute waren schon zu klug. Zu des Ähnels Zeiten trug der Spiegel viel
mehr ein als der Opferstock in der Kirche, die Bittsteller kamen aus
aller Weite; wer ihnen das Roß gestohlen oder den Stall verhext,
wollten sie wissen und wollten allerhand Heimliches ausfindig machen.
Das war vorbei.

Der Bauer sann nach, wie er den Erdspiegel wieder in Schwang und Ruf
bringen könne. Heute schien sich eine gute Gelegenheit zu bieten. Er
nahm sich vor, die Dirne erst um ihr Anliegen zu fragen, dann wollte
er sich in den Keller sperren, als ob er Hokuspokus triebe, und dort
würde ihm schon die rechte Antwort einfallen.

In seinem Hof droschen die drei immer noch, und die kleinen Dirnlein
spielten vor der Scheuer, eines kitzelte die andern auf die nackten
Sohlen und rief: »Wer schmunzt, wer lacht, wer die Zähn für reckt, der
gibt ein Pfand.«

Als der Dullhäubel die Stube leer fand, schwante ihm Schlimmes, und er
lief in den Keller.

Die Tür zum Erdspiegel war aufgerissen.

Ins Halbdämmer des Raumes brach durch ein Guckloch ein Strahl und traf
den runden Spiegel, der auf einem Felsblock lag. Eine junge Dirne
beugte sich drüber und rätselte an den Zeichen, die auf das Wunderglas
gemalt waren: eines glich der Ziffer vier, ein anderes führte drei
Zinken wie eine Mistgabel, das dritte trug einen Ring mit zwei Hörnlein.

Der Bauer erkannte im Halblicht die Fremde nicht. »Was sprengst du mir
die Tür?« schalt er. »Bist du eine Räuberin?«

»In meiner Verzagtheit hab ich es getan,« antwortete sie. »Verzeih mir,
Spiegelmann!«

Er schob sie weg und schaute lange und ernst hinein in das Glas. Dann
sagte er geheimnisvoll: »Ich seh es, du kommst wegen einer Liebschaft.«

»Siehst du meinen Schatz auch?« rief sie heftig. »Er ist mir verloren
gegangen. Wo find ich ihn?«

Er starrte in den Spiegel und sann auf eine hübsche Lüge.

»Merkst du was?« fragte sie voll Neugier. »Ich hab nur den Dreizahn
gesehen und den Hörnerbock und den Vierer.«

»Das sind die Zeichen der drei Heidengötter,« flüsterte er. »Weiberleut
sehen nur das im Erdspiegel. Und dann, bist du noch eine Jungfer, he?
Bist du nit schon einmal über das sechste Gebot gestolpert?«

»Aber hingefallen bin ich noch nit.« Sie kehrte sich verschämt ab.

»Es ist, als ob heut der Spiegel rauchig wär,« redete der Dullhäubel in
das Glas hinein. »Hätt ich nur das Zauberbuch nit verlegt, ich könnt
dir gleich verraten, wo sich dein Liebhaber herumtreibt.«

Da versuchte auch sie hineinzuspähen, und da sich ihr junger Leib dabei
derb an den Bauer schmiegte, ließ er sie gewähren.

Plötzlich schrie sie hell auf: »Da schaut er heraus, der Tischler
Franz, der mit mir hat Adam und Eva spielen wollen!« Und jäh sich
besinnend, starrte sie den Dullhäubel neben sich an und packte ihn beim
Bart. »Du bist es gewesen, Erdspiegler, der mir die Heirat versprochen
hat!«

Es war die Mechel Schellnober.

Er begehrte auf. »So kommst du mir? Mir, dem Dullhäubel? Ich kenn dich
nit. Ich bin ein verheirateter Mann. Willst du Unfried stiften in
meinem Haus? Gleich fahr ab, du Lügenwachtel, sonst schrei ich um den
Schergen!«

»Lügst du aber keck!« staunte sie. »Und du bist es gewesen, und wenn
du auch leugnest wie ein Spitzbub. Ich kenn dich an dem kugelrunden
Schädel, an dem roten Bart, an dem kurzen Hals. Denselben Filzhut mit
derselben Schnalle hast du aufgehabt. Komm einmal ans Licht hinauf! Du
willst dich weiß brennen, willst tun, als ob du die nackete Unschuld
selber wärst.«

»Das bin ich auch. Und den Hut hab ich mir erst gestern gekauft, du
zottige Gretel. Beweisen kann mir keiner nix. Und ans Licht geh ich
just nit, mir ist warm, und im Keller ist es schön kühl.«

»So steig ich allein hinauf, Erdspiegler, und klag es deinem Weib.«

Da stieß er sie zurück und sprang ihr voran die Stiege hinauf, lief
vors Haus und schrie: »Bäurin! Wabel, Reigel, Rosel! Kinder, kommt
schnell! Stasel, Kathel, Liesel! Sakerment, mir fallen die Namen nit
ein!«

Die Mechel erschrak, als sie auf einmal mitten in einem Ring von
Jungfern und Dirnlein stand.

Mit dem Finger deutete der Dullhäubel auf sie. »Weib, Kinder, die
mannsleutnärrische Schnudel da ist mir in den Keller nach, ganz
putipharisch hat sie nach meiner Unschuld begehrt. Aber ich bin ihr nit
ins Eisen gegangen.«

»Gibt es denn keine Wahrheit mehr auf der Welt? Hat der Schauer alle
guten Leut erschlagen?« weinte die Mechel. »Erdspiegler, du stellst
mich her, daß kein Hund mehr ein Bröckel Brot von mir frißt. Und du
hast mir versprochen --.«

Er ließ sie nicht ausreden. »Sie hat die Bubensucht; sie lügt, ich hätt
ihr die Heirat versprochen. Kinder, den Vater will sie euch nehmen, und
dir, liebes Weib, den Ehmann!«

»Sie soll dich nur mitnehmen,« sagte die Ogath.

»Was? Das wollt ihr euch gefallen lassen?« Seine Stimme verstieg sich.
»Und ihr jagt sie nit aus dem Hof?«

»Ich zeig dir schon, was es heißt, einen neuen Trieb kriegen,«
lachte die Bäurin wunderlich. Und sie fiel mit den Töchtern über den
Dullhäubel her wie Hündinnen über einen Bären, im Hui wälzte er sich,
die Hiebe fielen wie ein Schlossenschauer über ihn, er konnte sich
ihrer nicht erwehren.

»Blaumantel, hilf! Die Mannsleut müssen zusamm halten,« rief er.

»So, jetzt nimm dir ihn mit,« sagte die Bäurin zur Mechel, »wir
schenken dir ihn herzlich gern.«

»Ich mag ihn nit,« antwortete die Fremde. »Und zu wegen seiner wird aus
mir keine Klosterfrau. Die Welt ist kein Krautgarten, mein Glück wachst
überall.«

Mit trotzigen Schritten ging sie davon. --

Der Dullhäubel wurde durch die Schläge nicht gebessert. Am selben Abend
noch tat er dem Grazian Schande und Spott an.

Er spielte mit einem fremden Sautreiber im Wirtshaus bis spät in die
Nacht Karten. Der Meßner trank ihnen eifrig zu, denn der Sautreiber
zahlte ihm die Zeche, aber auf einmal lag er mit der Stirn auf dem
Tisch und schlief. Da löschte der Dullhäubel die Lampe, versperrte
die Fensterladen und tat mit seinem Spießgesellen in der stichdunkeln
Stube, als spielten sie weiter. Als die zwei immer wilder schrieen und
immer fester mit der Faust in den Tisch schlugen, erwachte der Grazian.
Er hörte sie die Trümpfe ausschreien und Farbe bekennen, und als er
nichts sah, stammelte er mit zitternder Stimme: »Leut, ich bin blind.
Ich hab mich blind gesoffen.«

Der Dullhäubel ließ ihn eine ganze Stunde in der entsetzlichen Meinung,
und am nächsten Tag lachte ganz Fuxloh über den blinden Grazian.

       *       *       *       *       *

Der Mai blühte aus.

Die Fuxloher hielten am Pfingstmontag abends vor der Kapelle eine
Andacht. Der abgedankte Meßner Grazian hatte den Weibern ein neues
Lied beigebracht, und sie sangen es, und der Bach sauste darein, der
geschwollen war, weil ein Wetter niedergegangen übers Gebirg.

    »Der Tag ist vergangen,
    der Abend ist hier,
    gute Nacht, o Maria,
    bleib ewig bei mir!«

Wie das Lied so herzerheblich hinüberflog über die Wiesen zum Wald,
daß alle, die da sangen, ihre Freude hatten, watete der Dullhäubel
durchs Gras daher, brachte einen Schemel mit und setzte sich abseits
den andern darauf. Und als die frommen Stimmen der Weiber sich in die
höchsten Höhen erflogen, stimmte er überlaut sein eigenes Lied an.

    »Wer will mit mir wallfahrten gehn,
    muß tragen ein Paar Schuh,
    muß Käs und Brot mitnehmen,
    muß aufstehn in der Fruh.«

Da wurden die andern in ihrem Lied langsam irr, eine Stimme nach der
andern verzagte und hörte auf, bis zuletzt nur des Dullhäubel traurig
gezogene Weise sich behauptete.

»Was irrst du uns?« schalt der Grazian betrübt.

Die Weiber redeten erbost auf den Störenfried ein. Der aber sagte: »Ich
sitz auf meiner Wies, und auf meinem Grund sing ich, was mir gefallt.
Ihr habt wie die Nattern gesungen. Was braucht ihr das neumodische
Schnaderhüpfel? Mein Lied ist allweil gesungen worden, seit die Kapelle
steht, und bleiben soll es, wie es bräuchlich gewesen ist.«

Da konnten die Fuxloher nichts dawider reden, sie verzichteten auf
den neuen Gesang, und der Grazian hub eine Litanei an. Doch auch sie
stockte bald, und besonders die Weiber wurden verwirrt und des Betens
überdrüssig, weil der Dullhäubel mit starrem Blick sie anschaute, als
wolle er sie verzaubern. Es wurde ihnen angst.

Schließlich begehrte der Grazian auf, dem die ganze Andacht verdorben
war: »Was schaust du so unsinnig her?«

»Mein Schemel ist aus neunerlei Holz,« sagte der Schelm.

»Ist das eine Antwort auf meine Frag? Wie steht es mit deinem Hirn?«

»Wer auf einem Schemel aus neunerlei Holz sitzt, sieht alle Hexen.«

Die Weiber fuhren auf wie gestörte Wespen. »Er beleidigt uns alle!«
schrie die Burgermeisterin.

»Du sei still,« warnte der Dullhäubel, »ich schau auf deinem Kopf ein
Krähennest.«

»Dem Kaiser soll man schreiben, daß er den Böswicht abschafft,« sagte
die Iglin.

»An deiner Nase hängt eine Fledermaus, Iglin. Grins nur her und zahn
mich an! Ich fürcht mich nit.«

Jetzt wagte keine mehr zu schimpfen, um des Dullhäubel Bosheit nicht
auf sich zu ziehen. Nur die Spuchtin rief: »Ist denn keiner unter euch
Mannsleuten, der sich unser annimmt und ihm den Herrn zeigt?«

Der Longinus Spucht duckte sich hinter dem breiten Schmied, und der
Schmied seufzte schwermütig: »Ach ja, alte Weiber gibt es genug auf der
Welt!«

Der Dullhäubel frohlockte: »Mein Guckähnel hat sieben Weiber gehabt,
und alle sieben hat er erschlagen. Zuletzt haben ihn tausend Engel in
den Himmel gehoben.«

Die Weiber standen auf und gingen, die Männer verliefen sich, und den
Grazian hörte man noch fern im Wald schimpfen.

Jetzt war der Dullhäubel mit dem Heiligen allein.

Dem hatten sie den welken Kranz aus Hagebutten, Silberdisteln und Heide
mit frischen Maiblumen ersetzt.

Der Wald nachtete ein, Mondlicht flunkerte in den Stauden, in der Wiese
knarrte der Wachtelkönig.

Der Dullhäubel riß den Heiligen aus der Kapelle. »Eine Kerze hab ich
dir versprochen, so lang wie eine Deichsel. Der Wachszieher aber bietet
solche nit feil, und so kann ich mein Wort nit lösen. Und du verdienst
es auch nit, Blaumantel. Wie oft ich dich anruf, du hilfst mir nit. Da
rinn den alten Weibern nach!« Er warf ihn in den Wolfsbach.

Da war ihm, der Blaumantel werde in dem angeschwollenen Bach lebendig
und drehe teuflisch den Kopf nach ihm zurück, rühre die Arme und
schlage Räder im Wasser.

