Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Author: Wustmann, Gustav
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen" ***
SPRACHDUMMHEITEN ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1912 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
  verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
  fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere
  Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

      kleinere Schrift: |senkrechte Striche|
      kursiv:           _Unterstriche_
      fett:             =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:         +Pluszeichen+
      Antiqua:          ~Tilden~ (Buchwerbung am Ende ausgenommen)

  ####################################################################



                       Allerhand Sprachdummheiten

                            [Illustration]



    Die erste Ausgabe dieses Buches ist 1891 erschienen, die zweite
       1896, die dritte 1903, die vierte 1908, die fünfte 1911.



                               Allerhand
                            Sprachdummheiten

                       Kleine deutsche Grammatik
           des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen

                         Ein Hilfsbuch für alle
           die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen

                                  von

                            Gustav Wustmann

                   Gewohnheit macht den Fehler schön
                     Den wir von Jugend auf gesehn

                             +Gellert+

                            Sechste Auflage

                             [Illustration]

                               Straßburg
                       Verlag von Karl J. Trübner
                                  1912



[Illustration]



Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage


Viele von denen, in deren Hände dieses Buch gekommen ist, haben es
als Nachschlagebuch benutzt, als eine Art von „Duden“ für Grammatik
und Stilistik. Das ist ein Irrtum. Die „Sprachdummheiten“ sind kein
Sprachknecht, der auf jede grammatische oder stilistische Frage die
gewünschte Antwort bereit hat, sondern ein Buch für denkende Leser,
das im Zusammenhange studiert und gehörig verarbeitet sein will. Wer
Nutzen davon haben will, muß sich den Geist des Buches zu eigen machen.
Gewiß soll es auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit
unsers Sprachgebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das
Sprachgefühl schärfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten,
und seine Hauptaufgabe ist eine ästhetische: es soll der immer ärger
gewordnen Steifheit, Schwerfälligkeit und Schwülstigkeit unsrer Sprache
entgegenarbeiten und ihr wieder zu einer gewissen Einfachheit und
Natürlichkeit verhelfen, die, gleichweit entfernt von Gassensprache wie
von Papierdeutsch, die Freiheit einer feinern Umgangssprache mit der
Gesetzmäßigkeit einer guten Schriftsprache vereinigt.

[Illustration]



Vorwort zur fünften Auflage


Die fünfte Auflage dieses Buches erscheint unter veränderten Umständen.

Am 22. Dezember 1910 starb der Verfasser des Buches. Kurz darauf
erhielt ich von dem Grunowschen Verlag die Aufforderung, eine neue
Auflage zu besorgen. Mir lag dazu das mit Nachträgen versehene
Handexemplar des Verfassers von der vierten Auflage vor und manche
sonstige von ihm aufgezeichnete Einzelbemerkung. Davon ist aber nur
das wenige, was den Text wirklich berichtigte oder durch ein besonders
treffendes Beispiel verbesserte, in die neue Auflage aufgenommen
worden, sodaß diese im ganzen der vierten Auflage gleicht.

Während des Druckes der fünften Auflage ist das Buch aus dem Verlag von
Fr. Wilh. Grunow, der die ersten vier Auflagen des Buches verlegt hat,
sich aber nun in anderer Richtung zu betätigen wünscht, in den von Karl
J. Trübner übergegangen.

  Ende September 1911

                                                      =Rudolf Wustmann=

[Illustration]



[Illustration]


Inhaltsverzeichnis


  Zur Formenlehre

                                                                   Seite

  Starke und schwache Deklination                                      3

  Frieden oder Friede? Namen oder Name?                                5

  Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke?                  6

  Des Rhein oder des Rheins                                            7

  Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes?                         8

  Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen?                    13

  Kaiser Wilhelms                                                     13

  Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?                         15

  Böte oder Boote?                                                    16

  Generäle oder Generale?                                             17

  Die Stiefeln oder die Stiefel?                                      18

  Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte?                           20

  Das s der Mehrzahl                                                  23

  Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?                                    24

  Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?                                   25

  Anderen, andren oder andern?                                        27

  Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem
  Werte?                                                              29

  Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen
  Stämme?                                                             31

  Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer
  Gelehrter oder großer Gelehrten?                                    33

  Das Deutsche und das Deutsch                                        35

  Lieben Freunde oder liebe Freunde?                                  36

  Wir Deutsche oder wir Deutschen?                                    36

  Verein Leipziger Gastwirte -- an Bord Sr. Maj. Schiff               38

  Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder
  schwerer wiegend?                                                   41

  Größtmöglichst                                                      43

  Gedenke unsrer oder unser?                                          44

  Derer und deren                                                     45

  Einundderselbe                                                      46

  Man                                                                 46

  Jemandem oder jemand?                                               47

  Jemand anders                                                       47

  Ein andres und etwas andres                                         48

  Zahlwörter                                                          49

  Starke und schwache Konjugation                                     50

  Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter                   51

  Frägt und frug                                                      54

  Übergeführt und überführt                                           56

  Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?                          59

  Singen gehört oder singen hören?                                    60

  Du issest oder du ißt?                                              62

  Stände oder stünde? Begänne oder begönne?                           62

  Kännte oder kennte?                                                 63


  Zur Wortbildungslehre

  Reformer und Protestler                                             67

  Ärztin und Patin                                                    68

  Tintefaß oder Tintenfaß?                                            69

  Speisenkarte oder Speisekarte?                                      73

  Äpfelwein oder Apfelwein?                                           74

  Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?                                      76

  Das Binde-s                                                         77

  ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich      80

  Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer?                    84

  Hallenser und Weimaraner                                            87


  Zur Satzlehre

  Unterdrückung des Subjekts                                          91

  Die Ausstattung war eine glänzende                                  92

  Eine Menge war oder waren?                                          96

  Noch ein falscher Plural im Prädikat                                98

  Das Passivum. Es wurde sich                                        100

  Ist gebeten oder wird gebeten?                                     101

  Mißbrauch des Imperfekts                                           101

  Worden                                                             105

  Wurde geboren, war geboren, ist geboren                            108

  Erzählung und Inhaltsangabe                                        109

  Tempusverirrung beim Infinitiv                                     111

  Relativsätze. Welcher, welche, welches                             112

  Das und was                                                        116

  Wie, wo, worin, womit, wobei                                       118

  Wechsel zwischen der und welcher                                   120

  Welch letzterer und welcher letztere                               123

  Relativsätze an Attributen                                         125

  Einer der schwierigsten, der oder die?                             127

  Falsch fortgesetzte Relativsätze                                   128

  Relativsatz statt eines Hauptsatzes                                130

  Nachdem -- zumal -- trotzdem -- obzwar                             131

  Mißbrauch des Bedingungssatzes                                     134

  Unterdrückung des Hilfszeitworts                                   135

  Indikativ und Konjunktiv                                           140

  Die sogenannte ~consecutio temporum~                               148

  Der unerkennbare Konjunktiv                                        150

  Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit                               153

  Vergleichungssätze. Als ob, als wenn                               157

  Würde                                                              158

  Noch ein falsches würde                                            160

  Der Infinitiv. Zu und um zu                                        161

  Das Partizipium. Die stattgefundene Versammlung                    165

  Das sich ereignete Unglück                                         168

  Hocherfreut oder hoch erfreut                                      169

  Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes                    170

  Falsch angeschloßnes Partizipium                                   171

  In Ergänzung                                                       172

  Das Attribut                                                       175

  Leipzigerstraße oder Leipziger Straße?                             176

  Fachliche Bildung oder Fachbildung?                                183

  Erstaufführung                                                     188

  Sedantag und Chinakrieg                                            191

  Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen          193

  Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen                              199

  Die Sammlung Göschen                                               200

  Die Familie Nachfolger                                             204

  Ersatz Deutschland                                                 205

  Der grobe Unfugparagraph                                           206

  Die teilweise Erneuerung                                           207

  Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer
  denkende?                                                          210

  Die Apposition                                                     213

  Der Buchtitelfehler                                                215

  Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.                                     217

  Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße                            218

  Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur                     220

  In einer Zeit wie der unsrigen                                     221

  Gustav Fischer, Buchbinderei                                       221

  Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der
  letztere                                                           223

  Derselbe, dieselbe, dasselbe                                       226

  Darin, daraus, daran, darauf usw.                                  231

  Derjenige, diejenige, dasjenige                                    235

  Jener, jene, jenes                                                 237

  Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?                      238

  Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?                  242

  Zur Steuerung des Notstandes                                       243

  Voller Menschen                                                    244

  Zahlwörter. Erste Künstler                                         245

  Die Präpositionen                                                  246

  Nördlich, südlich, rechts, links, unweit                           248

  Im oder in dem? zum oder zu dem?                                   250

  Aus: „Die Grenzboten“                                              254

  Nach dort                                                          256

  Bis                                                                257

  In 1870                                                            258

  Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?                           259

  Donnerstag und Donnerstags -- nachmittag und nachmittags           260

  Drei Monate -- durch drei Monate -- während dreier
  Monate                                                             261

  Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar                              263

  Bindewörter. Und                                                   265

  Als, wie, denn beim Vergleich                                      268

  Die Verneinungen                                                   270

  Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels                         274

  Natürliches und grammatisches Geschlecht                           276

  Mißhandelte Redensarten                                            278

  Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts --
  ein schwieriger Fall                                               283

  Die fehlerhafte Zusammenziehung                                    286

  Tautologie und Pleonasmus                                          290

  Die Bildervermengung                                               293

  Vermengung zweier Konstruktionen                                   295

  Falsche Wortstellung                                               297

  Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?                        299

  Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges                       301

  Die sogenannte Inversion nach und                                  304

  Die Stellung der persönlichen Fürwörter                            308

  In fast allen oder fast in allen?                                  314

  Zwei Präpositionen nebeneinander                                   317

  Zur Interpunktion                                                  318

  Fließender Stil                                                    324


  Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung

  Die Stoffnamen                                                     337

  Verwechselte Wörter                                                338

  Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit                 343

  Vertauschung der Hilfszeitwörter                                   346

  Der Dritte und der Andre                                           347

  Verwechslung von Präpositionen                                     349

  Hin und her                                                        352

  Ge, be, ver, ent, er                                               354

  Neue Wörter                                                        359

  Modewörter                                                         365

  Der Gesichtspunkt und der Standpunkt                               393

  Das Können und das Fühlen                                          396

  Bedingen                                                           398

  Richtigstellen und klarlegen                                       402

  Fort oder weg?                                                     404

  Schwulst                                                           405

  Rücksichtnahme und Verzichtleistung                                408

  Anders, andersartig und anders geartet                             409

  Haben und besitzen                                                 410

  Verbalsurrogate                                                    416

  Vermittelst, mit Zuhilfenahme von                                  418

  Seitens                                                            422

  Bez. beziehungsweise bezw.                                         426

  Provinzialismen                                                    430

  Fremdwörter                                                        433


  Alphabetisches Wortregister                                        453

[Illustration]



Zur Formenlehre

[Illustration]



[Illustration]


Starke und schwache Deklination

Bekanntlich gibt es -- oder wir wollen doch lieber ehrlich sein und
einfach sagen: es gibt im Deutschen eine starke und eine schwache
Deklination. Unter der starken versteht man die, die einen größern
Formenreichtum und eine größere Formenmannigfaltigkeit hat. Sie hat in
der Einzahl im Genitiv die Endung +es+, im Dativ e, in der Mehrzahl
im Nominativ, Genitiv und Akkusativ die Endung e (bei vielen Wörtern
männlichen und sächlichen Geschlechts +er+), im Dativ +en+ (+ern+). Die
Stammvokale a, o, u und der Diphthong +au+ werden dabei in der Mehrzahl
gewöhnlich in ä, ö, ü, +äu+ verwandelt, was man den Umlaut nennt.[1]
Unter der schwachen Deklination versteht man die formenärmere. Hier
haben alle Kasus der Einzahl (mit Ausnahme des Nominativs) und alle
Kasus der Mehrzahl die Endung +en+. Die schwache Deklination hat auch
keinen Umlaut. Zur starken Deklination gehören Wörter männlichen,
weiblichen und sächlichen, zur schwachen nur Wörter männlichen und
weiblichen Geschlechts. Die Wörter weiblichen Geschlechts verändern in
beiden Deklinationen nur in der Mehrzahl ihre Form.

Zur starken Deklination gehören z. B. der +Fuß+, die +Hand+, das
+Haus+; zur schwachen der +Mensch+, die +Frau+.[2]

Im Vergleich zu dem großen Reichtum unsrer Sprache an Hauptwörtern und
der großen Mannigfaltigkeit, die innerhalb der beiden Deklinationen
besteht, ist die Zahl der Fälle, wo heute Deklinationsfehler im
Schwange sind, oder wo sich Unsicherheit zeigt, verhältnismäßig klein.
Aber ganz fehlt es doch nicht daran.

Mehr und mehr greift die Unsitte um sich, schwach zu deklinierende
Maskulina im Akkusativ ihrer Endung zu berauben: +den Fürst+, +den
Held+, +den Hirt+. Es heißt aber: +den Fürsten+, +den Helden+ usw.

+Zu Mann+ gibt es eine doppelte Mehrzahl: +Männer+ und +Leute+. Man
sagt: die +Bergleute+, die +Hauptleute+, die +Spielleute+, aber die
+Wahlmänner+, die +Ehrenmänner+, die +Biedermänner+, die +Ehemänner+;
unter +Eheleuten+ versteht man Mann und Frau zusammen.

Ein Wort, mit dem die Leute nicht mehr recht umzugehen wissen, und das
sie doch jetzt sehr gern gebrauchen, ist +Gewerke+ (für +Handwerker+).
Ein +Gewerke+ ist ein zu einer Innung gehörender Meister oder ein
Teilnehmer an einem gesellschaftlichen Geschäftsbetrieb (das alte gute
deutsche Wort für das heutige +Aktionär+). Das Wort ist aber schwach
zu flektieren, die Mehrzahl heißt +die Gewerken+ (die +Baugewerken+).
Daneben gibt es aber das Wort auch im sächlichen Geschlecht: +das
Gewerk+ (für +Handwerk+, +Innung+), und das ist stark zu flektieren;
hier heißt die Mehrzahl die +Gewerke+. Viele gebrauchen aber jetzt
fälschlich die starke Form, auch wo sie offenbar die einzelnen
Personen, nicht die Handwerksinnungen meinen, z. B. heimische +Künstler
und Gewerke+. Umgekehrt sind jetzt +die Gauen+ beliebt: das Lied ging
durch +alle+ deutschen +Gauen+. Aber auch sie sind falsch; +Gau+,
ursprünglich sächlichen Geschlechts (+das Gäu+), jetzt Maskulinum,
bildet den Genitiv +des Gaus+ und die Mehrzahl +die Gaue+.

In Leipziger Zeitungen werden oft +Darlehne+ gesucht (+Pfanddarlehne+,
+Hypothekendarlehne+), und die Geistlichen treten für ihre alten
+Kirchlehne+ ein. Die Einzahl heißt aber das +Lehen+, und wenn das
auch kein substantivierter Infinitiv ist, wie +Wesen+, +Schreiben+,
+Vermögen+, +Verfahren+, +Vergnügen+, +Unternehmen+, so wird es doch
in der guten Schriftsprache so flektiert wie diese, und die Mehrzahl
heißt: die +Lehen+, die +Darlehen+, die +Kirchlehen+, so gut wie die
+Wesen+, die +Verfahren+, die +Unternehmen+.


Frieden oder Friede? Namen oder Name?

Bei einer kleinen Anzahl von Hauptwörtern schwankt der Nominativ
zwischen einer Form auf e und einer auf en; es sind das folgende
Wörter: +Friede+, +Funke+, +Gedanke+, +Gefalle+, +Glaube+, +Haufe+,
+Name+, +Same+, +Schade+ und +Wille+. Die Form auf en ist aber
eigentlich falsch. Diese Wörter gehören der schwachen Deklination
an,[3] neigen jedoch zur starken: im Genitiv bilden sie eine Mischform
aus der starken und der schwachen Deklination auf +ens+ (des +Namens+),
und von +Schade+ hat der Plural sogar den Umlaut: die +Schäden+. Da
hat sich nun unter dem Einflusse jener Mischform das +en+ aus dem
Dativ und dem Akkusativ auch in den Nominativ gedrängt.[4] Die alte
richtige Form ist aber doch überall daneben noch lebendig und im
Gebrauch (von +Schade+ allerdings fast nur noch in der Redensart: es
+ist schade+). Der +Gefalle+ (bei Lessing öfter) ist wenigstens in
Sachsen und Thüringen noch ganz üblich: es geschieht mir ein großer
+Gefalle+ damit. Daher sollte die alte Form auch immer vorgezogen, also
gesagt werden: der +Friede+ von 1871, nicht der +Frieden+ von 1871.
Vollends der künstlerische +Gedanken+, wie man bisweilen lesen muß, ist
unerträglich.[5]


Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke?

Ob in der starken Deklination die volle Genitivendung +es+ oder das
bloße Genitiv-s vorzuziehen sei, ob man lieber sagen solle: des
+Amtes+, des +Berufes+, oder des +Amts+, des +Berufs+, darüber läßt
sich keine allgemeine Regel aufstellen. Von manchen Wörtern ist nur
die eine Bildung, von manchen nur die andre, von vielen sind beide
Bildungen nebeneinander üblich; selbst in Zusammensetzungen stehen
ältere Bildungen wie +Landsmann+ und +Landsknecht+ neben jüngern wie
+Landesherr+ und +Landesvater+. Oft kommt es nur auf den Wohlklang des
einzelnen Wortes und vor allem auf den Rhythmus der zusammenhängenden
Rede an: die kurzen Formen können kräftig, aber auch gehackt, die
langen weich und geschmeidig, aber auch schleppend klingen, je nach der
Umgebung. Ich würde z. B. schreiben: die sicherste Stütze des +Throns+
liegt in der Liebe und Dankbarkeit des +Volkes+, die täglich neu aus
der Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten Interessen des
+Volks+ ihre beste Stütze im +Throne+ finden.

Zu beklagen ist es, daß immer mehr die Neigung um sich greift (teils
von Norddeutschland, teils von Süddeutschland aus), das Dativ-e ganz
wegzuwerfen und zu sagen: vor dem +König+, in dem +Buch+, aus dem
+Haus+, nach dem +Krieg+, nach dem +Tod+, im +Jahr+, im +Recht+, im
+Reich+, im +Wald+, auf dem +Berg+, am +Meer+ (statt +Könige+, +Buche+,
+Hause+, +Kriege+, +Jahre+, +Rechte+ usw.). Ja manche möchten das jetzt
geradezu als Forderung aufstellen. Aber abgesehen davon, daß dadurch
der Formenreichtum unsrer Deklination, der ohnehin im Vergleich zu
der ältern Zeit schon stark verkümmert ist, immer mehr verkümmert,
erhält auch die Sprache, namentlich wenn das e bei einsilbigen Wörtern
überall weggeworfen wird, etwas zerhacktes. Ein einziges Dativ-e kann
oft mitten unter klapprigen einsilbigen Wörtern Rhythmus und Wohllaut
herstellen. Man sollte es daher sorgfältig schonen, in der lebendigen
Sprache wie beim Schreiben, und die Schule sollte sich bemühen, es
zu erhalten. Besonders häßlich wirkt das Abwerfen des Dativ-e, wenn
das Wort dann mit demselben Konsonanten schließt, mit dem das nächste
anfängt, z. B. im +Goldland des+ Altertums. Nur wo das Wort mit einem
Vokal anfängt, also ein sogenannter Hiatus entstehen würde, mag man
das e zuweilen fallen lassen -- zuweilen, denn auch da ist immer der
Rhythmus zu berücksichtigen; eine Regel, daß jeder Hiatus zu meiden
sei, soll damit nicht ausgesprochen werden. Ganz unerträglich würde das
Fehlen des Dativ-e in formelhaften Wendungen erscheinen wie: +zustande+
kommen, +im Wege+ stehen, +zugrunde+ gehen, +zu Kreuze+ kriechen,
ebenso unerträglich freilich die Erhaltung des Dativ-e in andern
formelhaften Wendungen wie: +mit Dank+, +von Jahr zu Jahr+, +von Ort zu
Ort+.

An den Wörtern auf +nis+ und +tum+ und an Fremdwörtern wirkt das
Dativ-e meist unangenehm schleppend; man denke an Dative wie: dem
+Verhältnisse+, dem +Eigentume+, dem +Systeme+, dem +Probleme+,
dem +Organe+, dem +Prinzipe+, dem +Rektorate+, dem +Programme+,
dem +Metalle+, dem +Offiziere+, dem +Romane+, dem +Ideale+, dem
+Madrigale+, dem +Oriente+, dem +Manifeste+, dem +Archive+ usw. Man
kann nicht sagen, daß diese Formen an sich häßlich wären, denn die
Plurale, die die meisten dieser Wörter bilden, klingen ja ebenso; aber
als Dative des Singulars wirken sie häßlich.


Des Rhein oder des Rheins?

Vielfache Unsicherheit herrscht in der Deklination der Ortsnamen. Haben
sie keinen Artikel, wie die meisten Länder- und Städtenamen, so bildet
wohl jedermann einen richtigen Genitiv (+Deutschlands+, +Wiens+); bei
den Berg- und Flußnamen aber, die den Artikel bei sich haben, muß man
jetzt immer öfter Genitive lesen wie +des Rhein+, +des Main+, +des
Nil+, +des Brocken+, +des Petersberg+, +des Hohentwiel+, +des Vesuv+,
und ebenso ist es bei Länder- und Städtenamen, wenn sie durch den
Zusatz eines Attributs den Artikel erhalten; auch da hat sich immer
mehr die Nachlässigkeit verbreitet, zu schreiben: des +kaiserlichen
Rom+, des +modernen Wien+, des +alten Leipzig+, des +damaligen
Frankreich+, des +nordöstlichen Böhmen+, des erst noch +zu erobernden
Jütland+. Bei den Personennamen ist ja, wenn sie den Artikel haben, der
Genitiv rettungslos verloren; des +großen Friedrichs+ oder die Leiden
des +jungen Werthers+ (wie Goethe noch 1774 schrieb) getraut sich
heute niemand mehr zu schreiben. Ebenso geht es den Monatsnamen. Auch
diese wurden früher alle zwölf richtig dekliniert: +des Aprils+, +des
Oktobers+ (Klopstock: Sohn +des Mais+; Schlegel: Nimm vor des +Märzen+
Idus dich in acht). Heute schreibt man fast nur noch: zu Anfang +des
Oktober+, wenn man nicht lieber gar stammelt: +Anfang Oktober+. Aber
bei Ortsnamen sind wir doch noch nicht ganz so weit.


Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes?

Großes Vergnügen macht es vielen Leuten, den Genitiv von Personennamen
mit einem Apostroph zu versehen: +Friedrich’s+, +Müller’s+. Selbst
große Gelehrte sind in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen ganz
undenkbar erscheint, +Goethes+ ohne das hübsche Häkchen oben zu
schreiben. Nun ist ja der Apostroph überhaupt eine große Kinderei. Alle
unsre Schriftzeichen bedeuten doch Laute, die gesprochen werden. Auch
die Interpunktionszeichen gehören dazu. Nicht bloß das Ausrufe- und das
Fragezeichen, sondern auch Komma, Kolon, Semikolon und Punkt, Klammern
und Gedankenstriche lassen sich beim Vorlesen sehr wohl vernehmlich
machen. Nur der Apostroph bedeutet gar nichts; ja er soll geradezu
einen Laut bedeuten, der -- nicht da ist, der eigentlich da sein
sollte, aber ausgefallen ist. Ist nicht das schon kindisch? Nun ist ja
aber bei diesen Genitiven gar nichts ausgefallen. Wenn man schreibt:
+des Müllers+ Esel, warum soll man nicht auch +Otfried Müllers+
Etrusker schreiben?[6]

Nun aber vollends bei Personennamen auf s, ß, z und x -- welche
Anstrengungen werden da gemacht, einen Genitiv zu bilden! Die Anzahl
solcher Namen ist ja ziemlich groß; man denke an +Fuchs+, +Voß+,
+Krebs+, +Carstens+, +Görres+, +Strauß+, +Brockhaus+, +Hinrichs+,
+Brahms+, +Begas+, +Dickens+, +Curtius+, +Mylius+, +Cornelius+,
+Berzelius+, +Rodbertus+, +Marx+, +Felix+, +Max+, +Franz+, +Fritz+,
+Moritz+, +Götz+, +Uz+, +Schütz+, +Schwarz+, +Leibniz+, +Opitz+,
+Rochlitz+, +Lorenz+, +Pohlenz+, nicht zu reden von den griechischen,
römischen, spanischen Namen, wie +Sophokles+, +Tacitus+, +Olivarez+
usw.; die Veranlassung ist also auf Schritt und Tritt gegeben. Bei den
griechischen und römischen Namen pflegt man sich damit zu helfen, daß
man den Artikel vorsetzt: die Tragödien +des Sophokles+, die Germania
+des Tacitus+. Man ist an diese Genitive von seiner Schulzeit her
so gewöhnt, daß man gar nichts anstößiges mehr darin findet, obwohl
man es sofort als anstößig empfinden würde, wenn jemand schriebe:
die Gedichte +des Goethe+. Der Artikel vor dem Personennamen ist
süddeutscher oder österreichischer Provinzialismus (in Stuttgart sagt
man: +der Uhland+, in Wien: +der Raimund+), aber in die Schriftsprache
gehört das nicht; in kunstgeschichtlichen Büchern und Aufsätzen immer
von Zeichnungen +des Carstens+ und Entwürfen +des Cornelius+ lesen
zu müssen oder gar, wie in der beschreibenden Darstellung der Bau-
und Kunstdenkmäler Leipzigs, von einem Bildnis +des Gottsched+, einem
Bildnis +des Gellert+, ist doch gar zu häßlich. Manche setzen denn
nun auch an solche Namen fröhlich das Genitiv-s (natürlich mit dem
unvermeidlichen Apostroph davor!), also: +Fues’s+ Verlag, +Rus’s+
Kaffeehandlung, +Harras’s+ Grabstein in der Thomaskirche, Kurfürst
+Moritz’s+ Verdienste um Leipzig, +Leibniz’s+ ägyptischer Plan, Gabriel
+Max’s+ Illustrationen zu Uhlands (oder vielmehr Uhland’s) Gedichten.
Noch andre -- und das ist das beliebteste und das, was in Grammatiken
gelehrt, in den Druckereien befolgt und jetzt auch für die Schulen
vorgeschrieben wird -- meinen, einen Genitiv zu bilden, indem sie einen
bloßen Apostroph hinter den Namen setzen, z. B. +Celtes’+ Ausgabe der
Roswitha, +Junius’+ Briefe, +Kochs’+ Mikroskopierlampe (der Erfinder
heißt wirklich +Kochs+!), +Uz’+ Gedichte, +Voß’+ Luise, Heinrich
+Schütz’+ sämtliche Werke, +Rochlitz’+ Briefwechsel mit Goethe. Und
solche Beispiele, in denen der Name +vor+ dem Worte steht, von dem
er abhängt, sind noch nicht die schlimmsten. Ganz toll aber ist: die
Findung +Moses’+, der Kanzler +Moritz’+ (das soll heißen: der Kanzler
des Herzogs Moritz), die berühmte Ketzerschrift +Servetus’+, auf
Anregung +Gervinus’+, der Besuch König +Alfons’+, der Stil +Rabelais’+,
der Dualismus +Descartes’+ (in +Descartes+ ist ja das es stumm, und
der Genitiv von +Descartes+ wird wirklich gesprochen: +karts+!).
Das neueste ist, daß man sogar Namen, die auf +sch+ endigen, in
diesen Unsinn mit hereinzieht und schreibt: in den Tagebuchblättern
Moritz +Busch’+, zum siebzigsten Geburtstage Wilhelm +Busch’+, das
allerneueste, daß man sogar im Dativ(!) schreibt: ~Dr.~ +Peters’+ als
Vorsitzendem lag die Pflicht ob!

Sollten wir uns nicht vor den Ausländern schämen ob dieser kläglichen
Hilflosigkeit? Ist es nicht kindisch, sich einzubilden und dem
Ausländer, der Deutsch lernen möchte, einzureden, daß im Deutschen
auch ein Kasus gebildet werden könne, indem man ein Häkchen hinter
das zu deklinierende Wort setzt, ein Häkchen, das doch nur auf dem
Papiere steht, nur für das Auge da ist? Wie klingt denn der Apostroph
hinter dem Worte? Kann man ihn hören? Spreche ihn doch einer! Soll man
vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? oder sich
einmal räuspern? Irgend etwas muß doch geschehen, um den Apostroph
fürs Ohr vernehmlich zu machen, sonst ist ja zwischen +Leibniz+ und
+Leibniz’+, zwischen dem Nominativ und dem angeblichen Genitiv, gar
kein Unterschied. Nachdenklichen Setzern und Buchbindern will denn auch
die Sache gewöhnlich gar nicht in den Kopf. Daher kommt es, daß man in
den Korrekturabzügen und auf Bücherrücken so oft Titel lesen muß wie:
+Sophokle’s+ Tragödien, +Carsten’s+ Werke, +Dicken’s+ Romane, +Brahm’s+
Requiem, Friedrich +Perthe’s+ Leben und +Siever’s+ Phonetik.

Eine gewisse Schwierigkeit ist ja nun freilich da, und es fragt sich,
wie man ihr am besten abhilft. Die ältere Sprache schrieb entweder
unbedenklich +Romanus Haus+ (ohne den Apostroph), oder sie half sich
bei deutschen Namen damit, daß sie (wie bei andern Substantiven, z. B.
+Herz+, und bei den Frauennamen) eine Mischform aus der schwachen
und der starken Deklination auf +ens+ bildete, also: +Fuchsens+,
+Straußens+, +Schützens+, +Hansens+, +Franzens+, +Fritzens+, +Götzens+,
+Leibnizens+ (vgl. +Luisens+, +Friederikens+, +Sophiens+). Im
Volksmunde sind diese Formen auch heute noch durchaus gang und gäbe
(ebenso wie die Dative und Akkusative +Hansen+, +Fritzen+, +Sophien+
-- hast du +Fritzen+ nicht gesehen? gibs +Fritzen+! --, die jetzt
freilich in der Sprachziererei der Vornehmen mehr und mehr durch die
unflektierte Form verdrängt werden: hast du +Fritz+ nicht gesehen? gibs
+Fritz+!), und es ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch heute
noch papierfähig sein sollten.[7] Oder wollen wir vielleicht nun auch
im Götz von Berlichingen +Hansens Küraß+ in +Hans’ Küraß+ verwandeln?
+Franzensbad+ und +Franzensfeste+ in +Franz’bad+ und +Franz’feste+
verschönern? Verständige Schriftsteller, die vom Papierdeutsch zur
lebendigen Sprache zurückkehren, gebrauchen denn auch die flektierte
Form allmählich wieder und schreiben wieder: +Vossens Luise+. Wenn sie
nur auch die Schule wieder zu Gnaden annehmen wollte!

Unmöglich erscheint dieser Ausweg natürlich bei Namen, die selbst
Genitive sind, wie +Carstens+ (eigentlich Carstens Sohn), +Hinrichs+,
+Brahms+. +Brahmsens+ dritte Geigensonate -- das klingt nicht schön.
Auch +Phidiassens+ Zeus und +Sophoklessens+ Antigone nicht, obwohl
auch solche Formen zu Goethes und Schillers Zeit unbedenklich gewagt
worden sind; sprach man doch damals auch, da man den Familiennamen
der Frau auf +in+ bildete, von der +Möbiussin+. Das beste ist wohl,
solchen Formen aus dem Wege zu gehen, was sehr leicht möglich ist,
ohne daß jemand eine Verlegenheit, einen Zwang merkt. Man kann durch
Umgestaltung des Satzes den Namen leicht in einen andern Kasus bringen,
statt des Genitivs +sein+ setzen, +des Dichters+, +des Künstlers+ dafür
einsetzen usw. Aber nur nicht immer: die Zeichnungen +des Carstens+!
Und noch weniger +Voß’s Luise+ oder gar das +Grab Brahms’+, denn das
ist gar zu einfältig.

In dieselbe Verlegenheit wie bei den Eigennamen auf +us+ gerät man
übrigens auch bei gewissen fremden Appellativen. Man spricht zwar
unbedenklich von +Omnibussen+, aber Not machen uns die +Ismusse+,
und der Deutsche hat sehr viel +Ismusse+! Die Komödie erlognen
+Patriotismus’+, wie jetzt gedruckt wird, oder: im Lichte berechtigten
+Lokalpatriotismus’+ oder: ein unglaubliches Beispiel preußischen
+Partikularismus’+ oder ein Ausfluß erstarkten +Individualismus’+ --
das sind nun einmal keine Genitive, trotz des schmeichelnden Häkchens.
Da hilft es nichts, man muß zu der Präposition +von+ greifen oder
den unbestimmten Artikel zu Hilfe nehmen und sagen: +eines+ erlognen
+Patriotismus+, +von+ preußischem +Partikularismus+.


Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen?

Daß von +Friedrich+ der Genitiv +Friedrichs+ heißt, das weiß man
allenfalls noch. Aber sobald eine Apposition zu dem Namen tritt,
wissen sich die meisten nicht mehr zu helfen. Man frage einmal nach
dem Genitiv von +Friedrich der Große+; die Hälfte aller Gefragten
wird ihn +Friedrich des Großen bilden+. Fortwährend begegnet man
jetzt so abscheulichen Genitiven wie: +Heinrich des Erlauchten+,
+Albrecht des Beherzten+, +Georg des Bärtigen+. Es gibt Leute, die
alles Ernstes glauben, solche Verbindungen seien eine Art von Formeln
oder Sigeln, die nur am Ende dekliniert zu werden brauchten! Auch
wenn die Apposition eine Ordinalzahl ist -- der häufigste Fall --,
wird kaum noch anders geschrieben als: die Urkunden +Otto+ III., die
Gegenreformation +Rudolf+ II., die Gemahlin +Heinrich+ VIII., die
Regierungszeit +Ludwig+ XIV. Wenn man das aussprechen will, so kann
man doch gar nicht anders sagen als: +Otto der dritte+, +Rudolf der
zweite+, +Heinrich der achte+. Denn wie kann der Schreibende erwarten,
daß man die Zahl im Genitiv lese, wenn der Name, zu dem sie gehört, im
Nominativ steht?[8]


Kaiser Wilhelms

Tritt vollends der Herrschertitel dazu, so pflegt alle Weisheit zu
Ende zu sein. Wie dekliniert man: +Herzog Ernst der Fromme+, +Kaiser
Friedrich der Dritte+? Bei einer vorangestellten Apposition wie
+Kaiser+, +König+, +Herzog+, +Prinz+, +Graf+, +Papst+, +Bischof+,
+Bürgermeister+, +Stadtrat+, +Major+, +Professor+, +Doktor+, +Direktor+
usw. kommt es darauf an, ob die Apposition als bloßer Titel, oder ob
sie wirklich als Amt, Beruf, Tätigkeit der Person aufgefaßt werden
soll oder aufgefaßt wird. Im ersten Fall ist es das üblichste, nur den
Eigennamen zu deklinieren, den Titel aber ohne Artikel und undekliniert
zu lassen, also +Kaiser Wilhelms+, +Papst Urbans+, +Doktor Fausts
Höllenfahrt+, +Bürgermeister Müllers Haus+. Der Titel verwächst für
das Sprachgefühl so mit dem Namen, daß beide wie eins erscheinen.[9]
Im achtzehnten Jahrhundert sagte man sogar +Herr Müllers+, +Herr
Müllern+, nicht: +Herrn Müller+. Im zweiten Falle wird der Artikel zur
Apposition gesetzt und die Apposition dekliniert, dagegen bleibt der
Name undekliniert: +des Kaisers Wilhelm+, +des Herzogs Albrecht+, ein
Bild +des Ritters Georg+. Freilich geht die Neigung vielfach dahin,
auch hier die Apposition undekliniert zu lassen, z. B. +des Doktor
Müller+, +des Professor Albrecht+. Treten zwei Appositionen zu dem
Namen, eine davor, die andre dahinter, so ist für die voranstehende
nur das erste der eben besprochnen beiden Verfahren möglich, also: die
Truppen +Kaiser Heinrichs des Vierten+, das Denkmal +König Friedrichs
des Ersten+, eine Urkunde +Markgraf Ottos des Reichen+, die Bulle
+Papst Leos des Zehnten+. Beide Appositionen zu deklinieren und den
Namen undekliniert zu lassen, z. B. +Königs+ Christian +des Ersten+,
+des Kaisers+ Wilhelm +des Siegreichen+, wirkt unangenehm wegen des
Zickzackganges der beiden Kasus (Genitiv, Nominativ, Genitiv).[10]


Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?

Verlegenheit bereitet vielen auch die Deklination adliger Namen
oder solcher Namen, die adligen nachgebildet sind. Soll man
sagen: die Dichtungen +Wolframs von Eschenbach+ oder +Wolfram von
Eschenbachs+? Richtig ist -- selbstverständlich -- nur das erste,
denn Eschenbach ist, wie alle echten Adelsnamen, ein Ortsname, der
die Herkunft bezeichnet; den kann man doch hier nicht in den Genitiv
setzen wollen.[11] So muß es denn auch heißen: die Heimat +Walters
von der Vogelweide+, die Burg +Götzens von Berlichingen+, die
Lebensbeschreibung +Wiprechts von Groitzsch+, die Gedichte +Hoffmanns
von Fallersleben+, auch die Werke +Leonardos da Vinci+, die Schriften
+Abrahams a Sancta Clara+.

Wie steht es aber mit den Namen, die nicht jedermann sofort als
Ortsnamen empfindet, wie +Hutten+? Wer kann alle deutschen Ortsnamen
kennen? Soll man sagen +Ulrichs von Hutten+ oder +Ulrich von Huttens+
deutsche Schriften? Und nun vollends die zahllosen unechten Adelsnamen,
über die sich schon Jakob Grimm lustig gemacht hat: diese +von Richter+
und +von Schulz+, +von Schmidt+ und +von Weber+, +von Bär+ und +von
Wolf+, wie stehts mit denen? Soll man sagen: +Heinrichs von Weber+
Lehrbuch der Physik, +Leopolds von Ranke+ Weltgeschichte? Streng
genommen müßte es ja so heißen; warum behandelt man Namen, die alles
andre, nur keinen Ort bezeichnen, als Ortsnamen, indem man ihnen das
sinnlose +von+ vorsetzt! Im achtzehnten Jahrhundert war das Gefühl für
die eigentliche Bedeutung der adligen Namen noch lebendig; da adelte
man einen +Peter Hohmann+ nicht zum +Peter von Hohmann+, sondern zum
+Peter von Hohenthal+, einen +Maximilian Speck+ nicht zum +Maximilian
von Speck+, sondern zum +Maximilian Speck von Sternburg+, indem man
einen (wirklichen oder erdichteten) Ortsnamen zum Familiennamen setzte;
in Österreich verfährt man zum Teil noch heute so. Da aber nun einmal
die unechten Adelsnamen vorhanden sind, wie soll man sich helfen? Es
bleibt nichts weiter übrig, als das +von+ hier so zu behandeln, als
ob es nicht da wäre, also zu sagen: +Leopold von Rankes+ sämtliche
Werke, besonders dann, wenn der Genitiv vor dem Worte steht, von dem er
abhängig ist; steht er dahinter, so empfiehlt es sich schon eher, den
Vornamen zu flektieren: die Werke +Leopolds von Ranke+, denn man möchte
natürlich den Genitiv immer so dicht wie möglich an das Wort bringen,
zu dem er gehört. Und so verfährt man oft auch bei echten Adelsnamen,
selbst wenn man weiß, oder wenn kein Zweifel ist, daß sie eigentlich
Ortsnamen sind. Es ist das ein Notbehelf, aber schließlich erscheint er
doch von zwei Übeln als das kleinere.


Böte oder Boote?

Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird der Plural jetzt oft mit dem
Umlaut gebildet, wo dieser keine Berechtigung hat. Solche falsche
Plurale sind: +Ärme+, +Böte+, +Bröte+, +Röhre+, +Täge+, +Böden+,
+Bögen+, +Kästen+, +Krägen+, +Mägen+, +Wägen+, +Läger+. Man redet jetzt
von Geburts+tägen+, Muster+lägern+, Fuß+böden+, Gummi+krägen+ usw. Bei
den Wörtern auf +en+ und +er+ wird dadurch allerdings ein Unterschied
zwischen der Einzahl und der Mehrzahl geschaffen, der namentlich in
Süddeutschland üblich geworden ist.[12] Dennoch ist nur die Form ohne
Umlaut richtig: +die Arme+, +die Kasten+, +die Lager+, +die Rohre+ usw.
Man denke sich, daß es in Eichendorffs schönem Liede: O Täler weit, o
Höhen -- am Schlusse hieße: Schlag noch einmal die +Bögen+ um mich,
du grünes Zelt! Auch +Herzöge+ ist eigentlich falsch; das Wort ist
bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein nur schwach dekliniert worden:
des +Herzogen+, dem +Herzogen+, die +Herzogen+. Dann sprang es aber
in die starke Deklination über (des +Herzogs+), und nun blieben auch
die +Herzöge+ nicht aus: der +Trog+, die +Tröge+ -- der +Herzog+, die
+Herzöge+, die Ähnlichkeit war überwältigend.


Generäle oder Generale?

Von den Fremdwörtern sind viele in den Umlaut hineingezogen worden,
obwohl er ihnen eigentlich auch nicht zukommt, nicht bloß Lehnwörter,
deren fremde Herkunft man nicht mehr fühlt, wie +Bischöfe+, +Paläste+,
+Pläne+, +Bässe+, +Chöre+, sondern auch Wörter, die man noch lebhaft
als Fremdwörter empfindet, wie +Altäre+, +Tenöre+, +Hospitäler+,
+Kanäle+. Aber von andern wird doch die Mehrzahl noch richtig ohne
Umlaut gebildet, wie +Admirale+, +Prinzipale+, +Journale+. Wenn sich
daher irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar, daß
die Form ohne Umlaut den Vorzug verdient. Besser also als +Generäle+
ist unzweifelhaft +Generale+. Bisweilen hat die Sprache auch hier die
Möglichkeit der doppelten Form zu einer Unterscheidung des Sinnes
benutzt: +Kapitale+ (oder +Kapitalien+) sind Gelder, +Kapitäle+
Säulenknäufe; hier heißt freilich auch schon die Einzahl +Kapitäl+.

Auch zwischen der starken und der schwachen Deklination hat die
Pluralbildung der Fremdwörter vielfach geschwankt und schwankt zum
Teil noch jetzt. Im achtzehnten Jahrhundert sagte man +Katalogen+,
+Monologen+; jetzt heißt es +Kataloge+, +Monologe+. Dagegen sagen
die meisten jetzt +Autographen+ und +Paragraphen+; +Autographe+ und
+Paragraphe+ klingt gesucht. Unverständlich ist es, wie unsre Techniker
dazu gekommen sind, die Mehrzahl +Motore+ zu bilden, da es doch nicht
+Faktore+, +Doktore+ und +Pastore+ heißt; wahrscheinlich haben sie an
die +Matadore+ im Skat gedacht. +Effekte+ und +Effekten+ werden wieder
dem Sinne nach unterschieden: +Effekte+ sind Wirkungen, +Effekten+
Wertpapiere oder Habseligkeiten.


Die Stiefeln oder die Stiefel?

Von den Hauptwörtern auf +el+ und +er+ gehören alle Feminina der
schwachen Deklination an; daher bilden sie den Plural: +Nadeln+,
+Windeln+, +Kacheln+, +Kurbeln+, +Klingeln+, +Fackeln+, +Wurzeln+,
+Mandeln+, +Eicheln+, +Nesseln+, +Regeln+, +Bibeln+, +Wimpern+,
+Adern+, +Nattern+, +Leitern+, +Klaftern+, +Scheuern+, +Mauern+,
+Kammern+; alle Maskulina und Neutra dagegen gehören zur starken
Deklination, wie +Schlüssel+, +Mäntel+, +Wimpel+, +Zweifel+, +Spiegel+,
+Kessel+, +Achtel+, +Siegel+, +Kabel+, +Eber+, +Zeiger+, +Winter+,
+Laster+, +Ufer+, +Klöster+.[13] Die Regel läßt sich sehr hübsch bei
Tische lernen: man vergegenwärtige sich nur die richtigen Plurale von
+Schüssel+ und +Teller+, +Messer+, +Gabel+ und +Löffel+, +Semmel+,
+Kartoffel+ und +Zwiebel+, +Auster+, +Hummer+ und +Flunder+. Sie gilt,
wie die Beispiele zeigen, ebenso für ursprünglich deutsche wie für
Lehnwörter, und sie ist so fest, daß, wenn ein Lehnwort (wie es im
Laufe der Sprachgeschichte oft geschehen ist) in ein andres Geschlecht
übergeht, sofort auch die Pluralbildung wechselt. Im sechzehnten
Jahrhundert sagte man noch in der Einzahl +die Zedel+ (~schedula~),
folglich in der Mehrzahl +die Zedeln+, im achtzehnten Jahrhundert
noch in der Einzahl +die Aurikel+ (~auricula~), folglich in der
Mehrzahl die +Aurikeln+; heute heißt es +der Zettel+, +das Aurikel+
und folglich die Mehrzahl +die Zettel+, +die Aurikel+. Also sind
Plurale wie +Buckeln+, +Möbeln+, +Stiefeln+, +Schlüsseln+, +Titeln+,
+Ziegeln+, +Aposteln+, +Hummern+ falsch und klingen gemein. Nur
+Muskel+, +Stachel+, +Pantoffel+ und +Hader+ (Lump, Fetzen) machen
eine Ausnahme (die +Muskeln+, die +Stacheln+, die +Pantoffeln+, die
+Hadern+), doch auch nur scheinbar, denn diese Wörter haben seit alter
Zeit neben ihrer männlichen auch eine weibliche Singularform (ital.
~pantofola~) oder, wie +Hader+, eine schwache männliche Nebenform (des
+Hadern+), und die hat bei der Pluralbildung überwogen. Ein Fehler ist
auch: die +Trümmern+ (in +Trümmern+ schlagen); die Einzahl heißt: der
oder das +Trumm+ (in der Bergmannsprache noch heute gebräuchlich), die
Mehrzahl die +Trümmer+. Wer noch gewöhnt ist, +Angel+ als Maskulinum zu
gebrauchen (Türangel ebenso wie Fischangel), wird die Mehrzahl bilden
+die Angel+, wer es weiblich gebraucht, sagt +die Angeln+. Ebenso ist
es mit +Quader+; wer +Quader+ männlich gebraucht, wird in der Mehrzahl
sagen: die +Quader+, wer es für weiblich hält, kann nur sagen: die
+Quadern+. Der +Oberkiefer+ und der +Unterkiefer+ heißen zusammen die
+Kiefer+; im Wald aber stehen +Kiefern+. Die +Schiffe+ haben +Steuer+
(das +Steuer+), der Staat erhebt +Steuern+ (die +Steuer+).

In der niedrigen Geschäftssprache machen sich jetzt aber noch andre
falsche schwache Plurale breit. In Leipziger Geschäftsanzeigen muß
man lesen: +Muffen+, +Korken+ (auch +Korken+zieher, +Korken+fabrik),
+Stutzen+ (Feder+stutzen+), auch +Korsetten+ und +Jaquetten+ (als ob
die Einzahl +Jaquette+ und +Korsette+ hieße!). Anständige Kaufleute
werden sich vor solcher Gassensprache hüten. +Muff+, +Kork+, +Stutz+
gehören in gutem Schriftdeutsch zur starken Deklination: der +Muff+,
des +Muffs+, die +Müffe+, der +Kork+, des +Korks+, die +Korke+; die
+Muffen+ sind eins der vielen Beispiele, wo sich -- unter dem Einflusse
Berlins -- das Plattdeutsche, das man schon für abgetan hielt, wieder
durchzusetzen versucht.


Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte?

Die meisten reden von +Fremdwörtern+, manche aber auch von
+Fremdworten+. Was ist richtig? Die Pluralendung +er+, die namentlich
bei Wörtern sächlichen Geschlechts vorkommt (+Gräber+, +Kälber+,
+Kräuter+, +Lämmer+, +Rinder+, +Täler+), aber auch bei Maskulinen
(+Männer+, +Leiber+, +Geister+, +Wälder+, +Würmer+, +Reichtümer+),
im Althochdeutschen ~ir~ (daher der Umlaut), ist im Laufe der Zeit
auf eine große Masse von Wörtern namentlich sächlichen Geschlechts
ausgedehnt worden, die sie früher nicht hatten. Um 1500 hieß es noch:
+die Amt+, +die Kleid+, +die Pfand+, +die Land+, +die Dach+, +die
Fach+, +die Gemach+, +die Rad+, +die Schloß+, +die Schwert+, +die
Faß+, +die Bret+, daneben: +die Amte+, +die Rade+, +die Schwerte+,
+die Fasse+, und endlich kam auf: +die Ämter+, +die Räder+ usw. Bei
manchen Wörtern hat sich nun neben der jüngern Pluralform auf er
auch noch die ältere erhalten. Dann erscheint aber die ältere Form
jetzt als die edlere, vornehmere und ist auf die Ausdrucksweise des
Dichters oder des Redners beschränkt.[14] Man denke an +Denkmale+
und +Denkmäler+, +Gewande+ und +Gewänder+, +Lande+ und +Länder+,
+Tale+ und +Täler+ (Es geht durch alle +Lande+ ein Engel still
umher -- Die +Tale+ dampfen, die Höhen glühn u. ähnl.). Bei andern
Wörtern hat sich zwischen der ältern und der jüngern Form ein
Bedeutungsunterschied gebildet. So unterscheidet man +Bande+ (des
Bluts, der Verwandtschaft, der Freundschaft) und +Bänder+, +Bande+
sind gleichsam ein ganzes Netz von Fesseln, +Bänder+ sind einzelne
Stücke. Auch +Gesichte+ und +Gesichter+, +Lichte+ und +Lichter+ sind
dem Sinne nach zu unterscheiden. +Gesichte+ sind Erscheinungen (im
Faust: die Fülle der +Gesichte+). +Lichte+ sind Kerzen (Wachslichte,
Stearinlichte), +Lichter+ sind Flammen (durch das Fenster strahlen
unzählige +Lichter+, Sonne, Mond und Sterne sind die Himmels+lichter+).
Auf dem Altar stehen immer große +Kirchenlichte+, auf der Kanzel
aber nicht immer große +Kirchenlichter+. Bisweilen kommt auch noch
ein Geschlechtsunterschied dazu: +Schilde+ (+der Schild+) gehören zur
Rüstung; +Schilder+ (+das Schild+) sind an den Kaufmannsläden. Neben
den +Banden+ und den +Bändern+ stehen noch die +Bände+ (der Roman
hat drei +Bände+). So kam auch neben der Mehrzahl +die Wort+ oder
+die Worte+ im sechzehnten Jahrhundert die Form auf +er+ auf: +die
Wörter+. In der Bedeutung wurde anfangs kein Unterschied gemacht. Im
achtzehnten Jahrhundert aber begann man unter +Wörtern+ bloße Teile der
Sprache (~vocabula~), unter +Worten+ Teile der zusammenhängenden Rede
zu verstehen. Man sprach also nun von +Hauptwörtern+, +Zeitwörtern+,
+Fürwörtern+, +Wörterbüchern+, dagegen von +Dichterworten+,
+Textworten+, +Vorworten+ (Vorreden), +schöne Worte+ machen usw. Und
an diesem Unterschied wird auch seitdem fast allgemein festgehalten.
+Worte+ haben Sinn und Zusammenhang, +Wörter+ sind zusammenhanglos
aufgereiht. Wenn es also auch nicht gerade falsch ist, von
+Fremdworten+ oder +Schlagworten+ zu reden, so ist doch die Mehrzahl
+Fremdwörter+ vorzuziehen. Dagegen wird niemand sagen: der +Wörter+
sind genug +gewechselt+.

In der Sprache des niedrigen Volkes ist nun eine starke Neigung
vorhanden, die Pluralendung auf +er+ immer weiter auszudehnen. Es ist
das aber ein durchaus plebejischer Sprachzug. Nur das niedrige Volk
redet in Leipzig von +Gewölbern+ und +Geschäftern+, der Gebildete von
+Gewölben+ und +Geschäften+. Nur das niedrige Volk bildet Plurale
wie +Zelter+, +Gewinner+, +Mäßer+, +Sträußer+, +Butterbröter+,
+Kartoffelklößer+. Nur die „Ausschnitter“ preisen ihre +Rester+ an, nur
die Telephonarbeiter kommen, um „+die Elementer+ nachzusehen“.[15] Und
wie gemein erscheinen die +Dinger+, mit denen sich das Volk überall
da hilft, wo es zu unwissend oder zu faul ist, einen Gegenstand mit
seinem Namen zu nennen![16] So kommt es, daß die Endung +er+ in der
guten Schriftsprache bisweilen selbst da wieder aufgegeben worden
ist, wo sie früher eine Zeit lang ausschließlich im Gebrauch war, wie
bei +Scheit+; die Mehrzahl heißt jetzt +Scheite+, früher hieß sie
+Scheiter+ (vgl. +Scheiterhaufe+ und +scheitern+). Auch bei +Ort+ ist
eine rückläufige Bewegung zu beobachten: während früher die Mehrzahl
+Örter+ ganz gebräuchlich war, ist sie in neuerer Zeit fast ganz
verschwunden; man spricht fast nur noch von +Orten+. Dagegen hat leider
der plebejische Plural +Gehälter+ (Lehrer+gehälter+, Beamten+gehälter+)
gleichzeitig mit dem häßlichen Neutrum +das Gehalt+ von Norddeutschland
aus selbst in den Kreisen der Gebildeten große Fortschritte gemacht.
Auch in Leipzig, wo Freytag noch 1854 in seinen Journalisten richtig
+der Gehalt+ und +die Gehalte+ geschrieben hat, halten es schon viele
für fein, +das Gehalt+ und die +Gehälter+ zu sagen. Nun verteilen
sich ja die Hauptwörter, die aus Zeitwortstämmen mit dem Präfix
+Ge-+ gebildet sind, auf alle drei Geschlechter. Männlich sind:
+Geruch+, +Geschmack+, +Gedanke+; weiblich: +Geburt+, +Geduld+;
sächlich: +Gehör+, +Gesicht+, +Gewehr+, +Gewicht+. Man mag auch die
Unterscheidung von: +der Gehalt+ (Gedankengehalt, Silbergehalt des
Erzes) und +das Gehalt+ (Besoldung) in Norddeutschland als willkommne
Bereicherung der Sprache empfinden (vgl. +der Verdienst+ und +das
Verdienst+, wo freilich der Bedeutungsunterschied gerade umgekehrt
ist).[17] In Mitteldeutschland klingt aber vorläufig vielen Gebildeten
+das Gehalt+ noch gemein, und +die Gehälter+ stehen für unser Ohr
und unser Gefühl durchaus auf einer Stufe mit den +Gewölbern+, den
+Geschäftern+ und den +Geschmäckern+.[18] Weshalb sollen wir uns also
so etwas aufnötigen lassen?


Das s der Mehrzahl

Von zwei verschiednen Seiten her ist eine Pluralbildung auf s in unsre
Sprache eingedrungen. Wenn wir von +Genies+, +Pendants+, +Etuis+,
+Portemonnaies+, +Korsetts+, +Beefsteaks+ und +Meetings+ reden, so ist
das s natürlich das französische und englische Plural-s, das diesen
Wörtern zukommt. Aber man redet auch von +Jungens+ und +Mädels+,
+Herrens+ und +Fräuleins+, +Kerls+ und +Schlingels+, +Hochs+ und
+Krachs+, +Bestecks+, +Fracks+, +Schmucks+, +Parks+ und +Blocks+
(Bau+blocks+), +Echos+ und +Villas+ (statt Villen), +Vergißmeinnichts+
und +Stelldicheins+, +Polkas+, +Galopps+, +Tingeltangels+ und +Trupps+
(Studenten+trupps+), +Uhus+ und +Känguruhs+, +Wenns+ und +Abers+, U’s
und T’s, +Holbeins+ und +Lenbachs+ (zwei neue +Lenbachs+, ein paar
echte +Holbeins+), von den +Fuggers+ und den +Schlegels+, und einzelne
Universitätslehrer kündigen gar schon am schwarzen Brett ihre +Kollegs+
an! Alle diese Formen sind unfein. In Süddeutschland bezeichnet man sie
als ~pluralis Borussicus~. Ihr Plural-s stammt aus der niederdeutschen
Mundart[19]; nur dieser gehören ursprünglich die +Jungens+ und die
+Mädels+ an. Aus Verlegenheit ist dieses s dann auch im Hochdeutschen
an Fremdwörter, an unechte Substantiva und schließlich auch an echte
deutsche Substantiva gehängt worden.

Beschämend für uns Deutsche, die wir uns so gern etwas auf unsre
Kenntnisse zugute tun, sind Formen wie +Solis+, +Mottis+, +Kollis+ und
+Portis+, denn da ist das falsche deutsche Plural-s an die richtige
italienische Pluralendung gehängt! Die Einzahl heißt ja +Solo+,
+Motto+, +Kollo+ und +Porto+. Freilich wird auch schon in der Einzahl
+das Kolli+ gesagt, und nicht bloß von Markthelfern und Laufburschen!


Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?

Wenn fünf einzelne Pfennige auf dem Tische liegen, so sind das
unzweifelhaft fünf Pfennige; wenn ich aber mit diesen fünf Pfennigen
(oder auch mit einem Nickelfünfer) eine Zigarre bezahle, kostet die
dann fünf +Pfennige+ oder, wie auf dem Nickelfünfer steht, fünf
+Pfennig+? Schwierige Frage!

Bei Angaben von Preis, Gewicht, Maß, Zeit, Lebensalter usw. ist oft
eine Pluralform üblich, die sich vom Singular nicht unterscheidet,
wenigstens bei Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts,[20] wie
bei +Taler+, +Gulden+, +Groschen+, +Heller+, +Pfennig+, +Batzen+,
+Pfund+, +Lot+, +Fuß+, +Zoll+, +Schuh+, +Faden+, +Faß+, +Glas+ (zwei
+Glas+ Bier), +Maß+, +Ries+, +Buch+ (drei +Buch+ Papier), +Blatt+,[21]
+Jahr+, +Monat+, +Mann+ (sechs +Mann+ Wache), +Schritt+, +Schuß+
(tausend +Schuß+), +Stock+ (drei +Stock+ hoch). Diese Formen sind
natürlich keine wirklichen Singulare, sondern zum Teil sind es alte
Pluralformen (vgl. S. 20 +Fach+ und +Fächer+), zum Teil Formen, die
solchen unwillkürlich nachgebildet worden sind. Von einer Regel also,
daß in allen solchen Fällen der Singular stehen müsse, kann keine Rede
sein. Es ist ganz richtig, zu sagen: das Kind ist +drei Monate+ alt,
+drei+ Jahre alt, wie denn auch jeder +drei Taler+, +drei Gulden+,
+drei Groschen+ sicherlich als Plural fühlen, folglich auch sagen wird:
ich habe das Bild mit +zehn Talern+ bezahlt (nicht mit +zehn Taler+!).
Und so haben wir auch in Mitteldeutschland früher immer +Pfennige+
gesagt so gut wie +Könige+, +Käfige+ und +Zeisige+. (In dem alten Liede
von der Seestadt Leipzig heißt es sogar: Und ein einzig Lot Kaffee
kostet +sechzehn Pfennigee+.) Bis 1880 war auch auf unsern Briefmarken
so gedruckt. Wahrscheinlich war das aber nicht „schneidig“ genug,
und so hieß es von da an 3 +Pfennig+, 5 +Pfennig+, worauf 1889 die
Abkürzung +Pf.+ erschien, die jeder lesen konnte, wie er wollte, bis
schließlich gar nur noch die Ziffer übrig blieb!


Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?

Zu den unbehaglichsten Kapiteln der deutschen Grammatik gehört die
Deklination zweier miteinander verbundner Nomina, eines Substantivs
und eines Adjektivs. Heißt es: +jeden Zwanges+ oder +jedes Zwanges+?
+sämtlicher deutscher Stämme+ oder +sämtlicher deutschen Stämme+?
+großer Gelehrter+ oder +großer Gelehrten+? ein +schönes Ganzes+ oder
ein +schönes Ganze+? von +hohem praktischen Werte+ oder von +hohem
praktischem Werte+? So unwichtig die Sache manchem vielleicht scheint,
so viel Verdruß oder Heiterkeit (je nachdem) bereitet sie dem Fremden,
der Deutsch lernen möchte, und so beschämend ist es für uns Deutsche
selbst, wenn wir dem Fremden sagen müssen: Wir wissen selber nicht, was
richtig ist, sprich, wie du willst! Mit einigem guten Willen ist aber
doch vielleicht zu ein paar klaren und festen Regeln zu gelangen.

Die Adjektiva können stark und auch schwach dekliniert werden. In der
schwachen Deklination haben sie, wie die Hauptwörter, nur die Endung
+en+, in der starken haben sie die Endungen des hinweisenden Fürwortes:
+es+, +em+, +en+ usw. Nach der starken Deklination gehen sie, wenn sie
allein beim Substantiv stehen, ohne vorhergehenden Artikel, und im
Singular, wenn ein Pronomen ohne Endung vorhergeht: +mein guter Hans+,
+du alter Freund+, +unser jährlicher Umsatz+, +welch vorzüglicher+
Wein. In allen andern Fällen gehn sie nach der schwachen Deklination.
Es muß also heißen: +gerades Wegs+, +guter Hoffnung+, +schwieriger
Fragen+, dagegen +des geraden Wegs+, +der guten Hoffnung+, +der
schwierigen Fragen+, +dieser schwierigen+ Fragen, +welcher schwierigen+
Fragen, +solcher schwierigen+ Fragen, auch +derartiger+ und +folgender
schwierigen+ Fragen, +beifolgendes kleine+ Buch (denn +derartiger+
steht für +solcher+, +folgender+ und +beifolgender+ für +dieser+).

So ist auch die ältere Sprache überall verfahren; Luther kennt Genitive
wie +süßen Weines+ fast noch gar nicht. Im siebzehnten und achtzehnten
Jahrhundert aber drang, obgleich Sprachkundige eifrig dagegen
ankämpften, bei dem männlichen und dem sächlichen Geschlecht im Genitiv
des Singulars immer mehr die schwache Form ein, und gegenwärtig hat
sie sich fast überall festgesetzt; man sagt: +frohen Sinnes+, +reichen
Geistes+, +weiblichen Geschlechts+, +größten Formats+. Höchstens +gutes
Muts+, +reines Herzens+, +gerades Wegs+ wird bisweilen noch richtig
gesagt. Bei den besitzanzeigenden Adjektiven (+mein+, +dein+, +sein+,
+unser+, +euer+, +ihr+) hat sich die starke Form überall unangetastet
erhalten (+meines Wissens+, +unsers Lebens+), dagegen ist es bei den
Zahlbegriffen (+jeder+, +aller+, +vieler+, +keiner+, +mancher+) ins
Schwanken gekommen. Wie man sagt: +größtenteils+ und +andernteils+,
so sagt man auch +jedenfalls+ und +allenfalls+ neben +keineswegs+,
+keinesfalls+, +jedes Menschen+, +keines Worts+, +alles Lebens+, +alles
Ernstes+. Nur wenige schreiben noch richtig: trotz +alles Leugnens+,
trotz +manches Erfolgs+, trotz +vieles Aufwands+; die meisten
schreiben: trotz +allen Leugnens+ usw.

