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Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz, MitteilungenBand X, Heft 10-12 - Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Author: Heimatschutz, Landesverein Sächsischer
Language: German
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HEIMATSCHUTZ, MITTEILUNGENBAND X, HEFT 10-12 ***



    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder
    unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua
    gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so
    dargestellt=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Landesverein Sächsischer
    Heimatschutz

    Dresden

    Mitteilungen
    Heft
    10 bis 12

    Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege

    Band X

    _Inhalt_: Hermann Vogel, dem Malerpoeten des Vogtlandes zum
    Gedächtnis -- Kamenzer Weihnachten -- Wanderbilder aus dem
    östlichen Vogtland -- Trachtenechtes Spielzeug -- Caprivi und
    die Bäume im Garten des Kanzlerpalais -- Drei Baumbilder aus der
    Wilsdruffer Heimatsammlung -- Pflanzt Nußbäume -- Praktischer
    Heimatschutz -- In den Hütten meiner Heimat -- Das Weberhaus
    in Hosterwitz -- Wissenschaft und Vogelschutz -- Kursächsische
    Streifzüge -- Erzgebirgische Christ- und Mettenspiele -- Von der
    Schönheit des Baumes -- Bücherbesprechung

    Einzelpreis dieses Heftes M. 20.--, Bezugspreis für einen Band
    (aus 12 Nummern bestehend) M. 30.--, für Behörden und Büchereien
    M. 20.--. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos,
    _Mindest_jahresbeitrag M. 10.--

    Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24

    Postscheckkonto: Leipzig 13987, Dresden 15835
    Stadtgirokasse Dresden 610

    Dresden 1921



An unsere werten Mitglieder!


In dem vorliegenden Weihnachtsheft bieten wir unseren Mitgliedern,
Freunden und Gönnern etwas ganz besonderes:

Wir sind in der glücklichen Lage, zehn ganz vortreffliche Zeichnungen
Hermann Vogels, des gemütvollen Illustrators der »Fliegenden Blätter«,
der Anfang dieses Jahres seine Augen für immer schloß, abzudrucken und
so dem Hefte eine besondere Weihnachtsstimmung zu geben.

Unser Verein hat in dem nun ablaufenden Jahre an Mitgliedern ungeahnt
zugenommen. Fast hat sich unsere Mitgliederzahl verdoppelt, denn
wir werden mit einem Bestand von 12000 Mitgliedern abschließen.
Freilich haben unsere Einnahmen durch die zunehmende Geldentwertung
mit der Erhöhung unserer Mitgliederzahl nicht Schritt gehalten. Eine
obligatorische Erhöhung unseres Jahresbeitrages (Mindestbeitrag
10 Mk.), der in unseren Brudervereinen schon 20 Mk. und mehr beträgt,
möchten wir vermeiden, um auch unseren minderbemittelten Volksgenossen,
den zahlreichen Schülern, die sich an unserer Bewegung und an unseren
Veröffentlichungen erbauen, auch weiterhin die Zugehörigkeit zum
Heimatschutz zu ermöglichen. Wir hoffen daher, daß

_unsere Bitte um freiwillige Erhöhung des Jahresbeitrages_

auch weiterhin Gehör und Erfüllung finden und das besonders der Inhalt
dieses Heftes, das uns fast 10 Mk. (unseren Mindestbeitrag) selbst
kostet, dazu anfeuern möge.

Wir fügen daher auch diesem Hefte eine Zahlkarte bei und bitten alle
diejenigen, davon Gebrauch zu machen, die dazu irgendwie in der Lage
sind, ihren Beitrag freiwillig zu erhöhen oder uns eine Weihnachtsgabe
für das Jahr 1921 noch zu übermitteln. Die jetzige Teuerungswelle
bringt auch unseren Verein erneut vor wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Möge der Opfersinn und die Opferwilligkeit aller derer, die uns
angehören, an unseren Bestrebungen Freude, Gefallen und Genugtuung
finden, dazu beitragen, daß wir auch über die neue verschärfte
wirtschaftliche Lage hinwegkommen und weiter unseren Bestrebungen für
Heimat und Volk mit allen unseren Kräften in der bisherigen Weise
gerecht werden können.

Wir danken allen aufrichtig und von ganzem Herzen, die uns bisher
geholfen haben und unseren Verein in die Lage versetzten, einer der
größten Vereine mit idealen Bestrebungen von ganz Sachsen zu werden.

Wir bitten alle, dazu beizutragen, daß wir im nächsten Jahre unser
zwanzigtausendstes Mitglied aufnehmen und an Macht und Ansehen weiter
gewinnen können. Zu diesem Zwecke fügen wir eine Anmeldekarte zur
Gewinnung eines neuen Mitgliedes bei. Die Mitgliedschaft wäre ein
schönes Weihnachtsgeschenk für Sachsens Jugend.

    _Dresden_, im November 1921

        Landesverein Sächsischer Heimatschutz



[Illustration:

    Band X, Heft 10/12      1921

Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Dresden]

Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern durch den
Vorstand herausgegeben

Abgeschlossen am 1. Oktober 1921



Hermann Vogel dem Malerpoeten des Vogtlandes zum Gedächtnis

Von _Karl Rödiger_, Plauen i. V.

    Die beigedruckten Bilder stammen »Aus den Fliegenden Blättern«,
    Braun & Schneider, München


»Bin kein Heimatkünstler im eigentlichen Sinne des Wortes, bin kein
Vogtlandmaler«, schrieb mir Hermann Vogel in seiner kurzen, offenen
Art, als ich mich vor etlichen Jahren an ihn gewendet hatte mit der
Bitte, mir aus dem Reichtum seiner Bilder solche zu nennen, denen ein
_vogtländisch-heimatliches_ Motiv zu Grunde liegt. Und wer das gesamte
Schaffen des Künstlers, der sich selbst einmal, auf dem Titelblatt
seines »Bilder- und Geschichtenbuches«, als »romantisch-humoristischer
Illustrator« bezeichnet hat, auch nur einigermaßen kennt, seine
Illustrationen zu Scheffels Ekkehard, zu Wagners Deutschen Heldensagen,
zu Schwabs Volksbüchern, zu der achtbändigen Weltgeschichte seines
Lehrers Otto Kaemmel, seine wundersamen Bilder zu den Märchen der
Brüder Grimm (1892/94), zu Rudolphis Märchen (1905), seine ungezählten
Bilder und Gedichte, Tierfabeln und Geschichten in den Münchener
»Fliegenden Blättern«, denen Hermann Vogel mehr als drei Jahrzehnte
lang sein bestes Dichten und Können gewidmet hat, wer dies alles
überblickt, der wird, erstaunt ob solcher Gestaltenfülle aus allen
Zeiten und Völkern und Ländern, den Künstler nicht mehr in den
engbegrenzten Begriff des Heimat- und des Vogtlandmalers hineinzwängen
wollen.

[Illustration: =Der Schatzgräber=]

Und doch, wer näher zusieht, wer als geborener Vogtländer wie ich von
Jugend an leidenschaftlich gern Hermann Vogelsche Bilder aufgesucht und
stundenlang betrachtet hat, der wird mit aufrichtiger Freude entdecken
können, wie Hermann Vogel auch seiner _Heimat_, seinem _Vogtland_,
immer und immer wieder reizvolle Motive für seine Bilder abzulauschen
wußte.

[Illustration: =Hexenküche=]

Kein Wunder. Denn in Plauen, im Herzen des Vogtlandes, am 16. Oktober
1854 als zweiter Sohn des Maurermeisters Traugott Wilhelm Vogel
geboren, ist der Künstler zeitlebens ein rechter Vogtländer von echtem
Schrot und Korn geblieben. Mit allen Fasern seines Herzens hing
Hermann Vogel an seinem Vogtland. Mit seinen Landsleuten hat auch er,
wie Julius Mosen, der Vogtlandsänger, im Eingang der »Erinnerungen«
von sich sagt, immer die Anhänglichkeit an die heimatliche Erde des
Vogtlandes gemeinsam gehabt. Ein doppeltes Heim hat Hermann Vogel
besessen, ein Sommerheim an der Plattleithe im sonnigen Loschwitz
bei Dresden und ein Winterheim in seinem obervogtländischen Dörflein
Krebes beim Burgstein, zwischen Ruderitz und Gutenfürst. Sobald es zu
herbsteln begann, sobald die ersten Schneeflocken herabwirbelten, litt
es den Künstler nicht länger im wohligen Loschwitz. Das Heimweh trieb
ihn hinauf in seine heimatlichen Vogtlandberge und Vogtlandwälder.
Und hier, in der Weltabgeschiedenheit des Krebeser Waldes, in nie
befriedigtem Selbststudium, in unablässigem Naturstudium hat er, den
kein Kunstlehrer und keine Kunstakademie dauernd hatte fesseln können,
mühevoll sich den Weg zu seiner Künstlereigenart gebahnt. Hier hat er
am 22. Februar 1921 sein Künstlerauge für immer geschlossen. Hier haben
wir ihn, den »Krebesaere«, auf seinen ausdrücklichen Wunsch in den
mütterlichen Schoß seiner heißgeliebten Vogtlanderde gebettet. --

Mit Stift und Skizzenbuch hat Hermann Vogel sein Vogtland kreuz und
quer durchstreift und, als Maurermeisterssohn, mit ganz besonderer
Vorliebe architektonische Motive heimgetragen. Immer wieder ragen
in seinen Bildern die zerfallenen Mauern der beiden romantischen
Burgsteinruinen empor, die seinem Krebeser Heim und seinem
Künstlerherzen so nah benachbart waren: in Maiensonntagsbildern die
untere Burgsteinruine mit dem ländlich gemütlichen Kegelschub, im
mondlichtüberflossenen Schatzgräberbild die obere Burgsteinkapelle,
in dem köstlichen Waldmappenbild von der Märchen erzählenden
Großmutter die altersgrauen Burgsteinmauern mit dem geheimnisdunklen
Spitzbogentor im Hintergrund, im Bild vom grauen Männel, das den
späten Gast vom Burgstein heimleuchtet, in zahlreichen Bildern der
~Ora-pro-nobis~-Brüderschaft, deren Seele der Künstler gewesen, im Bild
vom eingeschneiten Einsiedler, in der innigen Dornröschenkarte vom
Burgstein, deren Geleitgedicht der Malpoet ausklingen läßt:

    Hier schläft, umraunt von Wald und Wind,
    Der _Heimat_ Poesie.

[Illustration: =Waldseeklause=]

Aus vielen, über alle Welt verbreiteten Bildern Hermann Vogels grüßen
uns wie vertraute Freunde Dorfkirchen des Vogtlandes mit ihren runden
Zwiebeltürmen: das Kirchlein von Krebes, von Kemnitz und Geilsdorf,
die weit ins Land schauende St. Clara-Kapelle von Heinersgrün, die
berühmte Bergkirche von Schleiz, eine der ältesten und denkwürdigsten
Kultstätten des gesamten Vogtlandes. Alte Bauwerke, »Wohnungen der Frau
Romantika«, Burgruinen, Kirchen, Tore, Türme und Schlösser, haben es
ihm angetan: der zierliche Schloßturm des Rittergutes von Wiedersberg
im oberen Vogtland, das Stadttor von Saalburg, der Wartturm von
Ziegenrück, Schloß Ranis, das efeuumsponnene, im Pößnecker Kreis, vor
allem das herrliche Schloß Burgk an der Saale in Sommersonnenglanz und
deutscher Winterweihnachtspracht.

[Illustration:

    Wahr’ dich vor Waldschmieds Töchterlein!
      Wie Eisen so stark, wie Gold so fein
    Schwingt sie den Hammer wie Wieland gut,
      Wie Kohle loht ihrer Augen Glut!
    Und naht der Schmiede ein Reitersmann,
      Der nicht mehr fechten und traben kann,
    Dem bessert sie Harnisch und Huf zur Stund’,
      Brennt aber auf ewig das Herz ihm wund!
]

Als begeisterte Anhänger und Vorkämpfer des Heimatschutzgedankens sind
wir dem Künstler aber noch besonders dankbar, daß er bemerkenswerten
Resten und Zeugen heimatlicher Bauweise so liebevoll nachgegangen
ist und diese uns in vielen seiner Bilder erhalten hat: die
schindelgedeckten Bauernhütten des Vogtlandes mit dem Rundbogenbalken
über den kleinen Wohnfenstern, den kunstvoll mit Schiefer verkleideten
Giebel der Waldschmiede in Heinersgrün, den altmeisterlichen
Holzwerkgiebel ebendort (in dem Bild von der »Hochzeitsmusik«), das
echt vogtländische Bauernhaus mit Holzgalerie (in Grimms Märchen von
den klugen Leuten), das heimatliche Bauerngehöfte mit Taubenschlag und
Bienenstöcken und Kleinod- (»Klaanet«) Garten (beim Märchen vom Frieder
und Katerlieschen), die altvogtländische Bauernstube mit Spinnrad,
vogtländischem Hauskalender und Kachelofen und volkskunsthandwerklicher
Holzverkleidung (aus den Waldmappenbildern), den urwüchsigen
Dorfbrunnen mit bretternem Brunnenhaus und wuchtigem Klotzhebel,
im Volksmund »Leerl« genannt, (beim Märchen vom Fundevogel), den
Wiedersberger Gasthof mit seinem Fachwerk und kunstschmiedeeisernem
Wirtshausschild (im Märchen von dem, der das Fürchten lernen wollte)
und endlich, nicht zuletzt, auch die weltabgeschiedenen Mühlen alle
in den Waldbachtälern des Vogtlandes, vor allen die Kienmühle im
Kemnitzgrund nahe dem Burgstein, zwischen Ruderitz und Geilsdorf, des
Künstlers Lieblingsmühle, wo er so gern geweilt, die er in einem seiner
schönsten Gedichte also preist:

    Am Erlenbach, im engen Grund, du Mühle hast mir’s angetan,
    Seit sich dein stiller Frieden mir zum ersten Male aufgetan.
    Wie oft saß ich am Felsenhang, von Fichtenkronen rings umsäumt,
    Und späht’ dein stilles Tal entlang, so heimatfröhlich
      und verträumt.

       *       *       *       *       *

    Noch heute summt durch meinen Traum ein fernes Lied,
      so leis und lind,
    So liebend, wie wenn in den Schlaf die Mutter
      singt ihr krankes Kind.
    ’s ist ein gar eigen, stilles Lied, so waldeskräftig, sonnenmild,
    Bald fröhlich wie der Mühlenbach, wenn er um moos’ge Felsen quillt,
    Und bald wie Waldesbrausen ernst, dem scheu der Sprung
      der Rehe lauscht:
    Es ist der _Heimat Zauberlied_, das durch
      die Fichtenkronen rauscht.

[Illustration: =Im Maien.=]

[Illustration:

    Wenn der Hans die Grete nimmt,
    Die Musica auf’s Feinste stimmt;
    Wenn der Hans die Grete hat,
    Wendet sich das Notenblatt --
    Nun toent’s bald sueß, wie Nachtigallsang
    Bald, als keiften zwei Kater die Daecher entlang!

            H. V. 1904

=Hochzeitsmusika=]

Der Heimatmühle tief drunten im Tal und dem Heimatwald hoch droben auf
den Vogtlandbergen gehörte des Künstlers volle, treue Liebe.

    Du Wald auf meiner Heimat Höh’n,
    Mein ganzes Glück bist du!

bekennt er am Schluß des Geleitgedichtes zu seinem ergreifend schönen
Heimatwaldbild. Tagelang und nächtelang ist er als Jäger durch den
Krebeser Wald gestreift und durch die Wälder der Ruderitzberge und
der Plattenberge, mit der Donnerbüchse über der Schulter. Nur selten
hat er’s über sich vermocht, ein Wild des Waldes mit seiner Flinte
wirklich tot zu schießen. Mit seinem Stift, dem treffsicheren, hat
er die Tiere belauscht und im Skizzenbuch als Beute heimgebracht:
den leichtflüchtigen Hasen, den listigen Fuchs, das keusche Reh
(des Künstlers Lieblingstiergestalt), die gurrenden Holztauben, das
übermütige Eichkätzchen und die nachtschwarzen Unglücksraben Wotans.
(Hermann Vogel als Gestalter der heimischen Tierwelt ist ein besonders
reizvolles Kapitel für sich allein.) Aber über die oft verblüffende
Wirklichkeitstreue hinaus drängte es den Künstler, den heimatlichen
Wald romantisch zu beleben, »märchenhaft und wunderbar«, mit Gnomen
und Zwergen und Elfen und Nixen und Drachen und Hexen und Riesen.
Die Bäume bekommen Gesichter, Arme und Hände. Hinter den Felsen
lauern spukhafte Ungeheuer. Hänsel und Gretel, zwei vogtländische
Bauerskinder, schreiten herzklopfend durch den verzauberten,
nächtlichen Vogtlandwald. Hermann Vogel ist einer der bedeutendsten
Märchenwaldmaler des deutschen Volkes. (Wer sich jemals in seine
Waldbilder zu den Volksmärchen der Brüder Grimm und seine beiden
Waldbildmappen vertieft, wird es bestätigt finden.)

[Illustration: =Madonna im Walde=]

Als echter Malerpoet des Vogtlandes erweist sich Hermann Vogel auch
in seiner Darstellung der vogtländischen Menschen, die er oft und
gern in seine Bilder hineinführt. Echt romantisch ist es, wie er auch
hier Märchentraum und Wirklichkeit oft seltsam zu verketten weiß.
Wie wirklichkeitsscharf verkörpert er die junge Vogtländerin mit dem
Leibgericht aller Vogtländer, den grünen Klößen (Griegenifften) in
der runden Schüssel, und mit der alten, schönen Vogtlandtracht, der
perlenverzierten Buckelhaube, dem reichbestickten Brusttuch, dem
schwarzen Mieder, den kurzen, blütenweißen Hemdärmeln, dem langen,
weiten Rock und der breiten, bunten Schürze. (Mit dem Künstler
beklagen auch wir, daß die altheimische Tracht von den Dorfbewohnern
im Vogtland nicht mehr getragen wird und nur noch in Museen, in Kästen
und Truhen ein verborgenes Dasein fristet.) Was für altvogtländische
Prachtgestalten sind die Mitglieder der Stammtischrunde in der
Gutenfürster Waldschenke, wo auch Hermann Vogel gern gesessen und
seinen Jagdabenteuerdurst gelöscht. Und dann der alte Nachtwächter,
Totengräber und Bälgetreter von Krebes, des Künstlers liebvertrauter
Freund, dem er in Bild und Vers ein dauerndes Denkmal geschaffen!
»A’ schön’s Geld kriagt er aa’ ... fufzig Pfenning für’n Tag. Und
sei Spritzenhausstüberl hat d’feinste Lag’.« Nicht die Menschen der
Großstadt, nein, die schlichten Menschen der weltfernen vogtländischen
Dörfer, die arbeitgewohnten Männer und Frauen, die Alten, die Einsamen,
sind des Künstlers liebster Umgang und Gesellschaft gewesen, und in
den Bildern und Liedern des »Einsiedlers von Krebes« leben sie
alle fort: die einsame Hirtin von Ruderitz, die einsame Waldfrau aus
den Plattenberghäusern, weit im Umkreis als »Waldhex verschriern« und
gemieden, der kranke Einsiedler, den das Märchen selbst in seiner
Waldeinsamkeit besucht und tröstet, der eingeschneite Einsiedelmann auf
dem wundervollen Burgsteinwinterbild, wo zwei Damen aus der Stadt im
schicken Schikostüm den Eremiten mehr erschrecken, als es der dickste
Vogtlandschnee vermag.

[Illustration: =Sneewittchen=]

Der Winter war des Künstlers liebste Jahreszeit. Bis ins beschwerliche
Alter war es sein größter Spaß, mit Toni Kettner, seinem »Hausgeist«,
seiner verständnisvollen Schwägerin und Pflegerin, auf Schneeschuhen
über die Hochflächen und Talhänge des südwestlichen Vogtlandes
hinzuflitzen. Winter und Hermann Vogel, einander innerlich
verwandt, beide -- Schwarzweißkünstler! Der Künstler ist nicht müde
geworden, immer von neuem den Zauber des Winters in seinen Bildern
festzubannen. Wintermärchenbilder und -- Weihnachtsbilder, aus
Vogtlandheimaterlebnissen geboren, sind wohl das Allerschönste,
was Hermann Vogel, der herzinnige Kinderfreund, der kerngetreue
Vogtlandsohn, der deutschfromme Mann, seinem Volk und Vaterland
geschenkt und hinterlassen hat. Als urdeutscher Künstler überträgt
er die Christnachtsgeschichte aus dem fremden Osten herein in seinen
heimatlichen Vogtlandwald. Maria und Joseph sind vogtländische
Bauersleute. Joseph, der Zimmermann, hat Herberg’ mit seinem vertrauten
Weib in Wiedersberg, dem lieblichen, obervogtländischen Dorfidyll,
gefunden. Durch den tiefverschneiten Krebeser Wald flieht die
heilige Familie vor dem bösen König Herodes. In Vogtlandwaldesstille
treu geborgen hält die heilige Familie Rast auf ihrem von echt
vogtländischen Rindern gezogenen Schlitten. Vogtländische Bauern,
Bäuerinnen und Kinder, vogtländische Hirten und Knechte drängen
sich glückselig zum Christkind oder knien anbetend am Waldsaum.
Engel bringen vom Himmel die Wiege des Christkindleins hernieder
zur Erde, zum Schlosse Burgk an der Saale in seinem wundersamen
Winterweihnachtskleid. Durch die Torbogen des Schlosses Burgk auf
hölzernem Schlitten von Englein gezogen, hält das Christkind Einzug
auf dieser armen, kalten Erde, die frohe Botschaft von Licht und
Liebe, Wohlgefallen und Frieden verkündend. Eines der prächtigsten
Vogtlandwinterbilder, die unserm Künstler gelungen, ist endlich
noch das Neujahrsbild, das er für die Jahres- und Jahrhundertwende
1900 geschaffen: in zauberischem Mondlicht, von blendendem Schnee
bedeckt, gleichsam wie Schneewittchen, atmet vor uns das Dörflein
Krebes. (Wie wundersam zart die kahlen Bäume, Zaun und Hütten ihre
Schatten auf dem weichen Schnee hinbreiten.) Und der treue Wächter des
Dorfes mit seinem Horn und Spieß steht mitten in der Dorfstraße und
blickt empor zu den jagenden Wolken, in denen der deutsche Erzengel
Michael gegen drohende, feindliche Gewalten in den Kampf zieht. (Dies
Traumgesicht des Künstlers ist im Weltkrieg furchtbare Wirklichkeit
geworden.) Heimatliches und Vaterländisches sind in diesem, wie in
vielen, vielen Bildern Hermann Vogels innig zusammengekettet. Heimat
und Vaterland waren die Grundpfeiler seines Wesens und Schaffens. Mit
dem heißgeliebten deutschen Vaterland ist auch ihm die schöpferische
Kraft zusammengebrochen. In der Neujahrskarte 1919, die des Künstlers
heimatlich-romantische Eigenart in Bild und Vers noch einmal ganz
besonders klar wiederspiegelt, hat Hermann Vogel seinem bitteren Weh
erschütternden Ausdruck gegeben:

    Wir graben mit dem alten Jahr
    Ein Grab dem, was uns heilig war.
    Der Märchenwald sein Hüter sei,
    Der macht die Herzen wundenfrei.
    Dann, Neues Jahr --
          aus Not und Schand’
    Schaff uns ein neues Vaterland!

[Illustration: =Es war einmal=]

       *       *       *       *       *

Es konnte und sollte in diesen Zeilen dankbaren Gedächtnisses nicht
des Meisters gesamtes Lebenswerk umfassend gewürdigt werden, sondern,
den Zielen des Heimatschutzes gemäß, nur insoweit, als es in der
Vogtlandheimatscholle des Künstlers wurzelt, und auch da nur in knappen
Andeutungen, Anregung gebend, selbst noch inniger und tiefer in das
malerische und dichterische Schaffen unseres Hermann Vogel einzudringen.

[Illustration: =Weihnachten=]

Ein einigermaßen abschließendes Urteil über ihn, den traumvollen
Romantiker des Stiftes, wird erst dann möglich sein, wenn sein
künstlerisches Vermächtnis in dem geplanten Hermann Vogel-Zimmer
des vogtländischen Kreismuseums seiner Vaterstadt Plauen gesammelt
vorliegt: seine frühesten Kinderzeichnungen, seine Illustrationen zu
deutschen Helden-, Geschichts- und Märchenbüchern, seine Bilder und
Gedichte für die »Fliegenden Blätter« und zahlreiche andere deutsche
Zeitschriften, möglichst viele seiner Originale, unveröffentlichte
auch aus Privatbesitz, seine Skizzenbücher, seine handschriftlichen
Erinnerungen und Briefe (Hermann Vogel, Plauen ist ein unermüdlicher,
geistvoller, humorvoller Briefschreiber gewesen) und seine
hinterlassenen, zum Teil noch unvollendeten Werke. (Ein »Volksband« mit
seinem Bildnis und Lebensabriß wird vorbereitet, und die Grimmschen
Volksmärchen mit Hermann Vogels herzerquickenden Märchenbildern sollen
von Braun und Schneider in München neu herausgegeben werden.)

Dann erst wird uns Hermann Vogels künstlerische Bedeutung und
Stellung noch viel eindrucksvoller zum Bewußtsein kommen, namentlich
sein inneres Verhältnis zu Moritz v. Schwind und Ludwig Richter,
seinen beiden »Kunstheiligen«, denen er auf dem Titelblatt seines
Bilder- und Geschichtenbuches (vgl. Kunstwart-Heft vom April 1921),
in gestaltenreichen Gedenkblättern und zahlreichen Märchenbildern
gemütinnige Ehrenmale geschaffen hat. Bemerkenswerte Kunstbekenntnisse
Hermann Vogels enthält auch ein Bild, auf dem er in die Rinde des
Eichbaums deutscher Kunst, der von modernen Stürmern gefällt werden
soll, folgende Namen eingeschrieben hat: Dürer, Holbein, Cornelius,
Rethel, Moritz v. Schwind, Spitzweg und Ludwig Richter. Ferner sein
Spruch, in dem er seinen Meister Schwind zur Deutschen Kunst sagen läßt:

    »Ob alt, ob neu, der Streit is umsunst:
    Es gibt nur a gute und a schlechte Kunst!«

Heimat und Vaterland waren die Grundpfeiler seines Wesens
und Schaffens. Heimat und Vaterland allein werden auch die
unerschütterlichen Grundpfeiler sein, auf denen die Zukunft unseres
deutschen Volkes neu aufgebaut werden kann. Darum ist uns Herzenswunsch
und Hoffnung, was Ferdinand Avenarius in seinem Hermann Vogel-Nachruf
ausspricht, daß kommende Geschlechter, wenn die »Richtungen« noch
manchmal geschwenkt haben, sich zu Hermann Vogel, dem Bescheidenen,
zurückfinden werden, vor allem unsere Jugend, unsere Kinder, die
deutschen Jungen und Mädchen, und an seiner glühenden Liebe zu Heimat
und Vaterland sich begeistern, so treu und deutsch zu sein wie er, von
dem Fontanes Wort gilt:

    »_Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du._«

    _Anmerkung._ Auch für uns hat Hermann Vogel ein köstliches
    Blatt »Heimatschutz« geschaffen, das dem längst vergriffenen
    Bande I unserer Mitteilungen beigegeben wurde. Abzüge dieses
    Kunstblattes, auf weißen Karton gedruckt, können wir in
    beschränkter Anzahl zum Preise von 15 Mark noch abgeben. Für
    alle Heimatfreunde bildet das Blatt eine schöne Erinnerung
    an den gemütvollen Künstler. (Bestellung auf beigefügtem
    Bücherzettel erbeten.)