       *       *       *       *       *

Am andern Abend, der Mond hing dürr und krumm und armselig überm
Vogeltänd, da kam die Wabel aus dem Dorf herunter gelechzt: »Bauer, ein
ganzer Schober Leut rennt daher, den Blaumantel begehren sie von dir,
Gabeln und Drischeln tragen sie und wollen dich erschlagen.«

»Du hast in ein Wespennest gestriegelt, Bauer,« sagte die Ogath.

Dem Dullhäubel rann es kalt über die Haut. »Verrammelt das Tor!« rief
er.

Seine Leute schleppten Eggen und Pflüge herbei und sperrten das Tor mit
Ketten, Wagen und Wiesbäumen. Die Fenster waren durch eiserne Gitter
gesichert.

Der Bauer selber stand am Dachboden und hielt zum Guckloch den
Schießprügel hinaus, womit die Erzväter gewildert hatten. Sein Weib
betete drunten, betete um einen glücklichen Ausgang, die Kinder knieten
totenblaß um sie.

Schon trampelten die Feinde den Waldweg daher, wie die Wölfe im Winter
kamen sie. Sie läuteten mit Kuhglocken, bliesen und lärmten.

Dreschflegel ragten über sie hinaus, Sensen, Hellebarden und abgedankte
Spieße. Die Gesichter waren berußt oder mit Moosbärten verhüllt, ein
tückischer Mummenschanz. Immer stärker wurde ihr Geschrei: »Hin muß er
werden! Haar und Kopf muß er lassen, der Schelmenbub!«

Jetzt stauten sie sich vor dem Gehöft, und der Dullhäubel sah sie
genauer. Es wimmelte und wibelte drunten. Die Hüte hatten sie mit
Reisig besteckt, die Röcke verkehrt, Männer hatten Weiberkittel an.
Einer hatte ein Hirschgeweih vor die Stirn gebunden, andere deckten
sich hinter hölzernen Larven oder trugen alte Kriegshelme oder stülpten
sich Körbe über den Kopf. Einer trug sogar einen Schnabel, die eiserne
Unzier, wie sie böse Weiber vorzeiten hatten tragen müssen am Pranger.

Der Dullhäubel meldete sich, ehe sie ihm das Haus stürmten. Vom
Guckloch rief er hinab: »Guten Abend miteinander!«

Da hoben sich die verlarvten Gesichter, uralte Faustbüchsen zielten
herauf, sie schrieen, pfiffen, läuteten mit eisernen Töpfen, und einer
blies wahnwitzig in ein Kuhhorn.

Auf einmal war es still. Ein kurzer Mann trat vor, Maul und Kinn
gedeckt mit einem wüsten Baumbart, und forderte aus verstelltem Hals:
»Gib uns den Blaumantel zurück, du hast ihn im Moos versenkt!«

»Meiner Seel, ich hab ihn nit!«

»Wo ist er dann? Du weißt es.«

»Der Blaumantel? Der schalanzt wo im Land herum. Traut ihm nit,
Fuxloher! Er kann sich nit ausweisen, nit einmal in der römischen
Kanzlei kennen sie ihn.«

»Wo der Heilige ist?« klang es wilder.

»Er ist zum Himmel aufgeflogen. Oder hat er sich eine bessere Kapelle
ausgesucht. Was weiß ich? Laßt mich in Ruh!«

Stimmen gellten: »Er spottet noch, der Schlechtling! Bis ins Schienbein
hinein ist er verwahrlost! Stecht ihm eine Lucke! Erstechen soll man
ihn! Erstechen!« Ein Spieß erhob sich steif aus dem Haufen.

»Wollt ihr mich auch verkrüppeln wie meinen liebsten Freund, Gott hab
ihn selig, den Müllner?« klagte der Dullhäubel. »Oder wollt ihr mich
umbringen? Leut, vergeßt euch nit! Geht hin, woher ihr gekommen seid!
Eure Weiber haben euch aufgehetzt.«

»Röhr nit, Fuchs! Uns kriegst du nimmer dran. Heut rechnen wir ab,«
stieg es aus der Tiefe.

»Was kommt ihr mit den Waffen daher? Ich bin ein friedlicher Mann.«

»Einen Igel fangt man mit eisernen Handschuhen,« antwortete es.

»Hütet euch!« beschwor er sie. »Ich hab den Erdspiegel, der ist im
Zeichen des Skorpions gegossen worden.«

»Den Spiegel zerschlagen wir dir. Abrechnen müssen wir!« scholl es wirr
durcheinander. »Wem von uns hast du noch nix angetan, du Schnittlauch
auf allen Suppen?«

»Liebe Landsleut, hört mir zu! Habt ihr schon einen Galgen gesehen? In
der Kriminalstube ist einer aufgemalt, zwanzig Schuh hoch, eine Leiter
dran, ganz blutig. Liebe Landsleut, habt ihr schon einen nacketen Sabel
gesehen? Der Scherg hat einen umgebunden, der Herr Anton Zinkinker,
ihr kennt ihn alle. Wie wird euch ums Herz sein, wenn er euch ins Haus
kommt mit dem Spieß am Gewehr, mit dem Federbusch am Hut, wenn er euch
die Hand auflegt und schreit« -- der Dullhäubel brüllte -- »wenn er
schreit: Im Namen des Gesetzes!!?«

»Wir fürchten uns nit. Es weiß keiner, wer wir sind,« scholl es. »Du
tanzt uns nimmer lang am Buckel. Wir legen dich kalt.«

Einer schrie: »Teufel, halt den Sack auf, diesmal ist der Kasper
zeitig.«

»Du bist der abgedankte Meßner.« Der Dullhäubel deutete hinab. »Deine
Stimme kenn ich. Und deine schelchen Achseln.«

»Du irrst dich,« antwortete der drunten, »ich bin heut gar nit da.«

Drunten wurden sie still, sie reckten die Köpfe zusammen und hielten
Rat. Es war die unheimliche Ruhe vor dem Donnerschlag. Dem Dullhäubel
rann der kalte Schweiß. Er wußte, jetzt müsse er den Fuxlohern anders
kommen, ehe es zu spät war.

»Der Kalender ist mir gebrochen,« kicherte er hinunter. »Ich weiß nit,
ist heut aller Narren Kirchfahrt oder der blinde Irtag. Geht heim und
legt euch ein ehrliches Gewand an, ihr verzweifelten Buben!«

Da rüttelten sie schon am Tor, daß das Haus bebte.

Der Dullhäubel reckte eine brennende Kerze zum Guckloch hinaus.
Verdutzt hielten die drunten ein.

»Sippschaft,« schrie er mit seiner grellen Stimme, »das ist eine
Kaiserkerze!«

»Blas sie aus! Sie geht uns nix an,« erwiderte ein Männlein, das die
Nase in einem Wetzsteinkumpf stecken hatte, so daß sie gespenstisch
lang erschien.

»Mein Ähnel hat sie am Schlachtfeld gekriegt, die Kerze,« sagte der
Bauer, »der Kaiser selber hat sie geweiht.«

Der Mann mit dem Kumpf aber rief hitzig: »Der Kaiser soll
uns -- -- --!« Kurzum, er tat, mit Ehren zu melden, eine landläufige
Rede, die sonst gar niemanden Wunder genommen hätte und die ihm auch
von keinem verübelt worden wäre. Aber der Dullhäubel fischte sie auf.

»Leut,« schrie er, »jetzt hat einer von euch den Kaiser beleidigt.
Drauf steht die härteste Straf, der Tod durch Pulver und Blei. Der
mit dem langen Schnabel dort und mit dem dicken Bart, der Longinus
Spucht ist es gewesen, der dem Kaiser die Arbeit geschafft hat.
Und du, Glöckelbauer, Burgermeister von Fuxloh, hast dazu mit dem
Kopf beifällig genickt, hast ihm Recht gegeben. Wenn der Kaiser das
erfahrt?! Und ihr andern, ihr steht da und habt es gehört und schlagt
den nit gleich auf dem Fleck nieder, der das kaiserliche Erzhaus
derartig beleidigt?«

Die Fuxloher wichen vor dem Spucht zurück wie vor einem Gezeichneten.
Ihnen hingen zerknirscht die Köpfe, die wilden Vorsätze waren aus dem
Geleis gesprungen. Ratlos schielten sie nach dem Burgermeister.

Der Schelm droben schmiedete sein Eisen. »Spucht, du weißt, was dir
bevorsteht: Pulver und Blei! Du tust mir leid.«

»Du wirst doch den Spucht nit dem Schergen angeben?!« sagte der
Glöckelbauer kleinlaut. »Das Angeben ist eine Schand, der Angeber steht
gleich hinter dem Totschläger.«

Eine kleine Gestalt mit langer Nase löste sich von dem Schwarm und
rannte in den Wald hinein.

Der Burgermeister meinte, er habe mit der Sache nichts mehr zu
schaffen, und verschwand. Einer nach dem andern verzog sich, und bald
war der Anger vor dem Hof leer, und die Dullhäubelleute räumten die
Verschanzung weg.

»Die Bockmelker, die Nebelschieber, die Heiligenfresser! Mit der
Feuerspritze gehen sie gegen den Mond los,« lachte der Schelm aus dem
Guckloch. »Meiner Seel, wenn ein Narr vom Himmel fallt, soll er auf
Fuxloh fallen, bei uns findet er die richtige Gemeinde.«

       *       *       *       *       *

Der Longinus Spucht rannte so scharf und rastlos durch den Vogeltänd,
daß ihm das Herz unbändig schlug und er fürchtete, es springe ihm aus
dem Maul heraus.

Seither wurde er nimmer gesehen. Sein Weib suchte ihn eine Woche lang
umsonst.

In wenigen Tagen umspannen wilde Gerüchte den verschwundenen Mann. Sein
schwarzer, zottiger Bart, die unruhigen, stechenden Augen und besonders
die verwegenen Räuberlieder, die er immer gesungen, verschafften ihm,
der ansonst ein wohlberüchtigter Mann gewesen, bald den Ruf eines
Weglauerers und Räuberhauptmanns.

Uralte Waldgeschichten vom Räuber Schierling tauchten wieder auf,
der den Leuten den Geldbeutel abgeschreckt und sie auf die Bäume
hinaufgejagt und schließlich heruntergeschossen hatte wie Kranwitvögel,
und vom bayrischen Hiesel, der von den Wanderern die Zunge als Maut
genommen und hernach sich das Messer gestrichen hatte an den Hosen. Gar
bald war auch der Spucht der Mittelkern solch gefährlicher Sagen, die
von einigen zufälligen Geschehnissen genährt wurden.

So gingen einmal die Dirnlein des Dullhäubel um Beeren und kamen weit
in die Wälder hinein. Da ward der kleinen Luzel bang vor der lautlosen
Öde, sie weinte, und um sie zu stillen, erzählte ihr die Stasel ein
Märlein. Ach, es fiel ihr gerade ein gar schauriges ein, daß ihr selbst
davor angst wurde!

Sie erzählte: »Und die zwei Kinder sind in einen Wald kommen,
und allweil tiefer und tiefer sind sie hinein, und der Wald ist
stockfinster worden vor lauter wildem Laub und krummen Ästen, und
noch immer hat der Wald kein End genommen. Auf einmal steht vor ihnen
-- -- -- das Räuberhaus.« Sie flüsterte dieses Wort, ins Herz davor
erschaudernd.

Im gleichen Augenblick standen die Kinder vor einer verwurzelten
Höhle, drin schlief der Spucht, eine Pistole in der Hand. Die Kleinen
rannten über Rain und Stein davon und sprengten hernach schreckliche
Geschichten im Dorf aus.

Bald darauf fand der Burgermeister, als er in aller Frühe vors Haus
trat, einen Zettel auf dem Zaun stecken. Es war ein Brandbrief.

Am Dorfanger berieten sich die Fuxloher. Sie sahen sich schon
als Abbrändler mit einem Bittgesuch von Haus zu Haus gehen. Der
Brunnkressenhannes, der am schönsten lesen konnte, las den in
bauchiger, derber Schrift geschriebenen Brief mit schauriger Stimme vor.

»Ihr Fuxloher Haderlumpen, Am Tag Medardi Brennt Dem Igelbauer Sein
Stadel. Wer Löschen Hilft, Dem Zünd Ich Auch Unter. Willst Du Wissen,
Wer Ich Bin? Schmecks.«

»Den Brief hinterlegen wir beim Gericht,« entschied der Burgermeister.