Bei +jeder+ erklärt sich das Schwanken vielleicht daher, daß +jeder+
wie ein Adjektiv auch mit dem unbestimmten Artikel versehen werden
kann (+ein jeder+ Mensch), eine Verbindung, die manche Schriftsteller
bis zum Überdruß lieben, als ob sie das bloße +jeder+ gar nicht mehr
kennten.

Die Schule sollte sich auch hier bemühen, die alte, richtige Form, wo
sie sich noch erhalten hat, sorgfältig zu schützen und zur Schärfung
des Sprachgefühls zu benutzen. Und wo ein Schwanken besteht, wie bei
+jeder+, da sollte doch kein Zweifel sein, wie man sich zu entscheiden
hat. Falsch ist: die Abwehr +jeden+ Zwanges; richtig ist nur: die
Abwehr +jedes Zwanges+ oder +eines jeden Zwanges+ (wie die Bekämpfung
+solches Unsinns+ oder +eines solchen Unsinns+).

Merkwürdig ist, daß sich nach +solcher+ die schwache Deklination
noch nicht so festgesetzt hat wie nach +welcher+. Während jeder ohne
Besinnen sagt: +welcher gute+ Mensch, +welches guten+ Menschen, +welche
guten+ Menschen, auch +solcher vollkommnen+ Exemplare, hört man im
Nominativ und Akkusativ der Mehrzahl viel öfter: +solche vollkommne+
Exemplare. Es kommt das wohl daher, daß auch +solcher+ oft mehr etwas
adjektivisches hat. Ebenso ist es bei +derartiger+ (für +solcher+)
und +folgender+ (für +dieser+). Jeder wird im Nominativ vorziehen:
+folgende schwierige+ Fragen, dagegen im Genitiv vielleicht +folgender
schwierigen+ Fragen (wie +dieser schwierigen+ Fragen).

Manche Leute glauben, daß Adjektiva, deren Stamm auf m endigt, nur
einen schwachen Dativ bilden könnten, weil +mem+ „schlecht klinge“,
daß es also heißen müsse: mit +warmen Herzen+, mit +geheimen Kummer+,
mit +stummen Schmerz+, mit +grimmen Zorn+, von +vornehmen+ Sinn, +bei
angenehmen+ Wetter, bei +gemeinsamen+ Lesen -- ein ganz törichter
Aberglaube.


Anderen, andren oder andern?

Ein garstiger Mißbrauch herrscht in der Deklination bei den Adjektiven,
deren Stamm auf +el+ und +er+ endigt, wie +dunkel+, +edel+, +eitel+,
+übel+, +lauter+, +wacker+; auch die Komparativstämme, wie +besser+,
+größer+, +unser+, +euer+, +inner+, +äußer+, +ander+, gehören dazu.
Bei diesen Adjektiven kommen in der Deklination zwei Silben mit kurzem
e zusammen, also des +eitelen+ Menschen, dem +übelen+ Rufe, dem
+dunkelen+ Grunde, +unseres+ Wissens, mit +besserem+ Erfolge, aus
+härterem+ Holze. Diese Formen sind unerträglich: man schreibt sie wohl
bisweilen, aber niemand spricht sie, eins der beiden e muß weichen.
Aber welches von beiden? Die richtige Antwort darauf gibt der Infinitiv
der Zeitwörter, die von Stämmen auf +el+ und +er+ gebildet werden.
Auch da treffen zwei e zusammen, von denen eins beseitigt werden muß.
Nun ist es zwar hie und da in Deutschland, z. B. in Hannover, beliebt,
zu sagen: +tadlen+, +handlen+, +wandlen+, +veredlen+, +vermittlen+,
+verdunklen+, +verwechslen+, +ausbeutlen+, +mildren+, +verwundren+,
+erschüttren+, +veräußren+, +versilbren+, +versichren+, +erläutren+,
im allgemeinen aber spricht, schreibt und druckt man doch +tadeln+,
+veredeln+, +erinnern+, +erläutern+, d. h. man opfert das e der Endung
und bewahrt das e des Stammes. Ebenso geschieht es auch in der Flexion
des Verbums: +er vereitelt+, er +verändert+, nicht er +vereitlet+, er
+verändret+. Und so ist es gut und vernünftig. Denn nicht nur daß das
Stamm-e wichtiger ist als das der Endung, die Formen auf +eln+ und
+ern+ klingen auch voller und schöner.[22] Genau so verhält sichs bei
den genannten Adjektiven. Aber fast in allen Büchern und Zeitungen
druckt man die häßlich weichlichen Formen: +unsres+ Jahrhunderts,
des +üblen+ Rufes, die +ältren+ Ausgaben, meiner +teuren+ Gemeinde,
in der +ungeheuren+ Menschenmenge, und doch spricht fast jedermann:
+unsers+ Jahrhunderts, des +übeln+ Rufes, die +ältern+ Ausgaben, meiner
+teuern+ Gemeinde, in der +ungeheuern+ Menschenmenge. Man druckt ja
nicht: die +Eltren+, überall wird richtig +Eltern+ gedruckt, warum also
nicht auch die +ältern+? beides ist doch dasselbe.[23] Bei dem Dativ-m
kann man zugeben, daß, wenn das Stamm-e erhalten und das e der Endung
ausgeworfen wird, zuweilen etwas harte Formen entstehen; im allgemeinen
ist aber auch hier auf +dunkelm+ Grunde, mit +besserm+ Erfolg gewiß
vorzuziehen.


Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem Werte?

Wenn zu einem Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so ist es
selbstverständlich, daß sie in der Deklination gleichmäßig behandelt
werden müssen. Da haben nun manche in der starken Deklination, wenn
das Eigenschaftswort allein, ohne Artikel oder Fürwort steht, im Dativ
der Einzahl einen künstlichen Unterschied schaffen wollen. Sie haben
gelehrt, nur dann, wenn zwei Adjektiva gleichwertig nebeneinander
stünden, wenn sie dem Sinne nach koordiniert wären, ~a-a-s~, dürften
sie gleichmäßig behandelt werden, z. B. Tiere mit +rotem, kaltem+
Blute, nach +langem, heißem+ Kampfe; wenn dagegen das zweite Adjektiv
mit dem Substantiv einen einheitlichen Begriff bilde, der durch das
erste Adjektiv nur näher bestimmt werde, das erste also dem zweiten
übergeordnet sei, ~a~/(~a-s~), so müsse das zweite schwach dekliniert
werden, wie wenn es hinter einem Fürwort stünde, z. B. mit +echtem
Kölnischen+ Wasser, nach +allgemeinem deutschen+ Sprachgebrauch, zu
+kühnem dramatischen+ Pathos, mit +eigentümlichem humoristischen+
Anstrich, von +großem praktischen+ Wert, aus +übertriebnem
patriotischen+ Zartgefühl, aus +süddeutschem adligen+ Besitz. Ebenso
müsse im Genitiv der Mehrzahl unterschieden werden zwischen: +frischer,
süßer Kirschen+ (denn die Kirschen seien frisch und süß) und +neuer
isländischen Heringe+, +scharfer indianischen Pfeile+, +einheimischer
geographischen Namen+, +ehemaliger freien+ Reichsstädte (denn die
Heringe seien nicht neu +und+ isländisch, sondern die isländischen
Heringe seien neu).

Diese Unterscheidung ist logisch unzweifelhaft notwendig, und sie
muß auch in der Interpunktion zum Ausdruck kommen: koordinierte
Adjektiva werden durch ein Komma getrennt, während zwischen zwei
Eigenschaftswörtern, von denen eins dem andern übergeordnet ist,
kein Komma stehen darf. Grammatisch aber ist die Unterscheidung die
reine Willkür. Warum sollte sie auch gerade auf diese beiden Kasus
beschränkt werden? auf den Dativ im Singular und den Genitiv im Plural?
Nur in diesen beiden Kasus aber soll sie gelten, in den übrigen Kasus
fällt es niemand ein, das zweite Adjektiv jemals in die schwache Form
zu bringen. Oder sagt jemand: ohne +selbständiges geschichtliche+
Studium? von +bewährter christlichen+ Gesinnung?[24] Dazu kommt,
daß sich in manchen Fällen kaum entscheiden läßt, ob zwei Adjektiva
einander koordiniert sind oder eins dem andern untergeordnet, z. B.
nach +ergebnislosem zweijährigem+ Versuche. Unsre Romanschriftsteller
scheinen zu glauben, daß stets eine Unterordnung vorliege, wenn das
zweite Adjektiv eine Farbe bedeutet: sie schreiben fast ausnahmlos:
bei +schönem blauen+ Himmel, mit +langem schwarzen+ Haar, mit
+schmalem braunen+ Rande, mit +auffälligem roten+ Bande. Das ist
völlig widersinnig. Freilich gibt es langes schwarzes Haar und kurzes
schwarzes Haar. Aber eine solche Sortierung schwebt doch hier nicht
vor. Bei dem schönen, blauen Himmel vollends denkt doch niemand an eine
andre, weniger schöne Art von blauem Himmel, sondern +blau+ ist eine
weitere Ausführung und Begründung von +schön+: der Himmel ist schön,
weil er blau ist. Ebenso ist das Band auffällig, weil es rot ist. In
Todesanzeigen kann man täglich lesen, daß jemand nach +langem, schweren
Leiden+ oder nach +kurzem, schweren+ Leiden gestorben sei. Man liest
es so häufig, daß man fast glauben möchte, die Setzer setzten auch das
gewohnheitsmäßig so, selbst wenn in der Druckvorlage richtig gestanden
hat: nach +langem, schwerem+ Leiden. Denn daß auch gebildete Menschen
das immer falsch schreiben sollten, ist doch kaum anzunehmen.


Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme?

Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im
Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegriffen +alle+, +keine+, +einige+,
+wenige+, +einzelne+, +etliche+, +manche+, +mehrere+, +viele+,
+sämtliche+, denen sich auch die Adjektiva +andre+, +verschiedne+
und +gewisse+ anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem Sinne
von +mehrere+ und +einige+ stehen. Da sagt man: +aller guten+ Dinge,
+aller halben+ Stunden, +mancher kleinen+ Souveräne, +einzelner
ausgezeichneten+ Schriftsteller, +verschiedner schweren+ Bedenken,
+gewisser aristokratischen+ Kreise, aber auch: +vieler andrer+
Gebiete, +vieler damaliger preußischer+ Offiziere, +einzelner großer
politischer+ Ereignisse, +sämtlicher deutscher evangelischer+
Kirchenregimente, +gewisser mathematischer+ Kenntnisse. Sollte es denn
nicht möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schaffen?

Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva
ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß
die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen
ist: nach +alle+ und +keine+. Sollte das nicht einen tiefern Grund
haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch hinter
dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern (+dieser+
und +jener+) und hinter den besitzanzeigenden Adjektiven (+mein+,
+dein+ usw.). In allen diesen Fällen aber handelt es sich um eine
ganz bestimmte Menge. Dagegen bezeichnet die artikellose Form eine
unbestimmte Menge. Sollte es nun Zufall sein, daß gerade +alle+ (mit
seiner Negation +keine+) der Form gefolgt ist, die eine bestimmte
Menge ausdrückt? +Alle+ und +keine+ sind die einzigen in der ganzen
Reihe. Alle übrigen (+viele+, +einige+, +manche+ usw.) bezeichnen eine
unbestimmte Menge; +viele+ und +einige+ bleiben +viele+ und +einige+,
auch wenn einer dazukommt oder abgeht. Sollte sich nicht deshalb hier
die artikellose Form erhalten haben? Im Nominativ überall: +viele
junge+ Leute, +manche bittre+ Erfahrungen, +verschiedne schwere+
Bedenken, +gewisse aristokratische+ Kreise. Erst im Genitiv beginnt das
Schwanken zwischen +vieler junger+ Leute und +vieler jungen+ Leute,
+verschiedner freisinniger+ Blätter und +verschiedner freisinnigen+
Blätter, +mehrerer andrer ausländischer+ Blätter und +mehrerer andern
ausländischen+ Blätter. Unzweifelhaft wäre also die starke Form hier
überall vorzuziehen. Nur noch hinter +sämtliche+ wäre die schwache am
Platze, denn +sämtliche+ bedeutet ja dasselbe wie +alle+, also eine
bestimmte Menge.

Hinter den wirklichen Zahlwörtern +zwei+, +drei+, +vier+, +fünf+ usw.
steht im Nominativ überall die starke Form, so auch im Genitiv, solange
die Zahlwörter selbst undekliniert bleiben: die Kraft +vier starker+
Männer, um +fünf Gerechter+ willen. Dagegen beginnt das Schwanken,
sobald die Zahlwörter selbst wie Adjektiva dekliniert werden: ein Kampf
+zweier großen+ Völker steht neben einem Kampf +zweier großer+ Völker.
Daß aber auch hier die starke Form vorzuziehen sei, kann wohl keinem
Zweifel unterliegen. +Beide+ dagegen schließt sich natürlich an +alle+
und +keine+ an: +beide großen+ Männer, +beide+ hier +mitgeteilten+
Schriftstücke.


Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer Gelehrter oder
großer Gelehrten?

Adjektiva und Partizipia, die substantiviert wurden, nahmen in der
ältesten Zeit stets die schwache Form an, auch hinter dem unbestimmten
Artikel. Reste davon sind +Junge+ (ein +Junge+), eigentlich ein
+Junger+, das in der Form +Jünger+ noch daneben steht, und +Untertan+
(e), eigentlich ein +Untertaner+. Später ist auch bei solchen
substantivierten Adjektiven und Partizipien überall hinter +ein+ die
starke Form eingetreten: ein +Heiliger+, ein +Kranker+, ein +Fremder+,
ein +Gelehrter+, ein +Verwandter+, ein +Junges+ (von Hund oder
Katze), ein +Ganzes+, und stark wird auch überall der alleinstehende
artikellose Plural jetzt dekliniert: +Heilige+, +Verwandte+,
+Geistliche+, +Gelehrte+, +Junge+ (der Hund hat +Junge+ bekommen).
Werden aber diese substantivierten Adjektiva und Partizipia mit einem
Adjektiv versehen, so erhält sich ihre schwache Form: ein +schönes
Ganze+ (noch genau so wie ein +guter Junge+), +mein ganzes Innere+,
von +auffälligem Äußern+, mit +zerstörtem Innern+, und namentlich
im Genitiv der Mehrzahl: eine Anzahl +wunderlicher Heiligen+, eine
Versammlung +evangelischer Geistlichen+, ein Kreis +lieber Verwandten+,
die Stellung +höherer Beamten+, die Arbeiten +großer Gelehrten+,
ein Kreis +geladner Sachverständigen+, große Züge +französischer
Kriegsgefangnen+, die Lehren +griechischer Weisen+ usw.

Neuerdings versucht man, auch hier überall krampfhaft die starke
Form durchzudrücken und lehrt, weil es heißt +ein Ganzes+, so müsse
es auch heißen: ein +schönes Ganzes+, mein +ganzes Inneres+, ein
+ungewöhnliches Äußeres+, mit +zerrüttetem Innerm+, und im Genitiv
der Mehrzahl: ein Dutzend +deutscher Gelehrter+, die Aufnahme
+choleraverdächtiger Gefangner+, das Eigentum +französischer
Staatsangehöriger+, inmitten +scheelblickender Fremder+, die
Genossenschaft +deutscher Bühnenangehöriger+, der Verband +sächsischer
Industrieller+, zum Besten +armer Augenkranker+, zur Unterstützung
+verschämter Armer+, die Anstellung +pensionierter Geistlicher+,
Mißgriffe +preußischer Polizeibeamter+, die Einführung +neugewählter
Stadtverordneter+, Geldbeiträge +reicher Privater+, der Streit
+zweier berühmter deutscher Gelehrter+, die Zustimmung +vieler
amerikanischer+, +spanischer+ und +französischer Gelehrter+, die
Einbildung +etlicher wunderlicher Heiliger+ usw. Daß die gehäuften
+er+ in den Endungen nicht gerade schön klingen, würde nichts zu sagen
haben; das ließe sich auch gegen manche andre Endung einwenden. Aber
da die schwache Form in diesem Falle das ältere ist, so verdient sie
unbedingt den Vorzug. Unsre besten Schriftsteller haben nie anders
geschrieben als: zur Unterstützung +verschämter Armen+, Lieder +zweier
Liebenden+, zur Bewaffnung +unbegüterter Freiwilligen+, inmitten
+eifersüchtiger Fremden+ usw. Wenn man heute hört: nach dem Urteil
+hervorragender Gelehrter+, so vermißt man stets das Hauptwort, denkt
sich unwillkürlich +hervorragender gelehrter+ geschrieben (mit g)
und meint, es müsse noch folgen: +Männer+. Nur die schwache Form
erzeugt das Substantivgefühl. Ein +schönes Ganzes+ und nach dem Urteil
+hervorragender Gelehrter+ sind unnatürliche, gewaltsame Erzeugnisse
der Halbwisserei.

Eine Liederlichkeit ist es, substantivierte weibliche Adjektivformen,
wie die +Rechte+, die +Linke+, die +Weiße+ (eine Berliner +Weiße+),
wie Substantiva zu behandeln und zu schreiben: die Einführung +der+
Berliner +Weiße+; richtig ist nur: +der+ Berliner +Weißen+, wie in
+seiner Rechten+, auf der +äußersten Linken+. Auch die +Herbstzeitlose+
gehört hierher und die +junge Schöne+, die natürlich ebenso wie die
Maskulina im Genitiv der Mehrzahl bilden muß: Ein Kreis +junger
Schönen+ (nicht +Schöner+).


Das Deutsche und das Deutsch.

Die Sprach- und die Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes
Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit
Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: +das Deutsche+ und
+das Deutsch+, +das Englische+ und +das Englisch+, +das Blaue+ (ins
+Blaue+ hinein reden) und +das Blau+ (das Himmelblau), +das Weiße+ (im
Auge) und +das Weiß+ (das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber
ein fühlbarer Bedeutungsunterschied. +Das Deutsche+ bezeichnet die
Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch das +Hochdeutsche+, das
+Plattdeutsche+ usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender Zusatz
hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen Sprache
bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das +heutige Deutsch+, ein
+fehlerhaftes Deutsch+, das +beste Deutsch+, +Goethes Deutsch+, +mein
Deutsch+, +dieses Deutsch+, das +Juristendeutsch+, das +Tintendeutsch+
(Goethe im +Faust+: in +mein geliebtes Deutsch+ zu übertragen; der
Deutsche ist gelehrt, wenn er +sein Deutsch+ versteht).

Die längere Form: +das Deutsche+, +das Blaue+ muß natürlich schwach
dekliniert werden: der Lehrer +des Deutschen+, die beste Zensur +im
Deutschen+, ein Kirchlein steht +im Blauen+, Willkommen im +Grünen+!
Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben:
+des Juristendeutsch+, eines +feurigen Rot+. Sie steht aber durchaus
auf einer Stufe mit andern endunglosen substantivierten Neutren, wie:
das +Gut+, das +Übel+, das +Recht+, das +Dunkel+, das +Klein+ (für
+Kleinod+, +Kleinet+, z. B. Gänse+klein+), das +Wild+, und es ist
nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll: des +Eigelbs+, des
+Tintendeutschs+. An das +tschs+ braucht sich niemand zu stoßen, sonst
dürfte man auch nicht sagen: des Erd+rutschs+, des Stadt+klatschs+.

Ganz unsinnig ist, was man fort und fort auf den Titelblättern aus
fremden Sprachen übersetzter Bücher lesen muß: +aus dem Französischen
des Voltaire+ übersetzt u. ähnl. Man kann über +das Französisch
Voltaires+ (nicht +das Französische+!) eine wissenschaftliche
Abhandlung schreiben, aber übersetzen kann man etwas nur +aus dem
Französischen+ schlechthin; der Name des französischen Verfassers muß
an andrer Stelle auf dem Titelblatt angebracht werden: +Voltaires+
Briefe, +aus dem Französischen+ übersetzt usw.


Lieben Freunde oder liebe Freunde?

Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen: +teuern+
Freunde, +geehrten+ Herren, +geliebten+ Eltern, schwankt man
wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum +lieb+. Das
ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht.
Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im
Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten Jahrhundert die
Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: +liebe Getreue+
statt: +lieben Getreuen+! Und heute haben wir bei einer Verbindung
wie +lieben Freunde+ (wie Luther noch schreibt) nicht mehr das Gefühl
von etwas organischem, von etwas, das so in Ordnung wäre, sondern die
Empfindung einer gewissen Altertümelei. Wer diese Empfindung nicht
erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.


Wir Deutsche oder wir Deutschen?

Ist es richtiger, zu sagen: +wir Deutsche+ oder +wir Deutschen+?
Diese Frage, die eine Zeit lang viel Staub aufgewirbelt hat, würde
wohl gar nicht entstanden sein, wenn nicht Bismarck in der bekannten
Reichstagssitzung vom 6. Februar 1888 den Ausspruch getan hätte, der
dann auf zahllosen Erzeugnissen des Gewerbes (Bildern, Gedenkblättern,
Denkmünzen, Armbändern usw.) angebracht worden ist: +Wir Deutsche+
fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt. Denn so hat er nach den
stenographischen Berichten gesagt, und so war er also wohl gewohnt zu
sagen. Aber schon der Umstand, daß die Zeitungen am 7. Februar (vor dem
Erscheinen der stenographischen Berichte!) druckten: +Wir Deutschen+,
und daß sich die Gewerbetreibenden vielfach zu vergewissern suchten,
wie er denn eigentlich gesagt habe, zeigt, daß seine Ausdrucksweise
auffällig war; dem Volksmunde war geläufiger: +wir Deutschen+, und so
ist in der Tat schon im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert viel
öfter gesagt worden als +wir Deutsche+, obwohl es in der Einzahl heißt:
+ich Deutscher+, und heute vollends sagt niemand mehr: +wir Arme+, +ihr
Reiche+, +wir Alte+, +ihr Junge+, sondern +wir Armen+ (Gretchen im
Faust: am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles, ach +wir Armen+!),
+ihr Reichen+, +wir Alten+, +ihr Jungen+, +wir Konservativen+,
+wir Liberalen+, +wir Wilden+ (Seume: +wir Wilden+ sind doch beßre
Menschen), +wir Geistlichen+, +wir Gesandten+, +wir Vorgenannten+, +wir
Unterzeichneten+, +wir armen Deutschen+, +wir guten dummen Deutschen+,
+wir Deutschen+ sind halt +Deutsche+! Es ist gar nicht einzusehen,
weshalb gerade die Deutschen von all diesen substantivierten Adjektiven
und Partizipien eine Ausnahme machen sollen. Wenn sich augenblicklich
gewisse Leute, denen es gar nicht einfallen würde, zu sagen: +wir
Arme+, mit dem vereinzelt aufgeschnappten und ihrem eignen Munde ganz
ungewohnten +wir Deutsche+ spreizen, so ist das einfach lächerlich.

Die Ursache, weshalb hinter +wir+ und +ihr+ schon früh die schwache
Form bevorzugt worden ist, ist offenbar dieselbe, die hinter den
hinweisenden Fürwörtern, den besitzanzeigenden Adjektiven und hinter
+alle+ und +keine+ wirksam gewesen ist (vgl. S. 32): daß es sich um
eine bestimmte Menge handelt. Wenn man sagt: +wir Deutschen+, so
meint man damit entweder alle Deutschen überhaupt oder alle Deutschen
in einem bestimmten Falle, z. B. alle, die in einer aus Angehörigen
verschiedner Nationen gemischten Versammlung anwesend sind. Daß im
Akkusativ der Mehrzahl die starke Form vorgezogen worden ist: +uns
Deutsche+, hat seinen Grund wieder darin, daß man ihn sonst nicht hätte
vom Dativ unterscheiden können (bei Burkhard Waldis aber: und das Reich
an +uns Deutschen+ kummen).

Ein Unterschied läßt sich zwischen +wir beiden+ und +wir beide+
machen. Wenn der Lehrer am Schluß der Stunde fragt: wer ist noch nicht
drangewesen? ein Schüler dann antwortet: +Wir beiden+ sind noch nicht
drangewesen, der Lehrer das bezweifelt und sagt: Ich dächte, +du+ wärst
schon drangewesen, so kann der Schüler das zweitemal antworten: Nein,
+wir beide+ sind noch nicht drangewesen. Im zweiten Falle wird +beide+
zum Prädikat gezogen, +wir beiden+ dagegen ist dasselbe wie +wir zwei+.
Freilich heißt es in Holteis Mantellied auch: +Wir beide+ haben niemals
gebebt.


Verein Leipziger Gastwirte -- an Bord Sr. Maj. Schiff

Ein gemeiner Fehler, für den leider in den weitesten, auch in
gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein
scheint, liegt in Verbindungen vor wie: Verein +Leipziger Gastwirte+,
Ausschank +Zwenkauer Biere+, Hilfskasse +Leipziger Journalisten+,
Verein +Berliner Buchhändler+, Radierungen +Düsseldorfer Künstler+,
Photographien +Magdeburger Baudenkmäler+, eine Sammlung +Meißner
Porzellane+, die frühesten Namen +Breslauer Konsuln+, zur Topographie
+südtiroler Burgen+, nach Meldungen +Dresdner Zeitungen+.

Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf +er+ werden von vielen jetzt
für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit
kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: +pariser+, +wiener+, +thüringer+,
+schweizer+. Das ist ein großer Irrtum. Diese Formen sind keine
Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von Substantiven. Der +Leipziger
Bürgermeister+ ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht ~consul
Lipsiensis~ -- das wäre der +Leipzigische+ Bürgermeister --, sondern
~Lipsiensium consul~, der Bürgermeister +der Leipziger+. Man sieht das
deutlich, wenn man solche Verbindungen zugleich mit einem wirklichen
Adjektivum dekliniert, z. B. der +neue Berliner Ofen+. Dann lauten die
einzelnen Kasus: des neu+en+ Berlin+er+ +Ofens+, dem neu+en+ Berlin+er+
+Ofen+, den neu+en+ Berlin+er+ +Ofen+, die neu+en+ Berlin+er+
+Öfen+ usw. Während also das Adjektiv +neu+ und das Substantiv
+Ofen+ dekliniert werden, bleibt +Berliner+ stets unverändert. Ganz
natürlich; es ist eben kein Adjektivum, sondern ein eingeschobner,
abhängiger Genitiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden, daß man, durch
den Gleichklang der Endungen verführt, solche abhängige Genitive mit
dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie +deutscher+, +preußischer+
zusammengeworfen hat. Weil man richtig sagt: eine Versammlung
+deutscher Gastwirte+, glaubt man auch richtig zu sagen: ein Verein
+Leipziger Gastwirte+. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht
+Leipzige+, während er dort +deutsche+ heißt.

Nun ist aber in der artikellosen Deklination der Genitiv der Mehrzahl,
wenn er nicht durch ein hinzugesetztes Adjektiv kenntlich gemacht wird,
überhaupt nicht kenntlich; er muß (leider!) durch die Präposition +von+
umschrieben werden. Wenn man sagt: eine +Versammlung großer Künstler+,
so ist der Genitiv durch das Attribut +großer+ genügend kenntlich
gemacht; aber ~societas artificum~ läßt sich nimmermehr übersetzen:
ein +Verein Künstler+, sondern nur ein +Künstlerverein+ oder: ein
+Verein von Künstlern+; erst durch das +von+ entsteht ein erkennbarer
Genitiv. Ganz ebenso ist es aber auch, wenn zu dem Substantiv ein
Attribut tritt, das nicht deklinierbar ist, z. B. ein Zahlwort oder ein
abhängiger (kein attributiver) Genitiv. So unmöglich und so falsch es
ist, zu sagen: infolge +Streitigkeiten+, wegen +Sonderzüge+, mangels
+Beweise+, ein Bund +sechs Städte+, innerhalb +vier Wochen+, nach
Verlauf +vier Wochen+, die Lieferung +fünftausend Gewehre+, in der
ersten Zeit +dessen Leitung+, mit Bewilligung +dessen Eltern+, unter
Angabe +deren Kennzeichen+, die Neubesetzung +Herrn Dornfelds Stelle+,
unterhalb ~Dr.~ +Heines Brücke+, der Verkauf +ihres Mannes Bücher+,
Genüsse +mancherlei Art+, eine Quelle +allerhand Verlegenheiten+, so
gewiß in allen diesen Fällen der Genitiv nur mit Hilfe der Präposition
+von+ kenntlich gemacht werden kann (ein Bund +von sechs Städten+, eine
Quelle +von allerhand Verlegenheiten+), so gewiß muß es auch heißen:
Verein +von Leipziger Gastwirten+, Verhaftung +von Erfurter Bürgern+,
Verkauf +von Magdeburger Molkereibutter+; bei +Verein Berliner
Künstler+ glaubt man immer nur einen Nominativ zu hören: ein +Verein
Künstler+, wie bei: eine +Menge Menschen+, ein +Haufe Steine+, ein
+Sack Geld+, ein +Stück Brot+ usw.[25]

Ebenso falsch ist es, wenn geschrieben wird: an Bord +Sr. Majestät
Schiff Möwe+, die Forschungsreise +Sr. Majestät Schiff Gazelle+. Der
Genitiv +Sr. Majestät+ hängt ab von +Schiff+. Aber wovon hängt +Schiff+
ab? Von nichts: es schwebt in der Luft. Und doch soll auch das ein
Genitiv sein, der von +Bord+ oder +Reise+ abhängt. Der kann nur dadurch
erkennbar gemacht werden, daß man schreibt: an Bord +von Sr. Majestät
Schiff+ Gazelle, denn an Bord +Sr. Majestät Schiffs+ Gazelle wird
niemand sagen wollen.[26]

Anstatt des abhängigen +dessen+ und +deren+ braucht man sich nur
des attributiven +sein+ und +ihr+ zu bedienen, und der Genitiv ist
sofort erkennbar. Falsch ist: ich gedenke +dessen+ Güte und Macht
-- die Briefe Goethes an seinen Sohn während +dessen+ Studienjahre
in Heidelberg -- eine Darstellung der alten Kirche und +deren+
Kunstschätze -- die Interessen der Stadt und +deren+ Einwohner --
eine Aufzählung aller Güter und +deren+ Besitzer -- eine Versammlung
sämtlicher evangelischen Fürsten und +deren+ Vertreter -- eine Tochter
des Herrn Direktor Schmidt und +dessen+ Gemahlin -- zum Besten der
Verunglückten und +deren+ Hinterlassenen -- die Sicherstellung der
Zukunft der Beamten und +deren+ Familien; es muß heißen: +seiner+ Güte
und Macht, +seiner+ Gemahlin, +ihrer+ Hinterlassenen, +ihrer+ Familien
usw.[27]


Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder schwerer wiegend?

Mannigfachen Verstößen begegnet man in der Steigerung der Adjektiva
(Positiv, Komparativ, Superlativ). Von +viel+ heißt der Komparativ
nicht +mehrere+, sondern +mehr+: ich habe in meinem Garten +viel+
Rosen, du hast +mehr+ Rosen, er hat die +meisten+ Rosen. +Mehrere+
ist nichts andres als +einige+, +etliche+. Wenn also ein Hausbesitzer
genötigt wird, zu bescheinigen, daß +mehrere+ Hunde als die hier
verzeichneten in seinem Hause nicht gehalten werden, so wird er
genötigt, einen Schnitzer zu unterschreiben.

Bei Adjektiven, deren Stamm auf einen Zischlaut endigt, stoßen im
Superlativ zwei Zischlaute zusammen. Das stört nicht, wenn die Wörter
mehrsilbig sind (der +weibischste+, der +malerischste+), wohl aber,
wenn sie einsilbig sind (der +hübschste+, der +süßste+). Man bewahrt
dann lieber das e, das sonst immer ausgeworfen wird, und sagt: der
+hübscheste+, der +süßeste+. Von +groß+ ist allgemein der +größte+
üblich geworden (Goethe im Götz auch: der +hübschte+, in den Briefen
aus Italien: der +genialischte+).

Bei der Vorliebe, womit jetzt einfache Begriffe wie +groß+, +stark+,
+schwer+ durch schleppende Zusammensetzungen wie +tiefgehend+,
+weitgehend+, +weittragend+, +schwerwiegend+ ersetzt werden, entsteht
oft Verlegenheit, wie man solche Zusammensetzungen im Komparativ
und im Superlativ behandeln soll. Logisch ist ja die Frage leicht
zu beantworten; was gesteigert werden soll, ist nicht das Partizip
+gehend+, sondern das dabeistehende Adverb +tief+ oder +weit+.
In vielen solchen Zusammensetzungen ist aber das Adverb mit dem
Partizip so innig verwachsen, daß man kaum noch die Zusammensetzung
empfindet. Wenn also auch niemand wagen wird, eine +weitverbreitete+
Unsitte zu steigern: eine +weitverbreitetere+ Unsitte, sondern eine
+weiter verbreitete+,[28] das +hochbesteuerte Einkommen+, nicht:
das +hochbesteuertste+, sondern das +höchstbesteuerte+, so ist doch
gegen einen Komparativ wie +zartfühlender+ nichts einzuwenden, denn
das Partizipium +fühlend+ wird hier gar nicht mehr als Verbalform
empfunden, sondern etwa wie +fühlig+ in +feinfühlig+, und solche
Zusammensetzungen (+feinsinnig+, +kleinmütig+, +böswillig+,
+fremdartig+, +gleichmäßig+) gelten für einfache Wörter und können
nur steigern: +kleinmütiger+, der +kleinmütigste+. Ihnen würde sich
auch das neumodische +hochgradig+ anschließen. Dazwischen liegen aber
nun Zusammensetzungen, bei denen manchmal kaum zu entscheiden ist, ob
man sie als einfache oder als zusammengesetzte Wörter behandeln soll;
sogar derselbe Mensch kann darin zu verschiednen Zeiten verschieden
fühlen. Ganz unerträglich sind: der +schöngelegenste+ Teil, die
+vielgenannteste+ Persönlichkeit, die +naheliegendste+ Erklärung,
die +leichtlaufendste+ Maschine, die +tiefliegendere+ Bedeutung,
+tiefgehendere+ Anregungen, die +feinschmeckenderen+ Sorten, die
+weitblickendere+ Klugheit, eine +engbegrenztere+ Aufgabe; es muß
heißen: der +schönstgelegne+, noch besser der am +schönsten gelegne+
Teil, die +am meisten genannte+ Persönlichkeit, die +tiefer liegende+
Bedeutung, +tiefer gehende+ Anregungen, die +feiner schmeckenden+
Sorten, die +nächstliegende+ Erklärung, die +weiter blickende+
Klugheit, eine +enger begrenzte+ Aufgabe. Nicht ganz so anstößig
erscheint: die +wohlgemeinteste+ Warnung, die +weitgehendste+
Mitwirkung, die +weittragendste+ Bedeutung, die +fernliegendsten+
Dinge, die +hochfliegendsten+ Pläne, obwohl natürlich der
+bestgemeinte+ Rat, die +weitestgehende+ Mitwirkung vorzuziehen ist.
Völlig gewöhnt haben wir uns an den +tiefgefühltesten+ Dank und an die
+hochgeehrtesten+ oder +hochverehrtesten+ Damen und Herren. Schön kann
man trotzdem solche Steigerungen nicht nennen; sie klingen alle mehr
oder weniger schleppend und schwülstig, und was sie ausdrücken sollen,
kann meist durch ein einfacheres Wort oder durch einen kurzen Nebensatz
ebenso kräftig und deutlich gesagt werden.


Größtmöglichst

Noch schlimmer freilich sind die jetzt so beliebten doppelten
Superlativbildungen, wie die +besteingerichtetsten+ Verkehrsanstalten,
die +bestbewährtesten+ Fabrikate, die +höchstgelegenste+ Wohnung, der
+feinstlaubigste+ Kohlrabi u. ähnl. (statt der +besteingerichteten+
oder der +bewährtesten+). Für +so gut wie möglich+ kann man natürlich
auch sagen: +möglichst gut+. Es gibt ja verschiedne Grade der
Möglichkeit, es kann etwas leichter möglich sein und auch schwerer
möglich; man sagt auch: tue dein +möglichstes+! Wie muß sich aber diese
Steigerung mißhandeln lassen! Die einen stellen die Wörter verkehrt,
bringen den Superlativ an die falsche Stelle und sagen +bestmöglich+,
in der irrigen Meinung, das Wort sei eine Zusammenziehung aus: der
+beste+, der +möglich+ ist; andre wissen sich gar nicht genug zu tun
und bilden auch hier wieder den doppelten Superlativ +bestmöglichst+,
+größtmöglichst+: mit +größtmöglichster+ Beschleunigung. Das beste ist,
auch solche schwülstige Übertreibungen zu vermeiden. Das gilt auch von
der beliebten Steigerung: der +denkbar größte+. Wenn ein Nutzen nicht
der +denkbar größte+ wäre, so wäre er doch auch nicht der +größte+.
Welch unnötiger Wortschwall also! Manche sind aber in dieses +denkbar+
so verliebt, daß sie es sogar zum Positiv setzen: in ihrer Stimmung
sind beide Altarflügel +denkbar verschieden+.

Vollkommener Unsinn ist es natürlich, wenn gedankenlose Menschen jetzt
der +erste beste+ zusammenziehen in der +erstbeste+, wenn ein Arzt
bittet, +möglichst keine+ Briefe an ihn zu richten, da er verreist sei,
eine Herrschaft einen +möglichst verheirateten+ oder einen +möglichst
unverheirateten+ Kutscher zu +möglichst sofortigem+ Antritt sucht,
Zeitungen ihre Abonnenten auffordern, das Abonnement +baldgefälligst+
zu erneuern, oder ein Kaufmann seine Kunden bittet, ihm +baldmöglichst+
oder +baldgefälligst+ ihre geschätzten Aufträge oder Bestellungen
zukommen zu lassen. Was sie meinen, ist weiter nichts als: +womöglich
keine+, +womöglich verheiratet+, +womöglich sofort+, und: +möglichst
bald+, +gefälligst bald+. Aber namentlich das +baldgefälligst+, so
albern es auch ist, gehört zu den Lieblingswörtern aller Geschäftsleute
und Beamten.

Ebenso unsinnig ist es, wenn ein Superlativ von +einzig+ gebildet wird:
der +Einzigste+, der bisher Großes in diesem Fache geleistet hat.
Einziger als einzig kann doch niemand sein.


Gedenke unsrer oder unser?

Auch in der Deklination der Fürwörter herrscht hie und da Unwissenheit
oder Unsicherheit. Daß man eine Frage besprechen muß wie die: gedenke
+unsrer+ oder +unser+? ist sehr traurig, aber es ist leider nötig, denn
der Fehler: wir sind +unsrer+ acht -- es harrt +unsrer+ eine schwere
Aufgabe, oder: wir gedenken +eurer+ in Liebe, kommt so oft vor, daß man
fast annehmen möchte, die Leute wären der Meinung, die kürzeren Formen
seien nur durch Nachlässigkeit entstanden.

Die Genitive der persönlichen Fürwörter +ich+, +du+, +er+, +wir+,
+ihr+, +sie+ heißen: +mein+, +dein+, +sein+, +unser+, +euer+, +ihr+,
z. B.: gedenke +mein+, vergiß +mein+ nicht, der Buhle +mein+, ich
denke +dein+, +unser+ einer, +unser aller+ Wohl, +unser+ keiner lebt
ihm selber.[29] Daneben sind freilich im Singular schon früh die
unorganischen Formen +meiner+, +deiner+, +seiner+ aufgekommen und
haben sich festgesetzt, aber doch ohne die echten, alten Formen ganz
verdrängen zu können (Gellert: der Herr hat +mein+ noch nie vergessen,
vergiß, mein Herz, auch +seiner+ nicht); +ihr+ ist leider ganz durch
+ihrer+ verdrängt worden; wir wollen uns +ihrer+ annehmen. Aber in
der ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist doch die richtige
alte Form noch so lebendig, daß es unverantwortlich wäre, wenn man
sie nicht gegen die falsche, die sich auch hier eindrängen will, in
Schutz nähme. +Unsrer+ und +eurer+ sind Genitive des besitzanzeigenden
Eigenschaftswortes, aber nicht des persönlichen Fürworts. Also: erbarmt
euch +unser+ und +unsrer+ Kinder![30]


Derer und deren

Die Genitive der Mehrzahl +derer+ und +deren+ sind der alten Sprache
überhaupt unbekannt, sie hat nur ~der~; beide sind -- ebenso wie die
Genitive der Einzahl +dessen+ und +deren+ -- erst im Neuhochdeutschen
gebildet worden und als willkommne Unterscheidungen des betonten und
lang gesprochnen Determinativs und Relativs +der+ (~dēr~) von dem
gewöhnlich unbetonten und kurz gesprochnen Artikel +der+ (~dĕr~)
festgehalten worden. +Derer+ steht vor Relativsätzen (und verdient
dort den Vorzug vor dem schleppenden +derjenigen+); +deren+ ist
Demonstrativum: die Krankheit und +deren+ Heilung (d. i. +ihre+
Heilung) und Relativum: die Krankheiten, +deren+ Heilung möglich ist.
Falsch ist es also, wenn Relativsätze angefangen werden: in betreff
+derer+, vermöge +derer+.

Ein ganz neuer Unsinn, den man jetzt bisweilen lesen muß, ist +dessem+
und +derem+: der Dichter, +dessem+ löblichen Fortschreiten ich
mit Freuden folge -- die Geschäfte werden inzwischen von +dessem+
Stellvertreter besorgt -- die fremde Kunst, bei +derem+ Studium der
Deutsche seine eigne Kunst vergaß -- für die Behörden zu +derem+
alleinigen Gebrauch ausgefertigt. Der Dativ, der in diesen Sätzen
steht, hat gleichsam den vorangehenden abhängigen Genitiv angesteckt
und dadurch die Mißbildungen geschaffen. Die Verirrung geht aber wohl
öfter in den Köpfen der Setzer als in denen der Schriftsteller vor;
bei der Korrektur lesen die Verfasser über den Unsinn weg, und so
wird er mit gedruckt. Auch +dergleichem+ findet sich schon: er ist zu
Verschickungen und +dergleichem+ gebraucht worden.[31]


Einundderselbe

Der arge Mißbrauch, der mit dem Pronomen +derselbe+ getrieben wird
(daß man es fortwährend für +er+ oder +dieser+ gebraucht; vgl. S.
226), hat dazu geführt, daß man nun +einundderselbe+ sagen zu müssen
glaubt, wo man +derselbe+ mit seiner wirklichen Bedeutung meint. Diese
überflüssige Zusammensetzung wird vollends schleppend, wenn man sie
pedantisch dekliniert: +eines und desselben+, +einem und demselben+.
Wer sie nicht entbehren zu können glaubt, der schreibe wenigstens:
an +einunddemselben Tage+, im Laufe +einunddesselben+ Jahres, in
+einundderselben+ Hand. Dieselbe Freiheit nimmt man sich ja auch bei
+Grund und Boden+: die Entwertung des +Grund und Bodens+ (als ob beides
nur +ein+ Wort wäre), nicht des +Grundes und Bodens+; ebenso: ein Hut
mit +blau und weißem+ Band, wenn nicht zwei verschiedenfarbige Bänder
gemeint sind, sondern ein zweifarbiges.


Man

Daß auch das unpersönliche Fürwort +man+ dekliniert werden kann, dessen
sind sich die allerwenigsten bewußt. In der lebendigen Rede bilden
sie zwar, ohne es zu wissen, die ~casus obliqui~ ganz richtig, aber
wenn sie die Feder in die Hand nehmen, getrauen sie sich nicht, sie
hinzuschreiben, sondern sinnen darüber nach, wie sie sich ausdrücken
sollen. Der Junge, der von einem andern Jungen geneckt wird, sagt: laß
+einen+ doch gehn! und wenn er sich über den Necker beschwert, sagt er:
der neckt +einen+ immer. Auch der Erwachsne sagt: das kann +einem+ alle
Tage begegnen. Und Lessing schreibt: macht +man+ das, was +einem+ so
einfällt? -- so was erinnert +einen+ manchmal, woran +man+ nicht gern
erinnert sein will -- muß +man+ nicht grob sein, wenn +einen+ die Leute
sollen gehn lassen? -- Goethe sagt sogar: +eines+ Haus und Hof steht
gut, aber wo soll bar Geld herkommen? Es ist also klar, die ~casus
obliqui~ von +man+ werden in der lebendigen Sprache gebildet durch
+eines+, +einem+, +einen+. Aber viele scheinen diese Ausdrucksweise
jetzt nicht mehr für fein zu halten, scheinen sich einzubilden, daß sie
nur der niedrigen Umgangssprache zukomme. Das ist bloßer Aberglaube,
man kann sich gar nicht besser ausdrücken, als wie es Goethe getan hat,
wenn er z. B. sagt: wenn +man+ für einen reichen Mann bekannt ist, so
steht es +einem+ frei, seinen Aufwand einzurichten, wie +man+ will.


Jemandem oder jemand?

In +jemand+ und +niemand+ ist das d ein unorganisches Anhängsel. Die
Wörter sind natürlich mit +man+ (+Mann+) zusammengesetzt (~ieman~,
~nieman~), im Mittelhochdeutschen heißen Dativ und Akkusativ noch
~iemanne~, ~niemanne~, ~ieman~, ~nieman~. Da sich das Gefühl dafür
durchaus noch nicht verloren hat, da es jedermann noch versteht, wenn
man sagt: ich habe +niemand+ gesehen, du kannst +niemand+ einen Vorwurf
machen, so ist nicht einzusehen, weshalb die durch Mißverständnis
entstandnen Formen +jemandem+, +niemandem+, +jemanden+, +niemanden+ den
Vorzug verdienen sollten.


Jemand anders

Der gute Rat, bei den Adjektiven, deren Stamm auf er endigt, immer die
schönen, kräftigen Formen: +unsers+, +andern+ den weichlichen Formen:
+unsres+, +andren+ vorzuziehen (vgl. S. 29), erleidet eine Ausnahme
bei dem Neutrum +anders+. Unser heutiges Umstandswort +anders+ (ich
hätte das +anders+ gemacht) ist ursprünglich nichts „andres“ als das
Neutrum von +andrer+, +andre+, +andres+ (ein +andres+ Kleid). Die
Sprache hat sich hier des ganz äußerlichen Mittels bedient, das einemal
den Vokal der Endung, das andremal den des Stammes auszuwerfen, um
einen Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb zu schaffen. (Ebenso
bei +besondres+ und +besonders+.) An diesem Unterschied ist natürlich
nun festzuhalten, niemand wird schreiben ein +anders+ Kleid. Zum Glück
hat sich aber in der lebendigen Sprache in den Verbindungen: +wer
anders+, +was anders+, +jemand anders+, +niemand anders+ die kräftigere
Form erhalten; man sagt: +wer anders+ sollte mir helfen? -- das ist
+niemand anders+ gewesen als du -- und die Schlußzeile einer bekannten
Fabel: ja, Bauer, das ist ganz was +anders+ -- ist durchaus nicht bloß
wegen des Reimes auf +Alexanders+ so geschrieben. In allen diesen
Verbindungen ist +anders+ nicht etwa als Adverb aufzufassen, sondern
es ist der Genitiv des geschlechtslosen Neutrums, das zur Bezeichnung
beider Geschlechter dient, wie in +jemand fremdes+. Darnach kann nun
auch kein Zweifel sein, wie diese Verbindungen zu deklinieren sind. Der
Volksmund hat das richtige, wenn er sagt: von +wem anders+ soll ich
mir denn helfen lassen? -- ich bin mit +niemand anders+ in Berührung
gekommen. Mit +niemand anderm+ ist falsch, freilich nicht viel falscher
als: von +was anderm+, zu +was besserm+, zu +nichts gutem+, wo auch
das abhängige Wort, das eigentlich im Genitiv stehen müßte, die
Kasusbezeichnung übernommen hat, die in +was+ und +nichts+ nicht zum
Ausdrucke kommt.


Ein andres und etwas andres

Das Neutrum von +jemand anders+ heißt +etwas andres+, im Volksmunde
+was andres+. Die Mutter sagt: ich habe dir +was schönes+ oder +etwas
schönes+ mitgebracht. Ebenso +etwas gutes+, +etwas rechtes+, +etwas
wahres+, +etwas großes+, +etwas wesentliches+, +etwas neues+, +etwas
weiteres+. Dieses schlichte +was+ oder +etwas+ verschmäht man aber
jetzt, man schreibt: und noch +ein andres+ muß ich erwähnen -- zunächst
möchte ich +ein allgemeines+ voranschicken -- und nun können wir
noch +ein weiteres+ hinzufügen -- man darf nicht glauben, daß damit
+ein wesentliches+ gewonnen sei -- auch der reichhaltigste Stoff muß
+ein spezifisches+ haben, das ihn von tausend andern unterscheidet;
und man kommt sich äußerst vornehm vor, wenn man so schreibt. Sogar
ein Lied von Oskar von Redwitz, das in der Komposition von Liszt das
Entzücken aller Backfische ist, fängt an: Es muß +ein wunderbares+ sein
ums Lieben zweier Seelen! Es ist aber nichts als alberne Ziererei.
Poetischer wird das Lied durch das +ein+ sicherlich nicht.

„Etwas andres“ ist es, wenn +ein+ nicht das unbestimmte Fürwort,
sondern das Zahlwort bedeuten soll, z. B.: dann hätte das Unternehmen
wenigstens +ein gutes+ gehabt. Das ist natürlich ebenso richtig wie:
+das eine gute+.


Zahlwörter

Gegen die richtige Bildung der Zahlwörter werden nur wenig Verstöße
begangen; es ist auch kaum Gelegenheit dazu. Lächerlich ist es, daß
manche Leute immer +sechszig+ und +siebenzig+ drucken lassen, denn
in ganz Deutschland sagt man +sechzig+ und +siebzig+. Für +fünfzehn+
und +fünfzig+ sagen manche lieber +funfzehn+ und +funfzig+. Im
Althochdeutschen stand neben unflektiertem ~funf~ ein flektiertes
~funfi~, woraus im Mittelhochdeutschen +fünfe+ wurde. +Funfzig+ ist nun
mit +funf+ gebildet, mit +fünf+ dagegen +fünfzehn+ und +fünfzig+, die
in der Schriftsprache die Oberhand gewonnen haben.[32]

Statt +hundertunderste+ kann man jetzt öfter lesen: +hundertundeinte+,
aber doch nur nach dem unbestimmten Artikel: nicht als ob ich zu den
hundert Fausterklärungen noch +eine hundertundeinte+ hinzufügen wollte.
Es schwebt dabei wohl weniger die Reihenfolge und der neue letzte
Platz in dieser Reihenfolge vor, als die Zahl, die von +hundert+ auf
+hundertundeins+ steigt. Trotzdem hat die Form keine Berechtigung.

Die Bildungen +anderthalb+ (d. h. der andre, der zweite halb),
+drittehalb+ (2½), +viertehalb+ (3½) sind jetzt mehr auf die
Umgangssprache beschränkt; in der Schriftsprache sind sie seltner
geworden. Es ist aber nichts gegen sie einzuwenden.


Starke und schwache Konjugation

Wie bei den Hauptwörtern zwischen einer starken und einer schwachen
Deklination, so unterscheidet man bei den Zeitwörtern zwischen einer
starken und einer schwachen Konjugation. Starke Zeitwörter nennt
man die, die ihre Formen nur durch Veränderung des Stammwortes
bilden, schwache die, die zur Bildung ihrer Formen andrer Mittel
bedürfen. Ein starkes Zeitwort ist: ich +springe+, ich +sprang+, ich
bin +gesprungen+, ein schwaches: ich +sage+, ich +sagte+, ich habe
+gesagt+. Die Veränderung des Stammvokals nennt man den Ablaut, die
verschiednen Wege, die der Ablaut einschlägt, die Ablautsreihen.[33]
Die wichtigsten Ablautsreihen sind: ei, i, i (+reite+, +ritt+,
+geritten+), ei, ie, ie (+bleibe+, +blieb+, +geblieben+), ie, o, o
(+gieße+, +goß+, +gegossen+), i, a, u (+binde+, +band+, +gebunden+), i,
a, o (+schwimme+, +schwamm+, +geschwommen+), e, a, o (+nehme+, +nahm+,
+genommen+), i, a, e (+bitte+, +bat+, +gebeten+), e, a, e (+lese+,
+las+, +gelesen+), a, u, a (+fahre+, +fuhr+, +gefahren+). Außerdem gibt
es noch eine Mischgruppe mit ie im Imperfekt und einunddemselben Vokal
im Präsens und im Partizip, wie +falle+, +fiel+, +gefallen+, +stoße+,
+stieß+, +gestoßen+, +rufe+, +rief+, +gerufen+, +laufe+, +lief+,
+gelaufen+, +heiße+, +hieß+, +geheißen+, wofür man jetzt bisweilen
falsch +gehießen+ hören muß, als ob es in die zweite Ablautsreihe
gehörte.

Fast noch bewundernswürdiger als in der Deklination der Hauptwörter
ist in der Flexion der Zeitwörter die Sicherheit, mit der auch
der Mindergebildete der Fülle und Mannigfaltigkeit der Formen
gegenübersteht. Freilich gibt es auch hier Schwankungen und
Verirrungen, darunter sogar recht ärgerliche und beschämende. Es gibt
Verbalstämme, die eine starke und auch eine schwache Flexion erzeugt
haben mit verschiedner Bedeutung; da ist dann Verwechslung eingetreten.
Es gibt aber auch Zeitwörter, die sich bloß in die andre Flexion
verirrt haben ohne Bedeutungswechsel. Bei gutem Willen ist aber doch
vielleicht auch hier noch manches zu verhüten oder aufzuhalten.


Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter

Das intransitive +hangen+ und das transitive +hängen+ (eigentlich
+henken+) jetzt noch streng auseinanderhalten zu wollen wäre wohl
vergebliches Bemühen. Wenn auch im Perfekt noch richtig gesagt wird:
ich habe das Bild +aufgehängt+, und +aufgehangen+ hier als fehlerhaft
empfunden wird, so hat sich doch leider fast allgemein eingebürgert:
ich +hing+ den Hut auf, und +hangen+, +abhangen+, +zusammenhangen+
erscheint uns altertümlich gesucht, obwohl es das richtige ist
(Heine: und als sie kamen ins deutsche Quartier, sie ließen die Köpfe
+hangen+). Ähnlich verhält sichs mit +wägen+ und +wiegen+; man sagt
jetzt ebenso: der Bäcker +wiegt+ das Brot, wie: das Brot +wiegt+ zu
wenig, obwohl es im ersten Falle eigentlich +wägt+ heißen müßte.
Auch bei +schmelzen+, +löschen+ und +verderben+ ist von Rechts wegen
zwischen einer transitiven schwachen und einer intransitiven starken
Flexion zu unterscheiden: die Sonne +schmelzt+ den Schnee, hat den
Schnee +geschmelzt+, aber der Schnee +schmilzt+, er ist +geschmolzen+;
der Wind +löscht+ das Licht +aus+, hat es +ausgelöscht+, aber das Licht
+verlischt+, ist +verloschen+; das Fleisch +verdirbt+, +verdarb+,
ist +verdorben+, aber der schlechte Umgang +verderbt+ die Jugend,
+verderbte+ sie, hat sie +verderbt+. Leider wird der Unterschied
nicht überall mehr beobachtet (am ehesten noch bei +löschen+). Sehr
in Verwirrung geraten sind das intransitive und das transitive
+schrecken+. Das intransitive +erschrecken+ wird allgemein noch
richtig flektiert: du +erschrickst+, er +erschrickt+, ich +erschrak+,
ich +bin erschrocken+ (in der niederdeutschen Vulgärsprache: +ich
habe mich erschrocken+!); ebenso das transitive: du +erschreckst+
mich, ich +erschreckte+, ich habe +erschreckt+. Bei +aufschrecken+
und +zurückschrecken+ aber hat die schwache Form die starke fast
ganz verdrängt; selten, daß man noch einmal richtig liest: daß die
Sozialdemokratie hiervor nicht +zurückschrickt+. Von dem ursprünglich
intransitiven +stecken+ (der Schlüssel +steckt+ an der Tür) hat sich
ein transitives +stecken+ abgezweigt (ich +stecke+ den Schlüssel an die
Tür). Beide werden jetzt meist schwach flektiert; das intransitive war
aber früher stark: wo +stickst+ du? Und mundartlich heißt es ja noch
heute: der Schlüssel +stak+.

Schlechterdings nicht verwechselt werden sollte +gesonnen+ und
+gesinnt+, +geschaffen+ und +geschafft+. +Gesonnen+ kann nur die
Absicht oder den Willen bedeuten: ich bin +gesonnen+, zu verreisen;
+gesinnt+, das gar nicht von dem Zeitwort +sinnen+, sondern von dem
Hauptwort +Sinn+ gebildet ist (wie +gewillt+ nicht von +wollen+,
sondern von +Wille+), kann nur von der Gesinnung gebraucht werden: er
war gut deutsch +gesinnt+, er ist mir feindlich +gesinnt+. +Schaffen+
bedeutet in der starken Flexion (+schuf+, +geschaffen+) die wirklich
schöpferische Tätigkeit, das Hervorbringen: der Dichter hat ein neues
Werk +geschaffen+. Ist aber nur arbeiten, hantieren, ausrichten,
bewirken, bringen (z. B. Waren auf den Markt schaffen) gemeint,
so muß es schwach flektiert werden (+schaffte+, +geschafft+). Von
+Rat schaffen+ also, +Nutzen schaffen+, +Abhilfe schaffen+, +Ersatz
schaffen+, +Raum schaffen+, +Luft schaffen+ und dem jetzt in der
Zeitungssprache so beliebten +Wandel schaffen+ dürfen durchaus nur die
schwachen Formen gebildet werden; es ist falsch, zu sagen: hier muß
+Wandel geschaffen+ werden. Ein +neuer Raum+ (ein Zimmer, ein Saal)
kann +geschaffen+ werden, aber +Raum+ (Freiheit der Bewegung) wird
+geschafft+.

Auch das starke Zeitwort +schleifen+ (+schliff+, +geschliffen+) hat
im Laufe der Zeit ein schwaches von sich abgespaltet (+schleifte+,
+geschleift+), das andre Bedeutung hat. Das Messer wird +geschliffen+,
aber die Kleiderschleppe wird über den Boden +geschleift+. Früher
wurden auch Städte und Festungen +geschleift+, auch Verbrecher auf
einer Kuhhaut auf den Richtplatz +geschleift+; jetzt wird nur noch
ein Student vom andern in die Kneipe +geschleift+, und dort wird dann
+gekneipt+ (nicht +geknippen+), denn +kneipen+ „in diesem Sinne“ ist
nur eine Ableitung von +Kneipe+.

Zwei ganz verschiedne Verba, ein starkes und ein schwaches, begegnen
einander in +laden+. Zwar werden jetzt ebenso Gäste +geladen+ wie
Kohlen und Gewehre, auch sagt man schon in beiden Fällen: ich +lud+.
Im Präsens wird aber doch noch bisweilen unterschieden zwischen: du
+ladest+ oder er +ladet+ mich ein (Schiller: es lächelt der See, er
+ladet+ zum Bade) und: er +lädt+ das Gewehr.

Sehr unangenehm fällt die fortwährende Vermischung von +dringen+ und
+drängen+ auf. +Dringen+ ist intransitiv und hat zu bilden: ich +drang+
vor, ich bin +vorgedrungen+. +Drängen+ dagegen ist transitiv oder
reflexiv und kann nur bilden: ich +drängte+, ich habe +gedrängt+; also
auch: ich +drängte mich+ vor, ich habe +mich vorgedrängt+, es wurde
mir +aufgedrängt+. Durchaus falsch ist: ich +dringe mich+ nicht auf,
ich habe +mich+ nicht +aufgedrungen+, diese Auffassung hat sich mir
+aufgedrungen+.

Eine ärgerliche Verwirrung ist bei +dünken+ eingerissen. Man sollte
dieses Wort, das ohnehin für unser heutiges Sprachgefühl etwas gesucht
altertümelndes hat, doch lieber gar nicht mehr gebrauchen, wenn man es
nicht mehr richtig flektieren kann! Das Imperfekt von +dünken+ heißt
+deuchte+; beide Formen verhalten sich zueinander ebenso wie +denken+
und +dachte+, womit sie ja auch stammverwandt sind. Aus +deuchte+ hat
man aber ein Präsens +deucht+ gemacht, noch dazu falsch mit dem Dativ
verbunden: +mir deucht+ (!). Wer sich ganz besonders fein ausdrücken
will, sagt immer: +mir deucht+ (statt +mir scheint+) und macht dabei
zwei Schnitzer in zwei Worten. Das richtige ist: +mich dünkt+ und +mich
deuchte+.

+Willfahren+ und +radebrechen+ (eine Sprache) sind nicht mit +fahren+
und +brechen+ zusammengesetzt, sondern von Hauptwörtern abgeleitet,
von einem nicht mehr vorhandnen ~willevar~ und von der +Radebreche+,
einer abschüssigen, für die Wagen gefährlichen Straßenstelle.[34] Beide
werden also richtig schwach flektiert: er +willfahrt+, +willfahrte+,
hat +gewillfahrt+, er +radebrecht+, +radebrechte+, hat +geradebrecht+.

Von manchen schwachen Verben ist vereinzelt ein starkes Partizip
gebräuchlich mit einer besonders gefärbten Bedeutung, z. B.
+verschroben+ (von +schrauben+), +verwunschen+ (der +verwunschne+
Prinz, von +verwünschen+), +unverhohlen+ (ich habe ihm +unverhohlen+
meine Meinung gesagt, von +verhehlen+).


Frägt und frug

Eine Schande ist es -- nicht für die Sprache, die ja nichts dafür kann,
wohl aber für die Schule, die das recht gut hätte verhüten können und
doch nicht verhütet hat --, mit welcher Schnelligkeit in ganz kurzer
Zeit die falschen Formen +frägt+ und +frug+ um sich gegriffen haben,
auch in Kreisen, die für gebildet gelten wollen und den Anspruch
erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen. Der Fehler wird deshalb
so ganz besonders widerwärtig, weil sichs dabei um ein Zeitwort
handelt, das hundertmal des Tags gebraucht wird. Das immer falsch hören
und -- lesen zu müssen, ist doch gar zu greulich.

