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Title: Schön ist die Jugend - Zwei Erzählungen
Author: Hesse, Hermann
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Schön ist die Jugend - Zwei Erzählungen" ***


                          Schön ist die Jugend


                            Zwei Erzählungen

                                  von
                             Hermann Hesse


                       S. Fischer, Verlag, Berlin


        Alle Rechte vorbehalten, besonders das der Übersetzung.
   Gedruckt während der Kriegszeit auf Papier mit Holzschliffzusatz.
               Copyright 1917 S. Fischer, Verlag, Berlin.



               Schön ist das Leben bei frohen Zeiten,
               Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr,
               Drum sag ich’s noch einmal,
               Schön sind die Jugendjahr’,
               Schön ist die Jugend,
               Sie kommt nicht mehr.

                                                 Volkslied



                                 Inhalt


                        Der Zyklon             9
                        Schön ist die Jugend  43



                               Der Zyklon


Es war in der Mitte der neunziger Jahre und ich tat damals
Volontärdienst in einer kleinen Fabrik meiner Vaterstadt, die ich noch
im selben Jahre für immer verließ. Zufällig ist die Zeit jenes
Spätsommers und Frühherbstes in meinem Gedächtnis noch frisch und
sichtbar geblieben. Darum will ich einiges davon aufschreiben, denn ich
komme in das Alter, wo man die Vergangenheit liebhaben lernt und wo die
Gegenwart mit müderen und gleichgültigeren Schritten geht.

Ich war etwa achtzehn Jahre alt und wußte nichts davon, wie schön meine
Jugend sei, obwohl ich sie täglich genoß und um mich her fühlte wie der
Vogel die Luft. Ältere Leute, die sich der Jahrgänge im einzelnen nimmer
besinnen mögen, brauche ich nur daran zu erinnern, daß in dem Jahre, von
dem ich erzähle, unsere Gegend von einem Zyklon oder Wettersturm
heimgesucht wurde, dessengleichen in unserm Lande weder vorher noch
später gesehen worden ist. In jenem Jahre ist es gewesen.

Ich hatte mir vor zwei oder drei Tagen einen Stahlmeißel in die linke
Hand gehauen. Sie hatte ein Loch und war geschwollen, ich mußte sie
verbunden tragen und durfte nicht in die Werkstatt gehen. Die
unvermuteten Ferien gefielen mir wohl; das Knabenalter bestand damals
noch fast unzerstört in meiner Seele, obwohl es nahe am Verblühen war
und mir bald darauf plötzlich aus den Händen schwand.

Es ist mir erinnerlich, daß jenen ganzen Spätsommer hindurch unser enges
Tal in einer unerhörten Schwüle lag und daß zuweilen tagelang ein
Gewitter dem andern folgte. Es war eine heiße Unruhe in der Natur
gewesen, von welcher ich freilich nur dumpf und unbewußt berührt wurde
und deren ich mich doch noch in Kleinigkeiten entsinne. Abends zum
Beispiel, wenn ich zum Angeln ging, fand ich von der wetterschwülen Luft
die Fische seltsam aufgeregt, sie drängten unordentlich durcheinander,
schlugen häufig aus dem lauen Wasser empor und gingen blindlings an die
Angel. Nun war es endlich ein wenig kühler und stiller geworden, die
Gewitter kamen seltener, und in der Morgenfrühe roch es schon ein wenig
herbstlich.

Eines Morgens verließ ich unser Haus und ging meinem Vergnügen nach, ein
Buch und ein Stück Brot in der Tasche. Wie ich es in der Bubenzeit
gewohnt gewesen war, lief ich zuerst hinters Haus in den Garten, der
noch im Schatten lag. Die Tannen, die mein Vater gepflanzt und die ich
selber noch ganz jung und stangendünn gekannt hatte, standen hoch und
stämmig, unter ihnen lagen hellbraune Nadelhaufen, und es wollte dort
seit Jahren nichts mehr wachsen als Immergrün. Daneben aber in einer
langen, schmalen Rabatte standen die Blumenstauden meiner Mutter, die
leuchteten reich und fröhlich, und es wurden von ihnen auf jeden Sonntag
große Sträuße gepflückt. Da war ein Gewächs mit zinnoberroten Bündeln
kleiner Blüten, das hieß brennende Liebe, und eine zarte Staude trug an
dünnen Stengeln hängend viele herzförmige rot und weiße Blumen, die
nannte man Frauenherzen, und ein anderer Strauch hieß die stinkende
Hoffart. Nahebei standen hochstielige Astern, welche aber noch nicht zur
Blüte gekommen waren, und dazwischen kroch am Boden mit weichen Stacheln
die fette Hauswurz und der drollige Portulak, und dieses lange schmale
Beet war unser Liebling und unser Traumgarten, weil da so vielerlei
seltsame Blumen beieinander standen, welche uns merkwürdiger und lieber
waren als alle Rosen in den beiden runden Beeten. Wenn hier die Sonne
schien und auf der Efeumauer glänzte, dann hatte jede Staude ihre ganz
eigene Art und Schönheit, die Gladiolen prahlten fett mit grellen
Farben, der Heliotrop stand grau und wie verzaubert in seinen
schmerzlichen Duft versunken, der Fuchsschwanz hing ergeben welkend
herab, die Akelei aber stellten sich auf die Zehen und läuteten mit
ihren vierfältigen Sommerglocken. An den Goldruten und im blauen Phlox
schwärmten laut die Bienen, und über dem dicken Efeu rannten kleine
braune Spinnen heftig hin und wieder; über den Levkoien zitterten in der
Luft jene raschen, launisch schwirrenden Schmetterlinge mit dicken
Leibern und gläsernen Flügeln, die man Schwärmer oder Taubenschwänze
heißt.

In meinem Feiertagsbehagen ging ich von einer Blume zur andern, roch da
und dort an einer duftenden Dolde oder tat mit vorsichtigem Finger einen
Blütenkelch auf, um hineinzuschauen und die geheimnisvollen
bleichfarbenen Abgründe und die stille Ordnung von Adern und Stempeln,
von weichhaarigen Fäden und kristallenen Rinnen zu betrachten.
Dazwischen studierte ich den wolkigen Morgenhimmel, wo ein sonderbar
verwirrtes Durcheinander von streifigen Dunstfäden und wollig flockigen
Wölkchen herrschte. Mir schien, es werde gewiß heute wieder einmal ein
Gewitter geben, und ich nahm mir vor, am Nachmittag ein paar Stunden zu
angeln. Eifrig wälzte ich, in der Hoffnung, Regenwürmer zu finden, ein
paar Tuffsteine aus der Wegeinfassung beiseite, aber es krochen nur
Scharen von grauen, trockenen Mauerasseln hervor und flüchteten verstört
nach allen Seiten.

Ich besann mich, was nun zu unternehmen sei, und es wollte mir nicht
sogleich etwas einfallen. Vor einem Jahre, als ich zum letztenmal Ferien
gehabt hatte, da war ich noch ganz ein Knabe gewesen. Was ich damals am
liebsten getrieben hatte, mit Haselnußbogen ins Ziel schießen, Drachen
steigen lassen und die Mauslöcher auf den Feldern mit Schießpulver
sprengen, das hatte alles den damaligen Reiz und Schimmer nicht mehr,
als sei ein Teil meiner Seele müde geworden und antworte nimmer auf die
Stimmen, die ihr einst lieb waren und lauter Freude brachten.

Verwundert und in einer stillen Beklemmung blickte ich in dem
wohlbekannten Bezirk meiner Knabenfreuden umher. Der kleine Garten, die
blumengeschmückte Altane und der feuchte sonnenlose Hof mit seinem
moosgrünen Pflaster sahen mich an und hatten ein anderes Gesicht als
früher, und sogar die Blumen hatten etwas von ihrem unerschöpflichen
Zauber eingebüßt. Schlicht und langweilig stand in der Gartenecke das
alte Wasserfaß mit der Leitungsröhre; da hatte ich früher zu meines
Vaters Pein halbe Tage lang das Wasser laufen lassen und hölzerne
Mühlräder eingespannt, ich hatte auf dem Wege Dämme gebaut und Kanäle
und mächtige Überschwemmungen veranstaltet. Das verwitterte Wasserfaß
war mir ein treuer Liebling und Zeitvertreiber gewesen, und indem ich es
ansah, zuckte sogar ein Nachhall jener Kinderwonne in mir auf, allein
sie schmeckte traurig, und das Faß war kein Quell, kein Strom und kein
Niagara mehr.

Nachdenklich kletterte ich über den Zaun, eine blaue Windenblüte
streifte mir das Gesicht, ich riß sie ab und steckte sie in den Mund.
Ich war nun entschlossen, einen Spaziergang zu machen und vom Berg
herunter auf unsere Stadt zu sehen. Spazierengehen war auch so ein
halbfrohes Unternehmen, das mir in früheren Zeiten niemals in den Sinn
gekommen wäre. Ein Knabe geht nicht spazieren. Er geht in den Wald als
Räuber, als Ritter oder Indianer, er geht an den Fluß als Flößer und
Fischer oder Mühlenbauer, er läuft in die Wiesen zur Schmetterlings- und
Eidechsenjagd. Und so erschien mir mein Spaziergang als das würdige und
etwas langweilige Tun eines Erwachsenen, der nicht recht weiß, was er
mit sich anzufangen hat.

Meine blaue Winde war bald welk und weggeworfen, und ich nagte jetzt an
einem Buchsbaumzweig, den ich mir abgerissen hatte, er schmeckte bitter
und gewürzig. Beim Bahndamm, wo der hohe Ginster stand, lief mir eine
grüne Eidechse vor den Füßen weg, da wachte doch das Knabentum wieder in
mir auf, und ich ruhte nicht und lief und schlich und lauerte, bis ich
das ängstliche Tier sonnenwarm in meinen Händen hielt. Ich sah ihm in
die blanken kleinen Edelsteinaugen und fühlte mit einem Nachhall
ehemaliger Jagdseligkeit den geschmeidig kräftigen Leib und die harten
Beine zwischen meinen Fingern sich wehren und stemmen. Dann aber war die
Lust erschöpft und ich wußte nimmer, was ich mit dem gefangenen Tier
beginnen sollte. Es war nichts damit, es war kein Glück mehr dabei. Ich
bückte mich nieder und öffnete meine Hand, die Eidechse hielt verwundert
einen Augenblick mit heftig atmenden Flanken still und verschwand eifrig
im Grase. Ein Zug fuhr auf den glänzenden Eisenschienen daher und an mir
vorbei, ich sah ihm nach und fühlte einen Augenblick ganz klar, daß mir
hier keine wahre Lust mehr blühen könne, und wünschte inbrünstig, mit
diesem Zuge fort und in die Welt zu fahren.

Ich hielt Umschau, ob nicht der Bahnwärter in der Nähe sei, und da
nichts zu sehen noch zu hören war, sprang ich schnell über die Geleise
und kletterte jenseits an den hohen roten Sandsteinfelsen empor, in
welchen da und dort noch die geschwärzten Sprenglöcher vom Bahnbau her
zu sehen waren. Der Durchschlupf nach oben war mir bekannt, ich hielt
mich an den zähen, schon verblühten Ginsterbesen fest. In dem roten
Gestein atmete eine trockene Sonnenwärme, der heiße Sand rieselte mir
beim Klettern in die Ärmel, und wenn ich über mich sah, stand über der
senkrechten Steinwand erstaunlich nah und fest der warme leuchtende
Himmel. Und plötzlich war ich oben, ich konnte mich an dem Steinrande
aufstemmen, die Knie nachziehen, mich an einem dünnen, dornigen
Akazienstämmchen festhalten und war nun auf einem verlorenen, steil
ansteigenden Graslande.

Diese stille kleine Wildnis, unter welcher in steiler Verkürzung die
Eisenbahnzüge wegfahren, war mir früher ein lieber Aufenthalt gewesen.
Außer dem zähen, verwilderten Grase, das nicht gemäht werden konnte,
wuchsen hier kleine, feindornige Rosensträucher und ein paar vom Winde
ausgesäte, kümmerliche Akazienbäumchen, durch deren dünne, transparente
Blätter die Sonne schien. Auf dieser Grasinsel, die auch von oben her
durch ein rotes Felsenband abgeschnitten war, hatte ich einst als
Robinson gehaust, der einsame Landstrich gehörte niemandem, als wer den
Mut und die Abenteuerlaune hatte, ihn durch senkrechtes Klettern zu
erobern. Hier hatte ich als Zwölfjähriger mit dem Meißel meinen Namen in
den Stein gehauen, hier hatte ich einst die Rosa von Tannenburg gelesen
und ein kindliches Drama gedichtet, das vom tapferen Häuptling eines
untergehenden Indianerstammes handelte.

Das sonnverbrannte Gras hing in bleichen, weißlichen Strähnen an der
steilen Halde, das durchglühte Ginsterlaub roch stark und bitter in der
windstillen Wärme. Ich streckte mich in die trockene Dürre, sah die
feinen Akazienblätter in ihrer peinlich zierlichen Anordnung grell
durchsonnt in dem satten blauen Himmel ruhen und dachte nach. Es schien
mir die rechte Stunde zu sein, um mein Leben und meine Zukunft vor mir
auszubreiten.

Doch vermochte ich nichts Neues zu entdecken. Ich sah nur die
merkwürdige Verarmung, die mich von allen Seiten bedrohte, das
unheimliche Erblassen und Hinwelken erprobter Freuden und liebgewordener
Gedanken. Für das, was ich widerwillig hatte hingeben müssen, für die
ganze verlorene Knabenseligkeit war mein Beruf mir kein Ersatz, ich
liebte ihn wenig und bin ihm auch nicht lange treu geblieben. Er war für
mich nichts als ein Weg in die Welt hinaus, wo ohne Zweifel irgendwo
neue Befriedigungen zu finden wären. Welcher Art konnten diese sein?

Man konnte die Welt sehen und Geld verdienen, man brauchte Vater und
Mutter nimmer zu fragen, ehe man etwas tat und unternahm, man konnte
Sonntags Kegel schieben und Bier trinken. Dieses alles aber, sah ich
wohl, waren nur Nebensachen und keineswegs der Sinn des neuen Lebens,
das mich erwartete. Der eigentliche Sinn lag anderswo, tiefer, schöner,
geheimnisvoller, und er hing, so fühlte ich, mit den Mädchen und mit der
Liebe zusammen. Da mußte eine tiefe Lust und Befriedigung verborgen
sein, sonst wäre das Opfer der herrlichen Knabenfreuden ohne Sinn
gewesen.

Von der Liebe wußte ich wohl, ich hatte manches Liebespaar gesehen und
wunderbar berauschende Liebesdichtungen gelesen. Ich hatte mich auch
selber schon mehrere Male verliebt und in Träumen etwas von der
Süßigkeit empfunden, um die ein Mann sein Leben einsetzt und die der
Sinn seines Tuns und Strebens ist. Ich hatte Schulkameraden, die schon
jetzt mit Mädchen gingen, und ich hatte in der Werkstatt Kollegen, die
von den sonntäglichen Tanzböden und von nächtlich erstiegenen
Kammerfenstern ohne Scheu zu erzählen wußten. Mir selbst indessen war
die Liebe noch ein verschlossener Garten, vor dessen Pforte ich in
schüchterner Sehnsucht wartete.

Erst in der letzten Woche, kurz vor meinem Unfall mit dem Meißel, war
der erste klare Ruf an mich ergangen, und seitdem war ich in diesem
unruhig nachdenklichen Zustande eines Abschiednehmenden, seitdem war
mein bisheriges Leben mir zur Vergangenheit und war der Sinn der Zukunft
mir deutlich geworden. Unser zweiter Lehrbube hatte mich eines Abends
beiseite genommen und mir auf dem Heimwege berichtet, er wisse mir eine
schöne Liebste, sie habe noch keinen Schatz gehabt und wolle keinen
andern als mich, und sie habe einen seidenen Geldbeutel gestrickt, den
wolle sie mir schenken. Ihren Namen wollte er nicht sagen, ich werde ihn
schon selber erraten können. Als ich dann drängte und fragte und
schließlich geringschätzig tat, blieb er stehen – wir waren eben auf dem
Mühlensteg überm Wasser – und sagte leise: „Sie geht gerade hinter uns.“
Verlegen drehte ich mich um, halb hoffend und halb fürchtend, es sei
doch alles nur ein dummer Scherz. Da kam hinter uns die Brückenstufen
herauf ein junges Mädchen aus der Baumwollspinnerei gegangen, die Berta
Vögtlin, die ich vom Konfirmandenunterricht her noch kannte. Sie blieb
stehen, sah mich an und lächelte und wurde langsam rot, bis ihr ganzes
Gesicht in Flammen stand. Ich lief schnell weiter und nach Hause.

Seither hatte sie mich zweimal aufgesucht, einmal in der Spinnerei, wo
wir Arbeit hatten, und einmal abends beim Heimgehen, doch hatte sie nur
grüß Gott gesagt und dann: „Auch schon Feierabend?“ Das bedeutet, daß
man ein Gespräch anzuknüpfen willens ist; ich hatte aber nur genickt und
Ja gesagt und war verlegen fortgegangen.

An dieser Geschichte hingen nun meine Gedanken fest und fanden sich
nicht zurecht. Ein hübsches Mädchen liebzuhaben, davon hatte ich schon
oft mit tiefem Verlangen geträumt. Da war nun eine, hübsch und blond und
etwas größer als ich, die wollte von mir geküßt sein und in meinen Armen
ruhen. Sie war groß und kräftig gewachsen, sie war weiß und rot und
hübsch von Gesicht, an ihrem weißen Nacken spielte schattiges
Haargekräusel und ihr Blick war voll Erwartung und Liebe. Aber ich hatte
nie an sie gedacht, ich war nie in sie verliebt gewesen, ich war ihr nie
in zärtlichen Träumen nachgegangen und hatte nie mit Zittern ihren Namen
in mein Kissen geflüstert. Ich durfte sie, wenn ich wollte, liebkosen
und zu eigen haben, aber ich konnte sie nicht verehren und nicht vor ihr
knien und anbeten. Was sollte daraus werden? Was sollte ich tun?

Unmutig stand ich von meinem Graslager auf. Ach, es war eine üble Zeit.
Wollte Gott, mein Fabrikjahr wäre schon morgen um und ich könnte
wegreisen, weit von hier, und neu anfangen und das alles vergessen.

Um nur etwas zu tun und mich leben zu fühlen, beschloß ich vollends auf
den Berg zu steigen, so mühsam es von hier aus war. Da droben war man
hoch über dem Städtchen und konnte in die Ferne sehen. Im Sturm lief ich
die Halde hinan bis zum oberen Felsen, klemmte mich zwischen den Steinen
empor und zwang mich auf das hohe Gelände, wo der unwirtliche Berg in
Gesträuch und lockeren Felstrümmern verlief. In Schweiß und Atemklemme
kam ich hinan und atmete befreiter im schwachen Luftzug der sonnigen
Höhe. Verblühende Rosen hingen locker an den Ranken und ließen müde
blasse Blätter sinken, wenn ich vorüberstreifte. Grüne kleine Brombeeren
wuchsen überall und hatten nur an der Sonnenseite den ersten schwachen
Schimmer von metallischem Braun. Distelfalter flogen ruhig in der
stillen Wärme einher und zogen Farbenblitze durch die Luft, auf einer
bläulich überhauchten Schafgarbendolde saßen zahllose rot und schwarz
gefleckte Käfer, eine sonderbare lautlose Versammlung, und bewegten
automatenhaft ihre langen, hageren Beine. Vom Himmel waren längst alle
Wolken verschwunden, er stand in reinem Blau, von den schwarzen
Tannenspitzen der nahen Waldberge scharf durchschnitten.