»Was hilft mir das?« klagte der Igel. »Wenn es lichterloh aus dem Dach
schlagt, was nutzt das Gericht? Der Nachtwächter muß die ganze Nacht um
meine Scheuer herum gehen.«

»Da müssen ein paar tapfere Leut bei mir sein,« wehrte sich der
Nachtwächter, »ich setz das Leben nit allein aufs Spiel.«

Der Grazian rief auf einmal: »Der Teufel schickt seinen Vorreiter
daher, der weiß euch Rat.«

Schon von fern winkte der Dullhäubel. »Leut, brennen wird es! Unsere
rote Henne hat gekräht.«

»Da habt ihr es,« greinte der Igel.

Der Dullhäubel zog die Nase hoch. »Brändelt es nit schon?«

Alle Augen richteten sich gen den Berghang, wo des Igelbauers
Wirtschaft war. Aber sie lagerte friedlich, und nur ein linder Qualm
hing über dem Rauchfang.

»Dullhäubel, spaß nit!« mahnte der Glöckelbauer. »Der Schrecken ist mir
ins Knie gefahren.«

Der Brunnkreßner legte den Brandbrief zusammen. »Der Schreiber ist in
keine gute Schul gangen,« sagte er mißbilligend, »jedes Wort hat er mit
einem großen Buchstaben angefangen. Das ist falsch.«

»Ganz recht ist es,« stritt der Dullhäubel. »In einem Brief schreibt
man alles groß, daß keine Beleidigung geschieht.« --

Die Fuxloher forschten nicht nach, wer den Zettel geschrieben. Aber die
Brandwächter, die nachts um des Igels Scheuer lungerten, hielten die
Schießprügel fest und warteten, und der Nachtwächter sagte halblaut:
»Der Spucht, der rennt einem ohne weiters das Messer hinein. Er hat ein
kaltes Herz.« --

Der verrufene Mann irrte indes auf Diebssteigen in den Wäldern des
Lusens, fraß Krauselbeeren und hauste in einem umwurzelten, umknorrten
Loch, eine Eiche hatte dort die Fänge eingeschlagen. Er spürte hinter
jeder Staude Schergen und kaiserliche Reiter und sah den Himmel voller
Galgen.

Nur wenn ihn der Hunger gar zu hart peinigte, traute er sich an eine
Einschicht heran und half den Leuten, die den Mann mit dem wilden Bart
nicht kannten, das Gras mähen und verlangte dafür Suppe und Brot. »O
weh,« seufzte er oft, »wenn die einöden Leut hören, daß ich den Kaiser
geschändet hab, sie werden mir nix mehr geben, und ich kann Holzobst
fressen wie die wilden Säu!«

Er führte eine ungeladene, zerbrochene Pistole bei sich und wäre arg
verlegen gewesen, wenn er damit ein wildes Tier hätte abwehren müssen.

Er ward schwermütig. Er dachte, jetzt käme er nimmer heim zu seinem
Weib und nach Fuxloh. Und Eisen und Zuchthaus warteten auf ihn. Pulver
und Blei!

Am schlimmsten war ihm in der Nacht, wenn die Eulen wimmerten, finstere
Bäche unheimlich für sich hin redeten, schwarze Bügel flogen und
Gespenster schwärmten. Da nahm der Spucht oft vor der eigenen Angst
Reißaus und geriet in fremde, abseitige Schluchten und fremdes Gestrüpp
und Gesträuß und fand lange nicht zurück in die bekannte Gegend.

Einmal ging er nachts auf einem fremden Holzsteig, der war so
unheimlich, als ob der Teufel dort herumstinke. Der feurige Mond
leuchtete, hinter finstern Stauden brummte ein Hirsch, verzagte
Wacholderstöcke standen karg und schaudernd im Wind. Und wie der Spucht
so einschichtig durch die Wildnis strich, sah er auf einmal am Weg
einen Mann, der schien zu lauern.

»Halt, Longinus, das gilt dir!« dachte der Spucht. Die Ohren sausten
ihm.

Der Mond verkappte sich hinter einer dicken Wolke. Die Moosgeiß rief
gespenstisch wie eine verirrte Kuh, und entsetzt rannte ein Bach aus
dem finstern Wald. Fern leuchtete eine Einschicht auf.

Der Spucht nahm sein Herz in die Hand, ging auf den scheulichen
Kerl los, nahm den Hut ab und sagte gar erbärmlich: »Ich bitt um
Verzeihung, Herr, ich hab mich verirrt. Wie heißt denn der Wald da?«

»Totenkopf.«

»Und der Bach da?«

»Mörderbach.«

Nach der Einschicht fragte er nimmer, denn der Bösewicht hätte gewiß
geschrieen, sie heiße »Stichzu!« und wäre mit einem langen Messer
hergesprungen.

Der Spucht kehrte sich um und stotterte ein Schutzgebet: »Gott, steure
mich ins Himmelreich!« Die Zähne schepperten ihm, er meinte, jetzt
pfeife ihm eine Kugel in den Rücken. Er rannte, bis er mit dem Bart in
einer Dornstaude hängen blieb.

Die Einöd ist des Menschen Feind. In der Einöd ist alles zu fürchten.

Dort steht ein Wald, brandig und dürr bis in den letzten Wipfel hinauf,
geisterhaft rieseln die roten Nadeln nieder. Das Gespenst eines
Holzknechtes, den ein stürzender Baum erschlagen, erwürgt diesen Wald.

Dort ist ein Gehölz, und geht man nächtens dort, da fragt vom Wipfel
ein Unbekannter herunter: »Wohin?«

Dort in der Schlucht ist ein Jäger für immer verschollen. Oft schreit
sein Geist drin auf.

Der Spucht starb jede Nacht vor Furcht. Und mancher Baum reckte ihm die
festen Äste hin und knarrte: »Häng dich auf, Spucht!«

Von Heimweh getrieben, schlotterte er schließlich gen Fuxloh.

Die Bäume verdüsterten sich schon, als er durch den Vogeltänd huschte.
Es wurde wieder unheimlich. Eine Unke läutete im Moor, sie rief
wie eine verlassene Wittib. Ein Dämmervogel strich. »Es ist eine
Schneiderseel,« flüsterte der Spucht und bekreuzte sich.

Mitten im zerfahrenen Hohlweg lauerte ein Mann genau so wie der im
Totenkopfwald am Mörderbach bei der Einschicht Stichzu. Oder war es
gar ein Spießwächter? Wird er nicht jetzt wie ein brennender Löwe
herspringen, den Scheuchhund neben sich?

Alles war karthäuserisch still. Der Wind rührte nur einen einzigen Ast,
und der knarrte. Ein Klagweiblein schwang sich in die Luft, flatterte
und schrie.

Der Spucht faßte Mut und schrie: »Ich schieß dich nieder, Hund, daß
du meckerst! Ich laß dir das Messer hinein, daß es dir hinten wieder
hinaus steht!«

Der im Hohlweg aber lachte grausig.

Da schrie der Spucht: »Bist du geheuer oder nit?«

Der Dullhäubel stand wie der Teufel da. »Wo nebelst du herum, Longinus?
Zieht dich das Gewissen her?«

»Bauer, Gnad und Erbarmen! Verrat mich nit!« flehte der Spucht.

»Die Soldaten suchen dich, Longinus, zwölfhundert Mann mit einer Kanon,
der Feldmarschall Laudon führt sie an. Der Kaiser darf sich den Schimpf
nit gefallen lassen.«

»Ich renn über die bayrische Grenz,« stöhnte der Spucht.

»Dann wird ein Kriegsfall draus; der Laudon verlangt, daß du
ausgeliefert wirst.«

»Mein Gott, soll unschuldiges Blut auch noch rinnen! Und ich hab es ja
nit bös gemeint. Was soll ich tun? Bauer, sag mir einen Ausweg!«

»Stell dich reumütig dem Richter!«

Und der Dullhäubel stolperte davon und jodelte:

    »Ich bin mit dem Kaiser
    von Östreich in Stritt,
    der Scherg will mich fangen,
    er hat mich noch nit.« --

       *       *       *       *       *

Frühtags stand der Spucht wie ein Schlottergeist in der Amtsstube des
Landschergen Anton Zinkinker in Blaustauden.

Der Scherge legte sich gerade in der Kammer daneben das
kaiserlich-königliche Gewand an. Inzwischen schaute sich der Spucht in
der Stube um.

Verweisend blickte das Bild des Kaisers von der Mauer herab, und
darunter drohten ein Schleppsäbel und eine Doppelflinte. Über dem
Schreibtisch in geschnitztem Rahmen hing ein Schriftstück, darauf waren
Gewehre und Säbel, gekreuzte Pistolen und kriegerisch gefiederte Hüte
aufgemalt, und es flog den Spucht geradezu ein Frost an, als er die
blutgierigen Dinge so hart bei einander sah. Und über all dem wilden
Werkzeug stand geschrieben:


        Belobungszeugniß

    Uiber Antrag der k. k. Bezirkshauptmannschaft Hirschenbrunn
    wird dem Landschergen Anton Zinkinker für die mit unermüdlichem
    Eifer und besonderer Ausdauer bewirkte Zustandebringung
    des flüchtigen Dieben Franz Netachlo hiermit die belobende
    Anerkennung ausgesprochen.

Die Unterschrift war nicht zu lesen, aber so dick und so groß durfte
sich gewiß nur der Kaiser unterschreiben. Der Spucht knickte zusammen,
und seine Schuld erschien ihm bodenlos.

Der Landscherge trat herein. Er hatte denselben Bart wie der Kaiser am
Bild. Den Säbel riß er von der Wand, gürtete ihn um und fuhr den Spucht
grob und kurz an: »Was wollen Sie?«

»Die Waffen liefer ich aus,« stotterte der und legte seine Pistole auf
den Tisch. »Und ich bitt, führen Sie mich vors Kriegsgericht. Sonst
erdruckt mich das Gewissen.«

Der Anton Zinkinker rollte ihn an: »Was haben Sie verbrochen?«

»Ich bin der Longinus Spucht aus Fuxloh. Ist denn in der Zeitung nix
von mir gestanden? Wegen der kaiserlichen Beleidigung?«

»Ich weiß nix«, brummte der Scherge. »Wenn Sie aber durchaus im
Zuchthaus Spinnen und Fliegen fangen wollen, so kommen Sie mit. Ich hab
sowieso in der Stadt zu tun. Reden Sie dort mit dem Richter!«

Er schulterte das Gewehr, auf seinem Hut nickte der kriegerische
Hahnenschwanz, und er ging stolz und steif, die Brust heraus, und
schaute nicht rechts und nicht links. Neben ihm trippelte der
Armesünder mit geknickten Knieen, als führe sein Weg schnurstracks zum
Galgen.

Die Leute, die ihnen begegneten, freuten sich. Sie sagten: »Es ist gut,
daß sie den Raubmörder einführen. An dem Bart sieht man es ihm an, was
er Blutiges imstand ist.« Oder: »Dem Spucht hab ich es oft gesagt,
daß wir uns im Zuchthaus sehen werden. Ein verwogener Raufer ist er
gewesen, überall dabei.«

Er nahm alles zerknirscht hin.

In Hirschenbrunn rannten ihm die Kinder nach und deuteten auf seinen
wildmächtigen Bart.

Als er ins Gerichtshaus trat, war ihm, er müsse tot umfallen. Er sah
sich noch einmal um und wisperte: »Blaue Luft und grünes Gras, behüt
euch Gott! Berg und Wald und Hirsch und Reh und Weib und Kind, ich seh
euch nimmer. Mein Lohn ist Pulver und Blei.«

In einer Kanzlei empfing ihn ein alter Herr, sein Bart war weiß wie
Rauhfrost, doch die Augen funkelten ihm scharf und jung.

Er ließ ihn hart an: »Sie sind also der berüchtigte Räuberhauptmann
Spucht?«

»Taglöhner und Holzhacker bin ich, sonst nix, Euer Gnaden,« stammelte
der Spucht.

»Wieviel Menschen haben Sie ermordet?«

»Keinen, um Gotteschristi willen, keinen!« schwur er entsetzt.

»Warum haben Sie den türkischen Kaiser beleidigt, Sie Grobian? Hat er
Ihnen etwas getan?«

»Ei, gibt es einen zweiten Kaiser auch noch?« Der Spucht ließ das Maul
offen vor Verwunderung.

»Weh Ihnen, wenn ich noch einmal etwas Ähnliches von Ihnen erfahre!
Dann kenn ich keine Gnade mehr,« drohte der Richter. »Und nun kehren
Sie in den Schoß der Gemeinde Fuxloh zurück! Vorerst aber lassen
Sie sich vom Balbierer nebenan auf meine Kosten den Bart stutzen.
Verstanden? Hinaus!!«

       *       *       *       *       *

Die Fuxloher wollten wallfahrten gehen.