Die Zeitwörter mit +ag+ im Stamme teilen sich in zwei Gruppen; die
eine Gruppe gehört dem starken Verbum, die andre dem schwachen an. Die
erste Gruppe bilden die beiden Verba: ich +trage+, du +trägst+ -- ich
+trug+ -- ich habe +getragen+, ich +schlage+, du +schlägst+ -- ich
+schlug+ -- ich habe +geschlagen+; sie haben dieselbe Ablautsreihe wie
+fahre+, +fuhr+, +gefahren+ -- +grabe+, +grub+, +gegraben+ -- +wachse+,
+wuchs+, +gewachsen+ u. a. Zur zweiten Gruppe gehören: ich +sage+, du
+sagst+ -- ich +sagte+ -- ich habe +gesagt+, ich +jage+, du +jagst+ --
ich +jagte+ -- ich habe +gejagt+; ebenso +klagen+, +nagen+, +plagen+,
+ragen+, +wagen+, +zagen+. +Fragen+ hat nun seit Jahrhunderten
unbezweifelt zur zweiten Gruppe gehört: ich +frage+, du +fragst+ --
ich +fragte+ -- ich habe +gefragt+. Unsre Klassiker kennen keine andre
Form. Zwei der besten deutschen Prosaiker, Gellert und Lessing, wissen
von +frägt+ und +frug+ gar nichts. Nur ganz vereinzelt findet sich in
Versen, also unter dem beengenden Einflusse des Rhythmus, +frug+; so
bei Goethe in den Venezianischen Epigrammen: niemals +frug+ ein Kaiser
nach mir, es hat sich kein König um mich bekümmert -- bei Schiller
im Wallenstein: jawohl, der Schwed +frug+ nach der Jahrszeit nichts.
Auch Bürger hat es (Lenore: sie +frug+ den Zug wohl auf und ab, und
+frug+ nach allen Namen), und da haben wir denn auch die Quelle: es
stammt aus dem Niederdeutschen. Bürger war 1747 in Molmerswende bei
Halberstadt geboren; wahrscheinlich sagte man dort schon zu seiner Zeit
allgemein frug.[35] Aber noch in den fünfziger und sechziger Jahren des
neunzehnten Jahrhunderts hörte man die Dialektform in der gebildeten
Umgangssprache so gut wie gar nicht. Auf einmal tauchte sie auf. Und
nun ging es ganz wie mit einer neuen Kleidermode, sie verbreitete
sich anfangs langsam, dann schneller und immer schneller,[36] und
heute schwatzen nicht bloß die Ladendiener und die Ladenmädchen in der
Unterhaltung unaufhörlich: ich +frug+ ihn, er +frug+ mich, wir +frugen+
sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Professor, alle
schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane schreibens,
das richtige bekommt man kaum noch zu hören oder zu lesen. Es fehlte
nur, daß auch noch gesagt und geschrieben würde: ich habe +gefragen+,
er hat mich +gefragen+ usw.[37] Wie lange wird die alberne Mode
dauern? wird sie nicht endlich dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen?
Alle guten Schriftsteller und alle anständigen Zeitschriften und
Zeitungen brauchten nur die falschen Formen beharrlich zu meiden,
so würden wir sie bald ebenso schnell wieder lossein, wie sie sich
eingedrängt haben.[38]

Merkwürdig ist es, daß in diesem Falle die Sprache einmal aus der
schwachen in die starke Konjugation abgeirrt ist. Gewöhnlich verläuft
sie sich in umgekehrter Richtung. Wie kleine Kinder, die erst reden
lernen, anfangs starke Verba gern nach der schwachen Konjugation
bilden: ich +schreibte+, der Käfer +fliegte+, der Mann, der da
+reinkamte+, so haben es auch immer die großen Kinder gemacht, die
nicht ordentlich hatten reden lernen. So werden +falten+ und +spalten+,
die ursprünglich stark flektiert wurden (+falte+, +fielt+, +gefalten+),
jetzt schwach flektiert: mit +gefalteten+ Händen; von +spalten+ hat
sich nur das starke Partizip erhalten: +gespaltnes+ Holz. Aber einzelne
Zeitwörter sind schon in alter Zeit auch den umgekehrten Weg gegangen;
so ist das ursprüngliche +geweist+ und +gepreist+ schon längst durch
+gewiesen+ und +gepriesen+ verdrängt worden, und in Mitteldeutschland
kann man im Volksmunde hören: es wurde mit der großen Glocke
+gelauten+, ich habe den ganzen Winter kalt +gebaden+.[39]


Übergeführt und überführt

Auch das transitive +führen+ (d. h. bringen) und das intransitive
+fahren+ (d. h. sich bewegen) noch auseinanderhalten zu wollen, wäre
vergebliches Bemühen. In beiden Bedeutungen wird schon längst bloß noch
+fahren+ gebraucht: ich +fahre+ im Wagen, und der Kutscher +fährt+
mich. Es kann aber gar nichts schaden, wenn man sich an +Fuhre+,
+Fuhrmann+, +Bierführer+, dem ältern +Buchführer+ (statt Buchhändler)
u. a. den ursprünglichen Unterschied gegenwärtig hält. Und dazu könnte
auch +überführen+ dienen, das jetzt in der Zeitungsprache (als Ersatz
für +transportieren+) beliebt geworden ist, wenn man es nur nicht
fortwährend falsch flektiert lesen müßte! Täglich muß man in Zeitungen
von +überführten+ Kranken und +überführten+ Leichen lesen, das soll
heißen: von Personen, die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem
Tode in die Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Wie kann sich
das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werden +überführt+, wenn ihnen
trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird: dann aber werden
sie ins Zuchthaus +übergeführt+, wenn denn durchaus „geführt“ werden
muß.

Es gibt eine große Anzahl zusammengesetzter Zeitwörter, bei denen,
je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das
Zeitwort betont wird, z. B. +über+setzen (den Wandrer über den Fluß)
und über+setzen+, +über+fahren (über den Fluß) und über+fahren+ (ein
Kind auf der Straße), +über+laufen (vom Krug oder Eimer gesagt) und
über+laufen+ (es über+läuft+ mich kalt, er über+läuft+ mich mit seinen
Besuchen), +über+legen (über die Bank) und über+legen+, +über+gehen
(zum Feinde) und über+gehen+ (den nächsten Abschnitt), +unter+halten
(den Krug am Brunnen) und unter+halten+, +unter+schlagen (die Beine)
und unter+schlagen+ (eine Geldsumme), +unter+breiten (einen Teppich)
und unter+breiten+ (ein Bittgesuch), +hinter+ziehen (ein Seil) und
hinter+ziehen+ (die Steuern), +um+schreiben (noch einmal oder ins
Reine schreiben) und um+schreiben+ (einen Ausdruck durch einen
andern), +durch+streichen (eine Zeile) und durch+streichen+ (eine
Gegend), +durch+sehen (eine Rechnung) und durch+schauen+ (einen
Betrug), +um+gehen und um+gehen+, +hinter+gehen und hinter+gehen+,
+wieder+holen und wieder+holen+ usw. Gewöhnlich haben die Bildungen
mit betonter Präposition die eigentliche, sinnliche, die mit betontem
Verbum eine übertragne, bisweilen auch die einen eine transitive,
die andern eine intransitive Bedeutung. Die Bildungen nun, die die
Präposition betonen, trennen bei der Flexion die Präposition ab, oder
richtiger: sie verbinden sie nicht mit dem Verbum (ich +breite unter+,
ich +streiche durch+, ich +gehe hinter+, daher auch +hinterzugehen+)
und bilden das Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe +ge+
(+untergebreitet+, +durchgestrichen+, +hintergegangen+); die dagegen,
die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion Verbum und Präposition
verbunden (ich +unterbreite+, ich +durchstreiche+, ich +hintergehe+,
daher auch +zu hintergehen+) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe
+ge+ (+unterbreitet+, +durchstrichen+, +hintergangen+). Darnach ist es
klar, daß von einem Orte zum andern etwas nur +übergeführt+, aber nicht
+überführt+ werden kann. Ebenso verhält sichs mit +übersiedeln+, wo
das Sprachgefühl neuerdings auch ins Schwanken gekommen ist. Richtig
ist nur, wann siedelst du +über+? ich bin schon +übergesiedelt+, aber
nicht: wann +übersiedelst+ du? ich bin schon +übersiedelt+, die Familie
+übersiedelte+ nach Berlin.

Die Verwirrung stammt aus Süddeutschland und namentlich aus Österreich,
wo nicht nur der angegebne Unterschied vielfach verwischt wird,
sondern überhaupt die Neigung besteht, das Gebiet der trennbaren
Zusammensetzung immer mehr einzuschränken. Der Österreicher sagt stets:
über+führt+, über+siedelt+; er an+erkennt+ etwas, er unter+ordnet+
sich, eine Aufgabe ob+liegt+ ihm, er redet von einem unter+schobnen+
Kinde, von dem Text, der einem Liede unter+legt+ ist, er unter+bringt+
einen jungen Mann in einem Geschäft, er über+schäumt+ vor Entrüstung,
er hat die verschiednen Weine des Landes durch+kostet+ usw. Wir sollen
uns mit allen Kräften gegen diese Verwirrung wehren, da sie ein Zeichen
trauriger Verlotterung des Sprachgefühls ist.

Von den mit +miß+ zusammengesetzten Zeitwörtern sind Partizipia mit
oder ohne +ge+- gebräuchlich, je nachdem man sich lieber +miß+ oder
das Verbum betont denkt, also miß+lungen+, miß+raten+, miß+fallen+,
miß+billigt+, miß+deutet+, miß+gönnt+, miß+braucht+, miß+handelt+,
neben +gemiß+braucht, +gemiß+billigt, +gemiß+handelt. Die Vorsilbe
+ge+- kann aber niemals zwischen +miß+ und das Zeitwort treten, +miß+
bleibt in der Flexion überall mit dem Zeitwort verwachsen. Daher
ist es auch falsch, Infinitive zu bilden wie +mißzuhandeln+, es muß
unbedingt heißen: +zu mißhandeln+, +zu mißbrauchen+.

Für +neubacken+ wird jetzt öfter +neugebacken+ geschrieben: ein
neu+gebackner+ Doktor, ein neu+gebackner+ Ehemann usw., aber doch
immer nur von solchen, die sich die gute alte Form nicht zu schreiben
getrauen. Und doch fürchten sie sich weder vor +neuwaschen+ noch vor
+altbacken+ noch vor +hausbacken+.


Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?

Ufm Bergli +bin i gsässe+, ha de Vögle zugeschaut; hänt gesunge, +hänt
gesprunge+, hänt’s Nestli gebaut -- heißt es in Goethes Schweizerlied.
+Ich bin gesessen+, +gestanden+, +gelegen+ ist das Ursprüngliche, das
aber in der Schriftsprache längst durch +habe gesessen+, +gestanden+,
+gelegen+ verdrängt ist. Nur mundartlich lebt es noch fort, und in
einer bayrischen oder österreichischen Erzählung aus dem Volksleben
läßt man sichs auch gern gefallen, auch in der Dichtersprache (Rückert:
es +ist+ ein Bäumlein +gestanden+ im Wald); in einem wissenschaftlichen
Aufsatz ist es unerträglich. Wie köstlich aber ist das +hänt
gesprunge+! Die Verba der Bewegung bilden ja das Perfektum alle mit
+sein+; manche können aber daneben auch ein Perfektum mit +haben+
bilden, nämlich dann, wenn das Verbum der Bewegung eine Beschäftigung
bezeichnet. Schon im fünfzehnten Jahrhundert heißt es in Leipzig: Der
Custos zu S. Niclas +hat+ mit dem Frohnen nach Erbgeld +gangen+, d. h.
er hat den Auftrag ausgeführt, das Geld einzusammeln. Und heute heißt
es allgemein: vorige Woche +haben+ wir +gejagt+, aber: ich +bin+ in der
ganzen Stadt +herumgejagt+, eine Zeit lang +bin+ ich diesem Trugbilde
+nachgejagt+, wir +haben+ die halbe Nacht +getanzt+, aber: das Pärchen
+war+ ins Nebenzimmer +getanzt+. Jedermann sagt: +ich bin gereist+,
nur der Handlungsreisende nicht, der sagt: ich +habe+ nun schon zehn
Jahre +gereist+, denn das Reisen ist seine Beschäftigung![40] Wenn
er aber sagt: Ich +bin+ mit Müller und Kompagnie zehn Jahre lang
+verkehrt+, so ist das falsch: auch +verkehren+ bildet sein Perfektum
mit +haben+. Und geradezu entsetzlich ist es, wenn er seine junge Frau
in der Stadt herumführt und ihr ein Haus zeigt mit den Worten: Hier
+bin+ ich ein Jahr lang +jewohnt+! Richtig unterschieden wird wohl
allgemein zwischen: er +ist+ mir +gefolgt+ (nachgegangen) und er +hat+
mir +gefolgt+ (gehorcht), er +ist fortgefahren+ (im Wagen) und er +hat
fortgefahren+ (zu lügen).


Singen gehört oder singen hören?

Eine der eigentümlichsten Erscheinungen unsrer Sprache, die dem
Ausländer, der Deutsch lernen will, viel Kopfzerbrechen macht, wird
mit der Frage berührt, ob es heiße: ich habe dich +singen gehört+ oder
+singen hören+.

Bei den Hilfszeitwörtern +können+, +mögen+, +dürfen+, +wollen+,
+sollen+ und +müssen+ und bei einer Reihe andrer Zeitwörter, die
ebenfalls mit dem Infinitiv verbunden werden, wie +heißen+, +lehren+,
+lernen+, +helfen+, +lassen+ (+lassen+ in allen seinen Bedeutungen:
befehlen, erlauben und zurücklassen), +machen+, +sehen+, +hören+ und
+brauchen+ (+brauchen+ im Sinne von +müssen+ und +dürfen+) ist schon
in früher Zeit das Partizipium der Vergangenheit, namentlich wenn es
unmittelbar vor dem abhängigen Infinitiv stand (der +Rat+ hat ihn
+geheißen gehen+), durch eine Art von Versprechen mit diesem Infinitiv
verwechselt und vermengt worden. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts heißt es bunt durcheinander: man hat ihn +geheißen gehen+
und +heißen gehen+, und passiv: er ist +geheißen gehen+, er ist +heißen
gehen+, er ist +geheißen zu gehen+, ja sogar er ist +gegangen heißen+.
Schließlich drang an der Stelle des Partizips der Infinitiv vollständig
durch, namentlich dann, wenn der abhängige Infinitiv unmittelbar
davorstand, und so sagte man nun allgemein: ich habe ihn +gehen
heißen+, ich habe ihn +tragen müssen+, ich habe ihn +kommen lassen+,
ich habe ihn +kennen lernen+, ich habe ihn +laufen sehen+, ich habe ihn
+rufen hören+, er hat viel von sich +reden machen+ (Goethe im Faust:
ihr habt mich weidlich +schwitzen+ machen, der Kasus +macht+ mich
+lachen+), du hättest nicht zu +warten brauchen+.[41] Das merkwürdigste
ist, daß bei vieren von diesen Zeitwörtern der abhängige Infinitiv
ebenfalls erst durch ein Mißverständnis aus dem Partizip entstanden
ist, nämlich bei +hören+, +sehen+, +machen+ und +lassen+: ich höre ihn
+singen+, ich mache ihn +schwitzen+, ich lasse ihn +liegen+ ist ja
entstanden aus: ich höre ihn +singend+, ich mache ihn +schwitzend+,
ich lasse ihn +liegend+.[42] In der Verbindung also: ich habe ihn
+singen hören+ sind, so wunderbar das klingt, zwei Partizipia, eins der
Gegenwart und eins der Vergangenheit, durch bloßes Mißverständnis zu
Infinitiven geworden! Diese merkwürdige Erscheinung ist aber nun durch
jahrhundertelangen Gebrauch in unsrer Sprache so eingebürgert, und sie
ist uns so vertraut und geläufig geworden, daß es gesucht, ungeschickt,
ja geradezu fehlerhaft erscheint, wenn jemand schreibt: ich habe sie
auf dem Ball +kennen gelernt+ -- Dozent auf der Hochschule hatte ich
+werden gewollt+ (behüt dich Gott! es hat nicht +sein gesollt+!) --
er hatte ein Mädchen mit einem Kinde gewissenlos +sitzen gelassen+ --
wir haben die Situation +kommen gesehen+ -- über diesen Versuch hat
er nie Reue zu +empfinden gebraucht+ -- du hast mir das Verständnis
+erschließen geholfen+ usw. Wer sich ungesucht ausdrücken will, bleibt
beim Infinitiv, ja er dehnt ihn unwillkürlich gelegentlich noch auf
sinnverwandte Zeitwörter aus und schreibt: wir hätten diese Schuld auch
dann noch auf uns +lasten fühlen+ (statt: +lasten gefühlt+). (Lenau:
Drei Zigeuner +fand+ ich einmal +liegen+ an einer Weide.)

Kommen zwei solche Hilfszeitwörter zusammen, so hilft es nichts, und
wenn sich der Papiermensch noch so sehr darüber entsetzt: es stehn
dann drei Infinitive nebeneinander: wir hätten den Kerl +laufen lassen
sollen+, +laufen lassen müssen+, +laufen lassen können+. Klingt
wundervoll und ist -- ganz richtig.


Du issest oder du ißt?

In der Flexion innerhalb der einzelnen Tempora können keine Fehler
gemacht werden und werden auch keine gemacht. Bei Verbalstämmen, die
auf s, ß oder z ausgehen, empfiehlt sichs, im Präsens in der zweiten
Person des Singular das e zu bewahren, das sonst jetzt ausgeworfen
wird: du +reisest+, du +liesest+, du +hassest+, du +beißest+, du
+tanzest+, du +seufzest+. Allgemein üblich ist freilich: du +mußt+,
du +läßt+, fast allgemein auch: du +ißt+. Aber zu fragen: du +speist+
doch heute bei mir? wäre nicht fein; zwischen +speisen+ und +speien+
muß man hübsch unterscheiden. (Vgl. auch +du haust+ und +du hausest+.)
Bei Verbalstämmen dagegen, die auf sch endigen, kann man getrost
sagen: du +naschst+, du +wäschst+, du +drischst+, du +wünschst+,
sogar du +rutschst+. Auch in der zweiten Person der Mehrzahl wird
das e, wenigstens in Nord- und Mitteldeutschland, schon längst nicht
mehr gesprochen; also hat es auch keinen Sinn, es zu schreiben. Über
Maueranschläge, wie: +Besuchet+ Augsburg mit seinen Sehenswürdigkeiten,
oder: +Waschet+ mit Seifenextrakt, lacht man in Leipzig schon wegen
des altmodischen +et+. Nur bei der Abendmahlsfeier läßt man sich gern
gefallen: +Nehmet+ hin und +esset+.


Stände oder stünde? Begänne oder begönne?

Immer größer wird die Unbeholfenheit, den Konjunktiv des Imperfekts
richtig zu bilden. Viele getrauen sichs kaum noch, sie umschreiben
ihn womöglich überall durch den sogenannten Konditional (+würde+ mit
dem Infinitiv), auch da, wo das nach den Regeln der Satzlehre ganz
unzulässig ist (vgl. S. 158). Besonders auffällig ist bei einer Reihe
von Zeitwörtern die Unsicherheit über den Umlautsvokal: soll man
ä oder ü gebrauchen? Das Schwanken ist dadurch entstanden, daß im
Mittelhochdeutschen der Pluralvokal im Imperfektum vielfach anders
lautete als der Singularvokal (~half~, ~hulfen~; ~wart~, ~wurden~),
dieser Unterschied sich aber später ausglich. Da nun der Konjunktiv
immer mit dem Umlaut des Pluralvokals gebildet wurde, so entstand
Streit zwischen ü und ä. Da aber die ursprünglichen Formen (+hülfe+,
+stürbe+, +verdürbe+, +würbe+, +würfe+) doch noch lebendig sind, so
verdienen sie auch ohne Zweifel geschützt und den später eingedrungnen
+hälfe+, +stärbe+, +verdärbe+, +wärbe+, +wärfe+ vorgezogen zu
werden. Neben +würde+ ist die Form mit ä gar nicht aufgekommen. Von
+stehen+ hieß das Imperfekt ursprünglich überhaupt nicht +stand+,
sondern +stund+, wie es in Süddeutschland noch heute heißt; das u
ging durch den Singular wie durch den Plural. Folglich ist auch hier
+stünde+ älter und richtiger als +stände+. Bei einigen Verben, wie
bei +beginnen+, hat der Streit zwischen ä und ü im Anschluß an das o
des Partizips (+begonnen+) im Konjunktiv des Imperfekts ö in Aufnahme
gebracht. Auch diese Formen mit ö (+beföhle+, +begönne+, +besönne+,
+empföhle+, +gewönne+, +gölte+, +rönne+, +schölte+, +schwömme+,
+spönne+, +stöhle+) verdienen, da sie den Formen mit umgewandeltem
Pluralvokal entsprechen, den Vorzug vor denen mit ä.


Kännte oder kennte?

Ein Irrtum ist es, wenn man glaubt, aus dem Indikativ +kannte+ einen
Konjunktiv +kännte+ bilden zu dürfen. Die sechs schwachen Zeitwörter:
+brennen+, +kennen+, +nennen+, +rennen+, +senden+ und +wenden+ haben
eigentlich ein a im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet.
Ihr Imperfekt bilden sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit
(durch den sogenannten Rückumlaut) mit a: +brannte+, +gebrannt+,
+sandte+, +gesandt+, und da der Konjunktiv bei schwachen Verben
nicht umlautet, so sollte er eigentlich ebenfalls +brannte+, +sandte+
heißen. Zur Unterscheidung hat man aber (und zwar ursprünglich nur im
Mitteldeutschen) einen Konjunktiv +brennete+, +kennete+, +nennete+,
+rennete+, +sendete+ und +wendete+ gebildet. Das e dieser Formen ist
nicht etwa ein jüngerer Umlaut zu dem a des Indikativs, sondern es
ist das alte Umlauts-e, das durch das Präsens dieser Zeitwörter geht.
Wirft man nun, wie es jetzt geschieht, aus +brennete+, +kennete+ das
mittlere e aus, das in +sendete+ und +wendete+ beibehalten wird, so
bleibt +brennte+, +kennte+ übrig. In früherer Zeit gehörten noch andre
Verba zu dieser Reihe, z. B. +setzen+ und +stellen+; der Konjunktiv
des Imperfekts heißt hier +setzte+, +stellte+, der Indikativ und das
Partizipium aber hießen früher: +sazte+, +stalte+, +gesazt+, +gestalt+
(das noch in +wohlgestalt+, +mißgestalt+, +ungestalt+ erhalten ist).

[Illustration]



Zur Wortbildungslehre

[Illustration]



[Illustration]


Reformer und Protestler

Erstaunlich ist die Fülle und Mannigfaltigkeit in unsrer Wortbildung,
noch erstaunlicher die Sicherheit des Sprachgefühls, mit der sie doch
im allgemeinen gehandhabt und durch gute und richtige Neubildungen
vermehrt wird. Doch fehlt es auch hier nicht an Mißhandlungen und
Verirrungen.

Im Volksmund ist es seit alter Zeit üblich, zur Bezeichnung von
Männern dadurch Substantiva zu bilden, daß man an ein Substantiv,
das eine Sache bezeichnet, oder an ein andres Nomen die Endung
+er+ hängt. In Leipzig sprach man im fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhundert nicht bloß von +Barfüßern+, sondern nannte auch die
Insassen der beiden andern Mönchsklöster kurzweg +Pauler+ und
+Thomasser+, und im siebzehnten Jahrhundert die kurfürstliche Besatzung
der Stadt +Defensioner+. Dazu kamen später die +Korrektioner+ (die
Insassen des Arbeitshauses) und die +Polizeier+, und in neuerer
Zeit die +Hundertsiebener+, die +Urlauber+, die +Sanitäter+, die
+Eisenbahner+ und die +Straßenbahner+. Im Buchhandel spricht man von
+Sortimentern+, in der gelehrten Welt von +Naturwissenschaftern+ und
+Sprachwissenschaftern+, in der Malerei von +Landschaftern+, und in der
Politik von +Botschaftern+, +Reformern+ und -- +Attentätern+![43] Da
manche dieser Bildungen unleugbar einen etwas niedrigen Beigeschmack
haben, der den von Verbalstämmen gebildeten Substantiven auf er
(+Herrscher+, +Denker+, +Kämpfer+) nicht anhaftet, so sollte man sich
mit ihnen recht in acht nehmen. In +Reformer+, das man dem Engländer
nachplappert, liegt unleugbar etwas geringschätziges im Vergleich zu
+Reformator+; unter einem +Reformer+ denkt man sich einen Menschen,
der wohl reformatorische Anwandlungen hat, es aber damit zu nichts
bringt. Noch viel deutlicher liegt nun dieses geringschätzige
in den Bildungen auf +ler+, wie +Geschmäckler+, +Zünftler+,
+Tugendbündler+, +Temperenzler+, +Abstinenzler+, +Protestler+,
+Radler+, +Sommerfrischler+, +Barfüßler+, +Zuchthäusler+; deshalb ist
es unbegreiflich, wie manche Leute so geschmacklos sein können, von
+Neusprachlern+ und von +Naturwissenschaftlern+ zu reden. Eigentlich
gehen ja die Bildungen auf +ler+ auf Zeitwörter zurück, die auf +eln+
endigen, wie +bummeln+, +betteln+, +grübeln+, +kritteln+, +sticheln+,
+nörgeln+, +kränkeln+, +hüsteln+, +frömmeln+, +tänzeln+, +radeln+,
+anbändeln+, sich +herumwörteln+, +näseln+, +schwäbeln+, +französeln+.
So setzen +Neusprachler+ und +Naturwissenschaftler+ die Zeitwörter
+neuspracheln+ und +naturwissenschafteln+ voraus; das wären aber
doch Tätigkeiten, hinter denen kein rechter Ernst wäre, die nur als
Spielerei betrieben würden. An +Künstler+ haben wir uns freilich ganz
gewöhnt, obwohl +künsteln+ mit seiner geringschätzigen Bedeutung
daneben steht, auch an +Tischler+ und +Häusler+.


Ärztin und Patin

Von Substantiven, die einen Mann bezeichnen, werden Feminina auf
+in+ gebildet: +König, Königin+ -- +Wirt, Wirtin+ -- +Koch, Köchin+
-- +Berliner, Berlinerin+ -- sogar +Landsmann, Landsmännin+ (während
sonst natürlich zu +Mann+ das Femininum +Weib+ oder +Frau+ ist: der
+Kehrmann+, das +Waschweib+, der +Botenmann+, die +Botenfrau+). Von
+Arzt+ hat man in letzter Zeit +Ärztin+ gebildet. Manche getrauten
sich das anfangs nicht zu sagen und sprachen von +weiblichen Ärzten+,
es ist aber gar nichts dagegen einzuwenden, und es ist abgeschmackt,
wenn unsre Zeitungen immer von männlichen und +weiblichen Arbeitern+,
männlichen und +weiblichen Lehrern+ reden statt von Arbeitern und
+Arbeiterinnen+, Lehrern und +Lehrerinnen+ (abgeschmackt auch, wenn
es in Polizeiberichten heißt, daß ein neugebornes +Kind+ männlichen
oder +weiblichen Geschlechts+ im Wasser gefunden worden sei, statt
ein neugeborner Knabe oder ein neugebornes +Mädchen+). Dagegen ist es
nicht gut, ein Femininum auf +in+ zu bilden von +Pate+, +Kunde+ (beim
Kaufmann) und +Gast+. In der ältern Sprache findet sich zwar zuweilen
auch +Gästin+, auf Theaterzetteln konnte man noch vor gar nicht langer
Zeit lesen, daß eine auswärtige Schauspielerin als +Gastin+ auftrete,
aber wer möchte noch heute eine Frau oder ein Mädchen seine +Gästin+
oder +Gastin+ nennen? Bei +Pate+ unterscheidet man +den Paten+ und
+die Pate+, je nachdem ein Knabe oder ein Mädchen gemeint ist, und der
Kaufmann sagt: das ist +ein guter Kunde+ oder +eine gute Kunde+ von
mir. Entsetzlich sind die in der Juristensprache üblichen Bildungen:
die +Beklagtin+, die +Verwandtin+ und -- das neueste -- die +Beamtin+.
Von Partizipialsubstantiven -- und ein solches ist auch der +Beamte+,
d. h. der +Beamtete+, der mit einem Amte versehene -- können keine
Feminina auf +in+ gebildet werden; niemand sagt: meine +Bekanntin+,
meine +Geliebtin+, auch Juristen nicht.


Tintefaß oder Tintenfaß?

Zusammensetzungen aus zwei Substantiven wurden im Deutschen
ursprünglich nur so gebildet, daß der Stamm des ersten Wortes, des
Bestimmungswortes, an das zweite, das bestimmte Wort vorn angefügt
wurde, z. B. +Tage-lohn+; das e in Tagelohn ist der abgeschwächte
Stammauslaut. Später sind zusammengesetzte Wörter auch dadurch
entstanden, daß ein vorangehendes Substantiv im Genitiv mit einem
folgenden durch einfaches Aneinanderrücken verschmolz, z. B.
+Gottesdienst+, +Sonntagsfeier+, +Tageslicht+, +Heeressprache+,
+Handelskammer+. In manchen Fällen sind jetzt beide Arten der
Zusammensetzungen nebeneinander gebräuchlich in verschiedner Bedeutung,
z. B. +Landmann+ und +Landsmann+, +Wassernot+ und +Wassersnot+. Nun
endet bei allen schwachen Femininen der Stamm ursprünglich ebenso wie
der Genitiv, beide gehen eigentlich auf +en+ aus, und so haben diese
schwachen Feminina eine sehr große Zahl von Zusammensetzungen mit +en+
gebildet, auch in das Gebiet der starken Feminina übergegriffen, sodaß
+en+ zum Hauptbindemittel für Feminina überhaupt geworden ist. Man
denke +nur an Sonnenschein+, +Frauenkirche+ (d. i. die Kirche unsrer
lieben +Frauen+, der Jungfrau Maria), +Erdenrund+, +Lindenblatt+,
+Aschenbecher+, +Taschentuch+, +Seifensieder+, +Gassenjunge+,
+Stubentür+, +Laubendach+, +Küchenschrank+, +Schneckenberg+,
+Wochenamt+, +Gallenstein+, +Kohlenzeichnung+, +Leichenpredigt+,
+Reihenfolge+, +Wiegenlied+, +Längenmaß+, +Breitengrad+, +Größenwahn+,
+Muldental+, +Pleißenburg+, +Parthendörfer+, +Markthallenstraße+
u. a. Sogar Lehn- und Fremdwörter haben sich dieser Zusammensetzung
angeschlossen, wie in +Straßenpflaster+, +Tintenfaß+, +Kirchendiener+,
+Lampenschirm+, +Flötenspiel+, +Kasernenhof+, +Bastillenplatz+,
+Visitenkarte+, +Toilettentisch+, +Promenadenfächer+,
+Kolonnadenstraße+. Ein reizendes Bild in der Dresdner Galerie ist das
+Schokoladenmädchen+.

Bei dem einfachen Zusammenrücken von Wörtern stellten sich nun aber
Genitive im Plural als erster Teil der Zusammensetzung ein, und das
hat neuerdings zu einer traurigen Verirrung geführt. Man bildet sich
ein, das Binde-+en+ sei überhaupt nichts andres als das Plural-+en+,
man fühlt nicht mehr, daß dieses +en+ ebenso gut die Berechtigung
hat, einen weiblichen Singular mit einem folgenden Substantiv zu
verbinden, und so schreibt und druckt man jetzt wahrhaftig aus Angst
vor eingebildeten widersinnigen Pluralen: +Aschebecher+, +Aschegrube+,
+Tintefaß+, +Jauchefaß+, +Sahnekäse+, +Hefezelle+, +Hefepilz+,
+Rassepferd+ und +Rassehund+, +Stellegesuch+, +Muldetal+, +Pleißeufer+,
+Parthebrücke+, +Gartenlaubekalender+, +Gartenlaubebilderbuch+,
+Sparkassebuch+, +Visitekarte+, +Toiletteseife+, +Serviettering+,
+Manschetteknopf+, +Promenadeplatz+, +Schokoladefabrik+ usw. In allen
Bauzeitungen muß man von +Mansardedach+ und von +Lageplan+ lesen (so
haben die Architekten, die erfreulicherweise eifrige Sprachreiniger
sind, +Situationsplan+ übersetzt), in allen Kunstzeitschriften von
+Kohlezeichnungen+ und +Kohledrucken+, offenbar damit ja niemand
denke, die Zeichnungen oder Drucke wären mit einem Stück Stein- oder
Braunkohle aus dem +Kohlenkasten+ gemacht -- nicht wahr? Wer nicht
fühlt, daß das alles das bare Gestammel ist, der ist aufrichtig zu
bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten, die erst
reden lernen und noch nicht alle Konsonanten bewältigen können.
Man setze sich das nur im Geiste weiter fort -- was wird die Folge
sein? daß wir in Zukunft auch stammeln: +Sonneschein+, +Taschetuch+,
+Brilleglas+, +Gosestube+, +Zigarrespitze+, +Straßepflaster+,
+Roseduft+, +Seifeblase+, +Hülsefrucht+, +Laubedach+, +Geigespiel+,
+Ehrerettung+, +Wiegelied+, +Aschebrödel+ usw.[44] Sollten einzelne
dieser Wörter vor der Barbarei bewahrt bleiben, so könnte es nur
deshalb geschehen, weil man annähme, ihr Bestimmungswort stehe im
Plural, und der sei richtig, also ein +Taschentuch+ sei nicht ein Tuch
für die Tasche, sondern -- für die Taschen!

Wo das Binde-+en+ aus rhythmischen oder andern Gründen nicht gebraucht
wird, bleibt für Feminina nur noch die eine Möglichkeit, den verkürzten
Stamm zu benutzen, der wieder mit dem eigentlichen Stamm der alten
starken Feminina zusammenfällt und dadurch überhaupt erst in der
Zusammensetzung von Femininen aufgekommen ist. So findet sich in
früherer Zeit +Leichpredigt+ neben +Leichenpredigt+, und so haben wir
längst +Mühlgasse+ neben +Mühlenstraße+, +Erdball+ und +Erdbeere+
neben +Erdenrund+ und +Erdenkloß+, +Kirchspiel+ und +Kirchvater+
neben +Kirchenbuch+ und +Kirchendiener+, +Elbtal+, +Elbufer+ und
+Elbbrücke+ neben +Muldental+ und +Muldenbett+. Vor dreißig Jahren
sagte man +Lokomotivenführer+, und das war gut und richtig. Neuerdings
hat die Amtssprache +Lokomotivführer+ durchgedrückt. Das ist zwar ganz
häßlich, denn nun stoßen zwei Lippenlaute (v und f) aufeinander, aber
es ist ja zur Not auch richtig. Aber ein Wort wie +Saalezeitung+ oder
+Solebad+, wie man auch neuerdings lallt (das +Solebad+ Kissingen),
ist doch die reine Leimerei. Bei +Saalzeitung+ könnte wohl einer an
den +Saal+ denken statt an die +Saale+? Denkt denn beim +Saalkreis+,
beim +Saalwein+ und bei der +Saalbahn+ jemand dran?[45] Die Amtssprache
fängt jetzt freilich auch an, vom +Saalekreis+ zu stammeln. Als 1747
das erste Rhinozeros nach Deutschland kam, nannten es die Leute bald
+Nashorn+, bald +Nasenhorn+. Hätte man das Tier heute zu benennen,
man würde es unzweifelhaft +Nasehorn+ nennen.[46] Das Neueste ist,
daß sich die Herren von der Presse jetzt +Pressevertreter+ nennen und
bisweilen ein +Pressefest+ oder einen +Presseball+ veranstalten. Von
einem +Preßfest+ oder einem +Preßball+ zu reden fürchten sie sich,
offenbar damit niemand an die +Preßwurst+ denke! Ein Glück, daß die
Wörter +Preßfreiheit+, +Preßgesetz+, +Preßvergehen+, +Preßpolizei+,
+Preßbureau+ schon in einer Zeit gebildet worden sind, wo die Herren
von der Presse noch deutsch reden konnten!

Besonders bei der Zusammensetzung mit Namen wird jetzt (z. B. bei
der Taufe neuer Straßen oder Gebäude) fast nur noch in dieser Weise
geleimt. Wer wäre vor hundert Jahren imstande gewesen, eine Straße
+Augustastraße+, ein Haus +Marthahaus+, einen Garten +Johannapark+ zu
nennen! Da sagte man +Annenkirche+, +Katharinenstraße+, +Marienbild+,
und es fiel doch auch niemand ein, dabei an eine Mehrzahl von Annen,
Katharinen oder Marien zu denken.


Speisenkarte oder Speisekarte?

Da haben also wohl die Schenkwirte, die statt der früher allgemein
üblichen +Speisekarte+ eine +Speisenkarte+ eingeführt haben,
etwas recht weises getan? Sie haben den guten alten Genitiv
wiederhergestellt? Nein, daran haben sie nicht gedacht, sie haben
die Mehrzahl ausdrücken wollen, denn sie haben sich überlegt: auf
meiner Karte steht doch nicht bloß +eine+ Speise. Damit sind sie
aber auch wieder gründlich in die Irre geraten. In +Speisekarte+ ist
die erste Hälfte gar nicht durch das Hauptwort +Speise+ gebildet,
sondern durch den Verbalstamm von +speisen+. Alles, was zum Speisen
gehört: die +Speisekammer+, das +Speisezimmer+, der +Speisesaal+,
das +Speisegeschirr+, der +Speisezettel+ -- alles ist mit diesem
Verbalstamm zusammengesetzt. So ist auch die +Speisekarte+ nicht die
Karte, auf der die Speisen verzeichnet stehen, sondern die Karte,
die man beim Speisen gebraucht, wie die +Tanzkarte+ die Karte, die
man beim Tanzen gebraucht, das +Kochbuch+ das Buch, das man beim
Kochen benutzt, die +Spielregel+ die Regel, die man beim Spielen
beobachtet, die +Bauordnung+ die Ordnung, nach der man sich beim
Bauen richtet, der +Fahrplan+ der Plan, der uns darüber belehrt,
wann und wohin gefahren wird, die +Singweise+ die Weise, nach der
man singt, das +Stickmuster+ das Muster, nach dem man stickt, die
+Zählmethode+ die Methode, nach der man zählt. Alle diese Wörter sind
mit einem Verbalstamm zusammengesetzt. Hätten die Schenkwirte mit
ihrer +Speisenkarte+ Recht, dann müßten sie doch auch +Weinekarte+
sagen.[47] Glücklicherweise läßt sich der Volksmund nicht irremachen.
Niemals hört man in einer Wirtschaft eine +Speisenkarte+ verlangen, es
wird aber immer nur gedruckt, entweder auf Verlangen der Wirte, die
damit etwas besonders feines ausgeheckt zu haben glauben, oder auf
Drängen der Akzidenzdrucker, die es den Wirten als etwas besonders
feines aufschwatzen. Ganz lächerlich ist es, wenn manche Wirte einen
Unterschied machen wollen: eine +Speisekarte+ sei die, auf der ich mir
eine Speise aussuchen könne, eine +Speisenkarte+ dagegen ein „Menu“,
das Verzeichnis der Speisen bei einem Mahl, wofür man neuerdings auch
das schöne Wort +Speisenfolge+ eingeführt hat. Die +Speisekarte+ ist
die Karte, die zum +Speisen+ gehört, ob ich mir nun etwas darauf
aussuche, oder ob ich sie von oben bis unten abesse.

Ein Gegenstück zur +Speisenkarte+ ist die +Fahrrichtung+; an den
ehemaligen Leipziger Pferdebahnwagen stand: nur in der +Fahrrichtung+
abspringen! Es spricht aber niemand von +Fließrichtung+,
+Strömrichtung+, +Schießrichtung+, wohl aber von +Flußrichtung+,
+Stromrichtung+, +Schußrichtung+, +Windrichtung+, +Strahlrichtung+.
Bedenkt man freilich, daß der Volksmund die +Fahrtrichtung+
unzweifelhaft sofort zur +Fahrtsrichtung+ verschönert hätte (nach
+Mietskaserne+), so muß man ja eigentlich für die +Fahrrichtung+ sehr
dankbar sein.


Äpfelwein oder Apfelwein?

Unnötigen Aufruhr und Streit erregt bisweilen die Frage, ob in dem
Bestimmungswort einer Zusammensetzung die Einzahl oder die Mehrzahl am
Platze sei. Einen Braten, der nur von +einem+ Rind geschnitten ist,
nennt man in Leipzig +Rinderbraten+, eine Schüssel Mus dagegen, die
aus einem halben Schock Äpfel bereitet ist, +Apfelmus+. Das ist doch
sinnwidrig, heißt es, es kann doch nur das umgekehrte richtig sein!
Nein, es ist beides richtig. Es kommt in solchen Zusammensetzungen
weder auf die Einzahl noch auf die Mehrzahl an, sondern nur auf den
Gattungsbegriff. Im Numerus herrscht völlige Freiheit; die eine
Mundart verfährt so, die andre so,[48] und selbst innerhalb der
guten Schriftsprache waltet hier scheinbar die seltsamste Laune und
Willkür. Man sagt: +Bruderkrieg+, +Freundeskreis+, +Jünglingsverein+,
+Ortsverzeichnis+ (neuerdings leider auch +Namensverzeichnis+ und
+Offizierskasino+!), +Adreßbuch+, +Baumschule+, +Fischteich+,
+Kartoffelernte+, +Trüffelwurst+, +Federbett+, obwohl hier überall
das Bestimmungswort unzweifelhaft eine Mehrzahl bedeutet; dagegen
sagt man +Kinderkopf+ (in der Malerei), +Liedervers+, +Eierschale+,
+Lämmerschwänzchen+, +Hühnerei+, +Städtename+, +Gänsefeder+, obwohl
ein Vers nur zu +einem+ Liede, eine Schale nur zu +einem+ Ei gehören
kann. Wer näher zusieht, findet freilich auch hinter dieser scheinbaren
Willkür gute Gründe. +Baumschule+, +Bruderkrieg+ und +Fischteich+
sind noch nach der ursprünglichen Zusammensetzungsweise, die nach
singularischer oder pluralischer Bedeutung des Bestimmungswortes
nicht fragte, mit dem bloßen Stamme des ersten Wortes gebildet.
+Jünglingsverein+ und +Ortsverzeichnis+ haben das s, das eigentlich nur
dem vorgesetzten maskulinen Genitiv zukommt, aber von da aus weiter
gegriffen hat und zum Bindemittel schlechthin, selbst für pluralisch
gemeinte Substantiva, geworden ist; auch +Freundeskreis+ ist ein
Absenker dieser Bildungsweise. Und ebenso natürlich erklärt sich die
Gruppe mit scheinbar pluralischer Form und singularischer Bedeutung.
In ihr kommen nur Neutra mit der Pluralendung +er+ und umgelautete
Feminina in Frage. Aber sowohl der Umlaut der Feminina wie das +er+
(und der Umlaut) der Neutra gehörte in alter Zeit nicht nur dem
Plural, sondern dem Stamme dieser Wörter an, und daß es sich bei den
Zusammensetzungen mit ihnen um nichts weiter als um den Stamm handelt,
können wir bei einigem guten Willen noch jetzt nachfühlen. Kein Mensch
denkt bei dem Worte +Gänseblume+ an mehrere Gänse, sondern jeder nur an
den Begriff Gans, so gut wie er bei +Rinderbrust+ nicht mehrere Rinder
vor Augen hat.

Trotz alledem ist natürlich +Äpfelwein+ neben +Apfelwein+ nicht zu
verurteilen. Der wirklich pluralischen Zusammensetzungen und der
pluralisch gefühlten gibt es zu viel, als daß ihnen ein Eingreifen
in dieses Gebiet der Zusammensetzungen mit Gattungsbegriffen
verwehrt werden könnte. Schwankt man doch auch in Zusammensetzungen
wie +Anwaltstag+, +Juristentag+, +Ärztetag+, +Bischofkonferenz+,
+Rektorenkonferenz+, +Gastwirtverein+, +Gastwirtstag+,
+Architektenverein+ u. a. Wenn etwas hier bestimmend wäre, so könnte es
nur der Wohlklang sein. Die schwach deklinierten ziehen augenscheinlich
den Plural, die stark deklinierten den Singular vor; zu +Ärztetag+ hat
man ausnahmsweise gegriffen, weil +Arzttag+ undeutlich, +Arztstag+
unerträglich klingt, während gegen eine +Arztversammlung+ niemand
etwas einwenden wird, also auch die +Ärztekammer+ (statt +Arztkammer+)
überflüssig war, ebenso überflüssig wie der +Wirteverein+. Höchst
ärgerlich aber ist es, wenn man, nachdem man vierzig Jahre lang von
+Kollegienheften+ hat sprechen hören, plötzlich an dem Ladenfenster
eines Schreibwarenkrämers +Kolleghefte+ angepriesen sieht. Aber der
gute Mann macht es ja bloß den Professoren nach, die jetzt keine
+Kollegiengelder+ mehr beanspruchen, sondern +Kolleggelder+!


Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?

Die falschen Zusammensetzungen +Zeichnenbuch+, +Zeichnensaal+,
+Rechnenheft+ sind in der Schule, wo sie sich früher auch breitmachten,
jetzt wohl überall glücklich wieder beseitigt; außerhalb der Schule
aber spuken sie doch noch und gelten noch immer manchen Leuten für das
Richtige. In Wahrheit sind es Mißbildungen. Wenn in Zusammensetzungen
das Bestimmungswort ein Verbum ist, so kann dieses nur in der Form des
Verbalstammes erscheinen; daher heißt es: +Schreibfeder+, +Reißzeug+,
+Stimmgabel+, +Druckpapier+, +Stehpult+, +Rauchzimmer+, +Laufbursche+,
+Spinnstube+, +Trinkhalle+, +Springbrunnen+, +Zauberflöte+, oder auch
mit einem Bindevokal: +Wartesaal+, +Singestunde+, +Bindemittel+.[49]
Nun gibt es aber Verbalstämme, die auf n ausgehen, z. B. +zeichen+,
+rechen+, +trocken+, +turn+; die Infinitive dazu heißen: +rechnen+
(eigentlich +rechenen+), +zeichnen+ (eigentlich +zeichenen+),
+trocknen+, +turnen+. Werden diese in der Zusammensetzung verwendet,
so können natürlich nur Formen entstehen wie +Rechenstunde+,
+Zeichensaal+, +Trockenplatz+, +Turnhalle+. Wäre +Rechnenbuch+ und
+Zeichnensaal+ richtig, so müßte man doch auch sagen: +Trocknenplatz+,
+Turnenhalle+, ja auch +Schreibenfeder+ und +Singenstunde+.


Das Binde-s

In ganz unerträglicher Weise greift jetzt das unorganisch eingeschobne
s in zusammengesetzten Wörtern um sich. In +Himmelstor+, +Gotteshaus+,
+Königstochter+, +Gutsbesitzer+, +Feuersnot+, +Wolfsmilch+ kann
man ja überall das s als die Genitivendung des männlichen oder
sächlichen Bestimmungswortes auffassen, wiewohl es auch solche
Zusammensetzungen gibt, in denen der Genitiv keinen Sinn hat, das s
also nur als Bindemittel betrachtet werden kann, z. B. +Rittersmann+,
+segensreich+ (Schiller hat in der Glocke noch richtig +segenreiche
Himmelstochter+ geschrieben). Aber wie kommt das s an Wörter
weiblichen Geschlechts, die gar keinen Genitiv auf s bilden können?
Wie ist man dazu gekommen, zu bilden: +Liebesdienst+, +Hilfslehrer+,
+Geschichtsforscher+, +Bibliotheksordnung+, +Arbeitsliste+,
+Geburtstag+, +Hochzeitsgeschenk+, +Weihnachtsabend+, +Fastnachtsball+,
+Zukunftsmusik+, +Einfaltspinsel+, +Zeitungsschreiber+, +Hoheitsrecht+,
+Sicherheitsnadel+, +Wirtschaftsgeld+, +Konstitutionsfest+,
+Majestätsbeleidigung+, +ausnahmsweise+, +rücksichtsvoll+,
+vorschriftsmäßig+?

Dieses Binde-s stammt ebenso wie das falsche Plural-s (vgl. S. 23) aus
dem Niederdeutschen. Dort wird es wirklich aus Verlegenheit gebraucht,
um von artikellosen weiblichen Hauptwörtern einen Genitiv zu bilden,
natürlich immer nur dann, wenn er dem Worte, von dem er abhängt,
voransteht, wie +Mutters+ Liebling, vor +Schwesters Tür+, +Madames+
Geschenk (Lessing: +Antworts+ genug, über +Naturs+ Größe), und so ist
aus diesem Verlegenheits-s dann das Binde-s geworden. Es gehört aber
erst der neuern Zeit an. Im Mittelhochdeutschen findet es sich nur
vereinzelt, erst im Neuhochdeutschen ist es eingedrungen, hat sich
dann mit großer Schnelligkeit verbreitet und sucht sich noch immer
weiter zu verbreiten. Schon fängt man an zu sagen: +Doktorsgrad+,
+Wertspapiere+, +Raumsgestaltung+, +Gesteinsmassen+, +Gewebslehre+,
+Gesangsunterricht+, +Kapitalsanlage+, +Inventursaufnahme+,
+Examensvorbereitung+, +Aufnahmsprüfung+, +Einnahmsquelle+,
+teilnahmslos+, +Niederlagsraum+, +Schwadronsbesichtigung+, ja
in einzelnen Gegenden Deutschlands, namentlich am Rhein, sogar
schon +Stiefelsknecht+, +Erbsmasse+ (statt Erbmasse), +Ratshaus+,
+Stadtsgraben+, +Nachtswächter+, +Zweimarksstück+, +Schiffsbruch+,
+Kartoffelsbrei+ u. a. In Leipzig sind wir neuerdings mit einem
+Kajütsbureau+ beglückt worden (!), und die sächsischen Eisenbahnen
reden seit einiger Zeit nur noch von +Zugsverkehr+, +Zugsverbindungen+
und +Zugsverspätungen+. Das widerwärtigste aber wegen ihrer Häufigkeit
sind wohl die Zusammensetzungen mit +Miets-+ und +Fabriks-+: das
+Mietshaus+, die +Mietskaserne+, der +Mietsvertrag+, der +Mietspreis+,
der +Fabriksdirektor+, das +Fabriksmädchen+, das tollste der in
rheinischen Städten übliche +Stehsplatz+ und der +Verpflegsdienst+. Das
Binde-s hinter einem Verbalstamm eingeschmuggelt!

Nur +eine+ Wortgattung hat sich des Eindringlings bis jetzt glücklich
erwehrt: die Stoffnamen. Von +Gold+, +Silber+, +Wein+, +Kaffee+,
+Mehl+, +Zucker+ usw. wird nie eine Zusammensetzung mit dem Binde-s
gebildet. Nur mit +Tabak+ hat man es gewagt: +Tabaksmonopol+,
+Tabaksmanufaktur+, natürlich durch das verwünschte k verführt.
Der +Fabrikstabak+ und die +Tabaksfabrik+ sind einander wert. Die
+Tabakspfeife+ geht freilich schon weit zurück.

Wo das falsche s einmal festsitzt, da ist nun freilich jeder Kampf
vergeblich, und das ist der Fall bei allen Zusammensetzungen mit
+Liebe+, +Hilfe+, +Geschichte+, hinter vielen weiblichen Wörtern,
die auf t endigen, ferner bei allen, die mit +ung+, +heit+, +keit+
und +schaft+ gebildet sind, endlich bei den Fremdwörtern auf +ion+
und +tät+. Hier jetzt noch den Versuch zu machen, das s wieder
loszuwerden, wäre wohl ganz aussichtslos.[50] Wo es sich aber noch
nicht festgesetzt hat, wo es erst einzudringen versucht, wie hinter
+Fabrik+ und +Miete+, da müßte doch der Unterricht alles aufbieten, es
fernzuhalten, das Sprachgefühl für den Fehler wieder zu schärfen.[51]
Es ist das nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint, denn
dieses Binde-s ist ein solcher Wildling, daß es nicht die geringste
Folgerichtigkeit kennt. Warum sagt man +Rindsleder+, +Schweinsleder+,
+vertragsbrüchig+, +inhaltsreich+, +beispielsweise+, +hoffnungslos+,
da man doch +Kalbleder+, +Schafleder+, +wortbrüchig+, +gehaltreich+,
+schrittweise+, +gefühllos+ sagt? Hie und da scheint wieder der
Wohllaut im Spiele zu sein, aber doch nicht immer.

Nach +Hilfe+ wird übrigens in der guten Schriftsprache ein Unterschied
beobachtet: man sagt +Hilfsprediger+, +Hilfslehrer+, +Hilfsbremser+,
+hilfsbedürftig+ und +hilfsbereit+, auch +aushilfsweise+, dagegen
+Hilferuf+ und +Hilfeleistung+, weil man bei diesen beiden das
Akkusativverhältnis fühlt, bei den übrigen bloß die Zusammensetzung.
Ähnlich ist es mit +Arbeitgeber+ im Gegensatz zu +Arbeitsleistung+,
+Arbeitsteilung+, mit +staatserhaltend+ und +vaterlandsliebend+ im
Gegensatz zu +kriegführend+, +rechtsuchend+, +betriebstörend+. Niemand
redet von +kriegsführenden+ Mächten, auch nicht von +Kriegsführung+,
weil hier die einzelne Handlung vorschwebt und deshalb der Akkusativ
(Krieg) deutlich gefühlt wird, während +vaterlandsliebend+ und
+staatserhaltend+ eine dauernde Gesinnung bezeichnen. Was nützt
aber die Freude über diesen feinen Unterschied? In der nächsten
Zeitungsnummer stößt man auf den +geschäftsführenden+ Ausschuß, auf
die +verkehrshindernde+ Barriere und auf die +vertragsschließenden+
Parteien.[52]


ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich

Eigenschaftswörter können im Deutschen von Hauptwörtern auf sehr
verschiedne Arten gebildet werden: mit +ig+, +lich+, +isch+, +sam+,
+bar+, +haft+ usw. Zwischen allen diesen Bildungen waren ursprünglich
fühlbare Bedeutungsunterschiede, die heute vielfach verwischt sind.
Doch sind sie auch manchmal noch deutlich zu erkennen, selbst bei den
am häufigsten verwendeten und deshalb am meisten verblaßten Endungen
+ig+, +lich+ und +isch+; man denke nur an +weiblich+ und +weibisch+,
+kindlich+ und +kindisch+, +herrlich+ und +herrisch+, +launig+ und
+launisch+, +traulich+ und +mißtrauisch+, +göttlich+ und +abgöttisch+,
+väterlich+ und +altväterisch+, +gläubig+ und +abergläubisch+ u. a.

Das von +Adel+ gebildete Adjektiv soll nach der „neuen Orthographie“
nun endgiltig +adlig+ geschrieben werden. Es schadet aber vielleicht
nichts, wenn man sich darüber klar bleibt, daß das eigentlich falsch
ist. +Adlich+ ist entstanden aus +adel-lich+, es gehört zu +königlich+,
+fürstlich+, +ritterlich+, +männlich+, +weiblich+, +geistlich+,
+weltlich+, +fleischlich+, aber nicht zu +heilig+, +geistig+,
+luftig+, +fleißig+, +steinig+, +ölig+, +fettig+, +schmutzig+.
Dieselbe Verwirrung des Sprachgefühls wie bei +adlig+ findet sich
auch bei +billig+ (das noch bis in das siebzehnte Jahrhundert richtig
+billich+ geschrieben wurde) und bei +unzählig+ und +untadlig+, die
eigentlich +unzählich+ und +untadlich+ geschrieben werden müßten. Nur
bei +allmählich+, das eine Zeit lang allgemein falsch +allmählig+
geschrieben wurde (es ist aus +allgemächlich+ entstanden), ist das
richtige in neuerer Zeit wiederhergestellt worden, wohl deshalb, weil
hier doch gar zu offenbar ist, daß das l nicht zum Stamme gehören kann.

Wenn aus einem Substantiv mit vorhergehendem Eigenschaftswort oder
Zahlwort ein Adjektiv gebildet wird, so geschieht es immer mit
der Endung +ig+. Bei +kurzweilig+, +langstielig+, +großmäulig+,
+dickfellig+, +gleichschenklig+, +rechtwinklig+, +vierzeilig+ könnte
man meinen, sie wären deshalb auf ig gebildet worden, weil der
Stamm auf l endigt; es heißt aber auch: +fremdartig+, +treuherzig+,
+gutmütig+, +schöngeistig+, +freisinnig+, +hartnäckig+, +vollblütig+,
+breitschultrig+, +schmalspurig+, +freihändig+, +buntscheckig+,
+eintönig+, +vierprozentig+ usw.

Da hat man nun neuerdings +fremdsprachlich+ und +neusprachlich+
gebildet -- ist das richtig? Leider Gottes! muß man sagen. Diese
Adjektiva sind nicht etwa entstanden zu denken aus +fremd+ und
+Sprache+, +neu+ und +Sprache+ (so wie +fremdartig+ aus +fremd+ und
+Art+), sondern es sollen Adjektivbildungen zu +Fremdsprache+ und
+Neusprache+ sein. Diese beiden herrlichen Wörter hat man nämlich
gebildet, um nicht mehr von +fremden+ und +neuen Sprachen+ reden
zu müssen; nur die +Altsprachen+ fehlen noch, aber stillschweigend
vorausgesetzt werden sie auch, denn neben +neusprachlich+ steht
natürlich +altsprachlich+. Und wie man nun nicht mehr von
+Sprachunterricht+, sondern nur noch von +sprachlichem+ Unterricht
redet, so nun auch von +fremdsprachlichem+, +altsprachlichem+
und +neusprachlichem+. Neben diesen Bildungen gibt es aber auch
+fremdsprachig+, das nun wirklich aus +fremd+ und +Sprache+
gebildet ist. Während mit +fremdsprachlich+ bezeichnet wird, was
sich auf eine fremde Sprache bezieht, bezeichnet +fremdsprachig+
eine wirkliche Eigenschaft. Man redet oder kann wenigstens reden
von +fremdsprachigen+ Völkern, +fremdsprachigen+ Büchern, einer
+fremdsprachigen+ Literatur (wie von einer +dreisprachigen+ Inschrift
und einer +gemischtsprachigen+ Bevölkerung). Sogar ein Unterricht kann
zugleich +fremdsprachlich+ und +fremdsprachig+ sein, wenn z. B. der
Lehrer die Schüler im Französischen unterrichtet und dabei zugleich
französisch spricht. +Fremdsprachig+ steht also neben +fremdsprachlich+
wie +gleichaltrig+ (gebildet aus +gleich+ und +Alter+) neben
+mittelalterlich+ (gebildet von +Mittelalter+).

Streng zu scheiden ist zwischen den Bildungen auf +ig+ und denen auf
+lich+ bei den Adjektiven, die von +Jahr+, +Monat+, +Tag+ und +Stunde+
gebildet werden. Auch hier bezeichnen die auf +ig+ eine Eigenschaft,
nämlich die Dauer: +zweijährig+, +eintägig+, +vierstündig+.
Bis vor kurzem konnte man zwar oft von einem +dreimonatlichen
Urlaub+ oder einer +vierwöchentlichen+ Reise lesen; jetzt wird
erfreulicherweise fast überall nur noch von einem +dreimonatigen+
Urlaub und einer +vierwöchigen+ Reise gesprochen. Dagegen bezeichnen
+einstündlich+, +dreimonatlich+ so gut wie +jährlich+, +halbjährlich+,
+vierteljährlich+, +monatlich+, +wöchentlich+, +täglich+ und
+stündlich+ den Zeitabstand von wiederkehrenden Handlungen. Da heißt
es: in +dreimonatlichen+ Raten zu zahlen, +einstündlich+ einen Eßlöffel
voll zu nehmen, ebenso wie: nach +vierteljährlicher Kündigung+. Unsinn
also ist es, von +halbjährigen+ öffentlichen Prüfungen zu reden;
es gibt nur +halbjährliche+, das sind solche, die alle halben Jahre
stattfinden, und +halbstündige+, das sind solche, die eine halbe Stunde
dauern.

Falsch ist es auch, von einem +unförmlichen+ Fleischklumpen zu reden.
+Unförmlich+ könnte nur als Verneinung von +förmlich+ verstanden
werden. Das Betragen eines Menschen kann +unförmlich+ sein (ohne
Förmlichkeit, formlos), ein Fleischklumpen aber nur +unförmig+
(gebildet von +Unform+; vgl. +unsinnig+ und +unsinnlich+).

Genau zu unterscheiden ist endlich auch noch zwischen +abschlägig+
(eine +abschlägige+ Antwort) und +abschläglich+ (eine +abschlägliche+
Zahlung). +Abschlägig+ ist unmittelbar aus dem Verbalstamm gebildet,
eine +abschlägige+ Antwort ist eine abschlagende; +abschläglich+
dagegen ist von +Abschlag+ gebildet, eine +abschlägliche+ Zahlung
ist eine +Abschlagszahlung+. (Vgl. +geschäftig+ und +geschäftlich+.)
Wenn Kaufleute oder Buchhändler neuerdings davon reden, daß Waren
oder Bücher wegen ihres niedrigen Preises den weitesten Kreisen
+zugängig+ seien, oder eine Zeitung schreibt: die Kinder müssen so
viel Deutsch lernen, daß ihnen die deutsche Kultur +zugängig+ ist,
oder das „Tuberkulosemerkblatt“ des Kaiserlichen Gesundheitsamtes als
Hauptmittel gegen die Ansteckung eine dem Zutritte (!) von Luft und
Licht +zugängige+ Wohnung bezeichnet, so ist das dieselbe Verwechslung.
Die Wohnung soll der Luft +zugänglich+ sein, d. h. sie soll der Luft
+Zugang+ bieten. +Zugängig+ könnte höchstens (aktiv!) etwas bedeuten,
was jedermann zugeht, z. B. die Probenummer einer Zeitung, wie das
neumodische +angängig+ (für +möglich+) doch das bedeuten soll, was
angeht. (Vgl. auch +verständlich+ und +verständig+.) Wenn also amtlich
bekanntgemacht wird, daß die sächsischen Sterbetaler der Allgemeinheit
unmittelbar +zugängig+ gemacht werden sollen, so könnte ich mit Recht
sagen: Schön, wann wird mir der meinige zugeschickt? Der Unterschied
liegt auf der Hand, und doch hat das dumme +zugängig+ in der letzten
Zeit mit ungeheurer Schnelligkeit um sich gegriffen.


Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer?

Eine rechte Dummheit ist in der Bildung der Adjektiva auf +isch+
eingerissen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen; man liest
nur noch von der +Halle’schen+ Universität, von +Goethe’schen+ und
+Heine’schen+ Gedichten und von der +Ranke’schen+ Weltgeschichte. Man
übersehe ja den Apostroph nicht; ohne den Apostroph würde die Sache den
Leuten gar keinen Spaß machen. In dieses Häkchen sind Schulmeister und
Professoren ebenso verliebt wie Setzer und Korrektoren (vgl. S. 8).

Die Adjektivendung +isch+ muß stets unmittelbar an den Wortstamm
treten. Von +Laune+ heißt das Adjektiv +launisch+, von +Hölle+
+höllisch+, von +Satire+ +satirisch+, von +Schwede+ +schwedisch+;
niemand spricht von +laune’schen+ Menschen, +hölle’schen+ Qualen,
+satire’schen+ Bemerkungen oder +schwede’schen+ Streichhölzchen. Und
sagt oder schreibt wohl ein vernünftiger Mensch: dieses Gedicht klingt
echt +Goethe’sch+? oder: mancher versucht zwar Ranke nachzuahmen,
aber seine Darstellung klingt gar nicht +Ranke’sch+? Jeder sagt doch:
es klingt +Goethisch+, es klingt +Rankisch+. Wenn man aber in der
undeklinierten, prädikativen Form das Adjektiv richtig bildet, warum
denn nicht in der attributiven, deklinierten? Es könnte wohl am Ende
einer denken, der Dichter hieße +Goeth+ oder +Goethi+, wenn man von
+Goethischen+ Gedichten spricht? Denkt vielleicht bei der +hansischen+
Geschichte irgend jemand an einen +Hans+ oder +Hansi+? August Hermann
Francke, der Stifter des +Hallischen+ Waisenhauses (noch bis ins
achtzehnte Jahrhundert hinein sagte man sogar mit richtigem Umlaut
+hällisch+),[53] würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß
seine Stiftung jetzt das +Halle’sche+ Waisenhaus genannt wird. Genau
so lächerlich aber sind die +Laube’schen+ Dramen, die +Raabe’schen+
Erzählungen, das +Fichte’sche+ System, die +Heyse’schen+ Novellen, die
+Stolze’sche+ Stenographie, der +Grote’sche+ Verlag, die +Moltke’sche+
Strategie und der +Lippe’sche+ Erbfolgestreit. Unbegreiflicherweise
stammelt man jetzt sogar in Germanistenkreisen von der +Manesse’schen+
Handschrift, die doch seit Menschengedenken die +Manessische+ geheißen
hat.[54]

Man spricht aber neuerdings auch von dem +Meiningen’schen+ Theater
(statt vom +Meiningischen+), von +rügen’schen+ Bauernsöhnen (statt von
+rügischen+), vom +schonen’schen+ Hering (statt vom +schonischen+) und
von +hohenzollern’schem+ Hausbesitz (statt von +hohenzollerischem+).
Dann wollen wir nur auch in Zukunft von +thüringen’schen+ Landgrafen
reden, von der +franken’schen+ Schweiz, vom +sachsen’schen+ und vom
+preußen’schen+ König! Nein, auch hier ist die Bildung unmittelbar aus
dem Wortstamm das einzig richtige. Die Ortsnamen auf +en+ sind meist
alte Dative im Plural. Wenn ein Adjektiv auf +isch+ davon gebildet
werden soll, so muß die Endung +en+ erst weichen. Es kann also nur
heißen: +hohenzollerisch+, +meiningisch+.