Auf dem obersten Felsen, wo wir als Schulknaben stets unsere Herbstfeuer
angezündet hatten, hielt ich an und wendete mich um. Da sah ich tief im
halbschattigen Tale den Fluß aufglänzen und die weißschaumigen
Mühlenwehre blitzen, und eng in die Tiefe gebettet unsere alte Stadt mit
braunen Dächern, über denen still und steil der blaue mittägliche
Herdrauch in die Lüfte stieg. Da stand meines Vaters Haus und die alte
Brücke, da stand unsere Werkstatt, in der ich klein und rot das
Schmiedefeuer glimmen sah, und weiter flußab die Spinnerei, auf deren
flachem Dache Gras wuchs und hinter deren blanken Scheiben mit vielen
andern auch die Berta Vögtlin ihrer Arbeit nachging. Ach die! Ich wollte
nichts von ihr wissen.

Die Vaterstadt sah wohlbekannt in der alten Vertrautheit zu mir herauf
mit allen Gärten, Spielplätzen und Winkeln, die goldenen Zahlen der
Kirchenuhr glänzten listig in der Sonne auf, und im schattigen Mühlkanal
standen Häuser und Bäume klar in kühler Schwärze gespiegelt. Nur ich
selber war anders geworden, und nur an mir lag es, daß zwischen mir und
diesem Bilde ein gespenstischer Schleier der Entfremdung hing. In diesem
kleinen Bezirk von Mauern, Fluß und Wald lag mein Leben nicht mehr
sicher und zufrieden eingeschlossen, es hing wohl noch mit starken Fäden
an diese Stätten geknüpft, war aber nicht mehr eingewachsen und
umfriedet, sondern schlug überall mit Wogen der Sehnsucht über die engen
Grenzen ins Weite. Indem ich mit einer eigentümlichen Trauer
hinuntersah, stiegen alle meine geheimen Lebenshoffnungen feierlich in
meinem Gemüte auf, Worte meines Vaters und Worte der verehrten Dichter
zusammen mit meinen eigenen heimlichen Gelübden, und es schien mir eine
ernsthafte, doch köstliche Sache, ein Mann zu werden und mein eigenes
Schicksal bewußt in Händen zu halten. Und alsbald fiel dieser Gedanke
wie ein Licht in die Zweifel, die mich wegen der Angelegenheit mit Berta
Vögtlin bedrängten. Mochte sie hübsch sein und mich gern haben; es war
nicht meine Sache, das Glück so fertig und unerworben mir von
Mädchenhänden schenken zu lassen.

Es war nicht mehr lange bis Mittag. Die Lust am Klettern war mir
verflogen, nachdenklich stieg ich den Fußweg nach der Stadt hinab, unter
der kleinen Eisenbahnbrücke durch, wo ich in früheren Jahren jeden
Sommer in den dichten Brennesseln die dunkeln pelzigen Raupen der
Pfauenaugen erbeutet hatte, und an der Friedhofmauer vorbei, vor deren
Pforte ein moosiger Nußbaum dichten Schatten streute. Das Tor stand
offen, und ich hörte von drinnen den Brunnen plätschern. Gleich nebenan
lag der Spiel- und Festplatz der Stadt, wo beim Maienfest und am
Sedanstag gegessen und getrunken, geredet und getanzt wurde. Jetzt lag
er still und vergessen im Schatten der uralten, mächtigen Kastanien, mit
grellen Sonnenflecken auf dem rötlichen Sande.

Hier unten im Tal, auf der sonnigen Straße den Fluß entlang, brannte
eine erbarmungslose Mittagshitze, hier standen, auf der Flußseite den
grell bestrahlten Häusern gegenüber, die spärlichen Eschen und Ahorne
dünnlaubig und schon spätsommerlich angegilbt. Wie es meine Gewohnheit
war, ging ich auf der Wasserseite und schaute nach den Fischen aus. Im
glashellen Flusse wedelte mit langen, wallenden Bewegungen das dichte
bärtige Seegras, dazwischen in dunkeln, mir genau bekannten Lücken stand
da und dort vereinzelt ein dicker Fisch träge und regungslos, die
Schnauze gegen die Strömung gerichtet, und obenhin jagten zuweilen in
kleinen dunkeln Schwärmen die jungen Weißfische hin. Ich sah, daß es gut
gewesen war, diesen Morgen nicht zum Angeln zu gehen, aber die Luft und
das Wasser und die Art, wie zwischen zwei großen runden Steinen eine
dunkle alte Barbe ausruhend im klaren Wasser stand, sagte mir
verheißungsvoll, es werde heut am Nachmittage wahrscheinlich etwas zu
fangen sein. Ich merkte es mir und ging weiter, und atmete tief auf, als
ich von der blendenden Straße durch die Einfahrt in den kellerkühlen
Flur unseres Hauses trat.

„Ich glaube, wir werden heute wieder ein Gewitter haben,“ sagte bei
Tische mein Vater, der ein zartes Wettergefühl besaß. Ich wandte ein,
daß kein Wölkchen am Himmel und kein Hauch von Westwind zu spüren sei,
aber er lächelte und sagte: „Fühlst du nicht, wie die Luft gespannt ist?
Wir werden sehen.“

Es war allerdings schwül genug, und der Abwasserkanal roch heftig wie
bei Föhnbeginn. Ich spürte von dem Klettern und von der eingeatmeten
Hitze nachträglich eine Müdigkeit und setzte mich gegen den Garten auf
die Veranda. Mit schwacher Aufmerksamkeit und oft von leichtem Schlummer
unterbrochen las ich in der Geschichte des Generals Gordon, des Helden
von Chartum, und immer mehr schien es nun auch mir, es müsse bald ein
Gewitter kommen. Der Himmel stand nach wie vor im reinsten Blau, aber
die Luft wurde immer bedrückender, als lägen durchglühte Wolkenschichten
vor der Sonne, die doch klar in ihrer Höhe stand. Um zwei Uhr ging ich
in das Haus zurück und begann mein Angelzeug zu rüsten. Am liebsten
hätte ich heute vom Bischofwege aus mit der Rute auf Barben geangelt,
aber da mußte ich mitten in der grellen Sonne und gegen die Blendung
stehen, auch hatte ich keinen lebendigen Köder. So entschied ich mich
für den unteren Mühlsteg, wo ich im Schatten stehen und mit Fleisch oder
Käse auf Rotaugen und Nasen fischen konnte. Während ich meine Schnüre
und Haken untersuchte, fühlte ich die zarte, innige Erregung der Jagd
voraus und empfand mit Dankbarkeit, daß doch dieses eine, tiefe,
leidenschaftliche Vergnügen mir geblieben sei. Heute sind viele Jahre
hingegangen, in denen ich keine Angelschnur mehr zwischen den Fingern
gefühlt habe, aber noch immer besuchen mich zuweilen Träume, in denen
ich mit der alten tiefen, straff gespannten Lust am heimatlichen Flusse
mit der Angel stehe, und noch immer würde ich, wenn ich das Zauberwort
wüßte, von den Leidenschaften und Beglückungen der versunkenen
Jugendzeit vor allen andern diese eine mir zurückwünschen.

Die sonderbar schwüle, gepreßte Stille jenes Nachmittags ist mir
unvergeßlich geblieben. Ich trug meinen Fischeimer flußabwärts bis zum
unteren Steg, der schon zur Hälfte im Schatten der hohen Häuser lag. Von
der nahen Spinnerei hörte man das gleichmäßige, einschläfernde Surren
der Maschinen, einem Bienenfluge ähnlich, und von der Obermühle her
schnarrte jede Minute das böse, schartige Kreischen der neuen Kreissäge.
Sonst war es ganz still, die Handwerker hatten sich in den Schatten der
Werkstätten zurückgezogen, und kein Mensch zeigte sich auf der Gasse.
Auf der Mühlinsel watete ein kleiner Bub nackt zwischen den nassen
Steinen umher. Vor der Werkstatt des Wagnermeisters lehnten rohe
Holzdielen an der Wand und dufteten in der Sonne überstark, der trockene
Geruch kam bis zu mir herüber und war durch den satten, etwas fischigen
Wasserduft hindurch deutlich zu spüren.

Die Fische hatten das ungewöhnliche Wetter auch bemerkt und verhielten
sich launisch. Ein paar Rotaugen gingen in der ersten Viertelstunde an
die Angel, ein schwerer breiter Kerl mit schönen roten Bauchflossen riß
mir die Schnur ab, als ich ihn schon beinah in Händen hatte. Gleich
darauf kam eine Unruhe in die Tiere, die Rotaugen gingen tief in den
Schlamm und sahen keinen Köder mehr an, oben aber wurden Schwärme von
jungem, jährigem Fischzeug sichtbar und zogen in immer neuen Scharen wie
auf einer Flucht flußaufwärts. Alles deutete darauf, daß anderes Wetter
im Anzug sei, aber die Luft stand still wie Glas, und der Himmel war
ohne Trübung.

Mir schien, es müsse irgendein schlechtes Abwasser die Fische vertrieben
haben, und da ich noch nicht nachzugeben gesonnen war, besann ich mich
auf einen neuen Standort und suchte den Kanal der Spinnerei auf. Kaum
hatte ich dort einen Platz bei dem Schuppen gefunden und meine Sachen
ausgepackt, so tauchte an einem Treppenfenster der Fabrik die Berta auf,
schaute herüber und winkte mir. Ich tat aber, als sähe ich es nicht, und
bückte mich über meine Angel.

Das Wasser strömte dunkel in dem gemauerten Kanal, ich sah meine Gestalt
darin mit wellig zitternden Umrissen gespiegelt, sitzend, der Kopf
zwischen den Fußsohlen. Das Mädchen, das noch drüben am Fenster stand,
rief meinen Namen herüber, ich starrte aber regungslos ins Wasser und
wendete den Kopf nicht um.

Mit dem Angeln war es nichts, auch hier trieben sich die Fische hastig
wie in eiligen Geschäften umher. Von der bedrückenden Wärme ermüdet
blieb ich auf dem Mäuerlein sitzen, nichts mehr von diesem Tag
erwartend, und wünschte, es möchte schon Abend sein. Hinter mir summte
in den Sälen der Spinnerei das ewige Maschinengetöne, der Kanal rieb
sich leise rauschend an den grünbemoosten, feuchten Mauern. Ich war voll
schläfriger Gleichgültigkeit und blieb nur sitzen, weil ich zu träge
war, meine Schnur schon wieder aufzuwickeln.

Aus dieser faulen Dämmerung erwachte ich, vielleicht nach einer halben
Stunde, plötzlich mit einem Gefühl von Sorge und tiefem Unbehagen. Ein
unruhiger Windzug drehte sich gepreßt und widerwillig um sich selber,
die Luft war dick und schmeckte fad, ein paar Schwalben flogen
erschreckt dicht über dem Wasser hinweg. Mir war schwindlig, und ich
meinte, vielleicht einen Sonnenstich zu haben, das Wasser schien stärker
zu riechen, und mir begann ein übles Gefühl, wie vom Magen her, den Kopf
einzunehmen und den Schweiß zu treiben. Ich zog die Angelschnur heraus,
um meine Hände an den Wassertropfen zu erfrischen, und begann mein Zeug
zusammenzupacken.

Als ich aufstand, sah ich auf dem Platz vor der Spinnerei den Staub in
kleinen spielenden Wölkchen wirbeln, plötzlich stieg er hoch und in eine
einzige Wolke zusammen, hoch oben in den erregten Lüften flohen Vögel
wie gepeitscht davon, und gleich darauf sah ich talherabwärts die Luft
weiß werden wie in einem dicken Schneesturm. Der Wind, sonderbar kühl
geworden, sprang wie ein Feind auf mich herab, riß die Fischleine aus
dem Wasser, nahm meine Mütze mit und schlug mich wie mit Fäusten ins
Gesicht.

Die weiße Luft, die eben noch wie eine Schneewand über fernen Dächern
gestanden hatte, war plötzlich um mich her, kalt und schmerzhaft, das
Kanalwasser spritzte hoch auf wie unter schnellen Mühlradschlägen, die
Angelschnur war fort, und um mich her tobte schnaubend und vernichtend
eine weiße brüllende Wildnis, Schläge trafen mir Kopf und Hände, Erde
spritzte an mir empor, Sand und Holzstücke wirbelten in der Luft.

Alles war mir unverständlich; ich fühlte nur, daß etwas Furchtbares
geschehe und daß Gefahr sei. Mit einem Satz war ich beim Schuppen und
drinnen, blind vor Überraschung und Schrecken. Ich hielt mich an einem
eisernen Träger fest und stand betäubte Sekunden atemlos in Schwindel
und animalischer Angst, bis ich zu begreifen begann. Ein Sturm, wie ich
ihn nie gesehen oder für möglich gehalten hatte, riß teuflisch vorüber,
in der Höhe klang ein banges oder wildes Sausen, auf das flache Dach
über mir und auf den Erdboden vor dem Eingang stürzte weiß in dicken
Haufen ein grober Hagel, dicke Eiskörner rollten zu mir herein. Der Lärm
von Hagel und Wind war furchtbar, der Kanal schäumte gepeitscht und
stieg in unruhigen Wogen an den Mauern auf und nieder.

Ich sah, alles in einer Minute, Bretter, Dachschindeln und Baumzweige
durch die Luft dahingerissen, fallende Steine und Mörtelstücke, alsbald
von der Masse der darüber geschleuderten Hagelschloßen bedeckt; ich
hörte wie unter raschen Hammerschlägen Ziegel brechen und stürzen, Glas
zersplittern, zerbeulte Dachrinnen stürzen.

Jetzt kam ein Mensch dahergelaufen, von der Fabrik her quer über den
eisbedeckten Hof, mit flatternden Kleidern schräg wider den Sturm
gelegt. Kämpfend taumelte die Gestalt näher, mir entgegen, mitten aus
der scheußlich durcheinander gewühlten Sintflut. Sie trat in den
Schuppen, lief auf mich zu, ein stilles fremd-bekanntes Gesicht mit
großen liebevollen Augen schwebte mit schmerzlichem Lächeln dicht vor
meinem Blick, ein stiller warmer Mund suchte meinen Mund und küßte mich
lange in atemloser Unersättlichkeit, Hände umschlangen meinen Hals, und
blondes feuchtes Haar preßte sich an meine Wangen, und während ringsum
der Hagelsturm die Welt erschütterte, überfiel ein stummer, banger
Liebessturm mich tiefer und schrecklicher.

Wir saßen auf einem Bretterstoß, ohne Worte, eng umschlungen, ich
streichelte scheu und verwundert Bertas Haar und drückte meine Lippen
auf ihren starken, vollen Mund, ihre Wärme umschloß mich süß und
schmerzlich. Ich tat die Augen zu, und sie drückte meinen Kopf an ihre
klopfende Brust, in ihren Schoß und strich mit leisen, irren Händen über
mein Gesicht und Haar.

Da ich die Augen aufschlug, von einem Sturz in Schwindelfinsternis
erwachend, stand ihr ernstes, kräftiges Gesicht in trauriger Schönheit
über mir, und ihre Augen sahen mich verloren an. Von ihrer hellen Stirne
lief, unter den verwirrten Haaren hervor, ein schmaler Streifen
hellroten Blutes über das ganze Gesicht und bis in den Hals hinab.

„Was ist? Was ist denn geschehen?“ rief ich angstvoll.

Sie sah mir tiefer in die Augen und lächelte schwach.

„Ich glaube, die Welt geht unter,“ sagte sie leise, und der dröhnende
Wetterlärm verschlang ihre Worte.

„Du blutest,“ sagte ich.

„Das ist vom Hagel. Laß nur! Hast du Angst?“

„Nein. Aber du?“

„Ich habe keine Angst. Ach du, jetzt fällt die ganze Stadt zusammen.
Hast du mich denn gar nicht lieb, du?“

Ich schwieg und schaute gebannt in ihre großen, klaren Augen, die waren
voll betrübter Liebe, und während sie sich über meine senkten und
während ihr Mund so schwer und zehrend auf meinem lag, sah ich
unverwandt in ihre ernsten Augen, und am linken Auge vorbei lief über
die weiße, frische Haut das dünne hellrote Blut. Und indessen meine
Sinne trunken taumelten, strebte mein Herz davon und wehrte sich mit
Verzweiflung dagegen, so im Sturm und wider seinen Willen weggenommen zu
werden. Ich richtete mich auf, und sie las in meinem Blick, daß ich
Mitleid mit ihr habe.

Da bog sie sich zurück und sah mich wie zürnend an, und da ich ihr in
einer Bewegung von Bedauern und Sorge die Hand hinstreckte, nahm sie die
Hand mit ihren beiden, senkte ihr Gesicht darein, sank kniend nieder und
begann zu weinen, und ihre Tränen liefen warm über meine zuckende Hand.
Verlegen schaute ich zu ihr nieder, ihr Kopf lag schluchzend über meiner
Hand, auf ihrem Nacken spielte schattig ein weicher Haarflaum. Wenn das
nun eine andere wäre, dachte ich heftig, eine, die ich wirklich liebte
und der ich meine Seele hingeben könnte, wie wollte ich in diesem süßen
Flaum mit liebenden Fingern wühlen und diesen weißen Nacken küssen! Aber
mein Blut war stiller geworden, und ich litt Qualen der Scham darüber,
diese da zu meinen Füßen knien zu sehen, welcher ich nicht gewillt war,
meine Jugend und meinen Stolz hinzugeben.

Dieses alles, das ich durchlebte wie ein verzaubertes Jahr und das mir
heute noch mit hundert kleinen Regungen und Gebärden wie ein großer
Zeitraum im Gedächtnis steht, hat in der Wirklichkeit nur wenige Minuten
gedauert. Eine Helligkeit brach unvermutet herein, Stücke blauen Himmels
schienen feucht in versöhnlicher Unschuld hervor, und plötzlich,
messerscharf abgeschnitten, fiel das Sturmgetöse in sich zusammen, und
eine erstaunliche, unglaubhafte Stille umgab uns.

Wie aus einer phantastischen Traumhöhle trat ich aus dem Schuppen hervor
an den wiedergekehrten Tag, verwundert, daß ich noch lebe. Der öde Hof
sah übel aus, die Erde zerwühlt und wie von Pferden zertreten, überall
Haufen von großen eisigen Schloßen, mein Angelzeug war fort und auch der
Fischeimer verschwunden. Die Fabrik war voll Menschengetöse, ich sah
durch hundert zerschlagene Scheiben in die wogenden Säle, aus allen
Türen drängten Menschen hervor. Der Boden lag voll von Glasscherben und
zerborstenen Ziegelsteinen, eine lange blecherne Dachrinne war
losgerissen und hing schräg und verbogen über das halbe Haus herab.

Nun vergaß ich alles, was eben noch gewesen war, und fühlte nichts als
eine wilde, ängstliche Neugierde, zu sehen, was eigentlich passiert wäre
und wieviel Schlimmes das Wetter angerichtet habe. Alle die
zerschlagenen Fenster und Dachziegel der Fabrik sahen im ersten
Augenblick recht wüst und trostlos aus, aber schließlich war doch das
alles nicht gar so gräßlich und stand nicht recht im Verhältnis zum
furchtbaren Eindruck, den der Zyklon mir gemacht hatte. Ich atmete auf,
befreit und halb auch wunderlich enttäuscht und ernüchtert: die Häuser
standen wie zuvor, und zu beiden Seiten des Tales waren auch die Berge
noch da. Nein, die Welt war nicht untergegangen.