Sühnen wollten sie, daß einer von ihnen sich an dem Heiligen
vergriffen; sie wollten verhindern, daß ob dieses Frevels der Himmel
mit schwarzen Wettern auf Saat und Frucht niederschlage, die der
verschollene Blaumantel nimmer schützte. Und weil die Not kein Gesetz
kennt, wollten sie an überheiligem Ort bitten, daß der Erzschelm
Kasper Dullhäubel bald von der Erde weggeräumt und der Hölle
überliefert werde, die er sich reichlich verdient hatte.

Der Meßner Grazian wurde frühzeitlich von dem Uhrgewicht geweckt, das
von der Höhe herab mählich auf seine Stirn gesunken war. Er lugte zum
Fenster hinaus, wie der Wind gehe und ob kein gefährliches Gewölk
hänge zwischen den Bergen Rachel und Lusen. Doch stand der Himmel hell
gespannt über dem Land, und das Wetterglas stieg. Da stiefelte er sich
festlich, knüpfte sich ein rotes Halstuch unter dem Adamsapfel, band
grobes Geld ins Schneuztuch und weckte den Brunnkressenhannes.

Der Hannes blies gewaltig ins Kuhhorn, und droben im Dachreiter des
Glöckelbauern rührte sich das Geläut. Jedes Gehöft sandte seine
Leute zur Wallfahrt aus; Alte und Kinder, die ansehnlichsten und die
mindesten Fuxloher kamen daher, denn es gab schier keinen im Ort, dem
der Dullhäubel nicht einmal eine Schalkheit angetan hätte.

Bald waren sie wegfertig.

Vier schwangere Bäurinnen holten aus der Kammer des Grazian eine
geschnitzte heilige Walburga. Der Igelbauer trug auf einer Stange den
heiligen Kölbel, der die Wallfahrer schützt auf ihrer staubigen Reise;
der Brunnkressenhannes schwenkte die Männerfahne, der Spucht lenkte die
Weiberfahne, und der Hahnenwirt ging mit dem gekreuzigten Herrgott.

Die Dirnen hatten die Zöpfe mit Myrten und holden Zaunblumen geziert,
und auch die uralte Ulla ging mit, das silberne Haar hatte sie gelöst
und sie durfte es so tragen, weil sie eine Jungfrau war.

Sie trugen Zehrung in Zwilchsäcken mit und in Bündeln, mancher hatte
sich weislich mit einem Regenschirm versehen.

Als die Kreuzschar singend auszog, lag der Dullhäubel auf einem Bühel.
»Ich kann nit mitgehen,« schrie er ihnen nach, »auf der Ferse wachst
mir ein Hühneraug, so groß wie eine wallische Nuß.«

Der Grazian schüttelte den Schirm. »Spott zu! Du hast bald
ausgespottet!«

»Wie meinst du das, du Vaterunsermühl? Willst du vielleicht gar bitten,
daß ich bald hin werd, du Weihbrunnkrug? Haltest du unsern Herrgott für
einen Schuft, der sich kaufen laßt, du augendreherischer Meßner? Geh
zu und verricht dein kniebeuglerisches Geschäft!«

»Rennen wir, sonst wirft er uns ein paar unschöne Wörter nach!« drängte
der Hannes.

Der Schelm am Bühel näselte, den Grazian nachahmend, der eilenden
Kreuzschar seinen Spott nach.

    »Die schönste Zeit ist eingetroffen,
    die Einkehrhäuser stehen offen,
    singt, Wallfahrer, sauft nur zu,
    schnürt euch die Schuh mit dem Strohhalm zu!«

Der Schmied Sulpiz Schlagendrauf wollte gegen den Sänger losgehen, doch
der Grazian hielt ihn beim Rock. »Herr, vergib ihm!« seufzte er mit dem
Blick nach oben.

Der Dullhäubel lachte und schalt: »Ihr Nothälse, ihr habt alle nix,
müßt euch die Schuh mit Rotz schmieren! Ihr Zipfelhaubenbauern, ihr
Waldesel, stehlt euch nur wieder einen buchsbaumenen Heiligen!«

Knirschend zog die Kreuzschar davon. --

Der schwänkische Mann schlenderte vergnügt heim, weil er den
Wallfahrern den rechten Segen mit auf den Weg gegeben hatte.

Aber als er zur Kapelle kam, war ihm, der helle Donnerstrahl schlage
vor ihm nieder: der Blaumantel stand wieder drin, mit hellen Farben
neu bemalt, den Kinnbart reichlich vermehrt und verlängert, den Blick
weit greller und stechender als früher.

»Der Teufel blendet mich!« krächzte der Dullhäubel.

Doch der Teufel äffte ihn nicht, sondern munkelte ihm ins Ohr. Da
schaute der Schelm sich pfiffig um, und als er nichts Lebendiges merkte
als einen Vogel, der auf einem Tannenspitz rastete, und nichts hörte,
als ein paar Dompfaffen und Teufelsmeßner im Wald, nahm er den Heiligen
beim Genick und schleifte ihn auf heimlichem Steig zu dem alten
Backofen, dort schob er ihn hinein und zündete ihm höllisch unter, und
der Blaumantel fing an zu prasseln und zu knallen und sang wie die drei
Jünglinge im Feuerofen.

Mit leichtem Gewissen ging der Dullhäubel zum »pfalzenden Hahn«.

Wirt und Wirtin waren auf der Wallfahrt. Das Dorf war wie ausgestorben,
nur das Vieh hörte man glöckeln auf den Hutweiden.

Da stieg der Dullhäubel durchs Fenster in die Stube, legte ein paar
Guldenzettel auf den Tisch und stach sich ein Faß an. »Jetzt, Seel,
spring aufs Geripp, sonst ersaufst du!« lachte er und zechte gewaltig
und ebenbürtig den Vorfahrern, die im Jahr nur zwölfmal aus dem
Wirtshaus heimgekommen waren.

Erst als das Abendglöckel läutete und der Fuchs im Steinriegel den
Hühnersegen betete, taumelte er heim vom Leichentrunk des Blaumantels
und stieg, der Ogath nicht in die Hände zu fallen, ganz sacht auf den
Heuboden und wühlte sich dort ein. --

Der Spucht schwenkte die schleißige Fahne, darauf die Notburg gemalt
war, wie sie die Sichel an den Lichtstrahl hängte.

»Ewig leid ist mir um den Blaumantel,« seufzte der Grazian, »der ist
auch ein starker Himmelsfreund gewesen, hat einen Nagel in den Nebel
geschlagen und die Stiefel dran gehängt.«

Er lugte durch die messingenen Brillen, die er aufgesetzt hatte, die
Wallfahrt zu verschönern, ins Gebetbuch; die Wangen glühten ihm,
weil er sich heute wichtiger wußte als die andern Fuxloher, den
Burgermeister mit einbegriffen, eine Litanei nach der andern näselte
er der Kreuzschar vor und hörte nimmer auf. Er hatte sich gelobt, den
Dullhäubel tot zu wallfahren.

Bergan ging es, alle stapften stumm, der Berg nahm ihnen den Atem.
Nur als sie zu einem hochgelegenen, wenig ergiebigen Acker kamen, der
zum »pfalzenden Hahn« gehörte, da hielt der Wirt das Kreuz, das er
trug, darüber, schüttelte es zornig und schrie: »Da schau dir ihn an,
Herrgott! Ist das ein Hafer?«

Oben auf der Schneide, wo man den letzten Blick über Fuxloh genießt,
ehe es hinter Berg und Baum versinkt, da kehrten die vier Weiber mit
der Walburga um, und der Grazian rief seiner Schar zu: »Da schaut hin,
da seht ihr noch einmal euer liebes Vaterland!«

Sie wallfahrteten von Staude zu Staude, talnieder und bergauf durch den
blauen Sommer, wateten durch die seichten, felsklaren Bäche, die krumm
und weitläufig daher rannen, schritten über wackelnde Stege und feste
Brücken; übermütig flatterten die Fahnen. Helle und dumpfe, reine und
krähende Stimmen sangen dem Vorsänger die Weise nach und beteten aus
morschen Büchern, daß die Wälder erschollen, die Scheuern widerhallten
und die Dörfer, die sie durchwallten.

Die Ulla, die ihr Lebtag noch nicht viel weiter als über die
Dachtropfen ihrer Hütte hinausgekommen war, wunderte sich ein über das
andere Mal: »Leut und Kinder, ist die Welt aber groß! Jetzt steht dort
droben auch noch ein Haus!«

Barfuß ging sie dahin, die Schuhe am Stecken über die Achsel gehängt.

Und der alte Didelmann hüpfte hin und wieder behend in eine Einschicht,
um sich den Ziegel wärmen zu lassen, den er am Bauch trug.

Wie an einem weißen Band waren die Dörfer an der Straße aufgereiht,
und wo die Kreuzschar zog, schwangen sich die Glocken in den kropfigen
Türmen und schlanken Dachreitern, lenkten und schwenkten und senkten
der Brunnkreßner und der Spucht die Fahnen, trug der Hahnenwirt den
Herrgott und der Igel seinen Stangenkölbel um die Kirchen und traten
singend hinein, dem heiligen Wolfgangi und dem Isidori und dem Prokopi
einen kurzen Gruß zu bieten, und hernach wanderten sie den Weg weiter,
der hübsch krumm talein, talaus sich schlängelte gen Maria-Dorn.

Stauden grünten am Steig, es hingen rote Blumen drin, der Tau flocht
Rosenkränze, ein zarter Wind rührte scheu an Korn und Wald, Vögel
schwätzten und wirbelten, der Specht, der Holzknecht, hackte lustig den
Tann an, und über dem allen gewölbt hing der muttergottesblaue Himmel.

Bäche schossen daher aus Klüften und Gründen, verborgene Mühlen
murmelten in den Schluchten, und vom Turm des heiligen Bartholomä, der
das dreieckige Fenster hatte, das die Kinder das Auge Gottes hießen,
von dem Turm rief neckisch die Glocke immer wieder: »Klingeleisen,
Bügeleisen!«

An einer zerfallenen Burg wallten sie vorbei, drin nach der Sage ein
verwunschener Schnapphahn geisterte. Die Buben riefen in den Keller
hinein: »Zinnspanner, komm heraus!« und huschten wie gescheuchte
Hirschlein davon.

Mit leisem Schauder schritt die Schar an dem Pesthügel vorbei. Und
manch sonderbarer Heiliger wartete am Weg und wollte lobsungen sein
und ein blaues oder buntes Kränzel empfangen. Die Muttergottesfahrer
kannten meist den Namen und die Geschichte dieser Heiligen nicht,
sie deuteten und benannten sie aus ihrer Einfallt heraus, wie sie es
verstanden oder einmal hatten erzählen hören.

Im Schatten seiner rostigen Strahlenscheibe stand auf einem Bein ein
solch namenloser Himmelsmann; das andere Bein, das er an sich gezogen
hielt, mochte ihn schon schmerzen. Doch schnitt er trotz seiner Marter
ein vergnügliches Gesicht. Dreißig Jahre soll er nicht gesessen noch
gelegen sein und habe mit dieser Peinigung das Himmelreich an sich
gerissen.

»Nehmt euch ein Beispiel an ihm, Fuxloher!« sagte der Grazian und
versuchte ein wenig auf einem seiner spandünnen Beine zu stehen. Und
alle drängten zu dem steinernen Weihbrunn hin und besprengten sich
eifrig.

Vor dem Wermutdörflein -- so hießen sie den Ort, weil im Wiesental
rings soviel Wermut blühte -- vor dem Dörflein stand das Hasenmarterl.
Darauf freuten sich die Kinder schon den ganzen Weg, und die Mütter
trösteten die müden Kleinen damit.

Der Grazian erzählte, ein Bauer habe einmal Sonntags so hitzig einen
Hasen gejagt, daß er die Messe versäumte, und drum habe er zur Sühne
die winzige Kapelle gestiftet.

Drin saß nun das heilige Kind mitten unter tanzenden Hasen, und die
Kreuzschar lachte hinein und ergötzte sich an dem drolligen Tanz, und
die Kinder wollten schier nimmer weiter und wollten immer wieder die
Hasen sehen.