Derselbe Unsinn wie in +meiningen’sch+ liegt übrigens auch in Bildungen
wie +Emdener+, +Zweibrückener+, +Eislebener+, +St. Gallener+ vor; da
ist die Endung +er+ an die Endung +en+ gefügt, statt an den Stamm. In
den genannten Orten selbst, wo man wohl am besten Bescheid wissen wird,
wie es heißen muß, kennt man nur +Emder+, +Zweibrücker+, +Eisleber+,
(das +Eisleber+ Seminar), +St. Galler+, wie anderwärts +Bremer+,
+Kempter+, +Gießer+ (meine +Gießer+ Studentenjahre), +Barmer+. Bei
+Bingen+ ist das +Binger+ Loch, und in Emden wird einer sofort als
Fremder erkannt, wenn er von der +Emdener+ Zeitung redet. Ein wahres
Glück, daß der +Nordhäuser+ und der +Steinhäger+ schon ihre Namen
haben! Heute würden sie sicherlich +Nordhausener+ und +Steinhagener+
genannt werden: Geben Sie mir einen +Nordhausener+![55]

All dieser Unsinn hat freilich eine tiefer sitzende Ursache, er
hängt zusammen mit der traurigen Namenerstarrung, zu der wir erst im
neunzehnten Jahrhundert gekommen sind, und die, wie so manche andre
Erscheinung in unserm heutigen Sprachleben, eine Folge des alles
beherrschenden juristischen Geistes unsrer Zeit ist. Im fünfzehnten,
ja noch im sechzehnten Jahrhundert bedeutete ein Name etwas. Um 1480
heißt derselbe Mann in Leipziger Urkunden bald +Graue Hänsel+, bald
+Graue Henschel+, bald +Hänsichen Grau+, um 1500 derselbe Mann bald
+Schönwetter+, bald +Hellwetter+, derselbe Mann bald +Sporzel+,
bald +Sperle+ (Sperling), derselbe Mann bald +Sachtleben+, bald
+Sanftleben+, derselbe Mann bald +Meusel+, bald +Meusichen+, Albrecht
Dürer nennt 1521 in dem Tagebuch seiner niederländischen Reise seinen
Schüler +Hans Baldung+, der den Spitznamen der +grüne+ (mundartlich
der +griene+) +Hans+ führte, nur den +Grünhans+,[56] und selbst als
sich längst bestimmte Familiennamen festgesetzt hatten, behandelte
man sie doch immer noch wie alle andern Nomina, man scherte sich
den Kuckuck um ihre Orthographie, man deklinierte sie, man bildete
frischweg Feminina und Adjektiva davon wie von jedem Appellativum.
Noch Ende des achtzehnten Jahrhunderts berichtete der Leipziger
Rat an die Landesregierung, daß er Gottfried +Langen+, Hartmann
+Wincklern+, Friedrich +Treitschken+, Tobias +Richtern+ und Jakob
+Bertramen+ zu Ratsherren gewählt habe. Frau Karsch hieß bei den
besten Schriftstellern die +Karschin+ (das heute von „gebildeten“
Leuten wie +Berlin+ betont wird!), und so war es noch zu Anfange des
neunzehnten Jahrhunderts. Heute ist ein Name vor allen Dingen eine
unantastbare Reihe von Buchstaben. Wehe dem, der sich daran vergreift!
Wehe dem, der es wagen wollte, den großen +Winckelmann+ jetzt etwa
+Winkelmann+ zu schreiben, weil man auch den +Winkel+ nicht mehr mit
ck schreibt, oder +Joachimsthal+ mit T, weil man auch das +Tal+ jetzt
nicht mehr mit Th schreibt, oder gar +Goethe+ mit ö! Er wäre sofort
von der Wissenschaft in Acht und Bann getan. Das alles haben wir dem
grenzenlosen juristischen Genauigkeitsbedürfnis unsrer Zeit zu danken,
das keinen gesunden Menschenverstand kennt und anerkennt, das alles
äußerlich in Buchstaben „festlegen“ muß, und dessen höchster Stolz es
ist, selbst eine Straße mit einem Vornamen, eine Stiftung mit einem
Doktortitel und ein Denkmal mit einem Doktortitel und einem Vornamen
zu schmücken: +Gustav Freytag-Straße+, ~Dr.~ +Wünsche-Stiftung+, ~Dr.~
+Karl Heine-Denkmal+.


Hallenser und Weimaraner

Daß wir Deutschen bei unsrer großen Gelehrsamkeit und
Gewissenhaftigkeit die Bewohner fremder Länder und Städte mit einer
wahren Musterkarte von Namenbildungen versehen, ist zwar sehr komisch,
aber doch immerhin erträglich. Sprechen wir also auch in Zukunft
getrost von Amerika+nern+, Mexika+nern+, Neapolita+nern+, Parmes+anern+
und Venezol+anern+, Byzant+inern+, Florent+inern+ und Tarent+inern+,
Chine+sen+ und Japane+sen+, Piemont+esen+ und Alban+esen+, Genu+esern+,
Bolog+nesern+ und Veron+esern+, Bethlehem+iten+ und Sybar+iten+
(denen sich als neue Errungenschaft die Sansibar+iten+ angereiht
haben), Samarit+ern+ und Moskowit+ern+, Asia+ten+ und Ravenna+ten+,
Candi+oten+ und Hydri+oten+, Franzo+sen+, Portugi+esen+, Provenz+alen+,
Savoy+arden+ usw. Daß wir aber an deutsche(!) Städtenamen noch
immer lateinische Endungen hängen, ist doch ein Zopf, der endlich
einmal abgeschnitten werden sollte. Die +Athenienser+ und die
+Carthaginienser+ sind wir aus den Geschichtsbüchern glücklich
los, aber die +Hallenser+, die +Jenenser+ und die +Badenser+, die
+Hannoveraner+ und die +Weimaraner+ wollen nicht weichen, auch die
+Anhaltiner+ spuken noch gelegentlich. Und doch ist nicht einzusehen,
weshalb man nicht ebensogut soll +Jenaer+ sagen können wie +Gothaer+,
+Geraer+ und +Altonaer+,[57] ebenso gut +Badner+ wie +Münchner+,
+Posner+ und +Dresdner+, ebenso gut +Haller+ wie +Celler+, +Stader+
und +Klever+, ebenso gut +Hannoverer+ und +Weimarer+ wie +Trierer+,
+Speierer+ und +Colmarer+.

Freilich erstreckt sich die häßliche Sprachmengerei in unsrer
Wortbildung nicht bloß auf geographische Namen, sie ist überhaupt
in unsrer Sprache weit verbreitet; man denke nur an Bildungen wie
+buchstabieren+, +halbieren+, +hausieren+, +grundieren+, +schattieren+,
+glasieren+ (im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von +geglästen+
Ziegeln und Kacheln), +amtieren+, +Hornist+, +Lagerist+, +Probist+,
+Kursist+, +Wagnerianer+, +Börsianer+, +Goethiana+, +Beethoveniana+,
+Lieferant+, +Stellage+, +Futteral+, +Stiefeletten+, +Glasur+,
+schauderös+, +blumistisch+, +superklug+, +hypergeistreich+,
+antideutsch+ usw. Manches davon stammt aus sehr früher Zeit und
wird wohl nie wieder zu beseitigen sein; vieles aber ließe sich doch
vermeiden, und vor allem sollte es nicht vermehrt werden.

[Illustration]



Zur Satzlehre

[Illustration]



[Illustration]


Unterdrückung des Subjekts

Die meisten Fehler gegen die grammatische Richtigkeit und den guten
Geschmack werden natürlich auf dem schwierigsten Gebiete der Sprache,
auf dem des Satzbaues begangen. Hier sollen zunächst Subjekt und
Prädikat und dann die Tempora und die Modi des Zeitworts in Haupt- und
Nebensätzen besprochen werden.

Nicht bloß in dem Geschäfts- und Briefstil der Kaufleute, sondern im
Briefstil überhaupt halten es viele für ein besondres Zeichen von
Höflichkeit, das Subjekt ich oder wir zu unterdrücken. Kaufleute
schreiben in ihren Geschäftsanzeigen: Kisten und Tonnen +nehmen+ zum
Selbstkostenpreise zurück, Zeitungen drucken über ihren Inseratenteil:
Sämtliche Anzeigen +halten+ der Beachtung unsrer Leser empfohlen, und
Ärzte machen bekannt: +Habe+ mich hier niedergelassen, oder: Meine
Sprechstunden +halte+ von heute ab von acht bis zehn Uhr. Aber auch
gebildete Frauen und Mädchen, denen man etwas Geschmack zutrauen
sollte, schreiben: Vorige Woche +habe+ mit Papa einen Besuch bei R.s
gemacht.

Wenn man jemand seine Hochachtung unter anderm auch durch die Sprache
bezeugen will, so ist das gar nicht so übel. Aber vernünftigerweise
kann es doch nur dadurch geschehen, daß man die Sprache so sorgfältig
und sauber behandelt wie irgend möglich, aber nicht durch äußerliche
Mittelchen, wie große Anfangsbuchstaben (+Du+, +Dein+), gesuchte
Wortstellung, bei der man den Angeredeten möglichst weit vor, sich
selbst aber möglichst weit hinter stellt (so +bitte Ew. Wohlgeboren+
infolge unsrer mündlichen Verabredung +ich+ ganz ergebenst), oder gar
dadurch, daß man den grammatischen Selbstmord begeht, wie es Jean Paul
genannt hat, +ich+ oder +wir+ wegzulassen. Derartige Scherze schleppen
sich aus alten Briefstellern fort -- wer Gelegenheit hätte, in den
Briefen des alten Goethe zu lesen, würde mit Erstaunen sehen, daß sich
auch der nie anders ausgedrückt hat --, sie sollten aber doch endlich
einmal überwunden werden.

Noch schlimmer freilich als die Unterdrückung von +ich+ und +wir+ ist
die Albernheit, wenn man den andern nicht recht verstanden hat, zu
fragen: +Wie meinen?+ Hier mordet man grammatisch gar den Angeredeten!


Die Ausstattung war eine glänzende

Eine häßliche Gewohnheit, die in unserm Satzbau eingerissen ist, ist
die, das Prädikat, wenn es durch ein Adjektiv gebildet wird, nicht,
wie es doch im Deutschen das richtige und natürliche ist, in der
unflektierten, prädikativen Form hinzuschreiben, z. B.: das Verfahren
ist +sehr einfach+, sondern in der flektierten, attributiven Form, als
ob sich der Leser dazu das Subjekt noch einmal ergänzen sollte: das
Verfahren ist +ein sehr einfaches+ (nämlich Verfahren). Es ist das
nicht bloß ein syntaktischer, sondern auch ein logischer Fehler, und
daß man das gar nicht empfindet, ist das besonders traurige dabei.

Ein Adjektiv im Prädikat zu flektieren hat nur in einem Falle Sinn,
nämlich wenn das Subjekt durch die Aussage in eine bestimmte Klasse
oder Sorte eingereiht werden soll. Wenn man sagt: die Kirsche, die
du mir gegeben hast, war +eine saure+ -- das Regiment dort ist +ein
preußisches+ -- diese Frage ist +eine+ rein +wirtschaftliche+ -- der
Genuß davon ist mehr +ein sinnlicher+, +kein+ rein +geistiger+ -- der
Begriff der Infektionslehre ist +ein moderner+ -- der Hauptzweck der
Regierung war +ein fiskalischer+ -- das Amt des Areopagiten war +ein
lebenslängliches+ -- das Exemplar, das ich bezogen habe, war +ein
gebundnes+ -- das abgelaufne Jahr war für die Geschäftswelt +kein
günstiges+ -- so teilt man die Kirschen, die Regimenter, die Fragen,
die Genüsse usw. in verschiedne Klassen oder Sorten ein und weist
das Subjekt nun einer dieser Sorten zu. Es wäre ganz unmöglich, zu
sagen: diese Frage ist rein +ästhetisch+ oder: das Regiment dort ist
+preußisch+. Die Kirsche ist +sauer+ -- das kann man wohl von einer
unreifen Süßkirsche sagen, aber nicht, wenn man ausdrücken will, daß
die Kirsche zu der Gattung der sauern Kirschen gehöre. Das unflektierte
Adjektiv also urteilt, das flektierte sortiert. An ein Sortieren ist
aber doch nicht zu denken, wenn jemand sagt: meine Arbeit ist +eine
vergebliche+ gewesen. Es fällt dem Schreibenden nicht im Traume ein,
die Arbeiten etwa in erfolgreiche und vergebliche einteilen und nun die
Arbeit, von der er spricht, in die Klasse der vergeblichen einreihen
zu wollen, sondern er will einfach ein Urteil über seine Arbeit
aussprechen. Da genügt es doch, zu sagen: meine Arbeit ist +vergeblich+
gewesen.

In der Unterhaltung sagt denn auch kein Mensch: die Suppe ist
+eine zu heiße+, aber +eine sehr gute+. Der lebendigen Sprache
ist diese unnötige und häßliche Verbreiterung des Ausdrucks ganz
fremd, sie gehört ausschließlich der Papiersprache an, stellt sich
immer nur bei dem ein, der die Feder in die Hand nimmt, oder bei
dem Gewohnheitsredner, der bereits Papierdeutsch spricht, oder dem
gebildeten Philister, der sich am Biertisch in der Sprache seiner
Leibzeitung unterhält. Die Papiersprache kennt gar keine andern
Prädikate mehr. Man sehe sich um: in zehn Fällen neunmal dieses
schleppende flektierte Adjektiv, im Aktendeutsch durchweg, aber auch
in der wissenschaftlichen Darstellung, im Essay, im Leitartikel, im
Feuilleton. Lächerlicherweise ist das Adjektiv dabei oft durch ein
Adverb gesteigert, sodaß gar kein Zweifel darüber sein kann, daß ein
Urteil ausgesprochen werden soll. Aber es wird nirgends mehr geurteilt,
es wird überall nur noch sortiert: das Befinden der Königin ist +ein
ausgezeichnetes+ -- die Ausstattung war +eine überaus vornehme+ --
die Organisation ist +eine sehr straffe, fast militärische+ -- der
Andrang war +ein ganz enormer+ -- der Beifall war +ein wohlverdienter+
-- diese Forderung ist eine +durchaus gerechtfertigte+ -- die Stellung
des neuen Direktors war +eine außerordentlich schwierige+ -- in einigen
Lieferungen ist die Bandbezeichnung +eine falsche+ -- der Erfolg mußte
von vornherein +ein zweifelhafter+ sein -- diese Anschauung vom Leben
der Sprache ist +eine durchaus verkehrte+ -- die Verfrachtung ist +eine
außerordentlich zeitraubende+ und +kostspielige+ -- die Beurteilung
des Gedichts war +eine verschiedne+, doch +günstige+ -- dieser
Standpunkt ist +ein völlig undurchführbarer+ -- die kirchliche Lage
der kleinen Gemeinden war eine +sehr gedrückte, wenig beneidenswerte+
-- die Aussicht auf die kommende Session ist +eine sehr trübe+ --
dieses Gedicht ist +ein+ dem ganzen deutschen Volke +teures+ (!) --
allen Verehrern Moltkes dürfte der Besitz dieses Kunstblattes ein
+sehr willkommner+ (!) sein -- die Notwendigkeit einer Ausdehnung wird
schwerlich so bald +eine fühlbare+ (!) sein usw. Ebenso dann auch in
der Mehrzahl: die Meinungen der Menschen sind +sehr verschiedne+ -- die
Pachtsummen waren schon an und für sich +hohe+ -- die mythologischen
Kenntnisse der Schüler sind gewöhnlich +ziemlich dürftige+ -- ich
glaube nicht, daß die dortigen Verhältnisse von den unsrigen +so
grundverschiedne+ (!) seien. Ist das Prädikat verneint, so heißt es
natürlich +kein+ statt +nicht+: die Schwierigkeiten waren +keine
geringen+ -- die Kluft zwischen den einzelnen Ständen war +keine sehr
tiefe+ -- die Rührung ist +keine erkünstelte+ -- die Grenze ist +keine+
für alle Zeiten +bestimmte+ und +keine+ für alle Orte +gleiche+ -- bei
Goethe und Schiller ist der Abstand von der Gegenwart +kein so starker+
mehr. Eine musterhafte Buchkritik lautet heutzutage so: ist der Inhalt
des Lexikons +ein sehr wertvoller+ und die Behandlung der einzelnen
Punkte +eine vorzügliche+, so hält die Ausstattung gleichen Schritt
damit, denn sie ist +eine sehr gediegne+.[58]

Von dem einfachen mit der Kopula gebildeten Prädikat geht aber der
Schwulst nun weiter zu den Verben, die mit doppeltem Akkusativ, einem
Objekts- und einem Prädikatsakkusativ, verbunden werden. Auch da heißt
es nur noch: diesen Kampf kann man nur +einen gehässigen+ nennen
(statt: +gehässig+ nennen!) -- mehr oder minder sehen wir alle die
Zukunft als +eine ernste+ an (statt: als +ernst+ an) -- ich möchte
diesen Versuch nicht als +einen durchaus gelungnen+ bezeichnen -- ich
bin weit davon entfernt, diese Untersuchung als +eine abschließende+
hinzustellen -- das, was uns diese Tage +zu unvergeßlichen+ macht
(statt: +unvergeßlich+ macht!) -- und passiv: der angerichtete Schade
wird als +ein beträchtlicher+ bezeichnet -- abhängige Arbeit löst sich
los und wird zu +einer unabhängigen+ (statt: wird +unabhängig+) -- bis
die Bildung der Frauen +eine andre+ und +bessere+ wird (statt: +anders+
und +besser+ wird) -- unsre Kenntnis der japanischen Industrie ist
+eine+ viel +umfassendere+ und +gründlichere+ geworden -- durch diese
Nadel ist das Fleischspicken +ein müheloseres+ (!) geworden usw.

Besonders häßlich wird die ganze Erscheinung, wenn statt des Adjektivs
oder neben dem Adjektiv ein aktives Partizip erscheint, z. B.: das
ganze Verfahren ist +ein durchaus+ den Gesetzen +widersprechendes+.
Hier liegt ein doppelter Schwulst vor: statt des einfachen
~verbum finitum~ +widerspricht+ ist das Partizip gebraucht: +ist
widersprechend+, und statt des unflektierten Partizips auch noch das
flektierte: ist +ein widersprechendes+. Aber gerade auch solchen Sätzen
begegnet man täglich: das Ergebnis ist +ein verstimmendes+ -- da die
natürliche Beleuchtung doch immer +eine wechselnde+ ist -- der Anteil
war +ein+ den vorhandnen männlichen Seelen +entsprechender+ -- die
Mache ist +eine verschiedenartige+, der Mangel selbständiger Forschung
aber +ein+ stets +wiederkehrender+ -- die Stellung des Richters ist
+eine+ von Jahr zu Jahr +sinkende+ -- das schließt nicht aus, daß der
Inhalt der Sitte +ein verwerflicher+, d. h. dem wahren Besten der
Gesellschaft +nicht entsprechender+ sei (statt: +verwerflich+ sei,
d. h. +nicht entspreche+) -- die Armierung ist +eine sehr schwache+
und absolut +nicht+ ins Gewicht +fallende+ -- die Sprache des Buchs
ist +eine klare, einfache+ und allgemein +verständliche+, vom Herzen
+kommende+ und zum Herzen +gehende+ -- im ganzen ist das Werk freilich
+kein+ den Gegenstand +erschöpfendes+ -- und auch hier passiv: der
Zweck des Buchs ist ein +durchaus anzuerkennender+ (statt: +durchaus
anzuerkennen+).

Es ist kein Zweifel, daß diese breitspurig einherstelzenden Prädikate
allgemein für eine besondre Schönheit gehalten werden. Wer aber einmal
auf sie aufmerksam gemacht worden oder von selbst aufmerksam geworden
ist, der müßte doch jeden Rest von Sprachgefühl verloren haben, wenn er
sie nicht so schnell wie möglich abzuschütteln suchte.


Eine Menge war oder waren?

Wenn das Subjekt eines Satzes durch ein Wort wie +Zahl+, +Anzahl+,
+Menge+, +Masse+, +Fülle+, +Haufe+, +Reihe+, +Teil+ und ähnliche
gebildet wird, so wird sehr oft im Prädikat ein Fehler im Numerus
gemacht. Zu solchen Wörtern kann nämlich entweder ein Genitiv treten,
der als Genitiv nicht erkennbar und fühlbar ist, sondern wie ein
frei angeschlossener Nominativ erscheint (eine +Menge Menschen+) und
deshalb sogar ein Attribut im Nominativ zu sich nehmen kann (eine
+Menge unbedeutende Menschen+[59]), oder ein auf irgendeine Weise
erkennbar gemachter Genitiv (eine +Menge von Menschen+, eine +Menge
unbedeutender Menschen+); die eine Verbindung ist so gebräuchlich wie
die andre. Nun ist wohl klar, daß in dem ersten Falle das Prädikat
in der Mehrzahl stehn muß; der scheinbare Nominativ +Menschen+ tritt
da so in den Vordergrund, daß er geradezu zum Subjekt, daher für
die Wahl des Numerus im Prädikat entscheidend wird. Ebenso klar ist
aber doch, daß in dem zweiten Falle das Prädikat nur in der Einzahl
stehn kann, denn der abhängige Genitiv +von Menschen+ bleibt im
Hintergrunde, und entscheidend für den Numerus im Prädikat kann dann
nur der Singular +Menge+ sein. Man kann zwar zu solchen Begriffen
-- nach dem Sinne -- das Prädikat auch in die Mehrzahl setzen, aber
doch nur, wenn sie allein stehen; durch den abhängigen deutlichen
Plural-Genitiv wird das zusammenfassende, einheitliche in dem
Begriff +Menge+ so eindringlich fühlbar gemacht, daß es in hohem
Grade stört, wenn man Sätze lesen muß wie: eine auserlesene +Zahl
deutscher Kunstwerke+ sind gegenwärtig in Leipzig zu sehen -- eine
große +Anzahl seiner Erzählungen beginnen+ mit dem jugendlichen Alter
des Helden -- erfreulich ist es, daß eine große +Anzahl unsrer Ärzte+
schon über zehn Jahre ihren Dienst versehen +haben+ -- die größere
+Anzahl+ der Lieder und Bearbeitungen +sind+ nicht frei -- eine +Menge
abweichender Beispiele dürfen+ nicht dazu verleiten, die Regel als
ungiltig zu bezeichnen -- außer den Seen +müssen+ noch eine +Menge
kleiner Kanäle+ benutzt werden -- dem Reichsdeutschen +treten+ in dem
schweizerischen Schriftdeutsch eine ganze +Menge von Besonderheiten+
entgegen -- von diesem schönen Unternehmen +liegen+ nun schon +eine
Reihe+ von Heften vor -- eine +Reihe von Kunstbeilagen ermöglichen+ dem
Kunsthistoriker weitergehendes Studium -- kaum ein halbes +Dutzend der
vorzüglichsten Dramen finden+ nachhaltige Teilnahme -- der größte +Teil
der Grundbesitzer waren+ gar nicht mehr Eigentümer -- ein ganz geringer
+Bruchteil der Stellen sind+ auskömmlich bezahlt -- mindestens ein
+Viertel seiner Lieder stehen+ in jedem Gesangbuche -- wer da weiß, wie
schrecklich unbeholfen die +Mehrzahl unsrer Knaben sind+ -- dem Erfolge
+stehen+ eine +Fülle von verschiednen Bedingungen+ entgegen usw. Alle,
die so schreiben, verraten ein stumpfes Sprachgefühl und lassen sich
von dem Krämer beschämen, der in der Zeitung richtig anzeigt: ein
großer +Posten zurückgesetzter Unterröcke ist+ billig zu verkaufen.
Besonders beleidigend wird der Fehler, wenn das Zeitwort im Plural
unmittelbar vor dem singularischen Begriff der Menge steht.

Umgekehrt sind manche geneigt, alle Angaben von Bruchteilen als
Singulare zu behandeln und zu schreiben: bei Aluminium +wird zwei
Drittel+ des Gewichts erspart -- es +wurde nur fünf Prozent+ der Masse
gerettet. Hier ist der Singular natürlich ebenso anstößig wie in den
vorher angeführten Beispielen der Plural.

Dem Deutschen eigentümlich ist die Anrede +Sie+, eigentlich die
dritte Person der Mehrzahl. Sie ist dadurch entstanden, daß man
vor lauter Höflichkeit den Angeredeten nicht bloß, wie andre
Sprachen, als Mehrzahl, sondern sogar als abwesend hinstellte. Man
wagte gleichsam gar nicht, ihm unter die Augen zu treten und ihn
anzublicken. Das pluralische Prädikat zu diesem +Sie+ wird aber nun
sogar mit singularischen Subjekten verbunden, wie +Eure Majestät+,
+Exzellenz+, +der Herr Hofrat+ (Goethe im Faust: +Herr Doktor wurden+
da katechisiert). So unnatürlich das ist, es wird schwerlich wieder zu
beseitigen sein. Die wunderlichste Folge dieser Spracherscheinung ist
wohl ein Satz wie der: Verzeihen Sie, daß ich +Sie, der Sie+ ohnehin so
beschäftigt +sind+, mit dieser Frage belästige.


Noch ein falscher Plural im Prädikat

Ein Prädikat, das sich auf zwei oder mehr Subjekte bezieht, muß
selbstverständlich im Plural stehen, wenn die Subjekte zu einer Gruppe
zusammengefaßt werden. Das geschieht aber immer, wenn sie durch das
Bindewort +und+ verbunden sind. Dagegen werden die Subjekte niemals zu
einer Gruppe vereinigt, wenn sie mit trennenden (disjunktiven) oder
gegenüberstellenden Bindewörtern verbunden werden -- eigentlich ein
Widerspruch, aber doch nur ein scheinbarer, denn die Verbindung ist
etwas äußerliches, rein syntaktisches, die Gegenüberstellung ist etwas
innerliches, logisches. Zu diesen Bindewörtern (zum Teil eigentlich
mehr Adverbien) gehören: +oder+, +teils -- teils+, +weder -- noch+,
+wie+, +sowie+, +sowohl -- wie+, +sowohl -- als auch+. Es ist eins
der unverkennbarsten Zeichen der zunehmenden Unklarheit des Denkens,
daß in solchen Fällen das Prädikat jetzt immer öfter in den Plural
gesetzt wird. Verhältnismäßig selten liest man ja so unsinnige Sätze
wie: wenn ein schwacher Vater +oder+ eine schwache Mutter der Schule
ein Schnippchen +schlagen+ (+schlägt+!) -- es ist sehr fraglich, ob ein
roher, trunksüchtiger Mann +oder+ eine böse, schlecht wirtschaftende
Frau im Hause mehr Schaden +anrichten+ (+anrichtet+!) -- so war es
+teils+ die Willkür des Geschmacks, +teils+ die Willkür des Zufalls,
die zu entscheiden +hatten+ (+hatte+!) -- oder gar: sein Milieu, +wenn
nicht+ etwas andres in ihm, +erhalten+ (+erhält+!) ihn unparteiisch
und nüchtern. Aber schon etwas ganz alltägliches ist der Fehler bei
+weder -- noch+: wenn +weder+ der Beklagte +noch+ er selbst +sich
stellen+ -- während doch sonst +weder+ Tinte +noch+ Papier gespart
+werden+ -- da +weder+ der Vater +noch+ die Mutter des Jungen mit uns
das geringste zu tun +haben+ -- +weder+ die Gräfin +noch+ ihr Bruder
+verfügen+ über ein größeres Vermögen -- +weder+ Boccaccio +noch+
Lafontaine +haben+ solche Abweichungen geduldet -- +weder+ Preußen
+noch+ das junge Reich +waren+ stark genug, das Zentrum zu überwinden.
Am häufigsten wird der Fehler bei +wie+, +sowie+ und den verwandten
Verbindungen begangen: die vornehme Salondame +wie+ die schlichte
Hausfrau +stellen+ an Dienstboten oft unerhörte Anforderungen -- der
Verfasser zeigt, wie sich von da an das Heer +wie+ das Reich immer mehr
+barbarisierten+ -- da der Rationalismus den Grundzug dieser Religion
bildet, so ist es klar, daß ihr der Gebildete +wie+ der Ungebildete in
gleicher Weise +anhängen+ -- die Ausbildung der städtischen Verfassung
+wie+ die Entwicklung der Fürstentümer +zwangen+ zur Vermehrung der
Beamten -- der höchste Gerichtshof +sowie+ der Rechnungshof des Reichs
+befinden+ sich nicht in der Reichshauptstadt -- Frankreich +sowohl
wie+ Deutschland +entwickeln sich+ sozialistisch -- Custine +sowohl
wie+ die französische Regierung +waren+ hinlänglich davon unterrichtet
-- +sowohl+ der romantische +als+ der realistische Meister +hatten+ der
Entwicklung eine breite Bahn geöffnet -- +sowohl+ der Wortschatz +als
auch+ die Formenlehre +haben+ im Verlaufe von hundert Jahren merkliche
Veränderungen erfahren -- die freundlichen Worte, die +sowohl+ der
Vizepräsident an mich +als auch+ der Herr Ministerpräsident an die
Direktoren gerichtet +haben+. In allen diesen Sätzen kann gar kein
Zweifel sein, daß nur von einem Singular etwas ausgesagt wird. Dieser
Singular wird einem andern Singular gleichgestellt, von dem dieselbe
Aussage gilt. Aber dadurch wird doch aus den beiden Singularen noch
kein Plural. Wer das Prädikat in den Plural setzen will, muß eben die
Subjekte durch +und+ verbinden, nicht durch +wie+.


Das Passivum. Es wurde sich

Beim Gebrauche der Zeitwörter kommen in Betracht die Genera (Aktivum
und Passivum), die Tempora und die Modi. Im Gebrauche der Genera
können kaum Fehler vorkommen. Zu warnen ist nur vor der unter Juristen
und Zeitungschreibern weit verbreiteten Gewohnheit, alles passivisch
auszudrücken, z. B.: namentlich muß +von dem+ obersten +Leiter+ der
Politik dieser Zustand als eine Erschwerung seines Amtes +empfunden
werden+ (statt: der oberste Leiter muß empfinden) -- das hat sehr dazu
beigetragen, +daß von der Regierung+ nicht an den bisher befolgten
sozialpolitischen Grundsätzen +festgehalten worden ist+ (statt: daß
die Regierung nicht festgehalten hat) -- bei einem Pachtverhältnis
sollte +von seiten (!) des+ Verpächters nicht bloß auf die Höhe der
gebotnen Pachtsumme +gesehen werden+, sondern auch die Persönlichkeit
des Bewerbers +berücksichtigt+ und auf dessen Befähigung Wert
+gelegt werden+ (statt: der Verpächter sollte berücksichtigen). Das
nächstliegende ist doch immer das Aktivum.

Geschmacklos ist es, ein Passivum von einem reflexiven Zeitwort zu
bilden: es brach ein Gewitter los, und +es wurde sich+ in ein Haus
+geflüchtet+ -- mit dem Beschlusse des Rats +wurde sich+ einverstanden
+erklärt+ -- über dieses Thema +ist sich+ in pädagogischen
Zeitschriften wiederholt +geäußert worden+. Dergleichen Sätze kann man
höchstens im Scherz bilden. In gutem Deutsch müssen sie mit Hilfe des
Fürworts +man+ umschrieben werden.


Ist gebeten oder wird gebeten?

Zahlreiche Verstöße werden gegen den richtigen Gebrauch der Tempora
begangen. Ganz undeutsch und nichts als eine gedankenlose Nachäfferei
des Französischen, noch dazu eines falsch verstandnen Französisch,
ist es, zu schreiben: die Mitglieder +sind gebeten+, pünktlich zu
erscheinen. In dem Augenblicke, wo jemand eine derartige Aufforderung
erhält, +ist+ er noch nicht gebeten, sondern er +wird+ es erst. Man
kann wohl sagen: du +bist geladen+, d. h. betrachte dich hiermit als
geladen. Aber die Mitteilung einer Bitte, einer Einladung usw. kann nur
durch das Präsens, nicht durch das Perfektum ausgedrückt werden.


Mißbrauch des Imperfekts

Ganz widerwärtig und ein trauriges Zeichen der zunehmenden Abstumpfung
unsers Sprachgefühls ist ein Mißbrauch des Imperfekts, der seit einiger
Zeit mit großer Schnelligkeit um sich gegriffen hat.

Das Imperfektum ist in gutem Deutsch das Tempus der Erzählung. Was
heißt erzählen?

Mariandel kommt weinend aus der Kinderstube und klagt: +Wolf hat+
mich +geschlagen+! Die Mutter nimmt sie auf den Schoß, beruhigt sie
und sagt: erzähle mir einmal, wies zugegangen ist. Und nun erzählt
Mariandel: ich +saß+ ganz ruhig da und +spielte+, da +kam+ der böse
Wolf und +zupfte+ mich am Haar usw. Mit dem Perfektum also hat sie die
erste Meldung gemacht; auf die Aufforderung der Mutter, zu erzählen,
springt sie sofort ins Imperfektum über. Da sehen wir deutlich den Sinn
des Imperfekts. Erzählen heißt aufzählen, herzählen. Das Wesentliche
einer Erzählung liegt in dem Eingehen in Einzelheiten. Weiterhin
besteht aber zwischen Imperfekt und Perfekt auch ein Unterschied in
der Zeitstufe: das Imperfekt berichtet früher geschehene Dinge (man
kann sich meist ein +damals+ dazu denken), das Perfektum Ereignisse,
die sich soeben zugetragen haben, wie der Schlag, den Mariandel
bekommen hat. Wenn ich eine Menschenmasse auf der Straße laufen sehe
und frage: was gibts denn? so wird mir geantwortet: der Blitz +hat
eingeschlagen+, und am Markt +ist+ Feuer +ausgebrochen+; d. h. das ist
soeben geschehen. Wenn ich dagegen nach einigen Wochen oder Jahren über
den Vorgang berichte, kann ich nur sagen: der Blitz +schlug ein+, und
am Markte +brach+ Feuer +aus+. Nur wenn ich etwas, was mir ein andrer
erzählt hat, weiter erzähle, gebrauche ich das Perfektum; selbst dann,
wenn mirs der andre im Imperfekt erzählt hat, weil ers selbst erlebt,
selbst mit angesehen hatte, kann ich es nur im Perfekt weiter erzählen.
Wollte ich auch im Imperfekt erzählen, so müßte ich auf die Frage
gefaßt sein: bist du denn dabei gewesen?

Also mit dem Imperfekt wird erzählt, und zwar selbsterlebtes; es
ist daher das durchgehende Tempus aller Romane, aller Novellen,
aller Geschichtswerke, denn sowohl der Geschichtschreiber wie der
Romanschreiber berichtet so, als ob er dabeigewesen wäre und die Dinge
selbst mit angesehen hätte. Das Perfektum ist dagegen das Tempus der
bloßen Meldung, der tatsächlichen Mitteilung. Der Unterschied ist so
handgreiflich, daß man meinen sollte, er könnte gar nicht verwischt
werden.

Nun sehe man einmal die kurzen Meldungen in unsern Zeitungen an, die
das Neueste vom Tage bringen, unter den telegraphischen Depeschen,
unter den Stadtnachrichten usw. -- ist es nicht widerwärtig, wie da
das Imperfekt mißbraucht wird? Da heißt es: Prinz A. +erkrankte+
schwer in Venedig; seine Gemahlin +reiste+ aus München dahin ab --
Bahnhofsinspektor S. in R. +erhielt+ das Ritterkreuz zweiter Klasse
-- in Heidelberg +starb+ Professor X -- Minister Soundso +reichte+
seine Entlassung +ein+ -- in Dingsda +wurde+ die Sparkasse +erbrochen+
-- ein merkwürdiges Buch +erschien+ in Turin. Wann denn? fragte man
unwillkürlich, wenn man so etwas liest. Du willst mir doch eine
Neuigkeit mitteilen und drückst dich aus, als ob du etwas erzähltest,
was vor dreihundert Jahren geschehen wäre. Ein merkwürdiges Buch
+erschien+ in Turin -- das klingt doch, als ob der Satz aus einer
Kirchengeschichte Italiens genommen wäre.

Etwas andres wird es schon, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangenheit
hinzutritt, und wäre es nur ein +gestern+; dann kann der Satz den
Charakter einer bloßen tatsächlichen Mitteilung verlieren und den der
Erzählung annehmen. Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb
hier nach längerer Krankheit Professor X, wie: +gestern+ ist hier nach
längerer Krankheit Professor X +gestorben+. Im zweiten Falle melde ich
einfach das Ereignis, im ersten Falle erzähle ich. Fehlt aber jede
Zeitangabe, soll das Ereignis schlechthin gemeldet werden, so ist der
Gebrauch des Imperfekts ein Mißbrauch.

Der Fehler ist aber nicht auf Zeitungsnachrichten beschränkt geblieben;
auch unsre Geschäftsleute schreiben schon in ihren Anzeigen und Briefen
und halten das für eine besondre Feinheit: ich +verlegte+ mein Geschäft
von der Petersstraße nach der Schillerstraße -- ich +eröffnete+ am
Johannisplatz eine zweite Filiale u. ähnl. Ein Schuldirektor schreibt
einem Schüler ins Zeugnis: M. +besuchte+ die hiesige Schule und +trat+
heute aus. Eine Verlagsbuchhandlung schreibt in der Ankündigung
eines Werkes, dessen Ausgabe bevorsteht: wir +scheuten+ kein Opfer,
die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen; den Preis
+stellten+ wir so niedrig, daß sich unser Unternehmen in den weitesten
Kreisen Eingang verschaffen kann. Wann denn? fragt man unwillkürlich.
Sind diese Sätze Bruchstücke aus einer Selbstbiographie von dir?
erzählst du mir etwas aus der Geschichte deines Geschäfts? über ein
Verlagsunternehmen, das du vor zwanzig Jahren in die Welt geschickt
hast? Oder handelt sichs um ein Buch, das soeben fertig geworden ist?
Wenn du das letzte meinst, so kann es doch nur heißen: wir +haben+ kein
Opfer +gescheut+, den Preis +haben+ wir so niedrig +gestellt+ usw. Eine
andre Buchhandlung schreibt auf die Titelblätter ihrer Verlagswerke:
den Buchschmuck +zeichnete+ Fidus. +Zeichneetee+! Wann denn?

Es kommt aber noch eine weitere Verwirrung hinzu. Das Perfekt hat
auch die Aufgabe, die gegenwärtige Sachlage auszudrücken, die durch
einen Vorgang oder eine Handlung geschaffen worden ist. Auch in
dieser Bedeutung wird es jetzt unbegreiflicherweise durch das
Tempus der Erzählung verdrängt. Da heißt es: die soziale Frage ist
das schwierigste Erbteil, das Kaiser Wilhelm von seinen Vorfahren
+erhielt+ (statt: +erhalten hat+, denn er hat es doch nun!) -- auch die
vorliegende Arbeit führt nicht zum Ziel, trotz der großen Mühe, die
der Verfasser auf sie +verwandte+ (statt: +verwendet hat+, denn die
Arbeit liegt doch vor!) -- da die Ehe des Herzogs kinderlos +blieb+
(statt: +geblieben ist+) -- folgt ihm sein Neffe in der Regierung --
die letzten Wochen haben dazu beigetragen, daß das Vertrauen in immer
weitere Kreise +drang+ (statt: +gedrungen ist+) -- wir beklagen tief,
daß sich kein Ausweg finden +ließ+ (statt: +hat finden lassen+) --
kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse +hervorgingen+ usw.
Der letzte Satz klingt, als wäre er aus irgendeiner geschichtlichen
Darstellung genommen, als wäre etwa von Wahlen zum ersten deutschen
Parlament die Rede. Es sollen aber die letzten Reichstagswahlen damit
gemeint sein, die den gegenwärtigen Reichstag geschaffen haben! Da
muß es doch heißen: kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse
+hervorgegangen sind+, denn diese Ergebnisse bilden doch die
gegenwärtige Sachlage.

Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber sein, woher der Mißbrauch des
Imperfekts stammt. In Norddeutschland ist er durch Nachäfferei des
Englischen entstanden und mit dem lebhaftern Betriebe der englischen
Sprache aufgekommen. Der Engländer sagt: ~I +saw+ him this morning~
(ich +habe+ ihn diesen Morgen +gesehen+) -- ~I +expected+ you last
Thursday~ (ich +habe+ Sie vorigen Donnerstag +erwartet+) -- ~Yours
I +received+~ (ich +habe+ Ihr Schreiben +erhalten+) -- ~That is the
finest ship I ever +saw+~ (das ist das schönste Schiff, das ich je
+gesehen habe+) -- ~Sheridan’s Plays, now printed as he +wrote+
them~ (wie er sie +geschrieben hat+). Wahrscheinlich weniger durch
nachlässiges Übersetzen aus englischen Zeitungen als durch schlechten
englischen Unterricht, bei dem nicht genug auf den Unterschied
der Sprachen in dem Gebrauche der Tempora hingewiesen, sondern
gedankenlos wörtlich übersetzt wird, ist der Mißbrauch ins Deutsche
hereingeschleppt worden. In Leipzig kann man schon hören, wie ein Geck,
der den Tag zuvor aus dem Bade zurückgekehrt ist, einem andern Gecken
auf der Straße zuruft: +Jä, ich käm gestern zurück+, wie ein Geck in
Gesellschaft sagt: ich +hatte+ schon den Vorzug (ich habe schon die
Ehre gehabt). In Süddeutschland aber kommt dazu noch eine andre Quelle.
Dem bayrisch-österreichischen Volksdialekt fehlt das Imperfektum (mit
Ausnahme von +ich war+) gänzlich; er kennt weder ein +hatte+, noch
ein +ging+, noch ein +sprach+, er braucht in der Erzählung immer das
Perfekt (+bin ich gewesen+ -- +hab ich gesagt+). Daher hat diese Form
in Süddeutschland und Österreich den Beigeschmack des Vulgären, und
wenn nun der Halbgebildete Schriftdeutsch sprechen will, so gebraucht
er überall, auch da, wo es gar nicht hinpaßt, das Imperfektum, weil
er mit dem Perfekt in den Dialekt zu fallen fürchtet. In großen
Dresdner Pensionaten, wo englische, norddeutsche und österreichische
Kinder zusammen sind, soll man den Einfluß beider Quellen gleichzeitig
beobachten können.

Ein wunderliches Gegenstück zu dem Mißbrauch des Imperfekts verbreitet
sich in neuern Geschichtsdarstellungen, nämlich die Schrulle, im
Perfektum zu -- erzählen! Nicht bloß vereinzelte Sätze werden so
geschrieben, wie: der Enkel +hat+ ihm eine freundliche und liebevolle
Erinnerung +bewahrt+ (statt: +bewahrte+ ihm), sondern halbe und ganze
Seiten lang wird das Imperfekt aufgegeben und durch das Perfektum
ersetzt. Geschmackvoll kann man auch das nicht nennen.


Worden

Ebenso schlimm wie die beiden eben bezeichneten ist aber nun noch
eine dritte Verwirrung, die neuerdings aufgekommen ist und in kurzer
Zeit reißende Fortschritte gemacht hat: die Verwirrung, die sich in
dem Weglassen des Partizips +worden+ im passiven Perfektum zeigt. Es
handelt sich auch hier um eine Vermengung zweier grundverschiedner
Zeitformen, der beiden, die man in der Grammatik als Perfektum und als
~Perfectum praesens~ bezeichnet.

Nicht nur in gutem Schriftdeutsch, sondern auch in der gebildeten
Umgangssprache ist noch bis vor kurzem aufs strengste unterschieden
worden zwischen zwei Sätzen wie folgenden: auf dem Königsplatze +sind+
junge Linden +angepflanzt worden+, und: auf dem Königsplatze +sind+
junge Linden +angepflanzt+. Der erste Satz meldet den Vorgang oder
die Handlung des Anpflanzens -- das ist das eigentliche und wirkliche
Perfektum; der zweite beschreibt den durch die Handlung des Anpflanzens
geschaffnen gegenwärtigen Zustand -- das ist das, was die Grammatik
~Perfectum praesens~ nennt. Der Altarraum +ist+ mit fünf Gemälden
+geschmückt worden+ -- das ist eine Mitteilung; der Altarraum +ist+ mit
fünf Gemälden +geschmückt+ -- das ist eine Beschreibung. Wenn mir ein
Freund Lust machen will, mit ihm vierhändig zu spielen, so sagt er:
komm, das Klavier +ist gestimmt+! Dann kann ich ihn wohl fragen: so?
wann +ist+ es denn +gestimmt worden+? aber nicht: wann +ist+ es denn
+gestimmt+? denn ich frage nach dem Vorgange. Wenn ein Maler sagt: mir
+sind+ für das Bild 6000 Mark +geboten+, so heißt das: ich kann das
Geld jeden Augenblick bekommen, der Bieter ist an sein Gebot gebunden.
Sagt er aber: mir +sind+ 6000 Mark +geboten worden+, so kann der Bieter
sein Gebot längst wieder zurückgezogen haben.

Handelte sichs um einen besonders feinen Unterschied, der schwer
nachzufühlen und deshalb leicht zu verwischen wäre, so wäre es ja nicht
zu verwundern, wenn er mit der Zeit verschwände. Aber der Unterschied
ist so grob und so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen muß.
Und doch dringt der Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein Ereignis
als Zustand, als Sachlage hinzustellen, in immer weitere Kreise und
gilt jetzt offenbar für fein. Selbst ältere Leute, denen es früher
nicht eingefallen wäre, so zu reden, glauben die Mode mitmachen zu
müssen und lassen das +worden+ jetzt weg. Täglich kann man Mitteilungen
lesen wie: ~Dr.~ Sch. +ist+ zum außerordentlichen Professor an der
Universität Leipzig +ernannt+ -- dem Freiherrn von S. +ist+ auf sein
Gesuch der Abschied +bewilligt+ -- in H. +ist+ eine Eisenbahnstation
feierlich +eröffnet+ -- oder Sätze wie: über den Begriff der Philologie
+ist+ viel +herumgestritten+ -- die märkischen Stände +sind+ um ihre
Zustimmung offenbar nicht +befragt+ -- so ist die Reformation in
Preußen als Volkssache +vollzogen+ -- er behauptete, daß er in dieser
Anstalt wohl +gedrillt+, aber nicht +erzogen sei+ -- die Methode,
in der Niebuhr so erfolgreich die römische Geschichte behandelte,
+ist+ von Ranke auf andre Gebiete +ausgedehnt+ -- man rühmt sich bei
den Nationalliberalen, daß über 12000 Stimmen von ihnen +abgegeben
seien+ -- es kann nicht geleugnet werden, daß an Verhetzung +geleistet
ist+, was möglich war -- es ist zu bedauern, daß so viel Fleiß nicht
auf eine lohnendere Aufgabe +verwendet ist+ -- wie hätte die schöne
Sammlung zustande kommen können, wenn nicht mit reichen Mitteln dafür
+eingetreten wäre+?

Doppelt unbegreiflich wird der Unsinn, wenn durch Hinzufügung einer
Zeitangabe noch besonders fühlbar gemacht wird, daß eben der Vorgang
(manchmal sogar ein wiederholter Vorgang) ausgedrückt werden soll,
nicht die durch den Vorgang entstandne Sachlage. Aber gerade auch
diesem Unsinn begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern.
Da heißt es: das Verbot der und der Zeitung +ist heute+ wieder
+aufgehoben+ (+worden+! möchte man immer dem Zeitungschreiber zurufen)
-- der österreichische Reichsrat +ist gestern eröffnet+ (+worden+!)
-- der Anfang zu dieser Umgestaltung +ist+ schon +vor längerer Zeit
gemacht+ (+worden+!) -- diese Frage +ist schon einmal aufgeworfen+ und
+damals+ in verneinendem Sinne +beantwortet+ (+worden+!) -- +vorige
Woche ist+ ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im
Kursaal +aufgestellt+ (+worden+!) -- +in späterer Zeit sind+ an dieser
Tracht die mannigfachsten Veränderungen +vorgenommen+ (+worden+!) --
+in gotischer Zeit ist+ das Schiff der Kirche äußerlich verlängert und
dreiseitig +geschlossen+ (+worden+!) -- an der Stelle, wo Tells Haus
gestanden haben soll, +ist+ 1522 eine mit seinen Taten bemalte Kapelle
+errichtet+ (+worden+!) -- +am Tage darauf+, am 25. Januar, +sind+
noch drei Statuen +ausgegraben+ (+worden+!) -- jedenfalls +ist+ der
Scherz in Karlsbad +bei irgendeiner Gelegenheit aufs Tapet gebracht+
(+worden+!) -- in B. +ist dieser Tage+ ein Kunsthändler wegen Betrugs
zu sechs Monaten Gefängnis +verurteilt+ (+worden+!) -- diese Dinge
sind offenkundig, denn sie +sind hundertmal besprochen+ (+worden+!)
-- die Wandlungen der Mode +sind+ zu allen Zeiten von Sittenpredigern
+bekämpft+ (+worden+!) -- bis 1880 +ist+ von dieser Befugnis nicht +ein
einzigesmal+ Gebrauch +gemacht+ (+worden+!).

Wo der Unsinn hergekommen ist? Er stammt aus dem Niederdeutschen
und hat seine schnelle Verbreitung unzweifelhaft auf dem Wege über
Berlin gefunden. Die Unterscheidung der beiden Perfekta in unsrer
Sprache ist nämlich verhältnismäßig jung, sie ist erst im fünfzehnten
Jahrhundert zustande gekommen, und zwar ganz allmählich. Erst um
die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fing man an, zu sagen:
daß ein Knecht +geschlagen ist worden+ (anfangs immer in dieser
Wortstellung). Aber schon im sechzehnten Jahrhundert war die willkommne
Unterscheidung durchgedrungen und unentbehrlich geworden. Nur die
niederdeutsche Vulgärsprache lehnte sie ab und beharrt -- noch heute,
nach vierhundert Jahren -- dabei. Welche Lächerlichkeit nun, diesen
unvollkommnen Sprachrest, der heute doch lediglich auf der Stufe eines
Provinzialismus steht, aller Vernunft und aller Logik zum Trotz der
gebildeten Schriftsprache wieder aufnötigen zu wollen! Der Unterricht
sollte sich mit aller Macht gegen diesen Rückschritt sträuben.


Wurde geboren, war geboren, ist geboren

Eine biographische Darstellung ist natürlich auch eine Erzählung, kann
sich also in keinem andern Tempus bewegen als im Imperfekt. Aber der
erste Satz, die Geburtsangabe, wie stehts damit? Soll man schreiben:
Lessing +war geboren+, Lessing +wurde geboren+ oder Lessing +ist
geboren+? Alle drei Ausdrucksweisen kommen vor. Aber merkwürdigerweise
am häufigsten die falsche! Er +ist geboren+ -- das kann man doch
vernünftigerweise nur von dem sagen, der noch lebt. Den Lebenden fragt
man: wann +bist+ du denn +geboren+? Und dann antwortet er: +ich bin+ am
23. Mai 1844 +geboren+. Von einem, der nicht mehr lebt, kann man wohl
am Schlusse seiner Lebensbeschreibung sagen: +gestorben ist+ er am 31.
Oktober 1880. Damit fällt man zwar aus der Form der Erzählung heraus
in die der bloßen tatsächlichen Mitteilung; aber die ist dort ganz am
Platze, denn sie drückt die gegenwärtige Sachlage aus. Am Anfang einer
Lebensbeschreibung aber kann es vernünftigerweise nur heißen: er +war+
oder er +wurde geboren+; mit +wurde+ versetze ich mich -- was das
natürlichste ist -- an den Anfang des Lebenslaufs meines Helden, mit
+war+ versetze ich mich mitten hinein. In wieviel hundert und tausend
Fällen aber wird in Zeitungsaufsätzen, im Konversationslexikon, in
Kunst- und Literaturgeschichten usw. die Gedankenlosigkeit begangen,
daß man von Verstorbnen zu erzählen anfängt, als ob sie lebten! Den
Fehler damit verteidigen zu wollen, daß man sagte: ein großer Mann lebe
eben nach seinem Tode fort, wäre eine arge Sophisterei. Das Fortleben
ist doch immer nur bildlich gemeint, in der Biographie aber handelt
sichs um das wirkliche Leben.


Erzählung und Inhaltsangabe

Wer eine Geschichte erzählt, bedient sich des Imperfekts; alle
Ereignisse; die vor der Geschichte liegen, die erzählt wird, also zu
der sogenannten Vorfabel gehören, müssen im Plusquamperfekt mitgeteilt
werden. Imperfekt und Plusquamperfekt sind die beiden einzigen Tempora,
die in den erzählenden Abschnitten einer Novelle oder eines Romans
vorkommen können. Die Vorfabel braucht nicht am Anfang der Novelle zu
stehen, sie kann mitten in der Novelle nachgetragen, ja selbst auf
mehrere Stellen der Novelle verteilt werden. Immer aber muß das sofort
durch den Tempuswechsel kenntlich gemacht werden. Zieht sich nun die
Vorfabel in die Länge, so wird der Leser bald des Plusquamperfekts
überdrüssig, und der Erzähler muß dann auch für die Vorfabel in das
Imperfekt einzulenken suchen. Das geschickt und fein und an der
richtigen Stelle zu machen ist eine Aufgabe, an der viele Erzähler
scheitern.

Noch schwieriger freilich scheint eine andre Aufgabe zu sein: wenn
Rezensenten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts,
eines Dramas angeben, so zeigen sie nicht selten eine klägliche
Hilflosigkeit in der Anwendung der Tempora. Man kann Inhaltsangaben
lesen, deren Darstellung zwischen Präsens und Imperfekt, Perfekt und
Plusquamperfekt nur immer so hin und her taumelt. Und doch ist auch
diese Aufgabe eigentlich nicht schwieriger als die andre. Ein Buch, das
besprochen wird, liegt vor. Da hat kein andres Tempus etwas zu suchen
als das Präsens und das Perfektum, das Präsens für die Geschichte
selbst, das Perfektum für die Vorgeschichte. Wer den Inhalt wissen
will, fragt nicht: wie +war+ denn die Geschichte? sondern: wie +ist+
denn die Geschichte? Und anders kann auch der nicht antworten, der
den Inhalt des Buches angibt; er kann nur sagen: die Geschichte +ist
so+, und nun fängt er im Präsens an: Auf einem Gut in der Nähe von
Danzig +lebt+ ein alter Rittmeister; er +hat+ früher eine zahlreiche
Familie +gehabt+, +steht+ aber jetzt allein da usw. Auch wer in der
Unterhaltung den Inhalt eines Schauspiels angibt, das er am Abend zuvor
im Theater gesehen hat, bedient sich keines andern Tempus und kann sich
keines andern bedienen. Nur manche Zeitungschreiber scheinen das nicht
begreifen zu können.[60]

Nicht ganz leicht dagegen ist es wieder, in der Erzählung das
sogenannte ~Praesens historicum~, das Präsens der lebhaften,
anschaulichen Schilderung richtig anzuwenden. Genau an der richtigen
Stelle in dieses Präsens einzufallen, genau an der richtigen Stelle
sich wieder ins Imperfekt zurückzuziehen, das glückt nur wenigen. Die
meisten fangen es recht täppisch an.


Tempusverirrung beim Infinitiv

Wenn jemand anstatt: da +muß+ ich mich +geirrt haben+ -- sagen
wollte: da +mußte+ ich mich +irren+ oder: +da habe+ ich mich +irren
müssen+, so würde man ihn wohl sehr verdutzt ansehen, denn eine
solche Tempusverschiebung aus dem Infinitiv in das regierende Verbum
ließe auf eine nicht ganz normale Geistesverfassung schließen. Der
Fehler wird aber gar nicht selten gemacht, nur daß er nicht immer so
verblüffend hervortritt, z. B.: ich glaube bewiesen zu haben, daß die
Verfügung des Oberpräsidenten an dem Anschwellen der Bewegung nicht
schuld +sein konnte+ (anstatt: nicht schuld +gewesen sein kann+).
Nicht besser, eher noch schlimmer ist es, die Vergangenheit doppelt zu
setzen, z. B.: später +mochten+ wohl die Arbeiten für den Kurfürsten
dem Künstler nicht mehr die Muße +gelassen haben+. Wenn ein Vorgang aus
der Vergangenheit nicht als wirklich, sondern mit Hilfe von +scheinen+,
+mögen+, +können+, +müssen+ nur als möglich oder wahrscheinlich
hingestellt werden soll, so gehört die Vergangenheit natürlich nicht in
die Form der Aussage, denn die Aussage geschieht ja in der Gegenwart,
sondern sie gehört in den Infinitiv. Es muß also heißen: +mögen nicht
gelassen haben+.

Manche möchten es ja nun gern richtig machen, sind sich aber über die
richtige Form des Infinitivs nicht klar. Wenn z. B. jemand schreibt:
Ludwig +scheint+ sich durch seine Vorliebe für die Musik etwas von
den Wissenschaften +entfernt zu haben+ -- und sich einbildet, damit
den Satz: Ludwig +hatte+ sich von den Wissenschaften +entfernt+ -- in
das Gebiet der Wahrscheinlichkeit gerückt zu haben, so irrt er sich.
Die Tempora des Indikativs und des Infinitivs entsprechen einander in
folgender Weise:

  L. +entfernt+ sich -- scheint sich zu +entfernen+.

  L. +entfernte+ sich -- scheint sich +entfernt zu haben+ (nämlich
  damals).

  L. +hat+ sich +entfernt+ -- scheint sich +entfernt zu haben+ (nämlich
  jetzt).

  L. +hatte+ sich +entfernt+ -- scheint sich +entfernt gehabt zu haben+.

  L. +wird+ sich +entfernen+ -- scheint sich +entfernen zu wollen+.


Relativsätze. Welcher, welche, welches

Unter den Nebensätzen ist keine Art, in der so viel und so
mannigfaltige Fehler gemacht würden wie in den Relativsätzen. Freilich
sind sie auch die am häufigsten verwendete Art.

Ein Hauptübel unsrer ganzen Relativsatzbildung liegt zunächst nicht im
Satzbau, sondern in der Verwendung des langweiligen Relativpronomens
+welcher+, +welche+, +welches+. Das Relativpronomen +welcher+ gehört,
wie so vieles andre, fast ausschließlich der Papiersprache an, und
da sein Umfang und seine Schwere in gar keinem Verhältnis zu seiner
Aufgabe und Leistung stehen, so trägt es ganz besonders zu der
breiten, schleppenden Ausdrucksweise unsrer Schriftsprache bei. In der
ältern Sprache war +welcher+ (~swelher~) durchaus nicht allgemeines
Relativpronomen, sondern nur indefinites Relativ, es bedeutete: +wer
nur irgend+ (~quisquis~), +jeder, der+, noch bei Luther: +welchen+ der
Herr lieb hat, den züchtiget er. Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert
ist es allmählich zum gemeinen Relativum herabgesunken. Aber nur in
der Schreibsprache, die sich so gern breit und wichtig ausdrückt,
zuerst in Übersetzungen aus dem Lateinischen; der lebendigen Sprache
ist es immer fremd geblieben und ist es bis auf den heutigen Tag
fremd. Niemand spricht +welcher+, es wird immer nur geschrieben! Man
beobachte sich selbst, man beobachte andre, stundenlang, tagelang,
man wird das vollständig bestätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß
sich in freier, lebendiger Rede, wie sie der Augenblick schafft, das
Relativum +welcher+ einstellte; jedermann sagt immer und überall:
+der+, +die+, +das+. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische sagte:
die Sorte, +welche+ wir vorhin getrunken haben, oder: wir gehen wieder
in die Sommerfrische, +in welcher+ wir voriges Jahr gewesen sind.[61]
In stenographischen Berichten über öffentliche Versammlungen und
Verhandlungen findet man allerdings oft Relativsätze mit +welcher+,
aber darauf ist nicht viel zu geben, diese Berichte werden redigiert,
und wer weiß, wie viele +der+ dabei erst nachträglich in +welcher+
verwandelt werden, weil mans nun einmal so für schriftgemäß hält! Und
dann: Leute, die viel öffentlich reden, sprechen nicht, wie andre
Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn sie am Rednerpulte stehen,
anders als in der Unterhaltung, sie sprechen nicht bloß für die
Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung; alte Gewohnheitsredner, die Tag
für Tag denselben Schalenkorb ausschütten und es gar nicht mehr für der
Mühe wert halten, sich auf eine „Ansprache“ vorzubereiten, suchen auch
mit ihrem +welcher+ Zeit zu gewinnen, wie andre mit ihrem äh -- äh.
Wenn aber ein junger Pfarrer auf der Kanzel Relativsätze mit +welcher+
anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt aufgeschrieben und
wörtlich auswendig gelernt hat; wenn ein Festredner aller Augenblicke
+welcher+ sagt, so kann man sicher sein, daß das Manuskript seiner
Festrede schon in der Redaktion des Tageblatts ist. Wer den Ausdruck
im Augenblicke schafft, sagt +der+, nicht +welcher+. Darum ist auch
+welcher+ in der Dichtersprache ganz unmöglich. In Stellen, wie
bei Goethe (in den Venezianischen Epigrammen): +welche+ verstohlen
freundlich mir streifet den Arm -- oder bei Schiller (in Shakespeares
Schatten): das große gigantische Schicksal, +welches+ den Menschen
erhebt, wenn es den Menschen zermalmt -- oder bei Hölty: wunderseliger
Mann, +welcher+ der Stadt entfloh -- oder bei Schikaneder: bei Männern,
+welche+ Liebe fühlen -- oder bei Tiedge (in der Urania): mir auch
war ein Leben aufgegangen, +welches+ reichbekränzte Tage bot -- oder
bei Uhland: ihr habt gehört die Kunde vom Fräulein, +welches+ tief
usw., ist es nichts als ein langweiliges Versfüllsel, eine Strohblume
in einem Rosenstrauß. Darum wird es +ja+ auch mit Vorliebe in der
Biedermeierpoesie verwendet und wirkt dort so unnachahmlich komisch:
zu beneiden sind die Knaben, +welche+ einen Onkel haben, oder: wie
z. B. hier von diesen, +welche+ Max und Moritz hießen. Aber auch in
der dichterischen Prosa, was gäbe man da manchmal drum, wenn man das
+welcher+ hinauswerfen könnte, wie bei Gottfried Keller in Romeo und
Julia auf dem Dorfe: sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten
oder wirklichen Töne, +welche+ von der großen Stille herrührten, oder
+welche+ sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten,
+welches+ nah und fern über die grauen Herbstnebel wallte, +welche+
tief auf den Gründen lagen!