Indessen, als ich den Fabrikhof verließ und über die Brücke in die erste
Gasse kam, gewann das Unheil doch wieder ein schlimmeres Ansehen. Das
Sträßlein lag voll von Scherben und zerbrochenen Fensterladen, zwei
Schornsteine waren herabgestürzt und hatten Stücke der Dächer
mitgerissen, Menschen standen vor allen Türen, bestürzt und klagend,
alles, wie ich es auf Bildern belagerter und eroberter Städte gesehen
hatte. Steingeröll und Baumäste versperrten den Weg, Fensterlöcher
starrten überall hinter Splittern und Scherben, Gartenzäune lagen am
Boden oder hingen klappernd über Mauern herab. Kinder wurden vermißt und
gesucht, Menschen sollten auf den Feldern vom Hagel erschlagen worden
sein. Man zeigte Hagelstücke herum, groß wie Talerstücke und noch
größere.

Noch war ich zu erregt, um nach Hause zu gehen und den Schaden im
eigenen Hause und Garten zu betrachten; auch fiel mir nicht ein, daß man
mich vermissen könnte, es war mir ja nichts geschehen. Ich beschloß,
noch einen Gang ins Freie zu tun, statt weiter durch diese Scherben zu
stolpern, und mein Lieblingsort kam mir verlockend in den Sinn, der alte
Festplatz neben dem Friedhof, in dessen Schatten ich alle großen Feste
meiner Knabenjahre gefeiert hatte. Verwundert stellte ich fest, daß ich
erst vor vier, fünf Stunden auf dem Heimweg von den Felsen dort
vorübergegangen sei; es schienen mir lange Zeiten seither vergangen.

Und so ging ich die Gasse zurück und über die untere Brücke, sah
unterwegs durch eine Gartenlücke unsern roten sandsteinernen Kirchturm
wohlerhalten stehen und fand auch die Turnhalle nur wenig beschädigt.
Weiter drüben stand einsam ein altes Wirtshaus, dessen Dach ich von
weitem erkannte. Es stand wie sonst, sah aber doch sonderbar verändert
aus, ich wußte nicht gleich warum. Erst als ich mir Mühe gab, mich genau
zu besinnen, fiel mir ein, daß vor dem Wirtshause immer zwei hohe
Pappeln gestanden waren. Diese Pappeln waren nicht mehr da. Ein uralt
vertrauter Anblick war zerstört, eine liebe Stelle geschändet.

Da stieg mir eine böse Ahnung auf, es möchte noch mehr und noch Edleres
verdorben sein. Mit einemmal fühlte ich mit beklemmender Neuheit, wie
sehr ich meine Heimat liebte, wie tief mein Herz und Wohlsein abhängig
war von diesen Dächern und Türmen, Brücken und Gassen, von den Bäumen,
Gärten und Wäldern. In neuer Erregung und Sorge lief ich rascher, bis
ich drüben bei dem Festplatze war.

Da stand ich still und sah den Ort meiner liebsten Erinnerungen namenlos
verwüstet in völliger Zerstörung liegen. Die alten Kastanien, in deren
Schatten wir unsere Festtage gehabt hatten und deren Stämme wir als
Schulknaben zu dreien und vieren kaum hatten umarmen können, die lagen
abgebrochen, geborsten, mit den Wurzeln ausgerissen und umgestülpt, daß
hausgroße Löcher im Boden klafften. Nicht einer stand mehr an seinem
Platze, es war ein schauderhaftes Schlachtfeld, und auch die Linden und
die Ahorne waren gefallen, Baum an Baum. Der weite Platz war ein
ungeheurer Trümmerhaufen von Ästen, gespaltenen Stämmen, Wurzeln und
Erdblöcken, mächtige Stämme standen noch im Boden, aber ohne Baum,
abgeknickt und abgedreht mit tausend weißen, nackten Splittern.

Es war nicht möglich weiterzugehen, Platz und Straße waren haushoch von
durcheinander geworfenen Stämmen und Baumtrümmern gesperrt, und wo ich
seit den ersten Kinderzeiten nur tiefen heiligen Schatten und hohe
Baumtempel gekannt hatte, starrte der leere Himmel über der Vernichtung.

Mir war, als sei ich selber mit allen geheimen Wurzeln ausgerissen und
in den unerbittlich grellen Tag gespien worden. Tagelang ging ich umher
und fand keinen Waldweg, keinen vertrauten Nußbaumschatten, keine von
den Eichen der Bubenkletterzeit mehr wieder, überall weit um die Stadt
nur Trümmer, Löcher, gebrochene Waldhänge wie Gras hingemäht,
Baumleichen klagend mit entblößtem Wurzelwerk zur Sonne gekehrt.
Zwischen mir und meiner Kindheit war eine Kluft aufgebrochen, und meine
Heimat war nicht die alte mehr. Die Lieblichkeit und die Torheit der
gewesenen Jahre fielen von mir ab, und bald darauf verließ ich die
Stadt, um ein Mann zu werden und das Leben zu bestehen, dessen erste
Schatten mich in diesen Tagen gestreift hatten.



                          Schön ist die Jugend


                             Erstes Kapitel

Sogar mein Onkel Matthäus hatte auf seine Art eine kleine Freude daran,
mich wiederzusehen. Wenn ein junger Mann ein paar Jahre lang weit in der
Fremde herum gewesen ist und kommt dann eines Tages wieder und ist etwas
Anständiges geworden, dann lächeln auch die vorsichtigsten Verwandten
und schütteln ihm erfreut die Hand.

Wenn es mir noch einmal im Leben so gut ergeht und so wohl im Herzen
wird wie in jenem Sommer, so will ich es dankbar hinnehmen.
Wahrscheinlich ist es aber nicht, und wenn böse Zeiten für mich kommen,
wird mir vielleicht die Erinnerung an gewesene schöne Jahre tröstlicher
sein als die ungewisse Hoffnung auf spätere neue Glückszeiten. Darum und
weil es für mich an der Zeit ist, von den Jünglingsjahren Abschied zu
nehmen, schreibe ich mir auf, was ich noch von den Erlebnissen jenes
Sommers weiß. Es war mein letzter sorgenloser Feriensommer, und wenn er
auch noch nicht gar weit zurückliegt, so steht er doch schon verklärt in
meiner Erinnerung und schaut mich glänzend an wie aus einem verlorenen
Paradiesgarten her.

Der kleine braune Koffer, in dem ich meine Habe trug, war noch ganz neu,
mit gutem Schloß und glänzenden Riemen. Er enthielt zwei saubere Anzüge,
Wäsche genug, ein neues Paar Stiefel, einige Bücher und Photographien,
zwei schöne Tabakspfeifen und eine Taschenpistole. Außerdem brachte ich
meinen Geigenkasten und einen Rucksack voll Kleinigkeiten mit, zwei
Hüte, einen Stock und einen Schirm, einen leichten Mantel und ein Paar
noble Gummischuhe, alles ziemlich neu und solid, und überdies trug ich
in der Brusttasche vernäht über zweihundert Mark Erspartes und einen
Brief, in dem mir auf den Herbst eine gute Stelle im Ausland zugesagt
war. An alledem hatte ich stattlich zu tragen und kehrte nun mit dieser
Ausrüstung nach längerer Wanderzeit als ein Herr in meine Heimat zurück,
die ich als schüchternes Sorgenkind verlassen hatte.

Vorsichtig langsam fuhr der Zug in großen Windungen den Hügel abwärts,
und mit jeder Windung wurden Häuser, Gassen, Fluß und Gärten der unten
liegenden Stadt näher und deutlicher. Bald konnte ich die Dächer
unterscheiden und die bekannten darunter aussuchen, bald auch schon die
Fenster zählen und die Storchennester erkennen, und während aus dem Tale
mir Kindheit und Knabenzeit und tausendfache köstliche Heimaterinnerung
entgegenwehte, schmolz mein übermütiges Heimkehrgefühl und meine Lust,
den Leuten da drunten recht zu imponieren, langsam dahin und wich einem
dankbaren Erstaunen. Das Heimweh, das mich im Lauf der Jahre verlassen
hatte, kam nun in der letzten Viertelstunde mächtig in mir herauf, jeder
Ginsterbusch am Bahnsteig und jeder wohlbekannte Gartenzaun ward mir
wunderlich teuer, und ich bat ihn um Verzeihung dafür, daß ich ihn so
lang hatte vergessen und entbehren können.

Als der Zug über unserm Garten hinwegfuhr, stand im obersten Fenster des
alten Hauses jemand und winkte mit einem großen Handtuch; das mußte mein
Vater sein. Und auf der Veranda standen meine Mutter und die Magd mit
Tüchern, und aus dem obersten Schornstein floß ein leichter blauer Rauch
vom Kaffeefeuer in die warme Luft und über das Städtchen hinweg. Das
gehörte nun alles wieder mir, hatte auf mich gewartet und hieß mich
willkommen, und mitten in meiner mächtigen Freude schämte ich mich und
wurde still, denn so schön und lieb hatte ich mir die Heimat nicht mehr
denken können.

Am Bahnhof lief der alte bärtige Portier mit derselben Aufregung wie
früher auf und ab und drängte die Leute vom Geleise weg, und unter den
Leuten sah ich meine Schwester und meinen jüngeren Bruder stehen und
erwartungsvoll nach mir ausblicken. Mein Bruder hatte für mein Gepäck
den kleinen Handwagen mitgebracht, der die ganzen Bubenjahre hindurch
unser Stolz gewesen war. Auf den luden wir meinen Koffer und Rucksack,
Fritz zog an, und ich ging mit der Schwester hinterdrein. Sie tadelte
es, daß ich mir jetzt die Haare so kurz scheren lasse, fand meinen
Schnurrbart hingegen hübsch und meinen neuen Koffer äußerst nobel. Wir
lachten und sahen uns in die Augen, gaben einander von Zeit zu Zeit
wieder die Hände und nickten dem Fritz zu, der mit dem Wägelchen
vorausfuhr und sich öfters umdrehte. Er war so groß wie ich und
stattlich breit geworden. Während er vor uns herging, fiel mir plötzlich
ein, daß ich ihn als Knabe mehrmals bei Streitereien geschlagen hatte,
ich sah sein Kindergesicht wieder und seine beleidigten oder traurigen
Augen, und fühlte etwas von derselben peinlichen Reue, die ich auch
damals immer spürte, sobald der Zorn vertobt war. Nun schritt Fritz groß
und erwachsen einher und hatte schon blonden Flaum ums Kinn.

Wir kamen durch die Allee von Kirschen- und Vogelbeerbäumen, am oberen
Steg vorbei, an einem neuen Kaufladen und vielen alten unveränderten
Häusern vorüber. Dann kam die Brückenecke, und da stand wie immer meines
Vaters Haus mit offenen Fenstern, durch die ich unsern Papagei pfeifen
hörte, daß mir vor Erinnerung und Freude das Herz heftig schlug. Durch
die kühle, dunkle Toreinfahrt und den großen steinernen Hausgang trat
ich ein und eilte die Treppe hinauf, auf der mir der Vater entgegenkam.
Er küßte mich, lächelte und klopfte mir auf die Schulter, dann führte er
mich still an der Hand bis zur oberen Flurtüre, wo meine Mutter stand
und mich in die Arme nahm.

Darauf kam die Magd Christine gelaufen und gab mir die Hand, und in der
Wohnstube, wo der Kaffee bereit stand, begrüßte ich den Papagei Polly.
Er kannte mich sogleich wieder, stieg vom Rand seines Käfigdaches auf
meinen Finger herüber und senkte den schönen grauen Kopf, um sich
streicheln zu lassen. Die Stube war frisch tapeziert, sonst war alles
gleich geblieben, von den Bildern der Großeltern und dem Glasschrank bis
zu der mit altmodischen Lilablumen bemalten Standuhr. Die Tassen standen
auf dem gedeckten Tisch, und in der meinen stand ein kleiner
Resedenstrauß, den ich herausnahm und ins Knopfloch steckte.

Mir gegenüber saß die Mutter und sah mich an und legte mir Milchwecken
hin; sie ermahnte mich, über dem Reden das Essen nicht zu versäumen, und
stellte doch selber eine Frage um die andere, die ich beantworten mußte.
Der Vater hörte schweigend zu, strich seinen grau gewordenen Bart und
sah mich durch die scharfen Brillengläser freundlich prüfend an. Und
während ich ohne übertriebene Bescheidenheit von meinen Erlebnissen,
Taten und Erfolgen berichtete, fühlte ich wohl, daß ich das Beste von
allem diesen beiden zu danken habe.

An diesem ersten Tag wollte ich gar nichts sehen als das alte Vaterhaus,
für alles andere war morgen und später noch Zeit genug. So gingen wir
nach dem Kaffee durch alle Stuben, durch Küche, Gänge und Kammern, und
fast alles war noch wie einstmals, und einiges Neue, das ich entdeckte,
kam den andern auch schon alt und selbstverständlich vor, und sie
stritten, ob es nicht schon zu meinen Zeiten so gewesen sei.

Der Garten war anders geworden und sah feiner und herrschaftlicher aus
als früher. Die gleichen Reihen rechteckiger Gemüsebeete waren
verschwunden, da Mama doch alterte und nicht mehr danach hätte schauen
können. Statt dessen waren ein großes rundes Mittelbeet und vier ovale
Seitenbeete angelegt, dazwischen gewundene Sandwege, und mein Vater war
ein eifriger Gärtner geworden und hatte eine Menge von Rosen, Dahlien,
Levkoien, Balsaminen und anderen farbigen Sommerflor gepflanzt. Nur die
alten Beerensträucher waren fast alle noch da. Die vom Vater gepflanzten
Tannen waren hoch geworden und gaben Schatten; und die Veranda war ganz
von Geißblatt und Pfeifenkraut eingesponnen. Der ehemalige Hasenstall
war weggeräumt und die Wasserleitung verbessert. Man fürchtete eine
längere Trockenheit, und ich erhielt Anweisungen fürs tägliche Gießen
der Beete und Topfpflanzen. Für die feineren Gewächse mußte das Wasser
vorher an der Sonne gewärmt werden.

In dem kleinen Garten, der zwischen Efeumauern am Bergabhange liegt,
schien die fröhliche Nachmittagsonne auf saubere Wege und
Tropfsteineinfassungen, auf das halbvolle Wasserfaß und auf die prächtig
farbigen Beete, daß alles lachte. Wir setzten uns auf der Veranda in
bequeme Stühle; dort floß das durch die großen transparenten Blätter des
Pfeifenstrauches eindringende Sonnenlicht gedämpft und warm und
lichtgrün, ein paar Bienen sumsten schwer und trunken dahin und hatten
ihren Weg verloren. Der Vater sprach zum Dank für meine Heimkehr mit
entblößtem Haupt das Vaterunser, wir standen still und hatten die Hände
gefaltet, und obwohl die ungewohnte Feierlichkeit mich ein wenig
bedrückte, hörte ich doch die alten heiligen Worte mit Freude und sprach
das Amen dankbar mit.

Dann ging Vater in seine Studierstube, und die Geschwister liefen weg,
es ward ganz still, und ich saß allein mit meiner Mutter an dem Tisch.
Das war ein Augenblick, auf den ich mich schon gar lang gefreut und auch
gefürchtet hatte. Denn wenn auch meine Rückkehr erfreulich und
willkommen war, so war doch mein Leben in den letzten Jahren nicht
durchaus sauber und durchsichtig gewesen. Vielmehr hatte ich in Briefen
mich öfters zu gefährlichen modernen Ideen bekannt und Streit oder
Ermahnungen hervorgerufen, auch hatte meine Jugend und die ungewohnte
Freiheit des Lebens unter Fremden mich auf manche Irrwege geführt, die
ich zum Teil noch nicht einmal bereuen konnte.

Nun schaute mich die Mutter mit ihren schönen, warmen Augen an und las
auf meinem Gesicht und überlegte sich vielleicht, was sie sagen und
wonach sie fragen sollte. Ich hielt befangen still und spielte mit
meinen Fingern, auf ein Examen gefaßt, das im ganzen zwar nicht allzu
unrühmlich, im einzelnen jedoch recht beschämend ausfallen würde.

Sie sah mir eine Weile ruhig in die Augen, dann nahm sie meine Hand in
ihre feinen, kleinen Hände.

„Betest du auch noch manchmal?“ fragte sie leise.

„In der letzten Zeit nicht mehr,“ mußte ich sagen, und sie blickte mich
ein wenig bekümmert an.

„Du lernst es schon wieder,“ meinte sie dann. Und ich sagte:
„Vielleicht.“

Dann schwieg sie eine Weile und fragte schließlich: „Aber gelt, ein
rechter Mann willst du werden?“

Da konnte ich Ja sagen. Sie aber, statt nun mit peinlichen Fragen zu
kommen, streichelte meine Hand und nickte mir auf eine Weise zu, die
bedeutete, sie habe Vertrauen zu mir, auch ohne eine Beichte. Und dann
fragte sie nach meinen Kleidern und meiner Wäsche, denn in den letzten
zwei Jahren hatte ich mich selber versorgt und nichts mehr zum Waschen
und Flicken heimgeschickt.

„Wir wollen morgen alles miteinander durchsehen,“ sagte sie, nachdem ich
Bericht erstattet hatte, und damit war das ganze Examen zu Ende.

Bald darauf holte die Schwester mich ins Haus. Im „schönen Zimmer“
setzte sie sich ans Klavier und holte die Noten von damals heraus, die
ich lang nimmer gehört und gesungen und doch nicht vergessen hatte. Wir
sangen Lieder von Schubert, Abt und Schumann und nahmen dann den
köstlichen Silcher vor, die deutschen und die ausländischen Volkslieder,
bis es Zeit zum Nachtessen war. Da deckte meine Schwester den Tisch,
während ich mich mit Polly unterhielt, der trotz seines Namens für ein
Männchen galt und „der“ Polly hieß. Er sprach mancherlei, ahmte unsere
Stimmen und unser Lachen nach und verkehrte mit jedem von uns auf einer
besonderen, genau eingehaltenen Stufe von Freundschaftlichkeit. Am
engsten war er mit meinem Vater befreundet, den er alles mit sich
anfangen ließ, dann kam der Bruder, dann Mama, dann ich und zuletzt die
Schwester, gegen die er ein Mißtrauen hegte.

Polly war das einzige Tier in unserm Hause und gehörte seit zwanzig
Jahren wie ein Kind zu uns. Er liebte Gespräch, Gelächter und Musik,
aber nicht in nächster Nähe. Wenn er allein war und im Nebenzimmer
lebhaft sprechen hörte, lauschte er scharf, redete mit und lachte auf
seine gutmütig ironische Art. Und manchmal, wenn er ganz unbeachtet und
einsam auf seinem Klettergestäbe saß und Stille herrschte und die Sonne
warm ins Zimmer schien, dann fing er in tiefen, wohligen Tönen an das
Leben zu preisen und Gott zu loben. Es war halb gepfiffen, halb
gesungen, in flötenähnlichen Lauten, und es klang feierlich, warm und
innig, wie das selbstvergessene Singen eines einsam spielenden Kindes.