Kamenzer Weihnachten

Von _Gerhard Stephan_


Kamenz feiert wieder einmal sein Weihnachtsfest. Die andern tun es
auch, aber Kamenz feiert es anders -- sinniger, schöner. Man lebt hier
in der »wendischen Türkei« zwar etwas hinter der Zeit her, dafür halten
sich aber die alten Gebräuche auch um so länger, und wehe dem, der es
wagen wollte, an ihnen zu rütteln. Am 30. April ist »Hexenabend«, im
August ist es das Forstfest, das unser liebes Städtchen fast eine Woche
lang in Atem hält und dessen Ausfall während des Krieges von allen
Einheimischen schwer empfunden wurde. Zur Weihnachtszeit ist es »der
Fackelzug«, der in so recht poesievoller Weise das liebe Christfest
einleitet.

Unsre brave Freiwillige Feuerwehr muß auch hier wieder ran und die
Fackelträger stellen. Auf dem alten Klosterhof der Franziskaner, der
jetzt den Schulkindern als Aufenthalt während der Unterrichtspausen
dient, und der auch beim Forstfest den Ausgangspunkt bildet, am
bescheidenen Denkmal des größten Stadtsohnes sammelt sich die Schar
der Sänger -- die Schuljungen, verstärkt durch einige Mitglieder des
»Sängerbundes«. Der geschäftige Kantor mustert die Reihen und erteilt
die letzten Anweisungen: »Also, erst die Musik einen Vers und dann
wird der erste Vers gesungen, dann kommt wieder die Musik und dann der
zweite Vers!« Die Feuerwehr zündet ihre Fackeln an und verteilt sich
auf den Zug, die Musik stellt sich an der Spitze auf.

Vom Turme des Rathauses ertönt es sechs Uhr, die Hauptkirche antwortet.
Ihre Glocken klingen fort, sie läuten das Christfest ein. Der Zug setzt
sich in Bewegung, das alte liebe Lutherlied erklingt, bald von der
Musik allein gespielt, bald von den Kindern gesungen: »Vom Himmel hoch,
da komm ich her!«

Durchs Klostertor geht der Zug über die Kirchstraße nach dem Markt,
genau wie beim Forstfest. Stark ist die Zahl der Zuschauer, besonders
die der Kinder. Für sie steht am Heiligen Abend das Programm fest:
»Erst zum Fackelzug, dann heim zur Christbescherung.« Und die
Alten schließen sich an, ihnen fehlt auch etwas, wenn sie nicht zum
Weihnachtssingen waren. --

Die Glocken tragen es hinaus in die Ferne: Weihnachten! -- Die
Sängerschar hat ihren Weg zum Rathaus genommen und sich im Kreise
aufgestellt. Der ganze Marktplatz aber ist schwarz. Und laut erklingen
die Weihnachtslieder: »Tochter Zion freue Dich!«, »Halleluja« und das
alte ewig neue »Stille Nacht«. Dann eine große Teilung der Sänger, und
der Höhepunkt kommt mit dem zweichörigen: »Hosianna, gelobt sei, der da
kommt im Namen des Herrn.« »Im Namen des Herrn«, so gibt es der andere
Chor zurück. (Im Kriege wurde es einmal nicht gesungen, da fehlte etwas
am Weihnachtsfeste.) -- Die beiden Abteilungen finden sich wieder
zusammen in dem: »Nun danket alle Gott!«

Dann aber stürmt die jugendliche Schar der Sänger und Zuhörer
auseinander -- dem Weihnachtstische zu. Was bleibt den Alten übrig?
Sie müssen auch mit. Und in wenigen Minuten ist der Platz wieder leer,
als wäre nichts geschehen. Nur die Glocken singen ihr Lied weiter und
jubeln es hinaus in die Ferne: »Christ ist geboren!«

            (Niedergeschrieben Weihnachten 1920.)



Die preußische Polizeiverordnung vom 30. Mai 1921, den Naturschutz
betreffend

Von _Martin Braeß_


Während man bei uns in einzelnen Kreisen neuerdings bestrebt ist, eine
Lockerung der Vogelschutzgesetzgebung herbeizuführen, trifft eine
ausführliche Polizeiverordnung für den Umfang des ganzen preußischen
Staatsgebiets Bestimmungen, die auf Grund des Gesetzes vom 8. Juli
1920 eine große Anzahl von Tieren weit über das Vogelschutzgesetz und
die Jagdgesetze hinaus in Schutz nimmt. Auch eine Reihe wildwachsender
Pflanzen werden durch die neue Polizeiverordnung vom 30. Mai 1921
geschützt. Diese Verordnung ist in mehrfacher Beziehung bemerkenswert;
sie verdient die größte Beachtung auch in allen andern Ländern des
Reichs.

Der _Naturschutzgedanke_, das ist der erste hocherfreuliche Eindruck,
hat sich hier durchgerungen; ungetrübt tritt er in die Erscheinung.
Die Frage nach Nutzen und Schaden steht nicht mehr im Vordergrund,
sondern einzig die Sorge, unsrer Heimat die Mannigfaltigkeit, den
Reichtum ihrer Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten. Deshalb Schutz all
den Geschöpfen, deren Dasein ernstlich bedroht ist! Es ist verboten,
ihnen nachzustellen, sie mutwillig zu beunruhigen, sie zu fangen oder
zu töten. Ihre Eier, Nester oder sonstigen Brutstätten dürfen weder
fortgenommen, noch beschädigt werden. Diese Bestimmungen gelten auch
für den Meeresstrand und das Küstenmeer. Nur das Sammeln der Möweneier,
wie es bisher geübt ward, bleibt unberührt; dagegen sind die Eier der
Seeschwalben geschützt.

Die Liste der geschützten Tiere beginnt mit zwei _Insekten_, den beiden
Formen des prächtigen _Apollofalters_ und der _Gottesanbeterin_, deren
Gestalt wohl ebenso wunderlich ist wie ihr Name. Für Preußen mögen die
beiden Tiere allerdings zu den größten Seltenheiten gehören: ich kenne
sie nur aus Südbayern und Österreich. Diesen Kerbtieren schließt sich
als einzige Vertreterin der _Reptilien_ die _Sumpfschildkröte_ an,
die noch in Westpreußen und den benachbarten Gebieten lebt, auch im
Regierungsbezirk Lüneburg, an der Unterweser, in Schleswig-Holstein,
ebenso vereinzelt in der Altmark, im Braunschweigischen und in
Schlesien nachgewiesen ist, während es sich bei unsern sächsischen
Funden, wie es scheint, nur um ausgesetzte und verschleppte Tiere
handelt. Es ist dringend erwünscht, daß diese einzige Vertreterin ihrer
Ordnung dem Deutschen Reich als seltenes Naturdenkmal erhalten bleibe.

Die Reihe der geschützten _Vögel_ ist sehr groß, obgleich bereits das
Reichsvogelschutzgesetz über die meisten unsrer gefiederten Freunde
seine schützende Hand hält, so daß es nicht nötig war, sie hier mit
aufzunehmen. Trotzdem umfaßt diese Liste 51 Nummern, wobei zu bedenken
ist, daß Sammelnamen wie Weihen, Eulen, Reiher u. a. mehr oder weniger
zahlreiche Einzelarten umfassen. Sehr zu begrüßen ist es, daß überall
hinter die deutschen die wissenschaftlichen Namen gesetzt sind, so
daß jede Unklarheit ausgeschlossen ist, während dieser Mangel beim
Reichsvogelschutzgesetz hier und da störend zutage tritt. Dieses
schützt z. B. die »Bussarde« (§ 8). Sind darunter nur die in Europa
brütenden Formen der Gattung ~Buteo~ mit Einschluß des Rauhfußbussards
(~Archibuteo lagopus~) gemeint oder auch der Wespenbussard (~Pernis
apivorus~)? Dieser gehört ja zur Familie der Weihen und ist ebensowenig
ein Bussard, wie z. B. die »Turmschwalbe« (~Cypselus apus~) eine
Schwalbe.

Der Schutz, den die Polizeiverordnung den angeführten Vögeln gewährt,
ist dreifach abgestuft. Das ganze Jahr über sind geschützt: der
_Kormoran_, der _Höckerschwan_, die _Zwergtrappe_, _schwarzer_
und _weißer Storch_, _Reiher_ und _Rohrdommeln_, mit Ausnahme des
Fischreihers, der _Schlangen-_, _Schrei-_, _Stein-_ und _Seeadler_,
der _Wespenbussard_, der _Baum-_, _Rotfuß-_ und _Turmfalk_, alle
_Eulen_ einschließlich des _Uhus_, die _Spechte_, der _rotköpfige_ und
der _schwarzstirnige Würger_, der _Kolkrabe_, der _Steinsperling_,
der _Karmingimpel_ und der _Wasserschmätzer_ (die Wasseramsel). Man
sieht, eine ganze Anzahl Fischerei- und Jagdschädlinge, wie Kormoran,
Rohrdommel, die verschiedenen Adlerarten, der Uhu, sollen geschützt
werden, doch aus keinem andern Grunde, als weil sie zu den seltenen
Naturdenkmälern gehören, die wir unsern Grenzen erhalten wollen. Welch’
gewaltiger Fortschritt gegenüber den bisher in Preußen geltenden
Bestimmungen! Da waren Kormoran, Wespenbussard, Baum- und Rotfußfalk,
der Uhu, alle Würger, der Kolkrabe »vogelfrei«, d. h. sie durften von
jedermann gefangen und getötet, auch ihrer Eier und Jungen beraubt
werden. Nun genießen sie auf einmal innerhalb Preußens den denkbar
größten Schutz. Andere wieder, wie die Störche, Eulen (mit Ausnahme des
Uhus), der Turmfalk, die Spechte, der Wasserschmätzer erfreuten sich
auch schon bisher des Schutzes durch das Reichsgesetz. Ihre Aufzählung
in der vorliegenden Liste glaube ich nur dahin deuten zu sollen, daß
man den unbedingten Schutz dieser Vögel nochmals nachdrücklichst
betonen will. Von den in Preußen jagdbaren Vögeln nennt die Verordnung
den Höckerschwan, die Zwergtrappe, die Rohrdommel und die verschiedenen
Adler.

Während der Brutzeit, nämlich vom 1. März bis 31. August, sollen die
folgenden geschützt sein: _Eisalk_, _Trottellumme_, _Papageien-_ und
_Polartaucher_, _Möwen_ und _Seeschwalben_, _Eider-_ und _Schellente_,
_Brandgans_, _Austernfischer_, _Steinwälzer_, _Regenpfeifer_,
_Kiebitz_, _Triel_, _Säbelschnäbler_, _Strand-_, _Kampf-_ und
_Wasserläufer_, _Uferschnepfe_, _Brachvogel_, _Kranich_, _Turtel-_ und
_Hohltaube_, die _Weihen_ (mit Ausnahme der Rohrweihe), die _Milane_,
der _Wanderfalk_, der _Raubwürger_ und der _Tannenhäher_.

Man sieht, es sollen sehr viele jagdbare See- und Küstenvögel, deren
Schonzeit bisher viel enger begrenzt war, nämlich vom 1. Mai oder auch
vom 1. März an bis zum 30. Juni, eine wesentlich längere Schonzeit
genießen, damit sie ihre Bruten in Ruhe und Sicherheit großbringen,
während die angeführten Tauben sich bisher überhaupt keiner Schonzeit
erfreuen durften. Die zuletzt genannten Raubvögel aber, mit Einschluß
des großen Raubwürgers, ebenso der Tannenhäher waren bisher in Preußen
völlig schutzlos der Willkür eines jeden preisgegeben. Es ist dankbar
anzuerkennen, daß die Idee des Naturschutzes auch hier über alle
engherzigen Bedenken gesiegt hat. Hoffentlich gelingt es noch in
letzter Stunde, die recht seltenen Vögel durch diese Maßnahmen unserm
Vaterland zu erhalten.

Vom 1. März bis 30. Juni aber sollen geschützt sein die _Säger_ und die
_Graugans_. Erstere waren bisher vogelfrei, die Graugans aber, zu den
jagdbaren Vögeln gehörend, entbehrte jeder Schonzeit.

Auch einige _Säugetiere_ werden aufgeführt, die alle mehr oder weniger
schädlich sind. Ihre Seltenheit oder ihr meist nur vereinzeltes
Vorkommen rechtfertigt aber den unbedingten Schutz, den die neue
Polizeiverordnung ihnen gewähren will. Es sind die folgenden:
_Sieben-_, _Baum-_ und _Gartenschläfer_, die _Haselmaus_, der _Biber_
und der _Nörz_ (Sumpfotter). Es ist möglich, daß die genannten kleinen
Nagetiere noch in vielen Gegenden des mittleren Deutschlands auftreten,
namentlich dort, wo Laubwaldungen vorherrschen, aber sie führen ein
recht verstecktes Leben, und warum soll man mit dem Schutz eines Tieres
immer erst so lange warten, bis es die allerhöchste Zeit ist, sich
seiner anzunehmen? Biber aber und Nörz sind für Deutschland so seltene
Tiere geworden, daß ihr unbedingter Schutz von jedem Naturfreund
gefordert werden muß. Der Biber, ehemals in unserm Vaterland weit
verbreitet, lebt nur noch an der Elbe zwischen Magdeburg und
Wittenberg, wo zu seinem Schutz bereits alle Maßnahmen getroffen sind;
der Nörz aber galt sogar vor kurzem für ausgerottet, bis einige Funde
dies widerlegten. Er wird sicherlich vielfach verkannt und übersehen.

Von allgemein geschützten wildwachsenden _Pflanzen_ führt die Liste
folgende Arten an: _Straußen-_ und _Königsfarn_, alle Arten von
_Bärlapp_, _Schlangenmoos_, _Eibe_, _Federgras_, _Türkenbund_,
_Frauenschuh_, _Strandvanille_, _Seidelbast_, _Wassernuß_,
_Stranddistel_, _eichenblättriges Wintergrün_, die ausdauernden
(blaublühenden) Arten von _Enzian_ und _Linnäe_. Es ist verboten, die
genannten Pflanzen zu entfernen oder zu beschädigen, insbesondere sie
auszugraben, auszureißen, Blüten, Zweige oder Wurzeln abzupflücken,
abzureißen oder abzuschneiden.

All diese Verbote würden aber wenig erreichen, wenn die Verordnung
nicht zugleich den _Handel_ mit den geschützten Tieren und Pflanzen
untersagen würde. In § 5 heißt es: »Es ist verboten, die auf Grund
dieser Verordnung geschützten Tierarten, einschließlich ihrer Eier
und Nester, sowie Pflanzen, soweit nicht eine anderweitige Anordnung
getroffen ist, feilzuhalten, anzukaufen, zu verkaufen, sowie zu
befördern.« Ausnahmen sind bei besonderen Gründen vorgesehen,
namentlich wenn es sich um Abwendung wesentlicher, wirtschaftlicher
Nachteile handelt, um Zucht- und Brutzwecke oder um wissenschaftliche
und Unterrichtszwecke. In diesen Fällen kann der Regierungspräsident
für den Bereich oder für Teile seines Bezirks Ausnahmen gestatten;
doch muß zuvor die Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege gehört
werden. Diese, sowie für seinen Bezirk der Regierungspräsident und die
von ihm ermächtigten nachgeordneten Behörden sind außerdem befugt,
»schriftliche Ausweise zu erteilen, welche die darin bezeichnete
Person berechtigen, fremde Grundstücke zu solchen Untersuchungen und
Ermittlungen zu betreten, die den Schutz von Tierarten, von Pflanzen
oder von Naturschutzgebieten betreffen.« »Die Grundstückseigentümer
und Nutzungsberechtigten sind verpflichtet, den mit Ausweis versehenen
Personen den Zutritt zu gestatten und ihnen die zur Erfüllung ihrer
Aufgaben erforderlichen Auskünfte zu erteilen.«

Man muß gestehen, daß diese Anordnungen allen Wünschen des Natur-
und Heimatschutzes gerecht werden. Besonders daß der Staatlichen
Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen der Platz eingeräumt wird,
der allein ihr gebührt -- eigentlich eine Selbstverständlichkeit --
ist sehr erfreulich. Nur mit dem letzten Paragraphen der Verordnung,
der die Strafandrohung bei Übertretungen ausspricht, kann man sich
nicht einverstanden erklären. Was bedeutet heutzutage eine Strafe von
150 Mark! Und das ist die Höchststrafe, die auf Grund von § 34 des
Feld- und Forstpolizeigesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 8. Juli
1920 in Frage kommen kann. Es erscheint dringend geboten, daß ein
Naturschutzgesetz erlassen wird mit Androhung von Strafen, die wirklich
als solche empfunden werden.

Vor unsrer weißgrünen Grenze macht die neue Polizeiverordnung halt.
Leider gilt sie eben nur für Preußen. Aber selbstverständlich, auch
wir, die Nachbarn, werden hoffen dürfen, daß jene Verordnung, wenn
sie in den angrenzenden preußischen Gebieten genau befolgt wird, auch
für unsre hartbedrängte heimatliche Tier- und Pflanzenwelt nicht
ganz ohne segensreichen Einfluß bleibt. Zugleich aber erwächst uns
die nachbarliche Pflicht, alles zu vermeiden, was dem Sinne jener
Verordnung zuwiderläuft. Es wäre zu wünschen -- und ich meine, man
kann sich diesem dringenden Wunsche gar nicht verschließen -- daß die
Regierungen auch der andern deutschen Länder Naturschutzverordnungen
erlassen, die sich dem von preußischer Seite gegebenen Vorbild aufs
engste anschließen.



Wanderbilder aus dem östlichen Vogtland

Von Studienrat _H. Hänig_, Wurzen

Aufnahmen von _Curt Sippel_, Plauen i. V.


Es geht mir, wenn ich die Feder ergreife, um den Leser nochmals zu
einer Wanderung durch das Vogtland einzuladen, ähnlich wie einem
alten Schriftsteller: ich muß ihm zunächst Dank dafür sagen, daß er
mir durch das verhältnismäßig einförmige Gebiet jenseits der Elster
gefolgt ist, und ich kann ihm dafür versprechen, daß ihm der östliche
und südliche Teil dieses Landes wenigstens landschaftlich mehr bieten
wird als der westliche. Allerdings verfügt er nicht über Glanzpunkte
wie die vogtländische Schweiz und das Triebtal, das ja im übrigen
selbst auf der rechten Seite in das Elstertal einmündet, und er vermag
keine Edelsteine dörflicher Kunst wie die erwähnte Kirche zu Kürbitz
aufzuweisen, aber die Bodenformen selbst sind hier weit mannigfacher,
und derjenige, den immer wieder gerade der Blick ins Weite und die
Sehnsucht nach den Höhen in die Natur hinauszieht, wird hier eher
auf seine Kosten kommen als bei einer Wanderung jenseits der weißen
Elster, wie wir sie früher zurückgelegt haben. Wer einmal von der
Höhe des Friedrich-August-Steines in Schöneck hinabgeschaut hat ins
weite Land oder dem Plätschern der Rißfälle gelauscht oder wer auf
dem Grenzwall des vogtländischen Erzgebirges mit seinen Blicken nach
Sachsen und Böhmen gewandert ist, der wird anerkennen müssen, daß
sich gerade dieser Teil des Vogtlandes mit jedem anderen Sachsens an
Naturschönheiten messen kann, und der wird verstehen, daß es einen
Dichter wie J. Mosen immer wieder, wenn auch in weiter Ferne, zur
Muttererde hinzog.

      Wo auf hohen Tannenspitzen,
    die so dunkel und so grün,
    Drosseln gern verstohlen sitzen,
    weiß und rot die Moose blühn,
    zu der Heimat in der Ferne
    zög ich heute noch so gerne --

Es liegt mehr darin in diesen Worten als so mancher ahnen dürfte -- es
ist die wahre, tiefe Sehnsucht nach dem Mutterboden, nach den Bächen
und Tannen der Heimat, von der der Dichter auch weit in der Ferne nicht
lassen konnte. --

[Illustration: Abb. 1 =Kirche in Kürbitz=]

Allerdings wird man hier, wo es sich darum handelt, dem Leser einen
Gesamtüberblick über das Ganze zu geben, ohne eine Einschränkung nicht
auskommen können: das eigentliche Volkstümliche, Heimatliche findet
sich im Vogtland mehr nach dem Süden zu, während der nordöstliche
Teil heute von einem Netz von Industriestätten überzogen ist, die
wenig Merkmale der ersteren Art aufkommen lassen. So bietet gleich
Reichenbach, wo wir unsere Wanderung beginnen wollen, das Bild einer
wohlhabenden Mittelstadt mit stark industriellem Einschlag, und der
Ort enthält wenig, was gerade den Kunst- und Altertumsfreund zu
längerem Bleiben einladen möchte. Das Hasten und Treiben der modernen
Zeit pulsiert hier tagaus -- tagein in dem Stadtkörper, und wie eine
Erleichterung überkommt es den Wanderer, wenn er etwa um Mittag
einen Blick über das Tal schweifen läßt bis hinüber zu der Höhe des
Netzschkauer Kuhberges, wo eine Bismarcksäule Wacht über das nördliche
Vogtland hält: aus hundert Fabrikschornsteinen strömt wie erlösend der
Rauch, und Tausende von Händen feiern, um nach kurzer Zeit wieder die
Arbeit zu beginnen. So ist die Stadt voll von Webereien, Färbereien
und Spinnereien, und die größte dieser gewerblichen Anlagen, die
Schlebersche Färberei, stellt mit ihren vielen Schornsteinen einen
Organismus für sich dar, wie er in dieser Ausdehnung nicht so leicht
wieder gefunden wird. Und doch vermag auch in dieser Gegend so manches
daran zu erinnern, daß alles einst geworden ist und seinem Wesen nach
mit Vergangenem zusammenhängt. Schon der Name der Stadt, der an den
des Goldflusses, der Göltzsch, erinnert, weist auf ein hohes Alter der
Ansiedlung hin, und so wird denn Reichenbach schon 1140 in zwei alten
Urkunden als Stadt genannt, während Plauen damals nur als »Ortschaft«
erwähnt wird. In der Altstadt fließt der Seifenbach, wo das Gold
geseift, d. h. die Goldteilchen aus dem Sande herausgewaschen wurden,
und auf den früheren Bergbau weisen noch heute Stollen hin, die sich in
dieser Gegend erhalten haben. Reichenbach gehörte mit den umliegenden
Dörfern zu der Herrschaft, mit der 1212 König Ottokar v. Böhmen von
Friedrich II. belehnt wurde, und es war später zeitweise Reichslehen,
bis es durch den vogtländischen Krieg wieder an Böhmen fiel. Schon zu
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts muß die Industrie hier bedeutend
gewesen sein, bis 1720 eine furchtbare Feuersbrunst den größten Teil
in Asche legte, aber diese vermochte ebensowenig wie die von 1833 den
Aufschwung der Stadt zu hindern, sondern hat im Gegenteil zu ihrer
Erneuerung beigetragen, so daß besonders die Bahnhofsvorstadt heute
ein freundliches Bild bietet. In weit höherem Maße vermag Mylau mit
seinem Kaiserschloß und der vielbogigen Göltzschtalbrücke das Auge des
Wanderers zu fesseln. In der Stadt selbst ist vor allem die prächtige,
reiche Stadtkirche hervorzuheben, das Schloß dagegen liegt auf einem
Hügel, der nur auf einer Seite bequem zu erreichen ist. Es zerfällt in
zwei Höfe: den großen westlichen Burghof mit seinen beiden viereckigen
Türmen und dem verwitterten Löwen über dem Haupteingang, der zum
böhmischen Wappen gehört und die frühere Zugehörigkeit des Mylauer
Schlosses zu Böhmen zeigt, -- dahinter der kleinere, östliche Burghof,
der »Kaiserhof«, der mit seinem Bergfried und seinem Saalbau sowie
dem ehemaligen Frauen- und Herrenhause noch ein ziemlich gutes Bild
der früheren Zeit zu bieten vermag. Allerdings sind von der früheren
Herrlichkeit des Saalbaues nur noch wenige Wappenschilde vorhanden, und
das ehemalige Frauen- und Herrenhaus ist zu einer vielbesuchten Schenke
geworden. Auch die Kapelle ist ihrer Würde entkleidet, so daß von
ihrem Schmucke nur noch die gewölbte Decke mit rohgemalten Blumen und
Engelsfiguren sowie einige Wappen übriggeblieben sind. Immerhin steht
das Schloß mit seinen wuchtigen Mauern und dicken Türmen auch heute
noch wie ein Wächter über Stadt und Land, und von den Fensternischen
schweift der Blick gern in die Weite: nach der gewaltigen, fast
hundert Meter hohen Göltzschtalbrücke, die sich in vier gigantischen
Bogenreihen über das hier stark verbreiterte Göltzschtal spannt, oder
nach dem gewerbfleißigen Netzschkau, das sich von dem Tale bis zur Höhe
des Kuhberges hinaufzieht, dessen von Gesteinstrümmern übersäte Kuppe
selbst bewaldet ist.