Leider lernt man in der Schule als Relativpronomen kaum etwas andres
kennen als +welcher+. Man schlage eine Grammatik auf, +welche+ (hier
ist es am Platze! denn hier heißt es: +welche auch immer+) man will,
eine lateinische, eine griechische, eine französische, eine englische:
wie ist das Relativpronomen ins Deutsche übersetzt? +Welcher+,
+welche+, +welches!+ Allenfalls steht +der+, +die+, +das+ in Klammern
dahinter, als ob das gelegentlich einmal als Ersatz dafür geduldet
werden könnte! Und sieht man in die Beispielsätze, die zur Übung in die
fremde Sprache übersetzt werden sollen, wie fangen die Relativsätze an?
Mit +welcher+, +welche+, +welches+. Nur ja nicht mit +der+! der Schüler
könnte ja einmal irre werden! Daß die lebendige Sprache eine einzige
große Widerlegung dieses Unsinns ist, sieht gar niemand. Kein Wunder,
daß den meisten später das langweilige Wort in die Feder läuft, sowie
sie die Feder in die Hand nehmen. Gerade umgekehrt müßte es sein. In
allen Grammatiken müßte +der+, +die+, +das+ als Relativpronomen stehn,
dahinter in Klammern +welcher+, +welche+, +welches+, denn das ist
doch das traurige Surrogat. Man benutze in Gottes Namen +welcher+ im
Unterricht ein paar Wochen lang als Verständniskrücke; aber sobald der
Junge den Begriff des Relativs gefaßt hat, müßte die Krücke unbedingt
weggeworfen und er wieder auf seine eignen Beine gestellt werden. Wer
einmal auf dieses Verhältnis zwischen +der+ und +welcher+ aufmerksam
geworden oder aufmerksam gemacht worden ist, den verfolgt +welcher+
förmlich beim Lesen, er sieht es immer gleichsam gesperrt oder fett
gedruckt, und in wenigen Tagen ist es ihm ganz unerträglich geworden:
wenn ers schreiben wollte, käme er sich entweder ganz schulknabenhaft
vor, oder er sähe sich sitzen wie einen alten, verschleimten Aktuarius
mit Vatermördern, Hornbrille und Gänsekiel. Bisweilen will ihm wohl
noch einmal ein +wel+-- aus der Feder laufen! aber weiter kommt er
nicht, dann streicht ers ohne Gnade durch und setzt +der+ darüber.[62]

Aber gibt es denn nicht Fälle, wo man +welcher+ gar nicht umgehen
kann, wo man es ganz notwendig braucht, um einen häßlichen Gleichklang
zu vermeiden? Wenn nun unmittelbar auf +der+ (~qui~ oder ~cui~) der
Artikel +der+ folgt, unmittelbar auf +die+ (~quae~ oder ~quam~ oder
~quos~ oder ~quas~) der Artikel +die+? Nikolaus, +der der+ Vater des
Andreas gewesen war -- eine Verwandlung, bei +der der+ große Vorhang
nicht fällt -- die Prozessionsstraße, auf +der der+ Papst zum Lateran
zog -- auf der Wiese, durch +die die+ Straße führt -- die Bildwerke,
+die die+ hehre Göttin verherrlichen -- das Tau, +das das+ Fahrzeug
am Ufer hielt -- das sind doch ganz unerträgliche Sätze, nicht wahr?
Mancher Schulmeister behauptets. Es gehört das in das berühmte Kapitel
von den angeblich unschönen Wiederholungen, vor denen der Unterricht
zu warnen pflegt. Die Warnung ist aber ganz überflüssig, sie stammt
nur aus der Anschauung des Papiermenschen, der die Sprache bloß noch
schwarz auf weiß, aber nicht mehr mit den Ohren aufzufassen vermag. Der
Papiermensch sieht das doppelte +der der+ oder +die die+, und das flößt
ihm Entsetzen ein. Aber lies doch einmal solche Sätze laut, lieber
Leser, hörst du nichts? Ich denke, es wird dir aufdämmern, daß es zwei
ganz verschiedne Wörter sind, die hier nebeneinander stehen: ein lang
und schwer gesprochnes +der+ (das Relativpronomen) und ein kurz und
leicht gesprochnes +der+ (der Artikel). Was man hört, ist: +deer dr+.
Jedermann spricht so, und keinem Menschen fällt es ein, daran Anstoß
zu nehmen; warum soll man nicht so schreiben? Aberglaube, dummer
Aberglaube! Und fürchtet sich denn jemand vor +daß das+? Jeder schreibt
unbedenklich: wir wissen, +daß das+ höchste Gut die Gesundheit ist. Ach
so, das sind wohl zwei verschiedne Wörter? das eine mit ß, das andre
mit s? Nein, es sind keine verschiednen Wörter. Sie klingen gleich,
und sie sind gleich; das Fügewort +daß+ ist ja nur in der Schrift ganz
willkürlich von dem hinweisenden Fürwort +das+ unterschieden worden.[63]


Das und was

Ein häßlicher Fehler ist es, statt des relativen +das+ zu schreiben
+was+, wenn sich das Relativ auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand
bezieht, z. B. +das Haus, was+ -- +das Buch, was+ -- +das Ziel,
was+. Nur die niedrige Umgangssprache drückt sich so aus; in der
guten Schriftsprache wie in der feinern Umgangssprache ist +was+
als Relativ auf ganz bestimmte Fälle beschränkt: es wird nur hinter
substantivierten Fürwörtern, Zahlwörtern und Eigenschaftswörtern
gebraucht, z. B. +das, was+ -- +dasselbe, was+ -- +etwas, was+ --
+alles, was+ -- +vieles, was+ -- +das wenige, was+ -- +das einzige,
was+ -- +das erste, was+ -- +das letzte, was+ -- +das meiste, was+ --
+das Gute, was+ -- +das Beste, was+. Doch ist auch hier, namentlich bei
den substantivierten Adjektiven, wohl zu unterscheiden zwischen solchen
Fällen, wo es sich um ein Allgemeines handelt, und solchen, wo etwas
Besondres, Bestimmtes, Einzelnes vorschwebt. Fälle der zweiten Art
sind z. B.: +etwas Ungeschicktes, das+ mich in Verlegenheit brachte --
+das Bittre, das+ zwischen uns getreten ist -- +das Besondre, das+ dem
Allgemeinen untergeordnet ist -- +das Schiefe und Hinkende, das+ jeder
Vergleich hat -- +das Moralische, das+ einem doch nicht gleichgiltig
sein kann -- +das Erlernbare, das+ sich jederzeit in Büchern wieder
auffinden läßt -- wenn an +das Gute, das+ ich zu tun vermeine, gar
zu nah was Schlimmes grenzt (Lessing). Hinter dem Superlativ von
substantivierten Eigenschaftswörtern ist in den meisten Fällen +was+
das richtige, aber doch nur deshalb, weil gewöhnlich ein partitiver
Genitiv zu ergänzen ist (+von dem, von allem+), der das +was+ verlangen
würde. Wenn ich sage: +das Erhabenste, was+ Beethoven geschaffen hat
-- so meine ich nicht das Erhabenste überhaupt, sondern eben das
Erhabenste +von dem+ oder +von allem, was+ Beethoven geschaffen hat.
Der Superlativ für sich allein bezeichnet hier noch gar nichts, der
Relativsatz ist die notwendige Ergänzung dazu. Wenn ich dagegen sage:
+das Erhabenste, das+ wir Gott nennen, so ist gar nichts zu ergänzen,
der Relativsatz kann auch fehlen, es ist das Erhabenste schlechthin
gemeint. Beispiele der ersten Art sind: +das Höchste, was+ wir
erreichen können -- +das Schlimmste, was+ einem Staate widerfahren kann
-- +das Ärgste, was+ Menschen einander antun können -- +das Beste,
was+ du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen (Faust) --
er preist +das Höchste, das Beste, was+ das Herz sich wünscht, +was+
der Sinn begehrt (Schiller). Hier wird denn auch meist richtig +was+
gesetzt. Nach dem Positiv gebrauchen aber auch gute Schriftsteller
blindlings bald +das+, bald +was+. Sieht man sich die Beispiele näher
an, so sieht man, daß sie viel öfter das Falsche als das Richtige
getroffen haben.

Endlich ist +was+ für +das+ auch da notwendig, wo sich das Relativ
auf den Inhalt eines ganzen Satzes bezieht, z. B. der Mensch, +das
Tier+ mit zwei Händen, +das+ auch lachen kann, +was+ der Affe immer
noch nicht fertig bringt. In einem Satze wie: es ist kein freundliches
Bild, +was+ der Verfasser vor uns aufrollt -- wird nicht deutlich, ob
sich was auf Bild beziehen soll; man kann den Relativsatz auch als
Subjektsatz auffassen: +was+ der Verfasser vor uns aufrollt, ist kein
freundliches Bild. In diesem Falle wäre natürlich +was+ richtig, im
andern müßte es +das+ heißen.


Wie, wo, worin, womit, wobei

Daß Präpositionen in Verbindung mit dem Relativpronomen durch die
hübschen relativen Adverbia +worin+, +woraus+, +womit+, +wobei+,
+woran+, +wofür+ usw. ersetzt werden können und in der lebendigen
Sprache sehr oft ersetzt werden, wenn sich das Relativ auf eine Sache
(nicht auf eine Person!) zurückbezieht, daran denken beim Schreiben
die wenigsten, und wenn sie daran denken, so wagen sie nicht, Gebrauch
davon zu machen. Am ehesten getrauen sie sichs noch da, wo sie auch
+was+ statt +das+ sagen würden. Aber ein Brief, +worin+ -- eine Fläche,
+worauf+ -- ein Messer, +womit+ -- ein Mittel, +wodurch+ -- eine Regel,
+wobei+ -- ein Geschenk, +worüber+ -- eine Gefahr, +wovor+ -- (auch:
der Grund, +weshalb+) -- wie wenigen will das aus der Feder! Sie halten
es womöglich gar für falsch. Irgendein Schulmeister, der sich nicht vom
Lateinischen hatte losmachen können, hat ihnen vielleicht einmal in der
Jugend davor bange gemacht, und so schreiben sie denn: diese beiden
Punkte sind es, +an welchen+ Grimm aufs strengste festgehalten hat --
der innige Zusammenhang, +in welchem+ Glaube, Recht und Sitte stehen
-- das einfache, schmucklose Gewand, +mit welchem+ uns die Natur wie
eine Mutter umfängt usw. Und doch heißt es in dem Bürgerschen Spruch:
Die schlechtsten Früchte sind es nicht, +woran+ die Wespen nagen. Nun
gar das einfache +wo+: das Gebäude, +wo+ -- ein Gebiet, +wo+ -- in
einer Stadt, +wo+ -- in allen Fällen, +wo+ -- eine Gelegenheit, +wo+
-- eine Ausgabe, +wo+ (z. B. der Sopran die Melodie hat), und vollends
dieses einfache +wo+ von der Zeit gebraucht: wir gedenken an jene Zeit
der Jugend, +wo+ wir zuerst auszogen -- die Eltern sind genötigt,
über den Bildungsgang ihrer Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen
zu treffen, +wo+ deren Anlagen noch zu wenig hervorgetreten sind --
seit dem 29. März, +wo+ die neue Bewegung begann -- seit dem Jahre
1866, +wo+ er sein Amt niedergelegt hatte -- wie wenige wagen das zu
schreiben, wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das grammatisch
ganz richtig und hundertmal schöner ist als das ungeschickte: seit dem
29. März, +an welchem Tage+ -- seit 1866, in welchem Jahre usw.[64]
Ist es nicht kläglich komisch, in einem Manuskript sehen zu müssen,
wie der Verfasser erst geschrieben hat: die Depesche gelangte +an
demselben Tage+ in seine Hände, +als+ usw., dann das +als+ wieder
durchgestrichen und darübergesetzt hat: +an welchem+, aber auf das
gute, einfache, natürliche +wo+ nicht verfallen ist? Und genau so ist
es mit +wie+. Die Art und Weise, +wie+ -- in dem Grade, +wie+ -- in
jenem Sinne, +wie+ -- in dem Maße, +wie+ -- über die Richtung, +wie+
-- wie wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren
Produktivgenossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, +in welchem+
jeder Staat es ist -- man war im Zweifel über die Art und Weise, +in
welcher+ die soziale Gesetzgebung vorzugehen habe -- ein Bier, das in
demselben Grade ungenießbar wird, +in welchem+ sich seine Temperatur
über den Gefrierpunkt erhebt -- in dem Maße, +in welchem+ (+wie+!)
sich die Partei dem Augenblicke nähert, +in welchem+ (+wo+!) sie ihr
Versprechen erfüllen soll -- anders schreibt der Papiermensch gar nicht.

Das relative Adverbium +wo+ bedeutet keineswegs, wie so viele
glauben, nur den Ort, es bedeutet, wie das ihm entsprechende +da+,
ebensogut auch die Zeit. Merkwürdigerweise hat man noch eher den Mut,
zu schreiben: die Zeit, +da+ -- als: die Zeit, +wo+. Manche lieben
sogar dieses +da+, ziehen also hier das Demonstrativ in der relativen
Bedeutung vor, während sie doch sonst immer +welcher+ für +der+
schreiben. Aber +da+ als Relativ klingt uns heute doch etwas veraltet
(man denke nur an den Bibelspruch: seid Täter des Worts und nicht Hörer
allein, +damit+ ihr euch selbst betrüget), es kann auch leicht mit dem
kausalen +da+ verwechselt werden, z. B. mitten in einer trüben Zeit,
+da+ ihn ein Augenleiden heimsuchte. Für +in welchem+ sollte man, wo es
irgend angeht, schreiben +worin+; bei +in dem+ entsteht der Übelstand,
daß es mit dem Fügewort +indem+ verwechselt werden kann: der Aufsatz,
+in dem+ ihm vorgeworfen wird, er heuchle Frömmigkeit. Auf dem Papier
natürlich nicht, aber das Papier geht uns auch nichts an; beim Hören
kanns verwechselt werden -- das ist die Hauptsache!


Wechsel zwischen der und welcher

Wenn zu einem Worte zwei (oder mehr) Relativsätze zu fügen sind, so
halten es viele für eine besondre Schönheit, mit dem Relativpronomen
abzuwechseln. Es ist das der einzige Fall, wo sie einmal mit Bewußtsein
und Absicht zu dem Relativum +der+ greifen, während sie sonst, wie die
Schulknaben, immer +welcher+ schreiben. Jeden Tag kann man Sätze lesen
wie: das Allegro und das Scherzo fanden nicht das Maß von Beifall,
+welches+ wir erwartet hatten, und +das+ sie verdienen -- jedes
Grundstück, +welches+ mindestens zu einem Grundsteuerertrage von 200
Mark eingeschätzt ist, und +das+ mindestens einen Taxwert von 1000 Mark
hat -- lehrreich ist die Niederschrift durch die Korrekturen, +welche+
der Komponist selbst darin vorgenommen hat, und +die+ sich nicht nur
im Ändern einzelner Noten zeigen -- in eine weite Hausflur mündete die
Treppe, +welche+ in die obern Stockwerke führte, und +die+ man gern als
Wendeltreppe gestaltete -- die ehrwürdigen Denkmäler der Druckkunst,
+welche+ uns der Altmeister selbst hinterlassen hat, und +die+ man mit
dem Namen Wiegendrucke bezeichnet -- es geht nicht an, daß wir Schäden
groß wachsen sehen, +die+ uns als schwache Köpfe erscheinen lassen,
und auf +welche+ die Fremden mit Fingern weisen -- es war ein Klang
in seinen Worten, +welcher+ alle Herzen ergriff, und +dem+ sie gern
weiter gelauscht hätten -- Aufsätze, +welche+ bereits in verschiednen
Zeitschriften erschienen sind, und +die+ durch ihre Beziehungen auf
Schwaben zusammengehalten werden. Kein Zweifel: in allen diesen Fällen
liegt ein absichtlicher Wechsel vor; alle, die so schreiben, glauben
eine besondre Feinheit anzubringen.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Abgesehen davon, daß die Wiederholung
des Relativpronomens bisweilen ganz überflüssig ist, weil das
Satzgefüge dasselbe bleibt, ist es auch unbegreiflich, wie jemand in
seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn man an ein Hauptwort
zwei oder mehr Relativsätze anschließt, so stehn doch diese Sätze als
Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zueinander, etwa so:

               Erster Relativsatz
             ----------------------
  Hauptsatz /
  -----------------
            \  Zweiter Relativsatz
             ----------------------

Wie kann man da auf den Gedanken kommen, diese beiden parallelstehenden
Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das natürliche ist es doch,
parallellaufende Sätze auch gleichmäßig anzuknüpfen, ja es ist das
geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn
ich erst +der+ lese und im nächsten Satze +welcher+, so suche ich
unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden
Hauptwort und sehe zu spät, daß ich genarrt bin. Mit der vermeintlichen
Schönheitsregel ist es also nichts; auch sie ist nur ein Erzeugnis
der abergläubischen Furcht, kurz hintereinander zweimal dasselbe
Wort -- geschrieben zu sehen. Die vernünftige Regel heißt: Parallele
Relativsätze müssen mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle
mit +der+, +die+, +das+. Es gibt viele Talente, +die+ vielleicht nie
selbständig etwas erfinden werden, +die+ man daher auf der Akademie
zwecklos mit Kompositionsaufgaben plagt, +die+ aber beweglich genug
sind, das in der Kopierschule erlernte frei umzubilden -- das ist gutes
Deutsch. +Welcher+, +welche+, +welches+ ist auch hier ganz entbehrlich.

Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, der
sich an ein neues Hauptwort in dem ersten Relativsatz anschließt, etwa
so:

  Hauptsatz
  -----------
        \ Erster Relativsatz
         ------------------------
             \ Zweiter Relativsatz.
              -----------------------

Da wechselt die Beziehung, und da hat es etwas für sich, auch
das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann da sogar
die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen, wie in
folgenden Sätzen: +Klaviere+, +die+ den +Anforderungen+ entsprechen,
+welche+ in Tropengegenden an sie gestellt werden -- +Gesetze+, die
bestimmte +Organisationen+ zum Gegenstande haben, +welche+ nur bei
der katholischen Kirche vorkommen -- die +Bühnen+, +die+ mit einer
ständigen Schar von +Freunden+ rechnen können, +welche+ mit liebevollem
Interesse ihrer Entwicklung folgen -- +Verbesserungen+, +die+ der
Dichter der +dritten Ausgabe+ seiner Gedichte zu geben beabsichtigte,
+welche+ er leider nicht mehr erlebte -- Amerika zerfällt in zwei
+Hälften+, die nur durch eine verhältnismäßig schwache +Brücke+
zusammenhängen, +welche+ sich nicht zu einem Handelsweg eignet -- in
dem +Pakt+, +den+ Faust mit dem +Geiste+ der Verneinung schließt,
+welcher+ sich als der Zwillingsbruder des Todes bekennt -- es fehlte
bisher an einer +Darstellung+, +die+ allen +Anforderungen+ entsprochen
hätte, +welche+ an Kunstblätter von nationaler Bedeutung zu stellen
sind -- es gelang uns, in Beziehung zu den +Stämmen+ zu treten, +die+
die +Artikel+ produzieren, +welche+ unsern Kaufleuten zugehen, und
+die+ zugleich ein weites Absatzgebiet für unsre Industrie bieten.
Dabei empfiehlt sich übrigens (aus rhythmischen Gründen, der Steigerung
wegen), +der+ immer an die erste, +welcher+ an die zweite Stelle zu
bringen, nicht umgekehrt! Aber unbedingt nötig ist der Wechsel auch
hier nicht.


Welch letzterer und welcher letztere

An einen ganzen Rattenkönig von Sprachdummheiten rührt man mit
der so beliebten Verbindung: +welcher letztere+. Auf die häßliche
unorganische Bildung +ersterer+ und +letzterer+ -- eine komparativische
Weiterbildung eines Superlativs! -- soll dabei gar kein Gewicht gelegt
werden, denn solche Erscheinungen gibt es viele in der Sprache und in
allen Sprachen, wenn es auch nichts schaden kann, daß man sich einmal
das Unorganische dieser Formen durch die Vorstellung zum Bewußtsein
bringt, es wollte jemand der +größtere+, der +kleinstere+, der
+bestere+, der +schönstere+ bilden. Viel schlimmer ist ihre unlogische
Anwendung.

Wenn ein Relativsatz nicht auf ein einzelnes Hauptwort, sondern auf
eine Reihe von Hauptwörtern, zwei, drei, vier oder mehr folgt, so
ist es selbstverständlich, daß das Relativ nicht an das letzte Glied
angeschlossen, sondern nur auf die ganze Reihe bezogen werden kann,
also nicht so:

  Erstes Hauptwort
  ------------------
  Zweites Hauptwort
  ------------------
  Drittes Hauptwort
  ------------------
                    \ Relativsatz
                     --------------

sondern so:

  Erstes Hauptwort
  -------------------
  Zweites Hauptwort  \  Relativsatz.
  ---------------------------------------
  Drittes Hauptwort  /
  -------------------

Die Hauptwörter werden gleichsam zu einer Gruppe, zu einem Bündel
zusammengeschnürt, und der Relativsatz muß an dem ganzen Bündel hängen.
Es kann also nicht heißen: Lessing, Goethe und Schiller, +der+, sondern
nur: Lessing, Goethe und Schiller, +die+. Das fühlt auch jeder ohne
weiteres. Nun möchte man aber doch manchmal, nachdem man zwei, drei,
vier Dinge aufgezählt hat, gerade über das zuletzt genannte noch etwas
näheres in einem Relativsatz aussagen. Ein bloßes +welcher+ -- das
fühlt jeder -- ist unmöglich; es gehn ja drei voraus! Aber +welcher
letztere+ oder +welch letzterer+ -- das rettet! Also: das Bild stellt
Johannes den Täufer und den Christusknaben dar, +welch letzterer+ von
dem Täufer in die Welt eingeführt wird -- einen Hauptartikel des Landes
bildeten die Landesprodukte, wie Kobalt, Wein, Leinwand und Tuch,
+welch letzteres+ allerdings dem niederländischen nachstand -- er war
Regent der weimarischen, gothaischen und altenburgischen Lande, +welche
letztern+ ihm aber erst kurz vor seinem Tode zufielen -- die Summe des
Intellektuellen im Menschen setzt sich zusammen aus Geist, Bildung
und Kenntnissen, +welchen letztern+ auch die Vorstellungen zugezählt
werden dürfen -- es gibt von dem Bilde schwarze und braune Abdrücke,
+welch letztere+ aber erst 1784 erschienen sind -- den Schluß bildet
der Jahresbericht und das Mitgliederverzeichnis, +welch letzteres+ eine
große Anzahl neuer Namen enthält -- der Neger überflügelt zuerst seine
Schulkameraden weit, besonders in der Mathematik und in den Sprachen,
für +welch letztere+ seine Begabung erstaunlich ist.

Dieses +letztere+ ist ein bequemes, aber sehr häßliches
Auskunftsmittel; ein guter Schriftsteller wird nie seine Zuflucht
dazu nehmen. Es läßt sich auch sehr leicht vermeiden, z. B. indem
man das letzte Glied für sich stellt: das Bild stellt Johannes den
Täufer dar und den +Christusknaben+, +der+ usw., oder indem man statt
des Relativsatzes einen Hauptsatz bildet, worin das letzte Hauptwort
wiederholt wird.

Noch schlimmer ist es freilich, wenn, wie so oft, +welch letzterer+
selbst da geschrieben wird, wo nur ein einziges (!) Substantivum
vorhergeht, eine falsche Beziehung also ganz unmöglich ist, z. B.:
der Plan ist der Wiener Fachschule nachgebildet, +welch letztere+ ihn
schon seit längerer Zeit hat -- der Urkunde ist die durch den Bischof
von Merseburg erteilte Bestätigung beigegeben, +welche letztere+
aber nichts besondres enthält -- den gesetzlichen Bestimmungen gemäß
scheiden vier Mitglieder aus, +welch letztere+ aber wieder wählbar
sind -- die Menge richtet sich nach den Beamten, nicht nach dem
+Gesetz, welch letzteres+ sie selten kennt -- überall wechseln üppige
Wiesengründe mit stattlichen Waldungen, +welch letztere+ namentlich die
Bergkuppen und Hänge bedecken -- der König nahm in dem +Wagen+ Platz,
+welch letzterer+ aber schon nach einer Minute vor dem Hotel hielt.
Welch eine Schwulst! Vier Silben, wo drei Buchstaben genügen!


Relativsätze an Attributen

Sehr vorsichtig muß man damit sein, einen Relativsatz hinter ein
Hauptwort zu stellen, das ein Attribut mit einem zweiten Hauptworte
(am häufigsten als abhängigen Genitiv) bei sich hat. Jedes der beiden
Hauptwörter, das erste so gut wie das zweite, kann einen Relativsatz zu
sich nehmen; es kommt nur darauf an, welches von beiden den Ton hat.
Beide zugleich sind nie betont, entweder hat das tragende den Ton, oder
das getragne, das im Attribut steht. Welches von beiden betont ist,
ergibt sich gewöhnlich sofort aus dem Zusammenhange. Nur an das betonte
Hauptwort aber kann sich der Relativsatz anschließen.

Es ist also nichts einzuwenden gegen Verbindungen wie folgende:
mit zehn Jahren wurde ich in die unterste Klasse +der Kreuzschule+
aufgenommen, +der ich+ dann acht Jahre lang als Schüler angehörte
-- bezeichnend ist sein Verhältnis +zum Gelde, das+ er stets wie
ein armer Mann behandelte. In diesen Fällen ist das Hauptwort des
Attributs betont, der Relativsatz schließt sich also richtig an.
Ob man nicht trotzdem solche Verbindungen lieber meiden sollte,
namentlich dann, wenn die beiden Hauptwörter gleiches Geschlecht haben,
ist eine Frage für sich. Vorsicht ist auch hier zu empfehlen, ein
Mißverständnis manchmal nicht ausgeschlossen. Unbedingt falsch dagegen
ist folgender Satz: auch warne ich vor einer bravourmäßigen Auffassung
der +zweiten Variation, die+ dort gar nicht am Platze ist. Es ist von
den Variationen in einer Beethovenschen Sonate die Rede; die erste
Variation ist besprochen, nun kommt die zweite an die Reihe. Da ist es
klar, daß der Relativsatz nur heißen kann: +die+ eine solche (nämlich
eine bravourmäßige Behandlung) gar nicht verträgt.

Viel öfter kommt aber nun der umgekehrte Fehler vor: daß ein
Relativsatz an das zweite Hauptwort angeschlossen wird, obwohl das
erste den Ton hat. In den meisten Fällen -- das ist das Natürliche
in jeder logisch fortschreitenden Darstellung -- wird das neu
Hinzugekommne, das Unterscheidende, also das zu Betonende in dem
tragenden Hauptworte liegen, nicht in dem Attribut. Wenn trotzdem
an das Attribut ein Relativsatz gehängt wird, so entstehen störende
Verbindungen wie folgende: der +Dichter+ dieses Weihnachtsscherzes,
+der+ vortrefflich inszeniert war -- der +Empfang+ des Fürsten, +der+
um sieben Uhr eintraf -- der +Tod+ des trefflichen Mannes, +der+
eine zahlreiche Familie hinterläßt -- der +Appetit+ des Kranken,
+der+ allerdings nur flüssige Nahrungsmittel zu sich nehmen darf --
der +linke+ Arm des Verschwundnen, +der+ sich vermutlich herumtreibt
-- Flüchtigkeiten erklären sich aus dem +körperlichen Zustande+ des
Verfassers, +dem+ es nicht vergönnt war, die letzte Hand an sein Werk
zu legen -- die folgenden Radierungen tragen schon den +Namen+ des
Künstlers, +der+ inzwischen auch mehrere Bildnisse gemalt hatte -- um
den +neuen Lorbeer+ unsers Freundes, +der+ einen so tiefen Blick in
das Leben getan hat, mit Champagner zu begießen -- eine +Beschränkung+
der Korrekturlast, +die+ wissenschaftlich gebildete Männer täglich
stundenlang bei mechanischer Arbeit festhält -- die +Hochzeitstorte+
der Prinzessin, +die+ einen Untertanen, den Herzog von Fife heiratete
-- die +Glanznummer+ der Wahrsagerin, +die+ noch eine ziemlich junge
Frau ist -- nun wurde das +Dach+ des Schlosses gerichtet, +das+ man in
wenigen Jahren zu beziehen hoffte. Bei oberflächlicher Betrachtung wird
mancher meinen, das Störende in diesen Verbindungen liege nur darin,
daß die beiden Hauptwörter dasselbe Geschlecht haben, und deshalb eine
falsche Beziehung des Relativsatzes möglich ist. Das ist aber nicht
der Fall: es sind auch solche Verbindungen nicht gut wie: +das letzte
Werk+ des russischen Erzählers, +der+ es seiner Freundin Viardot in die
Feder diktierte -- die +lichtvollen Ausführungen+ des Redners, +der+
durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen Vereine bekannt ist
-- weist nicht der +Ursprung+ des Gewissens, +das+ ein unveräußerliches
Erbteil des Menschen ist, auf eine höhere Macht hin? Für wen der
Satzbau etwas mehr ist als ein bloßes äußerliches Zusammenleimen, der
wird auch solche Verbindungen meiden.

Oft sind solche falsch angeschlossene Relativsätze nicht bloß dynamisch
anstößig (der Betonung wegen), sondern auch logisch; sie enthalten
Gedanken, die überhaupt nicht in Relativsätze gehören, beiläufige
Bemerkungen, zu denen man sich das beliebte „übrigens“ hinzudenken
soll, oder Parenthesen, die eigentlich in Hauptsätzen stehen
sollten. Da greifen nun auch hier wieder viele, um Mißverständnissen
vorzubeugen, zu dem bequemen Auskunftsmittel +welcher letztere+ und
schreiben: die übermäßigen +Aufgaben+ der +Schauspieler+, +welch
letztere+ an einzelnen Tagen dreimal aufzutreten haben -- diese
ausgezeichnete +Landschaftsstudie+ aus dem Garten der +Villa Medici+,
+welch letztere+ der Künstler eine Zeit lang bewohnte -- er mußte sich
mit dem +Anblick+ des +Waschschwamms+ begnügen, +welch letzterer+ am
Fenster in der Sonne trocknete -- eine größere Reihe von +Abbildungen+
kirchlicher +Gegenstände+, +welch letztere+ einst im Besitz der
Michaeliskirche waren -- +die Freunde+ der zum Heere einberufnen
+Studenten+, +welch letztern+ dieser Aufruf nicht zu Gesichte kommt
usw. Ein schwächliches Mittel. Eine Geschmacklosigkeit soll dazu
dienen, einen Fehler zu verbergen!


Einer der schwierigsten, der oder die?

Oft wird an einen Genitiv der Mehrzahl, der von dem Zahlwort +einer+,
+eine+, +eins+ abhängt, ein Relativsatz angeschlossen, aber gewöhnlich
in folgender falschen Weise: ich würde das für +einen+ der härtesten
+Unfälle+ halten, +der+ je das Menschengeschlecht +betroffen hat+ --
Leipzig ist +eine+ der wenigen +Großstädte+, in +der+ eine solche
Einrichtung noch nicht besteht -- das Buch ist +eine+ der schönsten
+Kriminalgeschichten+, +die+ je geschrieben +worden ist+ -- das
Denkmal ist +eins+ der +schönsten+, +das+ bis jetzt ans Tageslicht
gebracht +worden ist+ -- Klopstock ist +einer+ der +ersten+, +der+
die Nachahmung des Franzosentums +verwirft+. In solchen Sätzen ist
das +einer+, +eine+, +eins+ völlig tonlos, es ist wie ein bloßer
Henkel für den abhängigen Genitiv, und dieser Genitiv hat den Ton.
Es ist aber auch ein logischer Fehler, den Relativsatz an +einer+
anzuschließen; denn der Inhalt des Relativsatzes gilt doch nicht bloß
von dem einen, aus der Menge herausgehobnen, sondern von allen, aus
denen das eine herausgehoben wird. Es kann also nur heißen: +einer+
der härtesten +Unfälle+, +die+ je das Menschengeschlecht betroffen
+haben+ -- +eine+ der wenigen +Großstädte+, +in denen+ (besser
+wo+) eine solche Einrichtung noch nicht besteht usw. Nur scheinbar
vermieden wird der Fehler, wenn jemand schreibt: er war +ein+ durch
und durch +norddeutscher Charakter+, +der+ nur die Pflicht kennt;
denn hier bezeichnet +ein+ die ganze Klasse, und +der+ geht auf den
Einzelnen. Auch hier muß es heißen: er war +einer+ jener +norddeutschen
Charaktere+, +die+ nur die Pflicht kennen.[65]


Falsch fortgesetzte Relativsätze

Ein gemeiner Fehler, dem man in Relativsätzen unendlich oft begegnet,
ist der, daß an einen Relativsatz ein zweiter Satz mit +und+,
+aber+, +jedoch+ angeknüpft wird, worin aus dem Relativ in das
Demonstrativ oder in das Personalpronomen gesprungen oder sonstwie
schludrig fortgefahren wird, z. B. eine Schrift, +die+ er auf
seine Kosten drucken ließ +und sie+ umsonst unter seinen Anhängern
austeilte -- Redensarten, +die+ der Schriftsteller vermeidet, +sie
jedoch+ dem Leser beliebig einzuschalten überläßt -- die vielen
Fische, +die+ er bisweilen selbst füttert +und ihnen+ zuschaut,
wenn sie nach den Krumen schnappen -- ein Bauer, mit +dem+ ich über
Feuerversicherungsgesellschaften sprach +und ihm+ meine Bewundrung
dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte -- am Schlusse gab Herr W.
Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatur, +welch letztere+ (!)
übrigens in der hiesigen Akademie für Tonkunst bereits eingeführt ist
+und+ der Unterricht +auf derselben+ (!) mit bestem Erfolge betrieben
wird (das richtige Dummejungendeutsch!) -- der Künstler, +der+ dem
Männergesang zu jener hohen Stelle verhalf und +dieser ihm+ die
gewaltige Bedeutung verdankte, die er heute einnimmt (ebenso!) -- eine
übermächtige Verbindung, +welcher+ der Herzog schnell mürbe gemacht
wich +und+ sich zu einer Landesteilung herbeiließ -- dieser Kranke, +an
den+ ich seit zwanzig Jahren gekettet war +und+ nicht aufatmen durfte
-- er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, +die+ er zu Gelde machte
+und+ sich +dann+ heimlich von hier entfernte -- sie erhielt Saalfeld,
+wo+ sie 1492 starb +und+ in +Weimar+ begraben wurde -- die +Seuche+,
+an der+ zahlreiche Schweine zugrunde gehen +und dann+ noch verwendet
werden -- es geht das aus dem Testament hervor, +das+ ich abschriftlich
beifüge +und+ von fernern Nachforschungen absehen zu können glaube --
ein +Augenblick+, +den+ der Verhaftete benutzte, um zu entweichen,
+und+ bis zur Stunde noch nicht wieder aufgefunden worden ist.

Es ist klar, daß durch +und+ nur gleichartige Nebensätze verbunden
werden können. Geht also ein Relativsatz voraus, so muß auch ein
Relativsatz folgen; die Kraft der relativen Verknüpfung wirkt über das
+und+ hinaus fort. In den ersten Beispielen muß es also einfach heißen:
+und+ umsonst austeilte --, +jedoch+ einzuschalten überläßt --, in den
folgenden: +und denen+ er zuschaut, +und dem+ ich meine Bewundrung
ausdrückte. In den letzten Beispielen ist der Anschluß eines zweiten
Relativsatzes überhaupt unmöglich, weil der Begriff, der im Relativ
erscheinen müßte, in dem zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann
höchstens heißen: +worauf+ er sich entfernte -- +sodaß+ ich absehen zu
können glaube.

Steht das Pronomen der Relativsätze im Genitiv, so ist es ein beliebter
Fehler, in dem zweiten Relativsatz, obwohl das Subjekt dasselbe bleibt,
dieses Subjekt durch ein Relativpronomen zu wiederholen, z. B.: der
+Kaiser+, +dessen Interesse+ für alle Zweige der Technik bekannt ist,
+und das+ gerade bei der Berliner Ausstellung wieder klar zutage tritt
-- das +Sprachgewissen+, +dessen Stimme+ sich nicht überhören läßt,
die sich vielmehr geltend macht bei allem, was wir lesen und schreiben.
Ein ebenso beliebtes Gegenstück dazu ist es dann, einen zweiten
Relativsatz, der dem ersten untergeordnet ist, mit +und+ anzuknüpfen,
z. B.: eine +Ehe+, vor +deren+ Sündhaftigkeit sie ein wahres +Grauen+
hat, +und das+ sie doch allmählich überwinden muß -- er war im Frühling
geboren, +dessen Blumen+ ihm stets so lieb blieben, +und die+ er so
gern im Knopfloch trug -- er sollte ihr ein Wort ins Ohr flüstern,
von +deren Antlitz+ sein Herz geträumt hatte, +und von dem+ es sich
nicht abwenden konnte. In den ersten beiden Sätzen muß das zweite
Relativpronomen weichen, in den drei letzten das +und+; der letzte Satz
bleibt freilich auch dann noch Unsinn.

Ein abscheulicher Fehler ist es, wenn man zwei Relativsätze
miteinander verbindet, ohne das Relativum zu wiederholen, obwohl
das Relativpronomen in dem einen der beiden Sätze Objekt, in dem
andern Subjekt ist, der eine also mit dem Akkusativ, der andre mit
dem Nominativ anfängt, z. B.: ein paar +Kopien+, +die ich+ schon
+vorfand+ und mir viel Freude +machen+ -- +die Festschrift+, +die+
Georg Bötticher +verfaßt hat+ und von Kleinmichel mit Schildereien
+versehen worden ist+. -- Dieser Fehler gehört unter die zahlreichen
Sprachdummheiten, die dadurch entstehen, daß man ein Wort nicht als
etwas lebendiges, sinn- und inhaltvolles, sondern bloß als eine
Reihe von Buchstaben ansieht, also -- durch die Papiersprache. Ob
diese Buchstabenreihe das einemal Akkusativ, das andremal Nominativ
ist, ist dem Papiermenschen ganz gleichgiltig. Schreibt doch eine
Memoirenerzählerin sogar: +Natur+ und +Kunst lernten wir+ lieben und
+wurden+ in unserm Hause gepflegt!


Relativsatz statt eines Hauptsatzes

Ein schlimmer Fehler endlich, der sehr oft begangen wird, ist es, wenn
ein Relativsatz gebildet wird, wo gar kein Relativsatz hingehört,
sondern entweder eine andre Art von Nebensatz oder -- ein Hauptsatz.
Wenn jemand schreibt: Harkort erfreute sich des Rufes +eines bewährten
Geschäftsmannes+, der als Mitbegründer der Leipzig-Dresdner Eisenbahn
rastlose Energie an den Tag gelegt hatte -- so ist klar, daß der
Relativsatz keine Eigenschaft eines bewährten Geschäftsmannes angibt,
sondern den Grund, weshalb Harkort in diesen Ruf kam; es muß also
heißen: +da er+ als Mitbegründer usw. Wenn jemand schreibt: das Steigen
des Flusses erschwerte +die Arbeiten+, +die+ mit größter Anstrengung
ausgeführt wurden -- so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft
der Arbeiten angibt, sondern eine Folge davon, daß der Fluß steigt;
es muß also heißen: +sodaß+ sie nur mit größter Anstrengung usw. Nun
vollends: machen Sie +einen Versuch+ mit dem Werke, der Sie voll
befriedigen wird -- kein Mittel vertreibt +den Geruch+, der wohl
schwächer wird, aber immer bemerklich bleibt -- das ersehnte Glück
fand er in +dieser Verbindung+ nicht, +die+ nach drei Jahren wieder
gelöst wurde -- wie im Fluge verbreitete sich die Trauerkunde unter
+den Vereinsmitgliedern+, +die+ dem teuern Genossen vollzählig das
letzte Geleit gaben -- er widmete sich dem juristischen Studium ohne
+innern Drang+, +der+ ihn zur Literatur und Geschichte führte -- jedes
+Konzert+, +das+ er nie versäumte, war ihm ein Hochgenuß -- solche
Sätze erscheinen wohl äußerlich in der Gestalt von Relativsätzen,
ihrem Inhalte nach aber sind es Hauptsätze. Es muß heißen: kein Mittel
vertreibt den Geruch; er wird wohl schwächer, bleibt aber immer
bemerklich -- das ersehnte Glück fand er in dieser Verbindung nicht;
sie wurde nach drei Jahren wieder gelöst. Noch fehlerhafter sind
folgende Sätze: die Meister sind das +Ein und Alles+ der Kunst, +die+
in ihren Werken und sonst nirgends niedergelegt und beschlossen ist --
oder gar: +das Honorar+ beträgt jährlich 360 +Mark+, +welches+ (!) in
drei Terminen zu entrichten ist. Hier ist der Relativsatz nicht bloß an
das falsche Wort angeschlossen, sondern logisch falsch: er muß in einen
Hauptsatz verwandelt werden.


Nachdem -- zumal -- trotzdem -- obzwar

Verhältnismäßig wenig Fehler kommen in den Nebensätzen vor, die
eine Zeitbestimmung, einen Grund oder ein Zugeständnis enthalten
(Temporalsätze, Kausalsätze, Konzessivsätze). In den Kausalsätzen ist
vor allem vor einem Mißbrauch des Fügewortes +nachdem+ zu warnen.
+Nachdem+ kann nur Temporalsätze anfangen. Es ist zwar schon früh auch
auf das kausale Gebiet übertragen worden (wie +weil+ und +da+, die
ja auch ursprünglich temporal und lokal sind); gegenwärtig aber ist
das nur noch in Österreich üblich. +Nachdem+ der Kaiser keine weitere
Verwendung für seine Dienste +hat+ -- +nachdem+ für die Anschaffung nur
unbedeutende Kosten erwachsen -- +nachdem+ bei günstigem Wasserstande
+sich+ die Verladungen lebhaft +entwickeln werden+ -- solche Sätze
erscheinen als auffällige Provinzialismen. Falsch ist es aber auch,
+nachdem+ in Temporalsätzen mit dem Imperfekt zu verbinden, z. B. der
Grund, warum Lasalle, +nachdem+ seine Lebensarbeit +zerbrach+, doch
immer deutlicher als historische Persönlichkeit hervortritt. +Nachdem+
kann nur mit dem Perfekt oder dem Plusquamperfekt verbunden werden.

Ein andrer Fehler, der jetzt in Kausalsätzen fort und fort begangen
wird, ist der, hinter +zumal+ das Fügewort +da+ wegzulassen, als ob
+zumal+ selber das Fügewort wäre, z. B.: der Zuziehung von Fachmännern
wird es nicht bedürfen, +zumal+ in der Literatur einschlägige
Werke genug vorhanden sind. +Zumal+ ist kein Fügewort, sondern ein
Adverb, es bedeutet ungefähr dasselbe wie +besonders+, +namentlich+,
+hauptsächlich+, hat aber noch eine feine Nebenfarbe, insofern
es, ähnlich wie +vollends+, nicht bloß die Hervorhebung aus dem
allgemeinen, sondern zugleich eine Steigerung ausdrückt; der Inhalt
des Hauptsatzes wird, wenn sich ein Nebensatz mit +zumal+ anschließt,
beinahe als etwas selbstverständliches hingestellt. Soll nun, wie es
sehr oft geschieht, der in einem Nebensatz ausgedrückte Gedanke in
dieser Weise hervorgehoben werden, so muß +zumal+ einfach davortreten,
sodaß der Nebensatz nun beginnt: +zumal wer+, +zumal wo+, +zumal als+,
+zumal wenn+, +zumal weil+, +zumal da+, je nachdem es ein Relativsatz,
ein Temporalsatz, ein Bedingungssatz oder ein Kausalsatz ist, z. B.:
das wäre die heilige Aufgabe der Kunst, +zumal seit+ sie bei den
Gebildeten zugleich die Religion vertreten soll. So wenig nun jemand
hinter +zumal+ das +wer+, +wo+, +wann+ oder +als+ weglassen wird, so
wenig hat es eine Berechtigung, das +da+ oder +weil+ wegzulassen, und
es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: diese Maßregel erbitterte
die Evangelischen, +zumal+ sie hörten -- schließlich ließ sich die
Angelegenheit nicht länger aufschieben, +zumal+ sich die Aussicht
eröffnete usw. Leider ist diese Nachlässigkeit schon so beliebt
geworden, daß man bald wird lehren müssen: +zumal+ ist ein Adverb, aber
zugleich ist es ein Fügewort, das Kausalsätze anfängt.

Ähnlich wie mit +zumal+ steht es mit +trotzdem+; auch das möchte man
jetzt mit aller Gewalt zum Fügewort pressen. Aber auch das hat keine
Berechtigung. Auch +trotzdem+ ist ein Adverb, es bedeutet dasselbe wie
+dennoch+; soll es zur Bildung eines Konzessivsatzes dienen, so muß
es mit +daß+ verbunden werden. Zu schreiben, wie es jetzt geschieht:
+trotzdem+ Camerarius den Aufgeklärten spielte -- +trotzdem+ die
Arbeiten im Innern des Hauses noch nicht beendigt sind -- +trotzdem+ es
an Festlichkeiten nicht mangelte -- ist ebenfalls eine Nachlässigkeit.
Wir haben zur Bildung von Konzessivsätzen eine Fülle von Fügewörtern:
+obgleich+, +obwohl+, +obschon+, +wenngleich+, +wenn auch+. Kennt
man die gar nicht mehr, daß man sie jetzt alle dem fehlerhaften
+trotzdem+ zuliebe verschmäht? Sie sind wohl zu weich, zu geschmeidig,
zu verbindlich, nicht wahr? +Trotzdem+ ist gröber, „schneidiger“,
trotziger, darum gefällts den Leuten.

Freilich sind alle unsre Fügewörter früher einmal Adverbia gewesen.
Auch +indem+, +seitdem+, +nachdem+, +solange+, +sooft+, +nun+ (+nun+
die schreckliche Seuche glücklich erloschen ist) wurden zur Bildung von
Nebensätzen anfangs gewöhnlich mit einem Fügewort gebraucht (+indem
daß+, +solange als+). Aber warum soll man nicht einen Unterschied
bewahren, solange das Bedürfnis darnach noch von vielen empfunden wird?
Wer sorgfältig schreiben will, wird sich auch nicht mit +insofern+
begnügen, wenn er +insofern als+ meint.

Eine österreichische Eigentümlichkeit ist es, Konzessivsätze mit
+obzwar+ anzufangen. In der guten Schriftsprache ist das, wie alle
Austriazismen, unausstehlich.


Mißbrauch des Bedingungssatzes

Das temporale Fügewort +während+, das zunächst zwei Vorgänge als
gleichzeitig hinstellt, kommt auf sehr leichte und natürliche Weise
dazu, zwei Handlungen einander entgegenzusetzen. Den Übergang sieht man
an einem Satze wie folgendem: +während+ ihr euerm Vergnügen nachgingt,
habe ich gearbeitet; das Fügewort kann hier noch rein temporal
aufgefaßt werden, hat aber schon einen Beigeschmack vom Adversativen.
Man muß aber in der Anwendung dieser adversativen Bedeutung sehr
vorsichtig sein, sonst kommt man leicht zu so lächerlichen Sätzen wie:
+während+ Herr W. die Phantasie von Vieuxtemps für Violine vortrug,
blies Herr L. ein Nocturno für Flöte von Köhler -- der Minister
besuchte gestern (!) die Schulen zu Marienthal und Leubnitz, +während+
er heute (!) die Besuche in den hiesigen Schulanstalten fortsetzte --
König Albert brachte ein Hoch auf den Kaiser aus, +während+ der Kaiser
ihm dafür dankte.

Geradezu ein Unfug aber ist es, Bedingungssätze in adversativem
Sinne zu verwenden. Es scheint das aber jetzt für eine ganz besondre
Feinheit zu gelten. Man schreibt: +wenn+ bei vielen niedrigen Völkern
die Priester als Träger höherer Bildung zu betrachten sind, +so+ ist
das bei den Ephenegern nicht der Fall -- +wenn+ Adelung die Sprache
hauptsächlich als Verständigungsmittel behandelt wissen wollte, +so+
forderte Herder eine individuelle, schöpferische Empfindungssprache.
Auch vergleichende Nebensätze werden schon, anstatt mit +wie+, mit
+wenn+ gebildet: +wenn+ Indien die Geschichte der Philosophie ~in nuce~
enthält, +so+ ist es an Materialien für die Geschichte der Religion
gewiß reicher als ein andres Land -- +wenn+ bei uns vielfach über
den Niedergang des politischen Lebens geklagt wird, +so+ ist auch in
Amerika, wo das politische Leben schon bisher nicht sehr hoch stand,
ein solcher Niedergang bemerkbar -- +wenn+ der Verein schon immer
bestrebt war, die reichen Kunstschätze Freibergs zu heben, +so+ ist
das in besonderm Maße in dem vorliegenden Hefte gelungen -- +war+ das
Handpressenverfahren ungeeignet, +so+ konnte das Typendruckverfahren
hinsichtlich der Güte nicht genügen -- +war+ das Haus damals recht
unbehaglich, +so+ machten sich auch nach dem Umbau Übelstände
bemerklich. Ebenso Kausalsätze: +wenn+ die Macht der Sozialdemokratie
in der Organisation liegt, +so+ müssen wir uns eben auch organisieren.
Ebenso Konzessivsätze: +wenn+ die gestellte Aufgabe sich +zwar+ (aha!)
zunächst nur auf die Untersuchung der Goldlagerstellen bezog, +so+
war es +doch+ nötig, auch andre Minerale in den Kreis der Betrachtung
zu ziehen. Sogar wo einfach zwei Hauptsätze am Platze wären, kommt
man mit diesem +wenn+ angerückt: +wenn+ mein Herr Amtsvorgänger vorm
Jahre viel gutes wünschte, +so+ sind diese Wünsche nicht vergeblich
gewesen -- +wenn+ im frühern Mittelalter die meisten Häuser einfache
Holzhäuser gewesen waren, +so+ ist man erst später aus diesem Zustande
herausgekommen. Welcher Unsinn!

Wenn diese Art, sich auszudrücken, weitere Fortschritte macht, so kann
es noch dahin kommen, daß der Bedingungssatz alle andern Arten von
Fügewortsätzen nach und nach auffrißt.


Unterdrückung des Hilfszeitworts

Sehr verschieden sind merkwürdigerweise von jeher die Ansichten gewesen
über den Gebrauch, das Hilfszeitwort und (was gleich damit verbunden
werden kann) die sogenannte Kopula in Nebensätzen wegzulassen, also
zu schreiben: der Bischof war bestrebt, von dem Einfluß, den er
früher in der Stadt +besessen+ (nämlich +hatte+), möglichst viel
zurückzugewinnen, der Rat dagegen trachtete, die wenigen Rechte, die
ihm noch +geblieben+ (nämlich +waren+), immer mehr zu beschränken
-- die Wirkung der Mühlen würde noch erhöht, wenn sie beständig von
Luft +durchstrichen+ (nämlich +würden+) -- seine Briefe blieben
frei von Manier, während +sich+ in seine spätern Werke etwas davon
+eingeschlichen+ (nämlich +hat+) -- die Pallas trug einst einen Helm,
wie aus der oben abgeplatteten Form des Kopfes zu +erkennen+ (nämlich
+ist+) -- eine Vorstellung wird um so leichter aufgenommen, je
+einfacher+ ihr sprachlicher Ausdruck (nämlich +ist+) -- der Ursachen
sind mehrere, wenn sie auch sämtlich auf eine Wurzel +zurückzuführen+
(nämlich +sind+) -- verwundert fragt man, ob denn die Krankheit
wirklich so gefährlich, das Übel gar so heillos +geworden+ (+ist+?
+sei+?) -- so lautet das Schlagwort, womit das ideale Werk +begonnen+
(+ist+? +hat+?) -- sogar: die Lukaspassion kann nicht, wie allgemein
+behauptet+ (nämlich +wird+), von Bach geschrieben sein.

Dieser Gebrauch hat eine ungeheure Verbreitung, viele halten ihn
offenbar für eine ganz besondre Schönheit. Manche Romanschriftsteller
schreiben gar nicht anders; aber auch in wissenschaftlichen,
namentlich in Geschichtswerken geschieht es fort und fort. Ja es muß
hie und da geradezu in Schulen gelehrt werden, daß dieses Abwerfen
des Hilfszeitworts eine Zierde der Sprache sei. Wenigstens war
einmal in einem Aufsatz einer Unterrichtszeitschrift verächtlich vom
„Hattewarstil“ die Rede; der Verfasser meinte damit die pedantische
Korrektheit, die das +hatte+ und +war+ nicht opfern will. Von
ältern Schriftstellern liebt es namentlich Lessing, aus dessen
Sprache man sich sonst die Muster zu holen pflegt, das Hilfszeitwort
wegzulassen, und Jean Paul empfiehlt es geradezu, diese „abscheulichen
Rattenschwänze der Sprache“ womöglich überall abzuschneiden.

Halten wir uns, wie immer, an die lebendige Sprache. Tatsache ist, daß
in der unbefangnen Umgangssprache das Hilfszeitwort niemals weggelassen
wird. Es würde als arge Ziererei empfunden werden, wenn jemand sagte:
es ist ein ganzes Jahr her, daß wir uns nicht +gesehen+. In der Sprache
der Dichtung dagegen ist die Unterdrückung des Hilfszeitworts wohl das
überwiegende. Man denke sich, daß Chamissos Frauenliebe und -leben
anfinge: seit ich ihn +gesehen habe+, glaub ich blind zu sein! In der
Prosa kommt es nun sehr auf die Gattung an. In poetisch oder rednerisch
gehobner Sprache stört es nicht, wenn das Hilfszeitwort zuweilen
unterdrückt wird; in schlichter Prosa, wie sie die wissenschaftliche
Darstellung und im allgemeinen doch auch die Erzählung, die historische
sowohl wie der Roman und die Novelle, erfordert, ist es geradezu
unerträglich. Wer das bestreitet, hat eben kein Sprachgefühl. Wer sich
einmal die Mühe nimmt, bei einem Schriftsteller, der das Hilfszeitwort
mechanisch und aus bloßer Gewohnheit überall wegläßt, nur ein paar
Druckseiten lang auf diese vermeintliche Schönheit zu achten, der wird
bald täuschend den Eindruck haben, als ob er durch einen Tiergarten
ginge, wo lauter unglückselige Bestien mit abgehackten Schwänzen ihres
Verlustes sich schämend scheu um ihn herumliefen.

Ganz unausstehlich wird das Abwerfen des Hilfszeitworts, wenn das übrig
bleibende Partizip mit dem Indikativ des Präsens oder des Imperfekts
gleich lautet, also ohne das Hilfszeitwort die Tempora gar nicht
voneinander zu unterscheiden sind, z. B.: in unsrer Zeit, wo der Luxus
eine schwindelhafte Höhe +erreicht+ (nämlich +hat+!) -- er ist auch
dann strafbar, wenn er sich nur an der Tat +beteiligt+ (+hat+!) --
das, was der Geschichtschreiber gewissenhaft +durchforscht+ (+hat+!)
-- er erinnert sich der Freude, die ihm so mancher gelungne Versuch
+verursacht+ (+hat+!) -- einer jener Männer, die, nachdem sie in
hohen Stellungen Eifer und Tatkraft +bewiesen+ (+haben+!), sich einem
müßigen Genußleben hingeben -- nachdem 1631 Baner die Stadt vergeblich
+belagert+ (+hatte+!) -- er verteilte die Waffen an die Partei, mit
der er sich +befreundet+ (+hatte+!) -- ich kam im Herbstregen an, den
mein Kirchdorf lange +ersehnt+ (+hatte+!) -- er schleuderte über die
Republik und ihre Behörden den Bannstrahl, weil sie sich an päpstlichem
Gut +vergriffen+ (+hatten+!) -- du stellst in Abrede, daß Vilmar mit
dem Buch eine politische Demonstration +beabsichtigt+ (+habe+!). Oder
wenn es in zwei oder mehr aufeinander folgenden Nebensätzen verschiedne
Hilfszeitwörter sind, die dadurch verloren gehen, +haben+ und +sein+,
z. B.: es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der deutsche
Dichterfürst seinen Fuß +hingesetzt+ (nämlich +hat+), auf dem Boden,
der durch seinen Aufenthalt geschichtlich +geworden+ (nämlich +ist+),
eine Kuranstalt zu errichten -- wir wissen, auf welchen Widerstand
einst das Interim +gestoßen+ (+ist+!), und welchen Haß sich Melanchthon
durch seine Nachgiebigkeit +zugezogen+ (+hat+!) -- da sie das
Führen der Maschine +unterlassen+ (+hatten+!) und auf den Fußwegen
+gefahren+ (+waren+!). Oder endlich wenn gar von zwei verschiednen
Hilfszeitwörtern das erste weggeworfen, das zweite aber gesetzt wird,
sodaß man dieses nun unwillkürlich mit auf den ersten Satz bezieht,
z. B.: als ich die Fastnachtsspiele +durchgelesen+ und schließlich zu
dem Luzerner Neujahrsspiel +gekommen war+ (also auch: +durchgelesen
war+?) -- seitdem die Philosophie exakt +geworden+, seitdem auch sie
sich auf die Beobachtung und Sammlung von Phänomenen +verlegt hat+
(also auch: +geworden hat+?) -- der Verfasser macht Banquo den Vorwurf,
daß er nicht für die Rechte der Söhne Duncans +eingetreten+, sondern
Macbeth als König +anerkannt habe+ (also auch: +eingetreten habe+?).
Wie jemand so etwas schön finden kann, ist unbegreiflich.

Selbst in Fällen, wo der nachfolgende Hauptsatz zufällig mit demselben
Zeitwort anfängt, mit dem der Nebensatz geschlossen hat, ist das
Wegwerfen des Hilfszeitworts häßlich, z. B.: soviel +bekannt+ (nämlich
+ist+), +ist+ der Vorsitzende der Bürgermeister -- wie der Unglückliche
hierher +gelangt+ (+ist+), +ist+ rätselhaft -- alles, was damit
gewonnen +worden+ (+war+), +war+ unbedeutend gegen das verlorne -- wer
diesen Forderungen Genüge +geleistet+ (+hatte+), +hatte+ sich dadurch
den Anspruch erworben usw. Zwar nehmen auch solche, die im allgemeinen
für Beibehaltung des Hilfszeitworts sind, hier das Abwerfen in Schutz,
aber doch nur wieder infolge des weitverbreiteten Aberglaubens, daß ein
Wort nicht unmittelbar hintereinander oder kurz hintereinander zweimal
geschrieben werden dürfe. Es ist das eine von den traurigen paar
stilistischen Schönheitsregeln, die sich im Unterricht von Geschlecht
zu Geschlecht fortschleppen. Die lebendige Sprache fragt darnach gar
nichts; da setzt jeder ohne weiteres das Verbum doppelt, und es fällt
nicht im geringsten auf, kann gar nicht auffallen, weil mit dem ersten
Verbum, fast tonlos, der Nebensatz ausklingt, mit dem zweiten, nach
einer kleinen Pause, frisch betont der Hauptsatz anhebt. Sie klingen ja
beide ganz verschieden, diese Verba, man traue doch nur seinen Ohren
und lasse sich nicht immer von dem Papiermenschen bange machen!

Nur in einem Falle empfiehlt sichs zuweilen, das Hilfszeitwort auch in
schlichter Prosa wegzulassen, nämlich dann, wenn in den Nebensatz ein
zweiter Nebensatz eingeschoben ist, der mit demselben Hilfszeitwort
endigen würde, z. B.: bis die Periode, für die der Reichstag +gewählt
worden+, +abgelaufen war+. Hier würden zwei gleiche Satzausgänge
mit +war+ nicht angenehm wirken. Wo bei Häufung von Nebensätzen der
Eindruck des Schleppens entsteht, liegt die Schuld niemals an den
Hilfszeitwörtern, sondern immer an dem ungeschickten Satzbau.

Die Sitte, das Hilfszeitwort in Nebensätzen gewohnheitsmäßig
abzuwerfen, muß um so mehr als Unsitte bekämpft werden, als sie schon
einen ganz verhängnisvollen Einfluß auf den richtigen Gebrauch der
Modi ausgeübt hat. Daß manche Schriftsteller keine Ahnung mehr davon
haben, wo ein Konjunktiv und wo ein Indikativ hingehört, daß in dem
Gebrauche der Modi eine geradezu grauenvolle Verwilderung und Verrohung
eingerissen ist und täglich weitere Fortschritte macht, daran ist
zum guten Teil die abscheuliche Unsitte schuld, die Hilfszeitwörter
wegzulassen. Wo soll noch Gefühl für die Kraft und Bedeutung eines
Modus herkommen, wenn man jedes +ist+, +sei+, +war+, +wäre+, +hat+,
+habe+, +hatte+, +hätte+ am Ende eines Nebensatzes unterdrückt und
dem Leser nach Belieben zu ergänzen überläßt? In den meisten Fällen
ist die Unterdrückung des Hilfszeitwortes nichts als ein bequemes
Mittel, sein Ungeschick oder seine Unwissenheit zu verbergen. Freilich
ist es sehr bequem, zu schreiben: daß viele Glieder der ersten
Christengemeinde arm +gewesen+, ist zweifellos, daß es alle +gewesen+,
ist sehr zu bezweifeln, oder: wenn man nicht annehmen will, daß ihm
seine Genialität +geoffenbart+, was andre schon vorher +gefunden+,
oder: wir bedauerten, daß sie nicht etwas +getan+, was sie in den Augen
unsrer Gespielen recht groß und mächtig +gemacht+. Hätten die, die
so geschrieben haben, gewußt, das es heißen muß: daß viele Glieder
der ersten Christengemeinde arm +gewesen sind+, ist zweifellos, daß
es alle +gewesen seien+, ist sehr zu bezweifeln -- wenn man nicht
annehmen will, daß ihm seine Genialität +geoffenbart habe+, was andre
schon vorher +gefunden hatten+ -- wir bedauerten, daß sie nicht etwas
+getan hatten+, was sie in den Augen unsrer Gespielen recht groß und
mächtig +gemacht hätte+ -- so hätten sie es schon geschrieben. Aber
man weiß eben nichts, und da man seine Unwissenheit durch Hineintappen
in den falschen Modus nicht verraten möchte, so läßt man einfach das
Hilfszeitwort weg.