Nach dem Abendessen brachte ich eine halbe Stunde damit zu, einen Teil
des Gartens zu gießen, und als ich naß und schmutzig wieder hereinkam,
hörte ich vom Gang aus eine halb bekannte Mädchenstimme drinnen
sprechen. Schnell wischte ich die Hände am Sacktuch ab und trat ein, da
saß in einem lila Kleide und breitem Strohhut ein großes schönes
Mädchen, und als sie aufstand und mich ansah und mir die Hand
hinstreckte, erkannte ich Helene Kurz, eine Freundin meiner Schwester,
in die ich früher einmal verliebt gewesen war.

„Haben Sie mich denn noch gekannt?“ fragte ich vergnügt.

„Lotte hat mir schon gesagt, Sie seien heimgekommen,“ sagte sie
freundlich. Aber mich hätte es mehr gefreut, wenn sie einfach ja gesagt
hätte. Sie war hoch gewachsen und gar schön geworden, ich wußte nichts
weiter zu sagen und ging ans Fenster zu den Blumen, während sie sich mit
der Mutter und Lotte unterhielt.

Meine Augen gingen auf die Straße, und meine Finger spielten mit den
Blättern der Geranienstöcke, meine Gedanken aber waren nicht dabei. Ich
sah einen blaukalten Winterabend und lief auf dem Flusse zwischen den
hohen Erlenstauden Schlittschuh und verfolgte von ferne in scheuen
Halbkreisen eine feine Mädchengestalt, die noch nicht richtig
Schlittschuh laufen konnte und sich von einer Freundin führen ließ.

Nun klang ihre Stimme, viel voller und tiefer geworden als früher, mir
nahe und mir doch fast fremd; sie war eine junge Dame geworden, und ich
kam mir nimmer gleichstehend und gleichaltrig vor, sondern wie wenn ich
immer noch fünfzehnjährig wäre. Als sie ging, gab ich ihr wieder die
Hand, verbeugte mich aber unnötig und ironisch tief und sagte: „Gute
Nacht, Fräulein Kurz.“

„Ist die denn wieder daheim?“ fragte ich nachher.

„Wo soll sie denn sonst sein?“ meinte Lotte, und ich mochte nicht weiter
davon reden.

Pünktlich um zehn Uhr wurde das Haus geschlossen, und die Eltern gingen
ins Bett. Beim Gutenachtkuß legte der Vater mir den Arm um die Schulter
und sagte leise: „Das ist recht, daß wir dich wieder einmal zu Haus
haben. Freut’s dich auch?“

Alles ging zu Bett, auch die Magd hatte schon vor einer Weile gute Nacht
gesagt, und nachdem noch ein paar Türen einigemal auf und zu gegangen
waren, lag das ganze Haus in tiefer Nachtstille.

Ich aber hatte mir zuvor ein Krüglein Bier geholt und kalt gestellt, das
setzte ich in meinem Zimmer auf den Tisch, und da in den Wohnstuben bei
uns nicht geraucht werden durfte, stopfte ich mir jetzt eine Pfeife und
zündete sie an. Meine beiden Fenster gingen auf den dunkeln, stillen
Hof, von dem eine Steintreppe bergauf in den Garten führte. Dort oben
sah ich die Tannen schwarz am Himmel stehen und darüber Sterne
schimmern.

Länger als eine Stunde blieb ich noch auf, sah die kleinen wolligen
Nachtflügler um meine Lampe geistern und blies langsam meine Rauchwolken
gegen die geöffneten Fenster. In langen stillen Zügen gingen unzählige
Bilder meiner Heimat- und Knabenzeit an meiner Seele vorüber, eine große
schweigende Schar, aufsteigend und erglänzend und wieder verschwindend
wie Wogen auf einer Seefläche. Und mir schien, ich sei über das halb
bewußtlose Dahintreiben jener frühlinghaften Zeiten noch kaum
hinausgekommen. Noch immer bestand mein Leben aus Zufall und Glück und
Unbegreiflichkeiten, und doch vertraute ich und hatte den Glauben, es
sei ein Sinn und Gesetz darin, die ich nur einmal klar zu erkennen
brauche, um ein Mann zu werden.


                            Zweites Kapitel

Am Morgen legte ich meinen besten Anzug an, um meiner Vaterstadt und den
vielen alten Bekannten zu gefallen und einen sichtbaren Beweis dafür zu
geben, daß es mir wohl ergangen und daß ich nicht als armer Teufel
heimgekommen sei. Über unserm engen Tale stand der Sommerhimmel glänzend
blau, die weißen Straßen stäubten leicht, vor dem benachbarten Posthause
standen die Botenwagen aus den Walddörfern, und auf der Gasse spielten
die kleinen Kinder mit Gluckern und wollenen Bällen.

Mein erster Gang war über die alte steinerne Brücke, das älteste Bauwerk
des Städtleins. Ich betrachtete die kleine gotische Brückenkapelle, an
der ich früher tausendmal vorbeigelaufen war, und beschloß, sie mir
während dieser Ferien einmal öffnen zu lassen, um sie endlich auch
einmal von innen anzusehen. Dann lehnte ich mich auf die Brüstung und
schaute den grünen, raschen Fluß hinauf und hinab. Die behagliche alte
Mühle, an deren Giebelwand ein weißes Rad gemalt gewesen war, die war
verschwunden, und an ihrem Platze stand ein neuer großer Bau aus
Backsteinen, im übrigen war nichts verändert, und wie früher trieben
sich unzählige Gänse und Enten auf dem Wasser und an den Ufern herum.

Jenseits der Brücke begegnete mir der erste Bekannte, ein Schulkamerad
von mir, der Gerber geworden war. Er trug eine leuchtend orangegelbe
Schürze und sah mich ungewiß und suchend an, ohne mich recht zu
erkennen. Ich nickte ihm vergnügt zu und schlenderte weiter, während er
mir nachschaute und sich noch immer besann. Am Fenster seiner Werkstatt
begrüßte ich den Kupferschmied mit seinem prachtvollen weißen Bart und
schaute dann auch gleich zum Drechsler hinein, der seine Radsaite
schnurren ließ und mir eine Prise anbot. Dann kam der Marktplatz mit
seinem großen Brunnen und mit der heimeligen Rathaushalle. Dort war der
Laden des Buchhändlers, und obwohl der alte Herr mich vor Jahren in
übeln Ruf gebracht, weil ich Heines Werke bei ihm bestellt hatte, ging
ich doch hinein und kaufte einen Bleistift und eine Ansichtspostkarte.

Von hier war es nimmer weit bis zu den Schulhäusern, ich sah mir daher
im Vorübergehen die alten Kästen an, witterte an den Toren den bekannten
ängstlichen Schulenduft und entrann aufatmend zur Kirche und dem
Pfarrhaus, wo von der großen Kirchenlinde herab feinere und tröstlichere
Lüfte wehten.

Als ich noch einige Gassen abgestreift und mich beim Barbier hatte
rasieren lassen, war es zehn Uhr und damit die Zeit, meinen Besuch beim
Onkel Matthäus zu machen. Ich ging durch den stattlichen Hof in sein
schönes Haus, stäubte mir im kühlen Gang die Hosen ab und klopfte an die
Wohnstubentüre. Drinnen fand ich die Tante und beide Töchter beim Nähen,
der Onkel war schon im Geschäft. Alles in diesem Hause atmete einen
reinlichen, altmodisch tüchtigen Geist, ein wenig streng und ein wenig
zu deutlich aufs Nützliche gerichtet, aber auch heiter und zuverlässig.
Was dort beständig gefegt, gekehrt, gewaschen, genäht, gestrickt und
gesponnen wurde, ist nicht zu sagen, und dennoch fanden die Töchter noch
die Zeit, um gute Musik zu machen. Beide spielten Klavier und sangen,
und wenn sie die neueren Komponisten auch nicht kannten, so waren sie im
Händel, Bach, Haydn und Mozart desto heimischer.

Die Tante sprang auf und mir entgegen, die Töchter machten ihren Stich
noch fertig und gaben mir dann die Hand. Zu meinem Erstaunen wurde ich
ganz als ein Ehrengast behandelt und in die feine Besuchsstube geführt,
die ich früher immer nur als ein irgendwo vorhandenes Heiligtum hatte
erwähnen hören. Ferner ließ Tante Berta sich durch keine Widerrede davon
abhalten, mir ein Glas Wein und Backwerk vorzusetzen. Dann nahm sie mir
gegenüber in einem der Staatsstühle Platz. Die Töchter blieben draußen
bei der Arbeit.

Das Examen, mit dem meine gute Mutter mich gestern verschont hatte,
brach nun zum Teil doch noch über mich herein. Doch kam es mir hier auch
nicht darauf an, den ungenügenden Tatsachen durch eine unverfänglich
harmlose Art der Wortstellung etwas mehr Glanz zu verleihen. Meine Tante
hatte ein lebhaftes Interesse für die Persönlichkeiten geschätzter
Kanzelredner, und sie fragte mich nach den Kirchen und Predigern aller
Städte, in denen ich gelebt hatte, gründlich aus. Nachdem wir einige
kleine Peinlichkeiten mit gutem Willen überwunden hatten, beklagten wir
gemeinsam den vor zehn Jahren erfolgten Hingang eines berühmten
Prälaten, den ich, falls er noch am Leben gewesen wäre, in Stuttgart
hätte predigen hören können.

Darauf kam die Rede auf meine Schicksale, Erlebnisse und Aussichten, und
wir fanden, ich hätte Glück gehabt und sei auf gutem Wege.

„Wer hätte das vor sechs Jahren gedacht!“ meinte sie.

„Stand es eigentlich damals so traurig mit mir?“ mußte ich nun doch
fragen.

„Das nicht gerade, das nicht. Aber es war damals doch eine rechte Sorge
für deine Eltern.“

Ich wollte sagen „für mich auch“, aber sie hatte im Grunde recht, und
ich wollte die Streitigkeiten von damals nicht wieder aufwärmen.

„Das ist schon wahr,“ sagte ich deshalb und nickte ernst.

„Du hast ja auch allerlei Berufe probiert.“

„Ja freilich, Tante. Und keiner davon reut mich. Ich will auch in dem,
den ich jetzt habe, nicht immer bleiben.“

„Aber nein! Ist das dein Ernst? Wo du gerade eine so gute Anstellung
hast? Fast zweihundert Mark im Monat, das ist ja für einen jungen Mann
glänzend.“

„Wer weiß, wie lang’s dauert, Tante.“

„Wer redet auch so! Es wird schon dauern, wenn du recht dabeibleibst.“

„Nun ja, wir wollen hoffen. Aber jetzt muß ich noch zur Tante Lydia
hinauf und nachher zum Onkel ins Kontor. Also auf Wiedersehen, Tante
Berta.“

„Ja, adieu. Es ist mir eine Freude gewesen. Zeig dich auch einmal
wieder!“

„Ja, gern.“

In der Wohnstube sagte ich den beiden Mädchen adieu und unter der
Zimmertür der Tante. Dann stieg ich die breite helle Treppe hinauf, und
wenn ich bisher das Gefühl gehabt hatte, eine altmodische Luft zu atmen,
so kam ich jetzt in eine noch viel altmodischere.

Droben wohnte in zwei Stüblein eine beinah achtzigjährige Großtante, die
mich mit der feinen, lieben Zärtlichkeit und Galanterie einer
vergangenen Zeit empfing. Da gab es Aquarellporträte von Urgroßonkeln,
aus Glasperlen gestickte Deckchen und Beutel mit Blumensträußen und
Landschaften drauf, ovale Bilderrähmchen und einen Duft von Sandelholz
und altem, zartem Parfüm.

Tante Lydia trug ein dunkelviolettes Kleid von ganz einfachem Schnitt,
und außer der Kurzsichtigkeit und dem leisen Zittern des Kopfes war sie
erstaunlich frisch und jung. Sie zog mich auf ein schmales Kanapee und
fing nicht etwa an von großväterlichen Zeiten zu reden, sondern fragte
nach meinem Leben und meinen Ideen und hatte für alles Aufmerksamkeit
und Interesse. So alt sie war und so entlegen urväterisch es bei ihr
roch und aussah, sie war doch bis vor zwei Jahren noch öfters auf Reisen
gewesen und hatte von der heutigen Welt, ohne sie durchaus zu billigen,
eine deutliche und nicht übelwollende Vorstellung, die sie gerne frisch
hielt und ergänzte. Dabei besaß sie aus ihrer fernen Jugend her eine
artige und liebenswerte Fertigkeit in der Konversation; wenn man bei ihr
saß, floß das Gespräch ohne Pausen und war immer irgendwie interessant
und angenehm.

Als ich ging, küßte sie mich und entließ mich mit einer segnenden
Gebärde, die ich bei niemand sonst gesehen habe.

Den Onkel Matthäus suchte ich in seinem Kontor auf, wo er über Zeitungen
und Katalogen saß. Er machte mir die Ausführung meines Entschlusses,
keinen Stuhl zu nehmen und recht bald wieder zu gehen, nicht schwer.

„So, bist auch wieder im Land?“ sagte er.

„Ja, auch wieder einmal. ’s ist lang her.“

„Und jetzt geht’s dir gut, hört man?“

„Recht gut, danke.“

„Mußt auch meiner Frau Grüßgott sagen, gelt?“

„Ich bin schon bei ihr gewesen.“

„So, das ist brav. Na, dann ist ja alles gut.“

Damit senkte er das Gesicht wieder in sein Buch und streckte mir die
Hand hin, und da er annähernd die Richtung getroffen hatte, ergriff ich
sie schnell und ging vergnügt hinaus.

Nun waren die Staatsbesuche gemacht, und ich ging zum Essen heim, wo es
mir zu Ehren Reis und Kalbsbraten gab. Nach Tisch zog mich mein Bruder
Fritz beiseite in sein Stübchen, wo meine frühere Schmetterlingsammlung
unter Glas an der Wand hing. Die Schwester wollte mitplaudern und
streckte den Kopf zur Türe herein, aber Fritz winkte wichtig ab und
sagte: „Nein, wir haben ein Geheimnis.“

Dann sah er mich prüfend an, und da er auf meinem Gesichte die genügende
Spannung wahrnahm, zog er unter seiner Bettstatt eine Kiste hervor,
deren Deckel mit einem Stück Blech belegt und mit mehreren tüchtigen
Steinen beschwert war.

„Rat’, was da drinnen ist,“ sagte er leise und listig.

Ich besann mich auf unsere ehemaligen Liebhabereien und Unternehmungen
und riet: „Eidechsen.“

„Nein.“

„Ringelnattern?“

„Nichts.“

„Raupen?“

„Nein, nichts Lebendiges.“

„Nicht? Warum ist dann die Kiste so gut verwahrt?“

„Es gibt gefährlichere Sachen als Raupen.“

„Gefährlich? Aha – Pulver?“

Statt der Antwort nahm er den Deckel ab, und ich erblickte in der Kiste
ein bedeutendes Arsenal von Pulverpaketchen von verschiedenem Korn,
Holzkohle, Zunder, Zündschnüren, Schwefelstücken, Schachteln mit
Salpeter und Eisenfeilspänen.

„Nun, was sagst du?“

Ich wußte, daß mein Vater keine Nacht mehr hätte schlafen können, wenn
ihm bekannt gewesen wäre, daß im Bubenzimmer eine Kiste solchen Inhaltes
lagerte. Aber Fritz leuchtete so vor Wonne und Überrascherfreude, daß
ich diesen Gedanken nur vorsichtig andeutete und mich bei seinem Zureden
sofort beruhigte. Denn ich selber war moralisch schon mitschuldig
geworden und freute mich auf die Feuerwerkerei wie ein Lehrling auf den
Feierabend.

„Machst du mit?“ fragte Fritz.

„Natürlich. Wir können’s ja abends hie und da in den Gärten loslassen,
nicht?“

„Freilich können wir. Neulich hab ich im Anger draußen einen
Bombenschlag mit einem halben Pfund Pulver gemacht. Es hat geklöpft wie
ein Erdbeben. Aber jetzt hab ich kein Geld mehr, und wir brauchen noch
allerlei.“

„Ich geb einen Taler.“

„Fein, du! Dann gibt’s Raketen und Riesenfrösche.“

„Aber vorsichtig, gelt?“

„Vorsichtig! Mir ist noch nie was passiert.“

Das war eine Anspielung auf ein böses Mißgeschick, das ich als
Vierzehnjähriger beim Feuerwerken erlebt hatte und das mich um ein Haar
Augenlicht und Leben gekostet hätte.

Nun zeigte er mir die Vorräte und die angefangenen Stücke, weihte mich
in einige seiner neuen Versuche und Erfindungen ein und machte mich auf
andere neugierig, die er mir vorführen wollte und einstweilen noch
geheim hielt. Darüber verging seine Mittagstunde, und er mußte ins
Geschäft. Und kaum hatte ich nach seinem Weggehen die unheimliche Kiste
wieder bedeckt und unterm Bett verstaut, da kam Lotte und holte mich zum
Spaziergang mit Papa ab.

„Wie gefällt dir Fritz?“ fragte der Vater. „Nicht wahr, er ist groß
geworden?“

„O ja.“

„Und auch ordentlich ernster, nicht? Er fängt doch an, aus den
Kindereien herauszukommen. Ja, nun habe ich lauter erwachsene Kinder.“

Es geht an, dachte ich und schämte mich ein wenig. Aber es war ein
prächtiger Nachmittag, in den Kornfeldern flammte der Mohn und lachten
die Kornraden, wir spazierten langsam an der Herrlichkeit vorüber und
sprachen von lauter vergnüglichen Dingen. Wohlbekannte Wege und
Waldränder und Obstgärten begrüßten mich und winkten mir zu, und die
früheren Zeiten kamen wieder herauf und sahen so hold und strahlend aus,
als wäre damals alles paradiesisch gut und vollkommen gewesen.

„Jetzt muß ich dich noch was fragen,“ fing Lotte an. „Ich habe im Sinn
gehabt, eine Freundin von mir für ein paar Wochen einzuladen.“

„So, von woher denn?“

„Von Ulm. Sie ist zwei Jahre älter als ich. Was meinst du? Jetzt, wo wir
dich da haben, bist du die Hauptsache, und du mußt es nur sagen, wenn
der Besuch dich genieren würde.“

„Was ist’s denn für eine?“

„Sie hat das Lehrerinnenexamen gemacht –“

„O je!“

„Nicht o je. Sie ist sehr nett und gar kein Blaustrumpf, sicher nicht.
Sie ist auch nicht Lehrerin geworden.“

„Warum denn nicht?“

„Das mußt du sie selber fragen.“

„Also kommt sie doch?“

„Kindskopf! Es kommt auf dich an. Wenn du meinst, wir bleiben lieber
unter uns, dann kommt sie später einmal. Drum frag ich ja.“

„Ich will’s an den Knöpfen abzählen.“

„Dann sag lieber gleich ja.“

„Also, ja.“

„Gut. Dann schreib ich heute noch.“

„Und einen Gruß von mir.“

„Er wird sie kaum freuen.“

„Übrigens, wie heißt sie denn?“

„Anna Amberg.“

„Amberg ist schön. Und Anna ist ein Heiligenname, aber ein langweiliger,
schon weil man ihn nicht abkürzen kann.“

„Wär dir Anastasia lieber?“

„Ja, da könnte man Stasi oder Stase draus machen.“

Da fiel mein Vater ein: „Anna ist ein ganz hübscher Name. Eine Tante von
mir hat so geheißen.“

„Was, eine Großtante Anna? Von der wissen wir ja gar nichts.“

„Kein Wunder. Ich weiß selber nichts von ihr als den Namen. Sie ist
gestorben, als ich noch klein war.“

Mittlerweile hatten wir die letzte Hügelhöhe erreicht, die von einem
Absatz zum andern nahe geschienen und sich hingezögert hatte. Nun sahen
wir von einem Felsen über merkwürdig verkürzte, abschüssige Felder
hinweg, durch die wir gestiegen waren, tief im engen Tale die Stadt
liegen. Hinter uns aber stand auf welligem Lande stundenweit der
schwarze Tannenwald, hin und wieder von schmalen Wiesen oder von einem
Stück Kornland unterbrochen, das aus der bläulichen Schwärze heftig
hervorleuchtete.