Doch der Meßner drängte, und sie folgten ihm. Er betete ein Gebet nach
dem andern und rief immer aus, wem es gelte. »Wollen wir ein Vaterunser
beten für unsere schwertragenden Weiber!« forderte er, und sie beteten
mit klaren und hohlen Stimmen. Und weiter rief er: »Ein Vaterunser für
solche, die auf hohen Wassern fahren! Und noch eins, daß Kraut und
Hafer gedeihen in der Gemeinde Fuxloh!«

Hernach zog er einen pfiffigen Mund und sprach: »Jetzt wollen wir ein
Vaterunser aufopfern für alle, die gern mitgegangen wären! -- Und eins
für die, die nit haben mitgehen können! -- Und eins für die, die nit
haben mitgehen wollen!«

Er goß einen Schluck kornenen Branntwein in sich, und da eben ein
urwinziges, weißes Wölklein aufstieg, rief er: »Jetzt wollen wir beten,
daß wir in einem trockenen Regen gehen!«

Doch oft hob er stark und geheimnisvoll die Stimme: »Aber jetzt beten
wir recht inbrünstig und herzhaft für den guten Ausgang einer gewissen
Sache!« Da sah er schon vor dem gesammelten Stoß der Gebete den
verruchten Dullhäubel hintaumeln auf den Totenschragen und überliefert
den gespreizten Krallen der Hölle.

Da setzte die Gemeinde gewaltig ein, und es klang wie eine sonderbar
wirre Orgel. Doch galt alle Inbrunst dieses namenlosen Gebetes nicht
dem Tod des Schelmen, sondern jeglichem glühte ein anderes Anliegen im
Herzen.

Der Brunnkressenhannes wünschte sich den Wurm weg, der ihm im Finger
tobte; der Didelmann wollte sein inneres Leiden erleichtern, und die
Glöckelbäurin wollte ihren Zopf aufhängen am Arm der Muttergottes,
die Haare waren ihr ausgefallen in schwerer Krankheit; der Lukas
Schellnober trug seinen Stockzahn gen Maria-Dorn, und die Mechel
wollte dort um einen Mann bitten, nur um keinen rotköpfigen. Der eine
wallfahrtete wegen des Mausfraßes, der andere seinem kranken Roß, der
dritte seiner trächtigen Kuh zulieb. Die Ulla schleppte ihr schweres
Herz mit, das sie in verfluchtem Hexentum verloren wähnte.

Der Lippenlix ging auch mit, weil ihm der Dullhäubel den Bart
geschändet hatte. Er war ein solcher Spielteufel, daß er selbst im
Gehen mit seinesgleichen Karten spielte, und nicht eher ließ er davon
ab, bis ihm der Lukas Schellnober die Eichelsau aus der Hand schlug.

Weiter ging es.

Sankt Peter, der Wettermacher, grüßte aus seinem blauesten Fenster. Auf
den Blockhalden glühten schlanke Weidenröslein, Stauden einsiedelten
auf traulicher Heide, die Wiesen lagen rot und weiß und gelb
gesprenkelt, und ihre tausend Tauäuglein glühten. Lerchenträchtig war
der Himmel. Hasen reckten die Löffel aus Klee und Ginster, Spechte
spähten, die Eichkatze staunte aus dem föhrenen Wald, der Grill
lauschte im Gras auf, wenn die Bittfahrer vorübersangen. Bienen und
schöne goldige Fliegen sumsten heimlich die Marienweisen mit.

Gar als der Kuckuck vom Berg jauchzte, da rief die Ulla, der sich die
Welt auf einmal gar so unheimlich weit auftat, freudvoll aus: »Der
Fuxloher Guckauf ist mit auf der Wallfahrt, ich kenn ihn am Schrei!«

An einem Hang voll gelber Rainblumen hoch oben auf einer Säule stand
ein Steinmann, mit den Füßen mitten drin in einem Strahlenkranz.
Ihn hießen sie den heiligen Grobian, weil er der Straße und ihren
Wandersleuten den Rücken kehrte.

»Das ist eine Wundersäule,« sagte der Grazian, »sie dreht sich
langsam.«

Der Didelmann, der der älteste Mann von Fuxloh war, erzählte: »Vor
fünfzig Jahren, ich denk es noch, hat der heilige Grobian mit dem
Gesicht noch auf die Straße geschaut. Ganz langsam dreht er sich, alle
Jahr gibt es ihm einen geringen Ruck. Merkt auf, Kinder, wenn ihr in
fünfzig Jahren wieder da vorüber geht!«

Die Ulla aber redete: »Ihr sollt ihn nit den Grobian schelten! Wer
weiß, ob derselbige nit durch sein Blut hat ins Himmelreich schwimmen
müssen? Wer weiß, ob die schlimmen Heiden ihn nit mit Blei, Öl und Pech
begossen haben?«

Da graute allen, und sie knieten reuig vor dem gescholtenen Heiligen
hin. Nur der Brunnkressenhannes nicht, denn seine Filzhosen waren so
dick, daß er drin die Kniee nicht biegen konnte.

Der Spucht schneuzte sich gerührt in den Hut.

Durch Drosselwälder und über Kuckucksberge wallend, stießen sie auf
eine abgebrannte Florianikapelle; sie war nimmer aufgebaut worden, weil
man den heiligen Feuerherrn nicht mehr traute, der das eigene Haus
nicht beschützt hatte.

Vor mancher Bildsäule warf sich die Kreuzschar in die Kniee.

Da war der selige Simandel. Der hieß so, weil er gar erbärmlich geduckt
stand, als fürchte er eines scharfen Weibes Angriff. Vielleicht hatte
er in einem demütigen Ehestand die Marterpalme errungen.

Einmal führte der Grazian seine Herde zu einem Felsen und zeigte ihnen
darauf ein Loch, das hatte der Bischof Wolfgang auf der Reise mit
seinen Füßen hinein getreten.

Er wies ihnen einen hohlen Stein, der war der Sessel der glorreichen
Frau gewesen auf der Flucht, bis sie ein Geißhirt davon vertrieb mit
rauhem Schelten und Geißelknall.

Er führte sie zu einem wunderbar riechenden Dornbusch. Dort hatte einst
ein Bittfahrer ein geweihtes Gottesbrot erbrochen, und an selbem Fleck
war hernach die Staude gewachsen. Jetzt steckten die Fuxloher andächtig
schnüffelnd die Nasen darein, stumpfe und spitze, weiße, rote und blaue.

Einen Heiligen trafen sie, der rastete mit durchbohrtem Leib mitten in
hohen Disteln drin, verzückt in sein Leid. Ein Stieglitz wiegte sich
auf einem der vielen Distelköpfe und letzte sich dran.

Die Kinder wollten wissen, warum der Marterer den Spieß im Bauch habe;
niemand konnte es ihnen deuten.

Ein Hirt lagerte unter einem nahen Haselnußbaum, der rief: »Der
Herrgott hat unserm Heiligen zwei Zungen gegeben, daß er ihn besser
loben kann.«

Den Grazian verdroß die Prahlerei arg, und er knurrte: »Unser
Blaumantel hat drei Zungen gehabt. Ich bin ein steifgläubiger Mann,
aber gegen unsern Heiligen gilt euer Distelbub einen Pfifferling.«

Der Hirt raffte sich neugierig auf. »So seid ihr die Fuxloher, die die
Heiligen stehlen? Bei euch sollen ja mehr Spitzbuben als gestutzte Hund
sein.«

Das ergrimmte den Hahnenwirt, und er schlug mit dem gekreuzigten
Herrgott auf den Spötter los, der aber wehrte sich verbissen mit
seinem krummen Stecken. Der Lukas Schellnober tat schließlich die zwei
auseinander.

»Dazuland sind die Hirten grob, das ist wahr,« schimpfte der Grazian,
als sie schon weit von dem Distelgarten waren. »Kein Wunder, wenn die
Muttergottes davon rennt! Setzt dem Teufel eine Säul her!«

Mit hellen Augen sah die Ulla all die fremden Kapellen und Bilder der
Heiligen, die auch nach dem Tod nicht ermüdeten, Wunder zu wirken, und
sie konnte sich vor lauter Ehrfurcht nicht genug tun, und als vor einem
jähen Straßenabsturz eine Säule stand, die Fuhrleute zu erinnern, daß
sie hier den eisernen Schuh unter das Rad zwängen sollten, da ließ sich
das Weiblein es nicht nehmen, sie kniete hin und betete gläubig hinauf
zur Gibachtsäule.

»Heiliger Radschuh, das sollt der Dullhäubel sehen!« lachte der rauhe
Schmied.

Unter einer breiten Linde, in deren Laub es sommerlich summte, rastete
die Schar.

Der Longinus Spucht lehnte das Notburgisfähnlein an den Baum und setzte
sich auf eine Wurzel. Er hatte himmelblaue Hosen an und rote Strümpfe,
er starrte auf die brennenden Waden und dachte zurück an die wilden
Nächte am Lusen, während sein Weib am nahen Feld viereckigen Klee
suchte, daß sie Glück habe.

Die Kirchfahrer holten ihr Brot hervor, schmierten Schmalz darauf oder
häuteten eine Wurst. Die Mütter zöpften die Dirnlein, die sich das Haar
an den Stauden zerrauft hatten.

Die Ulla fand ein paar Silberdisteln, sie schnitt den fleischigen Boden
davon ab und aß ihn. »Das ist kein schlechtes Obst,« dachte sie.

Sie strich wunderlich erregt in der Nähe der Raststatt herum. Sie fing
einen bunten Weinfalter, der gar nicht scheu war und der Menschen
Arglist nicht ahnte, und tat ihn in ein Schächtlein; sie zupfte
Dornblumen ab und zierte sich den verrunzelten Kopf. Und als sie eine
dichte Staude auseinander bog, erschrak sie bis ins innerste Herz:
da lag verborgen der Marterheiland, kraftlos niedergesunken an der
Geißelsäule, ein grauer Stein. Und halblaut sang die Uralte:

    »Unser Herrgott liegt im Moos
    gepeinigt und zerschunden,
    zählt die fünf bittern Wunden,
    und sein Schmerz ist groß.
    Kann nit sitzen, kann nit stehn,
    kann nit auf und weiter gehn,
    liegt in Dorn und Schleh,
    die fünf Wunden tun ihm weh.«

Hernach ließ sie die Staude wieder sanft zusammenschlagen und schlich
weg. Sie verriet keinem den heimlichen Herrgott.

»Lüpft euch auf!« rief der Grazian. »Wir müssen weiter.«

Verschollene, bemooste Gebete klangen wieder, oft ein Gemisch von
Frömmigkeit und Unsinn, in alten halbvergessenen Formeln, den Betern
selber unverständlich. Doch sie zerbrachen sich darüber das Hirn nicht
und glaubten, Gott werde es sich schon auszudeutschen wissen. Wenn die
Wellen der Gebete gar zu hoch schwollen, da reckte der Grazian den
Finger auf: »Gebt nit alle Kraft her! Spart sie der Maria auf im Dorn!«

Sie traten aus dem Gebirg heraus in ein freundliches Liebfrauenland
voll sanfter Hügel, deren einige grüne Wälderhauben aufhatten; gelbe
Felder wogten, Wiesenhalden lachten.

Sie wanderten bald auf breiten, ebenen Straßen, bald gingen sie eines
hinter dem andern einen dünnen Steig durch hohes Korn, sie verschwanden
drin, und nur die Fahnen ragten drüber hinaus und kündeten von ihrer
Wanderung.

Ob des endlosen Getreides verzagten die Kinder, sie fürchteten, das
Kornweib greife aus den Halmen und verschleppe sie in die knisternde
Wildnis.

Der Mittag flirrte über dem Land, immer glüher ward die Sonne, immer
müder die Kreuzschar. Sie spannten die roten und grünen Schirme wider
das ungestüme Licht. Staub stieg. Die Kinder trippelten an den Händen
der Mütter, greinten und weinten oder begehrten ungeduldig heim. Viele
ließen sich tragen.

Der Didelmann seufzte: »Der Ziegel ist noch hübsch warm, aber die Nägel
hab ich mir von den Zehen gerannt.«

»Steinmüd bin ich,« klagte der Igel. »Der Sommer haut heuer über die
Schnur. Für den Kornschnitt ist es recht.«

»Der Weg wird sauer,« flüsterte der Grazian, »aber nachlassen dürfen
wir nit.«

Der Burgermeister lugte auf die Sackuhr und sagte: »Der Weg zieht sich,
wir haben noch eine harte Stund vor uns.«

»Hör auf mit deiner Uhr,« neckte ihn der Sulpiz, »sie geht nach dem
Fuxloher Mondschein.«

Und der Brunnkressenhannes seufzte: »Wenn nur der afrikanische Wind nit
wehen tät!«

Glänzte irgendwo ein Wiesenbrunn auf, so stürzten sie darüber her und
tranken. An den Bächen wuschen sie sich die staubigen Stirnen. Erlöst
atmeten sie, wenn ein Hain seine Kühle über die Straße warf.