An der erst vor einigen Jahren gebauten Göltzschtalbahn gelangen wir
durch stille Waldtäler, in denen sich heute gleichfalls hier und da
eine Fabrikanlage erhebt, nach Lengenfeld, das im übrigen wie seine
Nachbarstadt Treuen seiner Entwicklung nach nicht von den weiter
südwärts gelegenen Städten Auerbach und Falkenstein zu trennen ist.
Aber im Wettlaufe, den die letzten Jahrzehnte mit sich gebracht
haben, ist die zuerst genannte Stadt zurückgeblieben: seitdem die
von Bewohnern vielleicht slavischen Ursprungs lebhaft betriebene
Tuchmacherei in Verfall gekommen ist, genügte die hier eingeführte
Industrie (Spitzen, Filzwaren, Spinnereien) gerade noch, um die
Bewohner ernähren zu können, während der Grund, der sich von hier aus
bis hinauf zu den Quellmooren der Mulde zieht, in ungleich schnellerem
Maße besiedelt wurde, so daß sich gerade hier die Schwankungen, denen
die Industrie unterworfen ist, in der Gegenwart unangenehm bemerkbar
machen. Und doch haben vor allem Auerbach mit seinem alten Schloßturm
und das hochgelegene Falkenstein mit seiner schönen Kirche auch als
Städte etwas Anziehendes. Besonders die letztere Stadt ging erst
dann zur Industrie über, als es mit dem Bergbau vorüber war, der
ihr schon im sechzehnten Jahrhundert die Rechte einer freien Stadt
verliehen hatte, und wie bei Auerbach und Lengenfeld griff auch hier
ein großer Brand gewaltsam ein, so daß diese Orte im wesentlichen ein
neuzeitliches Aussehen haben. Der Naturfreund freilich wird gerade
hinter Falkenstein die Natur des oberen Vogtlandes selbst suchen, die
sich mit ihrem Waldreichtum unmittelbar hinter der Stadt nach allen
Seiten auftut. Schon die Felspyramide des Lochsteins und die zackige
Wand des Wendelsteins verdienen als Naturdenkmäler ebenso gewürdigt
und besucht zu werden wie die Rißfälle, die in etwa einer Stunde von
Falkenstein aus zu erreichen sind. In vielen kleinen Wasserfällen
stürzt hier die Göltzsch zwischen Wald und Felsen in die Tiefe und
zaubert die verschiedenartigsten Bilder vor das Auge des Wanderers.
Wir befinden uns hier auf einer Höhe von etwa siebenhundert Metern und
beinahe auf dem Kamm des Elstergebirges, das sich in dieser Gegend
über das weite Gebiet des Schönecker Waldes nach Süden dahinzieht.
Die Siedlungen werden spärlicher, wenn sie überhaupt das Wald- und
Moorgebiet unterbrechen: ein paar Holzhütten oder höchstens das eine
oder andere Dorf hat sich auf diese Höhe gewagt, und der Rauch, der von
hier aufsteigt, ist an stillen Nachmittagen oft das einzige, was noch
den Wanderer an die Tätigkeit des Menschen zu erinnern vermag.

[Illustration: Abb. 2 =Kirche in Kürbitz=]

Die große Ausdehnung des Schönecker Höhengebietes erklärt sich übrigens
daraus, daß hier mehrere Gebirgszüge zusammenstoßen: das Elstergebirge,
das sich von hier aus nach Südwesten hinzieht, und von der Kirchberger
Seite her der westlichste Ausläufer des Erzgebirges, der vom Kuhberge
bei Schönheide beginnt und wegen seiner Höhe bis zu siebenhundert
Metern eine Reihe von Genesungsstätten enthält, die, von ausgedehntem
Hochwald umgeben, von ihrer luftigen Höhe aus freundlich in das
gewerbfleißige Tal der oberen Göltzsch herabschauen. Auch der etwas
südlich davon verlaufende vogtländische Kamm des Erzgebirges, der sich
etwa vom Kranichsee bis zum Schönecker Wald dahinzieht, ist anziehend
genug, um mit dem übrigen Teile dieses Gebirges einen Vergleich
aushalten zu können. Um den hohen Wall, der sich hier zwischen das
sächsische Niederland und das Egertal schiebt, durchwandern zu können,
verläßt man am besten bei Rautenkranz, das bereits dem Vogtlande
angehört, die Bahn des romantischen oberen Muldentals, die von Aue
ab stundenlang zwischen Felstürmen und Wiesentälern bis zur Höhe des
Schönecker Waldes hinauf dahinführt und wandert auf der wohlgebauten
Straße in dem Tal der großen Pyra aufwärts, die in den Mooren des
Kranichsees entspringt. Noch zwei Dörfer mit den charakteristischen
erzgebirgischen Holzhäusern haben hier Platz gefunden, bis nach etwa
zwei Wegstunden auch die letzten menschlichen Siedlungen aufhören und
ein einsames Waldtal die Blicke des Wanderers bannt: bis fast an die
drei oder vier Häuser von Sachsengrund ziehen sich von den Höhen die
Fichten herab, und eintönig plätschern die Wässer im Wiesengrund,
während nach der böhmischen Grenze zu der fast tausend Meter hohe
Rammelsberg die Wacht hält. Was noch jenseits dieser Häuser liegt,
gehört bereits der Waldwildnis an, in der sich der Weg noch eine
Stunde lang hinaufzieht, bis der Kranichsee mit seinem Hochmoor
sich weit über die Höhe von fast neunhundert Meter ausbreitet. Hier
beginnt auch der sogenannte Schwertweg, der über den Rücken des
kleinen Rammelsberges nach dem Vogtlande hinführt. Eine merkwürdige
Höhenstraße, von der sich der Blick rasch nach allen Seiten weitet: im
Norden die blauen Linien der Auerbacher Berge mit ihrem Waldreichtum,
und nach Süden zu der Steilabfall des Gebirges nach der Egerebene,
hinter der weitere Gebirgszüge Nordböhmens hervorschauen. Bei einer
Waldlichtung überschreitet hier die Landstraße die Gebirgshöhe, die
von Tannenbergstal nach Klingental hinüberführt. Aber wir wollen das
merkwürdige Gebilde des Schneckensteins nicht vergessen, das sich
bescheiden im Walde versteckt hält und der schwer zu finden wäre, wenn
ihn nicht die Markierung des Verbandes vogtländischer Gebirgsvereine
jedem bequem zugänglich machte. Von den Topasen ist allerdings
gegenwärtig ebensowenig mehr zu sehen, als von den kleinen Schnecken,
nach denen dieser einsam im Walde emporragende Fels seinen Namen hat.
Auf Treppenstufen ist sein Gipfel auch für Ungeübte zu erklimmen,
und man könnte, wenn man die Felsrisse und Felsblöcke vor sich hat,
einen Augenblick an irgend einen Gipfel der Kalkalpen erinnert werden,
wenn uns nicht die bescheidene, nur nach Norden und Westen reichende
Aussicht belehrte, daß wir uns nur auf einer Höhe von etwa achthundert
Meter befinden und daß wir uns durch den Waldreichtum, der hier überall
zutage tritt, für die Schönheiten der Alpenwelt entschädigen müssen.

Das Elstergebirge macht hier eine ziemliche Biegung nach Süden und
zieht sich waldbedeckt bis zum Kapellenberg hin -- aber wir dürfen von
ihm nicht Abschied nehmen, ohne der Stadt Klingental zu gedenken, die
von hier aus in kurzer Zeit zu erreichen ist. Hart an der böhmischen
Grenze hat sie bis heute ihr Bild als sächsische Kleinstadt bewahrt,
und nur die kleine Rundkirche macht eine Ausnahme, die sich inmitten
des Ortes anstatt der sonst üblichen Renaissance- oder gotischen
Kirche erhebt. Mit Böhmen wird sie allerdings immer in einem gewissen
inneren Verhältnis bleiben, denn es waren böhmische Musikanten, die
hier herüberkamen und die Stadt gründeten -- die Geigen, Trompeten und
Klarinetten, die noch heute hier gefertigt werden, wandern in alle
Welt, und in jedem Hause des weit bis hinauf besiedelten Grundes klingt
und singt es ebenso wie in Markneukirchen, das weiter westwärts in
einem Seitentale der weißen Elster eingebettet ist.

[Illustration: Abb. 3 =Winnknock am Wendelstein=]

Übrigens ist auch der Kamm des Elstergebirges oberhalb Klingentals
reich an Aussichtspunkten aller Art und hat auch einzelnen Gehöften
Raum gegeben, sich da oben anzusiedeln, und man kann das weite
Waldgebiet vom Kuhberg bei Schönheide aus stundenlang durchstreifen
und findet immer wieder Punkte, die solche Wanderungen lohnend machen.
Ganz einsam wird der Wald erst in der Gegend von Kottenhaide bei
Schöneck, aber auch hier ist der Blick in das Waldgelände und über
die Wipfel der Fichten anziehend genug, um die Beschwerden des Weges
vergessen zu machen. Stundenlang schwellt ein weicher Moosteppich unter
den Schritten des Wanderers, während der Kuckuck lockt und der Specht
seine Schläge durch den Wald erschallen läßt. Wie ein fernes Sagen
erklingt das Rauschen der Bäume und das Murmeln der Bäche, die hier
oben zahlreich in dem Moore ihren Ursprung haben. Nur selten verhallt
in der Ferne der Schrei einer Lokomotive, die keuchend das Muldental
heraufkommt, um nach kurzer Zeit bei Schöneck wieder in weitem Bogen
ins Tal hinabzufahren. Den Schwarzwald des Vogtlandes hat man diese
Hochfläche genannt, und wer einmal auf ihr gewandert ist, wird diesen
Vergleich nicht unrecht finden und zugeben, daß so manches, was wir
bisher nur in der Ferne zu suchen pflegten, auch in unserem engeren
Vaterlande zu finden ist. Erst an dem Abfalle nach Westen zu lichtet
sich der Wald. Wie ein Wahrzeichen dieses Höhengebietes liegt nach dem
Elstertale vorgeschoben etwa zwei Wegstunden von Falkenstein Schöneck,
das schon durch seine Lage zu den seltsamsten Städten Deutschlands
gehört und deshalb wert ist, längere Zeit unsere Aufmerksamkeit in
Anspruch zu nehmen.

[Illustration: Abb. 4 =Rißfälle=]

Die Stadt Schöneck ist eine Bergstadt, wenn ein Ort in Deutschland
überhaupt diesen Namen verdient; denn sie liegt nicht nur auf der
stattlichen Höhe von siebenhundertachtundsechzig Metern, sondern
sie baut sich hier auch hart am Rande der erwähnten Hochfläche auf,
die sich von dem Elstergebirge zum Erzgebirge dahinzieht und nach
Westen zu ziemlich rasch zum Elstertale hinabfällt. Es ist, als wäre
hier oben jeder freie Platz bis zum letzten ausgenützt worden und
als klammerte sich ein Haus eng an das andere, um noch auf der Höhe
selbst bleiben zu können, denn schon die Hauptstraße des Städtchens
führt steil abwärts und noch mehr die Verbindungswege, die von der
Stadt westwärts nach den nächsten Dörfern weisen, und dem Wanderer,
der etwa von Ölsnitz her heraufsteigt, muß es zu Mute sein, als habe
er hier endlich die Höhe erreicht und müsse durch den Rundblick für
die Mühe belohnt werden, die ihm das Steigen gekostet hat. Und das
ist tatsächlich der Fall; denn zwischen jeder Häuserreihe drängt
sich ein Stück vogtländischer Gebirgslandschaft hinein, und von
dem Friedrich-August-Stein, der sich neben der Kirche unvermittelt
aufbaut und auf dem früher eine stattliche Burg zum Schutze gegen
die Sorben gestanden hat, bietet sich dem Auge eine geradezu
überraschende Aussicht dar: wie auf einer Landkarte liegt das ganze
Vogtland vom Kuhberg bei Netzschkau bis hinüber zum Kapellenberg an
der böhmischen Grenze vor dem Auge des Wanderers ausgebreitet, und
Hügel wechseln in endloser Reihe mit Wäldern, Wiesen und Dörfern, bis
sich fern am Horizonte die sanften Bogen des Frankenwaldes und der
bayrisch-böhmischen Berge darüber spannen. Und diese Landschaft zeigt
immer neue Reize, zu welcher Zeit man sie auch betrachten mag: wenn
an einem Sommerabend der rote Mond emporsteigt hinter den Bergen und
die ganze Gegend in seinem Dämmerlichte versunken ist oder wenn im
Herbste die Heidefeuer emporsteigen und klarer als je sich die Linien
der Berge und Wälder hervorheben, oder wenn an einem Januartage die
ganze Landschaft in dem Winterkleide leuchtet und die unendliche
Mannigfaltigkeit dieser Landschaftsformen in tausend Farben glitzert.
Nur die Stadt selbst bleibt immer dieselbe im Wechsel der Jahreszeiten,
ob man sie nun von Kemmler bei Plauen sehen mag oder von Mißlareuth
oder von dem Granitsockel des Kapellenberges: sie hängt, die Häuser
eng um den Markt und die Kirche gedrängt, hoch oben über dem Tale, und
mir fallen, so oft ich sie sehe, immer zwei Städte in Italien ein,
mit denen ich sie am ehesten vergleichen möchte: Assisi in Umbrien,
die Stadt des heiligen Franziskus, und Rokka di Papa, das Räubernest
im Albanergebirge bei Rom, das hoch oben am Latinerberg seine Stätte
gefunden hat.

[Illustration: Abb. 5 =Großer Rammelsberg und Sachsengrund,
Kammweggebiet=]

Die Stadt Schöneck darf sich schon im vierzehnten Jahrhundert der
Rechte rühmen, die ihr von Karl IV. erteilt worden sind und ist
heute wegen ihrer Lage ein stark besuchter Luftkurort geworden,
während die Bewohner vorzugsweise in der Industrie (Zigarren usw.)
beschäftigt sind, dagegen sind die Abhänge zwischen der Stadt und
dem Elstertale erst allmählich besiedelt worden, und manches der
hier liegenden freundlichen Dörfer ladet zu längerem Verweilen ein.
Durch den sogenannten Buttergrund führt ein Weg stark bergab nach
dem Dörfchen Marieney, das zwischen Wiesen und Wald dahingestreckt
liegt und das sich rühmen kann, die Heimat des größten vogtländischen
Dichters, Julius Mosen, zu sein. Dort streifte er als Knabe allein
durch Wälder und Auen oder lag am murmelnden Erlenbach oder er saß
stundenlang auf dem alten Kirchenboden, um dem Ticken des Perpendikels
und dem Schnarren des Räderwerks der großen Kirchenuhr zu lauschen.
Von dem sprachkundigen Vater wurde er schon in der Heimat in den
Anfangsgründen der lateinischen Sprache unterrichtet und selbst als er
auf das Gymnasium zu Plauen kam, wanderte er noch oft hinaus in das
Heimatsdorf, um die Eindrücke der Jugend wachzurufen. Die schöne Gabe,
Land und Leute zu schildern, die uns besonders in den Bildern »Im Mose«
entgegentritt, mag auf des Vaters Art zurückgehen, wie er den Kindern
die biblischen Geschichten und die Weltgeschichte erzählen könnte. Auch
die rauhe Kriegszeit, die damals über das Vogtland dahinging (Mosen
ist 1803 geboren), hinterließ bei dem aufgeweckten Knaben lebhafte
Eindrücke und klingt in den Vaterlandsliedern wieder, durch die er
volkstümlich geworden ist -- wer vergißt von seinen Erzählungen das
Heimweh oder Ismael, oder von seinen Gedichten Zu Mantua in Banden
oder den Trompeter an der Katzbach oder den Löwen zu Braunschweig
und wie die Gedichte alle heißen mögen, durch die sein Name in ganz
Deutschland bekannt geworden ist. Nach der Heimat zog es ihn immer
wieder zurück, mochte er nun als Aktuar in Kohren oder als Rechtsanwalt
in Dresden beschäftigt sein, wo er übrigens seine glücklichste Zeit
verlebte, und wie schwer mag es ihm geworden sein, als er nach dem
fernen Oldenburg übersiedelte, wo er eine sichere Stelle als Hofrat
und Theaterdichter im Dienste des dortigen Großherzogs gefunden hatte.
Eine zunehmende Krankheit verbitterte ihm seine letzten Lebensjahre,
und nur noch einmal fiel ein Lichtbild in diese Nacht, als Freunde
mit vieler Mühe eine Gesamtausgabe seiner Werke veranstalteten. Zwei
Fichten aus dem Vogtlande beschatten sein Grab, in welchem er nach
zweiundzwanzigjährigem Leiden am 10. Oktober 1867 zur Ruhe gebettet
wurde. --

[Illustration: Abb. 6 =Schneckenstein=]

Von Marieney gelangen wir in zwei Stunden nach Markneukirchen, dessen
wir schon bei der Erwähnung von Klingental zu gedenken hatten. Die
Stadt, die zwei Kilometer von der Adorf--Aue--Chemnitzer Bahn entfernt
liegt, ist neben dem genannten Orte der Hauptsitz der vogtländischen
Musikinstrumentenfabrikation, und man erhält in die Reichhaltigkeit
dieses Erwerbszweiges am besten einen Einblick, wenn man die wertvolle
Sammlung in- und ausländischer Musikinstrumente aus älterer und neuerer
Zeit besichtigt. Auch hier die Mannigfaltigkeit der Bodenformen, die
für das obere Vogtland charakteristisch ist und die sich auch in dem
südwestlichen Teile jenseits der Elster findet: die ganze Landschaft
aufgelöst in Berg und Tal, Teilstücke von Hügeln mit Dörfern oder
Einzelgehöften und Wäldern, so daß es sich auch hier lohnt, einmal
seitwärts vom Elstertal selbst auf die Höhen hinaufzusteigen. Wer
von Plauen kommt, wird allerdings noch durch eine ganze Anzahl von
vogtländischen Städten aufgehalten werden, die sich hier, wo eine alte
Straße am Elsterlauf entlang hinüber nach Böhmen führt, angesiedelt
haben. So liegt gleich Ölsnitz am Ende der erwähnten Straße, die
von Eger bis hierher führte, und gilt als eine der ältesten Städte
des Vogtlandes, die vielleicht von den Sorben gegründet ist. Als
dann die Deutschen das Land besiedelten, wurde hier eine befestigte
Straßensperre angelegt, und man grub gegen einen Angriff der Feinde
die großen Teiche (der letzte ist 1898 verschwunden), wobei die
Befestigungsanlagen noch durch das Schloß Vogtsberg verstärkt wurden,
dessen Türme auch von Schöneck sichtbar sind. Aus den Mitteln des
Bergbaues -- die Zinn- und Kupfergruben wurden 1519 durch Wasser
zerstört -- wurde die schöne St. Jakobskirche errichtet, die mit ihren
beiden Türmen weit über das Städtebild hervorschaut. Sie ist ein Muster
gotischen Kirchenbaues, obwohl von der ursprünglichen Anlage nur noch
die Türme in ihren Unterteilen sowie ein sandsteinernes Dreipaßrelief
von der äußeren Südseite des Chores erhalten sind. Auch später ist sie
öfters umgestaltet worden; so erhielt sie ihre jetzige Gestalt nach dem
großen Stadtbrande, während das Innere 1888/89 künstlerisch erneuert
wurde. Die Türme wurden 1865 nach den Plänen von Lipsius errichtet, und
auch im Inneren findet sich manches schöne Denkmal kirchlicher Kunst:
die Chorfenster von C. L. Türcke in Zittau mit prächtiger Glasmalerei,
sowie das Altargemälde: Abendmahl der Emmausjünger von Moritz Heidel
und der Taufstein, der 1833 von E. Rietschel gefertigt worden ist.
Ähnliche Umwandlungen hat auch die alte Kirche St. Katharina am
alten Friedhofe durchgemacht, deren Sterngewölbe im alten Chor aus
der alten Kirche noch auf das fünfzehnte Jahrhundert zurückweist. In
neuester Zeit hat Ölsnitz seinen Aufschwung besonders der Industrie
wie der Teppich- und Kammgarnfabrikation zu verdanken gehabt, nicht
zu vergessen seine günstige Lage, durch die es besonders wegen der
Nähe der sächsischen und böhmischen Bäder zu einem Standquartier für
Touristen geworden ist.

[Illustration: Abb. 7 =Schöneck=]

Das weiter südlich liegende Adorf, ein freundliches Städtchen mit etwa
achttausend Einwohnern, ist besonders durch die Perlmutterfabrikation
groß geworden, die auch in Ölsnitz zu Hause ist, die Muscheln wurden
früher zahlreich in der Elster gefunden, und der Erwerbszweig ist
geblieben, auch nachdem die Funde seltener geworden waren, so daß heute
auch zahlreiche importierte Stücke dort verarbeitet werden. Im übrigen
zeigt auch Adorf mit seinem geräumigen Marktplatz dasselbe freundliche
Bild wie alle diese vogtländischen Kleinstädte, und die Industrie,
die sich auch hier zahlreich findet, hat es nicht wesentlich zu
beeinflussen vermocht. Abseits davon sind noch zwei Orte zu erwähnen,
deren Name jedem bekannt ist und die dem Reichtum der Erde selbst ihre
Blüte verdanken: Bad Elster und Brambach. Inmitten der Nadelwälder
des Elstergebirges ist hier eine Stätte für Genesungsuchende
entstanden, die mit ihren Quellen und Sprudeln (alkalisch-salinische
Eisensäuerlinge, Glaubersalz, kohlensaure Stahlbäder) jährlich
Tausenden Genesung bietet und sich zu einem modernen Bade entwickelt
hat, wobei auch dem Moorboden aus den großen Lagern der Umgebung
ein wesentlicher Anteil zufällt. In weitaus freierer Lage ist Bad
Elster, wenn auch in weit bescheidenerem Maße, Brambach gefolgt, das
in der Nähe der böhmischen Grenze am Fuße des Kapellenberges in einer
engen Talmulde eingebettet ist. Wer von Adorf nach Brambach wandert,
durchschreitet zuerst in fortwährender Steigung ein stilles Waldtal,
bis der Weg zuletzt steil auf die letzte Hügelwelle hinaufführt, die
vor Brambach gelagert ist und erblickt von hier hinüber nach den
waldbedeckten Höhen des Elstergebirges und ein Stück ins böhmische
Land hinein, das sich hier von beiden Seiten an diese Ausläufer des
Vogtlandes heranschiebt. Auch Brambach selbst hat sich, so gut es
möglich war, an die eingeengte Lage im Tale des Fleissenbaches,
der hier in westlicher Richtung der Elster zufließt, angepaßt. Die
Straße nach Eger führt von hier unmittelbar am Kapellenberg vorbei,
der mit seinem granitenen Aufbau wie ein Wächter des südlichen
Vogtlandes dasteht und von dessen Gipfel eine weite Rundsicht nach
Norden und über Böhmen gestattet ist. Die beiden nächsten Dörfer, die
südlichsten des Vogtlandes, liegen bereits tief unten am Steilabfall
des Elstergebirges, und Straße und Eisenbahn haben die Senkung nur
künstlich durch große Bogen überwinden können. Wir sind hier am Ende
unserer Wanderung angelangt, aber an einer Stelle, von der sich in
kurzer Zeit weitere Glanzpunkte landschaftlicher Schönheit erreichen
lassen: das herrliche Egertal im Osten, oder das Kaisergebirge mit Eger
und Franzensbad oder das Fichtelgebirge mit seinen östlichen Ausläufern
bei Selb und Tirschenreuth und der uralten Kultstätte des Klosters
Waldsassen, die von hier in ein paar Wegstunden zu erreichen ist.

[Illustration: Abb. 8 =Kirche von Bösenbrunn am Triebelbach=]

Es war nicht meine Absicht, eine vollständige Beschreibung des
Vogtlandes zu geben, sondern es waren nur Wanderbilder, die vor dem
Auge des Lesers vorüberziehen sollten, um ihn selbst zu einer Fahrt
durch diesen südwestlichen Gau Sachsens einzuladen. Wer mehr mit der
Landschaft selbst vertraut werden will, der möge selbst kommen und
schauen, und er wird mit der Überzeugung zurückkehren, daß kein Grund
vorliegt, das Vogtland hinter den übrigen Gegenden unseres engeren
Vaterlandes zurückzusetzen. Daß es noch nicht »Mode« geworden ist, ist
wohl der beste Beweis, daß ein Unterkommen auf den Wanderungen auch
denen ermöglicht ist, die nur über bescheidene Mittel verfügen.

[Illustration: Abb. 9 =Bad Elster=]

    _Anmerkung._ Wer mehr über das Vogtland erfahren will, sei auf
    die Literatur verwiesen, die auch bei den vorliegenden beiden
    Arbeiten benutzt worden ist, vor allem auf: Unser Vogtland
    (Heimatkundliche Lesestücke für die Schulen des sächsischen
    Vogtlandes, bearbeitet von einer Kommission Plauenscher
    Lehrer, Verlag der Dürrschen Buchhandlung, Leipzig), Das
    Königreich Sachsen in Wort und Bild von Leo Woerl und Steche:
    Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler
    des Königreich Sachsen; weitere Literatur ist in dem zuerst
    genannten Buche angeführt. Denen, die ihr Wissen und Können in
    den Dienst dieser Sache stellten, besonders Herrn C. Sippel,
    Schriftführer des Verbandes vogtländischer Gebirgsvereine
    in Plauen, der für beide Aufsätze eine Reihe von eigenen
    photographischen Aufnahmen zur Verfügung stellte, bin ich zu
    großem Danke verpflichtet.



Trachtenechtes Spielzeug

Von _Karl Lucas_, Meißen


Weihnachten naht. Es wird gebastelt, gesägt, geschnitzt, geleimt,
geklebt bis über die mitternächtige Stunde hinaus. Das Weihnachtsfieber
hat uns gepackt.

Auch mir ging es so. Auf dem Wunschzettel meiner Mädel waren kleine
Tierchen, Männer und Bauernfrauen verzeichnet. Diese Sächelchen waren
bereits in Anzahl im Besitze der kleinen Bittstellerinnen. Aber es
sollten noch mehr sein. Es sind das jene reizenden Gegenstände,
die aus unseren Erzgebirgsdörfern ihren Weg in jede Spiel- und
Holzwarenhandlung gefunden haben. Bei ihrer Naturtreue und ihrem
auch heute noch verhältnismäßig billigen Preise werden sie sehr gern
gekauft. Sie treten in scharfen Wettbewerb mit den altbekannten
früheren »Pfengstückchen«. Auch ärmere Leute greifen oft nach den
natürlicher wirkenden »Dreiertierchen« (Friedenskurs!). Es wird der
leider nicht überall befolgte Grundsatz angewandt: Wenig und gut ist
besser als viel und schlecht.