„Schöner als hier ist’s eigentlich doch nirgends,“ sagte ich
nachdenklich.

Mein Vater lächelte und sah mich an.

„Es ist deine Heimat, Kind. Und schön ist sie, das ist wahr.“

„Ist deine Heimat schöner, Papa?“

„Nein, aber wo man ein Kind war, da ist alles schön und heilig. Hast du
nie Heimweh gehabt, du?“

„Doch, hie und da schon.“

In der Nähe war eine Waldstelle, da hatte ich in Bubenzeiten manchmal
Rotkehlchen gefangen. Und etwas weiter mußten noch die Trümmer einer
Steinburg stehen, die wir Knaben einst gebaut hatten. Aber der Vater war
müde, und nach einer kleinen Rast kehrten wir um und stiegen einen
anderen Weg bergab.

Gern hätte ich über die Helene Kurz noch einiges erfahren, doch wagte
ich nicht davon anzufangen, da ich durchschaut zu werden fürchtete. In
der unbeschäftigten Ruhe des Daheimseins und in der frohen Aussicht auf
mehrere müßiggängerische Ferienwochen wurde mein junges Gemüt von
beginnender Liebessehnsucht und unternehmenden Plänen bewegt, für die es
nur noch eines günstigen Ausgangspunktes bedurfte. Aber der fehlte mir
gerade, und je mehr ich innerlich mit dem Bilde der schönen Jungfer
beschäftigt war, desto weniger fand ich die Unbefangenheit, um nach ihr
und ihren Umständen zu fragen.

Im langsamen Heimspazieren sammelten wir an den Feldrändern große
Blumensträuße, eine Kunst, die ich lange Zeit nicht mehr geübt hatte. In
unserem Haus war von der Mutter her die Gewohnheit, in den Zimmern nicht
nur Topfblumen zu halten, sondern auch auf allen Tischen und Kommoden
immer frische Sträuße stehen zu haben. Zahlreiche einfache Vasen, Gläser
und Krüge hatten sich in den Jahren angesammelt, und wir Geschwister
kehrten kaum von einem Spaziergang zurück, ohne Blumen, Farnkräuter oder
Zweige mitzubringen. Da ich in der Kunst, einen mannigfaltigen
Feldstrauß schön zusammenzustellen, mit der Schwester und vollends mit
der Mutter niemals wetteifern konnte, hatte ich früher immer nur
einerlei Blumen gesucht und in großen Mengen heimgebracht. Daran
erinnerte ich mich und versuchte es mit den roten Ackerschnallen, aber
sie entblätterten sich mir in der Hand, und ich nahm statt ihrer die
schönen, langstieligen Margeriten, während Lotte besondere Sorgfalt auf
das Zusammenstellen schöner zarter Gräser verwendete.

Mir schien, ich hätte jahrelang gar keine Feldblumen mehr gesehen. Denn
diese sehen gar anders aus, wenn man sie im Dahinwandern mit malerischem
Wohlgefallen als Farbeninseln im grünen Erdreich betrachtet, als wenn
man kniend und gebückt sie einzeln sieht und die schönsten zum Pflücken
aussucht. Ich entdeckte kleine verborgene Pflanzen, deren Blüten mich an
Ausflüge in der Schulzeit erinnerten, und andere, die meine Mutter
besonders gern gehabt oder mit besonderen, von ihr selbst erfundenen
Namen bedacht hatte. Die gab es alle noch, und mit jeder von ihnen ging
mir eine Erinnerung auf, und aus jedem blauen oder gelben Kelche schaute
meine freudige Kindheit mir ungewohnt lieb und nahe in die Augen.


                            Drittes Kapitel

Im sogenannten Saal unseres Hauses standen vier hohe Kästen aus rohem
Tannenholz, in denen stand und lag ein konfuser Bücherschatz aus
großväterlichen Zeiten ungeordnet und einigermaßen verwahrlost umher. Da
hatte ich als kleiner Knabe in vergilbten Ausgaben mit fröhlichen
Holzschnitten den Robinson und den Gulliver gefunden und gelesen,
alsdann alte Seefahrer- und Entdeckergeschichten, später aber auch viel
schöngeistige Literatur, wie „Siegwart, eine Klostergeschichte“, „Der
neue Amadis“, „Werthers Leiden“ und den Ossian, alsdann viele Bücher von
Jean Paul, Stilling, Walter Scott, Platen, Balzac und Victor Hugo, sowie
die kleine Ausgabe von Lavaters Physiognomik und zahlreiche Jahrgänge
niedlicher Almanache, Taschenbücher und Volkskalender, alte mit
Kupferchen von Chodowiecki, spätere, von Ludwig Richter illustrierte,
und schweizerische mit Holzschnitten von Disteli.

Aus diesem Schatze nahm ich abends, wenn nicht musiziert wurde, oder
wenn ich nicht mit Fritz über Pulverhülsen saß, irgendeinen Band mit in
meine Stube und blies den Rauch meiner Pfeife in die gelblichen Blätter,
über denen meine Großeltern geschwärmt, geseufzt und nachgedacht hatten.
Einen Band des „Titan“ von Jean Paul hatte mein Bruder zu
Feuerwerkszwecken ausgeweidet und verbraucht. Als ich die zwei ersten
Bände gelesen hatte und den dritten suchte, gestand er es und gab vor,
der Band sei ohnehin defekt gewesen.

Diese Abende waren immer schön und unterhaltsam. Wir sangen, die Lotte
spielte Klavier und Fritz geigte, Mama erzählte Geschichten aus unserer
Kinderzeit, Polly flötete im Käfig und weigerte sich, zu Bett zu gehen.
Der Vater ruhte am Fenster aus oder klebte an einem Bilderbuch für
kleine Neffen.

Doch empfand ich es keineswegs als eine Störung, als eines Abends Helene
Kurz wieder für eine halbe Stunde zum Plaudern kam. Sie war von einem
unbefangen sicheren Wesen, und ich sah sie immer wieder mit Erstaunen
an, wie schön und vollkommen sie geworden war. Als sie kam, brannten
gerade noch die Klavierkerzen, und sie sang bei einem zweistimmigen
Liede mit. Ich aber sang nur ganz leise, um von ihrer tiefen Stimme
jeden Ton zu hören. Ich stand hinter ihr und sah durch ihr braunes Haar
das Kerzenlicht goldig flimmern und sah, wie ihre Schultern sich beim
Singen leicht bewegten. Ich dachte wohl, daß es wunderköstlich sein
müßte, mit der Hand ein wenig über ihr Haar zu streichen, doch erschien
mir der Gedanke an die Möglichkeit eines solchen Unterfangens nahezu
frevelhaft, denn das Mädchen war wie von einer Luft voll Vertrauen und
heiterer Ruhe umgeben und schien sich wie ein glänzender Vogel im
unbewußten Glück ihrer Herrlichkeit zu wiegen.

Ungerechtfertigterweise hatte ich das Gefühl, mit ihr von früher her
durch gewisse Erinnerungen in einer Art von Verbindung zu sein, weil ich
schon im Konfirmationsalter eine Zeitlang in sie verliebt gewesen war,
und ihre gleichgültige Freundlichkeit war mir eine kleine Enttäuschung.
Denn ich dachte nicht daran, daß jenes Verhältnis nur von meiner Seite
bestanden hatte und ihr durchaus unbekannt geblieben war.

Nachher, als sie ging, nahm ich meinen Hut und ging bis zur Glastüre
mit.

„Gut Nacht,“ sagte sie. Aber ich nahm ihre Hand nicht, sondern sagte:
„Ich will Sie heimbegleiten.“

Sie lachte.

„O, das ist nicht nötig, danke schön. Es ist ja hier gar nicht Mode.“

„So?“ sagte ich und ließ sie an mir vorbeigehen. Aber da nahm meine
Schwester ihren Strohhut mit den blauen Bändern und rief: „Das wird
nett. Ich geh auch mit.“

Und wir stiegen zu dritt die Treppe hinunter, ich machte eifrig das
schwere Haustor auf, und wir traten in die laue Dämmerung hinaus und
gingen langsam durch die Stadt, über Brücke und Marktplatz und in die
steile Vorstadt hinauf, wo Helenes Eltern wohnten. Die zwei Mädchen
plauderten miteinander wie die Staren, und ich hörte zu und war froh,
dabei zu sein und zum Kleeblatt zu gehören. Zuweilen ging ich langsamer,
tat, als schaue ich nach dem Wetter aus, und blieb einen Schritt zurück,
dann konnte ich sie ansehen, wie sie den dunkeln Kopf frei auf dem
steilen, hellen Nacken trug, und wie sie kräftig und zierlich ihre
ebenmäßigen, schlanken Schritte tat.

Vor ihrem Hause gab sie uns die Hand und ging hinein, ich sah ihren
hellen Hut noch im finsteren Hausgang schimmern, ehe die Tür
zuschnappte.

„Also denn.“

„Ja,“ sagte Lotte. „Sie ist doch ein schönes Mädchen, nicht? Und sie hat
etwas so Liebes.“

„Jawohl. – Und wie ist’s jetzt mit deiner Freundin, kommt sie bald?“

„Geschrieben hab ich ihr gestern.“

„So so. Ja, gehen wir den gleichen Weg heim?“

„Ach so, wir könnten den Gartenweg gehen, gelt?“

Wir gingen den schmalen Steig zwischen den Gartenzäunen. Es war schon
dunkel, und man mußte aufpassen, da es viele baufällige Knüppelstufen
und heraushängende morsche Zaunlatten gab.

Wir waren schon nahe an unserem Garten und konnten drüben im Haus die
Wohnstubenlampe lange brennen sehen.

Da machte eine leise Stimme: „Bst! Bst!“ und meine Schwester bekam
Angst. Es war aber unser Fritz, der sich dort verborgen hatte und uns
erwartete.

„Passet auf und bleibet stehen!“, rief er herüber. Dann zündete er mit
einem Schwefelholz eine Lunte an und kam zu uns herüber.

„Schon wieder Feuerwerk?“ schalt Lotte.

„Es knallt fast gar nicht,“ versicherte Fritz. „Passet nur auf, es ist
eine Erfindung von mir.“

Wir warteten, bis die Lunte abgebrannt war. Dann begann es zu knistern
und kleine unwillige Funken zu spritzen, wie nasses Schießpulver. Fritz
glühte vor Lust.

„Jetzt kommt es, jetzt gleich, zuerst weißes Feuer, dann ein kleiner
Knall und eine rote Flamme, dann eine schöne blaue!“

Es kam jedoch nicht so, wie er meinte. Sondern nach einigem Zucken und
Sprühen flog plötzlich die ganze Herrlichkeit mit einem kräftigen Paff
und Luftdruck als eine mächtige weiße Dampfwolke in die Lüfte.

Lotte lachte, und Fritz war unglücklich. Während ich ihn zu trösten
suchte, schwebte die dicke Pulverwolke feierlich langsam über die
dunkeln Gärten hinweg.

„Das Blaue hat man ein wenig sehen können,“ fing Fritz an, und ich gab
es zu. Dann schilderte er mir fast weinerlich die ganze Konstruktion
seines Prachtfeuers, und wie alles hätte gehen sollen.

„Wir machen’s noch einmal,“ sagte ich.

„Morgen?“

„Nein, Fritz. Nächste Woche dann.“

Ich hätte geradesogut morgen sagen können. Aber ich hatte den Kopf
voller Gedanken an die Helene Kurz und war in dem Wahn befangen, es
könnte morgen leicht irgendetwas Glückliches geschehen, vielleicht daß
sie am Abend wieder käme oder daß sie mich auf einmal gut leiden könnte.
Kurz, ich war jetzt mit Dingen beschäftigt, die mir wichtiger und
aufregender vorkamen als alle Feuerwerkskünste der ganzen Welt.

Wir gingen durch den Garten ins Haus und fanden in der Wohnstube die
Eltern beim Brettspiel. Das war alles einfach und selbstverständlich und
konnte gar nicht anders sein. Und ist doch so anders geworden, daß es
mir heute unendlich fernzuliegen scheint. Denn heute habe ich jene
Heimat nicht mehr. Das alte Haus, der Garten und die Veranda, die
wohlbekannten Stuben, Möbel und Bilder, der Papagei in seinem großen
Käfig, die liebe alte Stadt und das ganze Tal ist mir fremd geworden und
gehört nicht mehr mir. Die Mutter ist gestorben, der Vater ist
weggezogen, und die Kinderheimat ist zu Erinnerung und Heimweh geworden;
es führt keine Straße mich mehr dorthin.

                   *       *       *       *       *

Nachts gegen elf Uhr, da ich über einem dicken Band Jean Paul saß, fing
meine kleine Öllampe an, trübe zu werden. Sie zuckte und stieß kleine
ängstliche Töne aus, die Flamme wurde rot und rußig, und als ich
nachschaute und am Dochte schraubte, sah ich, daß kein Öl mehr drin war.
Es tat mir leid um den schönen Roman, an dem ich las, aber es ging nicht
an, jetzt noch im dunkeln Hause umherzutappen und nach Öl zu suchen.

So blies ich die qualmende Lampe aus und stieg unmutig ins Bett. Draußen
hatte sich ein warmer Wind erhoben, der mild in den Tannen und im
Syringengebüsche wehte. Im grasigen Hof drunten sang eine Grille. Ich
konnte nicht einschlafen und dachte nun wieder an Helene. Es kam mir
völlig hoffnungslos vor, von diesem so feinen und herrlichen Mädchen
jemals etwas anderes gewinnen zu können als das sehnsüchtige Anschauen,
das ebenso wehe wie wohl tat. Mir wurde heiß und elend, wenn ich mir ihr
Gesicht und den Klang ihrer tiefen Stimme vorstellte und ihren Gang, den
sicheren und energischen Takt der Schritte, mit dem sie am Abend über
die Straße und den Marktplatz gegangen war.

Schließlich sprang ich wieder auf, ich war viel zu warm und unruhig, als
daß ich hätte schlafen können. Ich ging ans Fenster und sah hinaus.
Zwischen strähnigen Schleierwolken schwamm blaß der abnehmende Mond, die
Grille sang noch immer im Hof. Am liebsten wäre ich noch eine Stunde
draußen herumgelaufen. Aber die Haustür wurde bei uns um zehn Uhr
geschlossen, und wenn es etwa einmal passierte, daß sie nach dieser
Stunde noch geöffnet und benutzt werden mußte, so war das in unserm
Hause stets ein ungewöhnliches, störendes und abenteuerliches Ereignis.
Ich wußte auch gar nicht, wo der Hausschlüssel hing.

Da fielen mir vergangene Jahre ein, da ich als halbwüchsiger Bursche das
häusliche Leben bei den Eltern zeitweilig als Sklaverei empfunden und
mich nächtlich mit schlechtem Gewissen und Abenteurertrotz aus dem Hause
geschlichen hatte, um in einer späten Kneipe eine Flasche Bier zu
trinken. Dazu hatte ich die nur mit Riegeln geschlossene Hintertüre nach
dem Garten zu benützt, dann war ich über den Zaun geklettert und hatte
auf dem schmalen Steig zwischen den Nachbargärten hindurch die Straße
erreicht.

Ich zog Hose und Rock an, mehr war bei der lauen Luft nicht nötig, nahm
die Schuhe in die Hand und schlich barfuß aus dem Hause, stieg über den
Gartenzaun und spazierte durch die schlafende Stadt langsam talaufwärts
den Fluß entlang, der verhalten rauschte und mit kleinen zitternden
Mondspiegellichtern spielte.

Bei Nacht im Freien unterwegs zu sein, unter dem schweigenden Himmel, an
einem still strömenden Gewässer, das ist stets geheimnisvoll und regt
Gründe der Seele auf, die oft lange schlummerten. Wir sind dann unserm
Ursprung näher, fühlen Verwandtschaft mit Tier und Gewächs, fühlen
dämmernde Erinnerungen an ein vorzeitliches Leben, da noch keine Häuser
und Städte gebaut waren und der heimatlos streifende Mensch Wald, Strom
und Gebirg, Wolf und Habicht als seinesgleichen, als gleichberechtigte
Freunde oder Todfeinde lieben und hassen konnte. Auch entfernt die Nacht
das gewohnte täuschende Gefühl eines gemeinschaftlichen Lebens; wenn
kein Licht mehr brennt und keine Menschenstimme mehr zu hören ist, spürt
der etwa noch Wachende Vereinsamung und sieht sich losgetrennt und auf
sich selber gewiesen. Jenes furchtbarste menschliche Gefühl,
unentrinnbar allein zu sein, allein zu leben und allein den Schmerz, die
Furcht und den Tod schmecken und ertragen zu müssen, klingt dann bei
jedem Gedanken leise mit, dem Gesunden und Jungen ein Schatten und eine
Mahnung, dem Schwachen ein Grauen.

Ein wenig davon fühlte auch ich, wenigstens schwieg mein Unmut und wich
einem stillen Betrachten. Es tat mir weh, daran zu denken, daß die
schöne, begehrenswerte Helene wahrscheinlich niemals mit ähnlichen
Gefühlen an mich denken werde wie ich an sie; aber ich wußte auch, daß
ich am Schmerz einer unerwiderten Liebe nicht zugrunde gehen würde, und
ich hatte eine unbestimmte Ahnung davon, daß das geheimnisvolle Leben
dunklere Schlünde und ernstere Schicksale berge als die Ferienleiden
eines jungen Mannes.

Dennoch blieb mein erregtes Blut warm und schuf ohne meinen Willen aus
dem lauen Winde Streichelhände und braunes Mädchenhaar, so daß der späte
Gang mich weder müde noch schläfrig machte. Da ging ich über die
bleichen Öhmdwiesen zum Fluß hinunter, legte meine leichte Kleidung ab
und sprang ins kühle Wasser, dessen rasche Strömung mich sogleich zu
Kampf und kräftigem Widerstand nötigte. Ich schwamm eine Viertelstunde
flußaufwärts, Schwüle und Wehmut rann mit dem frischen Flußwasser von
mir ab, und als ich gekühlt und leicht ermüdet meine Kleider wieder
suchte und naß hineinschlüpfte, war mir die Rückkehr zu Haus und Bette
leicht und tröstlich.

                   *       *       *       *       *

Nach der freudigen Spannung der ersten Tage kam ich nun allmählich in
die wohltuend stille Selbstverständlichkeit des heimatlichen Lebens
hinein. Wie hatte ich mich draußen herumgetrieben, von Stadt zu Stadt,
unter vielerlei Menschen, zwischen Arbeit und Träumereien, zwischen
Studien und Zechnächten, eine Weile von Brot und Milch und wieder eine
Weile von Lektüre und Zigarren lebend, jeden Monat ein anderer. Und hier
war es wie vor zehn und wie vor zwanzig Jahren, hier liefen die Tage und
Wochen in einem heiter stillen, gleichen Takt dahin. Und ich, der ich
fremd geworden und an ein unstetes und vielfältiges Erleben gewohnt war,
paßte nun wieder da hinein, als wäre ich nie fort gewesen, nahm
Interesse an Menschen und Sachen, die ich jahrelang durchaus vergessen
gehabt hatte, und vermißte nichts von dem, was die Fremde mir gewesen
war.