Einmal bildete sich der Grazian ein, er habe sich die Füße ausgekegelt.
Er legte sich ins Gras, streckte die dünnen Beine in die Höhe und
flehte: »Spucht, zieh an, aus Leibeskräften zieh an!«

Der Spucht ließ sich nicht bitten und rüttelte ihm die Gliedmaßen.

»Weh, du reißt mir den Fuß aus!« jammerte der Meßner. Er sprang auf und
hinkte weiter.

Die Ulla aber hatte ihre Traurigkeit vergessen. Sie hub ein helles
Lied an, das sonst niemand kannte, und drum blieb ihre spinnwebfeine
Stimme einsam. Vor den halbgeschlossenen Augen schaute sie die heilige
Frau, der ihr Kittel war aus Sonnenschein, und gegürtet war sie mit dem
Regenbogen. Und die Ulla fügte lustige Triller und jähe Jodler in ihre
Weise, sie konnte nicht anders als fröhlich singen, verstummt war die
Qual des Gewissens, und das Herz schlug ihr hellauf vor glücklicher
Erwartung.

    »Wer hat denn nur das Lied erdacht?
    Droben aus der Höh
    es habens drei Engel vom Himmel gebracht.
    Mariafrau, juchhe!«

»Hört der Ulla zu!« brummte der Schmied. »Ja, wenn die alten Weiber
tanzen, hernach fliegt der Staub hoch.«

Sie trabten eine kühle Waldstraße hin. Örterweise warteten Kapellen,
drin des gebundenen Heilands Leidensrast und Weg zur Schädelstätte gar
wild und lebendig abgebildet war.

Die Sonne ermüdete und senkte sich aus der Höhe.

»Leut, verzagt nit!« feuerte der Grazian seine Schar an. »Wir haben
nimmer weit zum goldenen Haus.«

Er fing eine Litanei an und betete sie genau mit derselben singenden
und nachhallenden Stimme wie sein verstorbener Pfarrer Sebastian
Knaupler, so daß mancher erschrocken auffuhr und meinte, den Verewigten
selber zu hören.

Der Meßner betete vor: »Von der heimlichen Nachstellung des bösen
Feindes --.«

Die Kreuzschar fiel ein: »Erlöse uns, o Herr!«

»Von Pestilenz und Krankheit --.«

»Erlöse uns, o Herr!«

»Von Blitz und Ungewitter --.«

»Erlöse uns, o Herr!«

»Von den bösen Werken und Anschlägen des Kasper Dullhäubel --.«

Da jauchzte die Ulla auf und deutete.

Über den Wald stiegen die Turmspitzen der Muttergottes, die in den
Dornstauden gefunden worden war, und funkelten mit blanken Knöpfen, und
die Bittfahrer jubelten, und der Meßner schwenkte den Gupfhut.

»Die Turmknöpf sind großmächtig,« sagte der Hahnenwirt, »ein jeder
faßt einen ganzen Eimer Wein. Und das Uhrgewicht im Turm ist ein
versteinerter Laib Brot.«

Aus hohem Kreisfenster lugten die Glöcknerbuben, und schon läutete eine
Glocke voll und schwer und himmlisch aus dem Getürm, es war ein Klang,
als grüße die Herrgottin selber mit goldener Troststimme das Häuflein,
das mit irdisch kläglichem Anliegen zu ihr kam, zur Muttergottes, die
alle Gebresten wandelt in eitel Gesundheit, alle Schwäche verkehrt in
blanke Kraft, alle Verzagtheit und Angst stillt, zur gewaltigen Frau,
aus deren Schoß das Heil in die Welt gedrungen.

Andere Glocken gesellten sich der goldenen Hochfrauenstimme, und ein
Glöckel war darunter aus lauterem Silber, vor vielen Jahren hatten
es die Fuxloher gestiftet, aus den silbernen Knöpfen der Bauern war
es gegossen, und die Burgermeisterin selber hatte eine Schürze voll
Laubtaler in die kochende Glockenspeise geschüttet. Nun klang das
Glöckel lieb und herzlich, als sänge eine junge Bauerndirne, und als
wüßte es, wer jetzt zu Besuch käme.

»Die Fuxloherin läutet,« freuten sich alle, das Wasser zitterte ihnen
in den Augen ob der Heimatstimme, die rosenkranzumstrickten Hände hoben
sich.

Der Wald tat sich auf: da lag die Gnadenstätte vor ihnen, hoch und
mächtig.

Ein Rausch ergriff die Kreuzschar, die Fahnen bauschten sich, die
Quasten baumelten.

Der Ulla war, jetzt müßten die Heiligen in der Kirche von den Simsen
springen und ihnen entgegengehen, und sie selber trat einher gleich
einer Hochzeiterin, das aufgelöste, bekränzte Haar wehte ihr wie ein
silberner Schleier, ihre Augen waren heiß und selig aufgetan. Da
schauten alle Wallfahrer die Ulla an und wurden von dunkler Ehrfurcht
bewegt.

Dann wurden die Fahnen geschwenkt und geneigt, Gesang stieg aus dem
Wegstaub, die zarten und die groben Stimmen griffen ineinander.

    »Über Berg und über Tal
    und mit freudenreichem Schall,
    über Wald und grüne Au
    reisen wir zur Lieben Frau.«

Immer brünstiger, gläubiger, wilder sangen sie, vergessen war der müde
Leib, die Herzen schlugen, die Stirnen brannten, die Kinder taten die
Augen wundergroß auf.

Funkelnd trat der Pfarrherr aus dem Tor, die Sonne gleißte in der
erhobenen Monstranz. Die Altarbuben schwangen die Schellen.

Alles warf sich vor der Blendnis nieder, schüttete sich hin vor
dem Segen, der sie grüßte, jeder schlug an die Brust und wagte vor
Unwürdigkeit nicht, seinen Gott zu schauen, der aus der Monstranz
glühte.

Die Kirche empfing sie mit feierlicher Kühle.

Die Orgel donnerte. Weiße Säulen, wie Schlangen gewunden, trugen den
Hochaltar, und dort, umflattert von blauem Weihrauch, umkränzt mit
schimmernden Heiligen, herrschte Maria, die Fürbitterin, die erste Frau
im Himmel und auf Erden. Perlenstarrend, in gelben Locken, mit goldnen
Ketten behangen, im Arm das Krönleinkind, erwartete sie die Menschen.
Ihres blauen Sternenkleides Falten flossen hin wie ein geackertes
Feld. Engel hielten eine Krone über sie. Große, gewundene Wachskerzen
flackerten, und hoch droben glitzerte das gestirnte Gewölb tausendmal
schöner als der Himmel der Nacht.

Gestalten in verzückten Gebärden leuchteten an der Wand, ganze Kitten
himmlischen Geflügels gaukelten wie Falter im Himmelsgarten. Kanzel,
Altar, Rahmen, Leuchter, Lampen, alles funkelte, wie es sich für das
Schloß der Königin ziemt, die die höllische Schlange überwunden und
unter ihre Ferse gebracht hat. Rings lehnten Krücken und Stecken, die
die Geheilten abgelegt hatten, die vormals so erbärmlich lahm gewesen,
daß sie hatten weder kriechen noch gehen können. Eine wächserne Zunge
hing dort, von einer Frau gestiftet, der die Zunge ans Zahnfleisch
gewachsen war und sich hernach gelöst hatte. Auf Tafeln und Widmungen
war geschrieben und gemalt, wie die göttliche Dornstaudnerin den
Stummen die Rede geschenkt und den Rasenden die Vernunft, wie dem
Blinden der Schein, dem Tauben das Ohr offen wurde, wie Geschwulst und
Rotlauf vergingen, Wunden sich schlossen, Menschen wunderbar errettet
wurden aus wilder Gefahr.

Die Fuxloher bestaunten alles, nickten der Göttlichen zu und warfen ihr
kupfernes Geld in den Opferstock.

Die Kerzen knisterten am Altar, die Ulla starrte darein und staunte:
»Reiche Welt!« Sie sah die Perlen glühen an der Gnadenfrau, Perlen
größer als die Haselnüsse am Vogeltänd, hellblaue, pechschwarze,
veilchenfarbne Perlen. Alles gloste von Gold und Silber und
wunderschönem Glas.

Doch der flimmernde Muttergottestand ängstigte die Alte, sie wagte kaum
den hochlobpreislichen Namen zu wispeln, und hätte doch gar zu gern
ihren weißen Kopf gelegt in Marias Schoß. Die droben am Altar war ihr
zu stolz und zu reich. »Sie wird die armen Leut nit kennen wollen,«
seufzte die Ulla.

Jetzt reckte der Grazian den Hals und flüsterte eindringlich: »Leut,
es ist an der Zeit, vergeßt nit, warum wir den weiten Weg gangen sind!
Sagt es fein der Dornstaudnerin, warum wir heut ihren Freund, den
Blaumantel, nit mittragen!«

Da murrte die Schar ein dumpfes, hartes Gebet wider den Erzschelmen und
Landschaden Kasper Dullhäubel.

Die Ulla aber stahl sich mit bekümmertem Blick hinaus aus dem Glanz und
irrte traurig und verlassen um die Kirche.

Da fand sie eine Kapelle, drin raunte und sprudelte es traulich, und
über dem rinnenden Brunnen war die Gottesmutter auf ein Brett gemalt,
die lächelte lieb und grüßte mit den schlichten Augen das Weib; auf dem
Schoß zappelte ihr das Kind, es tappte gerad nach einem Gimpel, und der
Vogel drehte den Kopf und biß den Buben in den Finger.

»Ei, da ist fröhlich hausen,« dachte die Ulla und kniete mit müden
Knieen auf die Betstaffel hin vor das Bild und schaute sehnlich empor.
Sie, die heimatlos war wie ein Fläumlein in den Lüften, das nicht
fallen kann und nimmer steigen, hier fühlte sie sich daheim.

Sie ließ den bunten Weinfalter frei, den sie gefangen hatte.
»Marienkind,« schmeichelte sie scheu zu dem jungen Herrgott hinauf,
»dir bring ich ein schönes, ein wunderschönes Sommervöglein.«

Auf einmal dachte sie an ihr Herz, das sie voll Sünden wähnte, und sie
betete still: »Maria, lichter als die Lilien hinterm Zaun, roter als
die Nelken am Rain, ich grüß dich soviel tausendmal, als Sandkörner
liegen auf den Straßen, als Laub wachst am Wald, als Sterne scheinen
vom Himmelreich. Geweint hab ich viel, eine Zähre hat die andere
gefeuchtet. Zu dir komm ich, dir vertrau ich, Maria. Durch deinen
keuschen Namen bitt ich dich, du sollst mir sagen, ob ich eine Hex bin.«

Der Heiligen froher Blick fiel auf den alten Heilbrunn. Da beugte sich
die Ulla drüber und schaute ins Wasser, bis sie die eigenen Augen drin
sah, und diese schauten so fromm und gut heraus, daß ihr wunderfriedsam
unter dem gespiegelten Blick wurde, und sie wußte, daß es keine
Hexenaugen waren.

Hernach trank sie von dem fallenden Wasser. Der Marienbrunn sang
vertraut, und draußen im Laub meldete sich ein Rotkröpfel.

Hier war gut sein.

Weit weg von der Welt kniete die Ulla und betete herzlich für Tote und
Lebende, für alle, die sie kannte und die ihr Gutes getan oder Übles.

       *       *       *       *       *

Am andern Tag gingen die Fuxloher heim. Sie wünschten sich herzlich
wieder in die kleine Heimat zurück aus der Welt, die sie sich so weit
und so breit gar nicht gedacht hatten.

Wieder kürzten sie sich den Weg mit Lied und Litanei und ergötzten
sich an den geweihten Andenken, die sie mit trugen, meist Bildern
des Gnadenortes, mit gereimten Sprüchen bedruckt. Den Kindern hatte
man auf dem Schleckmarkt etwas Gezuckertes gekauft, der Spucht
hatte eine wächserne Nepomukszunge erstanden, der Grazian gar einen
gläsernen heiligen Geist, und er trug die Taube in der spiegelnden
Kugel zaghaft an einem Schnürlein, wich vorsichtig jedem Stein am Weg
aus, und niemand durfte ihm in die Nähe. Wenn sie rasteten, hängte er
sein gläsernes Glück an eine Staude und ließ es an einem Schnürlein
schaukeln und im Licht glitzern.