Ein Vorzug der »Dreiertierchen, Fünf-Pfeng- oder Groschentierchen und
-männel« ist es, daß sie sich in ein besseres Größenverhältnis zu den
aus Bauklötzchen, Modellierbogen usw. aufgebauten Gebäuden einstellen.
Das Spiel gibt so ein getreueres Bild der Wirklichkeit und wird
natürlicher und lebendiger.

Bei anderer Gelegenheit stieß ich auf die Künstlermodellierbogen.
Diese verhalten sich zu den schablonenhaften früheren Bogen wie Tag
zur Nacht. Leider gibt es auch heute noch Bogen, bei deren Herstellung
derartig hohe Maßstäbe wie an die Künstlermodellierbogen nicht
angelegt worden sind. An zwei aufgestellten Modellen -- Lappenlager
und rumänisches Bauerngehöft -- hatte ich erfahren können, was für ein
anschauliches Bild diesen Siedelungen samt dem Leben und Treiben der
Bewohner durch diese Bogen vermittelt wird.

Einem Zuge nach der Heimat folgend, wählte ich für meine Mädel das
»Altwendische Bauerngehöft« (Teubner Nr. 19) aus. Eine Pappe 37 : 50
Zentimeter genügte zur Aufstellung. Dabei blieb noch Platz für Wege,
Raine, Brücken, Baumgruppen, für einen Bach mit Entenpfütze. Die
Gebäude wurden durch eingelegte Pappe gesteift. So entstand ein
ziemlich standhaftes Spielzeug. Zur Belebung sind auf dem Bogen eine
Anzahl Leute, Tiere und Bäume aufgezeichnet. Sie erfüllen ihren
Zweck nicht recht. Die ausgeschnittenen, auch gesteiften Gestalten
vertragen das fortgesetzte Anfassen schlecht. Dann fehlt ihnen die
Körperlichkeit, die die Gebäude nach ihrer Aufstellung besitzen. Die
Einbildungskraft der Kinder überwindet den Mangel der Gestalten zum
Teil. Freudiger aber greifen sie zu den körperlichen Gestalten, die aus
unserer sächsischen Spielwarenerzeugung hervorgegangen sind.

Ich entschied mich von vornherein für die Aufstellung der
Holzsächelchen. Beim Durchstöbern der Vorräte in den Läden fand ich
Tiere, Taubenschläge, landwirtschaftliche Geräte, Wagen, Hundehütten,
Bienenstände in reicher Auswahl und geeignet für meinen Bauernhof.
Aber Menschen, wie ich sie brauchte, konnte ich nirgends auftreiben.
Um meinen Hof nicht verwaist stehenzulassen, nahm ich, was da war:
Bauern, Bäuerinnen, Butterfrauen, Nachtwächter, Kinder, Geistliche,
Brautleute, Kränzeljungfern, Stadtvolk. So hatte ich Leben. Aber es
paßte wie die Faust aufs Auge, wenn ich in meinem Hofe den Großknecht
in Älplertracht spazieren sah.

Meine Mädel freuten sich zunächst uneingeschränkt, nach und nach wurden
ihnen die Widersprüche aber bewußt. Freude löste diese Entdeckung bei
ihnen nicht aus.

Auch der Erwachsene spielt gern mit, wenn das Spiel heimatliche
Vorstellungen und Gefühle auslöst. Eine rechte Freude kann aber bei
ihm nicht aufkommen, wenn sich solche Stilwidrigkeiten fortgesetzt
aufdrängen. Das bedeutet aber einen Verlust für den Erwachsenen und
für das Kind. Unsere Zeit hastet. Sie löst den einen früher, den
andern später aus der Umgebung, in der er seine Kindheit verlebte. Ein
großer Teil unseres Volkes führt ein modernes Nomadenleben. Nur noch
ganz bestimmte Volksgruppen haben sich die Seßhaftigkeit bis zu einem
gewissen Grade bewahrt. Aber auch diese Kreise fangen an, den Sinn
in die Weite schweifen zu lassen und das Naheliegende zu übersehen.
Der sich überallhin ausbreitende Verkehr mit seinem Einebnen alles
dessen, was kennzeichnend hervortreten will, läßt die besten Eindrücke
der Kindheit rasch verblassen. Alles wird käuflich, verkäuflich. Es
scheint, als ob jene innerlich wirkenden Werte einer Sache, die aus
der Geschichte, aus der Pietät heraus zu erklären sind, schwänden.
Gerade diese Werte aber machten früher eine Sache oft unbezahlbar.
Darum müssen wir das alles mit Freuden begrüßen, was uns helfen könnte,
jene verborgenen, in der Vergangenheit wurzelnden Werte wieder zu
erschließen. Im Geiste wenigstens lerne jedes sich wieder versenken
in die Schätze der Vergangenheit, damit die Gegenwart mit ihren
verwickelten Verhältnissen besser verstanden werde. Alle Gegenwart ist
Gewordenes. Alles Gewordene fußt in der Vergangenheit. Wir sollen nicht
mehr bloß Gegenwartsmenschen sein wollen, sondern sollen uns wieder als
etwas betrachten lernen, das in der Vergangenheit wurzelt. Wir werden
dann einsehen, daß jedes gewaltsame Lösen der Fäden, die uns mit der
Vergangenheit verbinden, einen nie wieder gut zu machenden Schaden für
den einzelnen wie für die Gesamtheit bedeutet.

Unsere Spielwarenerzeugung kann uns helfen, die verborgenen Beziehungen
zum Vergangenen wieder aufzudecken, kann uns helfen, Einkehr zu halten
in den Tagen der Kindheit wie in denen der reifen Jahre, kann uns
helfen, die Heimat durch ihre Vergangenheit zu verstehen. Ein weites
unbebautes Feld breitet sich hier für diese Industrie aus. Rechte
Bearbeitung muß eine gute Ernte für den Erzeuger und für die Gesamtheit
unseres Volkes bringen. Gefühl und Sinn für Heimatliebe, Volkskunst,
Heimatschutz würden zu gleichen Teilen durch Belehrung im Spiel schon
in den Kleinen geweckt werden. Fortgesetztes Spiel mit Spielzeug,
das mehr wie Spielzeug sein will, brächte diesen Sinn, diese Gefühle
zum Wachstum. Schließlich würden sie beim Erwachsenen unbewußt zum
unveräußerlichen Besitzstand geworden sein.

Wie können die beteiligten Industrien diese Forderungen erfüllen?
Kurz gesagt dadurch, daß sie Erzeugnisse schaffen, die die Verbindung
mit der Heimat erkennen lassen und echt sind, also jede Scheinkunst
vermeiden. Wir brauchen Modellierbogen, die uns einen _sächsischen_
wendischen Bauernhof, einen _sächsischen_ ländlichen Bahnhof, ein
_sächsisches_ mittelalterliches Rathaus usw. darstellen. In unserem
Vaterlande haben wir reichliche Stoffbeispiele dafür. Ferner sei
zur Auswahl gestellt: Oberlausitzer Weber- und Gutshäuser --
Erzgebirgische Gebäude -- Moritzburg -- Altes Leipziger Rathaus --
Meißner Dom, Albrechtsburg, Rathaus, Bürgerhäuser -- Bautzener Gebäude
-- alte sächsische Kirchen, Mühlen, Pochwerke -- Gebäude, deren
Erhaltung mit besonderer Sorgfalt oft unter Aufwendung nicht geringer
Mittel durchgeführt wird (Frohnauer Hammer) -- Bogengruppen mit
Planzeichnungen zur Veranschaulichung der Siedlungsweisen (Pfahldorf,
Rundling, Längsdorf, Dörfer mit sägeblattähnlicher Gebäudestellung,
Klosterbauten, Gartenstädte, Alt-Dresden, Alt-Leipzig). Wenn heute die
Festung Königstein als Modell herausgebracht würde, so würde wohl kaum
etwas dagegen eingewendet werden.

Seien nun die Gebäude auszuführen vom Modellierbogen aus, seien
sie besser aus einzelnen bemalten Holzteilen zusammenzuschränken,
jedenfalls werden dem Kinde im Spiel die Unterschiede der Bauweisen,
der Siedelungsanlagen auffallen. Fragen nach zeitlichen und örtlichen
Gründen, auch nach solchen der Zweckmäßigkeit werden auftauchen. Nicht
alle Fragen wird der Erwachsene befriedigend beantworten können. Er
wird mit dem Kinde und durch das Kind Heimatkunde und Heimatgeschichte
treiben müssen, wenn er nicht dauernd die Fragen halb oder ausweichend
oder mit »ich weiß das selber nicht« beantworten will. Darum dürfen die
Modellbogen nicht ohne Erläuterungsblätter gelassen werden. Gute Bücher
können noch gründlichere Auskunft erteilen. Ansätze in dieser Richtung
sind vorhanden. Aber die Heimatforschung hat noch genügend Brachland
zu bearbeiten, ehe sie alle Wünsche nach dieser Seite hin befriedigen
kann. Es gibt wohl keinen Ort Sachsens, der nichts hätte, was als
bauliches Wahrzeichen für Modellzwecke festgehalten zu werden verdiente.

Zu den Modellen von Bauwerken gehört das richtige Gestaltenmaterial.
Getreu dem Leben oder -- wenn dies keine Kunde mehr gibt -- getreu
den kulturgeschichtlichen Quellen wird es dargeboten. Wie viele
verborgene Schätze unsrer Heimatsammlungen, Geschichtsmuseen,
Bildergalerien, Innungsschränke, Zunftladen könnten da eine fröhliche
Auferstehung feiern! Wie könnte aus dem, das hinter Glas und Rahmen,
Tür und Riegel wohlverwahrt gehalten wird, ein Quell der Heimatliebe
entspringen! Da werden lebendig: alte Zünftler, Landsknechte, Zöllner,
Sänftenträger, Narren, fahrende Gesellen. Dazu die alten Gebäude.
Die Vergangenheit wird lebendig in der Gegenwart. Aus Papierstoff,
Holz, Zinn, Linoleum, durch Guß, Pressen, Drehen, Schnitzen werden
die zeit- und trachtenechten Gestalten hergestellt. Sie sind einzeln
käuflich (zum Aussuchen). Sie können aber auch -- zu fein abgestimmten
Gruppen geordnet -- in widerstandsfähigen Schachteln erstanden werden,
die recht wohl die überlieferte Aufschrift tragen können: Andenken
an ... Zur Erinnerung an ... Oheim Max bringt dem kleinen Hans eine
Schachtel mit: _Andenken an Leipzig_. Drinnen liegen Studenten in
Wichs. Das Fräulein mit farbigem Band ist Base Lotte, die Studentin.
Burschen heraus zum Couleurbummel! Muhme Alma bringt eine Schachtel
mit: _Erinnerung an Meißen_. Da sind zu sehen: Aschekarl, Aschemarie
mit dem Spitz auf dem Arme, Kalmus, der dumme Junge von Meißen,
ein Fremder mit der Fummel, Winzer, Winzerinnen. _Freiberg_ wartet
auf mit Bergstudenten, Bergleuten in Parade- und Arbeitstracht,
_Kloster Marienstern_ mit Osterreitern und Nonnen, _Bautzen_ mit
dem Taubenjokel, wendischen Männern und Frauen und Kindern, dem
Hochzeitsbitter, der Braut und dem Bräutigam, _Oybin_ mit Mönchen.
Anderswo gibt es beim Schützenfeste die ganze Schützengilde in einer
Schachtel wohlverwahrt zu erstehen. _Radeberg_ knüpft an seine
Bürgerwehr, seinen ehemaligen Bergbau, sein Gregoriusfest, seine
Soldaten an. _Leppersdorf_ und _Augustusbad_ bieten an eine Einsiedelei
mit Bäumchen, Hasen, Rehen, kleinen Vöglein und dem »Lampert im
Walde«. Ein Steinkreuz, ein Grenzstein, ein altes Denkmal gehört auch
manchmal in so eine Schachtel. _Schmiedefeld_ bei Stolpen und andere
Orte waren vor Einführung der Eisenbahn belebtere Orte als jetzt. Sie
lagen an den alten Poststraßen. Eine Schachtel zeigt als Inhalt eine
alte Postkutsche, ein Land-(fracht-)fuhrwerk, Zöllner, Torwächter,
Handwerksburschen, Reisende in Biedermeiertracht. Kriegszeiten haben
viele sächsische Orte durchleben müssen (Hussiten-, Schweden-,
Franzosenzeit). _Kamenz_ bringt bei seinem Forstfeste eine Schachtel
heraus, deren Inhalt die Erinnerung an eine glückliche Errettung aus
solch schweren Tagen wach hält. Bei Regimentstagen können Gestalten
in den Regimentstrachten der verschiedenen Zeiten vertrieben werden.
Vom Trachtenfest »Biedermeierzeit« bringen Vater und Mutter eine
Spielschachtel mit, die entsprechende Gestalten, Rosenlauben, grüne
Hecken enthält. Das, was bei Ausstellungen mit den »alten Städten«
(Vergnügungsecken) geboten wird und nach seiner oft recht beachtlichen
geschichtlichen Treue wert wäre, länger zu bestehen, das könnte in
verkleinerter Ausgabe zum Spiel geschaffen, als Andenken verkauft
werden.

Im Vereine mit guten Gebäudenachbildungen müssen solche Geschenke
oder Andenken in Vergangenheit und Gegenwart vertiefen helfen, müssen
sie alt und jung zur Besinnung einladen. Die Sachen haben ja etwas zu
erzählen. Der Quell der Sage und Geschichte muß da sprudeln. Kinder
und Erwachsene werden beim Spiel oft in den Geleisen wandeln, die der
Darstellung zugrunde liegen. Wie wir aber einen »Freiberger Bauerhasen«
stets mit einer gedruckten Erklärung zu kaufen bekommen, so darf
bei all diesen Sachen nicht mit frisch und lebendig geschriebenen
Erläuterungen gespart werden.

Trachtenechte Puppen, stilgerechte Puppenmöbel (Himmelbetten,
Bauerntische, Schemel, Wiegen, Stühle, geblümte Vorhänge, Teller,
Tassen, Kannen), eine rechte Bauernstube, Weberstube, Patrizierstube,
Spinnstube: das müßte Mädchen eine wirkliche Freude geben!

Das sind wirkliche Reiseandenken, die ihren Zweck erfüllen,
ein Band zu schlingen über den Geber hinweg vom Empfänger zum
kulturgeschichtlichen, heimatkundlichen Stoff. Das kann von den jetzt
noch beliebten Fangbällen, Windrädern, Abziehbildern und Postkarten
auf Holzquerschnitten, Steingutsachen u. a. m. nicht behauptet
werden. Welche Sorte von Reiseandenken verraten wohl Verlegenheit
und Gedankenlosigkeit des Gebers, welche begegnen Verlegenheit und
Gleichgültigkeit beim Empfänger?

Strenge Wahrhaftigkeit in der Darstellung des trachtenechten Spielzeugs
gibt den Kleinen auch wahre Anschauungen. Eine nach irgendeiner Seite
hinzielende, da hinzufügende, dort verheimlichende Scheinkunst ist
verpönt. Sie würde Truggebilde der Heimat erzeugen und die Jugend
verwirren. Für die Jugend muß nur das Beste gerade gut genug sein. Aber
auch viele Erwachsene gleichen in dieser Hinsicht Kindern und verlangen
die gleiche Behandlung. Auch ihnen dürfen wir das Bild der Heimat
durch Unwahrhaftigkeit des gebotenen Spielzeuges nicht entstellen oder
verzerren.

Die Bestandteile der Kleinspielzeugkästen werden etwas schematisch,
maschinenmäßig aussehen. Auf die Maschinenhilfe kann aber aus Gründen
möglichster Billigkeit nicht verzichtet werden. Doch der handarbeitende
Holzschnitzer mag nicht abseits stehen. Wie verschieden können ein
Student, Soldat, Bergmann, Mönch, Bauer, Schützenhauptmann gestaltet
werden in Bewegungen, Gesichtszügen, Farbengebung! So können wir
auch mit handgeschnitztem Kleinspielzeug unsere Schachteln füllen,
die freilich nur zu einem höheren Preise zu haben sein könnten. Ein
Vergleich von geschnitzten und gedrehten Figuren wird die Berechtigung
des Preisunterschiedes beweisen. Der Schnitzer kann seine Gestalten
aus dem Bereiche des gewöhnlichen Spielzeuges in das Gebiet des
Kleinkunstwerkes erheben. Ich erinnere mich der Ausstellung von
Krippenfiguren in Dresden. Wie verschieden hatte jeder einzelne
Aussteller sein persönliches Empfinden in einem gegebenen Stoffe zum
Ausdrucke gebracht. Bewegung, Ausdruck, Farbe, Gruppierung usw., das
alles zusammen genommen brachte trotz Gleichheit des Vorwurfes doch
durch die selbständige Auffassung der einzelnen Verfertiger große
Unterschiede heraus. Dazu kam die unterschiedliche Beherrschung und
Anwendung der einzelnen Techniken. Neben etwas schematisch anmutenden
Sachen waren reizende kleine Kunstwerke vertreten, bei denen die
Schablone einer durchgeistigten Auffassung hatte weichen müssen. So
braucht sich auch der Gestalter einzelner Personen vom trachtenechten
Spielzeug nicht sklavisch an überlieferte Bewegungs-, Ausdrucks- und
Kompositionsschemen zu halten, sondern kann diese etwas traditionellen
Sachen mit seinem eigenen Geiste durchdringen, bezw. durchbrechen, wenn
am letzteren nicht höhere Gesichtspunkte hindern sollten. Tracht und
Farbengebung ist ja doch durch die Überlieferung festgelegt. Mancher
Käufer wird dann die auch nicht besonders billigen Phantasiegestalten
der jetzt noch herrschenden Marktware zurückweisen, um nach einer nicht
so billigen, aber lebenswahren Figur zu greifen, die durch einen gut
empfindenden Gestalter herausgebracht worden ist. Solche Geschenke
brauchen sich nicht vor dem Tageslichte zu scheuen. Sie werden immer
wieder gern angesehen.

Unsere sächsischen Spielwarenerzeuger können aber auch über die
Landesgrenzen greifen. Nach guten Vorbildern kann unsere Industrie
jedes außersächsische Modell lebensvoll gestalten. Für Seebäder werden
Schachteln gefüllt mit trachtenechten Fischern und Fischerinnen,
Seeleuten, Badegästen, Badekarren, Strandkörben -- für Halle
Hallorengruppen usw. So können Trachtengruppen aus dem ganzen
früheren und jetzigen deutschen Vaterlande zusammengestellt werden.
An Künstlermodellierbogen stehen uns für diese Zwecke eine ganze
Anzahl zur Verfügung, die den Aufbau von Gebäuden aus allen Teilen
Deutschlands ermöglichen. Die Verzeichnisse könnten noch durch eine
Anzahl Bogen von Orten mit ausgedehntem Fremdenverkehr bereichert
werden. Nach diesen Orten könnte unsere heimische Industrie ihre
Erzeugnisse senden. Das Schutzwort »Gefertigt in Deutschland« könnte
umgewandelt werden in »Gefertigt in Sachsen«.

Auch hier muß Sorge getragen werden, daß neben den billigeren, etwas
schematischen Drehbankarbeiten für das kaufkräftigere Publikum auch
handgeschnitzte lebensvolle Gestalten am Lager sind. Damit der Erzeuger
einen angemessenen Gewinn von seiner Arbeit habe, die Gegenstände aber
trotzdem nicht zu hoch im Preise kommen, dürfte sich keine lange Reihe
Zwischenhändler zwischen Verkäufer und Käufer einschieben.

Wir gehen kühn über Deutschlands Grenzen hinaus und umspannen den
Erdball. Wir lassen im Spielzeug erstehen das ganze bunte Völker- und
Trachtengemisch von Europa und den übrigen Erdteilen. Wir bringen
Modellbogen auf den Markt von der Eskimohütte und dem Hottentottenzelt
bis zum Wolkenkratzer, vom Pfahldorfhaus in der Südsee bis zur
Baumwohnung auf Java. Die Zinngießerei bringt bereits Völker aller
Welt zur Anschauung. Oft hat die Phantasie sich dabei allzu reichlich
betätigt. Wahrheit in der Darstellung ist hier aber um so nötiger,
als eine Verbesserung eines Modelleindruckes durch nachträgliche
Sinneseindrücke am natürlichen Gegenstande nicht eintreten kann. Sind
keine einwandfreien Unterlagen zu haben, dann verzichte man lieber auf
die Darstellung. Auch hier darf das Erzeugnis der Handarbeit nicht
fehlen, es wird sicher im Auslande kaufkräftige Abnehmer finden.

Die Darstellung deutscher Anschauungsstoffe wird von unseren Erzeugern
vor außerdeutschen stets bevorzugt werden müssen. In dem Heimatlichen
liegen die starken Wurzeln unserer Spielwarenerzeugung. Heimatliche
Darstellungen finden den Weg über die Grenzen hinüber zu unseren
deutschen Brüdern im Auslande. Ob sie in Rumänien, in Siebenbürgen,
im Elsaß, im Kaukasus, in den Urwäldern Südamerikas oder sonst wo
sitzen mögen: sie werden es gern sehen, wenn ihre Kinder mit Spielzeug
spielen, das Fäden spinnt zur alten Heimat. Schaut der Erwachsene
solchem Spiel der Kleinen zu, so wird ihn stilles Gedenken übermannen;
da wird schließlich die Zunge beredt werden beim Erzählen von
altheimatlichen Zuständen, von der eigenen Jugend, die -- wenn auch
manchmal hart -- doch schön war. Die Kinder lauschen. So sprechen Vater
und Mutter selten. Es muß etwas besonderes um das Spielzeug sein.

Geht aus der alten Heimat als Geschenk zur Weihnachtszeit eine
solche Gabe hinaus in die Fremde, und Vater und Mutter stellen die
Sächelchen auf, wie es sein muß, dann stehen jung und alt herum um
das Bild aus der alten Heimat, Wehmut und Freude im Herzen. Das sind
Weihestunden, der fernen Heimat gewidmet, die unermeßlichen Gewinn für
die Außenposten unseres Volkes haben, aber auch für uns selbst. Da
kommt kein Negerenglisch, kein Burendeutsch, kein Sprachenwirrwarr beim
Erzählen und Erklären heraus, da kommt die reine deutsche Muttersprache
zu ihrem Rechte. Für diese altheimatlichen Stoffe hat die fremde
Zunge keine Ausdrücke. Wenn unsere Brüder draußen sich auch äußerlich
verändern, sich ihrer Umgebung anbequemen, so halten wir doch durch
solche in der Heimat wurzelnde Gaben bei ihnen das Heimatgefühl wach.
So lange sie dies Gefühl haben, so lange sind sie noch unser, sind sie
und ihre Kinder fürs Deutschtum noch nicht ganz verloren!

Wenn unsere Geschenke das erreichen, Heimatsinn zu erwecken im Lande
selbst und draußen in der Fremde, dann können wir wohl sagen: Es sind
rechte Geschenke gewesen. Wir haben mehr geschenkt als Spielzeuge oder
Kunstwerke. Wir haben innere Werte erschlossen und mitgegeben, die
unbezahlbar sind, die sich nicht wiegen und messen lassen, die nur
innerlich erlebt und gewertet werden können.

Aber nicht nur der Geber kann befriedigt auf sein Geschenk blicken,
nein auch der Erzeuger. Auch er gibt mehr hinaus als allein seiner
Hände Fleiß. Auch er kann sprechen: Der Geist, aus dem heraus ich alles
gebildet und geschafft; der Geist, der aus meiner Arbeit spricht, der
Geist der Heimat, der ist an Euch, Ihr Käufer, mein Geschenk!



Caprivi und die Bäume im Garten des Kanzlerpalais


»Ich kann nicht leugnen, daß mein Vertrauen in den Charakter meines
Nachfolgers einen Stoß erlitten hat, seit ich erfahren habe, daß er die
uralten Bäume vor der Gartenseite seiner, früher meiner Wohnung hat
abhauen lassen, welche eine erst in Jahrhunderten zu regenerierende,
oft unersetzbare Zierde der amtlichen Regierungsgrundstücke in der
Residenz bildeten. Kaiser Wilhelm I., der in dem Reichskanzlergarten
glückliche Jugendtage verlebt hatte, wird im Grabe keine Ruhe haben,
wenn er weiß, daß sein früherer Gardeoffizier alte Lieblingsbäume, die
ihres Gleichen in Berlin und Umgebung nicht hatten, hat niederhauen
lassen, um ~un poco piu di luce~ zu gewinnen. Aus dieser Baumvertilgung
spricht nicht ein deutscher, sondern ein slawischer Charakterzug. Die
Slawen und die Kelten, beide ohne Zweifel stammverwandter als jeder von
ihnen mit den Germanen, sind keine Baumfreunde, wie jeder weiß, der in
Polen und Frankreich gewesen ist; ihre Dörfer und Städte stehen baumlos
auf der Ackerfläche, wie ein Nürnberger Spielzeug auf dem Tische. Ich
würde Herrn von Caprivi manche politische Meinungsverschiedenheit
eher nachsehen, als die ruchlose Zerstörung uralter Bäume, denen
gegenüber er das Recht des Nießbrauchs eines Staatsgrundstücks durch
Deterioration desselben mißbraucht hat.«

            (Aus Bismarcks drittem Bande.)



Drei Baumbilder aus unsrer Heimatsammlung

Von _A. Kühne_, Wilsdruff


Auf Anregungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz hin
arbeiteten wir im vergangenen Jahre an einem _heimatlichen Baumbuch_.
Es liegt jetzt in der Handschrift vor und soll in unsrer Heimatbeilage
abgedruckt werden. Dank will ich sagen den Herren Rühle und Zieschang,
ersterer hat die Bäume gemessen, Geschichte und Überlieferung
gesammelt, letzterer hielt sie im Bilde fest.

Von unsern heimatlichen Höhenbäumen mögen hier stehen _Rüdigers Linden
in Helbigsdorfer Flur_. Kein Wandrer, der unsre Wilsdruffer Heimat
gekreuzt hätte, ohne sie zu sehen. In einer Höhe von 334 Meter -- die
Generalstabskarte nennt den Hügel den Eschenhübel -- beherrschen sie
die weite Umgegend, und köstlich ist der Blick von dem Ruhebänkchen zu
ihren Füßen. Wettergezaust und blitzgetroffen, doch stolz und stark
stehen sie hier, Saat und Ernte seit einem Jahrhundert um sie her.
Mögen sie noch lange Freude und Erholung für Land- und Wandersmann
spenden!