Die Stunden und Tage liefen mir leicht und spurlos hinweg wie
Sommergewölk, jeder ein farbiges Bild und jeder ein schweifendes Gefühl,
aufrauschend und glänzend und bald nur noch traumhaft nachklingend. Ich
goß den Garten, sang mit Lotte, pulverte mit Fritz, ich plauderte mit
der Mutter über fremde Städte und mit dem Vater über neue
Weltbegebenheiten, ich las Goethe und las Jacobsen, und eines ging ins
andere über und vertrug sich mit ihm, und keines war die Hauptsache.

Die Hauptsache schien mir damals Helene Kurz und meine Bewunderung für
sie zu sein. Aber auch das war da wie alles andere, bewegte mich für
Stunden und sank für Stunden wieder unter, und ständig war nur mein
fröhlich atmendes Lebensgefühl, das Gefühl eines Schwimmers, der auf
glattem Wasser ohne Eile und ohne Ziel mühelos und sorglos unterwegs
ist. Im Walde schrie der Häher und reiften die Heidelbeeren, im Garten
blühten Rosen und feurige Kapuziner, ich nahm teil daran, fand die Welt
prächtig und wunderte mich, wie es sein würde, wenn auch ich einmal ein
richtiger Mann und alt und gescheit wäre.

Eines Nachmittags kam ein großes Floß durch die Stadt gefahren, darauf
sprang ich und legte mich auf einen Bretterhaufen und fuhr ein paar
Stunden lang mit flußabwärts, an Höfen und Dörfern vorbei und unter
Brücken durch, und über mir zitterte die Luft und kochten schwüle Wolken
mit leisem Donner, und unter mir schlug und lachte frisch und schaumig
das kühle Flußwasser. Da dachte ich mir aus, die Kurz wäre mit, und ich
hätte sie entführt, wir säßen Hand in Hand und zeigten einander die
Herrlichkeiten der Welt von hier bis nach Holland hinunter.

Als ich weit unten im Tal das Floß verließ, sprang ich zu kurz und kam
bis an die Brust ins Wasser, aber auf dem warmen Heimweg trockneten mir
die dampfenden Kleider auf dem Leib. Und als ich bestaubt und müde nach
langem Marsch die Stadt wieder erreichte, begegnete mir bei den ersten
Häusern Helene Kurz in einer roten Bluse. Da zog ich den Hut, und sie
nickte ruhig, und ich dachte an meinen Traum, wie sie mit mir Hand in
Hand den Fluß hinabreiste und du zu mir sagte, und diesen Abend lang
schien mir wieder alles hoffnungslos, und ich kam mir wie ein dummer
Plänemacher und Sterngucker vor. Dennoch rauchte ich vor dem
Schlafengehen meine schöne Pfeife, auf deren Kopf zwei grasende Rehe
gemalt waren, und las im Wilhelm Meister bis nach elf Uhr.

Und am folgenden Abend ging ich gegen halb neun Uhr mit meinem Bruder
Fritz auf den Hochstein hinauf. Wir hatten ein schweres Paket mit, das
wir abwechselnd trugen und das ein Dutzend starker Frösche, sechs
Raketen und drei große Bombenschläge samt allerlei kleinen Sachen
enthielt.

Es war lau, und die bläuliche Luft hing voll feiner, leise hinwehender
Florwölkchen, die über Kirchturm und Berggipfel hinwegflogen und die
blassen ersten Sternbilder häufig verdeckten. Vom Hochstein herab, wo
wir zuerst eine kleine Rast hielten, sah ich unser enges Flußtal in
bleichen abendlichen Farben liegen. Während ich die Stadt und das
nächste Dorf, Brücken und Mühlwehre und den schmalen, vom Gebüsch
eingefaßten Fluß betrachtete, beschlich mich mit der Abendstimmung
wieder der Gedanke an das schöne Mädchen, und ich hätte am liebsten
einsam geträumt und auf den Mond gewartet. Das ging jedoch nicht an,
denn mein Bruder hatte schon ausgepackt und überraschte mich von hinten
durch zwei Frösche, die er, mit einer Schnur verbunden und an eine
Stange geknüpft, dicht an meinen Ohren losließ.

Ich war ein wenig ärgerlich. Fritz aber lachte so hingerissen und war so
vergnügt, daß ich schnell angesteckt wurde und mitmachte. Wir brannten
rasch hintereinander die drei extra starken Bombenschläge ab und hörten
die gewaltigen Schüsse talauf und talhinab in langem, rollendem
Widerhall vertönen. Dann kamen Frösche, Schwärmer und ein großes
Feuerrad, und zum Schlusse ließen wir langsam eine nach der andern
unserer schönen Raketen in den schwarz gewordenen Nachthimmel steigen.

„So eine rechte, gute Rakete ist eigentlich fast wie ein Gottesdienst,“
sagte mein Bruder, der zuzeiten gern in Bildern redet, „oder wie wenn
man ein schönes Lied singt, nicht? Es ist so feierlich.“

Unsern letzten Frosch warfen wir auf dem Heimweg am Schindelhof zu dem
bösen Hofhund hinein, der entsetzt aufheulte und uns noch eine
Viertelstunde lang wütend nachbellte. Dann kamen wir ausgelassen und mit
schwarzen Fingern heim, wie zwei Buben, die eine lustige Lumperei verübt
haben. Und den Eltern erzählten wir rühmend von dem schönen Abendgang,
der Talaussicht und dem Sternenhimmel.


                            Viertes Kapitel

Eines Morgens, während ich am Fensterflur meine Pfeife reinigte, kam
Lotte gelaufen und rief: „So, um elfe kommt meine Freundin an.“

„Die Anna Amberg?“

„Jawohl. Gelt, wir holen sie dann ab?“

„Mir ist’s recht.“

Die Ankunft des erwarteten Gastes, an den ich gar nimmer gedacht hatte,
freute mich nur mäßig. Aber zu ändern war es nimmer, also ging ich gegen
elf Uhr mit meiner Schwester an die Bahn. Wir kamen zu früh und liefen
vor der Station auf und ab.

„Vielleicht fährt sie zweiter Klasse,“ sagte Lotte.

Ich sah sie ungläubig an.

„Es kann schon sein. Sie ist aus einem feinen Haus, und wenn sie auch
einfach ist –“

Mir graute. Ich stellte mir eine Dame mit sehr noblen Manieren und
beträchtlichem Reisegepäck vor, die aus der zweiten Klasse steigen und
mein behagliches Vaterhaus ärmlich und mich selber nicht fein genug
finden würde.

„Wenn sie Zweiter fährt, dann soll sie lieber gleich weiter fahren,
weißt du.“

Lotte war ungehalten und wollte mich zurechtweisen, da fuhr aber der Zug
herein und hielt, und Lotte lief schnell hinüber. Ich folgte ihr ohne
Eile und sah ihre Freundin aus einem Wagen dritter Klasse aussteigen,
ausgerüstet mit einem grauseidenen Schirm, einem Plaid und einem
bescheidenen Handkoffer.

„Das ist mein Bruder, Anna.“

Ich sagte ‚grüß Gott‘, und weil ich trotz der dritten Klasse nicht
wußte, wie sie darüber denken würde, trug ich ihren Koffer, so leicht er
war, nicht selber fort, sondern winkte den Packträger herbei, dem ich
ihn übergab. Dann schritt ich neben den beiden Fräulein in die Stadt und
wunderte mich, wieviel sie einander zu erzählen hatten. Aber Fräulein
Amberg gefiel mir gut. Zwar enttäuschte es mich ein wenig, daß sie nicht
sonderlich hübsch war, doch dafür hatte sie etwas Angenehmes im Gesicht
und in der Stimme, das wohltat und Vertrauen erweckte.

Ich sehe noch, wie meine Mutter die beiden an der Glastüre empfing. Sie
hatte einen guten Blick für Menschengesichter, und wen sie nach dem
ersten prüfenden Anschauen mit ihrem Lächeln willkommen hieß, der konnte
sich auf gute Tage gefaßt machen. Ich sehe noch, wie sie der Amberg in
die Augen blickte und wie sie ihr dann zunickte und beide Hände gab und
sie ohne Worte gleich vertraut und heimisch machte. Nun war meine
mißtrauische Sorge wegen des fremden Wesens vergangen, denn der Gast
nahm die dargebotene Hand und Freundlichkeit herzhaft und ohne
Redensarten an und war von der ersten Stunde an bei uns heimisch.

In meiner jungen Weisheit und Lebenskenntnis stellte ich noch an jenem
ersten Tage fest, das angenehme Mädchen besitze eine harmlose,
natürliche Heiterkeit und sei, wenn auch vielleicht wenig
lebenserfahren, jedenfalls ein schätzbarer Kamerad. Daß es eine höhere
und wertvollere Heiterkeit gebe, die einer nur in Not und Leid erwirbt
und mancher nie, das ahnte ich zwar, doch war es mir keine Erfahrung.
Und daß unser Gast diese seltene Art versöhnlicher Fröhlichkeit besaß,
blieb meiner Beobachtung einstweilen verborgen.

Immerhin war sie mir auch so gut genug, und als ich wahrnahm, daß sie
auch den Ton unseres Hauses samt kleinen Scherzen, Spitznamen und
Neckereien verstand und darauf schwesterlich einging, da gab ich meiner
Schwester zu, daß ihre Freundin für ein junges Fräulein aus gutem Hause
und eine geprüfte Lehrerin doch recht annehmbar sei.

Mädchen, mit denen man kameradschaftlich umgehen und über Leben und
Literatur reden konnte, waren in meinem damaligen Lebenskreise
Seltenheiten. Die Freundinnen meiner Schwester waren mir bisher stets
entweder Gegenstände des Verliebens oder gleichgültig gewesen. Nun war
es mir neu und lieblich, mit einer jungen Dame ohne Geniertheit umgehen
und mit ihr wie mit meinesgleichen über mancherlei plaudern zu können.
Denn trotz der Gleichheit spürte ich in Stimme, Sprache und Denkart doch
das Weibliche, das mich warm und zart berührte.

Nebenher merkte ich mit einer leisen Beschämung, wie still und geschickt
und ohne Aufsehen Anna von Anfang an unser Leben teilte und sich in
unsere Art fand. Denn alle meine Freunde, die schon als Feriengäste
dagewesen waren, hatten einigermaßen Umstände gemacht und Fremdheit
mitgebracht; ja ich selber war in den ersten Tagen nach der Heimkehr
lauter und anspruchsvoller als nötig gewesen.

Zuweilen war ich erstaunt, wie wenig Rücksichtnahme Anna von mir
verlangte; im Gespräch konnte ich sogar fast grob werden, ohne sie
verletzt zu sehen. Wenn ich dagegen an Helene Kurz dachte! Gegen diese
hätte ich auch im eifrigsten Gespräch nur behutsame und respektvolle
Worte gehabt.

Übrigens kam Helene dieser Tage mehrmals zu uns und schien die Freundin
meiner Schwester gern zu haben. Einmal waren wir alle zusammen bei Onkel
Matthäus in den Garten eingeladen. Es gab Kaffee und Kuchen und nachher
Stachelbeerwein, zwischenein machten wir gefahrlose Kinderspiele oder
lustwandelten ehrbar in den Gartenwegen umher, deren akkurate Sauberkeit
von selbst ein gesittetes Benehmen vorschrieb.

Da war es mir sonderbar, Helene und Anna beisammen zu sehen und
gleichzeitig mit beiden zu reden. Mit Helene Kurz, die wieder wundervoll
aussah, konnte ich nur von oberflächlichen Dingen sprechen, aber ich tat
es mit den feinsten Tönen, während ich mit Anna auch über das
Interessanteste ohne Aufregung und Anstrengung plauderte. Und indem ich
ihr dankbar war und in der Unterhaltung mit ihr ausruhte und mich sicher
fühlte, schielte ich doch von ihr weg beständig nach der Schöneren
hinüber, deren Anblick mich beglückte und doch immer ungesättigt ließ.

Mein Bruder Fritz langweilte sich elend. Nachdem er genug Kuchen
gegessen hatte, schlug er einige derbere Spiele vor, die teils nicht
zugelassen, teils schnell wieder aufgegeben wurden. Zwischenein zog er
mich auf die Seite und beklagte sich bitter über den faden Nachmittag.
Als ich die Achseln zuckte, erschreckte er mich durch das Geständnis,
daß er einen Pulverfrosch in der Tasche habe, den er später bei dem
üblichen längeren Abschiednehmen der Mädchen loszulassen gedenke. Nur
durch inständiges Bitten brachte ich ihn von diesem Vorhaben ab. Darauf
begab er sich in den entferntesten Teil des großen Gartens und legte
sich unter die Stachelbeerbüsche. Ich aber beging Verrat an ihm, indem
ich mit den andern über seinen knabenhaften Unmut lachte, obwohl er mir
leid tat und ich ihn gut verstand.

Mit den beiden Kusinen war leicht fertig zu werden. Sie waren unverwöhnt
und nahmen auch Bonmots, die längst nicht mehr den Glanz der Neuheit
hatten, dankbar und begierig auf. Der Onkel hatte sich gleich nach dem
Kaffee zurückgezogen. Tante Berta hielt sich zumeist an Lotte und war,
nachdem ich mit ihr über die Zubereitung von eingemachtem Beerenobst
konversiert hatte, von mir befriedigt. So blieb ich den beiden fremden
Fräulein nahe und machte mir in den Pausen des Gespräches Gedanken
darüber, warum mit einem Mädchen, in das man verliebt ist, es sich so
viel schwieriger reden lasse als mit andern. Gern hätte ich der Helene
irgendeine Huldigung dargebracht, allein es wollte mir nichts einfallen.
Schließlich schnitt ich von den vielen Rosen zwei ab und gab die eine
Helene, die andere der Anna Amberg.

Das war der letzte ganz harmlose Tag meiner Ferien. Am nächsten Tage
hörte ich von einem gleichgültigen Bekannten in der Stadt, die Kurz
verkehre neuestens viel in dem und dem Hause, und es werde wohl bald
eine Verlobung geben. Er erzählte das nebenher unter andern Neuigkeiten,
und ich hütete mich, mir etwas anmerken zu lassen. Aber wenn es auch nur
ein Gerücht war, ich hatte ohnehin von Helene wenig zu hoffen gewagt und
war nun überzeugt, sie sei mir verloren. Verstört kam ich heim und floh
in meine Stube.

Heute habe ich über den Liebesjammer jener Tage gut lächeln und kann
einen Witz darüber vertragen. Aber damals nahm es mich tüchtig mit, daß
meine Wünsche und Hoffnungen von dem Mädchen Abschied nehmen mußten. Und
wenn ich mir die Helene jetzt wieder vorstelle, so ist es ein schönes
und vornehmes Bild, dessen Vorhandensein in meinen Erinnerungen wohl ein
paar schlaflose Nächte wert ist.

Wie die Umstände lagen, konnte bei meiner leichtlebigen Jugend die
Trauer nicht gar lange anhalten. Doch war ich mehrere Tage für keine
Lustbarkeit zu haben, lief einsame Wege durch die Wälder, lag lange
gedankenlos traurig im Haus herum und phantasierte abends bei
geschlossenen Fenstern auf der Geige.

„Fehlt dir etwas, mein Junge?“ sagte mein Papa zu mir und legte mir die
Hand auf die Schulter.

„Ich habe schlecht geschlafen,“ antwortete ich, ohne zu lügen. Mehr
brachte ich nicht heraus. Er aber sagte nun etwas, das mir später oft
wieder einfiel.

„Eine schlaflose Nacht,“ sagte er, „ist immer eine schlimme Sache. Aber
sie ist erträglich, wenn man gute Gedanken hat. Wenn man daliegt und
nicht schläft, ist man leicht ärgerlich und denkt an ärgerliche Dinge.
Aber man kann auch seinen Willen brauchen und Gutes denken.“

„Kann man?“ fragte ich. Denn ich hatte in den letzten Jahren am
Vorhandensein des freien Willens zu zweifeln begonnen.

„Ja, man kann,“ sagte mein Vater nachdrücklich.

Die Stunde, in der ich nach mehreren schweigsamen und bitteren Tagen
zuerst wieder mich und mein Leid vergaß, mit andern lebte und froh war,
ist mir noch deutlich in Erinnerung. Wir saßen alle im Wohnzimmer beim
Nachmittagskaffee, nur Fritz fehlte. Die andern waren munter und
gesprächig, ich aber hielt den Mund und nahm nicht teil, obwohl ich im
geheimen schon wieder ein Bedürfnis nach Rede und Verkehr spürte. Wie es
jungen Leuten geht, hatte ich meinen Schmerz mit einer Schutzmauer von
Schweigen und abwehrendem Trotz umgeben, die andern hatten mich nach dem
guten Brauch unseres Hauses in Ruhe gelassen und meine sichtbare
Verstimmung respektiert, und nun fand ich den Entschluß nicht, meine
Mauer einzureißen, und spielte, was eben noch echt und notwendig gewesen
war, als eine Rolle weiter, mich selber langweilend und auch beschämt
über die kurze Dauer meiner Kasteiung.

Da schmetterte unversehens in unsere stille Kaffeetischbehaglichkeit
eine Trompetenfanfare hinein, eine kühn und aggressiv geblasene,
blitzende Reihe kecker Töne, die uns alle augenblicks von den Stühlen
aufriß.

„Es brennt!“ rief meine Schwester entsetzt.

„Das wär ein komisches Feuersignal.“

„Dann kommt Einquartierung.“

Indessen waren wir schon alle im Sturm an die Fenster gestürzt. Wir
sahen auf der Straße, gerade vor unserem Hause, einen Schwarm von
Kindern und mitten darin auf einem großen weißen Roß einen feuerrot
gekleideten Trompeter, dessen Horn und Habit in der Sonne gleißend
prahlte. Der Wundermensch blickte während des Blasens zu allen Fenstern
empor und zeigte dabei ein braunes Gesicht mit einem ungeheuren
ungarischen Schnauzbart. Er blies fanatisch weiter, Signale und allerlei
spontane Einfälle, bis alle Fenster der Nachbarschaft voll Neugieriger
waren. Da setzte er das Instrument ab, strich den Schnurrbart, stemmte
die linke Hand in die Hüfte, zügelte mit der rechten das unruhige Pferd
und hielt eine Rede. Auf der Durchreise und nur für diesen einen Tag
halte seine weltberühmte Truppe sich im Städtlein auf, und dringenden
Wünschen nachgebend werde er heute abend auf dem Brühel eine
„Galavorstellung in dressierte Pferde, höhere Equilibristik, sowie eine
große Pantomime“ geben. Erwachsene bezahlen zwanzig Pfennige, Kinder die
Hälfte. Kaum hatten wir gehört und alles gemerkt, so stieß der Reiter
von neuem in sein blinkendes Horn und ritt davon, vom Kinderschwarm und
von einer dicken weißen Staubwolke begleitet.