Allen, die da aus dem hochgoldenen Haus der Herrgottin heimkehrten
in das dürftige Dorf, allen war, sie hätten als Gottes Gäste ein
himmlisches Märlein erlebt, und jeder glaubte, daß jetzt die hohe
Dornenstaudnerin seinen Wunsch auf einem wundergläsernen Teller in den
himmlischen Saal tragen werde.

Die alte Ulla trabte frisch dahin, sie fühlte sich leicht und über Erde
und Leben erhoben wie die weißen Wolken droben.

Der Schmied rief ihr zu: »Heut lachst du daher, Ulla, als ob du statt
von der Muttergottes vom Altweibermüllner kämst.«

»Einmal werd ich wieder jung,« antwortete sie. »Im Himmel sind wir alle
gleich alt, dreiunddreißig Jahr, wie der Herrgott beim Sterben.«

»Wer hat dir das erzählt?« zweifelte der Schmied. »Ist einer von
Jenseits die Leiter wieder herab gestiegen?«

Sie schüttelte ernst den Kopf. »Es darf keiner zurück, daß nix
ausgeredet wird von oben. Es muß geheim bleiben.«

Der Grazian seufzte: »Es muß ein harter Weg sein -- dorthin.«

Je näher sie gen Fuxloh kamen, desto eifriger betete der Meßner.
Allweil wieder rief er aus: »Gott, schenk uns einen feuchten, warmen
Regen über Schlösselwald, Hundshaberstift und Leimgrub!« In diesen
Orten hatte er seine Töchter verheiratet.

Als die Kreuzschar auf der Bergschneide hielt, von wo der Blick wieder
auf Fuxloh fiel, rief der Grazian: »Leut, kniet euch nieder, da seht
ihr euer Vaterland wieder!«

Der Fleischhacker Luitel rannte ihnen entgegen. »Männer, schwingt den
Hut in die Höh,« keuchte er, »der Dullhäubel ist gestorben.«

Da fuhr es den Kirchfahrern kalt durchs Hirn und eisig durch den ganzen
Leib, und das Gewissen bäumte sich ihnen auf, weil ihre Bittfahrt so
jähe Frucht gezeitigt hatte. Aber sie faßten sich bald wieder.

»Der Herrgott hat diesmal leicht begriffen,« lachte der Wirt, »wir
haben ihm es auch deutlich genug gesagt. Gelobt seist du, Maria!«

»Er hat es verrichtet, der Dullhäubel,« seufzte die Iglin. »Hoffentlich
ist er christlich entschlafen.«

Dem Meßner Grazian erschlaffte im ersten Freudenschreck die Hand, das
gläserne Gut entfiel ihm und zersplitterte. Da rief er kläglich: »Jetzt
hab ich den heiligen Geist den weiten Weg hergetragen wie ein krankes
Kind, und jetzt ist er beim Teufel!«

Das Dorfglöckel läutete der Schar entgegen. Kinder kamen und erzählten
von dem Leichnam des Dullhäubel.

»Ganz schwarz ist er im Gesicht,« sagten sie.

Der Grazian runzelte nachdenklich das Hirn. »O weh, das ist ein übles
Vorzeichen! Ohne Weih und Segen, ohne Pfarrer und Meßner werden wir ihn
begraben müssen. Lasset uns beten für die arme Seel!«

       *       *       *       *       *

Die Ogath hatte den halben Tag über ihren Bauer gesucht und nirgends
gefunden, schließlich stieg sie in schwerer Ahnung auf den Heuboden
hinauf, dort griff sie blindlings ins Heu und spürte ein eiskaltes Knie.

Mit einem einzigen Sprung war sie wieder drunten auf der Tenne.

Sie schrie den Kindern: »Am Heuboden liegt er. Der Schlag hat ihn
getroffen, er ist ein vollblütiger Mann gewesen. Die Leich ist schon
kalt.«

»Jesmaria,« plärrte die Wabel, »jetzt ist er gestorben und hat heut
noch das Gesott[1] nit geschnitten!«

    [1] Häcksel.

Die Töchter flogen zu den Nachbarn und Befreundeten in die Dörfer und
zum Pfarrer, die Leiche anzusagen. Die Bäurin selber fuhr mit dem
Schubkarren zum Tischler, der Totentruhen vorrätig hatte.

Sie begegnete den Wallfahrern. »Der Bauer hat verlebt,« meldete sie,
»übermorgen ist das Begräbnis.«

Als sie abends mit der Truhe heimkam, saß der Dullhäubel vorm Haus,
kerngesund, die Wangen blührot, und schnupfte.

»Um Gottes willen, du lebst schon wieder?« stammelte sie.

»Ich bin kreuzwohlauf,« grinste er. »Du hast dich gefleißt mit der
Truhe. Hast du auch um den Pfarrer geschickt, daß er mir lateinisch und
schlapperteinisch redet und seine Blimblamblorium macht?«

»Aber du bist ja schon kalt gewesen, wie ich dich beim Knie erwischt
hab?!«

Er nickte tiefsinnig. »Eine hirschlederne Hose greift sich halt allweil
kalt an,« sagte er.

       *       *       *       *       *

Weil der Dullhäubel den Seinen verboten hatte, die Leiche abzusagen, so
wußten nur wenige, daß er noch lebte. Die Leute, die nun zu des Bauers
Begräbnis angewandert kamen, lächelten säuerlich, als er selber sie
treuherzig begrüßte und ihnen ein Schnüpflein antrug.

»Die Bosheit wuchert weiter, und die Gerechtigkeit ist übers Meer
gefahren,« verzweifelte der Grazian.

Hernach saßen alle im »pfalzenden Hahn,« und weil sich dort gerade auch
drei böhmische, drei österreichische und drei bayrische Musikanten
zusammen fanden, ging es bald hoch her, und man söhnte sich leichter
mit dem verhinderten Begräbnis aus.

Lange betrachtete der Dullhäubel seine Totentruhe. »Zweispännig wär sie
mir lieber,« meinte er, »daß eine saubere Dirn mit mir drin übernachten
könnt.«

Er nutzte die Truhe ans, indem er Schloß und Band dran nageln ließ und
sich drin Selchfleisch und manchen Leckerbissen versperrte, den er vor
seiner genäschigen Sippe nicht sicher wußte.

       *       *       *       *       *

Der Dullhäubel kam zu Glück und hohen Jahren.

Seine Töchter misteten den Stall, schnitten das Gesott, rechelten die
Streu, striegelten die Ochsen, ackerten, säten, ernteten, droschen. Er
tat nichts.

Die Wabel, die Reigel, die Rosel, die Portiunkel, die Stasel, die
Kathel und die Liesel verheiratete er Bauern, die Glöckelstühle auf dem
Dach hatten.

Er ließ sich sein schelmisches Wesen nicht verkümmern, auch dann nicht,
als er der Burgermeister von Fuxloh wurde, und die Leute starben nicht
aus, die ihm den Galgen auf den Hals wünschten.

Einmal nach der Kirchweih, als er sich weidlich angegessen hatte,
setzte er sich vors Haus, nahm das Rubinglas und schlug sich eine
erkleckliche Menge Tabak auf die Hand. Zuerst füllte er sich in
behaglicher Andacht das rechte Nasenloch, und als er das andere
befriedigen wollte und dabei schon das linke Auge wollüstig zudrückte,
fiel ihm der Tod sanft in den Arm. Die Hand sank still, ungenützt
flatterte das braune Häuflein herab auf die hirschledernen Hosen. Der
Kasper Dullhäubel war nimmer.

»Jetzt hat er den schönsten Tod auch noch, der Lump, der das Eingraben
nit wert ist!« schalt der Meßner.

»Ja ja, so geht einer nach dem andern dahin,« sagte der Schmied und
ließ einen groben Wind streichen.

Nur wenige gingen mit bedächtigem Bauernschritt hinter dem Sarg her;
viele waren daheim geblieben, sie meinten, der Schelm sei unsterblich
und könne nicht begraben werden.

Der Filzhut des Ähnels und das Rubinglas wurden ihm mitgegeben, das
hatte er sich ausbedungen.

Als die Leiche in die Grube gelassen wurde, riß der Strick, die Truhe
polterte hinunter und brach auf, und der Dullhäubel schaute noch einmal
fröhlich die heulende Schar der Hinterlassenen an.

»Schaufelt zu, schaufelt zu!« schrie der Grazian. Und alle, wie sie ums
Grab standen, warfen schnell mit Händen und Füßen Erde hinab, daß der
Erzschelm nicht noch einmal an den Tag käme. --

Als der Grazian an dem nämlichen Abend am Dullhäubelhof vorüber ging,
tat er einen harten Schrei. Er behauptete, der Verstorbene habe aus
dem Dachfenster die Zunge auf ihn gereckt. Da zündete die Ogath eine
Laterne an und durchsuchte alle Winkel des Bodens. »Dem schwänkischen
Mann trau ich alles zu,« meinte sie.

       *       *       *       *       *

Der Dullhäubel fuhr schnurgerade zum Himmelstor auf.

Der heilige Peter stand davor, am Gürtel die beinernen Schlüssel, und
schrieb mit einer hohen Pfaufeder in einem Buch. Als er den Schelm
mit dem breiten Filzhut durchs Gewölk daher waten sah, hakte er das
silberne Schloß des Buches zu und fragte: »Wer bist du? Gib Auskunft!«

»Der Dullhäubel bin ich, Bauer aus Fuxloh«, antwortete der
Himmelfahrer. »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Dein Nam ist mir verdächtig. Reck her deine Seel!«

»Da wird halt der Blaumantel seine Sach fürgebracht haben. Es ist ihm
aber nit alles zu glauben, dem Bruder, dem scheinheiligen.«

»Schilt nit!« brummte der Peter. »Und einen Blaumantel gibt es bei uns
nit.«

»Es muß einer da sein,« bestand der Dullhäubel. »Schau nur gleich nach
in dem dicken Buch!«

Der Torwärtel raunzte: »Es ist ja möglich, daß früher einmal einer da
heroben gewesen ist, der sich so geschrieben hat. Vielleicht ist er
hinuntergefallen. Ich müßt den Herrgott fragen, der hat ein scharfes
Gedächtnis.«

Jetzt zog der Dullhäubel aus der hinteren Schößeltasche seine Seele
heraus, blies ein Stäublein Tabak davon weg und zeigte sie ängstlich
vor.

Der Heilige rückte die Brille, schnüffelte an der Seele und krauste die
Stirn. »Mein Lieber, du hast dich ganz und gar verirrt. Du gehörst wo
anders hin. Schab deinen Weg!«

Dem Dullhäubel stand der Schopf geberg. An des Kapuziners Cochem
abscheuliches Bilderbuch erinnerte er sich, an den höllischen Ofen, wo
die Zerknirschten heulten und Pech spieen und ihnen der siedende Geifer
aus den Lefzen spritzte.

Der himmlische Torwärtel tat eine Falltür auf, da ging der Höllensteig
hinunter hundert Klafter tief, und des Dullhäubels Vorväter saßen ohne
Ausnahme tief drunten auf einer glühenden Bank, den Hosenlatz hinten
abgeknöpft, mit nacktem Sitz nach altem Erdenbrauch, und der Schwefel,
den sie saufen mußten, rauchte ihnen greulich wieder aus der Nase
heraus. Der Teufel kletterte eine brennende Leiter herauf und bellte:
»Wau, wau!«

»Mach die schwarze Tür zu, Peter!« hüstelte der Dullhäubel, der
höllische Schwefel kitzelte ihn in der Nase.

Doch der heilige Mann antwortete: »Bind dir die Seel fest ins
Schneuztuch und steig hinunter! Sie warten schon.«

Dem armen Schelm ward blau und grün vor den Augen. Aber er gab das
Spiel nicht verloren. Das Rubinglas nahm er herfür. »Da schnupf, Peter,
daß du einen andern Sinn kriegst!«

Der Torwärtel liebäugelte mit dem Glas. »Der Tabak tät mir wohl. Da
heroben wird keiner verschleißt, und wenn nix zu schnupfen ist, so ist
das eine kleine Krankheit.«

»Du solltest mich doch in den Himmel lassen, nur ein Vaterunser lang,«
begehrte der Dullhäubel. »Vor dem Blaumantel will ich einen Fußfall
tun.«

Der heilige Peter nahm sich seine mannbare Nase voll. »Wundersam
schmeckt der Tabak, der fehlt mir noch zur Seligkeit. Ich hab ihn mein
Lebtag gern gehabt. Hau mir noch einen her auf die Hand! Anlehnen muß
man sich schier, wenn man den da schnupft, sonst reißt er einen um.«
Er blinzelte schalkhaft. »Was für ein Tabak ist es denn? Ein königlich
bayrischer? Ein gepaschter, he?«

»Nur hineinschauen laß mich ins Paradeis, Schlüsselmann!« bettelte der
Dullhäubel.