[Illustration: =Rüdigers Linden in Helbigsdorf= (Amtsh. Meißen)

(Aufn. _G. Zieschang_, Kaufbach)]

Ein Wegebaum -- _der Blankensteiner Bergahorn_. Da wo die Dorfstraße
anhebt, wo der Kommunweg Helbigsdorf--Blankenstein endet, steht dieser
stolze Baum. 3,68 Meter mißt der Umfang seines Stammes in Brusthöhe,
an die 26 Meter hoch quillt das Laubwerk in den Himmel hinauf. Eine
gewaltige, herrliche Fülle, dieses Astwerk mit seinem Blätterwald.
Einen höheren Genuß aber schafft sein Anblick im Winter, wenn ihm der
Frost den Blättermantel nahm, wenn sich eine weiße Decke unter ihm
breitet. Da erst wird der gleichmäßig schöne Bau der Krone offenbar,
dieses Wachsen und Dehnen und Greifen in die Weite und Höhe. Und dazu
die graubraune Färbung der schlanken Stämme und Schäfte auf weißem
Hintergrunde. Ein köstlich Bild.

[Illustration: =Bergahorn in Blankenstein= (Amtsh. Meißen)

(Aufn. _G. Zieschang_, Kaufbach)]

Als dritter und letzter einer der geborstenen Riesen des _Weistropper
Schloßparkes_, _eine Edelkastanie_. Ihr Geschlecht mag unter all den
heimatlichen beachtenswerten Bäumen das älteste sein, bei weitem
älter und ehrwürdiger als die dreihundertjährigen Reformationslinden zu
Wilsdruff und Wurgwitz. Der Sage nach soll Bischof Benno sie gepflanzt
haben; daß die frühmittelalterliche Kirche sich um Pflanzung und Pflege
des Weinstocks, der Edelkastanie u. a. verdient gemacht hat, steht
außer allem Zweifel. Auch der Miltitzer Schloßpark zeigt stolze alte
Bäume dieser Art, sie sollen von Karl v. Miltitz, dem päpstlichen
Staatssekretär, gepflanzt worden sein. Wir freuen uns an dem
ausgeprägten Artcharakter dieser Stämme, danken der Schloßherrschaft
für deren Erhaltung und hoffen, daß diese Bäume uns noch manches Mal
Labsal sind auf unsern Heimatwanderungen.

[Illustration: =Edelkastanie im Schloßpark Weistropp=

(Aufn. _G. Zieschang_, Kaufbach)]



Pflanzt Nußbäume!

    (Zu meinem Aufsatze: Erhaltet dem heimatlichen Landschaftsbilde
    die Alleen und die hervorragenden Bäume)[1]

Von _A. Klengel_


Zu den wertvollsten und malerischsten Schmuckstücken unseres
Landschaftsbildes gehören stattliche Walnußbäume, mögen sie nun als
Einzelbäume im Garten stehen, den ländlichen Hof beschatten oder als
Allee der Dorfstraße das Geleit geben. Der Nußbaum ist aber nicht nur
ein ausgezeichneter Schattenspender, sondern durch Frucht und Holz
einer unserer wertvollsten Nutzbäume.

Der Umstand, daß sich sein Holz nicht nur für den Möbelbau, sondern
vor allen Dingen für die Herstellung von Gewehrschäften ausgezeichnet
eignet, ist dem Nußbaum während der Kriegszeit verhängnisvoll
geworden. Alle Nußbäume, von einer bestimmten Stammstärke ab, waren
beschlagnahmt und viele Tausende fielen der Axt zum Opfer, um das
Vaterland verteidigen zu helfen. Empfindliche Lücken wurden dadurch in
unseren ohnehin nicht zu hohen Nußbaumbestand gerissen; wir merken die
Knappheit am besten an den zu schwindelnder Höhe gestiegenen Nußpreisen.

Es ist eine Pflicht aller heimischer Grundbesitzer, der Anpflanzung
von Walnußbäumen erhöhtes Augenmerk zuzuwenden. Die durch den Krieg
gerissenen Lücken müssen sich wieder schließen, der Nußbaum muß auch
deswegen ausgiebiger angepflanzt und gehegt werden, weil uns Elsaß und
Lothringen, die seither einen hohen Prozentsatz des heimischen Bedarfs
an Walnüssen und Nutzholz lieferten, verlorengegangen sind. Hieraus
ergibt sich ohne weiteres, daß jetzt die Anpflanzung der Nußbäume viel
lohnender sein wird als in früheren Jahren. Durch reichlichen eigenen
Anbau und eigene Erzeugung von Walnüssen und Holz können wir auch
die Einfuhr einschränken und dadurch einer wichtigen vaterländischen
Pflicht genügen. Daß wir überdies durch Hegen des stattlichen
großlaubigen Baumes auch unser Landschaftsbild verschönern und dadurch
dem Heimatschutz trefflich dienen, wurde bereits erwähnt.

Einer ausgiebigen Anpflanzung des Nußbaumes werden mancherlei Bedenken
entgegengestellt, die sich aber bei näherer Untersuchung fast durchweg
als unhaltbare Vorurteile erweisen.

Es muß zunächst vorausgeschickt werden, daß unser Walnußbaum (~Juglans
regia~) ein Kind des heißen Orients ist, aber auch in Südeuropa
ausgedehnte wilde Bestände bildet. Er ist insofern etwas anspruchsvoll,
als er geschützte Lage, mildes Klima und tiefgründigen nahrhaften Boden
bevorzugt und gegen Spätfröste empfindlich ist. Nach meinen, über
dreißig Jahre reichenden Erfahrungen ist aber der Nußbaum durchaus
nicht so zart wie oft angenommen wird. Ein neben meinem Hause in
Meißen, allerdings sehr geschützt stehender Baum, hat seit über zwanzig
Jahren niemals durch Frost gelitten, auch sind viele Jahre vergangen
seit ich das letztemal in der freigelegenen Umgebung von Meißen
erfrorene Nußblüten feststellen konnte.

Vielfach ist die Meinung vertreten, daß der Nußbaum nur bis höchstens
fünfhundert Meter Seehöhe und dann nur an geschützten Standorten
ertragreich bliebe; in höheren Lagen empfehle sich seine Anpflanzung
lediglich des Holzes, nicht aber der Fruchtgewinnung wegen. Diese
Ansicht mag viel dazu beigetragen haben, daß man von der Anpflanzung
abgesehen hat. Ich habe jedoch schon ganz andere Erfahrungen gesammelt.
In Bärenstein im Müglitztale trug ein alter, in über fünfhundert Meter
Höhe nicht besonders geschützt stehender, leider auch dem Kriege zum
Opfer gefallener Nußbaum seit Menschengedenken reichlich Früchte
und versagte nur dann einmal, wenn Spätfröste die Blüte vernichtet
hatten, was aber, wie bereits erwähnt, auch in tieferen Lagen zuweilen
vorkommt. Ein im gleichen Orte in fünfhundertfünfzig Meter Höhe
stehender jüngerer Baum trägt seit einigen Jahren ebenfalls reichlich
Früchte. Völlig überraschend war aber die Tatsache, daß sogar ein in
siebenhundert Meter Höhe stehender jüngerer Nußbaum am Köllnerschen
Vorwerk in Hirschsprung bei Altenberg noch ausgereifte Früchte trägt.
Man hatte mit Blühen und Früchtetragen nicht mehr gerechnet, weil
der Baum solange damit zögerte; es war dabei aber nicht beachtet
worden, daß die Mannbarkeit des Nußbaumes nicht vor dem zwanzigsten
Lebensjahre, vielfach sogar noch später eintritt.

Eine weitere Abneigung gegen das Anpflanzen der Nußbäume entspringt
aus dem angeblich schweren Anwachsen verpflanzter Bäume und anderen
Mißerfolgen, die aber durchweg aus gärtnerischen Mißgriffen entstehen
und lediglich darauf zurückzuführen sind, daß man die natürliche
Eigenart des Nußbaumes sehr oft außer Acht läßt. Der Nußbaum darf
nur im Frühjahr umgepflanzt werden, die Wurzeln sind dabei zu kürzen
und zurückzuschneiden. Da der Nußbaum im Gegensatze zu seinem harten
Stammholze sehr weiche Wurzeln besitzt, kommt es sehr oft vor, daß
die noch nicht angewachsenen Wurzeln der im Herbst versetzten Bäume
während der Winterruhe verfaulen und absterben, wodurch der Baum stets
eingeht. Wenn irgend möglich, vermeide man das Verpflanzen überhaupt
und lege die Samennüsse gleich an die späteren Standorte der Nußbäume.
Der Nußbaum darf, im Gegensatz zu den meisten anderen Bäumen nur im
vollbelaubten Zustande, am besten im Frühjahre verschnitten werden; der
Rückschnitt im unbelaubten Zustande während der Winterruhe bringt ein
Kränkeln und völliges Absterben des Baumes mit sich. Bei Anpflanzung
von Alleen ist darauf zu achten, daß die Nußbäume mindestens fünfzehn
Meter voneinander entfernt zu stehen kommen. Um gesund zu bleiben, muß
sich der Baum nach allen Seiten frei entwickeln können.

    [1] Siehe Band X, Heft 4/6, Seite 95.



Praktischer Heimatschutz


In Alt-Trachau, dem ehemaligen alten Dorfplatz von Trachau, das
leider in seiner alten Ursprünglichkeit durch Einbauen moderner
Großstadthäuser bedeutend eingebüßt hat, kenne ich von Jugend her
ein kleines, immer sauber getünchtes Häuschen, das mich dadurch ganz
besonders interessierte, weil es neben seiner kleinen grüngestrichenen
Hoftür im alten Gemäuer einen alten Hausspruch barg, den nur wenige
kannten; ja, wie ich bei seiner Ausbesserung beziehungsweise
Sichtbarmachung erfuhr, nicht einmal alle die jetzigen Bewohner dieses
Hauses.

    ~KOM HER REIN DU GE
    SEGNERDER DES HERN
    WAS SEIEST DU DRAUSEN.~

[Illustration: =Alt-Trachau=

(Aufnahme _Julius Georg Perlik_, Dresden-Rochwitz)]

Diese alte Sandsteinplatte, welcher man bei Erbauung dieses Häuschens
oder schon früher, mit ungelenker Hand und primitiven Werkzeugen
diese alten Schriftzeichen eingraviert hat, lenkte eines Tages meine
Aufmerksamkeit auf sich, und ich hatte alle Mühe, diese alten, mit
Kalkfarbe verschmierten Buchstaben überhaupt zu entziffern. Seinerzeit
als es noch ein schöner, sinniger und volkstümlicher Brauch war,
solche Sprüche -- meist ernsten Inhalts -- über Türen, an Giebeln und
Torbogen, nicht nur anzubringen, sondern wo man noch Zeit fand sie
auch zu lesen und darüber nachzudenken, da waren diese Buchstaben wohl
noch scharf und leserlich. Doch bis dahin, als ich erstmalig darauf
aufmerksam wurde, war wohl der Faustpinsel des Scharwerksmaurers
verschiedene Male und in allen erdenklichen Farben darübergefahren. So
kam es, daß diese alten Schriftzeichen mit der Länge der Zeit fast eins
geworden waren mit dem übrigen Mauerwerk. Wind und Wetter und das Alter
haben das übrige getan.

Lange, lange Jahre vergingen und immer wieder sorgte der Besitzer
dafür, daß dieses alte Häuschen wieder schön wurde, mal weiß,
mal hellblau, mal rosa. Das Gebälk schön dunkel. Die Hoftür, das
Weinspalier, der Gartenzaun und die Fensterladen frisch blaugrün. Das
alte Ziegeldach aber bekam von Zeit zu Zeit durch einige neue Ziegel,
die sich hier und da notwendig machten, eine wunderhübsche Abwechslung.
Es war eben immer schön.

Der alte Spruch aber verschwand immer mehr. Dann wurde ich
Heimatschützler. In Nr. 3 der Heimatschutznachrichten läßt der
Heimatschutz seinen Mitgliedern wissen, daß Bilder von Hausinschriften
erwünscht seien. So ließ sich aber kein Bild machen. Bei dieser
Gelegenheit sollte dieser alte Hausspruch wieder zu Ehren kommen.

Sonntag, den 24. Juli dieses Jahres, frühzeitig, machten wir uns
ans Werk. Alles dazu Notwendige hatte ich bereits an Ort und Stelle
gebracht, auch die Genehmigung des Besitzers holte ich mir. Zement --
gestiftet von Kell & Löser -- war auch schon da. Kurz berichtet war die
Arbeit folgende:

Die Sandsteinplatte wurde von anhaftendem Mörtel und Putz gereinigt,
dann die als Rahmen gedachte, vorstehende und abgerundete Wulst oder
Kante aus einem Gemisch von Zement und Sand aufgetragen und verputzt;
die Mauer nach hinten um einige Zentimeter erhöht, um den darauf
liegenden Dachziegeln, die als Schutzdach und gleichzeitig, um das
Ganze zu heben, als Abschluß und zur Zierde dienen sollen, eine schräge
Lage zu geben.

Diese Arbeit nahm ungefähr sieben Stunden in Anspruch, fand
aber dadurch eine unerwünschte Unterbrechung, daß wir von einem
Wohlfahrtsbeamten wegen Entheiligung der Sonntagsruhe zur Anzeige
gebracht wurden. Ich ließ mich selbst zur Wache führen, und erwirkte
nach längerer Rücksprache mit dem Wohlfahrtsinspektor, daß wir doch
diese Arbeit zu Ende führen konnten. Darüber habe ich seinerzeit im
Heimatschutz persönlich Bericht erstattet.

Zum Schluß wurden die ausgebesserten Stellen dieser Mauer mit Weiße
überstrichen. Die Wulst aber bekam einen Anstrich in dunkel Ocker,
während die Innenfläche ganz hell Ocker gehalten wurde. So kam aber
die alte Schrift noch entschieden zu wenig zum Vorschein, wir sahen
aber vorläufig von einem Ausmalen der Buchstaben noch ab, da wir
befürchteten, daß das Historische dieses alten Spruches dadurch
einbüßen würde.

Soweit wieder hergestellt, nahm der Heimatschutz eine Besichtigung
unserer Arbeit vor, wobei ihm vor allem die sich zu schwach
hervorhebende und dadurch schwer leserliche Schrift auffiel. Er riet
uns deshalb, das Ausmalen der Schrift doch noch vorzunehmen. Diese
Arbeit wurde am 8. August ausgeführt. Mit Dunkelgrau ausgemalt wirkt
dieser Hausspruch wieder wie ehedem auf die Vorübergehenden und selbst
der Pastor von Trachau sprach gleich am nächsten Tage in diesem Hause
vor, und war sehr erfreut und doch beschämt, daß sich Leute gefunden
hatten, die diesen alten Spruch wieder zu Ehren brachten. Er selbst
gestand zu seiner Schande, wiewohl er über zehn Jahre hier im Amte sei,
wäre ihm dieser herrliche Spruch noch nicht aufgefallen. So mancher,
der hier hunderte Male vorbeiging, ohne ihn zu bemerken, macht jetzt
Halt vor diesem alten Spruch und sinnt. Der eine flüchtig, der andere
nachdenklich. Was mögen sie wohl alle denken? Warum hat man den alten
Spruch gerade jetzt wieder sichtbar gemacht?

[Illustration: =Alt-Trachau=

(Aufnahme _Julius Georg Perlik_, Dresden-Rochwitz)]

Die Bauersfrau gegenüber hat mir es erzählt, immerwährend ständen jetzt
Leute hier -- meist alte, aber auch junge -- und buchstabierten den
alten Spruch. --

Herr Perlik, der mich auch hier wieder in dankenswerter Weise
unterstützt hat, indem er mit besonderer Liebe und Sorgfalt den
größten Teil dieser Arbeiten nach meinen Angaben ausführte, fertigte
auch umstehende Aufnahmen an. Während mein Wanderfreund Burk
Handlangerdienste leistete, führte Herr Schilling die malerischen
Arbeiten aus. Die Skizze hierzu hatte Herr A. Wiehl nach der Natur
angefertigt und den zur Ausführung gebrachten Entwurf dabei mit
eingezeichnet. Ich übte das Amt eines Poliers aus.

So kann durch Mithelfen eines jeden manches wieder ans Tageslicht
gebracht und der Nachwelt erhalten werden. Es gibt in unseren schönen
Vororten und Dörfern noch viel Interessantes und Erhaltenswertes, aber
leider noch zu wenig Helfer.

            Richard Köhler.



In den Hütten meiner Heimat

    (aus »Bunte Gassen, helle Straßen«, ein Buch von Kinderland und
    Heimat von _Max Zeibig_, Bautzen. 2. Band der Heimatbücherei
    des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz[2])


Meine Heimat läuft vom Kamme duftblauer Berge waldreiche Hänge hinab
über einen Saum von blumigen Wiesen und fruchtschweren Feldern, eilt
an rauschenden Schornsteinen, klirrenden Werkstätten und sausenden
Webstühlen vorbei, zeigt stolz zwei alte, turmreiche Städte, davon eine
immer schöner und lieber als die andere, zieht hinaus in bauernsatte
Dörfer und wandert, wandert und kommt endlich ganz müde in die Heide,
in die grüne einsame Heide und ruht sich dort aus.

Und bin ich des Lebens und der Arbeit, des Hasses, Neides und Streites
müde, spricht mein Herz verlockend zu mir: Flieh’ auf! Deine Heimat
ruft, die Heide.

Da bin ich nun. In schimmerndem Kleide grüßen die Birken, die schlanken
Geliebten des Waldes. Die Fichten raunen und prahlen mit ihren jungen
Trieben; aber die Kiefern träumen und schweigen. Tiefverborgen liegt
ein Teich, da leuchten aus moosgrünen Binsen schneeweiße Rosen. Die
sind so heilig und so schön, wie ein Mädchen in seiner seligsten
Jugend. Hoch am Himmel ein beutesuchender Bussard, im Schilf Scharen
wilder Enten, im Wald das sorglose, flinkfüßige Reh, dazu tausend und
tausend blaue und braune brummige Käfer, Insekten mit lichtglänzendem
Flügelkleid, schönheittrunkene Schmetterlinge, von Heidekraut zu
Heidekraut überaus zarte, feinfädige Spinngewebe, darinnen der
morgenfrische Tau funkelt und leuchtet wie Millionen Brillanten, und
über allem ein ungemein feines und weiches Singen und Klingen und ein
Duft und eine Seligkeit, daß das Herz schreien möchte vor so viel
Schönheit.

Das ist die Ruhe, der Frieden meiner Heimat -- die Heide.

Heute bin ich in ihren Hütten gewesen.

Die Menschen wohnen in niedrigen, dumpfen Stuben. (Sie sind den lieben
langen Tag im Wald und auf dem spärlichen Feld! Was brauchen sie in den
Stuben frische Luft!)

Wie gemütlich so ein brauner, breiter Kachelofen ist! Das Doppelbett
hat einen frischen, buntblumigen Überzug. Auf dem Tisch stehen ein
paar blutrote Nelken, die brennen vor lauter Liebe. An den Wänden
hängen, gestickt, unter Glas und Rahmen, oder bloß auf Pappe gedruckt,
fromme, bescheidene Wandsprüche. Im Glasschrank feiern silbern- und
goldgeränderte Tassen, geblümelte Teller von Steingut und zierliche von
Glas, allerhand nichtige, kleine Figuren, verblichene, braungetönte
Photographien ein beschauliches Dasein. Von dem weißgestrichenen
Fensterbrett gucken steife Geranien und herzreiche Fuchsien neugierig
auf den rankenden Wein, der die kleinen Fenster wild umwuchert, wie
weit er mit seinen Trauben sei. Draußen im kleinen Gärtchen verblühen
späte Rosen in königlicher Pracht.

Zwei Alte kommen mir freundlich entgegen: »Schön Willkomm’«, sagen sie.
Wie lieb das klingt!

Ich muß immer auf sie sehen, auf die beiden Alten. Mein Gott, die
Hände, wie sind die hart und schwielig! Die haben im Leben was
gerackert und geschafft, und die müden, erloschenen Augen, die haben
manche Träne geweint ... »Wir haben einmal zwei Söhne gehabt,« erzählen
die beiden Alten, »echte, treue, starke Söhne der Heide. Da sind ihre
Bilder ... Sind alle beide gefallen. Für die Heide. Für die Heimat ...«

Die beiden halten sich an der zitternden Hand und sitzen ganz feierlich
auf ihrem zerbeulten Sofa. Gerade über ihnen hängt der Spruch: Befiehl
dem Herrn deine Wege, er wird’s wohl machen! ... Die beiden Alten sind
ganz ruhig, ganz still. Sie haben ein Lebenlang geschuftet und gesorgt.
Nun sind sie so zufrieden und so fromm ... Das fühlt man.

_Arme Leute!_ hier in der Heide ...

O du ruhlose, friedlose, du laute, du törichte Welt, wenn du wüßtest,
wie arm du bist ... und wie reich sie sind in den einsamen Hütten
meiner Heimat!

[Illustration]

    [2] Preis für Mitglieder (gebunden) M. 15,-- (sonst M. 18,--).
        Bestellkarte anbei.



Das Weberhaus in Hosterwitz

Von _Edgar Hahnewald_, Dresden


    Die Wohnungsnot zwingt dazu, jeden verfügbaren Raum nutzbar zu
    machen; dadurch werden aber in gewissen Fällen auch Stätten
    bedroht, deren unangetastete Erhaltung selbst in dieser Notlage
    geboten erscheint. Das ist auch beim Weberhaus in Hosterwitz
    der Fall, das bisher fast unbekannt und darum unberührt lag;
    besucht und bewundert von denen, die diese Stätte zu schätzen
    wußten, seine kulturelle und musikgeschichtliche Bedeutung
    kannten. Jetzt aber glauben die Wohnungsbehörden, die bisher
    Rücksicht übten, diesen stillen Winkel nicht länger schonen
    zu können. Wenn aber das Weberhaus für dauernd bewohnbar
    gemacht werden sollte, sind Eingriffe in die äußere und innere
    Gestaltung unumgänglich nötig, die den historischen Charakter
    des Hauses zerstören.

    Der Heimatschutz bemüht sich, im Verein mit dem um die
    Erhaltung der Kulturstätte verdienten Besitzer, Herrn Emil
    Krahmer, die drohende Gefahr abzuwenden.

    Es erscheint angebracht, auch weitere Kreise für diese
    Schaffensstätte des Freischütz-Komponisten Carl Maria von
    Weber zu interessieren, was durch die nachfolgende Schilderung
    geschehen soll.

            Die Schriftleitung.

An der Dresdner Straße in Hosterwitz, in beinahe unmittelbarer Nähe des
Pillnitzer Idylls, liegt Carl Maria von Webers Sommerhaus.

Hundert Jahre lang hat ein guter Stern über seiner Unversehrtheit
gewacht. Kaum daß es jemand wußte. Zwar Webers Möbel stehen nicht mehr
darin. Irgendwer hat später dem hinteren Fachwerkgiebel eine hölzerne
Veranda vorgebaut, die aber das Ganze nicht stört und die heute schon
wieder alt geworden und von der Zeit in die Stimmung des Winkels
einbezogen worden ist. Aber sonst ist es noch ganz und gar Webers
Haus geblieben -- man meint, die Blumen, die da blühen, habe schon
er gestreift, wenn er kam und seine Frau Caroline in der Laube ihm
entgegensah. Und die stillwachsenden Bäume haben das Häuschen nur noch
tiefer in friedevolles Grün gehüllt.

       *       *       *       *       *

Es ist eigentlich kaum ein Wunder, daß die hundert Jahre das Häuschen
nicht antasteten. Die nahe Stadt wuchs sich nach anderen Richtungen aus
und ließ diesen Winkel unberührt. Und daß sonst niemand ein Aufhebens
von diesem Eckchen machte, gereichte ihm zum Schutz vor absichtsvollen
Aufmerksamkeiten, die vielleicht gerade das zerstört hätten, was nun so
reizend daran ist: seine Unberührtheit.

Wir schätzen heute solches Erbe bewußter. Aber sofort zwingen uns
auch die schärfer zugreifenden Bedrohungen dazu, uns schützend vor
das ideelle Gut zu stellen, das uns gelassenere Zeiten hinterließen.
Denn während es bisher gut für das Häuschen war, daß es unbeachtet
blieb, müssen wir heute gerade umgekehrt aller Augen darauf hinlenken
und sagen: dieses kleine Haus ist ein Schatz, den ihr alle kennen und
schützen und erhalten helfen müßt!

       *       *       *       *       *

[Illustration: Abb. 1 =Hosterwitz, gemalt von Professor C. A. Günther
um 1820=

(Aus dem Dresdner Stadtmuseum)]

Als Weber, königlich sächsischer Kapellmeister und Musikdirektor der
eben erst geschaffenen deutschen Oper in Dresden, dieses Häuschen
fand, erfüllte sich ein längst gehegter Wunsch. Schon lange spähten
er und seine junge Frau nach einem »Sommernest« aus, das im Sinne der
damaligen Zeit anspruchslos sein, aber nicht zu weit ab von der Stadt
liegen sollte. Dieses kleine Haus, das dem Hosterwitzer Winzer Felsner
gehörte, entsprach allen Wünschen. Unverdrossen wanderte nun Weber
immer wieder von Dresden nach Hosterwitz und zurück, um das Ausmaß
irgend eines Raumes zu holen, das Caroline zum Plane der Einrichtung
brauchte. Und nachdem er sich so und so oft diesen Weg »entlang
komponiert« hatte, bezog das Paar glückstrahlend am 18. Juni 1818 das
erste Stockwerk des Häuschens, das ihm zum Sommerparadies wurde.

Wir fahren heute in fünfzig Minuten mit der Straßenbahn von Dresden
nach Hosterwitz. Damals kostete das einen strammen Fußmarsch. Und man
kann sich eine Vorstellung von dem festlichen Umstande machen, den
alljährlich die Übersiedlung in die Sommerresidenz verursachte, wenn
man der launigen Schilderung gedenkt, die Wilhelm von Kügelgen in
seinen Jugenderinnerungen eines alten Mannes von der Badereise seiner
Mutter von Dresden nach Lotzdorf bei Radeberg gibt: »Unser dottergelber
Reisewagen ward nun hochbepackt mit allem Nötigen, mit Koffern, Waschen
und darüber hingeschnallten Bettsäcken, vier Pferde wurden vorgelegt
und die ungeheure Maschine setzte sich in Bewegung.«

Auch Weber reiste mit einer solchen »Maschine«. Und später schaffte
er sich, um den häufig nötigen Fußmarsch zu ersparen, auch eine
Equipage an und versteifte sich darauf, selbst zu kutschieren, wobei er
freilich übel debütierte und nach der dritten Fahrt kleinlaut zu Fuß
in Hosterwitz ankam, während ein Bursche Tier und Wagen nachführte. Er
besaß aber später stets zwei Pferde, Reise- und Stadtwagen und eine
nach damaliger Sitte reich in Rot und Gold dekorierte Droschke. Und
es war eine seiner kleinen Eitelkeiten, daß man seine Equipage zu den
elegantesten der Stadt zählte.