Das Gelächter und die fröhliche Erregung, die der Kunstreiter mit seiner
sonderbar stilisierten Verkündigung unter uns erweckt hatte, kam mir
zustatten, und ich benützte den Augenblick, meine finstere
Schweigsamkeit fahren zu lassen und wieder ein Fröhlicher unter den
Fröhlichen zu sein. Sogleich lud ich die beiden Mädchen zur
Abendvorstellung ein, der Papa gab nach einigem Widerstreben die
Erlaubnis, und wir drei schlenderten sogleich nach dem Brühel hinunter,
um uns den Spektakel einmal von außen anzusehen. Wir fanden zwei Männer
damit beschäftigt, eine runde Arena abzustecken und mit einem Strick zu
umzäunen, danach begannen sie den Aufbau eines hohen Gerüstes, während
nebenan auf der schwebenden Treppe eines grünen Wohnwagens eine
schreckliche dicke Alte saß und strickte. Ein hübscher weißer Pudel lag
ihr zu Füßen. Indem wir uns das betrachteten, kehrte der Reiter von
seiner Stadtreise zurück, band den Schimmel hinterm Wagen an, zog sein
rotes Prachtkleid ab und half in Hemdärmeln seinen Kollegen beim
Aufbauen.

„Die armen Kerle!“ sagte Anna Amberg. Ich wies jedoch ihr Mitleid
zurück, nahm die Partei der Artisten und rühmte ihr freies, geselliges
Wanderleben in hohen Tönen. Am liebsten, erklärte ich, ginge ich selber
mit ihnen, stiege aufs hohe Seil und ginge nach den Vorstellungen mit
dem Teller herum.

„Das möchte ich sehen,“ lachte sie lustig.

Da nahm ich statt des Tellers meinen Hut, machte die Gesten eines
Einsammelnden nach und bat gehorsamst um ein kleines Douceur für den
Clown. Sie griff in die Tasche, suchte einen Augenblick unschlüssig und
warf mir dann ein Pfennigstück in den Hut, das ich dankend in die
Westentasche steckte.

Die eine Weile unterdrückte Fröhlichkeit kam wie eine Betäubung über
mich, ich war jenen Tag fast bubenhaft ausgelassen, wobei vielleicht die
Erkenntnis der eigenen Wandelbarkeit und das Bedürfnis, mein schlechtes
Gewissen zu übertönen, im Spiele war. Mein innerliches Erleben war trotz
meiner gegenteiligen Einbildung zur Hälfte noch das eines Kindes; die
Ereignisse gingen vor meinen Augen vorüber wie gemalte Bilder, und ich
brachte von jedem nur einen Stimmungshauch der Erinnerung zum nächsten
mit.

Am Abend zogen wir samt Fritz zur Vorstellung aus, schon unterwegs
erregt und lustbarlich entzündet. Auf dem Brühel wogte eine
Menschenmenge dunkel treibend umher, Kinder standen mit großen
erwartenden Augen still und selig, Lausbuben neckten jedermann und
stießen einander den Leuten vor die Füße, Zaungäste richteten sich in
den Kastanienbäumen ein, und der Polizeidiener hatte den Helm auf. Um
die Arena war eine Sitzreihe gezimmert, innen im Kreise stand eine Art
vierarmiger Galgen, an dessen Armen Ölkannen hingen. Diese wurden jetzt
angezündet, die Menge drängte näher, die Sitzreihe füllte sich langsam,
und über den Platz und die vielen Köpfe taumelte das rot und rußig
flammende Licht der Erdölfackeln.

Wir hatten auf einem der Sitzbretter Platz gefunden. Eine Drehorgel
ertönte, und in der Arena erschien der Direktor mit einem kleinen
schwarzen Pferde. Der Hanswurst kam mit und begann eine durch viele
Ohrfeigen unterbrochene Unterhaltung mit jenem, die großen Beifall fand.
Es fing so an, daß der Hanswurst irgendeine freche Frage stellte. Mit
einer Ohrfeige antwortend, sagte der andere: „Hältst du mich denn für
ein Kamel?“

Darauf der Clown: „Nein, Herr Prinzipal. Ich weiß den Unterschied genau,
der zwischen einem Kamel und Ihnen ist.“

„So, Clown? Was denn für einer?“

„Herr Prinzipal, ein Kamel kann acht Tage arbeiten, ohne etwas zu
trinken. Sie aber können acht Tage trinken, ohne etwas zu arbeiten.“

Neue Ohrfeige, neuer Beifall. So ging es weiter, und während ich mich
über die Naivität der Witze und über die Einfalt der dankbaren
Zuhörerschaft belustigt wunderte, lachte ich selber mit.

Das Pferdchen machte Sprünge, setzte über eine Bank, zählte auf zwölf
und stellte sich tot. Dann kam ein Pudel, der sprang durch Reifen,
tanzte auf zwei Beinen und exerzierte militärisch. Dazwischen immer
wieder der Clown. Es folgte eine Ziege, ein sehr hübsches Tier, die auf
einem Sessel balancierte.

Schließlich wurde der Clown gefragt, ob er denn gar nichts könne als
herumstehen und Witze machen. Da warf er schnell sein weites
Hanswurstkleid von sich, stand im roten Trikot da und bestieg das hohe
Seil. Er war ein hübscher Kerl und machte seine Sache gut. Und auch ohne
das war es ein schöner und fast gewaltiger Anblick, die vom
Flammenschein flackernd beleuchtete rote Gestalt hoch oben am
dunkelblauen Sommernachthimmel schweben zu sehen.

Die Pantomime wurde, da die Spielzeit schon überschritten sei, nicht
mehr aufgeführt. Auch wir waren schon über die übliche Stunde
ausgeblieben und traten unverweilt den Heimweg an. Im Fortgehen sahen
wir den größeren Teil der Zuschauermenge noch lachend und redend in
Kreisen beisammenstehen, Paare und kleine Gesellschaften lustwandelten
unter den alten Bäumen. Ich sah es nicht ohne Neid, am liebsten wäre
auch ich noch eine Stunde oder zwei umherspaziert. Das hätte ich
schließlich ja auch tun können, aber allein, und daran lag mir heute
nichts.

Während der Vorstellung hatten wir uns beständig lebhaft unterhalten.
Ich war neben Anna Amberg gesessen, und ohne daß wir anderes als
Zufälliges zueinander gesagt hätten, war es so gekommen, daß ich schon
jetzt beim Heimgehen ihre warme Nähe ein wenig vermißte.

Da ich in meinem Bett noch lange nicht einschlief, hatte ich Zeit, mir
darüber Gedanken zu machen. Sehr unbequem und beschämend war mir dabei
die Erkenntnis meiner Treulosigkeit. Wie hatte ich auf die schöne Helene
Kurz so schnell verzichten können? Doch legte ich an diesem Abend und in
den nächsten Tagen mir alles reinlich zurecht und löste alle scheinbaren
Widersprüche befriedigend. Erstens war meine neuliche Eingenommenheit
für Helene wohl nur ein Nachklang meiner Knabenliebe gewesen. Zweitens
hatte ihre unleugbare Schönheit mich geblendet. Drittens hatte ich mit
der Amberg doch schon zuvor eine Art Kameradschaft gehabt. Kurz, Helene
war ein verzeihlicher Irrtum gewesen, tatsächlich war sie ja mir fast
fremd geblieben, während ich mit Anna vom ersten Tage an vertraulich
geworden war. Und so weiter, lauter Tatsachen und klare Schlüsse, eine
niedliche Kette.

Noch in derselben Nacht machte ich Licht, suchte in meiner Westentasche
das Pfennigstück, das mir Anna heute im Scherz geschenkt hatte, und
betrachtete es zärtlich. Es trug die Jahreszahl 1877, war also so alt
wie ich. Ich wickelte es in weißes Papier, schrieb die Anfangsbuchstaben
A. A. und das heutige Datum darauf und verbarg es im innersten Fach
meines Geldbeutels, als einen rechten Glückspfennig.


                            Fünftes Kapitel

Die Hälfte meiner Ferienzeit – und bei Ferien ist immer die erste Hälfte
die längere – war längst vorüber, und der Sommer fing nach einer
heftigen Gewitterwoche schon langsam an älter und nachdenklicher zu
werden. Ich aber, als sei sonst nichts in der Welt von Belang, steuerte
verliebt mit flatternden Wimpeln durch die kaum merkbar abnehmenden
Tage, belud jeden mit einer goldenen Hoffnung und sah im Übermut jeden
kommen und leuchten und gehen, ohne ihn halten zu wollen und ohne ihn zu
bedauern.

An diesem Übermut war nächst der unbegreiflichen Sorglosigkeit der
Jugend zu einem kleinen Teile auch meine liebe Mutter schuld. Denn ohne
ein Wort darüber zu sagen ließ sie es merken, daß meine Freundschaft mit
Anna ihr nicht mißfiel. Der Umgang mit dem gescheiten und wohlgesitteten
Mädchen hat mir in der Tat gewiß wohl getan, und mir schien, es würde
auch ein tieferes und näheres Verhältnis mit ihr die Billigung meiner
Mama finden. So brauchte es keine Sorge und kein Heimlichtun, und
wirklich lebte ich mit Anna nicht anders als mit einer guten und
geliebten Schwester.

Allerdings war ich damit noch lange nicht am Ziel meiner Wünsche, und
nach einiger Zeit bekam dieser unverändert kameradschaftliche Verkehr
gelegentlich etwas fast Peinliches für mich, da ich aus dem klar
umzäunten Garten der Freundschaft in das weite freie Land der Liebe hin
begehrte und durchaus nicht wußte, wie ich unvermerkt meine arglose
Freundin auf diese Wege locken könnte. Doch entstand gerade hieraus für
die ganze letzte Zeit meiner Ferien ein köstlich freier, schwebender
Zustand zwischen Zufriedensein und Mehrverlangen, der mir wie ein großes
Glück im Gedächtnis steht. Ich beschloß nämlich nach manchen Erwägungen,
alles beim alten zu lassen und erst am letzten Tage, der mir bliebe,
mich Anna zu offenbaren. Nachdem meine vorherige leichte Verliebtheit es
mir möglich gemacht hatte, so wunschlos brüderlich mit ihr zu leben,
schien es mir gut, dies sichere Verhältnis nicht früher als notwendig zu
stören.

So verlebten wir in unserm glücklichen Hause fröhlich schöne Sommertage.
Zur Mutter war ich inzwischen wieder in das alte Kindesverhältnis
gekommen, so daß ich mit ihr ohne Befangenheit über mein Leben reden,
Vergangenes beichten und Pläne für später besprechen konnte. Ich weiß
noch, wie wir einmal vormittags in der Laube saßen und Garn wickelten.
Ich hatte erzählt, wie es mir mit dem Gottesglauben gegangen war, und
hatte mit der Behauptung geendet, wenn ich wieder gläubig werden sollte,
müßte erst jemand kommen, dem es gelänge, mich zu überzeugen.

Da lächelte meine Mutter und sah mich an, und nach einigem Besinnen
sagte sie: „Wahrscheinlich wird der niemals kommen, der dich überzeugen
wird. Aber allmählich wirst du selber erfahren, daß es ohne Glauben im
Leben nicht geht. Denn das Wissen taugt ja nichts. Jeden Tag kommt es
vor, daß jemand, den man genau zu kennen glaubte, etwas tut, was einem
zeigt, daß es mit dem Kennen und Gewißwissen nichts war. Und doch
braucht der Mensch ein Vertrauen und eine Sicherheit. Und da ist es
immer besser, zum Heiland zu gehen als zu einem Professor oder zum
Bismarck oder sonst zu jemand.“

„Warum?“ fragte ich. „Vom Heiland weiß man ja auch nicht so viel
Gewisses.“

„O, man weiß genug. Und dann – es hat im Lauf der Zeiten hie und da
einen einzelnen Menschen gegeben, der mit Selbstvertrauen und ohne Angst
gestorben ist. Das erzählt man vom Sokrates und von ein paar andern;
viele sind es nicht. Es sind sogar sehr wenige, und wenn sie ruhig und
getrost haben sterben können, so war es nicht wegen ihrer Gescheitheit,
sondern weil sie rein im Herzen und Gewissen waren. Also gut, diese paar
Leute sollen, jeder für sich, recht haben. Aber wer von uns ist wie sie?
Gegen diese wenigen aber siehst du auf der andern Seite Tausende und
Tausende, arme und gewöhnliche Menschen, die trotzdem willig und getrost
haben sterben können, weil sie an den Heiland glaubten. Dein Großvater,
weißt du, ist vierzehn Monate in Schmerzen und Elend gelegen, ehe er
erlöst wurde, und hat nicht geklagt und hat die Schmerzen und den Tod
fast fröhlich gelitten, weil er am Heiland seinen Trost hatte.“

Und zum Schluß meinte sie: „Ich weiß gut, daß das dich nicht überzeugen
kann. Der Glaube geht nicht durch den Verstand, so wenig wie die Liebe.
Du wirst aber einmal erfahren, daß der Verstand nicht zu allem
hinreicht, und wenn du so weit bist, wirst du in der Not nach allem
langen, was wie ein Halt und Trost aussieht. Vielleicht fällt dir dann
manches wieder ein, was wir heut geredet haben.“

Dem Vater half ich im Garten, und oft holte ich ihm auf Spaziergängen in
einem Säcklein Walderde für seine Topfblumen. Mit Fritz erfand ich neue
Feuerkünste und verbrannte mir die Finger beim Loslassen. Mit Lotte und
mit Anna Amberg brachte ich halbe Tage in den Wäldern zu, half Beeren
pflücken und Blumen suchen, las Bücher vor und entdeckte neue
Spaziergänge.

Die schönen Sommertage gingen einer um den andern hin. Ich hatte mich
daran gewöhnt, fast immer in Annas Nähe zu sein, und wenn ich daran
dachte, daß das nun bald sein Ende haben müsse, zogen schwere Wolken
über meinen blauen Ferienhimmel.

Und wie denn alles Schöne und auch das Köstlichste nur zeitlich ist und
sein gesetztes Ziel hat, so entrann Tag um Tag auch dieser Sommer, der
mir in der Erinnerung meine ganze Jugend zu beschließen scheint. Man
begann bedauernd, doch ruhig von meiner baldigen Abreise zu sprechen.
Die Mutter nahm noch einmal meinen Besitz an Wäsche und Kleidern prüfend
durch, flickte einiges und schenkte mir am Tage des Einpackens zwei Paar
guter grauwollener Socken, die sie selber gestrickt hatte und von denen
wir beide nicht wußten, daß sie ihr letztes Geschenk an mich waren.

Lang gefürchtet und doch überraschend kam endlich der letzte Tag herauf,
ein hellblauer Spätsommertag mit zärtlich flatternden Spitzenwölklein
und einem lauen, sanften Südostwinde, der im Garten mit den noch
zahlreich blühenden Rosen spielte und schwer mit Duft beladen gegen
Mittag müd wurde und einschlief. Da ich beschlossen hatte, noch den
ganzen Tag auszunützen und erst spät am Abend abzureisen, wollten wir
Jungen den Nachmittag noch auf einen schönen Ausflug verwenden. So
blieben die Morgenstunden für die Eltern übrig, und ich saß zwischen
beiden auf dem Kanapee in Vaters Studierstube. Der Vater hatte mir noch
einige Abschiedsgaben aufgespart, die er mir nun freundlich und mit
einem scherzhaften Ton, hinter dem er seine Bewegung verbarg,
überreichte. Es war ein kleines altmodisches Beutelein mit einigen
Talern, eine in der Tasche tragbare Schreibfeder und ein nett
eingebundenes Heftlein, das er selber hergestellt und worin er mir ein
Dutzend guter Lebenssprüche mit seiner strengen lateinischen Schrift
geschrieben hatte. Mit den Talern empfahl er mir zu sparen, aber nicht
zu geizen, mit der Feder bat er mich recht oft heimzuschreiben, und wenn
ich einen neuen guten Spruch an mir bewährt fände, ihn ins Heftlein zu
den andern zu notieren, die er im eigenen Leben brauchbar und wahr
erfunden habe.

Zwei Stunden und darüber saßen wir beisammen, und die Eltern erzählten
mir manches aus meiner eigenen Kindheit, aus ihrer und ihrer Eltern
Leben, das mir neu und wichtig war. Vieles habe ich vergessen, und da
meine Gedanken zwischenein immer wieder zu Anna entrannen, mag ich
manches ernste und wichtige Wort nur halb gehört und geachtet haben.
Geblieben aber ist mir eine starke Erinnerung an diesen Morgen im
Studierzimmer, und geblieben ist mir eine tiefe, oft beschämende
Dankbarkeit und Verehrung für meine beiden Eltern, die ich heute mehr
als je in einem reinen, heiligen Lichte sehe, das für meine Augen keinen
andern Menschen umgibt.

Damals aber ging mir der Abschied, den ich am Nachmittag zu nehmen
hatte, weit näher. Bald nach dem Mittagessen machte ich mich mit den
beiden Mädchen auf den Weg, über den Berg nach einer schönen
Waldschlucht, einem schroffen Seitentale unseres Flusses.

Anfangs machte meine bedrückte Stimmung auch die andern nachdenklich und
schweigsam. Erst auf der Berghöhe, von wo zwischen hohen roten
Föhrenstämmen das schmale gewundene Tal und ein weites waldgrünes
Hügelland zu sehen war und wo hochstielige Kerzenblumen im Winde
schwankten, riß ich mich mit einem Juchzer aus der Befangenheit los. Die
Mädchen lachten und stimmten sofort ein Wanderlied an; es war „O Täler
weit, o Höhen,“ ein altes Lieblingslied unserer Mutter, und beim
Mitsingen fielen mir eine Menge fröhlicher Waldausflüge aus Kinderzeiten
und vergangenen Feriensommern ein. Von diesen und von der Mutter fingen
wir denn auch wie verabredet zu sprechen an, sobald der letzte Vers
verklungen war. Wir sprachen von diesen Zeiten mit Dank und Stolz, denn
wir haben eine herrliche Jugend- und Heimatzeit gehabt, und ich ging mit
Lotte Hand in Hand, bis Anna sich lachend anschloß. Da schritten wir die
ganze den Bergrücken entlangführende Straße händeschwingend zu dreien in
einer Art von Tanz dahin, daß es eine Freude war.

Dann stiegen wir auf einem steilen Fußpfad seitwärts in die finstere
Schlucht eines Baches hinab, der von weitem hörbar über Geröll und
Felsen sprang. Weiter oben am Bache lag eine beliebte Sommerwirtschaft,
in welche ich die beiden zu Kaffee und Eis und Kuchen eingeladen hatte.
Bergab und den Bach entlang mußten wir hintereinander gehen, und ich
blieb hinter Anna, betrachtete sie und sann auf eine Möglichkeit, sie
heute noch allein zu sprechen.

Schließlich fiel mir eine List ein. Wir waren unserm Ziel schon nahe an
einer grasigen Uferstelle, die voll von Bachnelken stand. Da bat ich
Lotte, vorauszugehen und Kaffee zu bestellen und einen hübschen
Gartentisch für uns decken zu lassen, während ich mit Anna einen großen
Waldstrauß machen wolle, da es gerade hier so schön und blumig sei.
Lotte fand den Vorschlag gut und ging voraus. Anna setzte sich auf ein
moosiges Felsstück und begann Farnkraut zu brechen. Ein paarmal jodelte
sie der Freundin nach, dann verschwand Lotte im Grünen talaufwärts, und
wir beide waren allein.

„Also das ist mein letzter Tag,“ fing ich an.