Indikativ und Konjunktiv

Sogar in Wunsch- und Absichtssätzen, wo man es kaum für möglich halten
sollte, wird jetzt statt des Konjunktivs der Indikativ geschrieben!
Da liest man: es ist zu wünschen, daß die Nation auch künstlerisch
+zusammensteht+ -- wir wünschen von Herzen, daß das der letzte Fall
eines solchen Verbrechens gewesen +ist+ -- wir hoffen, daß er sich nach
längerer Prüfung davon +wird+ überzeugen lassen -- wir wollen alle
mithelfen, daß es eine gute Ernte +gibt+ -- die staatliche Gewalt hat
darüber zu wachen, daß der Sittlichkeit kein ernster Schaden zugefügt
+wird+ -- als deutscher Fabrikant habe ich das lebhafteste Interesse
daran, daß in deutschen Bureaus mit deutschen Federn geschrieben +wird+
-- wir bitten um Erneuerung des Abonnements, damit die Zusendung keine
Unterbrechung +erleidet+ -- wir raten ihm, sich an deutsche Quellen zu
halten, damit er das Deutsche nicht ganz +verlernt+. Die schlimmste
Verwirrung des Indikativs und des Konjunktivs ist aber in den Subjekt-
und Objektsätzen (Inhaltsätzen) und in den abhängigen Fragesätzen
eingerissen. Und doch, wie leicht ist es, bei einigem guten Willen auch
hier das Richtige zu treffen!

Man vergleiche einmal folgende beiden Sätze: Curtius zeigte seinen
Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen
+vermöchte+, und: Curtius zeigte seinen Fachgenossen, daß er ihnen
auch auf dieses Gebiet zu folgen +vermochte+. Was ist der Unterschied?
In dem ersten Falle lehne ich, der Redende oder Schreibende, ein
Urteil darüber ab, ob Curtius wirklich seinen Fachgenossen habe folgen
können, ich gebe nur seine eigne Meinung wieder; im zweiten Falle gebe
ich selbst ein Urteil ab, ich stimme ihm bei, stelle es als Tatsache
hin, daß er ihnen habe folgen können. Ein andres Beispiel: die meisten
Menschen trösten sich damit, daß es früher auch +so war+, und: die
meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher auch +so gewesen
sei+. Was ist der Unterschied? In dem ersten Falle gebe ich über den
Trostgrund der Menschen ein Urteil ab, ich stimme ihnen bei, ich stelle
ihren Trostgrund als richtig, als Tatsache hin; in dem zweiten Falle
enthalte ich mich jedes Urteils, ich gebe nur die Meinung der Menschen
wieder. Noch ein Beispiel: ich kann doch nicht sagen, daß ich krank
+bin+, und: ich kann doch nicht sagen, daß ich krank +sei+. Der erste
Satz bedeutet: ich trage Bedenken, die Tatsache meiner Erkrankung
einzugestehen; der zweite: ich trage Bedenken, eine Krankheit
vorzuspiegeln. Da haben wir deutlich den Sinn der beiden Modi.

Darnach ist es klar, weshalb nach Zeitwörtern wie +wissen+, +beweisen+,
+sehen+, +einsehen+, +begreifen+, +erkennen+, +entdecken+, ebenso
wie nach den unpersönlichen Redensarten: +es ist bekannt+, +es steht
fest+, +es ist sicher+, +es ist klar+, +es ist kein Zweifel+, +es ist
Tatsache+, +es läßt sich nicht leugnen+ usw. der Inhaltsatz stets im
Indikativ steht. In allen diesen Fällen kann das Subjekt oder Objekt
nur eine Tatsache sein; welchen Sinn hätte es da, ein Urteil darüber
abzulehnen? Es ist also ganz richtig, zu sagen: +kann es geleugnet
werden+, daß die Erziehung des gemeinen Volks eines der wichtigsten
Mittel +ist+, unsre Person und unser Eigentum zu schützen? Dagegen
spricht aus folgenden Sätzen eine völlig unverständliche Ängstlichkeit:
Hamerling hat +bewiesen+, daß man als Atheist ein edler und tüchtiger
Mensch sein +könne+ -- die Besichtigung der Leiche +ergab+, daß es
sich um einen Raubmord +handle+ -- schon seit Jahren hatte sich
+herausgestellt+, daß die Räume unzureichend +seien+ -- als man die
Kopfhaut entfernte, +sah+ man, daß die Schädeldecke vollständig entzwei
geschnitten +sei+ -- zu meinem Schrecken +entdeckte+ ich, daß der junge
Graf nicht einmal orthographisch schreiben +könne+ -- die Sammlung
tritt sehr bescheiden auf und läßt +keinen Zweifel+ darüber, daß die
Zeit des Sturms und Dranges vorüber +sei+. Was bewiesen, gesehen,
entdeckt worden ist, sich ergeben, sich herausgestellt hat, nicht
bezweifelt werden kann, das müssen doch Tatsachen sein. Weshalb soll
man sich scheuen, solche Tatsachen anzuerkennen?

Dieser Fehler kommt denn auch verhältnismäßig selten vor. Um so öfter
wird der entgegengesetzte Fehler begangen, daß nach Zeitwörtern, die
eine bloße Meinung oder Behauptung ausdrücken, der Indikativ gesetzt
wird, obwohl der Redende oder Schreibende über die ausgesprochne
Meinung oder Behauptung nicht das geringste Urteil abgeben, sondern
sie als bloße Meinung oder Behauptung eines andern hinstellen
will. Die Zeitwörter, hinter denen das geschieht, sind namentlich:
+glauben+, +meinen+, +fühlen+, +denken+, +annehmen+, +vermuten+,
+voraussetzen+, +sich vorstellen+, +überzeugt sein+, +schließen+,
+folgern+, +behaupten+, +sagen+, +lehren+, +erklären+, +versichern+,
+beteuern+, +bekennen+, +gestehen+, +zugeben+, +bezweifeln+,
+leugnen+, +antworten+, +erwidern+, +einwenden+, +berichten+,
+melden+, +erzählen+, +überliefern+, +erfahren+, +vernehmen+, +hören+
u. a. Stehen diese Verba in dem Tempus der Erzählung, so setzt wohl
jeder richtig den Konjunktiv dahinter, wiewohl sich auch Beispiele
finden wie: er kam zu der +Überzeugung+, daß er zu alt +war+, sich
noch den bildenden Künsten zu widmen. Aber wie, wenn sie im Präsens
oder im Futurum stehen? Da wird geschrieben: man +glaubt+, daß die
Diebe während der Fahrt in den Zug +stiegen+ -- der Ausschuß ist der
+Meinung+, daß der Markt der geeignetste Platz für das Denkmal ist --
der Herausgeber ist zu der +Ansicht+ gekommen, das sich diese Rede
Ciceros nicht für die Schule +eignet+ -- man kann dem Verfasser darin
(d. h. in der +Ansicht+) beistimmen, daß sich das Juristendeutsch
gegen früher bedeutend gebessert +hat+ -- jeder wird von einer
Privatsammlung, die in den fünfziger Jahren genannt wurde, +annehmen+,
daß sie heute nicht mehr +besteht+ -- man geht von der albernen
+Voraussetzung+ aus, daß Bach und Händel grobe Klötze gewesen +sind+ --
hier wirkt noch die alte +Vorstellung+, daß das Wesen eines Dinges in
seinem Bilde +steckt+ -- die Rede ist von der +Überzeugung+ erfüllt,
daß das amerikanische Deutschtum mit der deutschen Sprache +steht+ und
+fällt+ -- man behauptet, daß das Lateinische zu schwer +ist+, als
erste fremde Sprache gelernt zu werden -- die +Behauptung+, daß dieser
Aufsatz für die Zeitschrift kein Ruhmesblatt +bildet+, wird schwerlich
auf Widerspruch stoßen -- Marx +sagt+, daß keine neue Gesellschaft
ohne die Geburtshilfe der Gewalt +entsteht+ -- man +sagt+, daß er sich
von einem Priester taufen +ließ+ -- der Fremde, der die Ausstellung
besucht, wird +sagen+, daß es der Berliner Kunst an Schwung und
Phantasie +gebricht+ -- von glaubwürdiger Seite wird uns +versichert+,
daß die Stimmung sehr +flau+ war -- die Legende +erzählt+, daß, als
die Greisin noch ein schönes Mädchen +war+, sie eine tiefe Neigung zu
einem jungen Krieger +faßte+ -- die +Meldung+, daß Morenga +gefallen
ist+, wird durch einen amtlichen Bericht bestätigt -- in Berliner
Künstlerwerkstätten gilt noch heute die +Überlieferung+, daß Rauch
nicht immer der große Mann +gewesen ist+, als den ihn die Nachwelt
preist. In allen diesen Sätzen ist der Indikativ wahrhaft barbarisch.
Doppelt beleidigend wirkt er, wenn in dem regierenden Satze die Meinung
oder Behauptung, die im Nebensatze steht, ausdrücklich verneint
wird, als falsch, als irrtümlich, als übertrieben, als unbewiesen
bezeichnet wird. Und doch muß man täglich auch solche Sätze lesen wie:
ich kann +nicht zugeben+, daß diese Satzfügung fehlerhaft ist -- es
kann +nicht zugegeben+ werden, daß der große Zuzug der Bevölkerung
die Ursache der städtischen Wohnungsnot +ist+ -- wir sind +nicht+
zu der +Annahme+ berechtigt, daß er sich durch die Mitgift der
Frau zu der Heirat bewegen +ließ+ -- aus dieser Tabelle läßt sich
+keineswegs+ der +Schluß+ ziehen, daß die Kost dürftig +ist+ -- daß
der sozialistische Geschäftsbetrieb in diesen Industrien möglich +ist+,
hat noch +niemand bewiesen+ -- ich kann +nicht finden+, daß Wagners
Musik +läutert+ -- ich muß aufs entschiedenste +bestreiten+, das es
in einem unsrer Schutzgebiete Sklavenmärkte +gibt+ -- daß das Kreuz
erst in christlicher Zeit religiöse Bedeutung +erhielt+, kann man
+nicht behaupten+ -- +niemand+ wird +behaupten+, daß es dem Architekten
gleichgiltig sein +kann+, ob sein Ornament langweilig oder geistreich
ist -- die K. Zeitung geht +zu weit+ mit der +Behauptung+, daß die
beiden vorigen Sessionen des Landtags unfruchtbar +gewesen sind+ -- es
wird +schwerlich+ jemand +dafür eintreten+, daß die Ausführung dieses
Planes möglich +ist+ -- es ist +nicht wahr+, daß man durch Arbeit und
Sparen reich werden +kann+ -- +unwahr+ ist, daß Herr B. eine Sühne
von 500 M. angeboten +hat+ -- es ist +falsch+, wenn der Verfasser
behauptet, daß die Fehlerzahl den Ausschlag bei der Versetzung der
Schüler +gibt+ -- es liegt +nicht+ der leiseste +Anhalt+ vor, daß eine
neue Revision des Gesetzes beabsichtigt +ist+ -- mir ist +nichts+
davon +bekannt+, daß das ausdrücklich betont worden +ist+ -- es ist
+unzutreffend+, daß das Urteil bereits rechtskräftig geworden +ist+ --
die Volkszeitung hat sich direkt +aus den Fingern gesogen+, daß mich
der Minister wegen meines patriotischen Verhaltens gelobt +hat+ -- ich
kann +nicht sagen+, daß ich diese Woche große Freude an der Arbeit
+hatte+ -- damit soll +nicht gesagt+ sein, daß es der Sammlung ganz an
duftigen Liederblüten +fehlt+ -- es soll damit +nicht gesagt+ sein, daß
Beethoven je populär werden +kann+ -- wir glauben +widerlegt+ zu haben,
daß der Schule in diesem Kampfe ein Vorwurf zu machen +ist+ -- wer +hat
bewiesen+, daß die sittliche Höhe eines Künstlers der künstlerischen
seiner Werke gleichstehen +muß+? (niemand!) -- +ist+ irgendwo offenbar
geworden, daß der Abgeordnete sich seiner Aufgaben bewußt +gewesen ist+
(nein!) usw. Welcher Unsinn, etwas in einem Atem zu leugnen oder zu
bestreiten und zugleich als wirklich hinzustellen! Darauf laufen aber
schließlich alle solche Sätze hinaus. Der Indikativ kann in solchen
Fällen geradezu zu Mißverständnissen führen. Wenn einer schreibt:
es ist +falsch+, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt worden
+ist+ -- so kann man das auch so verstehen: sie ist ohne jeden Grund
eingestellt worden, und das ist sehr dumm gewesen. Will einer deutlich
sagen: sie ist +nicht+ ohne Grund eingestellt worden, so muß er
schreiben: es ist +falsch+, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt
worden +sei+.

Gewiß gibt es zwischen den unbedingt nötigen Indikativen und den
unbedingt nötigen Konjunktiven verschiedne Arten von zweifelhaften
Fällen. Es gibt doppelsinnige Verba, wie z. B. +finden+, +sehen+,
+zeigen+, die ebensogut eine Erkenntnis wie eine Meinung ausdrücken
können; darnach hat sich der Modus des Nebensatzes zu richten. Als
der erste Schrecken überwunden war, +sahen+ die Römer, daß sich der
Aufstand nicht bis zum Rhein +ausdehne+ -- man erwartet den Indikativ:
+ausdehnte+; aber der Schreibende hat mit +sehen+ vielleicht mehr den
Gedankengang, die Erwägung der Römer ausdrücken wollen. So ist auch
+beweisen wollen+, +zu beweisen suchen+ etwas andres als +beweisen+;
Hamerling hat +beweisen wollen+, daß man als Atheist auch ein edler
und tüchtiger Mensch sein +könne+ -- das wäre richtig, ebenso wie: er
+will beweisen+, daß weiß schwarz +sei+. Ein Bigotter könnte aber auch
sagen: beweisen läßt sich alles mögliche; hat nicht Hamerling sogar
+bewiesen+, daß ein Atheist ein edler Mensch sein +könne+? Dann wäre
der Sinn: trotz seines Beweises glaube ich es nicht. Und andrerseits
kann man wieder sagen: warum +willst+ du erst noch +beweisen+, daß zwei
mal zwei vier +ist+? Man vergleiche noch folgende Sätze: darin geben
wir dem Verfasser Recht, daß es unerklärlich +ist+, wie der gütige Gott
eine mit Übeln erfüllte Welt schaffen konnte; aber wir bestreiten,
daß es deshalb logisch geboten +sei+, dem Wesen, das die sittliche
Norm in sich enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Auch in dem
ersten Satze ist der Konjunktiv möglich, mancher würde ihn vielleicht
auch dort vorziehen. Bei guten Schriftstellern, bei denen man das
angenehme Gefühl hat, daß sie jedes Wort mit Bedacht hinsetzen, macht
es Vergnügen, solchen Dingen nachzugehen. Aber wie oft hat man dieses
Gefühl? Meist lohnt es nicht der Mühe, hinter plumpen Schnitzern nach
besondern Feinheiten zu suchen.

Wenn das Verbum des Hauptsatzes im Präsens steht und das Subjekt die
erste Person ist, so ist auch nach den Verben des Meinens und Sagens
wohl allgemein der Indikativ üblich und auch durchaus am Platze. Wenn
der Hauptsatz heißt: +ich glaube+ oder +wir behaupten+, so hätte
es keinen Sinn, den Inhalt des Nebensatzes als bloße Vorstellung
hinzustellen und ein Urteil über seine Wirklichkeit abzulehnen,
denn +ich+ und der Redende sind ja +eine+ Person. Daher sagt man am
liebsten: ich +glaube+, daß du Unrecht +hast+. Und sogar wenn der
Hauptsatz verneint ist: ich +glaube nicht+, daß sie bei so rauher
Jahreszeit noch in Deutschland +sind+ -- ich +glaube nicht+, daß der
freie Wille der Gesellschaft heute schon stark genug +ist+ -- wir sind
+nicht der Ansicht+, daß man die bestehende Welt willkürlich ändern
+kann+. In den beiden letzten Sätzen würde vielleicht mancher den
Konjunktiv vorziehen; aber schwerlich wird jemand sagen: +ich glaube
nicht+, daß sie bei so rauher Jahreszeit noch in Deutschland +seien+.
Selbst in Wunsch- und Absichtssätzen steht in solchen Fällen der
Indikativ, zumal in der Umgangssprache. Jedermann sagt: spann deinen
Schirm auf, daß du nicht naß +wirst+! +Werdest+ würde hier so geziert
klingen, daß der andre mit Recht erwidern könnte: du sprichst ja wie
ein Buch. Wenn man aber einen Bibelspruch anführt, sollte man ihn nicht
so anführen: Richte nicht, damit du nicht gerichtet +wirst+!

Genau so wie mit den Objektsätzen, die mit dem Fügewort +daß+
anfangen, verhält sichs mit denen, die die Form eines abhängigen
Fragesatzes haben: sie müssen im Konjunktiv stehen, wenn der Redende
oder Schreibende kein Urteil darüber abgeben kann, ob ihr Inhalt
wirklich sei oder nicht, weil es sich um Dinge handelt, die eben in
Frage stehen, sie können im Indikativ stehen, wenn der Redende ein
solches Urteil abgeben kann und will, sie müssen im Indikativ stehen,
wenn es gar keinen Sinn hätte, ein solches Urteil abzulehnen, weil es
sich um eine einfache Tatsache handelt. Richtig sind folgende Sätze:
man darf sich nicht damit begnügen, zu behaupten, etwas sei Recht,
sondern man muß doch wenigstens angeben, weshalb es Recht +sei+, und
welches Ziel ein solches Recht +verfolge+ -- nicht darum handelt sichs
in der Politik, ob eine Bewegung revolutionär +sei+, sondern ob sie
eine innere Berechtigung +habe+ -- die Frage, ob der Angeklagte den
beleidigenden Sinn eines Schimpfwortes +erkannt habe+, wird meist
leicht zu bejahen sein -- man sollte sich fragen, ob man nicht selbst
die Mißstände zum Teil +verschuldet habe+, die man beklagt -- es sollte
nicht gefragt werden, ob die Zölle überhaupt zweckmäßig +seien+,
sondern ob im einzelnen Fall ein Zoll angebracht +sei+, und ob damit
erreicht +werde+, was erstrebt wird. Liederlich ist es dagegen, zu
schreiben: die Verhandlung hat +keine Klarheit+ darüber gebracht, ob
die Klagen berechtigt +sind+ oder nicht. Wie kann man etwas als gewiß
hinstellen, wovon man eben gesagt hat, daß es noch unklar sei? Falsch
sind aber auch -- trotz ihres schönen Konjunktivs -- folgende Sätze:
wie weit das Gebiet +sei+, das K. bearbeitet, +zeigen+ seine Bücher --
ältere Zuhörer, die mehr oder weniger schon +wissen+, wovon die Rede
+sei+ -- es ist vom Schüler zu verlangen, daß er +wisse+, was eine
Metapher +sei+ -- es wäre interessant, zu +wissen+, was Goethe mit
dieser Bezeichnung gemeint +habe+.

Schuld an der traurigen Verrohung des Sprachgefühls, die sich in den
falschen Indikativen kundgibt, ist zum Teil sicherlich die Unsitte,
die Hilfszeitwörter in den Nebensätzen immer wegzulassen; das stumpft
das Gefühl für die Bedeutung der Modi so ab, daß man sich schließlich
auch dann nicht mehr zu helfen weiß, wenn das Verbum gesetzt werden
muß. Daneben aber ist noch etwas andres schuld, nämlich die unter
dem verwirrenden Einflusse des Englischen immer ärger werdende
Unkenntnis, welche Konjunktive und welche Indikative im Satzbau
einander entsprechen, d. h. in welchen Konjunktiv im abhängigen Satz
ein Indikativ des unabhängigen Satzes verwandelt werden muß; es scheint
das geradezu nicht mehr gelernt zu werden. Man erinnert sich wohl
dunkel einer Konjugationstabelle, worin die Indikative und Konjunktive
einander so gegenübergestellt waren:

  ich bin                ich sei
  ich war                ich wäre
  ich bin gewesen        ich sei gewesen
  ich war gewesen        ich wäre gewesen

oder:

  ich nehme              ich nehme
  ich nahm               ich nähme
  ich habe genommen      ich habe genommen
  ich hatte genommen     ich hätte genommen

Aber daß einem diese Gegenüberstellung aus der Formenlehre für
den Satzbau gar nichts helfen kann, das weiß man nicht. Die
Gegenüberstellung der Modi für die Inhaltssätze sieht so aus:

  er trägt               daß er trage oder: daß er trüge
  er trug            }   daß er getragen habe oder: daß
  er hat getragen    }       er getragen hätte

  ich bin               daß ich sei oder: daß ich wäre
  ich war           }   daß ich gewesen sei oder: daß ich
  ich bin gewesen   }       gewesen wäre

Daß sich gerade der Indikativ des Imperfekts jetzt so oft findet,
wo ein Konjunktiv des Perfekts oder des Plusquamperfekts hingehört
(Friedmann ist den Beweis dafür schuldig geblieben, daß dieser Verdacht
haltlos und sinnwidrig +war+), zeigt deutlich, daß man einen richtigen
Konjunktiv in abhängigen Sätzen zu bilden vollständig verlernt hat.


Die sogenannte ~consecutio temporum~

Daß ich +sei+ oder: daß ich +wäre+! Oder? Was heißt oder? Ist es
gleichgiltig, was von beiden gesetzt wird? oder richtet sich das nach
dem Tempus des regierenden Hauptsatzes? Mit andern Worten: gibt es
nicht auch im Deutschen etwas ähnliches wie eine ~consecutio temporum~,
die vorschreibt, daß auf die Gegenwart im Hauptsatz auch die
Gegenwart im Nebensatze, auf die Vergangenheit im Hauptsatz auch die
Vergangenheit im Nebensatze folgen müsse?

Das Altdeutsche hat seine strenge ~consecutio temporum~ gehabt. Die
hat sich aber schon frühzeitig gelockert, und zwar ist in den nieder-
und mitteldeutschen Mundarten der Konjunktiv der Vergangenheit, in
den oberdeutschen der Konjunktiv der Gegenwart bevorzugt worden. Dort
ist die Vergangenheit auch nach Hauptsätzen der Gegenwart, hier die
Gegenwart auch nach Hauptsätzen der Vergangenheit vorgezogen worden.
Eine weitere Entwicklungsstufe, auf der wir noch stehen, ist die, daß
die Eigentümlichkeit der oberdeutschen Mundarten, die Bevorzugung
der Gegenwart, weiter um sich griff und mit der Eigentümlichkeit der
mittel- und niederdeutschen in Kampf geriet. Schon Luther schreibt (Ev.
Joh. 5, 15): der Mensch +ging+ hin und +verkündigte+ es den Juden, es
+sei+ Jesus, der ihn gesund gemacht +habe+. Der gegenwärtige Stand
ist der -- was namentlich auch für Ausländer gesagt sein mag --, daß
es in allen Fällen, mag im regierenden Satze die Gegenwart oder die
Vergangenheit stehen, im abhängigen Satze unterschiedslos +sei+ und
+wäre+, +habe+ und +hätte+, +gewesen sei+ und +gewesen wäre+, +gehabt
habe+ und +gehabt hätte+ heißen kann. Es ist ebensogut möglich, zu
sagen: er +sagt+, er +wäre+ krank -- er +sagt+, er +wäre+ krank
+gewesen+ -- er +sagte+, er +sei+ krank -- er +sagte+, er +sei+ krank
+gewesen+ -- wie: er +sagt+, er +sei+ krank -- er +sagt+, er +sei+
krank +gewesen+ -- er +sagte+, er +wäre+ +krank+ -- er +sagte+, er
+wäre+ krank +gewesen+. In der Schriftsprache ziehen viele in allen
Fällen den Konjunktiv der Gegenwart als das Feinere vor und überlassen
den Konjunktiv der Vergangenheit der Umgangssprache. Wenn sich aber
jemand in allen Fällen lieber des Konjunktivs der Vergangenheit
bedient, so ist auch dagegen nichts ernstliches einzuwenden. Wer
vollends durch die Verwirrung der Tempora in seinem Sprachgefühl
verletzt wird, wem es Bedürfnis ist, eine ordentliche ~consecutio
temporum~ zu beobachten, den hindert nichts, das auch jetzt noch zu
tun. Das alles ist nun freilich eine Willkür, die ihresgleichen sucht;
aber der tatsächliche Zustand ist so.

Glücklicherweise hat aber diese Willkür doch gewisse Grenzen, und
daß von diesen Grenzen die wenigsten eine Ahnung haben, ist wieder
ein trauriger Beweis von der fortschreitenden Abstumpfung unsers
Sprachgefühls.


Der unerkennbare Konjunktiv

Die eine Grenze liegt in der Sprachform unsrer Konjunktive. Der
Konjunktiv der Gegenwart hat nämlich jetzt im Deutschen nur zwei (oder
drei) Formen, in denen er sich von dem Indikativ unterscheidet: die
zweite und die dritte Person der Einzahl (und allenfalls die zweite
Person in der Mehrzahl); in allen übrigen Formen stimmen beide überein.
Nur das Zeitwort +sein+ macht seine Ausnahme, und die Hilfszeitwörter
+müssen+, +dürfen+, +können+, +wollen+, +mögen+ und +sollen+; die haben
einen durchgeführten Konjunktiv des Präsens: +ich sei+, +du seist+, +er
+sei+, +ich müsse+, +du müssest+, +er müsse+. Im Plural unterscheiden
sich aber die beiden Modi auch bei den Hilfszeitwörtern nicht. Nur in
der zweiten Person heißt es im Indikativ +wollt+, +müßt+, im Konjunktiv
+wollet+, +müsset+; eigentlich sind aber auch diese Formen gleich, man
hat nur im Konjunktiv das e bewahrt, das man im Indikativ ausgeworfen
hat. Die Formen nun, in denen der Konjunktiv nicht erkennbar ist,
weil er sich vom Indikativ nicht unterscheidet, haben natürlich nur
theoretischen Wert, sie stehen gleichsam nur als Füllsel in der
Grammatik (um das Konjugationsschema vollzumachen), aber praktische
Bedeutung haben sie nicht, im Satzbau müssen sie durch den Konjunktiv
des Imperfekts ersetzt werden. Das geschieht denn auch in der
lebendigen Sprache ganz regelmäßig, so regelmäßig, daß es beinahe ein
Unsinn ist, wenn unsre Grammatiken lehren: ~Conj. praes.~: +ich trage+,
+du tragest+, +er trage+, +wir tragen+, +ihr traget+, +sie tragen+.
Solche Schattenbilder sollten gar nicht in der Grammatik stehen,
es könnte einfach gelehrt werden: ~Conj. praes.~: +ich trüge+, +du
tragest+, +er trage+, +wir trügen+, +ihr trüget+, +sie trügen+. Dieser
Gebrauch steht schon lange so fest, daß er selbst dann gilt, wenn das
regierende Verbum in der Gegenwart steht, also -- gegen die ~consecutio
temporum~. Unsre guten Schriftsteller haben ihn denn auch fast immer
beobachtet. Nicht selten springen sie in einer längern abhängigen Rede
scheinbar willkürlich zwischen dem Konjunktiv des Präsens und dem
des Imperfekts hin und her; sieht man aber genauer zu, so sieht man,
daß das Imperfekt immer nur dazu dient, den Konjunktiv erkennbar zu
machen -- ganz wie in der lebendigen Sprache. Nun unterscheidet sich
zwar der Konjunktiv des Imperfekts, zu dem man seine Zuflucht nimmt,
bisweilen auch nicht von dem Indikativ des Imperfekts. Wenn er aber in
der abhängigen Rede zwischen erkennbaren Konjunktiven der Gegenwart und
abwechselnd mit ihnen erscheint, so wird er eben nicht als Indikativ
gefühlt, sondern hier ist er das einzige Mittel, das Konjunktivgefühl
aufrecht zu erhalten. Ganz dasselbe gilt natürlich von dem Konjunktiv
des Perfekts und des Plusquamperfekts; der erste ist, abgesehen von den
zwei erkennbaren Formen: +du habest gesagt+, +er habe gesagt+, für die
lebendige Sprache so gut wie nicht vorhanden, er muß überall durch den
des Plusquamperfekts ersetzt werden: +ich hätte gesagt+, +wir hätten
gesagt+ usw.

Nun vergleiche man damit die klägliche Hilflosigkeit unsrer
Papiersprache! Da wird geschrieben: es ist eine Lüge, wenn man
+behauptet+, daß wir die Juden nur +angreifen+, weil sie Juden sind.
Es muß unbedingt heißen: +angriffen+, denn es muß der Konjunktiv
stehen, und das Präsens +angreifen+ wird nicht als Konjunktiv
gefühlt. Zu folgenden falschen Sätzen mag das richtige immer gleich
in Klammern danebengesetzt werden: es ist ein Irrtum, wenn behauptet
wird, daß sich die Ziele hieraus von selbst +ergeben+ (+ergäben+!)
-- wie oft wird geklagt, daß die Diener des Staats und der Kirche
von der Universität nicht die genügende Vorbildung für ihren Beruf
+mitbringen+ (+mitbrächten+!) -- von dem Gedanken, daß in Lothringen
ähnliche Verhältnisse +vorliegen+ (+vorlägen+!) wie in Posen, muß
ganz abgesehen werden -- es war eine ausgemachte Sache, daß ich in
Kriegsdienst zu treten +habe+ (+hätte+!) -- es gibt noch Leute, die
ernstlich der Meinung sind, daß die Nationalliberalen 1866 das Deutsche
Reich +haben+ (+hätten+!) gründen helfen -- es wird mir vorgeworfen,
daß ich die ursprüngliche Reihenfolge ohne zureichenden Grund verlassen
+habe+[66] (+hätte+!) -- H. Grimm geht von der Voraussetzung aus,
daß ich den Unterricht in der neuern Kunstgeschichte an der Berliner
Universität bekrittelt +habe+ (+hätte+!) -- am Tage meiner Abreise
konnte ich schreiben, daß ich die Taschen voll gewichtiger Empfehlungen
+habe+ (+hätte+!) -- da mußte ich erkennen, daß ich für mein
wissenschaftliches Streben nicht die gehoffte Förderung zu erwarten
+habe+ (+hätte+!) -- der Verfasser ist der Meinung, das Verbrechen
+müsse+ als gesellschaftliche Erscheinung betrachtet und bekämpft
werden, zu seiner Ergründung +müssen+ (+müßten+!) die Ergebnisse der
Gesellschaftswissenschaft berücksichtigt werden -- man behauptet,
daß die Lehren des Talmud veraltet +seien+ und nicht mehr befolgt
+werden+ (+würden+!) -- ich schrieb ihm, daß ich die Verantwortung
nicht übernehmen +könne+, sondern die anstößigen Stellen beseitigen
+werde+ (+würde+!)[67] -- er erhebt den Vorwurf gegen uns, daß wir
damit ein bloßes Wahlmanöver +bezwecken+ (+bezweckten+!) -- er hatte
vor seinem Tode den Wunsch geäußert, die Soldaten +mögen+ (+möchten+!)
nicht auf seinen Kopf zielen -- der Verfasser sucht nachzuweisen,
daß die behaupteten Erfolge nicht +bestehen+ (+bestünden+!) --
durch die Städte und Dörfer eilte die Schreckenskunde, daß Haufen
französischer Freischärler den Rhein überschritten +haben+ (+hätten+!)
und sich sengend und brennend über das Land +ergießen+ (+ergössen+!)
-- ich hatte ihm bei der letzten Besprechung gesagt, ich +begreife+
(+begriffe+!) sehr wohl, daß unser Verhältnis nicht wieder angeknüpft
werden könne usw.

Daß die Verfasser dieser Sätze den Indikativ hätten gebrauchen wollen,
ist nicht anzunehmen; sie haben ohne Zweifel alle die redliche Absicht
gehabt, einen Konjunktiv hinzuschreiben. Aber sie haben alle jenes
Papiergespenst erwischt, das in der Schulgrammatik, um das Kästchen
der Konjugationstabelle zu füllen, als Konjunktiv des Präsens oder des
Perfekts dasteht, aber in der Satzbildung dazu völlig unbrauchbar ist.

Ganz entsetzlich zu lesen sind Zeitungsberichte über „stattgefundne“
Versammlungen und die dabei „stattgefundnen“ Debatten. Was die Redner
da gesagt haben, erscheint ja in den Berichten in abhängiger Rede.
Aber von Anfang bis zu Ende wird alles mechanisch in den Konjunktiv
der Gegenwart gesetzt, dazwischen noch so und so viel Indikative. Da
aber mindestens fünfzig von hundert solchen Konjunktiven gar nicht als
solche gefühlt werden können, so taumeln die Berichte nun unausgesetzt
zwischen Konjunktiv und Indikativ hin und her. Auch Protokolle werden
jetzt zum größten Teil so abgefaßt.


Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit

Eine zweite, ebenso unüberschreitbare Grenze für die Neigung, überall
den Konjunktiv der Gegenwart vorzuziehen, liegt in einer gewissen
Bedeutung des Konjunktivs der Vergangenheit. Der Indikativ stellt
etwas als wirklich hin, der Konjunktiv nur als gedacht, gleichviel, ob
diesem Gedachten die Wirklichkeit entspricht oder nicht. Es gibt aber
noch einen dritten Fall. Es kann etwas als gedacht hingestellt, aber
zugleich aufs bestimmteste ausgedrückt werden, daß diesem Gedachten
die Wirklichkeit +nicht+ entspreche. Diese Aufgabe kann aber nur der
Konjunktiv der Vergangenheit erfüllen. Das bekannteste Beispiel dafür
und eins, das niemand falsch bildet, sind die sogenannten irrealen
Konditionalsätze oder Bedingungssätze der Nichtwirklichkeit. Jedermann
sagt und schreibt richtig: wenn ich Geld +hätte+, +käme ich+, oder:
wenn ich Geld +gehabt hätte+, +wäre ich gekommen+. Der Sinn ist in
dem ersten Falle: ich +habe+ aber keins, im zweiten: ich +hatte+ aber
keins, mit andern Worten: sowohl das Geldhaben als die Folge davon,
das Kommen, wird in beiden Fällen als nichtwirklich, als „irreal“
hingestellt. Die Sprache verfährt dabei sehr ausdrucksvoll. Sie rückt
den Gedanken nicht bloß aus dem Bereiche der Wirklichkeit (den der
Indikativ ausdrücken würde), sondern versetzt ihn außerdem auch noch
in eine größere Zeitferne: eine irreale Bedingung in der Gegenwart
wird durch das Imperfekt (wenn ich +hätte+), eine irreale Bedingung in
der Vergangenheit durch das Plusquamperfekt (wenn ich +gehabt hätte+)
ausgedrückt. Ein Schwanken in dem Tempus des Konjunktivs ist hier
völlig ausgeschlossen; Imperfekt und Plusquamperfekt sind in solchen
Sätzen unerläßlich.[68]

Solche Sätze bildet ja nun jeder richtig, wenn er auch vielleicht nie
darüber nachgedacht hat, warum er sie so bildet. Die Bedingungssätze
sind aber keineswegs die einzigen Nebensätze, die irrealen Sinn
haben können. Etwas sehr gewöhnliches sind auch Relativsätze,
Objektsätze, Kausalsätze, Folgesätze mit irrealem Sinn. In allen diesen
Sätzen verfährt die lebendige Sprache genau so wie in den irrealen
Bedingungssätzen, jedermann bildet auch sie in der Umgangssprache
ganz richtig, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, und sagt: ich
kenne +keinen+ Menschen, den ich lieber +hätte+ als dich -- ich weiß
+nichts+ davon, daß er verreist +gewesen wäre+ -- ich will nicht
+sagen+, daß ich keine Lust +gehabt hätte+[69] -- er ist zu dieser
Arbeit nicht zu brauchen, +nicht+ etwa weil er zu dumm dazu +wäre+ --
ich bin +nicht+ so ungeduldig, daß ich es nicht erwarten +könnte+ usw.
Aber der Papiermensch getraut sich solche Sätze nicht zu schreiben, er
stutzt, zweifelt, wird irre, schreibt schließlich -- den Indikativ, und
so laufen einem denn täglich auch solche Sätze über den Weg wie: ich
kenne +keine+ zweite Fachzeitschrift auf diesem Gebiete, die so allen
Ansprüchen entgegen+kommt+ (+käme+!) -- die Geschichte kennt +keine+
Musiker, die auf rein autodidaktischem Wege zur Bedeutung gelangt
+sind+ (+wären+!) -- es dürfte heute +kein+ Physiker zu ermitteln
sein, der an die Möglichkeit eines absolut leeren Raumes +glaube+
(+glaubte+!) -- bei Shakespeare selbst findet sich +kein+ Wort, das
auf eine solche Anschauung seines Helden +deutet+ (+deutete+!) -- es
gibt +kein+ Stück Shakespeares, worin die Charaktere klarer entwickelt
+sind+ (+wären+!) -- es gibt +kein+ zweites Industrieprodukt, das
eine derartige Verbreitung gefunden +hat+ (+hätte+!) -- es gibt heute
+keine+ Sängerin von Ruf, die diese Lieder nicht +singt+ (+sänge+!),
kein Publikum, das sie nicht begeistert +aufnimmt+ (+aufnähme+!) --
Wien ist gegenwärtig +kein+ Platz, wo goldne Sporen zu verdienen +sind+
(+wären+!) -- es +fehlte+ bisher an einem Buche, +das+ dem Laien
verständlich +war+ (+gewesen wäre+!) und zugleich auf der Höhe der
Wissenschaft +stand+ (+gestanden hätte+!) -- es gibt +keinen+, +der+
die Entwicklung der politischen Verhältnisse +kennt+ (+kennte+!),
keinen, der sagen +kann+ (+könnte+!): morgen wird es so sein --
+nie+ hat er etwas getan, +was+ mit seiner Untertanenpflicht in
Widerspruch +stand+ (+gestanden hätte+!) -- wir haben seit langen
Jahren +kein+ Abgeordnetenhaus gehabt, worin diese Partei so stark
vertreten +war+ (+gewesen wäre+!) -- wir hören +nichts+ davon, daß
die weniger betroffnen Gemeinden den Notleidenden die Hand +boten+
(+geboten hätten+!) -- ich gebe diese Auslassung wörtlich wieder,
+nicht+ weil ich sie für sehr bedeutend +halte+ (+hielte+!), sondern
weil usw. -- gewiß sind manche Fehler begangen worden, nicht etwa
weil unsre Vorfahren unverständige Leute +waren+ (+gewesen wären+!)
und ihre Pflicht nicht getan +haben+ (+hätten+!), sondern weil eine
solche Entwicklung nicht vorauszusehen war -- wie +selten+ sind diese
Kenntnisse ein so sichrer Besitz geworden, +daß+ mit Freiheit darüber
verfügt +wird+ (+würde+!) -- die Summe gewährt ihm +keine+ genügende
Unterstützung, +daß+ er während seiner Studentenzeit sorgenfrei leben
+kann+ (+könnte+!) -- so dumm sind unsre Schauspieler nicht, +daß+ man
ihnen das alles haarklein vorschreiben +muß+ (+müßte+!) -- die Sache
ist damals beanstandet worden, +ohne daß+ über den Grund aus den Akten
etwas zu ersehen +ist+ (+wäre+!) -- ach, es war eine schöne Zeit, zu
schön, +als daß+ sie lange dauern +konnte+ (+hätte+ dauern +können+!)
-- zum Glück war ich noch zu klein, +als daß+ mir der Inhalt des Buches
großen Schaden zufügen +konnte+ (+hätte+ zufügen +können+!) -- die
Hauswirte lassen lieber die Wohnungen leer stehen, +als daß+ sie sie
billig +vermieten+ (+vermieteten+!) -- +anstatt daß+ eine Beruhigung
+eintrat+ (+eingetreten wäre+!), bemächtigte sich vielmehr des ganzen
Landes eine tiefe Aufregung.

In allen diesen Sätzen drückt der Nebensatz etwas Nichtwirkliches
aus. Zu allen diesen Nebensätzen ist gleichsam im Geist ein irrealer
Bedingungssatz zu ergänzen: nie hat er etwas getan, was mit seiner
Untertanenpflicht in Widerspruch +gestanden hätte+ (nämlich +wenn er
es getan hätte+, was eben +nicht+ der Fall +war+). Also müssen sie
auch alle in den Modus der Nichtwirklichkeit treten. Es würde ganz
unbegreiflich sein, wie jemand solche Nebensätze in den Indikativ
setzen kann, wenn nicht, wie so oft, die leidige Halbwisserei dabei im
Spiele wäre. Man ist nicht unwissend genug, den richtigen Konjunktiv
aus der lebendigen Sprache unangezweifelt zu lassen, aber man ist auch
nicht wissend, nicht unterrichtet genug, den Zweifel niederzuschlagen
und das richtige aufs Papier zu bringen.


Vergleichungssätze. Als wenn, als ob

Zu diesen Nebensätzen, die sehr oft irrealen Sinn haben, gehören nun
auch die Vergleichungssätze, die mit +als ob+, +als wenn+, +wie wenn+
anfangen. Sehr oft kann oder muß man zu solchen Sätzen im Geiste den
Gedanken ergänzen: was +nicht+ der Fall +ist+ oder: was +nicht+ der
Fall +war+, z. B.: er geht mit dem Gelde um, +als ob+ er (was nicht
der Fall ist) ein reicher Mann +wäre+. Auch diese Sätze werden in der
lebendigen Sprache wie alle andern irrealen Nebensätze behandelt,
d. h. in der Gegenwart stehen sie im Konjunktiv des Imperfekts, in
der Vergangenheit im Konjunktiv des Plusquamperfekts. Auf dem Papier
ist aber jetzt auch hier Verwirrung eingerissen. Man schreibt z. B.:
er tut, als +habe+ er schon damals diese Absicht gehabt -- er sah
mich verwundert an, als ob ich irre +rede+ oder Fabeln +erzähle+.
Es muß heißen: als +hätte+ er -- als ob ich irre +redete+ oder
Fabeln +erzählte+ -- ganz abgesehen davon, daß sich in dem zweiten
Beispiel die Konjunktive der Gegenwart nicht von den Indikativen
unterscheiden. Die Verwirrung geht so weit, daß solche Sätze jetzt
sogar in den Indikativ gesetzt werden, z. B.: es will uns scheinen,
als ob die mißgünstige Kritik einen sehr durchsichtigen Grund +hat+ --
es macht den Eindruck, als ob das Stück der Zensurbehörde +vorlag+,
aber nicht die Sanktion +erhielt+ -- es war, als ob seit dem Einzuge
der verwitweten Tochter ein unheimlicher Druck auf dem ganzen Hause
+lag+.[70]

Soll nicht angedeutet werden, daß der in dem Vergleichungssatze
stehende Gedanke nicht wirklich sei, so kann (nach einem Präsens im
Hauptsatze) natürlich auch im Nebensatze der Konjunktiv der Gegenwart
stehen, z. B.: es +will+ mir scheinen, +als ob+ er geflissentlich die
Augen dagegen +verschließe+ -- es +gewinnt+ den Anschein, +als wolle+
der Verfasser das sittliche Gefühl des Zuschauers absichtlich verletzen
-- ich +habe+ die Empfindung, +als ob+ ihm die Welt zuweilen recht
verzerrt +erschienen sei+.


Würde

Wieviel zu der herrschenden Unsicherheit im Gebrauche der Modi die
Unsitte beiträgt, die Hilfszeitwörter wegzulassen, ist schon gezeigt
worden (vgl. S. 139). Nicht nur der Unterricht sollte darauf halten,
sondern auch jeder Einzelne sich selbst so weit in Zucht nehmen, daß
gerade da, wo ein Zweifel über den Modus entstehen kann, das bequeme
Auskunftsmittel, das Hilfszeitwort zu unterdrücken, verschmäht würde,
der Gedanke stets reinlich und bestimmt zu Ende gebracht würde. Für
den Konjunktiv des Imperfekts aber und seinen richtigen Gebrauch ist
insbesondere noch der Umstand verhängnisvoll geworden, daß man ihn
in Hauptsätzen zu Bedingungssätzen durch den sogenannten Konditional
(+würde+ mit dem Infinitiv) umschreiben kann (+ich würde bringen+
statt: +ich brächte+). Das hat nicht nur dazu geführt, daß sich viele
Leute von gewissen Zeitwörtern kaum noch einen wirklichen Konjunktiv
des Imperfekts zu bilden getrauen, daß sie sich überall da, wo sie
zweifeln (vgl. S. 62), mit dem kläglichen +würde+ behelfen, anstatt
sich die Kenntnis der richtigen Verbalform zu verschaffen, sondern sie
hat auch schon eine bedenkliche Verwirrung im Satzbau angerichtet.
Von Süddeutschland und namentlich von Österreich aus hat sich aus dem
fehlerhaften Hochdeutsch der Halbgebildeten immer mehr die Unsitte
verbreitet, den Konditional auch in Bedingungs- und Relativsätzen,
Vergleichungs- und Wunschsätzen anzuwenden.

Man schreibt: ich würde mich nicht wundern, wenn ich in einer Zeitung
+lesen würde+ (+läse+!) -- von großer Bedeutung wäre es, wenn sich der
Leserkreis des Blattes +erweitern würde+ (+erweiterte+) -- wir könnten
eine monumentale Sprache wiedergewinnen, wenn wir unser Denkmalschema
+verlassen würden+ (+verließen+!) -- wie schematisch würde eine
historische Darstellung ausfallen, wenn sie immer nur diese Maßstäbe
+anlegen würde+ (+anlegte+!) -- weniger Sauberkeit und Regelmäßigkeit
wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine glühende
Leidenschaft, ein hoher Sinn +offenbaren würden+ (+offenbarten+!) --
der Christ, der sich +einbilden würde+ (+einbildete+!), daß seine
Religion die Menschen zu Engeln gemacht habe, wäre ein Utopist --
der Stil seiner Abhandlung wird oft so hoch, als wenn er über Goethe
+schreiben würde+ (+schriebe+!) -- hat die Kochstunde geschlagen,
so muß das Feuer flackern, als ob es auf Kommando +gehen würde+
(+ginge+!) -- er fuhr mit den Händen auf und ab, als ob er +buttern
würde+ (+butterte+!) -- wenn man diese Arbeit eines Spezialisten auf
therapeutischem Gebiete durchstudiert, so bekommt man den Eindruck,
als wenn man das Urteil eines Richters +lesen würde+ (+läse+!), der
in eigner Sache entscheidet -- diese Romane tun, als +würden+ sie die
Laster nur der Sittlichkeit wegen +schildern+ (+schilderten+!) -- es
wäre zu wünschen, er +würde+ dieser Feier einmal +beiwohnen+ (+wohnte
bei+!) -- es wäre dringend erwünscht, daß das Polizeiamt dieser
Anregung Folge +geben würde+ (+gäbe+!) -- es gibt +keine+ Sphäre des
Lebens, deren Anfänge nicht im Unbewußten +liegen würden+ (+lägen+!) --
wenn nur wenigstens künstlerische Form ihre Darstellung +adeln würde+
(+adelte+!) -- der Engländer ist zu sachlich und zu praktisch, als daß
er selber beleidigend +auftreten würde+ (+aufträte+!) -- der Ernst des
militärischen Lebens läßt es sich ab und zu gefallen, daß das Blümlein
Humor an ihm emporwuchert, ohne daß sich dadurch das feste Gefüge der
Disziplin +lockern würde+ (+lockerte+!).

Ein wahres Wunder, daß wir den Kehrreim bei Mirza Schaffy und
Rubinstein: ach, wenn es doch immer so +bliebe+! nicht längst
verschönert haben zu: ach, wenn es doch immer +so bleiben würde+! Ein
wahres Wunder, daß wir das alte Volkslied: wenn ich ein Vöglein +wär+
und auch zwei Flüglein +hätt+! noch nicht umgestaltet haben zu: wenn
ich ein Vöglein +sein würde+ und auch zwei Flüglein +haben würde+!
Denn so müßte es doch eigentlich in dem schönen österreichischen
Zeitungshochdeutsch heißen! Im Volksdialekt heißt es freilich ganz
richtig: Wann i a Vögerl war (= wär) und a zwoa Flügerln hätt.

Nicht zu verwerfen ist es, wenn in Bedingungs- und Wunschsätzen
anstatt des Konjunktivs ein +wollte+, +sollte+ oder +möchte+ mit dem
Infinitiv erscheint. Der Satz kann hierdurch bisweilen eine feine
Färbung erhalten. Wenn ich mir das +erlauben wollte+ -- ist etwas
andres als das einfache: wenn ich mir das +erlaubte+, wenn er sich so
etwas +unterstehen sollte+ -- etwas andres als das einfache: wenn er
sich das +unterstünde+ -- wenn sich doch die Regierung einmal ernstlich
darum +kümmern möchte+ -- etwas andres als das einfache: wenn sie
sich doch einmal darum +kümmerte+. Eine so sinnvolle Verwendung der
Hilfszeitwörter ist natürlich mit dem inhaltlosen, nichtssagenden
+würde+ nicht auf eine Stufe zu stellen.


Noch ein falsches würde

Ein abscheulicher Stilunfug, der jetzt durch unsre gesamte
Erzählungsliteratur geht, ist die Schluderei, die Erzählung durch
eine abhängige (indirekte) Rede zu unterbrechen, ohne ein Zeitwort
des Sagens, Denkens oder Meinens vorauszuschicken oder wenigstens
einzuschalten. Etwa so: Trotz solcher bittern Erfahrungen ließ H. den
Mut nicht sinken. Er +würde+ nach Berlin gehn, +würde+ sich dort Arbeit
suchen, und es +würden+ auch wieder bessere Zeiten kommen. Jeder, der
das liest, glaubt zunächst, der Erzähler spreche weiter, „Er würde“
sei der Konjunktiv des Imperfekts, und es werde nun ein Bedingungssatz
folgen. Statt dessen ist der Satz als indirekte Rede dem Helden in den
Mund gelegt, und „Er würde“ soll der Konjunktiv des Futurums sein (in
direkter Rede: +ich werde+ nach Berlin gehn, +werde+ mir dort Arbeit
suchen, und es werden auch wieder bessere Zeiten kommen). Ein guter
Erzähler hätte etwa so geschrieben: Er +wollte+ nach Berlin gehn, er
+beschloß+, nach Berlin zu gehn, er +hoffte+, daß auch wieder bessere
Zeiten kommen würden. Das unvorbereitete Umspringen in die indirekte
Rede soll wohl der Darstellung etwas dramatisch lebendiges geben, es
ist aber eine Liederlichkeit. Leider ist sie in neuern Erzählungen
schon so verbreitet, daß sie dem gewohnheitsmäßigen Romanfresser gar
nicht mehr auffällt. Woher sie stammt? Wie es scheint, aus schlecht
übersetzten Erzählungen aus den skandinavischen Sprachen.


Der Infinitiv. Zu und um zu

In den Infinitivsätzen werden mannigfaltige Fehler gemacht. Vor allem
reißt eine immer größere Verwirrung in dem Gebrauch von +zu+ und
+um zu+ ein, und zwar so, daß sich +um zu+ immer öfter an Stellen
drängt, wo nur +zu+ hingehört. Und doch ist zwischen beiden ein großer
Unterschied. Der Infinitiv mit +um zu+ bezeichnet den Zweck einer
Handlung; der Infinitiv mit +zu+ dagegen dient zur Begriffsergänzung
des Hauptworts oder Zeitworts, von dem er abhängt. In einem Satze wie:
die schönen Tage +benutzte+ ich, die Gegend +zu durchstreifen+, +um+
meine Gesundheit +zu kräftigen+ -- ist der Sinn von +zu+ und +um zu+
deutlich zu sehen. Ich benutzte die schönen Tage -- das verlangt eine
Ergänzung. Wozu denn? fragt man; das bloße +benutzte+ sagt noch nichts.
Die notwendige Ergänzung lautet: die Gegend +zu durchstreifen+. Aber
das ist kein Zweck; der Zweck wird dann noch besonders angegeben: +um+
meine Gesundheit +zu kräftigen+.[71]

Solche ergänzungsbedürftige Begriffe gibt es nun in Menge. Von
Hauptwörtern gehören dazu: +Art und Weise+, +Mittel+, +Macht+, +Kraft+,
+Lust+, +Absicht+, +Versuch+, +Zeit+, +Alter+, +Geld+, +Gelegenheit+,
+Ort+, +Anlaß+ usw., von Zeitwörtern: +imstande sein+, +genug+ (+groß
genug+, +alt genug+ usw.) +sein+, +genügen+, +hinreichen+, +passen+,
+geeignet sein+, +angetan sein+, +dasein+, +dazu gehören+, +dienen+,
+benutzen+ usw. Auf alle diese Begriffe darf nur der Infinitiv mit
+zu+ folgen.[72] Dennoch wird jetzt immer öfter geschrieben: es wurde
eine günstige +Gelegenheit+ benutzt, +um sich+ einen Weg durch die
Feinde zu +bahnen+ -- hierin sehen wir das beste +Mittel+, +um+ einem
Mißbrauch der Staatssteuer +vorzubeugen+ -- als er endlich +Kraft+
und +Lust+ fühlte, +um+ sich an monumentalen Aufgaben zu +versuchen+
-- sogar eine Übung mit dem Zeitwort muß den +Anlaß+ geben, +um+ den
Rachekrieg +zu predigen+ -- wo ist in der Türkei ein +Mann+, +um so+
umfassende Aufgaben +durchzuführen+? -- wenn man wirklich einmal die
+Zeit+ gewinnt, +um+ ein aus dem Drange des Herzens geschaffnes Werk
+zu vollenden+ -- nach den Vorbereitungen für die Schule behielt
sie noch +Zeit+ übrig, +um+ deutsche Gedichte +zu lesen+ -- alle
waren in dem +Alter+, +um+ die Gefahr +zu begreifen+ -- wie viele
Schulbibliotheken haben kein +Geld+, +um+ sich Rankes Weltgeschichte
+zu kaufen+! -- er hatte das nötige +Geld+, +um+ durch Reisen seinen
Wissensdurst +zu befriedigen+ -- es +gehört+ schon eine bedeutende
Einnahme +dazu+, +um+ sich eine anständige Wohnung +verschaffen zu
können+ -- manche Aufzeichnungen scheinen mir nicht +geeignet+, +um+
einen Platz in diesen Denkwürdigkeiten +zu finden+ -- die Zeitlage
ist nicht dazu +angetan+, +um+ diese Forderungen +zu bewilligen+ --
den Aufenthalt in Berlin +benutzte+ ich, +um+ mich auch den ältern
Fachgenossen +vorzustellen+ -- die Arbeiter +sind+ nur dazu +da+,
+um+ den Hausbesitzern eine möglichst hohe Grundrente +zu sichern+
-- sind diese Gründe wirklich +genügend+, +um+ das Bestehen einer
solchen Einrichtung +zu rechtfertigen+? -- ist unsre Sprache noch
+jung genug+, +um+ (!) neue Wörter +zu erzeugen+? -- ein Jahrhundert
ist +lang genug+, +um+ (!) in der Sprache erhebliche Änderungen
+hervorzurufen+ -- der deutsche Geist war +stark genug+ geworden,
+um+(!) die fremden Ketten +zu brechen+ -- ich muß abwarten, ob ihm
mein Wesen +Interesse genug+ einflößen wird, +um+(!) sich mit mir
abzugeben. Eine Zeitung schreibt: die englische Regierung wird +nichts
tun+, +um+ die Gemeinsamkeit in dem Vorgehen der Mächte +zu stören+.
Das kann doch nur heißen: sie wird sich untätig verhalten, damit sie
das gemeinsame Vorgehen der Mächte störe. Es soll aber heißen: sie wird
alles unterlassen, was das gemeinsame Vorgehen stören könnte. Solches
Unheil richtet das dumme +um+ an!

Namentlich hinter den Verbindungen mit +genug+ hat +um zu+ gewaltig um
sich gegriffen, obwohl sich die lebendige Sprache meist noch mit dem
bloßen zu begnügt, und die Mutter zu ihrem Jungen ganz richtig sagt:
du bist +alt genug+, das +zu begreifen+! Vollends verdrängt worden
ist aber das ursprüngliche einfache +zu+ nach den mit +zu+ verbundnen
Adjektiven: Gott ist +zu hoch+, +um+ sich um die Kleinigkeiten der
Welt +zu kümmern+ -- der Stoff ist viel +zu umfänglich+, +um+ ihn
in öffentlichen Vorlesungen +zu behandeln+ -- sie haben +zu wenig+
Bildung, +um+ ihre Taktlosigkeiten +zu erkennen+ -- die Mannschaft ist
+zu gering+, +um+ einen festen Stützpunkt für die Schulung der Rekruten
+abzugeben+. Auch hier genügt überall das einfache +zu+ und hat auch
früher genügt. (Freilich heißt es auch schon im Faust: Ich bin +zu
alt+, +um+ nur +zu spielen+, +zu jung+, +um+ ohne Wunsch +zu sein+.)

Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist es nicht nötig, daß
das Subjekt des Infinitivsatzes immer dasselbe sei wie das des
Hauptsatzes. Doch ist es gut, dabei vorsichtig zu sein. Es braucht bei
Verschiedenheit des Subjekts nicht immer solcher Unsinn herauszukommen
wie in dem Satze: +ohne Gefahr zu ahnen+, +geriet ein+ vom Abhange
rollender +Stein+ unter das Vorderrad des Wagens -- es sind auch solche
Sätze schlecht wie: die Kurfürstin ließ den Hofprediger rufen, um sie
mit den Tröstungen der Religion +zu erquicken+; hier wird nur der
Fehler durch den Gegensatz der Geschlechter verschleiert. Man setze
statt der Kurfürstin den Kurfürsten, und sofort entsteht Unsinn, sofort
müßte der Infinitivsatz geändert und geschrieben werden, +um sich+ von
ihm mit den Tröstungen der Religion +erquicken zu lassen+. Erträglich
sind aber folgende Sätze: der achteckige Aufbau soll wegfallen, +um+
Turm und Schiff in größern Einklang +zu bringen+ -- das Fechten mit der
blanken Waffe sollte fleißig geübt werden, +um+ nötigenfalls mit der
eignen Person +eintreten zu können+ -- zurzeit liegt die Fregatte im
Trockendock, +um+ sie für die Winterreise +vorzubereiten+. Hier schwebt
beim Infinitiv ein unbestimmtes Subjekt (+man+) vor.

Vorsichtig muß man auch mit einer Anwendung des Infinitivs mit
+um zu+ sein, die manche sehr lieben, nämlich der, von zwei
aufeinanderfolgenden Vorgängen den zweiten als eine Art von Verhängnis
oder Schicksalsbestimmung hinzustellen und dabei in die Form eines
Absichtssatzes zu kleiden, z. B.: der Herzog kehrte nach F. zurück, um
es nie wieder +zu verlassen+. Der Sinn ist: es war ihm vom Schicksal
bestimmt, es nie wieder zu verlassen, während seine Absicht vielleicht
war, es noch recht oft zu verlassen. Man kann diesen Gebrauch das
ironische +um zu+ nennen. Es entsteht aber sehr oft ein lächerlicher
Sinn dabei, z. B.: er wurde in dem Kloster Lehnin beigesetzt, +um+
später in den Dom zu Kölln an der Spree +überführt+ (!) +zu werden+
-- er schloß sich der Emin-Pascha-Expedition an, +um+ ein trauriges
Ende dabei +zu finden+ -- täglich wird eine Masse von Konzert- und
Theaterberichten geschrieben, +um+ schnell wieder +vergessen zu
werden+ -- beim Eintreffen der Feuerwehr brannte das Gebäude bereits
vollständig, +um+ schließlich +einzustürzen+ -- die Einzeichnungen
beginnen im Jahre 1530, +um+ schon im Jahre 1555 wieder +abzubrechen+
-- vor etwa dreißig Jahren sind die Niersteiner Quellen versiegt, +um+
erst neuerdings wieder +hervorzubrechen+ -- nach einigen Jahren wandte
er sich nach Magdeburg, doch nur, +um+ dort in noch größere Bedrängnis
+zu geraten+ -- die Schwestern reisten in die Schweiz, wo sie sich
trennten, +um+ sich nie +wiederzusehen+. Das Richtige wären hier
überall zwei Hauptsätze.

Mit dem Hilfszeitwort +sein+ verbunden kann der Infinitiv mit +zu+
sowohl die Möglichkeit wie die Notwendigkeit ausdrücken; das
+ist zu erreichen+ heißt: das +kann+ erreicht werden, das +ist zu
beklagen+ heißt: das +muß+ beklagt werden. Daher muß man sich vor
Zweideutigkeiten hüten, wie: ein Fräulein sucht Stelle bei einem
geistlichen Herrn; gute Zeugnisse +sind vorzulegen+.


Das Partizipium. Die stattgefundne Versammlung

Partizipia hat unsre Sprache nur zwei: ein aktives in der Gegenwart
(ein +beißender+ Hund, d. i. ein Hund, der beißt), und ein passives in
der Vergangenheit (ein +gebissener+ Hund, d. i. ein Hund, der +gebissen
worden+ ist).[73] Für die Gegenwart fehlt es an einem passiven, für
die Vergangenheit an einem aktiven Partizipium; weder ein Hund, der
gebissen +wird+, noch ein Hund, der gebissen +hat+, kann durch ein
Partizip ausgedrückt werden.[74] Nur wirkliche Passiva von transitiven
Zeitwörtern und im Aktiv solche Intransitiva, die sich zur Bildung der
Vergangenheit des Hilfszeitworts +sein+ bedienen (+gehen+, +laufen+,
+sterben+), können ein Partizip der Vergangenheit bilden (+gegangen+,
+gelaufen+, +gestorben+).

Diese Schranke hat aber nicht immer bestanden. In der ältern Zeit
ist das Partizipium der Gegenwart auch im passiven Sinne gebraucht
worden. Noch im achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
sagte man ganz unbedenklich: zu einer +vorhabenden Reise+, zu seinem
+vorhabenden+ neuen +Bau+, sein vor dem Tore +besitzendes Haus+, das
gegen mich +tragende Vertrauen+, laut der in Händen +habenden Urkunde+,
die Briefe des sich von meiner +unterhabenden Kompagnie+ selbst
entleibten (!) Unteroffiziers, er nahm dem Erschlagnen die bei sich
+tragenden Pretiosen+ ab, wir konnten uns nur mit Mühe den +bedürfenden
Bissen+ Brot verschaffen usw., ja man sprach sogar von +essender Ware+
(statt von +Eßware+). Aber diese Erscheinung ist doch nach und nach
durch den Unterricht beseitigt worden. Höchst selten kommt es vor, daß
man in einer Zeitung noch heute einen Satz liest wie: er hatte nichts
eiligeres zu tun, als ihm eine +in der Hand haltende Flasche+ an den
Kopf zu werfen. Verkehrt aber wäre es, die +fahrende Habe+ mit unter
diese Ausdrücke zu rechnen, denn hier hat das Partizip wirklich aktiven
Sinn, wie bei dem +fahrenden Volke+: der Fuhrmann +führt+ die Habe, die
Habe aber +wird geführt+, oder sie +fährt+ (vgl. S. 56).