       *       *       *       *       *

Hosterwitz lag damals wirklich weit ab von der Stadt, und die Reise
dahin war schon ein Ereignis in einer Zeit, in der das Linckesche
Bad an der Elbe und Findlaters Weinberg hinter der heutigen Saloppe
die Ausflugsziele der Dresdner waren. Das hübsche Aquarell Professor
Günthers aus dem Jahre 1820 im Dresdner Stadtmuseum gibt eine
deutliche Vorstellung davon, wie ländlich und abgeschieden das
kleine Dorf am Fuße der Rebenberge lag. August Schumanns Staats-,
Post- und Zeitungs-Lexikon berichtet in dem 1817 erschienenen Bande,
daß Hosterwitz nur 21 Häuser und 113 Einwohner zählt, und fügt im
Ergänzungsbande von 1830 hinzu: »Hosterwitz liegt in und vor dem
Keppgrunde, unstreitig in einer der reizendsten Gegenden Sachsens,
welche wir selbst jenen von Pillnitz und Loschwitz noch vorziehen
möchten, da hier die ansehnlichen Berge fast jeder Art von Bekleidung,
nicht das Einerlei der ununterbrochenen Weinpflanzungen zeigen; auch
haben die hiesigen und poyritzer Wiesen einen auffallend üppigen
Charakter.«

       *       *       *       *       *

In dieser friedlichen Landschaft lag nun Webers Sommerparadies, in
dem er Ruhe, Erholung von den ewigen Kämpfen mit seinen Dresdner
Widersachern und erfrischende Anregungen zum Schaffen fand.

Die Ströme, die aus dieser Umgebung in seine Arbeit hinüberfließen,
pulsen immer. Die Kantate, der er den Titel »Natur und Liebe« gab,
spiegelt ja geradezu im Duett »Holde, zaubrisch-schöne Hügel«
die Lieblichkeit des Elbtales musikalisch wieder. Die anmutige
»Aufforderung zum Tanz«, die schönsten Partien des Freischütz, der
Euryanthe, des Oberon und viele kleinere, nicht minder köstliche Werke
entstanden auf den Spaziergängen um Hosterwitz und sind in diesem
kleinen Hause niedergeschrieben worden.

Alle seine Schöpfungen kristallisierten sich so: eine musikalische Idee
blitzte auf wie ein Stern in der Nacht, tagelang reifte sie sich aus
bis zur letzten Note, und im Geiste gestaltet existierte sie längst,
ehe noch eine einzige Note auf dem Papier stand. Oft überraschte er
seine Freunde mit dem Vorspiel einer Komposition, die nur in seinem
Kopfe, dort aber unverlöschbar fixiert war -- in seinen Notizen findet
sich wiederholt lange vor der Niederschrift eines Musikstückes die
Bemerkung, daß er dies oder jenes »fertig gedacht« habe.

Kleinigkeiten wurden zu Anlässen seiner Schöpfungen. Ein Klarinettist
seiner Kapelle begleitete ihn einst auf einem Spaziergange nach dem
Linckeschen Bad. Weber schritt stumm vor sich hin. Es regnete. In der
Gartenwirtschaft hatten die Kellner Tische und Stühle, meist mit den
Beinen nach oben, in Gruppen zusammengesetzt. Beim Anblick dieser in
Reihen und Intervallen starrenden Tisch- und Stuhlbeine blieb Weber
plötzlich stehen, lehnte sich rückwärts auf seinen Stock und rief:
»Sehen Sie, Roth, sieht das nicht aus wie ein großer Siegesmarsch?
Donnerwetter, was sind das für Trompetenstöße!« -- abends notierte er
den fertig gedachten Marsch, der später im Oberon erklang.

Während eines schläfrigen Nachmittagsgottesdienstes in der Pillnitzer
Kapelle hörte er das unerträglich falsche Intonieren einiger alter
Weiber bei den Responsorien einer Litanei -- aus diesem Eindruck
entstand der Lachchor der Bauern im ersten Freischützakt.

Auf einer Fahrt nach Hosterwitz an einem Nebelmorgen wankte der Wagen
durch das graue, gespenstige Gewoge -- in dieser Stimmung schuf,
»dachte« er die Wolfsschluchtmusik.

       *       *       *       *       *

Als schöpferische Offenbarungen strömten ihm auf diesen Gängen rund um
Hosterwitz die Ideen zu. Und in diesem Häuschen schrieb er sie nieder.
In jenem kleinen Zimmer, in das die sommerlichen Baumkuppeln der
Pillnitzer Maillebahn und die in wogenden Linien ziehenden blauen Hügel
hereinblicken, arbeitete er. In lauen Sommernächten saß er an diesem
Fenster und schrieb in fehlerlosen Partituren von den Flötenstimmen
bis zum Baß vollständig mit allen Zeichen, Pausen, Pianos, Fortes in
perliger Notenschrift, wie in Kupfer gestochen nieder, was in seinem
Kopfe »fertig gedacht« und unvertilgbar stand. Und sein Sohn Max, sein
treuer Biograph, läßt uns die frohe Feier dieser Arbeitsstunden ahnen:
»Kein Piano wurde dabei angeschlagen, das volle Orchester, von guten
Geistern gespielt, klang ja von selbst in seinen Ohren, während er
seine zierlichen Musikschriftzeichen malte.«

Manchmal, vom Glück des Schaffens durchströmt, von jenem göttlichen
Fieber erregt, das noch über das vollendete Werk hinaus nach Ausbruch
drängt, trat er, nachdem er einen Nachmittag lang gearbeitet hatte,
dann aus dem kühlen Hause hinaus in den Garten. Düfte strömten und die
Sonne leuchtete über allem. Er schritt über den knirschenden Sand der
Laube zu, in der seine Gattin nähte und stickte, warf die lange, graue
Arbeitsjacke von sich, reckte die Arme und rief: »Möcht’ doch den Kerl
sehen, der glücklicher ist als ich!« Und dieser Schöpfer und Kämpfer,
der kein Duckmäuser und kein sentimentaler Träumer war, der Wein und
volle Tische liebte, der mit adligen Kammerherren und bäurischen
Hüfnern in der Keppgrundschänke Kegel schob und der dem Leben seine
Kraft verschwendend hinwarf, fügte solchen Glücksausbrüchen still hinzu
»Gott behüts« und lüftete sein schwarzes Käppchen.

       *       *       *       *       *

Hosterwitz schenkte ihm schöpferische Kräfte -- Hosterwitz schenkte ihm
Ruhe nach der unerhörten Anspannung im Winter in der Stadt.

In diesem bescheidenen Hause verlebte er eine Reihe glücklicher Sommer
und er war froh und heiter im Genusse der einfachen Freuden, die das
ländliche Idyll bot. Er streifte mit Carolinen durch Täler und Wälder,
tafelte mit Freunden in der wasserumrauschten Keppmühle Landbrot und
Ziegenkäse, spielte stundenlang mit seinem Jungen, seinem Hunde, seiner
Katze, seinem Kapuzineräffchen, lag im Grase, ließ sich die Sonne auf
den Rücken scheinen und streckte, wie er seinem Freunde Lichtenstein
einmal schrieb, vergnügt »alle Viere von sich«. Er mühte sich ab, aus
Bindfaden und Gurten ein Geschirr für den Hund zu bauen, der Sohn,
Katze und Affen spazieren fahren mußte. Und er war glücklich, wenn
alles um ihn her jachterte und purzelte.

Immer stand das kleine gastfreie Haus für Freunde offen. Und Weber
war stolz, wenn für die Gäste, die nur »ländliche Milch und süße
Früchte« erhofften, aus der Küche Carolinens wie durch ein Wunder
Eis, Moselwein, Champagner und allerhand treffliche Labe, nach
eines Freundes Ausdruck »in sächsischer und österreichischer Weise
kulinarisch gedichtet,« hervorquoll und sich auf Tisch und Rasen ergoß.

Ludwig Tieck war oft unter diesen Freunden. Und lange Zeit kam auch
Jean Paul aus seinem Dresdner »Lenzhäuschen« nach Hosterwitz gewandert.
Er kam, wie Webers Biograph ihn schildert: dick, immer ein wenig
unsauber, stets von einem schnaubenden Pudel begleitet, ein alter Herr,
der mit einer etwas geschraubten Jugendlichkeit kokettierte und der so
gar nicht mit seinen poetischen Schöpfungen harmonierte.

       *       *       *       *       *

[Illustration: Abb. 2 =Das Weberhaus, an der Straße die beiden
prächtigen Nußbäume=]

[Illustration: Abb. 3 =Der einzigartige Blumengarten des Weberhauses=]

»Oh Hosterwitz, oh Ruhe! Ruhe!« Das schrieb Weber einmal in einem
Briefe. Aber Ruhe nannte er es auch damals noch: die Euryanthe
schreiben; Ruhe nannte er: in vierundzwanzig Tagen drei Singspiele und
eine Oper einstudieren, zu jeder Probe drei Meilen zurücklegen und
außerdem in hundert Tagen noch achtunddreißigmal Dienst in Kirche und
Theater tun.

»In dieser Zeit,« schreibt sein Sohn, »sahen Caroline und der damals
auch in Hosterwitz wohnende (Freund und Schüler) Benedikt oft schon
früh vor sechs Uhr, wenn sie in die Laube im Garten traten, wo
gewöhnlich das gemeinschaftliche Frühstück eingenommen wurde, am
offenen Fenster seines Arbeitszimmers das bleiche Haupt des Meisters
über das Notenpapier gebeugt, oder ihn vom kurzen Morgenspaziergange
heimkehren. An allen Tagen, die ihm sein Dienst frei ließ, arbeitete er
sechs bis acht Stunden unablässig an der Oper und gönnte der gepreßten
Brust nur selten, bei langsamen Wanderungen am Elbufer oder durch ein
Waldtal die Erquickung tiefer Atemzüge balsamischer Luft. Mehr als
einmal rief er, aus dem heißen Arbeitszimmer in den Garten tretend und
die Arme ausdehnend aus: ›Ich wollte, ich wär ein Schuster und hätte
meinen Sonntag und wüßte nicht Gix noch Gax von ~C~-Dur und ~C~-Moll!‹«

Unablässige Arbeit schwächte seine ohnehin kränkelnde Brust. »Ich huste
und faulenze,« antwortete er ingrimmig den Freunden, die nach seinem
Ergehen fragten. Die Symptome der Müdigkeit häuften sich, seine Kräfte,
flackrig geworden, verzehrten sich in tätiger Hast.

Ein Jahr darauf, 1823, fühlte er sich zu matt für den der Entfernung
wegen beschwerlichen Aufenthalt in Hosterwitz, der ihm -- ein
tragischer Widerspruch -- gerade damals so not tat. Und doch rang er
sich in dieser Zeit den Oberon ab! »Dieses Leben und musikalische
Licht und diese tongewordene Heiterkeit und Frische schrieb ein
kranker, gebeugter und verdrossener Mann, den trockner Husten Tag
und Nacht quälte, der, in Pelze gehüllt, die geschwollenen Füße in
Sammetstiefeln, am Schreibtische saß und im stark geheizten Zimmer
fror.«

In diesen letzten Schöpferstunden umgeisterten ihn schon Todesgedanken.
Sie trieben ihn in Sorgen um das Wohl seiner Familie. Um für sie zu
sorgen, bestand er auf der verhängnisvollen Londoner Reise. »Ich
erwerbe in England ein gut Stück Geld, das bin ich meiner Familie
schuldig,« sagte er zu einem Freunde, »aber ich weiß sehr gut -- ich
gehe nach London, um da zu sterben -- still, ich weiß es.«

       *       *       *       *       *

Am 7. Februar 1826 trat er die Reise an. In Pelze gehüllt stieg
er in den Reisewagen. Und während er in den dunklen Wintermorgen
hinausrollte, sank seine Frau in ihrem Zimmer zusammen und schluchzte
ahnungsvoll: »Ich habe seinen Sarg zuschlagen hören!«

Dreiundfünfzig Briefe flatterten noch nach Hosterwitz. Und dem
grünumbuschten Frieden des stillen Häuschens galt seine Sehnsucht aus
der Ferne: »Ich habe wohl schon genug -- vielleicht -- in Dresden gewiß
schon zu viel getan und will mich in Hosterwitz recht strecken und
pflegen.«

Er kam nicht wieder.

[Illustration: Abb. 4 =Ausblick aus Webers Arbeitszimmer in den Garten
und nach der Elbe=]

Am 5. Juni 1826, acht Wochen nach der Uraufführung des Oberon in
London, schloß der vierzigjährige Schöpfer die Augen. Und als er
in London schon aufgebahrt lag, ließ eine Freundin, Charlotte von
Hanmann, ihren Wagen am Dorfeingange halten und brachte der Frau in
Hosterwitz die Todesbotschaft, über der die Verlassene mit einem Schrei
zusammenbrach.

       *       *       *       *       *

Ein Jahrhundert ist seitdem durch den friedsamen Garten, durch die
kleinen Räume des schlichten Hauses gegangen.

Der Zauber einer holden Verschollenheit liegt darüber gebreitet. Ich
sah das Idyll im seligen Glast eines Hochsommertages um die Stunde,
da Pan schläft -- vor den Fenstern des treuen Bewahrers, des alten
Krahmer, standen Kornpuppen mit einer Krone schwergebogener Halme. Und
ich sah es wieder im milden Riesellichte der Septembersonne -- über
Haus und Garten spann sich ein scheidender Abglanz der Glückstage,
deren sich Haus, Garten, Laube heimlich zu entsinnen scheinen.

       *       *       *       *       *

Dem Kommenden guckt das Häuschen mit gemütlichen Fenstern entgegen --
es blinzt gleichsam vertraulich und wartend durch den Zaun, der das
benachbarte Feld einhegt.

Dann aber wehrt eine alte Steinmauer die Neugier ab -- es ist ein
Winkel für Vertraute. Zwei alte Nußbäume überschatten locker belaubt
das grüne Holztor zwischen den Torsäulen mit den Steinkugeln obendrauf.

Der Grundriß des Hauses hat die Gestalt eines längs zur Straße gelegten
lateinischen ~T~. Das ergibt drei Giebel, von denen einer der Straße,
der andere der hinter Dorf und Bäumen verborgenen Elbe zugekehrt ist,
während der dritte in den blühenden Garten blickt. Um diesen Giebel
knirschte Carolinens Schritt, wenn sie kam, den Heimkehrenden zu
empfangen, der ihr durch das Gitter des grünen Tores entgegenlachte.

Innen ist der alten Mauer, dem Tor zur Seite, ein schmaler, steinerner
Sitz eingefügt. Er sieht einer Konsole ähnlicher als einer Bank. Eine
Clematisranke zieht einen Bogen darüber. Diese hübsche Kleinigkeit
mutet an wie eine zierliche Titelvignette.

Rundum blüht es. Ein bunter Fries von Astern und Balsaminen umzieht den
Sockel des Hauses. Vor dem blaugrauen Giebel blühen hochstämmige Rosen,
Oleander, Astern, Geranien im Buchsbaumrondell. Sogar um die alte Pumpe
in ihrem Holzgehäuse mit spitzem, rotem Dach, die zu Webers Zeiten auch
schon dastand, blüht ein Kranz bunter Topfblumen: Geranien, fleißiges
Lieschen, blaßblaue, hängende Glockenblumen.

Dahinter, in dichtes Grün gehüllt, versteckt sich die Laube, in der
Caroline mit ihrer Näharbeit saß, wenn er oben am Freischütz schrieb.
Der Efeu hat die Laube dicht umwuchert. Über das hohe, spitze Dach
wächst er noch hinaus und krönt den Laubengiebel mit einem üppigen
Blätterschopf. Drinnen -- drei Steinstufen führen hinein -- ist es
kühl. Die weiße Decke ruht auf kornblumenblauen Wänden. Weißes,
bäuerlich gemütliches Gestühl steht drin. Durch die zwei Fenster
der Rückwand blickt man aus der blauen Kühle hinaus in durchsonntes
Gartengrün.

Und draußen im Licht, im Sonnenschein, von den Efeugardinen der Laube
umrahmt, liegt das Haus, hell, heiter und glücklich.

[Illustration: Abb. 5 =Großes Eckzimmer im Obergeschoß=]

Wein rankt an Spalieren an den Wänden herauf. Blaue Winden blühen
zwischen den Reben. Diese Blumentrichter, in deren zartweiße
Tiefe violette Saftmale hinabführen, wirken zwischen den
flachgeschichteten, silbern überreiften Weinblättern köstlich. Sie
erinnern an Becherschalen von hauchdünnem Porzellan. Und die
grünen Fensterläden mit den schräggestellten Jalousiebrettchen, die
vor den weißgestrichenen Fenstern in das silbergrüne Weingerank
zurückgeschlagen sind, vollenden den sommerlich heiteren Eindruck,
den das Ganze macht. Es sieht aus, als lupfe das Haus lauter kleine
grüne Flügel und schicke sich an, vor Vergnügen am eignen Dasein mal
ein bißchen über den Garten hinzufliegen. Und das ziegelbewimperte
Fensterauge im altersbraunen Dach zwinkert: ja, los -- mal übern Garten
hin!

[Illustration: Abb. 6 =Treppenflur des ersten Obergeschosses=]

       *       *       *       *       *

Der Garten. Er ist gar nicht groß und scheint doch unabsehbar, weil
Buschwerk und Hecken seine Grenzen verhüllen, weil man über die Bäume
hin und zwischendurch in benachbarte Obstbaumwiesen und Gärtenwildnis
guckt und weil die gradlinigen Wege das Gartenstück so geschickt
aufteilen, daß sich ein Eindruck von Größe ergibt.

Da durchschneidet ein Weinlaubengang von der Haustür aus den Garten
der Breite nach. Sonnenlicht rieselt hindurch und mustert den sauber
geharkten Weg mit einem Schattengitter. Der Gang ist kaum zehn Schritte
lang. Hinten schließt eine lockere, wandartig verschnittene Buchenhecke
den Durchblick ab, sonniger Rasen schimmert hindurch -- der Gang
scheint in eine grüne Wirrnis zu führen, die gar kein Ende nimmt.

Man tritt aus dem Gang heraus und steht vor einer anderen Laube, die
mit ihren gelben Wänden ganz sonnig wirkt. Wilder Wein streckt wippende
Ranken herein -- eben hissen seine Blätter die köstlichen Likörfarben
des Herbstes.

Vor der Laube beschattet eine stattliche Linde einen kleinen Platz.
Eine weiße Bank steht darunter. Und nahe dabei, im schützenden
Hauswinkel, trägt ein Feigenstrauch sogar Früchte -- Weinstock und
Feigenstrauch: es ist eine beinahe biblische Symbolik häuslichen Glücks.

In einem anderen Winkel des Gartens macht der Weg eine kleine kokette
Biegung -- man steht vor einem Gitterpförtchen in der Mauer, tief
unter einer hohen, fächerleicht entfalteten Akazie und hinter dichtem
Gesträuch heimlich verborgen. Draußen läuft ein schmales Gäßchen
zwischen Gemäuern vorbei -- und das wieder ist ganz das Szenarium einer
Liebesgeschichte.

Und man guckt in den Garten zurück.

Was da alles auf kleinstem Raum wächst, blüht, reift! Obstbäume stehen
im Rasen. Dahinter die Weinlaube. Und rundum blüht es: goldgelbe
Röderblumen und fleischigrote Begonien, Astern und Phlox, Nelken und
Balsaminen. Es ist eine Fülle.

       *       *       *       *       *

Und über all das hinweg, in das Blühen und Wachsen hinein guckt mit
allen Fenstern das Haus.

Man betritt den kühlen, anheimelnden Flur -- dabei kann man der Lockung
nicht widerstehen und zupft beim Eintreten mal an dem Klingelzug,
worauf der Flur von altväterischem Gebimmel widerhallt.

[Illustration: Abb. 7 =Die Weberlaube=

    »Diese Laube alt und klein,
    Soll allen Zeiten befohlen sein,
    Weil hier ein heiliger Quell’ entsprang
    Freischütz, der Ewigkeitsgesang.«

            _Ernst von Wildenbruch_
]

Unten wohnt der biedere alte Krahmer, der Eigentümer dieses
Schatzkästchens -- er wohnt sozusagen in seinem Augapfel, denn wie
einen solchen hütet er das Haus. Und nächst ihm verdanken wir den
sorgsam und pietätvoll gepflegten Zustand des Ganzen dem Maler Heinrich
Hübner, der hier seit Jahren allsommerlich bis tief in den Herbst --
dann wird dieses Sommerhäuschen alt und feucht und unwirtlich -- sein
steinernes Berlin vergißt und künstlerisch von diesem Haus und diesem
Garten und der Landschaft ringsum lebt. Er hat Vieles hinzugetragen,
was -- ich möchte sagen: seelisch zu der vorhandenen Einrichtung der
Räume wenn auch nicht aus Webers Besitz, so doch aus der Weber-Zeit
stimmt.

       *       *       *       *       *

Webers Zimmer liegen oben im ersten Stockwerk. Eine gewundene
Steintreppe führt hinauf.

Im Giebelzimmer, in das von drei Seiten Garten, Bäume und Berge
hereingrüßen, wohnte das gastfreie Ehepaar.

Der Raum mit dem behäbigen, runden Tisch, den behaglichen
Polsterstühlen und den edel schlichten Kirschbaummöbeln macht den
Eindruck, als würde Caroline jeden Augenblick wieder eintreten und mit
der Stimme der beliebten Bühnensängerin von einst sagen: Weber kommt --
ich bitte die Herren um ein Weilchen Geduld.

Aber nur seine Totenmaske blickt drüben im kleinen Arbeitszimmer dem
Besucher entgegen. Sie ist kostbarer Familienbesitz und war nur da,
weil der Maler Hübner das geistvoll feine Antlitz zeichnete. Alle
Weberbildnisse aus der Lebzeit des Meisters erblinden vor diesem
Abdruck des eben Verstummten -- der letzte Hauch des entschwundenen
Lebens durchdrang -- so scheint es -- die formende Masse und belebte
sie. Er gab ihr den aus seelischen Tiefen kommenden Blick der Pupillen,
der die schon geschlossenen Lider noch ein letztes Mal durchdringt, der
im Wissen um das Letzte noch einmal ins Leben zurückblickt. Und gab
der feingeformten Nase ein letztes nervöses Atmen, ein Veratmen. Und
ein letztes, unausgesprochenes Sprechen dem energisch und doch mild
geschwungenen Munde.

Ich neigte die Maske ein wenig nach vorn -- um diesen Mund erschien
ein feines, heimliches Lächeln, ein verstehender, stummer Spott aus
dem Schattenreiche der Toten, die um die Irrtümer der Lebenden wissen
und deren Eifer belächeln -- das Beste, das Letzte haben sie immer mit
hinübergenommen.

Das Antlitz lächelte voller Geheimnisse. Und durch das offene Fenster,
aus dem blühenden Garten, weiter her, von den fernen Duftbergen im
Abendlicht, aus dem Endlosen des perlmutterfarbenen Himmels drang
lautlos, verhallend, riesengroß vom Himmel niederflüsternd, aus
Freischützklängen geisterhaft ins Unendliche verklingend:

    Schau der Herr mich an als König!
    Dünkt Ihm meine Macht zu wenig?
    Gleich zieh Er den Hut, Mosje ...

Und darüber hin, schattenhaft groß, als lautloser Zwieklang der
Lachgesang:

    Hehehehehehehehehehe!
    Hehehehehehehehehehe!

Im Weinlaub raschelte leises Frösteln.

       *       *       *       *       *

Um mich stand still und schlicht das Zimmer, in dem der Tote dort den
Freischütz und die Euryanthe und den Oberon geschrieben hat.

Ich trat ans Fenster, an dem er saß, an sommerlichen Tagen, in bleichen
Nächten, über das Notenpapier gebeugt.

Unten, zum Greifen nahe, blühte der Garten im Herbstlicht, im
Abendschimmer. Heiterkeit flog vogelgleich drüberhin -- drüberhin.

Und es schien mir gut so, daß dieser lächelnde Garten den Schrei nicht
gehört hat, mit dem Caroline die Todesbotschaft empfing -- die Frau,
die schon Witwe war, ehe sie es wußte, eilte ahnungsvoll hinaus auf die
Straße, der Botin entgegen, als sie das Rollen des Wagens vernahm und
ihn an ungewohnter Stelle halten sah. Dort brach sie zusammen und dort
zerschnitt der Schrei die Luft.

Der Garten lächelte in friedlicher Glücksruhe fort.

       *       *       *       *       *

Vom Fenster her sah ich hinüber nach dem Antlitz des Toten, dessen
Arbeitsstätte dieses kleine Zimmer war.

Der Zwieklang des Notengelächters in der Luft war verstummt. Und auf
den mageren Wangen dieses Gesichts lag ein verzitterndes Mitfühlen
des Schmerzes, den er zurückließ, und der für eine geliebte Frau der
Abschied von den Heiterkeiten des Lebens war, die einmal diese Räume,
diesen Garten durchklungen und deren milder Widerschein allsommerlich
in den unschuldigen Blumen des Gartens erblüht.