„Ja, es ist schade. Aber Sie kommen ja sicher bald einmal wieder heim,
nicht?“

„Wer weiß? Jedenfalls im nächsten Jahr nicht, und wenn ich auch
wiederkomme, so ist doch nicht mehr alles wie diesmal.“

„Warum nicht?“

„Ja, wenn Sie dann auch gerade wieder da wären!“

„Das wäre schließlich nicht unmöglich. Aber meinetwegen sind Sie ja doch
auch diesmal nicht heimgekommen.“

„Weil ich Sie noch gar nicht gekannt habe, Fräulein Anna.“

„Allerdings. Aber Sie helfen mir gar nicht! Geben Sie mir wenigstens ein
paar von den Bachnelken dort.“

Da nahm ich mich zusammen.

„Nachher so viel Sie wollen. Aber im Augenblick ist mir etwas anderes zu
wichtig. Sehen Sie, ich habe jetzt ein paar Minuten mit Ihnen allein,
und darauf hab ich den ganzen Tag gewartet. Denn – weil ich doch heute
reisen muß, wissen Sie – also kurz, ich wollte Sie fragen, Anna – –“

Sie sah mich an, ihr gescheites Gesicht war ernst und beinahe bekümmert.

„Warten Sie!“ unterbrach sie meine hilflose Rede. „Ich glaube, ich weiß
schon, was Sie mir sagen wollen. Und jetzt bitte ich Sie herzlich, sagen
Sie’s nicht!“

„Nicht?“

„Nein, Hermann. Ich kann Ihnen jetzt nicht erzählen, warum das nicht
sein darf, doch dürfen Sie es gern wissen. Fragen Sie später einmal Ihre
Schwester, die weiß alles. Unsere Zeit ist jetzt zu kurz, und es ist
eine traurige Geschichte, und heut wollen wir nicht traurig sein. Wir
wollen jetzt unsern Strauß machen, bis Lotte wiederkommt. Und im übrigen
wollen wir gute Freunde bleiben und heute noch miteinander fröhlich
sein. Wollen Sie?“

„Ich wollte schon, wenn ich könnte.“

„Nun dann, so hören Sie. Mir geht es wie Ihnen; ich habe einen lieb und
kann ihn nicht bekommen. Aber wem es so geht, der muß alle Freundschaft
und alles Gute und Frohe, was er sonst etwa haben kann, doppelt
festhalten, nicht wahr? Drum sage ich, wir wollen gut Freund bleiben und
wenigstens noch diesen letzten Tag einander fröhliche Gesichter zeigen.
Wollen wir?“

Da sagte ich leise Ja, und wir gaben einander die Hände darauf. Der Bach
lärmte und jubelte und spritzte feine Tropfen zu uns herauf, unser
Strauß wurde groß und farbig, und es dauerte nicht lange, da sang und
rief meine Schwester uns schon wieder entgegen. Als sie bei uns war, tat
ich, als wollte ich trinken, kniete am Bachrand hin und tauchte Stirn
und Augen eine kleine Weile in das kalt strömende Wasser. Dann nahm ich
den Strauß zur Hand, und wir gingen miteinander den kurzen Weg bis zur
Wirtschaft.

Dort stand unter einem Ahornbaum ein Tisch für uns gedeckt, es gab Eis
und Kaffee und Biskuits, die Wirtin hieß uns willkommen, und zu meiner
eigenen Verwunderung konnte ich sprechen und Antwort geben und essen,
als wäre alles gut. Ich wurde fast fröhlich, hielt eine kleine Tischrede
und lachte ohne Zwang mit, wenn gelacht wurde. Wenn ich heute daran
denke, ist es mir wie einem Kranken, der einen Gesunden Bier trinken und
Obst dazu essen sieht und nicht begreift, daß wirklich ein Magen das
leisten kann. Er kann es aber leisten, und nicht minder Unbegreifliches
tut und erträgt ein jeder, solang er jung ist und den milden Himmel der
gläubigen Unerfahrenheit über sich hat.

Ich will es Anna nicht vergessen, wie einfach und lieb und tröstlich sie
mir über das Demütigende und Traurige an jenem Nachmittag hinweggeholfen
hat. Ohne merken zu lassen, daß etwas zwischen ihr und mir vorgefallen
sei, behandelte sie mich mit einer herzlichen und schönen
Freundschaftlichkeit, die mir meine Haltung bewahren half und mich
nötigte, ihr älteres und vielleicht tieferes Leid und die Art, wie sie
es heiter trug, hochzuachten.

Das enge Waldtal füllte sich mit frühen Abendschatten, als wir
aufbrachen. In der Höhe aber, die wir rasch erstiegen, holten wir die
sinkende Sonne wieder ein und schritten noch eine Stunde lang in ihrem
warmen Licht, bis wir sie beim Niederstieg zur Stadt nochmals aus den
Augen verloren. Ich sah ihr nach, wie sie schon groß und rötlich
zwischen schwarzen Tannenwipfeln stand, und dachte daran, daß ich sie
morgen weit von hier an fremden Orten wiedersehen würde.

Abends, nachdem ich vom ganzen Hause Abschied genommen hatte, gingen
Lotte und Anna mit mir auf den Bahnhof und winkten mir nach, als ich im
Zug war und der eingebrochenen Finsternis entgegenfuhr.

Ich stand am Wagenfenster und schaute auf die Stadt hinaus, wo schon
Laternen und rote Fenster leuchteten. In der Nähe unseres Gartens nahm
ich eine starke, blutrote Helle wahr. Da stand mein Bruder Fritz und
hatte in jeder Hand ein bengalisches Licht, und in dem Augenblick, da
ich winkte und an ihm vorbeifuhr, ließ er eine Rakete senkrecht
aufsteigen. Hinauslehnend sah ich sie steigen und innehalten, einen
weichen Bogen beschreiben und in einem roten Funkenregen vergehen.



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                        Werke von Hermann Hesse

   Peter Camenzind. Roman. 72. Auflage. Geh. 3 Mark, in Leinen 4 M.
   50 Pf.

   Unterm Rad. Roman. 19. Auflage. Geheftet 3 M. 50 Pf., in Leinen 5
   Mark.

   Diesseits. Erzählungen. 18. Auflage. Geheftet 3 M. 50 Pf., in
   Leinen 5 Mark.

   Nachbarn. Erzählungen. 12. Auflage. Geheftet 3 M. 50 Pf., in
   Leinen 5 Mark.

   Umwege. Erzählungen. 10. Auflage. Geheftet 3 M. 50 Pf., in Leinen
   5 Mark.

   Aus Indien. Aufzeichnungen von einer indischen Reise. 6. Auflage.
   Geheftet 3 Mark, in Leinen 4 M. 50 Pf.

   Roßhalde. Roman. 20. Auflage. Geheftet 4 Mark, in Leinen 5 M. 50
   Pf.

   In der alten Sonne. Erzählung. Illustriert von Wilhelm Schulz. In
   handkoloriertem Pappband 1 M. 50 Pf.

   Knulp. Drei Geschichten aus dem Leben Knulps. Pappband 1 Mark,
   Leinenband 1 M. 25 Pf.


                            Peter Camenzind

   Hesse gibt die Geschichte eines Bauernbuben, eines harten,
   muskeligen Kerls, der aber den versonnenen Träumerkopf des
   Hermann Hesse auf den Schultern hat. Und da ist schon die Tragik
   – so einer findet sich im Leben nicht zurecht. Draußen nicht,
   aber drinnen wohl. Wahrhaftige Firnenreinheit ist über den
   letzten Kapiteln im Gebirge, da sich alles klärt und versöhnt.

                                               (Freistatt, München)


                                 Umwege

   Wie Gottfried Keller in seinen „Seldwylern“, so hat Hesse in
   seinen Gerbersauern seine sicherste Meisterschaft erreicht, seine
   ganz persönliche Domäne gefunden. Nur ungern verläßt man den
   Kreis derer, die sein Blick aus dem Alltage gehoben, gewählt hat
   zu Kunstwerklein, deren filigranfein gestichelte Prägung dem
   Kenner und beschaulichen Genießer nachhaltige Freuden gewährt.

                                               (Berliner Tageblatt)


                               Aus Indien

   Hesse hat Indien ganz auf seine Art erlebt, mit jener selben
   großen, verinnerlichten Gelassenheit, mit der er in seinen
   Romanen und Novellen Menschen und Landschaften seiner
   süddeutschen Heimat erlebt. Wohin er uns auch führt, es ist ein
   berückender Genuß, ihm zu folgen.

                                  (Königsberger Allgemeine Zeitung)


                                Roßhalde

   Nie hat Hermann Hesse künstlerisch etwas so Starkes gestaltet wie
   die seelische Spannung dieses Gebundenseins, den schmerzhaften
   Bann der zwiefachen Einsamkeit dessen, der zum engsten
   Zusammenleben mit einem einst nahen, aber nun willenlos feindlich
   fernen Menschen verdammt ist. „Roßhalde“ ist eines der menschlich
   tiefsten und wahrsten Bücher, die geschrieben sind.

                                                        (Die Hilfe)



                        Fischers Romanbibliothek

            Jeder Band gebunden 1 Mark, in Leinen Mark 1.25

      Hermann Bahr, Theater
      Herman Bang, Am Wege
      Herman Bang, Die vier Teufel
      Herman Bang, Zusammenbruch
      Herman Bang, Hoffnungslose Geschlechter
      Martin Beradt, Go
      Alice Berend, Die Bräutigame der Babette Bomberling
      Alice Berend, Frau Hempels Tochter
      Alice Berend, Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel
      Björnstjerne Björnson, Mary
      Johan Bojer, Unser Reich
      Laurids Bruun, Van Zantens glückliche Zeit
      Laurids Bruun, Van Zantens Insel der Verheißung
      Laurids Bruun, Die freudlose Witwe
      Laurids Bruun, Heimwärts
      Anny Demling, Oriol Heinrichs Frau
      Theodor Fontane, L’Adultera
      Theodor Fontane, Irrungen Wirrungen
      Theodor Fontane, Cecile
      Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel
      Theodor Fontane, Mathilde Möhring
      Gustaf af Geijerstam, Pastor Hallin
      Gustaf af Geijerstam, Frauenmacht
      Gustaf af Geijerstam, Die Brüder Mörk
      Gustaf af Geijerstam, Thora
      Knut Hamsun, Redakteur Lynge
      Otto Erich Hartleben, Die Serenyi
      Otto Erich Hartleben, Liebe kleine Mama
      Gerhart Hauptmann, Bahnwärter Thiel
      Wilhelm Hegeler, Das Ärgernis
      Hermann Hesse, Knulp
      Hermann Heile, Unterm Rad
      Hermann Hesse, Schön ist die Jugend
      Georg Hirschfeld, Das Mädchen von Lille
      Einar Hjörleifsson, Die Übermacht
      Sophie Hoechstetter, Passion
      Felix Hollaender, Das letzte Glück
      Felix Hollaender, Frau Ellin Röte
      Felix Hollaender, Sturmwind im Westen
      Friedrich Huch, Geschwister
      Friedrich Huch, Mao
      Friedrich Huch, Wandlungen
      Norbert Jacques, Der Hafen
      Johannes V. Jensen, Dolores
      Hans von Kahlenberg, Eva Sehring
      Bernhard Kellermann, Yester und Li
      E. von Keyserling, Beate und Mareile
      E. von Keyserling, Am Südhang
      Charlotte Knoeckel, Maria Baumann
      Selma Lagerlöf, Herrn Arnes Schatz
      Hans Land, Staatsanwalt Jordan
      Hans Land, Stürme
      Hans Land, Artur Imhoff
      Jonas Lie, Eine Ehe
      Jonas Lie, Auf Irrwegen
      Emil Lucka, Isolde Weißhand
      Thomas Mann, Der kleine Herr Friedemann
      Thomas Mann, Das Wunderkind
      Karin Michaelis, Treu wie Gold
      Peter Nansen, Julies Tagebuch
      Gabriele Reuter, Ellen von der Weiden
      Gabriele Reuter, Frauenseelen
      Gabriele Reuter, Liselotte von Reckling
      Gabriele Reuter, Der Amerikaner
      Felix Salten, Olga Frohgemuth
      Jakob Schaffner, Die Erlhöferin
      Jakob Schaffner, Die Irrfahrten des Jonathan Bregger
      Arthur Schnitzler, Die griechische Tänzerin
      Arthur Schnitzler, Frau Berta Garlan
      Hermann Stehr, Leonore Griebel
      Emil Strauß, Der Engelwirt
      Emil Strauß, Kreuzungen
      Leo Tolstoi, Chadschi Murat
      Siegfried Trebitsch, Genesung
      Ruth Waldstetter, Die Wahl
      Jakob Wassermann, Der niegeküßte Mund
      Josef Baron Weyssenhoff, Leben und Gedanken des Herrn Podfilipski
      Adolph Wittmaack, Konsul Möllers Erben



               Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte

                       Jeder Band gebunden 1 Mark

       1. Band:  Aus den Kämpfen um Lüttich. Von Rudolf Requadt.        
       2. Band:  Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft. Von Franz       
                    Oppenheimer.                                        
       3. Band:  Der englische Charakter, heute wie gestern. Von Theodor
                    Fontane.                                            
       4. Band:  Preußische Prägung. Von Lucia Dora Frost.              
       5. Band:  Friedrich und die große Koalition. Von Thomas Mann.    
       6. Band:  Die Fahrten der Emden und der Ayesha. Von Emil Ludwig. 
                    Mit 20 Abbildungen.                                 
       7. Band:  In England – Ostpreußen – Südösterreich. Von Arthur    
                    Holitscher.                                         
       8. Band:  Der deutsche Mensch. Von Leopold Ziegler. Neue         
                    veränderte Ausgabe. (Doppelband).                   
       9. Band:  Russischer Volksimperialismus. Von Karl Leuthner.      
      10. Band:  Die Flüchtlinge. Von einer Reise durch Holland hinter  
                    die belgische Front. Von Norbert Jacques.           
      11. Band:  Zwischen Lindau und Memel während des Krieges. Von Paul
                    Schlenther.                                         
      12. Band:  Deutsche Kunst. Von Karl Scheffler.                    
      13. Band:  Gedanken zur deutschen Sendung. Von Alfred Weber.      
      14. Band:  Die Fahrten der Goeben und der Breslau. Von Emil       
                    Ludwig. Mit 18 Abbildungen.                         
      15. Band:  Die Front in Tirol. Von Franz Karl Ginzkey. Mit 8      
                    Abbildungen.                                        
      16. Band:  Im Kriege durch Frankreich und England. Von Hans Vorst.
      17. Band:  Staatssozialismus. Von Leopold von Wiese.              
      18. Band:  Österreich und der Mensch. Von Robert Müller.          
      19. Band:  Deutsche Zukunft. Von Ernst Troeltsch.                 
      20. Band:  Das amerikanische Gesicht. Von Arthur Holitscher.      
      21. Band:  Weltwirtschaftliche Möglichkeiten. Von Franz Eulenburg.
      22. Band:  Im Kriegsflugzeug. Von Rudolf Requadt.                 
   23./24. Bd.:  England und Wir. Kriegsbetrachtungen eines Sozialisten.
                    Von Max Schippel.                                   
   25./26. Bd.:  Schwarzgelb. Von Hermann Bahr.                         
      27. Band:  Weltkrieg und Völkerrecht. Von Ferd. Tönnies.          
   28./29. Bd.:  Volk, Staat und Persönlichkeit. Von Leopold Ziegler.   



                    Gesamtausgaben moderner Dichter


                         Björnstjerne Björnson

       Gesammelte Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. Gebunden 18
                                 Mark.


                             Richard Dehmel

      Gesammelte Werke in zehn Bänden. Geheftet 30 Mark, gebunden
                                45 Mark.

          Gesammelte Werke in drei Bänden. Gebunden 12 Mark 50
                                Pfennig.


                            Theodor Fontane

      Gesammelte Werke. Auswahl in fünf Bänden. Gebunden 23 Mark.


                          Gustaf af Geijerstam

          Gesammelte Romane in fünf Bänden. Geheftet 12 Mark,
                           gebunden 15 Mark.


                          Otto Erich Hartleben

          Ausgewählte Werke in drei Bänden. Geheftet 10 Mark,
                           gebunden 12 Mark.


                           Gerhart Hauptmann

       Gesammelte Werke. Gesamtausgabe in sechs Bänden. Gebunden
                                24 Mark.


                              Henrik Ibsen

       Sämtliche Werke in deutscher Sprache. Zehn Bände. Geheftet
                       35 Mark, gebunden 45 Mark.

       Sämtliche Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. Gebunden 18
                                 Mark.


                              Peter Nansen

          Ausgewählte Werke in drei Bänden. Gebunden 14 Mark.


                           Arthur Schnitzler

         Gesammelte Werke. I. Die erzählenden Schriften in drei
                       Bänden. Gebunden 12 Mark.

        Gesammelte Werke. II. Die Theaterstücke in vier Bänden.
                           Gebunden 15 Mark.


                              Bernard Shaw

         Dramatische Werke. Auswahl in drei Bänden. Geheftet 12
                        Mark, gebunden 15 Mark.



                          Eine neue Romanreihe

           Jeder Band geh. 3 Mark 50 Pf., geb. 4 Mark 25 Pf.


                         Otto Flake, Horns Ring

   Ein Vorkriegsbuch! In haarscharfen Bildern voll packender
   Wirklichkeit entwirft Flake einen, nein, tausend Abschnitte aus
   dem Leben, das wir mehr oder weniger alle vor diesem Wettersturz
   „Weltkrieg“ lebten. Es ist, als habe er in diesem Buch all das
   Hetzen und Jagen nach Genuß und Gewinn, das atemberaubende Tempo
   dieser letzten Jahre eingefangen, um es in komprimiertester Form
   in ebensolchem Eilmarsch wieder vor unseren Augen vorbeiziehen zu
   lassen.

                                     (Fränkischer Kurier, Nürnberg)


                    Gerhart Hauptmann, Emanuel Quint

   Nun liegt das Buch vor, von dem es leicht ist vorauszusagen, daß
   es in rascher Folge ungezählte Auflagen erleben und in alle
   Kultursprachen übersetzt werden wird. Es ist der Roman religiöser
   Kämpfe unserer Zeit, dargestellt an einem Schwärmer, einem Sohn
   des Volkes, der sich bis zur Gottessohnschaft versteigt. Hier hat
   Hauptmann sein größtes Werk vollendet.

                                     (Berliner Neueste Nachrichten)


                     Norbert Jacques, Piraths Insel

   Dieser Roman, an Abenteuern, Menschen und Zuständen überreich,
   greift auf die modernsten Probleme, nicht nur eines einzelnen
   Menschen, sondern unserer ganzen seelischen, wirtschaftlichen und
   weltpolitischen Kultur über.


                  Jakob Wassermann, Das Gänsemännchen

   Das Werk ist vermöge weitausgreifender Lebensfülle, breiter,
   umfassender Gesellschaftsschilderung, des Hineinspielens
   politischer und kultureller Zeitgeschehnisse ein wahrhafter
   Roman. Im Rahmen der Leidens- und Werdegeschichte eines deutschen
   Musikgenius entrollt die Dichtung auch Deutschlands Seele,
   Deutschlands Nervenzustand, Deutschlands Kulturströmungen. Tief
   und voll aus dem Menschlichen ist die Dichtung geschöpft.

                                                 (Wiener Abendpost)


             Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig



                     Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Ausgaben, sind hier
aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 74]:
   ... und Viktor Hugo, sowie die kleine Ausgabe von Lavaters ...
   ... und Victor Hugo, sowie die kleine Ausgabe von Lavaters ...




*** End of this LibraryBlog Digital Book "Schön ist die Jugend - Zwei Erzählungen" ***

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