Andrerseits hat man nach dem Beispiel der intransitiven Partizipia
schon frühzeitig angefangen, auch passive Partizipia von transitiven
Zeitwörtern aktivisch zu verwenden. Einzelne Beispiele davon haben
sich so in der Sprache eingebürgert, daß sie gar nicht mehr als falsch
empfunden werden; man braucht nur an Verbindungen zu denken wie: ein
+geschworner+ Bote, ein +abgesagter+ Feind, ein +gedienter+ Soldat,
ein +gelernter+ Kellner, ein +studierter+ Mann, ein +erfahrner+ Arzt,
ein +verdienter+ Schulmann usw. Alle diese Partizipia haben aktive
Bedeutung, auch der +abgesagte+ Feind, der natürlich ein Feind ist,
der einer Person oder einer Sache +abgesagt+, ihr gleichsam die Absage
geschickt +hat+; aber sie werden kaum noch als Partizipia gefühlt,
man fühlt und behandelt sie wie Adjektiva. Auch Verneinungen solcher
Partizipia sind gebildet worden, wie +ungepredigt+, +ungefrühstückt+:
er mußte +ungepredigt+ wieder von der Kanzel gehen. Aber auch diese
Verirrung ist doch im Laufe der Zeit durch den Unterricht beseitigt
worden, und heute erscheint es uns unerträglich, zu sagen: der
vormals zu diesem Hause +gehörte+ Garten, die zwischen den Parteien
+gewaltete+ Uneinigkeit, eine im vorigen Jahrhundert +obgeschwebte+
Rechtssache, durch Dekoration leicht +gelittene+ Artikel, die dem Feste
+beigewohnten+ Mitglieder, die an der Feier +teilgenommenen+ Offiziere,
Nacht verhüllte seinen ihm so lange +gestrahlten+ Glücksstern,[75]
und nun vollends in Verbindung mit einem Objekt: die das Zeitliche
+gesegneten+ Mitglieder, das den Lokomotivführer +betroffne+ Unglück,
eine inzwischen Gesetzeskraft +erlangte+ Übereinkunft, die im
vorigen Jahre eingerichtete und sehr günstige Aufnahme +gefundne+
Auskunftsstelle, trotz ihres hohen nun schon ein Jahrhundert
+überschrittnen+ Alters. Vor allem aber unerträglich erscheinen die
+stattgehabte+ und die +stattgefundne+ Versammlung. Je häufiger die
beiden Zeitwörter +statthaben+ und +stattfinden+ -- namentlich das
zweite -- ohnehin in unsrer Amts- und Zeitungssprache verwandt werden,
je lebendiger man sie also als Zeitwörter, und zwar als aktive, mit
einem Objekt verbundne Zeitwörter (+Statt finden+, d. h. Platz finden)
fühlt, desto widerwärtiger sind für jeden Menschen, der sich noch
etwas Sprachgefühl bewahrt hat, diese zahllosen +stattgefundnen+
Versammlungen, Beratungen, Verhandlungen, Wahlen, Prüfungen,
Untersuchungen, Audienzen, Feuersbrünste usw.[76]

Sie sind aber doch so kurz und bequem, soll man denn immer Nebensätze
bilden? Nein, das soll man nicht; aber man soll ein klein wenig
nachdenken, sich in dem Reichtum unsrer Sprache umsehen und dann
schreiben: die +veranstaltete+ Feier, die +abgehaltne+ Versammlung,
die +vorgenommne+ Abstimmung, die +angestellte+ Untersuchung, die
+bewilligte+ Audienz, die +ausgebrochne+ Feuersbrunst usw., oder
man soll, was in tausend Fällen das gescheiteste ist, das müßige
Partizipium ganz weglassen. Die +stattgefundne Untersuchung+ ergab --
kann denn eine Untersuchung etwas ergeben, die +nicht+ stattgefunden
hat? In R. ereignete sich bei einer +stattgehabten Feuersbrunst+ das
Unglück -- kann sich auch ein Unglück ereignen bei einer Feuersbrunst,
die nicht stattgehabt hat? Über den +stattgefundnen Wechsel+ im
Ministerium sind unsre Leser bereits unterrichtet -- können die Leser
auch unterrichtet sein über einen Wechsel, der +nicht+ stattgefunden
hat?

Nicht viel besser als die +stattgefundnen+ Versammlungen sind aber auch
der bei einem Meister in Arbeit +gestandne Geselle+ und der seit langer
Zeit hier +bestandne Saatmarkt+, das früher +bestandne Hindernis+ und
das lange +bestandne+ freundschaftliche +Verhältnis+. Freilich sagt
man in Süddeutschland: er +ist gestanden+ (vgl. S. 59), und er +ist
bestanden+[77]; aber in der Schriftsprache empfindet man das doch als
Provinzialismus. Es gibt aber sogar Schulräte, die nicht bloß von
+bestandnen Prüfungen+, sondern auch von +bestandnen Kandidaten+ reden!
Dann darf man sich freilich nicht mehr über die Zeitungschreiber und
die Kanzlisten wundern.[78]


Das sich ereignete Unglück

Aus dem vorigen ergibt sich von selbst, warum man auch nicht sagen
darf: das +sich gebildete+ Blatt. Alle reflexiven Zeitwörter
gebrauchen in der Vergangenheit das Hilfszeitwort +haben+, können
also kein Partizip der Vergangenheit bilden. Falsch sind daher alle
Verbindungen wie: der +sich ereignete+ Jagdunfall, die +sich bewährte+
Geistesbildung, der von hier +sich entfernte+ Lehrer, die +sich
davongemachten+ Zuschauer, der +kürzlich+ hier +sich niedergelassene+
Bildhauer, die +sich+ zahlreich +eingefundnen+ Konzertbesucher, die
am 9. August +sich+ (!) +angefangne+ Woche, das schon längst +sich+
fühlbar +gemachte+ Bedürfnis, das +sich+ irrtümlich +eingeschlichne+
Wort, das ehemals so weit +sich ausgebreitete+ Lehrsystem, ein +sich+
aus den Kinderschuhen glücklich +herausentwickelter+ Jüngling, ein in
der Mauerritze +sich eingenisteter+ Brombeerstrauch. Ein Partizip wäre
hier nur dann möglich, wenn man sagen wollte: der +sich eingenistet
habende+ Brombeerstrauch, eine Verbindung, die natürlich aus dem Regen
in die Traufe führen würde. Es bleibt auch in solchen Fällen nichts
übrig, als einen Relativsatz zu bilden: ein Brombeerstrauch, +der sich+
in der Mauerritze +eingenistet hatte+.


Hocherfreut oder hoch erfreut?

Leipziger Geburtsanzeigen werden nie anders gedruckt als: Durch
die glückliche Geburt eines Knaben wurden +hocherfreut+ usw. --
auch Zeitungen schreiben: das gesamte Personal der Firma ist durch
Jubelgaben +hocherfreut+ worden -- Gutenberg ist dieses Jahr in vielen
deutschen Städten +hochgefeiert+ worden -- und auf Buchtiteln liest
man: in dritter Auflage +neubearbeitet+ von usw. Welche Verirrung!
Ein Partizip kann Verbalform sein, es kann auch Nomen sein.[79] Aber
nur dann, wenn es Nomen, also Adjektiv ist, kann ein hinzugefügtes
Adverb damit zu +einem+ Worte verwachsen: wie man von +hochadligen
Eltern+ reden kann, so auch von +hocherfreuten+ Eltern. Wie soll
aber ein Adverb mit dem Partizip zusammenwachsen, wenn das Partizip
Verbalform ist? Wir sind +hocherfreut worden+ -- so könnte man doch nur
schreiben, wenn es ein Zeitwort +hocherfreuen+ gäbe: ich +hocherfreue+,
du +hocherfreust+ usw. Dasselbe gilt natürlich vom Infinitiv und bei
intransitiven Zeitwörtern vom ~Verbum finitum~; es ist töricht, wenn
Zeitungen schreiben: der Kronprinz ließ das Brautpaar +hochleben+, der
Vortrag wird +hochbefriedigen+, +feststeht+, daß der Minister nicht
zurücktreten wird, denn es gibt kein Zeitwort: ich +hochlebe+, ich
+hochbefriedige+, ich +feststehe+.

Ebenso wie mit den Adverbien ist es auch mit den Objekten. Man kann
wohl schreiben: die +notleidende+ Landwirtschaft, aber falsch ist es,
im Infinitiv zu schreiben: +notleiden+; denn es gibt kein Zeitwort: ich
+notleide+.

Es handelt sich hier durchaus nicht bloß um einen „orthographischen“
Fehler oder gar bloß um eine gleichgiltige orthographische Abweichung,
sondern in der falschen Schreibung verrät sich ein grober Denkfehler.


Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes

Wie es oft geschieht, daß ein Gedanke, der eigentlich durch einen
Hauptsatz ausgedrückt werden müßte, unlogischerweise in einen
Relativsatz gebracht wird (vgl. S. 130), so packt man oft auch einen
Hauptgedanken in ein attributives Partizip und schreibt: hier ist
das bisher noch von keiner Seite +bestätigte+ Gerücht verbreitet --
die neue Auflage hat die von dem Verfasser getreulich +benutzte+
Gelegenheit gegeben, manches nachzutragen -- ich sandte ausführliche,
in freundlichster Weise +beantwortete+ Fragebogen an folgende
Bibliotheken -- der Mörder nahm die Nachricht von seiner gestern früh
+erfolgten+ Hinrichtung gefaßt entgegen -- mit klopfendem Herzen betrat
ich das Auditorium, um die in der Bohemia +abgedruckte+ Antrittsrede
zu halten -- die anonym +einzureichenden+ Bewerbungsschriften sind
in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu verfassen.
Da fragt man doch: in welcher Sprache sind denn die nicht anonym
einzureichenden zu verfassen? Und war denn die Antrittsrede wirklich
schon gedruckt, als der Verfasser das Auditorium betrat? Natürlich
soll es heißen: um die Antrittsrede zu halten, die dann in der Bohemia
abgedruckt wurde -- die Bewerbungsschriften sind anonym einzureichen
und in deutscher Sprache abzufassen.

Nicht viel besser ist es, wenn ein Partizipsatz statt eines Hauptsatzes
gesetzt wird, z. B.: im Jahre 1850 in den Generalstab +zurücktretend+
(+getreten+!), +wurde+ B. 1858 zum persönlichen Adjutanten des Prinzen
Friedrich Karl +ernannt+ -- er ging zunächst nach Paris, dann nach
London, an beiden Plätzen im Bankfach +arbeitend+ -- oder gar: in der
Einleitung +stellt+ Friedländer die Entwicklung des deutschen Liedes
dar, hierauf (!) eine übersichtliche Bibliographie +bringend+ -- Jürgen
lief in die Apotheke, nach wenig Augenblicken (!) mit einer großen
Medizinflasche +zurückkehrend+. Während in den zuerst angeführten
Beispielen eine Art von Schnelldenkerei vorliegt -- die Verfasser haben
es gleichsam nicht erwarten können, zu sagen, was sie sagen wollten
--, handelt sichs in den letzten nur um einen ungeschickten Versuch,
in den Ausdruck Abwechslung zu bringen. Der Sinn verlangt statt dieser
Partizipialsätze Hauptsätze.


Falsch angeschloßnes Partizipium

Noch größer als bei Infinitivsätzen mit +um zu+ ist bei
Partizipialsätzen die Gefahr eines Mißverständnisses, wenn das Partizip
an ein anderes Wort im Satze als an das Subjekt angelehnt wird; das
nächstliegende wird es auch hier immer sein, es auf das Subjekt des
Hauptsatzes zu beziehen. Entschieden schlecht sind also Verbindungen
wie folgende: +angefüllt+ mit edelm Rheinwein, überreiche ich Eurer
Majestät diesen +Becher+ -- kaum +heimgekehrt+, wandte sich die
engherzigste Philisterei gegen +ihn+ -- einmal +gedruckt+, kehre ich
+dem Buche+ den Rücken -- +erhaben+ über Menschenlob und dessen +nicht
bedürftig+, wissen wir, was wir an +unserm Fürsten+ haben -- an der
Begründung unsers Unternehmens wesentlich +beteiligt+ und während der
ganzen Dauer desselben an der Spitze des Aufsichtsrates +stehend+,
verdanken wir der Tatkraft und Geschäftskenntnis des verehrten
+Mannes+ unendlich viel -- +abstoßend+, schroff, von der mildesten
Güte, verschlossen und hingebend, konnte man ganz irre an +ihm+ werden
-- durch Rotationsdruck +angefertigt+, sind wir in der Lage, das
+Verzeichnis+ zu einem Spottpreis zu liefern -- +mich umdrehend+ grüßt
+mich+ im Osten Schloß Johannisberg. Besonders beliebt ist es jetzt,
das Partizip +anschließend+ so zu verbinden, daß man eine Zeit lang im
Satze suchen muß, worauf es sich eigentlich beziehen soll, z. B.: schon
in Ingolstadt hatte er sich, +anschließend+ an seine astronomischen
Arbeiten, optischen Studien gewidmet. Das +anschließend+ soll hier auf
Studien gehen: er schloß die optischen Studien an seine astronomischen
Arbeiten an. Ebenso: +anschließend+ an diese allgemeine Einführung,
dürfte es zweckmäßig sein, einmal das +Gebiet+ der Einzelheiten zu
übersehen. Das schlimmste ist es, vor den Hauptsatz ein absolutes
Partizip zu stellen, für das man sich dann vergebens in dem Satze
nach einem Begriff umsieht, auf den es bezogen werden könnte, z. B.:
wiederholt +lächelnd+ und lebhaft +grüßend+, fuhr das Kriegsschiff
vorüber. Die Partizipia sollen sich auf -- den Kaiser beziehen!
Es braucht nicht immer ein so lächerlicher Sinn zu entstehen wie
hier, auch so beliebte Partizipia wie: +dies vorausgesetzt+, +dies
vorausgeschickt+, +dies zugegeben+ u. ähnl. sind nicht schön. Ja man
kann noch weiter gehen und sagen: das unflektierte Partizip überhaupt,
wenigstens das der Gegenwart (1870 wandte er sich an Richard Wagner,
ihn +fragend+ -- er schlich sich feige davon, nur ein kurzes Wort des
Abschieds +zurücklassend+ -- der Vorsitzende entbot den Versammelten
ein herzliches Willkommen, dankbar des Erscheinens der Ehrengäste
+gedenkend+ und seiner Freude über die Zuwendung reicher Preise
+Ausdruck gebend+), hat im Deutschen immer etwas unlebendiges, steifes;
die Sprache erscheint darin wie halb erstarrt.


In Ergänzung

Wie Ungeziefer hat sich in den letzten Jahren eine Ausdrucksweise
verbreitet, die die verschiedenartigsten Nebensätze und ganz besonders
auch den Infinitiv und das Partizip ersetzen soll: die Verbindung von
+in+ mit gewissen Hauptwörtern, namentlich auf +ung+. Den Anfang
scheinen +in Erwägung+ und +in Ermanglung+ gemacht zu haben[80];
diese beiden haben aber schon ein ganzes Heer ähnlicher Verbindungen
nach sich gezogen, und das Ende ist noch nicht abzusehen, jede Woche
überrascht uns mit neuen. Briefe von Beamten und Geschäftsleuten
fangen kaum noch anders an als: +in Beantwortung+ oder +in Erwiderung+
Ihres gefälligen Schreibens vom usw., ein Aufsatz wird geschrieben
+in Anlehnung+ oder +in Anknüpfung+ an ein neu erschienenes Buch,
ein Abschied wird bewilligt +in Genehmigung+ eines Gesuchs, eine
Zeitungsmitteilung wird gemacht +in Ergänzung+ oder +in Berichtigung+
einer frühern Mitteilung oder +in Fortsetzung+ des gestrigen Artikels,
der Polizeirat vollzieht eine Handlung +in Vertretung+ oder +in
Stellvertretung+ des Polizeidirektors, ein Vereinsmitglied leitet die
Verhandlungen +in Behindrung+ des Vorsitzenden, eine Auszeichnung wird
jemand verliehen +in Anerkennung+ seiner Verdienste, ein Mord wird
begangen +in Ausführung+ früherer Drohungen, eine Bibliothek wird
gestiftet +in Beschränkung+ auf gewisse Fächer usw.; man schreibt: +in
Erledigung+ Ihres Auftrags -- +in Würdigung+ der volkswirtschaftlichen
Wichtigkeit des Sparkassenwesens -- +in Anspielung+ auf eine frühere
Reichstagsrede -- +in Wahrung+ meiner Interessen weise ich jeden
solchen Versuch zurück -- +in Vervollständigung+ der Zirkularnote des
Ministeriums -- +in Veranlassung+ des 25jährigen Geschäftsjubiläums
-- +in Begründung+ der Anklage beantragte der Staatsanwalt -- +in
Überschätzung+ dieses Umstandes oder +in Entstellung+ des Sachverhalts
behauptete er -- +in Ausführung+ von § 14 des Ortsstatuts bringen wir
zur Kenntnis -- man gebe den Behörden +in Ausdehnung+ von § 39 die
Befugnis -- +in Verfolgung+ dieses Zieles hatte Schliemann die obere
Schicht zerstört -- +in Befolgung+ seiner Befehle wurden noch weitere
Gebietsteile unterworfen -- die Schauspielkunst hat es, +in Abweichung+
von dem eben gesagten, mit Gehör und Gesicht zugleich zu tun -- +in
Nachahmung+ einer bei der Kreuzschule bestehenden Einrichtung wurden
zwei Diskantistenstellen begründet -- der +in Verlängerung+ des
Neumarkts durch die Promenade führende Fußweg usw. Vor einigen Jahren
ging sogar eine Anekdote aus den Memoiren der Madame Carette durch die
Zeitungen, wonach Bismarck dieser Dame auf einem Ball am Hofe Napoleons
eine Rose überreicht haben sollte, mit den Worten: wollen Sie diese
Rose annehmen +in Erinnerung+ an den letzten Walzer, den ich in meinem
Leben getanzt habe.

Wer ein wenig nachdenkt, sieht, daß hier die verschiedensten logischen
Verhältnisse in ganz mechanischer Weise gleichsam auf eine Formel
gebracht sind, wie sie so recht für denkfaule Leute geschaffen ist. In
einem Teile dieser Verbindungen soll +in+ den Beweggrund ausdrücken,
der doch nur durch +aus+ oder +wegen+ bezeichnet werden kann; +in
Ermanglung+, +in Anerkennung+, +in Überschätzung+, +in Behindrung+ --
das soll heißen: +aus Mangel+, +aus Anerkennung+, +aus Überschätzung+,
+wegen Behindrung+. Wenn Nebensätze dafür eintreten sollten, so könnten
sie nur lauten: +weil+ es mangelt, +weil+ er behindert ist, +weil+
wir anerkennen, +weil+ er überschätzt. In einem andern Teile soll
+in+ den Zweck bezeichnen, der doch nur durch +zu+ ausgedrückt werden
kann; +in Ergänzung+, +in Berichtigung+, +in Vervollständigung+, +in
Erinnerung+ -- das soll heißen: +zur Ergänzung+, +zur Berichtigung+,
+zur Vervollständigung+, +zur Erinnerung+. Mit einem Nebensatze könnte
man hier nur sagen: +um zu+ ergänzen, +um zu+ berichtigen, +um zu+
vervollständigen, +damit Sie+ sich erinnern. Wieder in andern Fällen
wäre +als+ am Platze statt in: ein Weg wird +als+ Verlängerung des
Neumarkts durch die Promenade geführt, ein Brief wird geschrieben
+als+ Antwort auf einen andern, der Polizeirat unterschreibt +als+
Stellvertreter des Polizeidirektors. Nur in wenigen Fällen bezeichnet
das +in+ wirklich einen begleitenden Umstand, wie man ihn sonst durch
+indem+ oder durch das Partizip ausdrückt: ich schreibe einen Aufsatz,
+anknüpfend+ an ein neues Buch, oder +indem+ ich an das Buch anknüpfe;
dafür ließe sich ja zur Not auch sagen: +in Anknüpfung+, wiewohl auch
das nicht gerade schön ist. +Indem+ der Staatsanwalt die Anklage
begründete, beantragte er das höchste Strafmaß -- auch dafür kann
man sagen: in +seiner Begründung+ (+seiner+ darf nicht fehlen).[81]
Aber wie ist es möglich, das alles in einen Topf zu werfen: Ursache,
Grund, Zweck, begleitende Umstände, vorübergehende oder dauernde
Eigenschaften? Wie können wir uns solchem Reichtum gegenüber freiwillig
zu solcher Armut verurteilen? Es handelt sich hier um nichts als
eine Modedummheit, die unter dem Einflusse des Französischen und des
Englischen (~en conséquence~, ~en réponse~, ~in remembrance~, ~in
reply~, ~in answer~, ~in compliance with~, ~in his defence~ u. ähnl.)
aufgekommen ist, und die nun gedankenlos nachgemacht und dabei
immer weiter ausgedehnt wird. Es wird noch dahin kommen, daß jemand
1000 Mark erhält +in Bedingung+ der Rückzahlung oder +in Belohnung+
treuer Dienste oder +in Entschädigung+ für einen Verlust oder +in
Unterstützung+ seiner Angehörigen; es ist nicht einzusehen, weshalb
nicht auch das alles durch +in+ und ein Hauptwort auf +ung+ sollte
ausgedrückt werden können.


Das Attribut

Unter den Erweiterungen, die ein Satzglied erfahren kann, stehen obenan
das Attribut und die Apposition.

Ein Attribut kann zu einem Hauptwort in vierfacher Form treten:
als Adjektiv (ein +schöner Tod+), als abhängiger Genitiv (der +Tod
des Kriegers+), als Bestimmungswort einer Zusammensetzung (der
+Heldentod+), endlich in Form einer adverbialen Bestimmung (der
+Tod auf dem Schlachtfelde+, der +Tod fürs Vaterland+). Auch gegen
die vierte Art ist, wie ausdrücklich bemerkt werden soll, nichts
einzuwenden; es ist untadliges Deutsch, wenn man sagt: das +Zimmer
oben+, eine +Wohnung in der innern Stadt+, der +Weg zur Hölle+, die
+Tötung im Duell+, die preußische +Mobilmachung im Juni+ usw. Manche
getrauen sich zwar nicht, solche Attribute zu schreiben, sie meinen
immer ein +befindlich+, +belegen+ (be!), +stattgefunden+, +erfolgt+
oder dgl. dazusetzen zu müssen; aber das ist eine überflüssige und
häßliche Umständlichkeit.

Bisweilen kann man ja nun zwei solche Attributarten miteinander
vertauschen, ohne daß der Sinn verändert wird, aber durchaus nicht
immer. Auf wenigen Gebieten unsrer Sprache herrscht aber jetzt eine so
grauenvolle Verwirrung wie auf dem der Attributbildung; hier wird jetzt
tatsächlich alles durcheinander gequirlt.


Leipzigerstraße oder Leipziger Straße?

Wie würde man wohl über jemand urteilen, der ein +Fremdenbuch+ nicht
von einem +fremden Buch+, einen +kranken Wärter+ nicht von einem
+Krankenwärter+, eine +Gelehrtenfrau+ nicht von einer +gelehrten Frau+,
+Bekanntenkreise+ nicht von +bekannten Kreisen+, ein +liebes Lied+
nicht von einem +Liebeslied+, eine +Hoferstraße+ (nach Andreas Hofer
genannt) nicht von einer +Hofer Straße+ (nach der Stadt Hof in Bayern
genannt) unterscheiden könnte? Genau dieselbe Dummheit ist es, wenn
jemand +Leipzigerstraße+ schreibt statt +Leipziger Straße+.

Die von Ortsnamen (Länder- und Städtenamen) abgeleiteten Bildungen
auf +er+ sind unzweifelhaft eigentlich Substantiva. +Österreicher+
und +Passauer+ bedeutet ursprünglich einen Mann aus Österreich oder
aus Passau. Als Adjektiva hat die ältere Sprache solche Bildungen
nicht gebraucht, die Adjektiva bildete sie von Länder- und Städtenamen
auf +isch+: +meißnisch+ (meißnische Gulden), +torgisch+ (von Torgau,
torgisches Bier), +lündisch+ (von London, lündisches Tuch), +parisisch+
(parisische Schuhe schreibt noch der junge Goethe statt Pariser Fuß).
Nun ist freilich zwischen diesen beiden Bildungen schon längst
Verwirrung eingerissen: die Formen auf +er+ sind schon frühzeitig auch
im adjektivischen Sinne gebraucht worden. Lessing schrieb noch 1768
eine +Hamburgische Dramaturgie+, Goethe aber schon 1772 Rezensionen
für die +Frankfurter Gelehrten Anzeigen+. Natürlich sind nun die
Bildungen auf +er+ dadurch, daß sie adjektivisch gebraucht werden,
nicht etwa zu Adjektiven geworden (vgl. S. 38); sie können aber doch
vor andern Substantiven wie Adjektiva gefühlt werden, wie am besten
daraus hervorgeht, daß manche Leute Adverbia dazusetzen, wie +echt
Münchner+ Löwenbräu, statt +echtes Münchner+ oder +echt Münchnisches+
Löwenbräu, +echt Harzer Sauerbrunnen+.[82] Dennoch haben sich im Laufe
der Zeit zwischen den Bildungen auf +er+ und denen auf +isch+ auch
wieder gewisse Grenzen festgesetzt. Von manchen Länder- und Städtenamen
gebrauchen wir noch heute ausschließlich die echt adjektivische Form
auf +isch+, von andern ebenso ausschließlich die Bildung auf +er+,
wieder von andern beide friedlich nebeneinander. Niemand sagt: der
+Österreicher Finanzminister+, der +Römer Papst+, aber auch niemand
mehr das +Leipzigische Theater+, die +Berlinischen Bauten+. Dagegen
sprechen alle Gebildeten noch von +Kölnischem Wasser+, +holländischem
Käse+, +italienischen Strohhüten+, +persischen Teppichen+,
+amerikanischen Äpfeln+. Warum von dem einen Namen die Form auf +isch+,
von dem andern die auf +er+ bevorzugt wird, kann niemand sagen; der
Sprachgebrauch hat sich dafür entschieden, und dabei muß man sich
beruhigen.

Nur in gewissen Kreisen, die von dem wirklichen Verhältnis der beiden
Bildungen zueinander und von der Berechtigung des Sprachgebrauchs keine
Ahnung haben, besteht die Neigung, das Gebiet der Bildungen auf +er+
mehr und mehr zum Nachteil derer auf +isch+ zu erweitern. So empfiehlt
mancher Geschäftsmann beharrlich seine +Amerikaner Öfen+, obwohl alle
Gebildeten, die in seinen Laden kommen, seine +amerikanischen Öfen+
zu sehen wünschen. An einer alten Leipziger Weinhandlung konnte man
vor kurzem ein Schild am Schaufenster liegen sehen: +Italiener Weine+!
Leipziger Teppichhandlungen preisen +Perser Teppiche+, sogar +echt
Perser Teppiche+ an! Aber auch +Holländer Austern+ und +Holländer Käse+
werden schon empfohlen, ja sogar +Kölner Wasser+, und der +Kölnischen
Zeitung+ hat man schon mehr als einmal zugemutet, sich in +Kölner
Zeitung+ umzutaufen -- ein törichtes Ansinnen, dem sie mit Recht nicht
nachgegeben hat und hoffentlich nie nachgeben wird. Auf den echten
Adjektivbildungen auf +isch+ liegt ein feiner Hauch des Altertümlichen
und -- des Vornehmen, manche sind wie Stücke schönen alten Hausrats;
die unechten auf +er+, namentlich die neugeprägten, sind so gemein
wie Waren aus dem Fünfzigpfennigbasar. Unbegreiflich ist es, wie
sich gebildete, namentlich wissenschaftlich gebildete Leute solchen
unnötigen Neuerungen, die gewöhnlich aus den Kreisen der Geschäftsleute
kommen, gedankenlos fügen können. Ein deutscher Buchhändler in
Athen hat vor kurzem ein Werk über das +Athener Nationalmuseum+
herausgegeben! Greulich! Auf der Leipziger Stadtbibliothek gibt es eine
berühmte Handschrift aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts: den
+Pirnischen Mönch+, genannt nach der Stadt Pirna (eigentlich Pirn) an
der Elbe in Sachsen. Den nennen jetzt sogar Historiker den +Pirnaer
Mönch+! In Plauen im sächsischen Vogtlande gibt es jetzt ein +Plauener
Realgymnasium+, einen +Plauener+ Altertumsverein, man hat sogar ein
+Plauener Stadtbuch+ veröffentlicht; die gute alte Adjektivform
+Plauisch+ scheint also dort niemand mehr zu kennen. Und in neuern
Werken über die Befreiungskriege wird in den Schilderungen der Schlacht
bei Leipzig gar von der Erstürmung des +Grimmaer Tores+ geredet (statt
des +Grimmischen+)![83] Einem Leipziger kehrt sich der Magen um, wenn
er so etwas liest.

Nun ist aber doch so viel klar, daß, wenn ein Wort wie +Dresdner+
in zwei verschiednen Bedeutungen gebraucht wird, als Hauptwort und
auch als Eigenschaftswort, es nur in seiner Bedeutung als Hauptwort
mit einem andern Hauptworte zusammengesetzt werden kann. Wenn nun
eine Straße in Leipzig die +Dresdner Straße+ genannt wird, ist
da +Dresdner+ als Substantiv oder als Adjektiv aufzufassen? Ohne
Zweifel als Adjektiv. Es soll damit dasselbe bezeichnet sein, was
durch +Dresdnische Straße+ bezeichnet sein würde: die Straße, die
von Dresden kommt oder nach Dresden führt. Sowie man den Bindestrich
dazwischensetzt und schreibt: +Dresdner-Straße+ oder auch in +einem+
Worte: +Dresdnerstraße+, so kann +Dresdner+ nichts andres bedeuten
als Leute aus Dresden, es wird Substantiv, oder vielmehr es bleibt
Substantiv, und die Zusammensetzung rückt auf eine Stufe mit Bildungen
wie +Fleischergasse+, +Gerbergasse+, +Böttchergasse+ und andre
Gassennamen, die in alter Zeit nach den Handwerkern genannt worden
sind, die auf den Gassen angesessen waren. Eine +Dresdnerstraße+ kann
also nichts andres bezeichnen als eine Straße, auf der Dresdner,
womöglich lauter Dresdner wohnen, ein +Potsdamerplatz+ nur einen
Platz, auf dem sich die Potsdamer zu versammeln pflegen. Wir haben
in Leipzig eine +Paulinerkirche+ und eine +Wettinerstraße+. Das sind
richtige Zusammensetzungen, denn die Paulinerkirche war wirklich die
Kirche der Pauliner, der ehemaligen Dominikaner Leipzigs, und die
Wettinerstraße ist nicht nach dem Städtchen Wettin genannt, wie die
+Berliner Straße+ nach der Stadt Berlin, sondern nach den Wettinern,
dem sächsischen Herrschergeschlecht.[84] Aus demselben Grunde ist der
+Wittelsbacherbrunnen+ in München eine richtige Zusammensetzung.
Eine +Berliner Versammlung+ ist eine Versammlung, die in Berlin
stattfindet, eine +Berlinerversammlung+ eine Versammlung, zu der lauter
Berliner kommen. Die +Herrnhuter Gemeinde+ ist die Gemeinde der Stadt
+Herrnhut+, eine +Herrnhutergemeinde+ kann in jeder beliebigen andern
Stadt sein.

Die Verwechslung der adjektivischen und der substantivischen Bedeutung
der von Ortsnamen abgeleiteten Bildungen auf +er+ grassiert gegenwärtig
in ganz Deutschland und wird von Tag zu Tag ärger. Sie beschränkt sich
keineswegs, wie man wohl gemeint hat, auf die Gassen- und Straßennamen,
sie geht weiter. Schenkwirte, Kaufleute, Buchhändler, sogar Gelehrte
schreiben: +Wienerschnitzel+, +Berlinerblau+, +Solenhoferplatten+,
+Schweizerfabrikanten+, +Tirolerführer+, obwohl hier überall der
Ortsname als Adjektiv verstanden werden soll; denn nicht die
Tiroler sollen geführt werden, sondern die Fremden durch Tirol. Ein
Wienerschnitzel aber -- entsetzliche Vorstellung! -- kann doch nur ein
Stück Fleisch bedeuten, das man von einem Wiener heruntergeschnitten
hat.

Ganz ähnlich wie mit den Bildungen +Leipziger+, +Dresdner+ verhält
sichs mit den von Zahlwörtern abgeleiteten Bildungen auf +er+:
+Dreißiger+, +Vierziger+, +Achtziger+. Auch das sind natürlich zunächst
Hauptwörter; wir reden von einem +hohen Dreißiger+, einem +angehenden
Vierziger+ (vgl. S. 67). Aber auch sie können als Adjektiva gefühlt
werden; wir sagen: das war in den +vierziger Jahren+, in den +achtziger
Jahren+. Auch da aber druckt man neuerdings: in den +Vierzigerjahren+,
in den +Achtzigerjahren+, ein Ölgemälde aus den +Neunzigerjahren+, als
ob von menschlichen Lebensaltern und nicht von dem Jahrzehnt eines
Jahrhunderts die Rede wäre!

Eine andre Spielart der hier behandelten Verwirrung tritt uns
in Ausdrücken entgegen wie: +Gabelsberger Stenographenverein+,
+Meggendorfer Blätter+, +Nordheimer Schuhwaren+ (der Geschäftsinhaber
heißt Nordheimer!). Hier werden umgekehrt wirkliche Substantiva
auf +er+, und zwar Personennamen, wie Adjektiva behandelt. Ein
+Gabelsberger+ Stenographenverein -- das klingt wie ein Verein
aus Gabelsberg; natürlich soll es ein +Gabelsbergerscher+
sein. Die +Meggendorfer+ Blätter -- das klingt, als erschienen
sie in +Meggendorf+; natürlich sollen es +Meggendorfers+ oder
+Meggendorfersche+ Blätter sein.

Aber die Verwirrung geht noch weiter. Wie jede Sprachdummheit,
wenn sie einmal losgelassen ist, wie Feuer um sich frißt, so auch
die, kein Gefühl mehr für den adjektivischen Sinn der Bildungen
auf +er+ zu haben. Nachdem unsre Geschäftsleute aus der +Dresdner
Straße+ eine +Dresdnerstraße+ gemacht haben, schrecken sie auch vor
dem weitern Unsinn nicht zurück, die Bildungen auf +isch+, über
deren adjektivische Natur doch wahrhaftig kein Zweifel sein kann,
mit +Straße+ zu +einem+ Worte zusammenzusetzen; immer häufiger
schreiben sie +Grimmaischestraße+, +Hallischestraße+ (oder vielmehr
+Halleschestraße+!), und um das Maß des Unsinns voll zu machen, nun
auch +Langestraße+, +Hohestraße+ und +Kurzegasse+, und wer in einer
solchen Gasse wohnt, der wohnt natürlich nun +in der Langestraße+, +in
der Hohestraße+, +in der Kurzegasse+.[85] In frühern Jahrhunderten war
die Sprache unsers Volks so voll überquellenden Lebens, daß sich in
den Ortsbezeichnungen die ~casus obliqui~ in den Nominativ drängten;
daher die zahllosen Ortsnamen, die eigentlich Dative sind (+Altenburg+,
+Weißenfels+, +Hohenstein+, +Breitenfeld+). Heute ist sie so tot und
starr, daß der Nominativ, dieser langweilige, nichtssagende Geselle,
die ~casus obliqui~ verdrängt. Man wohnt +in der Breite Gasse+,[86] und
Sommerwohnungen sind +auf Weißer Hirsch+ bei Dresden zu vermieten!

Aber selbst damit ist die Verwirrung noch nicht erschöpft. In Leipzig
gibt es auch Ortsbezeichnungen, bei denen einer Örtlichkeit einfach
der Name des Erbauers oder Besitzers im Genitiv vorangestellt ist, wie
+Auerbachs Keller+, +Hohmanns Hof+, +Löhrs Platz+, +Tscharmanns Haus+,
+Czermaks Garten+. Bis vor wenig Jahren hat niemand daran gezweifelt,
daß alle diese Bezeichnungen aus je zwei getrennten Wörtern bestehen,
so gut wie +Luthers Werke+, +Goethes Mutter+, +Schillers Tell+.
Jetzt fängt man an, auch hier den Bindestrich dazwischenzuschieben,
den Artikel davorzusetzen und zu schreiben: +im Auerbachs-Keller+,
+am Löhrs-Platz+, +im Czermaks-Garten+. Man denke sich, daß jemand
schreiben wollte: +in den Luthers-Schriften+, +bei der Goethes-Mutter+,
+im Schillers-Tell+!

Zum guten Teil tragen die Schuld an der grauenvollen Verwirrung, die
hier herrscht, die Firmenschreiber und die Akzidenzdrucker, die ganz
vernarrt in den Bindestrich sind, aber nie wissen, wo er hingehört,
und wo er nicht hingehört, nie wissen, ob sie ein zusammengesetztes
Wort oder zwei Wörter vor sich haben.[87] Aber nicht sie allein.
Warum lassen sich die Besteller, Behörden wie Privatleute, den Unsinn
gefallen?


Fachliche Bildung oder Fachbildung?

In beängstigender Weise hat in neuerer Zeit die Neigung zugenommen,
statt des Bestimmungswortes einer Zusammensetzung ein Adjektiv zu
setzen, also z. B. statt +Fachbildung+ zu sagen: +fachliche Bildung+.
Sie hat in kurzer Zeit riesige Fortschritte gemacht, wie sie sich nur
daraus erklären lassen, daß diese Ausdrucksweise jetzt für besonders
schön und vornehm gilt. Früher sprach man von +Staatsvermögen+,
+Gesellschaftsordnung+, +Rechtsverhältnis+, +Kriegsereignissen+,
+Junkerregiment+, +Soldatenlaufbahn+, +Bürgerpflichten+,
+Handwerkstraditionen+, +Geschäftsverkehr+, +Verlagstätigkeit+,
+Sonntagsarbeit+, +Kirchennachrichten+, +Kultusordnung+,
+Gewerbeschulen+, +Betriebseinrichtungen+, +Bergbauinteressen+,
+Forstunterricht+, +Steuerfragen+, +Fachausdrücken+,
+Berufsbildung+, +Amtspflichten+, +Schöpferkraft+, +Gedankeninhalt+,
+Körperpflege+, +Lautgesetzen+, +Textbeilagen+, +Klangwirkungen+,
+Gesangvorträgen+, +Frauenchören+, +Kunstgenüssen+, +Turnübungen+,
+Studentenaufführungen+, +Farbenstimmung+, +Figurenschmuck+,
+Winterlandschaft+, +Pflanzennahrung+, +Abendbeleuchtung+,
+Nachtgespenstern+, +Regentagen+, +Landaufenthalt+, +Gartenanlagen+,
+Nachbargrundstücken+, +Elternhaus+, +Endresultat+ usw. Jetzt redet
man nur noch von staat+lichem+ Vermögen, gesellschaft+licher+
Ordnung, recht+lichem+ Verhältnis, krieger+ischen+ Ereignissen,
junker+lichem+ Regiment, soldat+ischer+ Laufbahn, bürger+lichen+
Pflichten, handwerk+lichen+ Traditionen, geschäft+lichem+ Verkehr,
verleger+ischer+ Tätigkeit, sonntäg+licher+ Arbeit, kirch+lichen+
Nachrichten, kult+ischer+ (!) Ordnung, gewerb+lichen+ Schulen,
betrieb+licher+ Einrichtung, bergbau+lichen+ Interessen, forst+lichem+
Unterricht, steuer+lichen+ Fragen, fach+lichen+ Ausdrücken,
beruf+licher+ Bildung, amt+lichen+ Pflichten, schöpfer+ischer+
Kraft, gedank+lichem+ Inhalt, körper+licher+ Pflege, laut+lichen+
Gesetzen, text+lichen+ Beilagen, klang+lichen+ Wirkungen,
gesang+lichen+ Vorträgen, weib+lichen+ (!) Chören, künstler+ischen+
Genüssen, turner+ischen+ Übungen, student+ischen+ Aufführungen,
farb+licher+ Stimmung, figür+lichem+ Schmuck, winter+licher+
Landschaft, pflanz+licher+ Nahrung, abend+licher+ Beleuchtung,
nächt+lichen+ Gespenstern, regner+ischen+ Tagen, länd+lichem+
Aufenthalt, gärtner+ischen+ Anlagen, nachbar+lichen+ Grundstücken,
dem elter+lichen+ Hause, dem end+lichen+ (!) Resultat usw. Eine von
Offizieren gerittne Quadrille wird als +reiterliche+ (!) +Darbietung+
gepriesen; statt, wie früher, vernünftige Zusammensetzungen mit +Volk+
zu bilden, quält man sich ab, auch davon Adjektiva zu bilden (die
einen sagen +volklich+, die andern +völkisch+), die „Pädagogen“ reden
sogar von +schulischen+ Verhältnissen und unterricht+licher+ Methode,
und in Schulprogrammen kann man lesen, nicht als schlechten Witz,
sondern in vollem Ernste, daß Herr Kand. X im verflossenen Jahre mit
der Schule „in unterricht+lichem+ Zusammenhange gestanden“ habe.[88]
Aber auch da, wo man früher den Genitiv eines Hauptwortes oder eine
Präposition mit einem Hauptwort oder -- ein einfaches Wort setzte,
drängen sich jetzt überall diese abgeschmackten Adjektiva ein; man
redet von kronprinz+lichen+ Kindern, behörd+licher+ Genehmigung,
erzieh+lichen+ Aufgaben, gedank+licher+ Großartigkeit, gegner+ischen+
Vorschlägen, zeichner+ischen+ Mitteln, einer buchhändler+ischen+
Verkehrsordnung, gesetzgeber+ischen+ Fragen, erstinstanz+lichen+ (!)
Urteilen, stecher+ischer+ Technik, gemischtchör+igen+ Quartetten,
stimm+licher+ Begabung, text+lichem+ Inhalt, bau+licher+ Umgestaltung,
seelsorger+ischer+ Tätigkeit, wo man früher Kinder des +Kronprinzen+,
Genehmigung +der Behörden+, Aufgaben +der Erziehung+, Großartigkeit
+der Gedanken+, Vorschläge +des Gegners+, Mittel +der Zeichnung+,
Verkehrsordnung +des Buchhandels+, Fragen +der Gesetzgebung+, Urteile
der +ersten Instanz+, Technik +des Stechers+, Quartette +für gemischten
Chor, Stimme, Text, Umbau, Seelsorge+ sagte. Ein Choralbuch wurde
früher zum +Hausgebrauch+ herausgegeben, jetzt zum +häuslichen+
Gebrauch; eine Bildersammlung hatte früher Wert +für die Kostümkunde+
oder +Kunstwert+ oder +Altertumswert+, jetzt kostüm+lichen+ (!),
künstler+ischen+ oder altertüm+lichen+ (!) Wert. Die Sprachwissenschaft
redete früher von dem +Lautleben+ der Sprache und vom +Lautwandel+,
jetzt nur noch von dem laut+lichen+ Leben und dem laut+lichen+ (!)
Wandel; die Ärzte sprachen sonst von Herztönen +des Kindes+ und von
+Gewebe+veränderungen, unsre heutigen medizinischen Journalisten
schwatzen von kind+lichen+ (!) Herztönen[89] und geweb+lichen+
(!) Veränderungen. Auch Fremdwörter mit fremden Adjektivendungen
werden mit in die alberne Mode hineingezogen; schon heißt es nicht
mehr: +Stilübungen+, +Religionsfreiheit+, +Kulturaufgabe+ und
+Kulturfortschritt+, +Maschinenbetrieb+, +Finanzlage+, +Inselvolk+,
+Kolonieleitung+, +Artilleriegeschosse+, +Infanteriegefechte+,
+Theaterfragen+, +Solo+-, +Chor+- und +Orchester+kräfte, sondern
stilist+ische+ Übungen, religi+öse+ Freiheit, kultur+elles+ Problem
und kultur+eller+ Fortschritt (scheußlich!), maschin+eller+ Betrieb
(scheußlich!), finanzi+elle+ Lage, insu+lares+ Volk, koloni+ale+
Leitung, artiller+istische+ Geschosse, infanter+istische+ Gefechte
(alle Wörter auf +istisch+ klingen ja äußerst gelehrt und vornehm),
solist+ische+, chor+istische+ und orchest+rale+ Kräfte. Auch von
+Alpenflora+ wird nicht mehr gesprochen, sondern nur noch von alp+iner+
(!) Flora. Am Ende kommts noch dahin, daß einer erzählt, er habe in
einer alp+inen+ Hütte in sommer+lichen+ Hosen sein abend+liches+ Brot
nebst einem wurst+lichen+ Zipfel verzehrt.

Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der
angeführten Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Aber die Mehrzahl
spricht doch dagegen; man könnte eher meinen, sie solle den Ausdruck
verbreitern, ein Bestreben, das sich jetzt ja auch in vielen
andern Spracherscheinungen zeigt. Man fragt vergebens nach einem
vernünftigen Grunde, durch den sich diese Vorliebe für alle möglichen
und unmöglichen Adjektivbildungen erklären ließe: es ist nichts als
eine dumme Mode. Wenn so etwas in der Luft liegt, so steckt es heute
hier, morgen da an; ob das Neugeschaffne nötig, richtig, schön sei,
danach fragt niemand, wenns nur neu ist! Um der Neuheit willen schlägt
man sogar gelegentlich einmal den entgegengesetzten Weg ein. Da es
bis jetzt +silberne Hochzeit+ geheißen hat, so finden sich natürlich
nun Narren, die mit Vorliebe von +Silberhochzeit+ reden. Dazu gehört
natürlich nun auch ein +Silberpaar+: der Bürgermeister schloß mit einem
Hoch auf das +Silberpaar+.[90] In einer Lebensbeschreibung Bismarcks
ist gleich das erste Kapitel überschrieben: Unter dem Zeichen des
+Eisenkreuzes+. Also aus dem geschichtlichen +Eisernen Kreuz+, das doch
für jeden unantastbar sein sollte, wird ein +Eisenkreuz+ gemacht -- aus
bloßer dummer Neuerungssucht.

Die Adjektiva auf +lich+ bedeuten eine Ähnlichkeit; +lich+ ist
dasselbe wie +Leiche+, es bedeutet den Leib, die Gestalt; daher auch
das Adjektivum +gleich+, d. i. +geleich+, was dieselbe Gestalt hat.
+Königlich+ ist, was die Gestalt, die Art oder das Wesen eines Königs
hat. Will man nun das mit den kronprinz+lichen+ Kindern sagen? Gewiß
nicht. Man meint doch die Kinder des Kronprinzen, und nicht bloß
kronprinzenartige Kinder. Was kann eine Arbeit sonntägliches haben?
eine Bewegung körperliches? eine Wirkung farbliches? eine Pflicht
bürgerliches? ein Herzton kindliches? eine Frage theatralisches?
Gemeint ist doch wirklich die Arbeit am Sonntage, die Bewegung des
Körpers, die Wirkung der Farben usw.[91] Und hat man denn gar kein Ohr
für die Häßlichkeit vieler dieser neugeschaffnen Adjektiva (+fachlich+,
+beruflich+, +volklich+, +farblich+, +klanglich+, +stimmlich+,
+forstlich+, +pflanzlich+, +prinzlich+, +erziehlich+)?

Hie und da mag ja ein Grund für die Neubildung zu entdecken sein. So
mag zwischen +Regentagen+ und +regnerischen+ Tagen ein Unterschied
sein: an Regentagen regnets vielleicht von früh bis zum Abend, an
regnerischen (früher: +regnichten+) Tagen mit Unterbrechungen. Der
Chordirektor, der zuerst von einem Terzett für +weibliche Stimmen+
anstatt von einem Terzett für +Frauenstimmen+ gesprochen hat, hatte
sich vielleicht überlegt, daß unter den Sängerinnen auch junge Mädchen
sein könnten. Und der Ratsgärtner, der seiner Behörde zuerst einen
Plan zu +gärtnerischen Anlagen+ am Theater vorlegte, hatte wohl daran
gedacht, daß ein eigentlicher Garten, d. h. eine von einem Zaun oder
Geländer umschlossene Anpflanzung nicht geschaffen werden sollte.
Aber bedeutet denn +Frau+, wo sichs um die bloße Gegenüberstellung
der Geschlechter handelt, nicht auch das Mädchen? Kann sich wirklich
ein junges Mädchen beleidigt fühlen, wenn es aufgefordert wird, einen
+Frauenchor+ mitzusingen?[92] Und können denn nicht +Gartenanlagen+
auch Anlagen sein, +wie+ sie in einem Garten sind? müssen sie immer
+in+ einem Garten sein? +Gärtnerische+ Anlagen möchte man einem Jungen
wünschen, der Lust hätte, Gärtner zu werden, wiewohl es auch dann
noch besser wäre, wenn er Anlagen +zum Gärtner+ hätte. Nun vollends
von +gärtnerischen+ Arbeiten zu reden statt von +Garten+arbeiten (die
Rekonvaleszenten der Anstalt werden mit +gärtnerischen Arbeiten+
beschäftigt), ist doch die reine Narrheit.


Erstaufführung

Ein Gegenstück zu dem +fachlichen Unterricht+ bilden die schönen
neumodischen Zusammensetzungen, mit denen man sich jetzt
spreizt, wie: +Fremdsprache+, +Fremdkörper+ und +Falschstück+
(ein gefälschtes Geldstück!), +Neuauflage+, +Neuerscheinung+
und +Neuerwerbung+ (die +Neuerscheinungen+ des Buchhandels und
die +Neuerwerbungen+ der Berliner Galerie), +Neuerkrankung+ und
+Leichtverwundung+, +Deutschunterricht+, +Deutschbewußtsein+ und
+Deutschgefühl+, +Erstaufführung+, +Erstausgabe+ und +Erstdruck+,
+Jüngstvergangenheit+, +Einzelfall+, +Einzelpersönlichkeit+ und
+Allgemeingesang+, +Mindestmaß+, +Mindestpreis+ und +Mindestgehalt+,
+Höchstmaß+, +Höchstpreis+, +Höchstgehalt+, +Höchstarbeitszeit+ und --
+Höchststundenzahl+! Hier leimt man also einen Adjektivstamm vor das
Hauptwort, statt einfach zu sagen: +fremder Körper+, +neue Auflage+,
+einzelner Fall+, +erste Aufführung+, +allgemeiner Gesang+, +höchste
Stundenzahl+ usw.

Worin liegt das Abgeschmackte solcher Zusammensetzungen? gibt es nicht
längst, ja zum Teil schon seit sehr alter Zeit ähnliche Wörter, an
denen niemand Anstoß nimmt? Gewiß gibt es die, sogar in großer Fülle.
Man denke nur an: +Fremdwort+, +Edelstein+, +Schwerspat+, +Braunkohle+,
+Neumond+, +Weißwein+, +Kaltschale+, +Süßwasser+, +Sauerkraut+,
+Buntfeuer+, +Kurzwaren+, +Hohlspiegel+, +Hartgummi+, +Trockenplatte+,
+Schnellzug+, +Glatteis+, +Rotkehlchen+, +Grünschnabel+, +Freischule+,
+Vollmacht+, +Hochverrat+, +Eigennutz+, +Halbbruder+, +Breitkopf+,
+Rothschild+, +Warmbrunn+ und viele andre. Was ist aber das
Eigentümliche solcher Zusammensetzungen? Es sind meist Fachausdrücke
oder Kunstausdrücke aus irgendeinem Gebiete des geistigen Lebens, aus
dem Handel, aus irgendeinem Gewerbe, einer Kunst, einer Wissenschaft,
aus der Rechtspflege, oder es sind -- Eigennamen.[93] Nun stecken aber
dem Deutschen zwei Narrheiten tief im Blute: erstens, sich womöglich
immer auf irgendein Fach hinauszuspielen, mit Fachausdrücken um sich zu
werfen, jeden Quark anscheinend zum Fachausdruck zu stempeln; zweitens,
sich immer den Anschein zu geben, als ob man die Fachausdrücke aller
Fächer und folglich die Fächer auch selbst verstünde. Wenn es ein paar
Buchhändlern beliebt, plötzlich von +Neuauflagen+ zu reden, so denkt
der junge Privatdozent: aha! +Neuauflage+ -- schöner neuer Terminus
des Buchhandels, will ich mir merken und bei der nächsten Gelegenheit
anbringen. Der Professor der Augenheilkunde nennt wahrscheinlich
ein Eisensplitterchen, das einem ins Auge geflogen ist, einen
+Fremdkörper+. Da läßt es dem Geschichtsprofessor keine Ruhe, er muß
doch zeigen, daß er das auch weiß, und so erzählt er denn bei der
nächsten Gelegenheit: die Germanen waren ein +Fremdkörper+ im römischen
Reiche. Und wenn er Wirtschaftsgeschichte schreibt, dann redet er nicht
von den +fremden Kaufleuten+, die ins Land gekommen seien, sondern von
den +Fremdkaufleuten+! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch
lernt in der Schule, +Evangelium+ heiße auf deutsch: +frohe Botschaft+.
Der Theolog aber sagt dafür neuerdings +Frohbotschaft+! Wie gelehrt das
klingt! Der gewöhnliche Mensch sehnt sich nach +frischer Luft+. Wenn
aber ein Techniker eine Ventilationsanlage macht, so beseitigt er die
+Abluft+ (!) und sorgt für +Frischluft+! Im gewöhnlichen Leben spricht
man von einem +großen Feuer+. Das kann aber doch die Feuerwehr nicht
tun; so gut wie sie ihre Spritzen und ihre Helme hat, muß sie auch
ihre Wörter haben. Der „Branddirektor“ kennt also nur +Großfeuer+.
Sobald das aber der Philister weggekriegt hat, sagt er natürlich auch
am Biertisch: Bitte, meine Herren, sehen Sie mal hinaus, da muß ein
+Großfeuer+ sein, und der Zeitungschreiber berichtet: Diese Nacht wurde
das Gut des Gutsbesitzers Sch. durch ein +Großfeuer+ eingeäschert.
So bilden sich denn auch die gewerbsmäßigen Theaterschreiber ein,
mit +Erstaufführung+ den Begriff der +ersten Aufführung+ aus der
gewöhnlichen Alltagssprache in die vornehme Region der Fachbegriffe
gehoben zu haben. In Wahrheit ist es weiter nichts als eine schlechte
Übersetzung von +Premiere+,[94] wie alle die wahrhaft greulichen
Zusammensetzungen mit +Höchst+ und +Mindest+ nichts als schlechte
Übersetzungen von Wörtern mit +Maximal+ und +Minimal+ sind. Für solches
Deutsch doch lieber keins! Der Katarrh hat den +höchsten Stand+
überschritten -- das klänge ja ganz laienhaft; den +Höchststand+ -- das
klingt fachmännisch. Wenn aber bei einer Epidemie Ärzte und Zeitungen
berichten, daß an einem Tage hundert +Neuerkrankungen+ vorgekommen
seien, so kann das geradezu zu Mißverständnissen führen. Eine
+Neuerkrankung+ würde ich es nennen, wenn jemand, der krank gewesen
und wieder gesund geworden ist, von neuem erkrankt, ebenso wie eine
+Neuordnung+ voraussetzt, daß die Dinge schon vorher geordnet gewesen
seien. +Erstausgabe!+ Es ist so unsäglich häßlich; aber der große Haufe
ist ganz versessen auf solche Narrheiten.

Besonders beliebt ist jetzt der +Altmeister+, und eine Zeit lang war es
auch der +Altreichskanzler+. Hier ist aber zweierlei zu unterscheiden.
Der +Altreichskanzler+ stammte aus Süddeutschland und der Schweiz,
wo man den alten, d. h. den ehemaligen, aus dem Amte geschiednen
(~ancien~) so bezeichnete, und wo man z. B. auch vom +Altbürgermeister+
spricht (bei Schiller: +Altlandammann+). +Altmeister+ dagegen bedeutet
wie +Altgesell+ nicht den ehemaligen, sondern den ältesten, d. h.
bejahrtesten unter den vorhandnen Meistern und Gesellen. Man konnte
also wohl Franz Liszt, solange er lebte, den +Altmeister+ der deutschen
Musik nennen, aber Johann Sebastian Bach einen +Altmeister+ zu nennen,
wie es unter den Musikschwätzern jetzt Mode ist, ist Unsinn. Bach
ist ein Meister der alten Zeit, der Vergangenheit; das ist aber ein
+alter Meister+, kein +Altmeister+. Sehr beliebt sind jetzt auch
Zusammensetzungen wie +Altleipzig+, +Altweimar+, +Altheidelberg+.
Sie haben einen poetischen Beigeschmack, wie man sofort fühlt,
wenn man an +jung Siegfried, jung Roland+ denkt. Wie abgeschmackt
also, von einem +Junggoethedenkmal+, einem +Jungwilhelmdenkmal+,
einem +Jungbismarckdenkmal+ zu reden! Zu einem logischen Verstoß
führen überdies gewisse Zusammensetzungen, mit denen sich jetzt die
Kunstgewerbegelehrten spreizen: +Altmeißner Porzellan, Altthüringer
Porzellan+. Denn nicht darauf kommt es an, daß das Porzellan aus
+Altmeißen+ ist, sondern nur darauf, daß es aus +Meißen+ ist, aber
+altes+ Porzellan aus Meißen! Mancher wird das für Haarspalterei
halten, es ist aber ein großer Unterschied.


Sedantag und Chinakrieg

Noch überboten an Geschmacklosigkeit werden Zusammensetzungen wie
+Erstaufführung+ durch die Roheit, mit der man jetzt Eigennamen
(Ortsnamen und noch öfter Personennamen) vor ein Hauptwort leimt,
anstatt aus dem Namen ein Adjektiv zu bilden.

Die Herkunft einer Sache wurde sonst nie anders bezeichnet als
durch ein von einem Städte- oder Ländernamen gebildetes Adjektiv
oder durch eine Präposition mit dem Namen, z. B.: +sizilische
Märchen+, +bengalisches Feuer+, +Kölnisches Wasser+, +Berliner
Weißbier+, +Emser Kränchen+, +Dessauer Marsch+, +Motiv aus Capri+,
+Karte von Europa+. Jetzt redet man aber von +Japanwaren+,
einer +Chinaausstellung+, +Smyrnateppichen+, +Olympiametopen+,
+Samosausbruch+, +Neapelmotiven+, +Romplänen+ (das sollen
Stadtpläne von Rom sein!), einem +Leipzig-Elbe-Kanal+ und einer
+Holland-Amerika-Linie+. Wenn solche Zusammenleimungen auch zu
entschuldigen sein mögen bei Namen, von denen man sich kein Adjektiv zu
bilden getraut, wie +Bordeauxwein+, +Jamaikarum+, +Havannazigarren+,
+Angoraziege+, +Chesterkäse+, +Panamahut+, +Suezkanal+, +Sedantag+
(in Leipzig +Seedangtag+ gesprochen), so ließe sich doch schon eine
Bildung wie +Maltakartoffeln+ vermeiden, denn niemand spricht von
einem +Maltakreuz+ oder +Maltarittern+. Oder klingt +Malteser+ für
Kartoffeln zu vornehm? Auch das +Selterser Wasser+, wie man es richtig
nannte, als es bekannt wurde, hätte man getrost beibehalten können
und nicht in +Selterswasser+ (oder gar +Selterwasser+! es ist nach
dem nassauischen Dorfe Nieder-+Selters+ genannt) umzutaufen brauchen.
Aber ganz überflüssig sind doch die angeführten Neubildungen, denn
das Adjektiv +japanisch+ (oder meinetwegen +japanesisch+!) ist doch
wohl allbekannt, jeder Archäolog oder Kunsthistoriker kennt auch das
Adjektiv +olympisch+, auch von +samischem+ Wein hat man früher lange
genug gesprochen, und auch von +Leipzig+ und von +Holland+ wird man
sich doch wohl noch Adjektiva zu bilden getrauen? +Leipzig-Elbe-Kanal+!
Es ist ja fürchterlich! Einen Städtenamen so vor einen Flußnamen zu
leimen, der selber nur angeleimt ist! Vor fünfzig Jahren hätte jeder
zehnjährige Junge auf die Frage: wie nennt man einen Kanal, der von
Leipzig nach der Elbe führen soll? richtig geantwortet: +Leipziger
Elbkanal+; wie nennt man eine Dampferlinie zwischen Holland und
Amerika? +Holländisch-amerikanische Linie+. Und warum nicht: +Smyrnaer
Teppiche+? Sagt man doch: +Geraer Kleiderstoffe+. Sachkenner behaupten,
die echten nenne man auch so; nur die unechten, in smyrnischer Technik
in Deutschland angefertigten nenne man +Smyrnateppiche+. Mag sein.
Aber warum nicht: +Motive aus Neapel? Japanwaren, Neapelmotive+ -- wer
verfällt nur auf so etwas! Man denke sich, daß jemand +Italienwaren+
zum Kauf anbieten oder von +Romruinen+ reden wollte! Ein Wunder, daß
noch niemand darauf gekommen ist, den +Cyperwein+ und die +Cyperkatze+
in +Cypernwein+ und +Cypernkatze+ umzutaufen. Die Insel heißt doch
+Cypern+! Jawohl, aber der Stamm heißt +Cyper+ -- das ist so gut
wie ein Adjektiv, und der ist zum Glück den plumpen Fäusten unsrer
Sprachneuerer bis jetzt noch entgangen. Die +Italienreisenden+ haben
wir freilich auch, wie die +Schweizreisenden+ und die +Afrikareisenden+
und neuerdings die +Weimarpilger+ und den +Chinakrieg+. Schön
sind die auch nicht (zu Goethes und Schillers Zeit sprach man von
+italienischen+, +Schweizer+ und +afrikanischen+ Reisenden), aber
man läßt sie sich zur Not gefallen; der Ortsname bezeichnet da nicht
den Ursprung, die Herkunft, sondern das Land, auf das sich die
Tätigkeit des Reisenden erstreckt. Im allgemeinen aber kann doch das
Bestimmungswort eines zusammengesetzten Wortes nur ein Appellativ, kein
Eigenname sein. Von +Eisenwaren+, +Sandsteinmetopen+, +Stadtplänen+,
+Fluß-+ und +Waldmotiven+ kann man reden, aber nicht von +Japanwaren+,
+Olympiametopen+, +Romplänen+ und +Neapelmotiven+. Das ist nicht mehr
gesprochen, es ist gestammelt.

Gestammelt? O nein, es ist ja das schönste Englisch! Der Engländer
sagt ja: ~the India house~, ~the Oxford Chaucer~ (das soll heißen: die
Oxforder Ausgabe von Chaucers Werken), ~the Meier Madonna~; das muß
natürlich wieder nachgeplärrt werden. Wir kommen schon auch noch dahin,
daß wir die Weimarische Ausgabe von Goethes Werken den +Weimar-Goethe+
nennen oder gar den +Weimar Goethe+ (ohne Bindestrich).


Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen

Das wäre nicht möglich? Wir haben ja den Unsinn schon! Wird nicht
täglich von Gastwirten +Tucher Bier+ (so!) empfohlen? Und das soll Bier
aus der Freiherrl. Tucherschen Brauerei in Nürnberg sein!

Auch Personennamen können nur dann das Bestimmungswort einer
Zusammensetzung bilden, wenn der Begriff ganz äußerlich und lose zu
der Person in Beziehung steht, aber nicht, wenn das Eigentum, die
Herkunft, der Ursprung oder eine sonstige engere Beziehung bezeichnet
werden soll; das ist in anständigem Deutsch früher stets durch den
Genitiv[95] oder ein von dem Personennamen gebildetes Adjektiv
geschehen.