Den Heiligen hatte der brasilische Tabak ganz verwirrt, die Augen
glosten ihm, und er tat das Tor auf.

Jetzt stand der Dullhäubel im himmlischen Glanz.

Da saßen alle die heiligen Bauernfreunde beisammen, der Wendel, der
Liendel, der Isidor und der Steffel, und dengelten silberne Sensen, daß
es wie ein vierfaches Glöckelspiel lieblich anzuhören war, und die Magd
Notburga jätete in einem Krautgärtlein. Der Märtel und der Jörg ritten
auf Milchschimmeln, die fraßen an dem fetten Wasen, der auf den Wolken
wuchs. Andere Heilige stolzierten in seidenen Meßgewändern mit hohen
Krummstäben auf der Sternstraße auf und ab, ein nackter Martersmann,
dem silberne Pfeile in Stirn und Brust und Knie staken, lustwandelte
lachend unter ihnen. Alle waren bloßköpfig, nur der heilige Rochus und
der Dullhäubel nicht, die hatten den Hut auf.

Engel rauschten mit schneeweißen Flügeln. Die himmlische Regenbogenfrau
schaffte am Spinnrad, einen goldgrünen Käfer im Gefältel ihres Kittels,
und daneben spielte das Herrgottsbüblein Ball mit dem Weltapfel.

Der Himmelsgarten war umzäunt, auf jedem Zaunstecken saß und sang ein
bunter Vogel, und das waren lauter selige Seelen.

In der Mitte aber in wunderbarem, hohem Betstuhl saß Gottvater selber,
in seinem Mantel war mit Perlen und Kleinoden der ganze Sternhimmel
gestickt, auf seiner Brust zückte die Sonne ihre Strahlen.

Der Dullhäubel senkte die Augen, daß er nicht erblinde, und schaute
sich auf den Fuß.

Über dem Herrgott war ein goldener Taubenkobel, der heilige Geist
umflog ihn und gurrte wild herab.

»Ei tausend,« staunte der Herrgott, »da kommt ja der Dullhäubel daher
aus meinem guten Dorf Fuxloh! Was begehrst denn du da heroben?«

Jetzt nahm der Schelm den Hut ab und stammelte: »Den Herrn Blaumantel
such ich. Er soll sich auch Aurazian schreiben. Ich will ihn abbitten
-- zu wegen meiner Schlechtigkeit.«

Der Herrgott sann nach. »Ich weiß alles. Aber einen Aurazian Blaumantel
kenn ich im Himmel nit. Das ist ein Irrtum.«

»Alsdann, Eure Heiligkeit -- --.« Der Dullhäubel stockte, er wußte
nicht, wie er den Herrn hätte richtig anreden sollen.

»Nenn mich nur Herr Gott!« meinte der Himmelvater. »Du bist dein Lebtag
mit mir auf du und du gewesen (wenn du auch recht sparsam mit mir
geplaudert hast), drum sag mir jetzt auch du!«

»Alsdann, wenn es keinen Blaumantel da heroben nit gibt, dann ist meine
Schuld weitaus geringer,« seufzte der Dullhäubel auf.

»Und was begehrst du noch? Und was schaust du allweil auf deinen Fuß?«

»Er möcht halt auch selig werden,« sagte halblaut der heilige Peter.

Der Herrgott fuhr aus dem Betstuhl auf. »Was?! Der Spitzbub?!«

Doch das himmlische Fräulein am Spinnrocken faltete die Hände. »Geh,
lieber Gott, verstoß ihn nit! Laß ihn abwiegen!«

Da schmunzelte der Gottvater, daß ihm der breite Bart auseinander ging,
und winkte mit der Hand.

Den Kometen wie eine Straußfeder am Hut, sprang der Riese Michel zur
Tür herein, er trug eine großmächtige Wage. Den Bauer lüpfte er beim
Kragen und setzte ihn in die eine Wagschale, in die andere legte er
große Steine und Gewichte, das waren die Sünden und Schalksstreiche des
Dullhäubel, und darunter war auch der Mühlstein vor der Mußmühle.

Jetzt hob der Engel Michel die Wage. Die Schale mit dem Sünder
schnellte hoch empor, und der Dullhäubel verzweifelte an seiner
Seligkeit, zumal da sich an die andere Schale noch der Teufel mit
kohlrackerschwarzen Rabenflügeln und einem langen, rauhen Schwanz
gekrallt hielt.

»O weh, o weh,« winselte der Sünder, »jetzt muß ich in der Höll
knirschen auf ewig.«

Aber auf einmal senkte sich die Schale, drin er hockte, langsam und
stetig.

»Schau hinunter auf die Welt, Dullhäubel, wer dir hilft!« sagte die
Jungfrau Maria.

Da sah er tief, tief drunten im grünen Fuxloh vor der Kapelle ein
uraltes Weiblein hocken, das betete mit seinem Hagebuttenrosenkranz für
die arme Seele des Dullhäubel. Es war die Ulla.

Nun stand die Wage auf gleich.

»Ich darf nit zu leicht befunden werden,« ächzte der Dullhäubel, der
helle Schweiß rann ihm von der Stirn.

In seiner Not langte er hinüber nach des Teufels Schwanz, und ob der
Satan ihn auch mit der gespaltenen Zunge anlechzte und die rotfeurigen
Augen abscheulich glühen ließ, der Dullhäubel packte des höllischen
Widersachers Schwanzquaste und legte sie in die eigene Schale, und sie
senkte sich um eines Härleins Breite tiefer als die andere.

Da fing unser lieber Herrgott an, sich langsam den Bart zu streichen
und auf einmal lachte er dröhnend auf, und der heilige Peter fiel wie
besessen lachend auf die Pauke hin, worauf man sonst Gewitter und
Donnerschlag wirbelt, und die Muttergottes und alle heiligen Leute
konnten sich nicht helfen vor lauter Lachen, und nur der Teufel rupfte
sich den rußigen Schopf, spie und ließ die Schale los und sprang in die
Hölle.

Vor dem breiten Herrgottsgelächter aber sank die Schale des Schelmes
völlig herab, und er stieg aus und war gerettet.

Doch der heilige Peter besann sich und murrte: »In der Welt drunten
gibt es einen Spruch, und der ist wahr.

    Je ärger der Schalk, je besser sein Glück,
    je größer der Dieb, je kleiner der Strick.

Herrgott, paßt denn der Bauerntrumpf da, der nixnutzige, der Tod und
Teufel zum Narren gehalten hat, in deine lautere Seligkeit herein?«

Der Herrgott warnte mit dem Finger. »Peter, Peter, geh mit unserm
Dullhäubel nit zu streng ins Gericht! Es müssen auch andere Leut um
mich sein, nit nur lauter Heilige. Die Heiligen sind mir oft ein wenig
peinlich gewesen.«

Und während der Herr mit seinem Knecht also sprach, trat einer auf den
Dullhäubel zu und gab ihm derb die Hand. Der fremde Gesell trug einen
altertümlich groben Bauernrock und Bundschuhe, und ein Spiegel hing
ihm im Gurt; seine lichtblauen Augen funkelten mutwillig, sein Haar
war gelb wie Stroh und darauf saß ihm statt des Hutes ein ruppiger,
glotzender, krummschnabliger Ohrenvogel.

»Ich sollt dich kennen,« sagte der Dullhäubel und dachte nach.

»Du kennst mich,« kicherte der andere, »ich bin ja dein Bruder, der
heilige Eulenspiegel.«

Er hielt dem Dullhäubel den blanken Spiegel vor. Der lugte hinein und
sah sich drin rosig leuchten, und über seinem Scheitel hing ein runder,
lustiger Heiligenschein.

Der Herrgott richtete jetzt die grauen, frohen Augen auf ihn.
»Dullhäubel, was willst du im Himmel anfangen?«

Der schalkhafte Mann leckte sich die Lippen und hob den listigen
Bauernblick. »O Herr, wenn ich es wünschen darf, will ich im Sommer
Schnee schaufeln und im Winter das Vieh hüten.«

»Zu meiner Rechten darfst du nit sitzen,« lachte der Herrgott, »du bist
heut noch nit viel wert. Jetzt führ dich gut auf und laß dir einen
milden, süßen Most einschenken.«

Das war dem Dullhäubel recht. Und er sagte zu der Himmelsfrau: »Liebe
Fürbitterin, du schnupfst nit? Für deine wehleidige Jungfernnase ist
meine Mischung zu scharf. Aber uns schmeckt es, gelt, Gottvater!«

Er schüttelte das rubinene Glas und ließ den Tabak rieseln auf des
Herrgotts strahlende Hand.

       *       *       *       *       *

Also hat unser Herrgott an einem gelungenen Schelm mehr Freude als
an neunundneunzig Gerechten. Und so findet die Geschichte vom Kasper
Dullhäubel jetzt ihr

        _Ende_.



Von demselben Verfasser erschienen vorher im gleichen Verlag:


Aus wilder Wurzel

Ein Roman

Einbandzeichnung von Oswald Weise. 10. Tausend

_Münchner Allgemeine Zeitung_: »Das vorliegende Buch ist des Dichters
beste und reichste Schöpfung und läßt noch ausgereiftere, kostbarere
Früchte erwarten. Hart, eisern, von knirschendem Willen durchzuckt ist
dieser Bericht, der von den mutig-zagen Bauern zu erzählen weiß, die es
auf sich genommen, die furchtbare Baumwildnis der Eisensteiner Berge
im endlosen Böhmerwalde der Scholle dienstbar zu machen. Watzliks Buch
wird zu den bleibenden unseres Literaturschatzes gehören.«


Der Alp

Ein Roman

Einbandzeichnung von Richard Birnstengel. 6. Tausend

_Paul Grabein_ im Düsseld. Generalanz.: »... Der Wert des Buches
besteht in der ganz prachtvollen, realistischen und doch wieder
poetisch überhauchten Schilderung der Natur und Menschen des
Böhmerwaldes. Eine Fülle von Gestalten zieht an uns vorüber, jede
scharf umrissen in ihrer Erscheinung. Die künstlerische Wirkung
Watzliks wird noch gehoben durch die eigenartige Schönheit und
Bildkraft seiner Sprache ...«


Im Ring des Ossers

Erzählungen aus der Vergangenheit des Böhmerwaldes

10. Tausend

_Die Wage_, Wien: »... In wohlgepflegter Sprache, die stellenweis wie
wundervoll gestimmte Glocken klingt, läßt er des Urwalds Schimmer
und geheimnisvoll durchbrauste, zauberische Wildnis farbengolden vor
uns erstehn. In einigen Skizzen arbeitet er mit allen Kunststücken,
Schönheiten und Klängen des Wortes, daß die Seele erschauert,
beglückt und berauscht von der übertönenden und überstürzenden Kraft
poesievoller Schilderung ...«


O Böhmen!

Roman. Einbandzeichnung von G. Gelbke. 11. Tausend

_Deutschnationales Jahrbuch 1919_: »Ein Heimatroman, der den Kampf
der Deutschen Böhmens um ihre Heimatscholle, deutsches und slawisches
Leben mit solcher Farbenpracht und so glutvoller Innigkeit schildert,
wie kein zweites Buch. Jeder Satz darin ist Poesie, und wir dürfen
den Dichter mit immer größerem Recht zu den ersten Deutschösterreichs
zählen.«


Phönix

Ein Roman aus der Wiedergeburtszeit Böhmens

6. Tausend

_Kölnische Zeitung_: »Wildromantische Ereignisse werden mit großer
Farbenpracht durchgeführt, daneben aber macht sich die zartere Romantik
eines innigen Naturgefühles liebenswürdig geltend. Ein spannend
erzählter, an starken Wirkungen reicher Roman, der auch große poetische
Werte besitzt. Man hat es in dem Buch mit dem Erzeugnis einer hohen
dichterischen Begabung zu tun.«


Ferner erschien im Verlag Gebr. Stiepel in Reichenberg:


Wermuter

Eine Novelle. Mit Bildern von Artur Ressel. 4. Tausend


=Schloß Weltfern.= Ein Roman. 5. Tausend


Der flammende Garten

Gedichte. Mit Bildern von Viktor Eichler. 2. Tausend


=Firleifanz.= Ein Bilderbuch


=Einöder.= Ein Novellenbuch


Die Abenteuer des Florian Regenbogner

Liebhaberausgabe mit Bildern von Ferdinand Staeger 2. Tausend



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Der
    Schmutztitel wurde entfernt.

    Korrekturen:

    S. 295 lustwandete → lustwandelte
      {lustwandelte} lachend unter ihnen





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