Wissenschaft und Vogelschutz


Auf meine wenigen Zeilen über »Vogelschutz von seiten eines
Forschers«[3] sendet Herr Schriftsteller R. Zimmermann an den
Herausgeber der Mitteilungen eine Erwiderung, die ich insofern begrüße,
als sie mir Gelegenheit gibt, auf die Frage etwas näher einzugehen.
Zunächst lasse ich Herrn Zimmermann das Wort; er schreibt:

    »_Vogelschutz von seiten eines Forschers!_« Unter diesem
    Stichwort übt im letzten Heft der Heimatschutz-Mitteilungen
    Herr B. Hffm. eine scharfe Kritik an einer Arbeit des Ungarn
    Csiki »Positive Daten über die Nahrung unserer Vögel« in der
    »Aquila«, der Zeitschrift des Ungarischen Ornithologischen
    Instituts. Bei aller Hochachtung und Verehrung, die ich für
    den Verfasser der Kritik, mit dem ich mich ja sonst eines
    Herzens und eines Sinnes weiß, empfinde[4], kann ich um des
    Ansehens einer wissenschaftlichen Anstalt wegen, der gerade
    auch die deutsche vogelkundliche Forschung reiche Anregungen,
    der deutsche Forscher aber durch uneigennützigste Überweisung
    wertvoller Veröffentlichungen u. v. a. m. nicht hoch genug
    einzuschätzende Unterstützungen verdanken, und die vor allem
    jederzeit auch zielbewußt für einen ganz entschiedenen Vogel-
    und Naturschutz eingetreten ist und gerade auf diesem Gebiete
    viel mustergültiges und vorbildliches geleistet hat -- wer
    wohl hat es schon einmal bei uns versucht, die Bedingungen
    festzustellen, unter denen man die so nützlichen Fledermäuse
    neu ansiedeln und vermehren kann? -- nicht unwidersprochen
    lassen. Ich bin mehrfach Gast des Ungarischen Ornithologischen
    Instituts gewesen, 1911 bereits, als Otto Hermann noch ihr
    Leiter war -- ich habe selten einen Menschen kennen gelernt,
    der eine so große Hochachtung einflößte, wie diese prächtige,
    im Wesen jugendfrische Greisengestalt! -- und später wieder
    während des Krieges, als mich in feldgrüner Schützenuniform
    der Weg einigemal über Budapest führte. Und ich zähle heute
    die Stunden, die ich in anregendstem Gedankenaustausch gerade
    auch über Vogelschutzfragen mit ihren Mitgliedern verleben
    konnte, zu meinen schönsten ornithologischen Erinnerungen, und
    bin dabei überzeugt, daß keiner der Herren, mit denen ich dort
    zusammengetroffen bin, jemals die Hand zu Maßnahmen bieten
    würde, die den Forschungen des Vogelschutzes zuwiderlaufen
    würden. -- Die Elster ist in Ungarn ein ganz gemeiner Vogel
    und stellenweise viel häufiger, als es bei uns manchenorts
    die Krähen sind, sie tritt auch wohl überall stark schädigend
    auf -- in Hermannstadt konnte ich mich 1911 wiederholt
    selbst davon überzeugen, wie stark sie oft die Bruten der
    Kleinvögel zu zehnten vermag --, und eine Beschränkung ihres
    Bestandes gehört daher vielerorts zu den unbedingt gebotenen
    Lebensnotwendigkeiten. Ist es nun aber ein Fehler, wenn
    dann die abgeschossenen Vögel -- und bei den Untersuchungen
    Csikis handelt es sich wohl ausschließlich nur um solche
    des Schadens wegen, nicht aber der Untersuchung halber
    abgeschossener Vögel, die dann, wie noch so manche andere,
    dem Institut regelmäßig zur Untersuchung eingeliefert werden
    -- nicht einfach draußen im Felde wertlos verludern läßt,
    sondern sie noch wissenschaftlichen Feststellungen dienstbar
    macht? Magenuntersuchungen liefern nicht nur wertvolles
    Material für die wirtschaftliche Bewertung einer Vogelart --
    hätten wir jemals mit der Kraft und, das darf man wohl sagen,
    auch mit dem Erfolg für Mäusebussard und Turmfalk eintreten
    können, wenn nicht mehrere tausend Magenuntersuchungen dieser
    Vögel, die ohne diese Untersuchungen auch abgeschossen
    worden wären, uns ein so laut redendes Material beigebracht
    hätten, das allein erst die weitesten Kreise und die Behörden
    von dem großen Nutzen dieser beiden Tagraubvögel zwingend
    überzeugte? --, sondern sie ermöglichen uns auch noch so viele
    andere Einblicke in das Leben eines Tieres und bringen selbst
    sogar überaus wertvolles faunistisches Material (Nachweis
    einer ausgedehnteren Verbreitung der Nordischen Wühlratte
    in Deutschland) bei, daß man nur bedauern kann, daß nur der
    kleinste Bruchteil geschossener oder sonst tot aufgefundener
    Vögel derartigen Untersuchungen zugeführt wird.

            Rud. Zimmermann.

Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß in der
vorstehenden Erwiderung die rein persönlichen Beziehungen eine etwas
zu starke Rolle spielen. Ich habe den Wert und die Bedeutung der
Magenuntersuchungen ja selbst hervorgehoben und ebenso die Bemühungen
der Ungarn um den Vogelschutz anerkannt; ich weiß ferner aus eigner
Beobachtung, daß die Elster in Ungarn häufiger ist als bei uns.
Doch kann ich auch heute meine Bedenken nicht unterdrücken, daß die
351 Elstern nicht bloß ihres Schadens wegen, sondern auch um der
Untersuchungen willen abgeschossen worden sind. Die meisten dürften
doch wohl aus der näheren oder ferneren Umgebung des Instituts stammen,
und da ist die Zahl 351 doch schon gewaltig hoch. Aber ich will der
Kürze halber zugeben, daß in dem vorliegenden Falle die Tatsachen
etwas gegen meine Auffassung sprechen. Ich habe den Fall nur an die
Öffentlichkeit gebracht, weil es der mir zuletzt bekanntgewordene
war und weil ich die Frage einmal anschneiden wollte, die viel
wichtiger ist, als aus meinen kurzen Zeilen hervorgeht. Ich nehme,
um dies darzulegen, bezug auf die Bemerkung Zimmermanns betr. des
Mäusebussards. Auch hierzu muß ich ein großes Fragezeichen setzen,
sofern es mir höchst unwahrscheinlich vorkommt, daß die allein von
Röhrig untersuchten 1210 (!) Mäusebussarde »ohne diese Untersuchungen
auch abgeschossen worden wären.« Daneben hat Röhrig noch bei 376 (!)
Rauchfußbussarden den Mageninhalt festgestellt, während ein paar Jahre
darauf Greschik wiederum 125 Rauchfußbussard-Magen lediglich des
Inhalts wegen vorgenommen hat. Bedenkt man, daß gleiche Untersuchungen,
wenn schon in viel geringerem Maße, noch von anderen Seiten ausgeführt
worden sind, so ist klar, daß sie mit zu starken Eingriffen in den
Bestand unsrer Raubvögel verbunden gewesen ist.

Ich bemerke ferner, daß z. B. Vollhofer allein fast 500 und Pawlas
sogar 600 Magen von Wasseramseln untersucht hat! Aber selbst wenn auch
in diesen Fällen Herr Zimmermann mit seiner von mir oben erwähnten
Bemerkung wenigstens teilweise recht hätte, so kann ich dieses
Zugeständnis doch keinesfalls betreffs der übrigen Singvögel machen.
Man wird sehr staunen, wenn man erfährt, daß Severin seinerzeit 3000
(!) Magen von insektenfressenden Singvögeln untersucht hat. So ziemlich
um dieselbe Zeit machte Cziki gleiche Beobachtungen an wahrscheinlich
ebenfalls sehr umfassendem Material, darunter z. B. Zaunkönig,
Gartenrotschwänzchen, Grasmücken usw., und wenige Jahre später
untersucht Rey 1075 (!) Magen von kerbtierfressenden Vögeln! Erwägt
man hierbei, daß es sich immer um freilebende, nicht aber um in der
Gefangenschaft gestorbene Vögel handeln kann und daß es außerordentlich
schwer hält, einmal einen einzigen aus natürlichen Ursachen verendeten
Vogel, noch dazu einen kleinen Singvogel, draußen in der Natur
aufzufinden, so wird man zugeben, daß der durch die Magenuntersuchungen
unter der Vogelwelt angerichtete Schaden größer sein dürfte als der
Nutzen, den sie uns und den überlebenden Artgenossen gebracht haben.

Jedenfalls muß ich hiernach meine starken und ernsten Bedenken
gegen eine _allzu umfangreiche_ Magenuntersuchung unsrer Vögel
aufrechthalten, und zwar um so mehr, als sich auch in andrer Beziehung
ein gewisser Gegensatz zwischen Wissenschaft und Vogelschutz immer
mehr zu entwickeln scheint. Er kommt dadurch zustande, daß jetzt den
Faunisten bzw. Systematikern sehr daran liegt, von den einzelnen
Arten bzw. Unterarten ganze Serien von Exemplaren zu erlangen, um
dadurch etwaige Schwankungen und deren Grenzen, örtliche Abweichungen,
Übergangsformen der einen in die andre Art usw. festzustellen. Daß das
besonders für weniger häufige Arten recht bedenkliche Folgen haben
kann, leuchtet ohne weiteres ein.

Man muß sich hiernach wohl gefallen lassen -- und Herr Zimmermann wird
mir da sicher zustimmen --, wenn einmal von unbefangener Seite auf
die Schattenseiten der Dinge aus wohlberechtigten Sorgen ernstlich
hingewiesen und im Anschluß daran die Forderung gestellt wird, daß nach
den angeführten Richtungen hin möglichst Maß gehalten werde!

            Prof. ~Dr.~ Bernh. Hoffmann.

    [3] Mitteilungen Heft 4/6, Bd. X, Seite 131

    [4] Es beruht dies ganz auf Gegenseitigkeit (Anm. von B. Hffm.)



Kursächsische Streifzüge


Ein Ereignis hat sich für den Heimatfreund in diesen Tagen in
aller Stille vollzogen: Der seit langem vergriffen gewesene dritte
Band der Kursächsischen Streifzüge von Oberstudienrat ~Dr.~ _Otto
Eduard Schmidt_: »Aus der alten Mark Meißen« liegt in erweiterter
zweiter Auflage vor. Die durch sechs Kapitel über die Oberlausitz
vermehrte Neuauflage des zweiten Bandes (»Wanderungen in der Ober-
und Nieder-Lausitz«) ist unter der Presse und wird voraussichtlich
noch vor dem Weihnachtsfeste erscheinen. Der fünfte und letzte Band
»Aus dem Erzgebirge« ist im Manuskript fertiggestellt und wird im
Laufe des Jahres 1922 herauskommen. Was uns dieses Werk ist, muß es
noch ausgesprochen werden? Ziehen mit diesen Büchern in der Tasche
nicht schon seit Jahren unsere Jünglinge in den Heimatgauen umher,
freuen sich nicht an dem herrlichen Werke die Alten und atmen nicht
unsere Männer auf des Lebens Höhe, wenn sie es gelesen haben, auf,
wie befreit von einem Druck, der heimlich auf ihnen gelegen? Ich darf
es wohl aussprechen, gerade das Geschlecht unserer Männer von vierzig
und fünfzig Jahren hat den größten Gewinn aus dem Werke gezogen. Denn
wie standen wir Gymnasiasten der achtziger und neunziger Jahre der
Geschichte unseres obersächsischen Stammes gegenüber? In der Zeit
des höchsten völkischen Aufschwungs der deutschen Nation, glückselig
die Früchte des siebziger Krieges schauend, glühend stolz auf unser
Heer und unsere stark heranwachsende Flotte, bewundernd aufschauend
zu dem großen preußischen Führerstaat, mieden wir beinahe verlegen
ein näheres Eingehen auf die Geschichte unserer Heimat. Wohl waren
wir stolz darauf, daß die Heimat es war, die in nächster Beziehung
zur Reformation und ihren Vorkämpfern gestanden, wohl freuten wir uns
der Taten des Wettiners Moritz, des Erstürmers der Ehrenberger Klause
und Meisterers hispanischer Verschlagenheit, aber was dann kam, daran
dachten wir nicht gern. Die zage Unentschlossenheit der sächsischen
Politik im Dreißigjährigen Kriege, die Zeit Augusts des Starken, des
Grafen Brühl und, o Schmach, die Tage der napoleonischen Aera, sie
drückten auf unser Gemüt. Immer und überall Sachsen im Unrecht, auf
Irrwegen zumindest. Und auf unserer Seele brannten die Worte aus dem
Briefe, den der alte Blücher nach der Lütticher Revolte in loderndem
Zorn an den König Friedrich August geschrieben: »Ew. Königl. Majestät
haben einen geachteten deutschen Völkerstamm in das tiefste Unglück
gestürzt. Es kann dahin kommen, daß er allgemein mit Schande bedeckt
wird.« Hatte doch einer der Edelsten des obersächsischen Stammes,
Heinrich von Treitschke, in Grimm und Zorn aus verzweifelnder Liebe
zur Heimat heraus ein geradezu verdammendes Urteil gefunden über die
Politik der sächsischen Fürsten und ihrer Ratgeber. An das »~audiatur
et altera pars~« dachten wir gar nicht.

Da, Jahrzehnte später auf einmal eine Stimme, die Stimme auch eines
sächsischen Gelehrten: »Es muß einmal offen ausgesprochen werden, daß
Heinrich von Treitschke, einer der begabtesten und edelsten Söhne
des sächsischen Stammes, diesem durch die pessimistische Auffassung
seiner Geschichte in den Augen der übrigen Deutschen, besonders aber
der preußischen Nachbarn, furchtbar geschadet hat.« Ein freundlicher
Zufall hatte mich gerade dies Kapitel der Kursächsischen Streifzüge,
denn in ihnen erscholl das mutige Wort, zuerst aufschlagen lassen, und
nun ließ mich das Buch nicht mehr los. Ich las und las, und immer war
mir’s, als müßte ich im Geiste die Hand des Mannes drücken, der unser
Geschlecht so tapfer darauf hinwies, daß es sich nicht zu schämen
brauche auf seinem Posten im Kranze der deutschen Stämme. Frei und
froh ward mir zumute; ich hab’ fortan die falsche Scham abgelegt, die
mich faßte, dachte ich an die Tage von 1813, da der alternde König zur
Verzweiflung der Mehrzahl der gebildeten Sachsen ins Joch Bonapartes
zurückgezwungen ward. Ich weiß heute mit ruhigem Stolz, daß auch
mein Heimatland zur großen allgemeinen Sache der Befreiung das Seine
beitrug -- mehr vielleicht, als andere deutsche Stämme und ohne den
Siegerlorbeer um die Stirne. Ich weiß, daß Sachsen im Jahre 1813 für
ganz Deutschland, ja für Europa Schlachtfeld, Lazarett und Kirchhof
war, und daß unter den sächsischen Edelleuten und gebildeten Bürgern
zum überwiegenden Teil ein ebenso kerndeutsches Wesen beheimatet war
als im ruhmgekrönten Lande der Erhebung. -- So ist Otto Eduard Schmidt
ein Wohltäter geworden nun auch für unsere Jugend, die heute wohl
überall im Lande einen anderen Geschichtsvortrag hören wird, als er zu
unserer Zeit üblich war. Heimatschutz -- wir wissen es alle, welche
Fülle von Aufgaben in diesem Wort sich zusammendrängt. Die edelste Art
des Heimatschutzes hat der Verfasser dieser fünf bedeutenden Bände
geübt: den Schutz der Heimat vor Verkennung und Verleumdung.

Nicht allen Menschen ist der Sinn für die Weltgeschichte verliehen,
aber Anregung edelster Art findet jeder seelisch Erwärmte in den
Streifzügen noch auf vielen anderen Gebieten. Da zieht sich wie ein
goldner Faden durch das Werk die Geschichte der Baukunst unserer
Heimat! Vor unserem Auge tauchen sie auf, die großen alten Baumeister
der Renaissance, dieses gewaltigen Höhepunkts vaterländischer Kultur,
die Hieronymus Lotter, Hans Irmischer, Konrad Krebs. Mit der Sicherheit
des erfahrenen Kunstgelehrten führt uns O. E. Schmidt durch den
Burgpallas aus dem Mittelalter, durch die Ratsstuben der Zeit Vater
Augusts, durch die behäbigen Bürgerbauten des achtzehnten Jahrhunderts.
Aber auch das bescheidene Bauernhaus im Spreewald, der vordem ja altes
kursächsisches Gebiet war, ist unserem Führer noch beachtlich, und
so lehrt er dich umherblicken im Lande, lehrt er dich werten, was
dir geblieben und danach trachten, es zu erhalten und zu schützen an
deinem Teil. Mit Fug und Recht kann das Werk von sich sagen, daß es die
Heimatbewegung erwecken half.

Ja, zur Landschaftsbetrachtung regt der Verfasser an, wie nicht gleich
ein zweiter. Unlöslich ist sie ja bei ihm mit der Versenkung in die
Vergangenheit verbunden, doch auch den naiven Wandersmann macht er auf
so vieles aufmerksam, was diesem sonst wohl entgehen würde. Ein großes
Verdienst O. E. Schmidts ist es meines Erachtens, daß er gleich im
ersten Kapitel es unternommen hat, einmal auf die stillen Reize des
unteren sächsischen Elblaufs hinzuweisen; auf den hohen Genuß, den
eine Dampferfahrt durch die Gefilde unterhalb Riesas bereitet, wo der
Storch noch zieht über den Heimatboden und wo die Windmühlenflügel sich
versonnen regen über der fast holländisch anmutenden Niederung. Den
Höhepunkt landschaftlichen Erlebens aber genießen wir mit ihm, folgen
wir ihm in die spätwinterliche Muldenaue unterhalb Wurzen, in den Tagen
der Schneeschmelze, da der Fluß breit und schwer wie der Mississippi
sich dahinwälzt. Aller Erdennot vergessend blicken wir mit ihm in die
zauberhafte Stimmung der Sonnenrüste über der ungeheuren Landschaft.
Da wird unser Führer zum Dichter, der hingerissen uns hinweist auf die
Herrlichkeit, die uns die Heimatflur bietet, und wir folgen dankbar
und willig diesem hohen Geist, diesem Lehrer im reichsten begnadetsten
Sinne!

Aber zur Landschaft gehört untrennbar der Mensch! Der Mensch, der
ihr die Spuren seines Daseins einprägt, der sich von ihr nährt, der
sie schützt, und der sie im Überschwang der Liebe verherrlicht durch
seine Kunst. Da kommen sie herangezogen über den heimischen Boden, die
blonden Ostlandfahrer aus Vlamland mit dem Wanderlied auf den Lippen:
»Naer Oostland willen wy ryden.« Da rasseln sie vorüber in wilder
Flucht vor dem germanischen Heerbann, die polnischen Reiterscharen, die
den Gau Glomaci kahl gefressen wie ein Heuschreckenschwarm -- vorüber
ziehen Mönch und Klostermann. Und dann, hell auf einmal vor dem dunklen
Hintergrund die Persönlichkeit! Wiprecht von Groitzsch, Heinrich der
Erlauchte, Friedrich der Streitbare, Moritz und Kurfürst August.
Vorbei zieht an uns die Erbarmannschaft des Landes, die ritterlichen
Schleinitz, das ehrenfeste Geschlecht der Löser auf Pretzsch und
in neuerer Zeit die herrlichen Männer um Dietrich von Miltitz. Es
nahen die Männer des Geistes, die Dichter voran. Von Walther von
der Vogelweide, der im Jahre 1212 ja auch einmal im meißnischen
Herrendienst gestanden, über den schalkhaften Ritter Friedrich von
Schönberg, den Autor des Schildbürgerbuchs, zum frommen Sänger Paulus
Gerhardt, in dessen Heimatstädtlein Gräfenhainichen uns eine herrliche
Kleinstadtschilderung führt. Vom jungen Goethe in Leipzig, von den
Romantikern auf Schloß Siebeneichen über den strohtrockenen und doch
heimatgeschichtlich beachtenswerten Ferdinand Stolle aus Grimma zum
hochgemuten ritterlichen Sänger aus unseren Tagen, dem Freiherrn von
Münchhausen auf Wendischleuba.

Einsam und mit Sehnsucht im Herzen nach dem glückseligen Welschland
wandelt Albrecht Dürer durch Wittenberg, allwo er in der Schloßkirche
seine Kunst ausübt; durch dasselbe Wittenberg, in dem nicht lange
danach der blonde Lucas Maler von Cronach in Franken heimisch werden
wird voll schaffensfrohen, sicheren Behagens; dasselbe Städtlein am
Heimatstrom, das im hellen Lichtschein bald erstrahlen wird, der
ausgeht von Persönlichkeit und Haus des sächsischen Bergmannssohnes
Martin Luther. O, wie wert macht uns das köstlich unschätzbare Buch O.
E. Schmidts unsre Heimat! Welcher Strom des Dankes muß diesem Manne
entgegenschwellen aus tausenden von Herzen!

Nur ein paar Worte noch über die jetzt erschienene zweite Auflage des
dritten Teils. -- Der Verfasser hat diesen Abschnitt seines Werkes
zu neuer Höhe zu führen gewußt. So viel unerwartetes Wertvolles ist
in dem neuen Buche enthalten, daß auch dem Kenner der ersten Ausgabe
das Studium dringend empfohlen werden kann. Ein hoher Genuß ist es
zu lesen, was O. E. Schmidt hier über die neuen Domtürme von Meißen
zu sagen hat, und aufzumerken, wie er an unserm innern Auge die
Vertreter der neuen Meißner Kunst, den herrlichen Oskar Zwintscher, den
kraftvollen Sascha Schneider vorüberführt. Aber auch daß er im Kapitel
von der Lommatzscher Pflege des sorgenvollen kleinen Rucksackträgers
nicht vergißt, der im Hungerjahr 1917 und später noch lange in dem
gesegneten Eckchen von Hoftür zu Hoftür zieht, bis er für viele gute
Worte und für viel Geld endlich etwas bekommt, das er daheim dann
glückstrahlend den Seinigen auf den Tisch schütten kann, wollen wir
dem Verfasser danken. Denn auch das ist Geschichte geworden; unsere
Enkel werden es einst nachdenklich lesen. -- Wie eine frohe Botschaft
aber von doch einmal kommenden bessern Zeiten hört es sich an, was ganz
zuletzt gesagt ist vom immer wieder lebendig werdenden Geist beseelter
Romantik, der selbst im Jahre 1920 sich schwingt um Giebel und Zinne
von Schloß Siebeneichen.

In jedes gebildeten Stammesgenossen Bücherei sollte dieses Werk stehen.
Jeder Vater sollte es anschaffen schon im Hinblick auf die geistige
Entwicklung seiner Kinder; jede Schule, aber auch jede Volksbibliothek
sollte es ihr eigen nennen! Nicht jedem deutschen Stamme wird ein solch
bedeutendes Geschenk geboten werden aus dem Kreise seiner Söhne -- möge
der obersächsische es dem Verfasser danken durch freudige Aufnahme
seines Werkes. --

            Gerhard Platz.



Erzgebirgische Christ- und Mettenspiele

Ein Versuch zur Rettung alten Volksgutes

Von _Max Wenzel_, Chemnitz


Ein gut Teil Poesie im erzgebirgischen Volksleben ist mit dem
Weihnachtsfest verknüpft. Ja, man kann wohl sagen, daß in keiner Gegend
unseres deutschen Vaterlandes Weihnachten so inbrünstig gefeiert wird
wie im Erzgebirge, und auch der berühmte Zahn der Zeit hat sich hier
machtlos erwiesen. Schon die Adventszeit ist weihnachtlichen Zaubers
voll. Da blasen vom Kirchturm Musikanten das »Feldgeschrei« in die
dunkle Winternacht hinaus, und im warmen Stübchen regen sich fleißige
Hände, um all die Wunderwerke der Krippen und Pyramiden herzustellen,
die einer erzgebirgischen Stube die rechte Weihnachtsweihe geben. Fast
könnte man von einer Überfülle sprechen. Man will alle Möglichkeiten
ausnützen, seine Festfreude zu zeigen. Der »Winkel« der Stube bevölkert
sich mit allerhand buntem Schnitzwerk, das die lieblichste biblische
Erzählung figürlich darstellt. Daneben dreht sich auf der Kommode
eine gar prächtige Pyramide, und von der Decke herab grüßt das bunte
Perlen- oder Holzrankenwerk eines Leuchters oder einer Spinne. Auf dem
Schrank stehen gravitätisch Engel und Bergleute mit Lichtern auf dem
steifen Arm und auch ein Räucherkerzchenmann blickt von irgendwo auf
den köstlichen Zierat. Und -- um auch der modernen Zeit eine Verbeugung
zu machen -- fehlt zu alledem auch der Christbaum nicht, dessen Fuß
in einem kleinen Christgärtchen wurzelt. Farbe und Licht überall!
Eine Erinnerung an die alte Bergherrlichkeit. Kam der Bergmann aus
dem dunklen Schoß der Erde, begrüßte er das Licht als Befreier von
dunkler Sorge und ängstlichem Druck. So wollte ihm auch in dunkler
Winternacht das Licht von oben als ein symbolisches Zeichen des Lebens
erscheinen. Lichter stellt man in die Fenster, daß sie weit in die
Nacht hinausstrahlen; oder man besteckt die Fensterrahmen mit kleinen
Öllämpchen. Wer einmal an einem der drei heiligen Abende oder an den
Festtagen selbst im Schlitten von Annaberg über Buchholz, Sehma,
Cranzahl nach Oberwiesenthal gefahren ist, wird den Märchenzauber nie
vergessen.

Es handelt sich hier um durchaus gegenwärtige, lebende Dinge,
nicht etwa um Erinnerungen an eine alte freundliche Zeit. Auch der
Erzgebirgler in der Fremde hält an seinem Weihnachten fest und schmückt
seine Wohnung gern mit solch heimatlichem Gerät. Als wir vor einigen
Jahren in Chemnitz eine Ausstellung volkstümlicher Weihnachtskunst
veranstalteten, waren wir erstaunt über die Menge von Krippen und
Pyramiden, die uns allein aus Chemnitz angeboten wurden. Ein bekannter
Drechslermeister hielt sogar die einzelnen Pyramidenteile fertig auf
Lager.

Süße Lieder und innige Verse preisen das traute, hochheilige Paar noch
heute. Und an allerlei volkstümlichen Gebräuchen, dem Schuhwerfen,
Bleigießen, dem Rupprecht usw. hält der Erzgebirger mit Zähigkeit fest;
wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß solch’ alte Sitten mehr und
mehr den Anstrich eines gesellschaftlichen Spaßes erhalten haben.

In einzelnen Orten gibt es auch noch »Metten«. Da ziehen Erwachsene und
Kinder mit hellen Laternen durch die dunkle Winternacht zur Kirche, und
Lied und Wort sind mehr wie sonst volkstümlichem Empfinden angepaßt.
Hier haben wir die letzten Reste einer einst im ganzen Gebirge
verbreiteten Gepflogenheit, nämlich die heilige Geschichte dramatisch
darzustellen, die Sitte der Christ- und Mettenspiele.

Es ist hier nicht der Ort, Ursprung und Verwandtschaft mit ähnlichen
Erscheinungen in anderen Teilen Deutschlands festzustellen, nur
soviel sei gesagt, daß diese Spiele einst einen wesentlichen Teil
der erzgebirgischen Weihnachtsgebräuche ausmachten. Wie kommt es
nun, daß sie sich nicht erhalten haben, sind sie so wertlos? -- Wir
kommen hier auf die befremdliche Tatsache, daß sie behördlicherseits
verboten wurden, daß man die Teilnehmer an solchem Tun, wie 1805 in
Thalheim geschehen, sogar ins Gefängnis setzte. Es soll hier nicht
untersucht werden, inwieweit diese Strafen berechtigt waren, oder
ob eine volksfremde Regierung und Geistlichkeit etwas Harmloses als
Profanierung des Heiligen ansahen und es zu unterdrücken suchten. Denn
überrascht ist man etwas, wenn man sich in dieses Volksgut versenkt.
Wunderliche, bunte Klänge umgeben uns, guter, echter Volksliederton.
Allerdings an die Stelle mystischer Feierlichkeit tritt häufig ein
wohltuender Humor. Die ganze heilige Geschichte ist eine heimische
Angelegenheit geworden. Der Joseph ist ein alter Bekannter, er spricht
sogar in der heimischen Mundart; und die Hirtengeschichte hat sich
gleich draußen vor dem Dorfe am Bergwald zugetragen. Erklingt einmal
ein biblischer Ton, so mutet er fast fremd an, es ist, als wenn sich
in das lustige Geplapper der Kinder eingelernte Bibelsprüche und
Gesangbuchverse mischen. Der deutsche Volkshumor verbindet gern einen
gutmütigen Spott mit den Gefühlen der Achtung und Ehrfurcht; siehe
Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Fritz Reuter usw. Ganz und gar liegt
es dem Volke fern, die heiligen Leute zu verhöhnen, im Gegenteil, nur
mit Personen, die seinem Herzen nahe stehen, die es mit Liebe und
Wohlwollen betrachtet, erlaubt sich das Volk solch köstlichen Spott.

Und es gelang nicht, das alte Volksgut _gänzlich_ auszurotten. Bis in
die sechziger Jahre hinein hielten sie sich in vielen Orten, trotz
aller Verbote. Voller Sehnsucht dachten die Alten an die Zeit zurück,
wo sie selbst an den Spielen beteiligt gewesen. Noch 1861 fand der
Gymnasialoberlehrer Gustav Mosen in Zwickau ansehnliche Reste der
Spiele vor, die er in ein köstliches Büchlein sammelte und herausgab.
Gewitzigte Unternehmer retteten die Spiele fürs Puppentheater. Wie beim
Volkslied, so erhielten sich auch hier und da Reste von Versen im Munde
des Volkes, oft unbewußt, woher die Reimlein stammten.

Und was gab man dem Volke für einen Ersatz? -- Zuerst überschwemmte
eine Flut von allerlei »Weihnachtsstücken« den Markt. »Dramatische
Gemälde«, Weihnachtsszenen: »Landwehrmanns Weihnachten«, »Weihnachten
in der Kaserne«, »Der Weihnachtsengel im Elendhause«, -- süßlich,
sentimental, unecht, unwahr, Kitsch über Kitsch! Eine von den Behörden
sanktionierte Geschmacksverderbnis übelster Art!

Von verschiedenen Seiten, auch in den Kreisen der Geistlichen, sah
man das wohl ein, und man knüpfte an die alten Christspiele an, indem
man eine Anzahl sogenannter »Weihnachtsstücke« schuf, »Der Stern
von Bethlehem« und andere mehr. Wirkliche Bedeutung kommt wohl von
allen diesen Stücken nur dem von dem verdienten ~Dr.~ Alfred Müller
bearbeiteten Mosenschen Weihnachtsspiel zu, in dem auch eigentlich
volkstümliche Elemente nicht fehlen.

Durch Haaß-Berkows Wiederbelebung eines alten Weihnachtsspieles
wurde ich ermutigt, unsere noch vorhandenen Spiele auf ihre
Aufführungsmöglichkeit hin zu untersuchen, und ich kam zu dem Ergebnis,
daß hier etwas Gutes vor dem völligen Untergang zu retten sei. Die
Spiele sollten aber _echt_ sein. Darum sah ich von einer sogenannten
Bearbeitung mit Um- und Neudichtung ab. Ich reihte nur die Reste
aneinander. Das Wiesaer Spiel enthält z. B. das volle Bescherungsspiel
und die Herbergsszene. Beides wurde unverkürzt aufgenommen. Das
Hirtenspiel entnahm ich dem Thalheimer Spiel, das Krippenspiel der
Neudorfer Engelschar. Das Königsspiel war das Löwenhainer usw.

Die Aneinanderreihung ist durchaus berechtigt, denn die Spiele sind
einander durchaus ähnlich, nur durch die mündliche Weitergabe verändert
und angepaßt -- zerspielt. Die einzelnen Szenen sind durch alte
Mettenlieder verbunden, wie wir sie in örtlichen Aufzeichnungen, in
Bernhard Schneiders Liederheften, Mosens Weihnachtsspiel usw. finden.
Es kam die Frage des Aufführungsortes. Die alten Spieler zogen im
Orte umher, die größten Stuben wurden zum Schauplatz. Aus dem ganzen
Hause, aus den Nachbarhäusern kamen die Neugierigen gelaufen, um die
»Engelschar« zu bewundern. In die einzelnen Wohnungen zu gehen, würde
sich jetzt aus verschiedenen Gründen verbieten; da nimmt man eben eine
recht große Stube des Ortes, ein Schulzimmer, die Turnhalle, einen
Saal. Hier kommen die Ortsbewohner zusammen, aber nicht wie zu einem
Theaterabend, -- sie sollen die Spiele durchaus miterleben.

Die Chemnitzer Volkshochschule, die allen Bestrebungen des
Heimatschutzes und der Volkskunde das erfreulichste Verständnis
entgegenbringt, nahm sich im vergangenen Jahre der Sache an -- und mit
wirklichem Erfolg, denn wir mußten unser Spiel zwanzigmal wiederholen!

Wie verläuft so ein Abend?

Orgel- oder Harmoniumklang stimmt die Hörer ein. Dann klingt von
draußen das alte Schneeberger Mettenlied »Auf, Tochter Zion, schmücke
dich« zum Saale herein. Auf der Bühne, die nebenbei bemerkt, nur mit
dunklen Stoffen ausgeschlagen ist, erscheint ein Hirte als Bote:

    »Einen schönen guten Abend, den geb euch Gott!
    Ich bin ein ausgesandter Bot;
    ich zeig euch an zu dieser Frist,
    daß jetzt wird kommen der heilige Christ!«

Zwei Engel werden auf der Bühne sichtbar, sie bereiten die Hörer vor.
Dann kommt unter den Klängen eines böhmischen Weihnachtsliedels, von
Lauten und Geigen gespielt, durch den Saal die Engelschar gezogen.
Der heilige Christ, St. Martin, St. Nikolaus in weißen Kleidern, mit
hohen Goldkronen auf dem Haupte, das heilige Paar, Knecht Rupprecht
usw. Sie ziehen auf die Bühne und es beginnt das Bescherungsspiel. Nun
wechseln sich die bunten Szenen ab, von denen das Verkündigungsspiel
und das Krippenspiel wohl am eindringlichsten wirken. Beim Krippenspiel
wird alles Bühnenlicht weggenommen. Die ganze Szene ist nur durch
eine Stallaterne beleuchtet, die vor der Krippe auf dem Boden steht.
Dieser einfache Regiekniff hat ungeahnte Wirkung. Nach kurzer Pause
eröffnen das Thalheimer und Löwenhainer Spiel den zweiten Teil, nachdem
die »Königschar« durch den Saal eingezogen ist. Wie sehr die Hörer
in Chemnitz dabei waren, merkte man daraus, daß sie in den Pausen
verschiedene Male unaufgefordert Weihnachtslieder anstimmten.

Von der Großstadt aus sollen die Spiele wieder in ihre Heimat
zurückkehren. Schon in diesem Jahre werden sie in vielen Orten sich
einzubürgern versuchen. Nicht um ein wissenschaftliches Werk zu
schreiben, nur um praktisch Heimatschutz zu treiben, veröffentlichte
ich das gesamte Material in Buchform unter dem Titel »Erzgebirgische
Christ- und Mettenspiele. Ein Versuch zur Rettung alten Volksgutes«.
Mit der Zusammenstellung am Schlusse des Buches, die auch einzeln im
Verlag H. Thümmler in Chemnitz erschienen ist, will ich nur ein Vorbild
aufstellen, »wie man es machen soll«. Gedacht ist es so, daß jeder
Ort, der noch Reste eines Spieles besitzt, diese in den Mittelpunkt
stellt und die übrigen Teile nach Belieben aus dem vorhandenen Material
ergänzt. So soll jeder Ort »sein Spiel« gewinnen.

Aus den vielen Zuschriften, die wir erhielten, ersahen wir mit Freuden,
wie man in allen Teilen unseres Gebirges den Gedanken aufgegriffen
hat. Wenn uns auf diesem Wege die Wiederbelebung dieses Stückes alter
Volkskunst gelingen sollte, würden wir herzlich zufrieden sein.

    _Anmerkung der Schriftleitung_: In _H. Thümmlers_ Verlag,
    Chemnitz, ist erschienen: _Wenzel_, Erzgebirgische Christ- und
    Mettenspiele, ein Versuch zur Rettung alten Volksgutes, 182
    Seiten, gebunden einschließlich aller Zuschläge M. 14,40.



Die Liebe zum Baume

Von _Georg Marschner_, Dresden


In unserem so dicht besiedelten Sachsenlande läßt die alles
umgestaltende, rastlose menschliche Tätigkeit dem freien Walten
ungezügelter Naturkräfte nur noch wenig Raum. Deshalb sind die
anmutigen Bilder, welche sowohl im Niederlande als auch im Gebirge
das Herz mit beglückender Heimatfreude füllen, zum weitaus größten
Teile Werke fleißiger, kultivierender Arbeit unseres Volkes. Die
einzelnen, das Landschaftsbild zusammenfügenden Elemente sind überall
die gleichen. Dörfer und Städte, Straßen und Wege, Felder, Wiesen
und Wälder, Teiche, Bach- und Flußläufe und vieles andere ergeben in
unerschöpflich wechselvoller Gruppierung alle die reizvollen Bilder,
die uns das Heimatland so liebenswert machen.

Wohl kann ein hoher Berg, ein tiefes Tal, ein großer See oder ein
breiter Fluß einer begrenzten Gegend ein besonderes Gepräge geben,
bestimmend aber wirkt auf den Charakter einer jeden Landschaft ihr
Bestand an Bäumen. Sie sind es, die im Verein mit den Tages- und
Jahreszeiten alle Stimmungs- und Empfindungswerte auslösen.

Ob sie, dicht aneinandergedrängt, als Wald die weiten Feld- und
Wiesenfluren der Niederung ruhig umsäumen, im Gebirge das Schönheit
suchende Auge über ihr wogendes Wipfelmeer hinauslocken in blau
verdämmernde Fernen und uns erfüllen mit unstillbarer Wandersehnsucht,
oder ob sie, aufgelöst in Gruppen und Reihen, das Dörflein liebevoll in
ihren weichen Mantel betten und im stillen Wiesengrunde, gleich einer
grünen Schlange, dem Bache das Geleite geben, immer und überall tritt
die belebende und Schönheit gebende Kraft des Baumbestandes uns vor
Augen.

Ganz besonders aber werden wir uns der hohen Schönheitswerte des
Baumes bewußt, wenn ein im hohen Alter seinen Artcharakter ausgeprägt
zur Schau tragender Einzelbaum die Landschaft beherrscht und zum
Wahrzeichen einer weiten Gegend wird.

Und welch einen poesiedurchtränkten Zauber verleihen machtvolle
Baumwipfel der bäuerlichen Siedlung. Ein Dorfkirchlein, umrauscht
von einer alten Linde, ein Bauernhof, über dessen bemoostes Dach
ein uralter Baum, wie ein treuer Hüter und Wächter, schirmend seine
grüne Hülle breitet, sind mir immer der Inbegriff herzerfrischender
ländlicher Schönheit gewesen. Und auch dann noch, wenn die Herbst- und
Winterstürme seine Kraft gebrochen, wenn er tiefer und hohler rauscht
und zur lebenszähen Ruine ward, wird jeder fühlende Mensch in Ehrfurcht
vor ihm stehen und ahnungsvoll die Vergänglichkeit alles Irdischen
erkennen.

Uralt ist die Liebe zum Baume in unserem Volke. Ein köstlicher Schatz
von Erinnerungen an gute und böse Zeiten, ein unverwelklicher Kranz
von Sagen und Märchen windet sich um jeden alten Baum, der wie ein
mahnendes Symbol in den ruhelosen Zeitenstrom unserer Tage hineinragt.
Viel könnte ich erzählen von manchen alten, in einem arbeitsreichen
Leben krumm gewordenen Bauersmann und der Liebe zu seinem Baum. Oft
habe ich im Schatten solcher Bäume gesessen und der Geschichte des
Dorfes und Tales gelauscht. Manch biedrer Alte ist mir da zum lieben
Freunde geworden. Hier im Banne alter Bäume wurde es mir zur Gewißheit,
daß ihr hoher Wert sich nicht erschöpft in staunenden, bewundernden
Betrachten. Ihr tiefer Einfluß spiegelt sich wieder in Herz und Gemüt
eines jeden, dem eine alte Hauslinde das Wiegenlied gesungen. Er wird
mir sagen, alte Bäume haben eine Seele.

Er wird’s verstehen, ihr fröhliches Rauschen an den hohen Tagen seines
Lebens, und nur er wird aus dem leisen Raunen das heimliche Schluchzen
heraushören, wenn einer vom Hofe hinausgetragen wird zur ewigen Ruhe.

Aber ich könnte auch berichten von manchem stolzen Baume, den
Generationen seiner früheren Besitzer, als zur Familie gehörig, hegten
und pflegten und der dann nur zu bald dem neuen Besitzer im Wege stand
und als Feuerholz ein schnelles, unrühmliches Ende fand.

Wo ein altersgrauer Baum heute noch sein grünes Blätterdach zum
Himmelsdome reckt, da sollte er jedem Menschen als ehrwürdiges
Vermächtnis seiner Väter heilig sein. Unantastbar als Denkmal der uns
alle nährenden Mutter Natur, unverletzlich als lebendes Ehrenmal seines
Besitzers. So sollte es sein -- aber die Erfahrung lehrt’s oft anders.

Bei der Hast des Alltags, in den Sorgen der Gegenwart schwingt die uns
aus Urväterzeiten vererbte Liebe zum Baume nur noch leise. In manchen
Herzen ist sie ganz verklungen. Für viele hat der Baum keine Seele
mehr. Er ist Handelsware geworden, Erzeuger hochwertigen Holzes. Ohne
Not und ohne bleibende Werte zu hinterlassen, ist mancher knorrige
Recke und stumme Zeuge vieler Menschenschicksale auf den Holzmarkt
gewandert.

Aber sie muß wieder lebendig werden, die Liebe zum Baum. Ein jeder
Bauernhof muß wieder seinen Baum haben. Darum wähle jeder, der die
eigne Scholle bebaut, je nach Vermögen einen oder mehrere der ältesten
und schönsten Bäume aus seinem Besitzstande, ganz gleich welcher Art,
und weihe sie, als herrliche Zierde seiner Heimatflur. Das stille
Gelöbnis aber, daß sie in treuer Hut wurzeln sollen im heimischen
Grunde, bis unsere, nach ehernen, unerforschlichen Gesetzen bauende
Allmutter Natur ihre Werke selber zerstört, wird seinen Namen laut und
sichtbar künden auch den kommenden Geschlechtern.

Und wer keinen geeigneten Baum sein eigen nennt, der pflanze einen
solchen. Ist’s nicht am Hause, dann am Feld- und Wiesenrande, oder
an einem Grenzmale. Ist er auch jung an Jahren, er wächst heran im
Laufe der Zeiten und knüpft enger und fester das unsichtbare Band,
welches verbindet mit dem Heimatboden, auf dem wir geboren und der uns
aufnehmen wird zum letzten Schlummer, dem Vergessen entgegen.

Nicht einer, der jetzt mit Recht bewunderten Baumriesen dankt sein
hohes Alter dem Zufalle oder ist bisher übersehen worden, sondern
ihre Erhaltung sicherte ein Name, eine bedeutsame Erinnerung oder ihr
Standort als Grenz- und Markbäume. Vor allen aber wurden sie alt im
Schutze der innigen Beziehungen zu ihren Besitzern.

Der Bestand an alten Bäumen ist ein Maßstab für die Geistes- und
Herzenskultur eines Volkes. Deshalb sorge jeder, der auf heimischen
Grunde die Früchte harter Arbeit ernten darf, daß unser Sachsenland nie
arm werde an alten Bäumen.

Nur dann bleibt uns die Heimat ein Jungbrunnen, aus dem Glück und
Zufriedenheit ins Herz sich ergießen, die reich machen in aller
Lebensnot.



Bücherbesprechung


=Die Oberlausitzer Heimat.= -- Verlagsanstalt Görlitzer Nachr. u. Anz.,
Görlitz. Preis M. 5,--.

Der Kalender hat bereits seinen Ruf, darum nimmt man den diesjährigen
stattlichen Band gleich froh und erwartungsvoll zur Hand. --
Landschaftsbilder an oft geradezu unaussprechlicher Innigkeit erfreuen
da gleich zu Anfang den Beschauer. Sie begleiten das Kalendarium und
stehen so bescheiden in ihrer Ecke. Der flüchtige Beschauer geht
wohl gar über sie hinweg, aber ich meine, einen besseren Führer
durch die Oberlausitz kann einer nicht leicht haben, als wenn er
sich dem Schöpfer dieser entzückenden Zeichnungen anvertraut. Welch
ein Zauber geht von diesen stillen Dörfern, von der blauen Bergkette
aus; wie schweift der Blick hinaus über das weite Gesenke bei
Dittelsdorf. Ein altes Schloß, ein paar Hütten von starren Föhren,
und am stimmungsvollsten wohl das Jägerndörfel im Winternebel mit den
steilen Rauchsäulen über den Dächern. Fürwahr, das ist Heimatkunst!
Wir danken dem Künstler Bruno Lademann für seine Arbeit. -- Auch der
unterhaltende Teil ist wieder trefflich zusammengestellt; eine Fülle
des Wissenswerten aus der Lausitzer Geschichte dabei. Ich glaube
wirklich, hierin ist der Oberlausitzer Kalender unübertroffen. Nur eins
möchten wir zur Sprache bringen. Es ist in dem Kalender ein allerdings
ganz reizender Aufsatz von Ottomar Enking enthalten, von einer kleinen
Stadt zur Pfingstenzeit. Aber durch die Gassen dieser Stadt weht keine
Lausitzer Luft -- es ist ein niederdeutsches Gemeinwesen, was da
geschildert ist. Unsrer Meinung nach muß ein Heimatkalender auf strenge
Bodenständigkeit halten, es wird ihm das sicher gedankt werden und
die Herren Herausgeber der Oberlausitzer Heimat haben ja eine Fülle
trefflicher Mitarbeiter aus dem eigenen Gau an der Hand. -- Möge das
schöne Heft die wohlverdiente Verbreitung finden.

            G. P.

=Ludwig Richter als Radierer.= Von _Walther Hoffmann_. Mit 51 Bildern,
Berlin 1921. Dietrich Reimer (Ernst Voßen). M. 35.--.

»Ein neuer Ludwig Richter!« Mit dieser Anpreisung legt der Herausgeber
den Bilderband in unsere Hände. Und in der Tat bedeutet dieses Buch
für viele etwas Neues, auch wenn sie Ludwig Richter aus einzelnen
Radierungen schon kennen, die er zumeist nach eigenen Gemälden für den
Kunstverein geschaffen hat, wie beispielsweise seine Genoveva, die
Christnacht und den Rübezahl. Vielleicht erinnert sich auch mancher
noch an das und jenes anspruchslose Landschaftsblättchen aus der
Frühzeit seines Schaffens, das handgetönt in den gefühlsdurchtränkten
Freundschaftsstammbüchern der Biedermeierzeit sich findet oder
im schmalen Goldrähmchen über dem Sofa in Großmutters guter
Kirschbaumstube hing. Im übrigen weiß man recht wenig vom »Radierer«
Ludwig Richter. -- Die Neuerscheinung füllt somit eine schon oft
empfundene Lücke aus. Aus den bei _Hoff_ verzeichneten 240 und den
durch _Singer_ und besonders _Budde_ noch 26 neu entdeckten Blättern
hat Walther Hoffmann 51 ausgewählt. Sie sollen unsers Meisters
Kunstschaffen in der Entwicklung darstellen. Vom ersten unbeholfenen
Landschaftsstich des Vierzehnjährigen bis hin zu jenem letzten
Kabinettstück seiner Kunst, das Ludwig Richter als ein altersmüder
Greis im Jahre 1866 für seinen Freund Cichorius radierte, sind alle
Phasen der allmählichen Vervollkommnung vertreten. -- In Hinsicht
auf die Auswahl kann man gewiß vereinzelt anderer Meinung sein.
Insonderheit hätte der Heimatfreund die Göttin von Sais, ein paar der
Übertragungen von fremden Werken und einige italienische Landschaften
zugunsten anderer Blätter wohl entbehrt, die, wie die ruhende Familie,
das Bild zum Schlaflied Tiecks, der Schnitzelmann und selbst die so
bescheidenen »An- und Aussichten« die deutsche Heimat uns zum Herzen
sprechen lassen. Gerade nach dieser Seite hin kann Ludwig Richter nicht
genug im deutschen Volk verbreitet werden. Er ist des Heimatschutzes
bester Vorkämpfer. Wo Ludwig Richter eine Heimstatt hat, lernt man die
Heimat auch beseelen. Da wird die stille Heimatschönheit treu gehütet,
weil man an Ludwig Richters Bildern der Heimat inneren Wert erkennen
lernt. Darum hinein ins Volk mit unserm Ludwig Richter, die Heimat
wird nur Vorteil davon haben! -- So sei das vorliegende Buch jedwedem
Heimatfreund empfohlen und um so wärmer noch empfohlen, als Walther
Hoffmann auch die beigebrachten Stiche in ansprechender Form erläutert.
Die Ausstattung ist gleichfalls anerkennenswert. Mag dieses Buch recht
viele Freunde finden!

            _Kurt Melzer_, Dresden.


    Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt --
    Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
    Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden.



    Ein deutsches Weihnachtsspiel

    »Im Stall zu Bethlehem«

    In vier Aufzügen mit Text, Buntfiguren
    und Anleitung zum Bühnenbau

    bearbeitet von =M. Brethfeld= und =Th. Göhl=

    Verlag: =Landesverein Sächsischer Heimatschutz=

    Dresden-A., Schießgasse 24

    Preis M. 6.--

    Bestellkarte in diesem Heft

=Im Stall zu Bethlehem= -- unter diesem Titel hat der Landesverein
Sächsischer Heimatschutz ein deutsches Weihnachtsspiel für unsere
Jugend herausgegeben, das freudiger Empfehlung würdig ist. Urheber
sind die Pädagogen M. Brethfeld und Th. Göhl, denen es aus ihrer
Erziehertätigkeit heraus entstanden ist. Die Jugend soll, soweit es
möglich, das Krippenspiel selbst herstellen und selbst aufführen, und
auch die Zuschauer sollen durch Vers und Volkslied zu Mithandelnden
werden. Ein löblicher erzieherischer Grundsatz in einer Zeit, wo
die Unterhaltung bedauerlicherweise sogar in Haus und Familie so
oft von bezahlten Kräften besorgt wird, anstatt daß alle zu eigener
Befriedigung mitwirken. Und noch eine zweite niederdrückende Erfahrung
bewog die Herausgeber, dem Krippenspiel gerade die gewählte Form
zu geben: die Erfahrung, daß unsere Jugend in Kino und Theater an
Weihnachtsspiele gewöhnt wird, die an äußerem Aufwand immer reicher
werden, die uns aber immer weiter wegführen von den wahren Quellen
innerer Volkskraft, immer weiter weg von Einfachheit, Wahrhaftigkeit
und schlichter Innerlichkeit. Sogar der Christbaum ist der
gedankenlosen äußeren Bereicherung und inneren Verarmung verfallen.
Durch ihr Krippenspiel wollen die Herausgeber mit den Mitteln einer
natürlichen und schlichten Volks- und Kinderkunst mithelfen im Kampfe
gegen Veräußerlichung und Verflachung unseres schönen Weihnachtsfestes,
bei der Vertiefung und Verinnerlichung des Weihnachtsgedankens und
des Weihnachtsgefühls. Das Spiel besteht aus vier Bogen mit Figuren,
die ausgeschnitten werden müssen -- Maria, Joseph und das Kind in
der Krippe, die Hirten, die heiligen drei Könige usw. -- dazu kommt
eine Anleitung zum Aufbauen des Theaters, wozu die einfachsten Mittel
ausreichen und keine besondere Kunstfertigkeit beansprucht wird, und
endlich der Text, der ein Vorspiel und vier Aufzüge umfaßt. Auch einige
von den alten schönen Weihnachtsliedern sind hineinverwebt, die von
allen Kindern, mitwirkenden wie zuschauenden, gesungen werden sollen.
Die Aufführung dürfte höchstens eine halbe Stunde in Anspruch nehmen.
-- Allen, die an der heimatlichen Volkskunst Anteil nehmen und im Sinne
der obigen Sätze an der Gesundung unserer Unterhaltung mitarbeiten
möchten, sei das Weihnachtsspiel bestens empfohlen. Das Spiel kostet
M. 6.-- und ist beim Landesverein Sächsischer Heimatschutz, Dresden-A.,
Schießgasse 24, erhältlich.



    Bunte Gassen,
    helle Straßen

    Dresden 1921

    des Landesvereins Sächsischer
    Heimatschutz Heimatbücherei

    Band II

    185 Seiten -- Großoktav

    hart gebunden

    _Vorzugspreis für Mitglieder des
    Landesvereins Sächs. Heimatschutz M. 15.--_

    _Bestellkarte in diesem Hefte_

_Gerhard Platz_ »Vom Wandern und Weilen im Heimatland«, der erste
Band unserer Heimatbücherei ist vergriffen und wird nächstes Jahr in
neuer Auflage erscheinen. Jetzt kündigen wir den zweiten Band an.
_Max Zeibig_ ist sein Verfasser. Wer kennt nicht seine gemütvollen
Schilderungen aus der Kinder-, aus der Jugendzeit, die in den
angesehendsten sächsischen Tageszeitungen seit Jahren erscheinen.
_Heinrich Sohnrey_ gab dem Buche das Geleitwort und wünschte, daß es
nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland Verbreitung finde.


Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Dresden-A., Schießgasse 24.


Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-A.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.



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