Wenn, wie es in den letzten Jahrzehnten tausendfach vorgekommen ist,
neue Straßen und Plätze großen Männern zu Ehren getauft und dabei
kurz +Goethestraße+ oder +Blücherplatz+ benannt worden sind, so ist
dagegen grammatisch nichts einzuwenden. Auch eine Stiftung, die zu
Ehren eines verdienten Bürgers namens Schumann durch eine Geldsammlung
geschaffen worden ist, mag man getrost eine +Schumannstiftung+ nennen,
ebenso Gesellschaften und Vereine, die das Studium der Geisteswerke
großer Männer pflegen, +Goethegesellschaft+ oder +Bachverein+; auch
+Beethovenkonzert+ und +Mozartabend+ sind richtig gebildet, wenn
sie ein Konzert und einen Abend bezeichnen sollen, wo nur Werke von
Beethoven oder Mozart aufgeführt werden. Auch die +Schillerhäuser+
läßt man sich noch gefallen, denn man meint damit nicht Häuser, die
Schillers Eigentum gewesen wären, sondern Häuser, in denen er einmal
gewohnt, verkehrt, gedichtet hat, und die nur zu seinem Gedächtnis
so genannt werden. Bedenklicher sind schon die +Goethedenkmäler+,
denn die beziehen sich doch nicht bloß auf Goethe, sondern stellen
ihn wirklich und leibhaftig dar; noch in den dreißiger und vierziger
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hätte sich niemand so auszudrücken
gewagt, da sprach man in Leipzig nur von +Bachs Denkmal+, von +Gellerts
Denkmal+. Sind einmal die +Goethedenkmäler+ richtig, dann sind es
auch die +Goethebildnisse+, dann ist es auch die +Goethebüste+, der
+Goethekopf+ und -- die +Goethebiographie+. Nun aber das +Goethehaus+
auf dem Frauenplan in Weimar und die Weimarer +Goetheausgabe+ -- da
meint man doch wirklich Goethes Haus und die Gesamtausgabe von Goethes
Werken. Etwas andres ist es mit einer +Elzevirausgabe+; das soll nicht
eine Ausgabe der Werke eines Mannes namens Elzevir sein, sondern eine
Ausgabe in dem Format und der Ausstattung der berühmten holländischen
Verlagsbuchhandlung. Ist die +Goetheausgabe+ richtig, dann kommen wir
schließlich auch zu den +Goethefreunden+ (d. h. Goethes Freunden zu
seinen Lebzeiten), den +Goetheeltern+ und den +Goetheenkeln+. Es ist
nicht einzusehen, weshalb man nicht auch so sollte sagen dürfen, und
man sagt es ja auch schon. Stammelt man doch auch schon von einem
+Lutherbecher+ (einem Becher, den einst Luther besessen hat) und einem
+Veltheimzettel+ (einem Theaterzettel der Veltheimschen, richtiger
Veltenschen Schauspielertruppe aus dem siebzehnten Jahrhundert),
von einer +Böttgerperiode+ (der Zeit Böttgers in der Geschichte des
Porzellans!) und einer +Schlüterzeit+, von +Kellerfreunden+ (Freunden
des Dichters Gottfried Keller!) und +Pilotyschülern+, von einem
+Grillparzersarg+ und einem +Brahmsgrab+.

Noch ärger ist es, wenn man zur Bezeichnung von Schöpfungen, von Werken
einer Person, seien es nun wissenschaftliche oder Kunstschöpfungen,
Entdeckungen oder Methoden, Vereine oder Stiftungen, Erfindungen
oder Fabrikate, den Personennamen in solcher Weise vor das Hauptwort
leimt. In anständigem Deutsch hat man sich in solchen Fällen früher
stets des Genitivs oder der Adjektivbildung auf +isch+ bedient. In
Dresden ist die +Brühlsche Terrasse+, in Frankfurt das +Städelsche
Institut+, und noch vor dreißig Jahren hat jedermann von +Goethischen+
und +Schillerschen Gedichten+ gesprochen. Jetzt wird nur noch gelallt;
jetzt heißt es: +Goethegedichte+ und +Shakespearedramen+, +Mozartopern+
und +Dürerzeichnungen+, +Bachkantaten+ und +Chopinwalzer+,
+Goethefaust+ und +Gounodfaust+, +Bismarckreden+ und +Napoleonbriefe+,
+Schopenhauerworte+ und +Heimburgromane+, +Schweningerkur+ und
+Horneffervorträge+. Der von Karl Riedel gegründete Leipziger
Kirchengesangverein, der jahrzehntelang ganz richtig der +Riedelsche
Verein+ hieß, ist neuerdings zum +Riedelverein+ verschönert worden, und
wie die Herren Fabrikanten, diese feinfühligsten aller Sprachschöpfer
und Sprachneuerer, hinter allen neuen Sprachdummheiten mit einer
Schnelligkeit her sind, als fürchteten sie damit zu spät zu kommen,
so haben sie sich auch schleunigst dieser Sprachdummheit bemächtigt
und preisen nun stolz ihre +Pfaffnähmaschinen+ und +Drewsgardinen+,
ihre +Jägerpumpen+ und +Steinmüllerkessel+, ihren +Kempfsekt+ und
ihr +Auergasglühlicht+, ihre +Rönischpianos+ und +Feurichpianinos+,
ihre +Langeuhren+, +Zeißobjektive+ und +Ernemanncameras+ an, und
das verehrte Publikum schwatzt es nach und streitet sich über die
Vorzüge der +Blüthnerflügel+ und der +Bechsteinflügel+.[96] In
Leipzig nannte eines Tags eine Bierbrauerei (die Riebeckische) ihr
Bier +Riebeckbier+. Flugs kamen die andern hinterdrein und priesen
+Ulrichbier+, +Naumannbier+ und +Sternburgbier+ an (das nun freilich
eigentlich +Speckbier+ heißen müßte!). Dieses Schandzeug aus unsrer
Kaufmannssprache habt ihr auf dem Gewissen, ihr Herren, die ihr die
+Shakespearedramen+ und die +Dürerzeichnungen+ erfunden habt! Wenn
man in vornehmen Fachzeitschriften von +Bürgerbriefen+ (Briefen des
Dichters der Lenore!) und einem +Lenznachlaß+ (Nachlaß des Dichters
Lenz), einem +Kuglerwerk+ und einem +Menzelwerk+, einem +König
Albert-Bild+, einem +Mörike-Schwind-Briefwechsel+, einer +Rudolf
Hildebrand-Erinnerung+ lesen muß, kann man dann -- andern Leuten
einen Vorwurf machen, wenn sie von +Kathreiners Kneipp-Malzkaffee+,
+Junker- und Ruh-Öfen+ und +August Lehr-Fahrrädern+ reden? Alle
diese Zusammensetzungen zeugen von einer Zerrüttung des Denkens, die
kaum noch ärger werden kann. Von +Lichtfreunden+ kann man reden, von
+Naturfreunden+, +Kunstfreunden+ und +Musikfreunden+, von +Zinnsärgen+
und +Marmorsärgen+, von +Konzertflügeln+ und +Stutzflügeln+, aber nicht
von +Kellerfreunden+, +Grillparzersärgen+ und +Blüthnerflügeln+. Das
ist schlechterdings kein Deutsch.

Das Unkraut wuchert aber und treibt die unglaublichsten Blüten. Weißt
du, was +Kriegerliteratur+ ist, lieber Leser? ein +Senfkatalog+?
eine +Schleicherskizze+? ein +Pfeilliederabend+? Du ahnst es nicht,
ich will dirs sagen. +Kriegerliteratur+ sind die Schriften über
den Komponisten des siebzehnten Jahrhunderts Adam Krieger, ein
+Senfkatalog+ ist ein Briefmarkenverzeichnis der Gebrüder Senf in
Leipzig, eine +Schleicherskizze+ eine Lebensbeschreibung des berühmten
Philologen Schleicher, ein +Pfeilliederabend+ ein Abendkonzert, bei
dem nur Lieder des Männergesangkomponisten Pfeil gesungen werden. Was
ein +Lenbachaufsatz+ ist? ein +Holbeinbildnis+? Das weiß ich selber
nicht. Es kann ein Aufsatz +von+ Lenbach sein, es kann aber auch einer
+über+ ihn sein, ein von Holbein gezeichnetes Bildnis, aber auch eins,
das ihn darstellt. Daß läßt sich in dem heutigen Deutsch nicht mehr
unterscheiden.

Es braucht übrigens nicht immer ein Eigenname zu sein, der solche
Zusammensetzungen unerträglich macht; sie sind auch dann unerträglich,
wenn an die Stelle eines Eigennamens ein Appellativ tritt, unter dem
eine bestimmte Person verstanden werden soll. Da hat einer, der den
Feldzug von 1870 als Kürassier mitgemacht hat, seine Briefe unter
dem Titel +Kürassierbriefe+ drucken lassen. Das können aber niemals
Briefe eines bestimmten Kürassiers sein, sondern immer nur Briefe,
wie sie Kürassiere schreiben. In allerjüngster Zeit ist das neue Wort
+Kaiserhoch+ aufgekommen. Es stammt natürlich aus der Telegrammsprache.
Irgendeiner telegraphierte: „Professor Ö. Festrede Kaiserhoch“; daraus
machte ein dummer Zeitungschreiber: Professor Ö. hielt die Festrede,
die in ein +Kaiserhoch+ ausklang. Ein Kaiserhoch kann aber auf jeden
beliebigen Kaiser ausgebracht werden, und wenn die Zeitungen vollends
statt +ein Kaiserhoch+ schreiben +das Kaiserhoch+ -- die Herabwürdigung
einer persönlichen Huldigung, die aus dem Herzen quellen soll, zu
einem gewohnheitsmäßigen Bestandteil jeder beliebigen Esserei oder
Trinkerei, kann gar keinen schlagendern Ausdruck finden. Ähnlich ist es
mit der +Königsbüste+. Professor Seffner ist damit beschäftigt, eine
+Königsbüste+ anzufertigen. Ob von Ramses oder Romulus oder Ludwig dem
Vierzehnten, wird nicht verraten. Das Ärgste dieser Art sind wohl die
+Herrenworte+ und das +Herrenmahl+, das die Theologen jetzt aufgebracht
haben. Das sollen Aussprüche Christi und das heilige Abendmahl sein!
Man denkt doch unwillkürlich an ein +Herrenessen+.

Den Gipfel der Sinnlosigkeit erreichen solche Zusammenleimungen,
wenn das Grundwort ein Verbalsubstantiv ist, gebildet von einem
transitiven Verbum. Solche Zusammensetzungen können schlechterdings
nicht mit Eigennamen vorgenommen werden, sondern nur mit Appellativen;
sie bezeichnen ja nicht eine bestimmte einzelne Handlung, sondern
eine Gattung von Handlungen, Menschen, deren Tätigkeit sich nicht
auf eine bestimmte einzelne Person, sondern wieder nur auf eine
Gattung erstreckt. In den siebziger Jahren erfand ein boshafter
Zeitungschreiber das Wort +Bismarckbeleidigung+. Natürlich sollte
es eine höhnische Nachbildung von +Majestätsbeleidigung+ sein.
Wie viel dumme Zeitungschreiber aber haben das Wort dann im Ernst
gebraucht und sogar +Caprivibeleidigung+ darnach gebildet! Jetzt
redet man aber auch von +Cäsarmördern+, +Richardsonübersetzern+,
+Romkennern+, +Goethefreunden+ und +Schillerfeinden+ (unter den heute
lebenden!), +Beethovenerklärern+, +Wagnerverehrern+, +Zolanachahmern+
und +Nietzscheanbetern+. Entsetzliche Verirrung! Man kann von
+Vatermördern+, +Romanübersetzern+, +Kunstkennern+, +Frauenverehrern+,
und +Fetischanbetern+ reden; aber ein +Wagnerverehrer+ -- das könnte
doch nur ein Kerl sein, der gewerbsmäßig jeden „verehrt“, der Wagner
heißt. Wer das nicht fühlt, der stammle weiter, dem ist nicht zu
helfen.[97]


Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen

Eine andre Abgeschmacktheit, auf die nicht bloß Zeitungschreiber,
sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen etwas Geschmack zutrauen
sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, an einen Personennamen
den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, anstatt ihn
durch die Präposition +in+ oder +aus+ damit zu verbinden und so ein
ordentliches Attribut zu schaffen. Den Anfang dazu haben Leute wie
+Schulze-Delitzsch+, +Braun-Wiesbaden+ u. a. gemacht; die wollten und
sollten durch solches Anhängen des Ortsnamens von einem andern Schulze
und einem andern Braun unterschieden werden. Das waren nun ihrerzeit
gefeierte Parlamentsgrößen, und wer möchte das nicht auch gerne sein!
Wenn sich daher im Sommer Gevatter Schneider und Handschuhmacher zu
den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne Reden
halten, so möchten sie natürlich auch die Parlamentarier spielen
und dann im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten
Namen erscheinen, sie möchten nicht bloß +Müller+ und +Meyer+ heißen,
sondern Herr +Müller-Rumpeltskirchen+ und Herr +Meyer-Cunnewalde+ --
das klingt so aristokratisch, so ganz wie +Bismarck-Schönhausen+, es
könnte im freiherrlichen Taschenbuche stehen; man hats ja auch den
geographischen Adel genannt. Der Unsinn geht so weit, daß man sogar
schreibt: Direktor +Wirth-Plötzensee bei Berlin+. Was ist denn bei
Berlin? Direktor Wirth-Plötzensee?

Die ganze dumme Mode ist wieder ein Pröbchen unsers schönen
Papierdeutsch. Man höre nur einmal zu, wenn in einer solchen
Wanderversammlung die sogenannte Präsenzliste verlesen wird: hört
man da je etwas andres als Städtenamen? Man möchte gern wissen, wer
anwesend ist, aber man kann es beim besten Willen nicht erfahren,
denn der Vorlesende betont unwillkürlich -- wie man solche traurige
Koppelnamen nur betonen kann --: Herr Stieve-+München+, Herr
Prutz-+Königsberg+, Herr Ulmann-+Greifswald+. Der Personenname geht
vollständig verloren. Wenn dann die Zeitungen über eine solche
Versammlung berichten, so drucken sie zwar den Personennamen gesperrt
oder fett: Herr +Stieve+-München oder Herr =Stieve=-München. Das hilft
aber gar nichts; gesprochen wird doch: Stieve-+München+ (ᴗ̣ ᴗ ́– ᴗ).
Dieser fett gedruckte und doch unbetonte Personenname, dieser grobe
Widerspruch zwischen Papiersprache und Ohrensprache, ist geradezu ein
Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Will man beide Namen betonen,
so bleibt nichts weiter übrig, als eine Pause zu machen, etwa als ob
geschrieben wäre: Herr +Stieve+ (+München+). Dann hat man aber doch
auch Zeit, die Präposition auszusprechen. In neuester Zeit hat man
angefangen, auch Fluß-, Tal- und Bergnamen auf diese Weise an Ortsnamen
anzuleimen; man schreibt: +Halle-Saale+ (statt +Halle a. d. Saale+),
+Frankfurt-Main+, +Sils-Engadin+, +Frankenhausen-Kyffhäuser+. Und ein
Buchhändler in dem Städtchen Borna bei Leipzig schreibt stolz auf seine
Verlagswerke: +Borna-Leipzig+, als ob Leipzig ein unbekannter Vorort
von Borna wäre. Wo ist dabei der mindeste Witz?


Die Sammlung Göschen

Während das Vorleimen von Eigennamen unter dem Einflusse des
Englischen um sich gegriffen hat, beruhen andre Verirrungen unsrer
Attributbildung auf Nachäfferei der romanischen Sprachen, namentlich
des Französischen, vor allem der abscheuliche, immer ärger werdende
Unfug, Personen- oder Ortsnamen unflektiert und ohne alle Verbindung
hinter ein Hauptwort zu stellen, das eine Sache bezeichnet, als ob
die Sache selbst diesen Personen- oder Ortsnamen führte, z. B. das
+Hotel Hauffe+, der +Konkurs Schmidt+, die +Stadtbibliothek Zürich+
(statt: +Hauffes Hotel+, der +Schmidtsche Konkurs+, die +Züricher
Stadtbibliothek+). Die Anfänge dieses Mißbrauchs liegen freilich weit
zurück, man braucht nur an Ausdrücke zu denken wie: +Universität
Leipzig+, +Zirkus Renz+, +Café Bauer+; aber seinen gewaltigen Umfang
hat er doch erst in der neuesten Zeit angenommen. In wirklich deutsch
gedachter Form bekommt man einen Eigennamen in Attributen kaum noch
zu hören: alles plärrt, die Franzosen und Italiener nachäffend
(~librairie Quantin~, ~chocolat Suchard~, ~rue Bonaparte~, ~casa
Bartholdi~, ~Hera Farnese~ und ähnl.), von dem +Antrag Dunger+, dem
+Fall Löhnig+, der +Affäre Lindau+, dem +Ministerium Gladstone+, dem
+Kabinett Salisbury+, dem +System Jäger+, der +Galerie Schack+, dem
+Papyrus Ebers+, der +Edition Peters+, der +Kollektion Spemann+ und
der +Sammlung Göschen+, von +Schokolade Felsche+ und +Tee Riquet+,[98]
von der +Villa Meyer+, dem +Wohnhaus Fritzen+, dem +Grabdenkmal Kube+,
dem +Erbbegräbnis Wenzel+, dem +Pensionat Neumann+, der +Direktion
Stägemann+, dem +Patentbureau Sack+, dem +Sprachinstitut Bach+,
dem +Konzert Friedheim+, der +Soiree Buchmayer+, der +Tanzstunde
Marquart+, dem +Experimentierabend Dähne+, dem +Vortrag Mauerhof+, dem
+Quartett Udel+, der +Bibliothek Simson+, der +Versteigerung Krabbe+
und dem +Streit Geyger-Klinger+, von dem +Magistrat Osnabrück+, der
+Staatsanwaltschaft Halle+, der +Fürstenschule Grimma+, dem Kaiserl.
deutschen +Postamt Frankfurt+, dem +Schreberverein Gohlis+, der +Mühle
Zwenkau+, dem +Bundesschießen Mainz+, dem +Löwenbräu München+ und dem
+Migränin Höchst+. Sogar der Dorfwirt will nicht zurückbleiben: er
läßt den Firmenschreiber kommen, die alte Inschrift an seiner Schänke:
+Gasthof zu Lindenthal+ zupinseln und dafür +Gasthof Lindenthal+
hinmalen, und der Dorfpastor kommt sich natürlich nun auch noch
einmal so vornehm vor, wenn er sich auf seine Briefbogen +Pfarrhaus
Schmiedeberg+ hat drucken lassen. Und was der Franzose nie tut, das
bringt der Deutsche fertig: er setzt auch hier Vornamen und Titel zu
diesen angeleimten Namen und schreibt: die +Galerie Alfred Thieme+, die
+Kapelle Günther Coblenz+, der +Rezitationsabend Ernst von Possart+,
die +Villa ~Dr.~ Brüning+, das +Signet Galerie Ernst Arnold Dresden+
(das soll heißen: Signet der Galerie von Ernst Arnold in Dresden!).
Manchmal weiß man nicht einmal, ob der angefügte Name ein Orts- oder
ein Personenname sein soll. In Leipzig preist man +Gose Nickau+ an. Ja,
was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank gebraut wird, oder
heißt der Brauer so? Der großherzogliche +Bahnbauinspektor Waldshut+ --
heißt der Mann Waldshut, oder baut er in Waldshut eine Eisenbahn?

Da kämpfen wir nun für Beseitigung der unnützen Fremdwörter in unsrer
Sprache; aber sind denn nicht solche fremde Wortverbindungen viel
schlimmer als alle Fremdwörter? Das Fremdwort entstellt doch die
Sprache nur äußerlich; wirft man es aus dem Satze hinaus und setzt das
deutsche Wort dafür ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert
bleiben. Aber die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus
fremden Sprachen, noch dazu von Erscheinungen, die die Sprache in so
heruntergekommenem Zustande zeigen, wie dieses gemeine Aneinanderleimen
-- leimen ist noch zuviel gesagt, Aneinanderschieben -- von Wörtern
fälscht doch das Wesen unsrer Sprache und zerstört ihren Organismus.
Es ist eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen! Wie stolz mag
der Inhaber der +Auskunftei Schimmelpfeng+ gewesen sein, als er das
herrliche deutsche Wort +Auskunftei+ erfunden hatte![99] Aber für die
ganz undeutsche Wortzusammenschiebung hat er kein Gefühl gehabt.

Auch hier handelt sichs um nichts als um eine dumme Mode, die jetzt,
namentlich in den Kreisen der Geschäftsleute und Techniker, für fein
gilt. Wenn es in einer Stadt fünf Kakaofabrikanten gibt, und einer
von den fünfen schreibt plötzlich in seinen Geschäftsanzeigen: +Kakao
Müller+ (statt +Müllerscher+ Kakao) und hat nun damit etwas besondres,
so läßt es den vier andern keine Ruhe, bis sie dieselbe Höhe der
Vornehmheit erklommen haben (+Kakao Schulze+, +Kakao Meier+ usw.). Der
fünfte lacht vielleicht die andern vier eine Zeit lang aus und wartet
am längsten; aber schließlich humpelt er doch auch hinterdrein, während
sich der, der mit der Dummheit angefangen hat, schon wieder eine neue
ausdenkt.

Zu einer ganz besondern Abgeschmacktheit hat die neu erwachte
Liebhaberei geführt, in Büchern ein Bücherzeichen mit dem Namen des
Eigentümers einzukleben. Ein solches Bücherzeichen nennt man ein
Exlibris, und wer sich eins anfertigen läßt, der läßt auch stets
dieses Wort darauf anbringen. Da gibt es aber doch nun bloß zwei
Möglichkeiten. Entweder man versteht das Wort lateinisch und in
seiner eigentlichen Bedeutung (eins von den Büchern); dann kann
man auch nur seinen Namen lateinisch dahinter setzen: +~Ex libris
Caroli Schelleri~+. So geschah es im achtzehnten Jahrhundert. Oder
man versteht ~Ex-Libris~ „deutsch“ als „Bücherzeichen“; dann kann
man natürlich nur schreiben: +Exlibris Karl Schellers+. Das tut aber
von Tausenden nicht einer! Alle setzen hinter Exlibris ihren Namen
im Nominativ: +Exlibris Eugen Reichardt+, +Exlibris Adolf von Groß+,
+Exlibris Carl und Emma Eckhard+. Das vernünftigste wäre ja, weiter
nichts als seinen Namen hinzusetzen oder zu schreiben: +Eigentum Oskar
Leuschners+ oder +Aus der Bibliothek+ (oder Bücherei) +Paul Werners+.
Aber ohne die Worte oder das Wort Exlibris würde der ganze Sport den
Leuten gar keinen Spaß machen. Man tauscht Exlibris, man tritt in den
Exlibrisverein, man hält sich die Exlibriszeitschrift, und man druckt
auf sein Bücherzeichen eine -- Sprachdummheit.


Die Familie Nachfolger

Ebenso einfältig ist noch ein andrer Unfug, der auch auf bloße
Nachäfferei des Französischen und des Englischen zurückzuführen ist.
Der französische Geschäftsstil setzt ~père~, ~fils~ und ~frères~, der
englische ~brothers~ als Apposition hinter den Personennamen: ~Dumas
fils~, ~Shakelford brothers~. Im Deutschen ist das ganz unmöglich,
wir können nur von dem Wörterbuch der +Gebrüder Grimm+ reden,
nicht der +Grimm Gebrüder+. Aber unsre Kaufleute müssen natürlich
wieder das Fremde nachäffen; sie nennen sich +Schmidt Gebrüder+,
+Blembel Gebrüder+, +Ury Gebrüder+. Sie gehen aber noch weiter.
Während der Franzose sagt: ~Veuve Cliquot~, schreibt der Deutsche:
+M. D. Schwennicke Witwe+, ja selbst wo es sich gar nicht um ein
Verwandtschaftsverhältnis handelt, leimt er ein Appellativ und einen
Personennamen in dieser Weise zusammen, statt ein Attribut zu bilden;
in unsrer Geschäftswelt wimmelt es schon von Firmen, die alle so
aussehen, als ob ihre Inhaber den Familiennamen +Nachfolger+ und dabei
die seltsamsten Vornamen hätten, wie: +C. F. Kahnt Nachfolger+, +Johann
Jakob Huth Nachfolger+, ja sogar +Gebrüder Hinzelmann Nachfolger+ und
+Luise Werner Nachfolger+. In großen Städten findet man kaum noch eine
Straße, wo nicht Mitglieder dieser weitverzweigten Familie säßen.
Auch daraus ist eine richtige dumme Mode geworden. Während früher
ein Geschäft, wenn es den Inhaber wechselte, die alte Firma meist
unverändert beibehielt, um sich deren Ruf zu erhalten -- in Leipzig
gibt es Firmen, die noch heute so heißen wie vor hundert und mehr als
hundert Jahren, und sie befinden sich nicht schlecht dabei! --, ist
jetzt oft ein Geschäft kaum zwei, drei Jahre alt, und schon prangt
der „Nachfolger“ auf der Firma. Manchen will ja die Dummheit, den
Personennamen dabei im Nominativ stehen zu lassen, nicht recht in den
Kopf; man sieht das an der verschiedenen Art und Weise, wie sie sich
quälen, sie hinzuschreiben. Die meisten schreiben freilich dreist:
+Ferdinand Schmidt Nachfolger+. Andre schreiben aber doch mit Komma:
+Ferdinand Schmidt, Nachfolger+, was zwischen einem Schneider und einem
Fleischer so aussieht, als ob die Beschäftigung dieses Biedermanns im
Nachfolgen bestünde, andre ganz klein, als ob sie sich ein bißchen
schämten: +Ferdinand Schmidt |Nachfolger|+. Nur auf das einzig
vernünftige: +Ferdinand Schmidts Nachfolger+ verfällt keiner.

Namentlich auch im deutschen Buchhandel hat das fruchtbare Geschlecht
der Nachfolger schon eine Menge von Vertretern. Einer der wenigen,
die den Mut gehabt haben, der abgeschmackten Mode zum Trotz dem
gesunden Menschenverstande die Ehre zu geben, ist der Verleger der
Gartenlaube: +Ernst Keils Nachfolger+. Dagegen überbietet alles an
Sprachzerrüttung die +Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger+; das soll
heißen: der Nachfolger der Cottaischen Buchhandlung! In solchem Deutsch
prangt jetzt die Buchhandlung, in der einst Schillers und Goethes Werke
erschienen sind!


Ersatz Deutschland

Eine ähnliche Sprachzerrüttung wie in den zuletzt angeführten
Beispielen findet sich nur noch in den Namen neuer Schiffe, von denen
man jetzt öfter in den Zeitungen liest: +Ersatz Preußen+, +Ersatz
Leipzig+, +Ersatz Deutschland+. Was in aller Welt soll das heißen? Man
kann es wohl ungefähr ahnen, aber ausgesprochen ist es nicht. Soll
+Ersatz Preußen+ aufzufassen sein wie +Ersatztruppen+, +Ersatzknopf+,
+Ersatzgarnitur+, so müßte es natürlich als zusammengesetztes
Wort geschrieben werden: +Ersatz-Preußen+. Soll es aber, was das
wahrscheinlichere ist, heißen: +Ersatz der (!) Preußen+[100] oder
+Ersatz für die Preußen+, so läge in dem Weglassen des Artikels oder
der Präposition eine beispiellose Stammelei. Man könnte dann ebensogut
sagen: +Stellvertreter Direktor+ und sich einbilden, das hieße:
+Stellvertretender Direktor+ oder +Stellvertreter des Direktors+.
Das mag Chinesisch sein oder Negersprache, Deutsch ist es nicht.
Wahrscheinlich ist es aber -- Englisch. Englisch ist ja jetzt Trumpf,
zumal wenn es die Marine betrifft.


Der grobe Unfugparagraph

Viel ist schon gespottet worden über Attributbildungen wie: der
+musikalische Instrumentenmacher+, der +vierstöckige Hausbesitzer+,
der +doppelte Buchhalter+, der +wilde Schweinskopf+, die +reitende
Artilleriekaserne+, die +geprüfte Lehrerinnenanstalt+, die
+durchlöcherte Stuhlsitzfabrik+, die +chinesische Feuerzeugfabrik+,
der +geräucherte Fischladen+, die +verheiratete Inspektorwohnung+, die
+gelben Fieberanfälle+, das +einjährig-freiwillige Berechtigungswesen+
und ähnliche, wo ein Attribut zu einem zusammengesetzten Worte gestellt
ist, während es sich nur auf das Bestimmungswort der Zusammensetzung,
in dem letzten Falle sogar auf einen dritten, hinzuzudenkenden Begriff
(+Dienst+) bezieht. Dennoch wagen sich immer wieder Verbindungen
dieser Art hervor wie: das +alte Thomanerstipendium+ (das soll eine
Stiftung der alten, d. h. ehemaligen Thomaner sein!), der +grobe
Unfugparagraph+, die +transportabeln Beleuchtungszwecke+, der
+Vereinigte Staatenstaatssekretär+, die +Weiße Damenpartitur+ usw.

Solche Verbindungen werden nur dann erträglich, wenn es möglich
ist, sie durch doppelte Zusammensetzung zu dreigliederigen
Wörtern zu gestalten; wie: +Armesünderglocke+, +Liebfrauenmilch+,
+Altweibersommer+, +Sauregurkenzeit+ u. dgl.

Nicht besser, eher noch schlimmer sind solche Fälle, wo das Attribut,
statt durch ein Eigenschaftswort, durch einen Genitiv oder eine
Präposition mit einem Hauptworte gebildet wird wie: der +Doktor+titel
der +Philosophie+, der +Enthüllungs+tag +des Geibeldenkmals+,
das +Heil+verfahren der +Diphtheritis+, das +Schmerz+stillen der
+Zähne+, die +Anzeige+pflicht der +ansteckenden Krankheiten+,
der +Verhaftungs+versuch +des Arbeiters+, eine +Fälscher+bande
+amtlicher Papiere+, das +Übersetzungs+recht +in fremde Sprachen+,
der +Verpackungs+tag +nach Österreich+, ein +Reise+handbuch +nach
Griechenland+, die +Abfahrts+zeit +nach Kassel+, eine +Stern+gruppe
+dritter Größe+, eine +Zucker+fabrik +aus Rüben+, +Erinnerungs+stätte
an +Käthchen Schönkopf+, 100 Stück +Kinder+hemden +von 2 bis 14
Jahren+, und ähnliches.


Die teilweise Erneuerung

Mit wachsender Schnelligkeit hat sich endlich noch ein Fehler in
der Attributbildung verbreitet, der für einen Menschen von feinerem
Sprachgefühl etwas höchst beleidigendes hat, gegen den aber die
große Masse schon ganz abgestumpft ist: der Fehler, die mit +weise+
zusammengesetzten Adverbia wie Adjektiva zu behandeln. Man schreibt
jetzt frischweg, als ob es so ganz in der Ordnung wäre: die +teilweise
Erneuerung+, die +stufenweise Vermehrung+, die +ausnahmsweise
Erlaubnis+, die +bruchstückweise Veröffentlichung+, die +heftweise
Ausgabe+, die +stückweise Bezahlung+, die +auszugsweise Abschrift+, die
+vergleichsweise Erledigung+, die +leihweise+ oder +schenkungsweise
Überlassung+, der +glasweise Ausschank+, die +probeweise Anstellung+,
die +reihenweise Aufstellung+, die +versuchsweise Aufhebung+,
die +abwechslungsweise Verteilung+ usw. Wenn in Leipzig jemand
seine Steuern nicht pünktlich bezahlt, so hat er die +zwangsweise
Beitreibung+ (!) zu gewärtigen; ja nach einer Dorfversammlung läßt man
sogar die Leute in ihre +beziehungsweisen (!) Behausungen+ zurückkehren.

Es wird einem ganz griechisch zumute, wenn man so etwas liest. Die
griechische Sprache ist imstande, das zwischen Artikel und Hauptwort
tretende Attribut auch durch ein Adverb oder einen adverbiellen
Ausdruck zu bilden.[101] Im Griechischen kann man sagen: das +jetzt
Geschlecht+ (τὸ νῦν γένος) für: das jetzige Geschlecht, der +heute
Tag+ für: der heutige Tag, der +jedesmal König+ für: der jedesmalige
König, die +dazwischen Zeit+ für: die dazwischenliegende Zeit, der
+zurück Weg+ für: der zurückführende Weg, die +allzusehr Freiheit+
für: die allzu große Freiheit. Mit unsern Adverbien auf +weise+
lassen sich im Griechischen namentlich gewisse mit der Präposition
κατά und dem Akkusativ gebildete Ausdrücke vergleichen wie: κατὰ
μικρόν (stückweise), κατ’ ἐνιαυτόν (jahrweise, alljährlich), καθ’
ἡμέραν (tageweise), (einer auf einmal), ἡ καθ’ ἡμέραν τροφή (die
tageweise Nahrung). Im Deutschen sind derartige Verbindungen ganz
unmöglich.[102] Dem, der sie gebraucht, fällt es auch gar nicht
ein, in einer Verbindung wie: die +schrittweise Vervollkommnung+
das +schrittweise+ als Adverb aufzufassen, er meint, er schreibe
wirklich ein Adjektivum hin, er dekliniert ja auch: die +pfennigweisen
Ersparnisse+, ein +teilweiser Erlaß+. Das ist aber eben die Verwirrung.
Die mit +weise+ zusammengesetzten Wörter sind Adverbia, die aus
Genitiven entstanden sind. Man sagte zunächst: +glücklicher Weise+,
+törichter Weise+, +verkehrter Weise+, wie man auch sagte: +gewisser
Maßen+ (+die+ Maße hieß es ursprünglich). Dann dachte man nicht
mehr an den Genitiv, sondern wagte auch andre Zusammensetzungen
(+versuchsweise+ ist eigentlich: +nach+ oder +auf Versuchs Weise+), und
endlich bildete man sich ein, vielleicht verführt durch den Gleichklang
mit +weise+ (~sapiens~), diese Zusammensetzungen wären Adjektiva.
Das sind sie aber nicht; man kann wohl etwas +teilweise erneuern+,
+ausnahmsweise erlauben+, +zwangsweise versteigern+, +bruchstückweise
veröffentlichen+, man kann sich +schrittweise vervollkommnen+, aber die
+schrittweise Vervollkommnung+ ist eine Verirrung des Sprachgefühls,
die nicht um ein Haar besser ist als das +entzweie Glas+, der +extrae
Teller+, der +sehre Hunger+ und die bisweilen im Scherz gebildeten
Ausdrücke, in denen man Präpositionen wie Adjektiva behandelt: ein
+durcher Käse+, eine +zue Droschke+, ein +auses Heft+ (statt: ein
ausgeschriebnes).[103]

Mancher wird einwenden: daß ein Adverbium zum Adjektivum wird, ist
doch kein Unglück, es ist auch sonst geschehen. Mit +zufrieden+,
+vorhanden+, +ungefähr+ ist es ebenso gegangen. Erst sagte man:
ich kann mir das +ungefähr vorstellen+, dann wagte man auch: ich
habe davon eine +ungefähre Vorstellung+. Andre werden einwenden:
dieser Mißbrauch (wenn es einer ist) gewährt doch unleugbar eine
Bequemlichkeit, wo soll man einen Ersatz dafür hernehmen? Früher
sagte man: +partiell+ (die +partielle Renovation+), +fragmentarisch+
(die +fragmentarische Publikation+), +exzeptionell+, +obligatorisch+,
+relativ+, +provisorisch+. Nun meiden wir die Fremdwörter und sagen:
die +teilweise Erneuerung+, die +bruchstückweise Veröffentlichung+, und
nun ist es wieder nicht recht.

Das sind hinfällige Einwände. Wer sich der adverbiellen Natur dieser
Zusammensetzungen bewußt geblieben ist -- und solche Menschen
wird es doch wohl noch geben dürfen? --, oder wer sie sich wieder
zum Bewußtsein gebracht hat, was gar nicht schwer ist, der bringt
Ausdrücke wie +teilweise Erneuerung+ weder über die Lippen noch aus
der Feder.[104] Einzelne dieser Verbindungen sind ja nichts als
Sprachschwulst oder Ungeschick: für +schenkungsweise Überlassung+
eines Bauplatzes genügt doch wahrhaftig +Schenkung+ und statt: die
+teilweise Veröffentlichung+ der Briefe kann man doch sagen: die
Veröffentlichung +eines Teils+ oder +von Teilen+ der Briefe. Alle aber
lassen sich vermeiden, wenn man sich nur von der Manier freihält oder
wieder freimacht, in der unsre ganze Schriftsprache jetzt befangen
ist, der greulichen Manier, zum Hauptsinnwort eines Satzes immer
ein Substantiv zu machen, statt ein Zeitwort. Wenn wir wieder Verba
schreiben lernten, vor allen Dingen einen Satz wieder mit dem Verbum
anfangen lernten, was sich heute kaum noch jemand getraut, dann würde
so mancher andre Unrat auch wieder verschwinden. Statt zu schreiben:
es wurde eine Resolution angenommen, die die +zeitweise Aufhebung+ der
Kornzölle verlangte -- schreibe man doch: die verlangte, die Kornzölle
+zeitweise aufzuheben+, statt: ihre +teilweise Begründung+ mag diese
Gleichgiltigkeit darin finden -- schreibe man doch: +begründet+ mag
diese Gleichgiltigkeit +zum Teil+ darin sein -- und alles ist in bester
Ordnung.

Eine nagelneue besondre Abart dieses Fehlers ist das von den
Kleiderfabrikanten aufgebrachte +fußfreie Kleid+, dem sich natürlich
schleunigst der +armfreie Lodenmantel+, die +armfreie+ Betätigung aller
Kräfte und die +kniefreien Wunderkinder+ angeschlossen haben. Man kann
+sich+ wohl +fußfrei kleiden+, d. h. so, daß die Füße frei bleiben, man
kann sich auch +rückenfrei setzen+, aber dann kann weder der Mensch
noch das Kleid fußfrei, weder der Mensch noch der Stuhl rückenfrei
genannt werden.


Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer denkende?

Ein Gegenstück zu der +schrittweisen Vervollkommnung+, das freilich
durch eine andre Sprachdummheit entsteht, bilden Verbindungen wie: das
+einzig Richtige+, der +tiefer Denkende+, der +mittellos Verstorbne+,
der +mit ihm Redende+ u. ähnl. Da liegt der Fehler nicht im Ausdruck,
sondern -- in der Schreibung, nämlich in den törichten großen
Anfangsbuchstaben, mit denen man ganz allgemein die Adjektiva und
Partizipia solcher Verbindungen schreibt und druckt.

Gewöhnlich wird gelehrt, daß Adjektiva und Partizipia, wenn sie kein
Hauptwort bei sich haben, selber zu Hauptwörtern würden und dann
mit großen Anfangsbuchstaben zu schreiben seien, also: die +Grünen+
und die +Blauen+, alle +Gebildeten+. Das läßt sich hören. Nun geht
man aber weiter. Man schreibt solche Adjektiva und Partizipia auch
dann groß, wenn zu dem Adjektiv ein Adverb oder ein Objekt, zu dem
Partizip ein Adverb, ein Prädikat, ein Objekt oder eine adverbielle
Bestimmung tritt, z. B.: so +Schönes+, längst +Bekanntes+, etwas
ungemein +Elastisches+, der minder +Arme+, alles +bloß Technische+,
das eigentlich +Theatralische+, der wirtschaftlich +Abhängige+, das
dem Vaterland +Ersprießliche+ -- ein unglücklich +Liebender+, kein
billig +Denkender+, der wagehalsig +Spekulierende+, das wahrhaft
+Seiende+, der früh +Dahingeschiedne+, die mäßig +Begüterten+, die
bloß +Verschwägerten+, der ergebenst +Unterzeichnete+, der sehnlichst
+Erwartete+, der wahrhaft +Gebildete+, das glücklich +Erreichte+,
das früher +Versäumte+, der hier +Begrabne+, das anderwärts besser
+Dargestellte+ -- der beschaulich +Angelegte+, der gefesselt
+Daliegende+, der unschuldig +Hingerichtete+, das als richtig
+Erkannte+ -- die dem Gemetzel +Entgangnen+, die Medizin +Studierenden+
-- die zu ihm +Geflüchteten+, die vom Leben +Abgeschiednen+, die
bei der Schaffung des Denkmals +Beteiligten+, die an der Aufführung
+Mitwirkenden+, die auf die Eröffnung der Kasse +Wartenden+ -- auch:
die von ihm +zu Befördernden+, das auf Grund des schon +Vorhandnen+
noch +zu Erreichende+ usw.

Ist das richtig? Können in solchen Verbindungen die Adjektiva und
Partizipia wirklich als Substantiva angesehen werden? Ein wenig
Nachdenken genügt doch, zu zeigen, daß das unmöglich ist. Wenn ich
sage: der +frühere Geliebte+, so ist das Partizip wirklich zum
Substantivum geworden; sage ich aber: der +früher geliebte+, so
kann doch von einer Substantivierung keine Rede sein. Welchen Sinn
hat es aber, Wörter äußerlich, für das Auge, zu Hauptwörtern zu
stempeln, die gar nicht als Hauptwörter gefühlt werden können? Diese
Fälle sollten im Unterricht dazu benutzt werden, den Unterschied
zwischen einem zum Substantiv gewordnen und einem Partizip gebliebnen
Partizipium klarzumachen! Wäre es richtig, zu schreiben: alles bisher
+Erforschte+, alle vernünftig +Denkenden+, die im Elsaß +Reisenden+,
die zwei Jahre lang +Verbündeten+, die zur Feier von Kaisers Geburtstag
+Versammelten+, die durch die Überschwemmung +Beschädigten+, die auf
preußischen Universitäten +Studierenden+, der wegen einer geringfügigen
Übertretung +Angeklagte+, wäre es möglich, alle diese Partizipia als
Substantiva zu fühlen -- und nur darauf kommt es an! --, dann müßte man
auch sagen können: alle bisher +Forschung+, alle vernünftig +Denker+,
die im Elsaß Reise, die zwei Jahre lang +Verbindung+, die zur Feier
von Kaisers Geburtstag +Versammlung+, der durch die Überschwemmung
+Schade+, die auf preußischen Universitäten +Studenten+, die wegen
einer geringfügigen Übertretung +Anklage+. Wollte man hier wirklich
eine Substantivierung annehmen und äußerlich vornehmen, so könnte das
nur so geschehen, daß man die ganze Bekleidung mitsubstantivierte
und schriebe: die +Wirklichoderangeblichminderbegabten+, jeder
+Tieferindiegoethestudieneingedrungne+. So verfährt man ja wirklich bei
kurzen Zusätzen wie: die +Leichtverwundeten+, der +Frühverstorbne+, die
+Fernerstehenden+, die +Wenigerbegabten+.

Nun könnte man sagen: gut, wir wollen da, wo Adjektiva und Partizipia
allein stehen, sie mit großen Anfangsbuchstaben schreiben; treten
sie mit irgendwelchen Zusätzen auf, so mögen sie mit dem kleinen
Buchstaben zufrieden sein. Was soll aber dann geschehen, wenn
beide Fälle miteinander verbunden sind, was sehr oft geschieht,
z. B.: das +unbedeutende+, in der Eile +hingeworfne+ -- etwas
+selbstverständliches+, mit Händen +greifbares+ -- etwas +großes+,
der ganzen Menschheit +ersprießliches+ -- eine nach dem +pikanten+,
noch nicht +dagewesenen+ haschende Phantasie -- mit Verzicht auf das
+verlorne+ und zu unsrer Sicherheit unbedingt +notwendige+? Soll man da
abwechseln? das eine klein, das andre groß schreiben?

Das vernünftigste wäre ohne Zweifel, man beschränkte die großen
Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Substantiva und schriebe
alles übrige klein. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß
+Gewonnene+, und sich und andern einzureden: +Gewonnene+ sei hier ein
Substantiv, ist doch geradezu ein Verbrechen an der Logik. Aber auch
das +schrittweise Gewonnene+ ist Unsinn. Denn wäre +Gewonnene+ ein
Hauptwort, dann könnte +schrittweise+ nur ein Eigenschaftswort sein,
und das ist es nicht, ist aber +schrittweise+ ein Adverbium, dann kann
+Gewonnene+ nur eine Verbalform sein, und das ist es ebenfalls nicht,
sowie man es mit G schreibt.


Die Apposition

Eine Regel, die schon der Quintaner lernt, lautet: eine Apposition
muß stets in demselben Kasus stehen wie das Hauptwort, zu dem sie
gehört. Das ist so selbstverständlich, daß es ein Kind begreifen
kann. Nun sehe man sich aber einmal um, wie geschrieben wird! Da
heißt es: das Gastspiel +des+ Herrn R., +erster Tenor+ an der Skala
in Mailand -- der Verfasser +der+ Sylvia, +ein Buch+, das wir leider
nicht kennen -- es gilt das namentlich von +dem+ mitteldeutschen
Hofbau, +die verbreitetste+ aller deutschen Bauarten -- der First ist
+mit+ freistehenden +Figuren+, Petrus und +die vier Evangelisten+,
geschmückt -- offenbar hat Trippel von +jener Skulptur+, +eine+ dem
Apoll von Belvedere nicht +allzufernstehende Arbeit+, die Anregung
erhalten -- in Koblenz war ich ein Stündchen +bei Bädeker+, ein recht
+liebenswürdiger, verständiger+ Mann -- das Grab war +mit+ Reseda und
+Monatsrosen+ geschmückt, +die Lieblingsblumen+ der Verstorbnen --
anders verhält es sich mit +dem Sauggasmotor+, +ein Apparat+, der das
erforderliche Gas selbst erzeugt. Solche Verbindungen kann man sehr
oft lesen; mag der Genitiv, der Dativ, der Akkusativ vorausgehen,
gleichviel: die Apposition wird in den Nominativ gesetzt. Sie wird
behandelt wie eine Parenthese, als ob sie gar nicht zum Satzgefüge
gehörte, als ob sie der Schreibende „beiseite“ spräche oder in den Bart
murmelte.

Auch dieser Fehler ist, wie so manches in unsrer Sprache, durch
Nachäfferei des Französischen entstanden. Nicht daß das Französische
bei seiner strengen Logik eines solchen Unsinns fähig wäre, zu einem
Hauptwort im Genitiv eine Apposition im Nominativ zu setzen. Wenn der
Franzose schreibt: ~le faîte est orné de statues~, ~St. Pierre et les
quatre évangélistes~, so empfindet er natürlich ~les évangélistes~
so gut von de abhängig wie das vorhergehende. Der Deutsche aber, der
ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht nur die unflektierte Form,
bildet sich ein, das sei ein Nominativ, und plumpst nun hinter +des+
und +dem+ und +den+ mit seinem +der+ drein. Es ist wie ein Schlag ins
Gesicht, ein solcher Nominativ als Genosse und Begleiter eines ~casus
obliquus~.

Auch wenn die Apposition mit +als+ angeschlossen wird, muß sie
unbedingt in demselben Kasus stehen wie das Wort, zu dem sie tritt,
z. B.: ein Vortrag über Viktor +Hugo+ als +politischen Dichter+
(nicht +politischer+!) -- ein Portal mit zwei gefesselten +Türken+
als +Schildhaltern+ (nicht +Schildhalter+!) -- eine Zusammenfassung
+Schlesiens+ als +eines+ Ganzen (nicht ein +Ganzes+!). Nur wenn sie
sich an das besitzanzeigende Adjektiv anschließt, also eigentlich im
Genitiv stehen müßte, nimmt man sich allgemein die Freiheit, zu sagen:
+mein+ Beruf +als Lehrer+, +seine+ Bedeutung +als Dichter+.

Nicht zu verwechseln mit der Apposition hinter +als+ ist das
Prädikatsnomen hinter +als+ und dem Partizip eines Zeitworts, wie
+gesandt+, +berufen+, +bekannt+, +berühmt+, +gefeiert+, +bewährt+,
+berüchtigt+ usw. Beim ~Verbum finitum~ steht selbstverständlich ein
Prädikatsnomen, das sich an das Subjekt anschließt, im Nominativ:
der +Entschlafne+ wurde als +Mensch+ wie als Politiker gleich hoch
geschätzt; schließt es sich an das Objekt an, so steht es im Akkusativ:
ich habe +den Entschlafnen+ als +Menschen+ wie als Politiker gleich
hoch geschätzt. Manche schreiben nun aber auch: die Stadt hat ihr +als
ausgezeichneten Verwaltungsbeamten+ bekanntes +Oberhaupt+ verloren.
Das ist des Guten zu viel. Beim Partizip steht das Prädikatsnomen
stets im Nominativ, der Kasus, auf den es sich bezieht, mag sein,
welcher er will, z. B.: auf die Vorstellungen +des als Gesandter+
an ihn geschickten +Tilo+ -- an die Stelle +des als Professor+ nach
Aachen versetzten +Baumeisters+ -- als Nachfolger +des als Gehilfe+
des Finanzministers nach Petersburg berufnen +Geheimrats+ -- +dem+ als
vortrefflicher +Dirigent+ bekannten +Kapellmeister+. Dieser Nominativ
erklärt sich daraus, daß er eben stets hinter dem passiven ~Verbum
finitum~ steht, sogar oft im Aktiv bei rückbezüglichen Zeitwörtern,
wie +sich zeigen+, +sich beweisen+, +sich verraten+, +sich entpuppen+,
+sich bewähren+, wo eigentlich der Akkusativ am Platze wäre: er hat
+sich+ als +ausgezeichneter Verwaltungsbeamter+ bewährt. Hier ist
übrigens ein Unterschied möglich; er zeigte +sich+ als +feinen+ Kenner
-- ist etwas andres als: er zeigte +sich+ als +feiner+ Kenner. Der
Akkusativ entspricht einem Objektsatz im Konjunktiv (er zeigte, daß er
ein feiner Kenner +sei+), der Nominativ einem Objektsatz im Indikativ
(er zeigte, daß er ein feiner Kenner +ist+). Aber dieser Unterschied
ist so fein, daß ihn die wenigsten nachfühlen werden; die meisten
schreiben unwillkürlich überall den Nominativ.

Bei +sein lassen+ und +werden lassen+ muß ein zum Objekt gehöriges
Prädikat natürlich im Nominativ stehen. Falsch heißt es in dem
Gesangbuchliede: laß du +mich deinen Tempel+ sein, falsch auch bei
Uhland: laß +du mich deinen Gesellen+ sein -- so annehmbar es auch zu
klingen scheint. Es muß heißen: laß du +mich dein Geselle+ sein -- laß
+ihn ein tüchtiger Künstler+ werden.


Der Buchtitelfehler

Ein besonders häufiges Beispiel einer fehlerhaften Apposition
findet sich auf Buchtiteln. Gewiß auf der Hälfte aller Buchtitel
wird jetzt zum Verfassernamen, der ja immer hinter +von+, also im
Dativ steht, das Amt oder der Beruf des Verfassers im Nominativ
gesetzt! Noch in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts war diese Nachlässigkeit fast unbekannt; da schrieb
man noch richtig; +von+ Joseph +Freiherrn+ von Eichendorff, +von+
H. Stephan, kgl. preußisch+em+ Postrat. Jetzt heißt es: +von+
C. W. Schneider, Reichstagsabgeordnet+er+ -- +von+ H. Brehmer,
dirigierend+er+ Arzt -- +von+ F. Kobeker, kaiserl. russisch+er+
Geheimrat -- +von+ Egbert von Frankenberg, diensttuend+er+ Kammerherr
-- +von+ Havestadt und Contag, Regierungsbaumeist+er+ -- +von+ ~Dr.~
Leonhard Wolff, städtisch+er+ Musikdirektor -- +von+ J. Hartmann,
königl. preußisch+er+ Generalleutnant z. D. -- +von+ Adolf Zeller,
königlich+er+ Regierungsbaumeister -- +von+ Adolf Winds, königl.
sächsisch+er+ Hofschauspieler -- +von+ ~Dr.~ Friedrich Harms, weiland
ordentlich+er+ Professor an der Universität Berlin -- +von+ L. Schmidt,
korrespondierend+es+ Mitglied des Vereins usw. Besonders häufig
erscheinen der +Dozent+, der +Privatdozent+ und der +Architekt+ in
solchen fehlerhaften Appositionen; es ist, als ob die Herren ganz
vergessen hätten, daß sie nach der schwachen Deklination gehen (+dem+
Dozent+en+, +dem+ Architekt+en+). Mitunter sind ja die Verfasser so
vorsichtig, das Wort, auf das es ankommt, abzukürzen, z. B.: +von+
Heinrich Oberländer, +königl.+ Schauspieler. Namentlich der +ordentl.+
und der +außerordentl.+ Professor gebrauchen gern diese Vorsicht und
überlassen es dem Leser, sich die Abkürzung nach Belieben zu ergänzen.
Die meisten Leser ergänzen aber sicher falsch.[105] Hat außerdem noch
der Name des Druckers oder des Verlegers eine Apposition, so kann es
vorkommen, daß auf einem Buchtitel der Fehler zweimal steht, oben
beim Verfassernamen und dann wieder unten am Fuße: Druck +von+ Gustav
Schenk, königlich+er+ Hofliefer+ant+!

Aber auch in andern Fällen, nicht bloß wo sich der Verfasser
eines Buches nennt, wird der Fehler oft begangen. Man schreibt
auch: Erinnerungen +an+ Botho von Hülsen, Generalintend+ant+ der
königlichen Schauspiele. Auf Briefadressen kann man lesen: +Herrn+
~Dr.~ Müller, Vorsitzend+er+ des Vereins usw. Es ist, als ob alle
solche Appositionen, die Amt, Titel, Beruf angeben, zusammen mit den
Personennamen als eine Art von Versteinerungen betrachtet würden. Daß
+von+ den Dativ, +an+ den Akkusativ regiert, dafür scheint hier alles
Bewußtsein geschwunden zu sein. Erst kommt die Präposition, dann der
Name, und dann, unflektiert und, wie es scheint, auch unflektierbar,
der Wortlaut der -- Visitenkarte.


Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.

Zu der einen Nachäfferei des Französischen bei der Apposition kommt
aber jetzt noch eine zweite, nämlich die, den Artikel wegzulassen. In
gutem Deutsch ist das nur dann üblich, wenn die Apposition Amt, Beruf
oder Titel bezeichnet, und auch da eigentlich nur in Unterschriften,
wenn man selber seinen Namen und Titel hinschreibt. Aber abgeschmackt
ist es, den Artikel bei Verwandtschaftsbegriffen wegzulassen, und
doch kann man das jetzt ebenso oft in Geschichtswerken wie in --
Verlobungsanzeigen lesen. Historiker und Literarhistoriker schreiben:
die Bekanntschaft mit Körner, +Vater+ des Dichters Theodor Körner
-- die Briefe sind an die Herzogin Dorothee Susanne, +Gemahlin+ des
Herzogs Johann Wilhelm, gerichtet -- Gabriele von Bülow, +Tochter+
Wilhelm von Humboldts -- sogar: Direktor Adler, +Pate+ meiner Schwester
-- und der Reserveleutnant und Gymnasialoberlehrer Schmidt zeigt an,
daß er sich mit Fräulein Mimi Schulz, +Tochter+ des Herrn Kommerzienrat
Schulz, verlobt habe. Diese lapidarische Kürze mag in den Augen des
Reserveleutnants der Größe des Augenblicks angemessen erscheinen --
deutsch ist sie nicht. Hat der Herr Kommerzienrat nur die eine Tochter,
so muß es heißen: +der Tochter+, hat er mehrere, so muß es heißen:
+einer Tochter+; und warum soll die Welt nicht erfahren, ob er noch
mehr hat? Und wenn der Geschichtschreiber nicht wüßte, oder wenn es
überhaupt unbekannt wäre, ob die Fürstin, von der er erzählt, eine oder
mehrere Töchter gehabt hat, so müßte es immer heißen: +eine Tochter+,
denn +eine+ Tochter war es auf jeden Fall, ob sie nun die einzige war
oder Schwestern hatte.

Ebenso falsch ist es natürlich, zu schreiben, der Vorwärts, +Organ+ der
sozialdemokratischen Partei. Hat die Partei mehrere „Organe“, so muß
es heißen: +ein+ Organ; hat sie nur das eine, ist das ihr anerkanntes
amtliches „Organ“, so muß es heißen: +das+ Organ. +Organ+ allein könnte
höchstens (in dem zweiten Falle) unter dem Titelkopfe der Zeitung
stehen.


Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße

Daß ein Eigenname nicht mit einer vorangestellten Apposition ein
zusammengesetztes Wort bilden kann, darüber ist sich wohl jedermann
klar. +Kaiser Wilhelm+ -- das sind und bleiben zwei Wörter, so gut wie
+Doktor Luther+, +Bruder Straubinger+, +Inspektor Bräsig+, +Familie
Mendelssohn+, +Stadt Berlin+ u. ähnl. Trotzdem ist neuerdings der
Unsinn aufgekommen, namentlich bei Badeorten die Apposition +Bad+ durch
einen Strich mit dem Ortsnamen zu verbinden, als ob beides zusammen
+ein+ Wort bildete. +Bad-Sulza+, im Gegensatz dazu dann +Stadt-Sulza+,
+Bad-Elster+, +Bad-Kissingen+, +Bad-Nauheim+ -- so wird selbst
amtlich von der Post und der Eisenbahn z. B. in Briefstempeln und auf
Eisenbahnbilletts gedruckt. Und besucht man dann einen solchen Badeort,
so sieht man, daß dort auch hinter dem Worte +Villa+ der Unsinn in
üppigster Blüte steht: +Villa-Daheim+, +Villa-Schröter+, +Villa-Maria+,
+Villa-Quisisana+ -- anders wird gar nicht mehr an die Häuser gemalt,
einer machts immer dem andern nach.[106]

Mit diesem Unsinn kreuzt sich aber nun ein andrer. Teils infolge des
übertriebnen juristischen Genauigkeitsbedürfnisses, teils infolge des
herrschenden Byzantinismus unsrer Zeit kann man es sich nicht versagen,
da, wo nun wirkliche Zusammensetzungen mit Eigennamen gebildet werden,
auch noch Vornamen, Titel oder sonstige Appositionen davorzusetzen und
zu schreiben: +Gustav Freytag-Straße+, +von (!) Falckenstein-Straße+,
+Kaiserin Augusta-Straße+, +Königin Carola-Gymnasium+, +Königin
Luisen-Garten+, +Kaiser Friedrich-Quelle+, +Generalfeldmarschall Prinz
Friedrich Karl von Preußen-Eiche+, +Familie Mendelssohn-Stiftung+,
+Baronin Moritz von Cohn-Stiftung+, +Philipp Reis-Denkmal+, +Waldemar
Meyer-Quartett+, +Gustav Frenssen-Abend+, +Arthur Nikisch-Stipendium+,
+Auguste Schmidt-Haus+, +Hugo Wolff-Nachruf+ usw. Wenn man früher
eine Straße nach dem großen Preußenkönig, einen Kanal nach dem großen
Bayernkönig nannte, so nannte man sie einfach +Friedrichstraße+,
+Ludwigskanal+. Eine Stiftung hieß die +Wiedebachsche Stiftung+, mochte
sie nun von einem Manne namens Wiedebach, einer Frau namens Wiedebach
oder einer Familie namens Wiedebach herrühren. Auf den Namen kam es
an. Ein Name soll doch eben ein Name sein, aber keine Geschichte,
kein Steckbrief, keine Hofkalenderadresse, keine Visitenkarte. Die
heute beliebten langatmigen Bezeichnungen sind aber alles andre, nur
keine Namen. Dazu kommt aber nun, daß alle solche Worthaufen, die
doch als zusammengesetzte Wörter gelten sollen, vor den Eigennamen
ohne Bindestrich geschrieben werden: +Kaiser Wilhelm-Straße+. Das
kann doch nichts andres bedeuten als einen Kaiser, der Wilhelmstraße
heißt! Soll es eine Straße bedeuten, die nach Kaiser Wilhelm genannt
ist, so muß sie unbedingt geschrieben werden: +Kaiser-Wilhelm-Straße+.
Und ebenso muß unbedingt geschrieben werden: +Gustav-Adolf-Verein+,
+Maria-Stuart-Tragödie+, +Baronin-Moritz-von-Cohn-Stiftung+,
+Generalfeldmarschall-Prinz-Friedrich-Karl-von-Preußen-Eiche+. Wem das
nicht gefällt, der bilde keine solchen Wörter. Es geht aber schon so
weit, daß man eine Schule +Kaiser Wilhelm II. Realschule+ genannt hat!
Wie soll man das nur aussprechen?

In der unsinnigen Schreibung solcher Wortungetüme (ohne alle
Bindestriche) offenbart sich wieder der zerrüttende Einfluß des
Englischen. Das Englische kennt ja keine Wortzusammensetzungen. Die
Wörter kollern da aufs Papier wie die Pferdeäpfel auf die Straße:
+Original Singer Familien Nähmaschine+. Das ist zu schön, das muß doch
wieder nachgemacht werden!


Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur

Eine fehlerhafte und abgeschmackte Nachahmung des Französischen und
des Englischen liegt auch in Verbindungen wie +Prinz-Regent+ und
+Dichter-Komponist+ vor. Nach deutscher Logik (vgl. +Chorregent+,
+Liederkomponist+) wäre ein +Dichterkomponist+ ein Komponist, der
Dichter komponierte, ein +Prinzregent+ ein Regent, der einen Prinzen
regierte; das eine soll aber ein Dichter sein, der zugleich komponiert,
das andre ein Prinz, der die Regentschaft führt; das erste Wort soll
also nicht das Bestimmungswort des zweiten, sondern das zweite eine
Art von Apposition zum ersten sein. Das erste Beispiel dieser Art
war wohl der +Bürgergeneral+, wie Goethe wörtlich das französische
~citoyen-général~ übersetzt hatte; später kam der +Prinz-Gemahl+
dazu (dem englischen ~prince-consort~ nachgebildet). Und nun war
kein Halten mehr. Nun folgten auch die +Herzogin-Mutter+, die
+Königin-Witwe+, der +Prinz-Regent+, der +Fürst-Bischof+ und der
+Fürst-Reichskanzler+, und in andern Lebenskreisen, dem französischen
~peintre-graveur~, ~membre-protecteur~ und ~commis-voyageur~
nachgeäfft, der +Maler-Radierer+, der +Maler-Dichter+ (z. B. Reinick,
Stifter, Fitger), der +Dichter-Komponist+ und der +Senior-Chef+. Kann
man sich da wundern, wenn die Dienstmädchen nun auch von einem Prinzen,
der in Leipzig studiert, sagen: Dort fährt der +Prinz-Student+? Manche
Zeitungen getrauen sich schon nicht mehr, Fürstenkinder als Söhne und
Töchter zu bezeichnen, sondern schreiben stets: die +Prinzen-Söhne+,
die +Prinzessinnen-Töchter+. In gewissen sächsischen Zeitungen z. B.
hat der König von Sachsen immer nur +Prinzensöhne+. Es fehlt nur noch
die +Kaiserin-Großmutter+ und die +Königin-Tante+. Das neueste der Art
ist der +Doktor-Ingenieur+, der lächerlicherweise noch dazu ~Dr. ing.~
geschrieben wird, was man doch höchstens ~Doctor ingenii~ lesen kann.
Hätte es da nicht näher gelegen und wäre es nicht logischer gewesen,
solche Herren als ~Dr. techn.~ zu bezeichnen?


In einer Zeit wie der unsrigen

Keine eigentliche Apposition liegt vor, wenn man sagt: +in einer Zeit+
wie +der unsrigen+, sondern hier hat ein kurzer Nebensatz, und zwar
ein Attributsatz (+wie die unsrige ist+), sein Zeitwort eingebüßt, und
das übrigbleibende Subjekt des Satzes ist dann unwillkürlich zu dem
vorhergehenden Dativ gezogen, „attrahiert“ worden. Manche wollen von
dieser Attraktion nichts wissen; sie ist aber sehr natürlich und liegt
so nahe, daß es pedantisch wäre, sie zu vermeiden. Gegen Verbindungen
wie: in +einem Buche+ wie dem vorliegenden, oder: es bedarf +eines
Reaktionsstoffes+ wie +des Natriums+ -- ist nicht das geringste
einzuwenden; es klingt sogar gesucht und hart, wenn jemand schreibt:
+von+ Perioden wie +die jetzige+ kann man sagen -- sie wollte ihren
Sohn +vor+ einem ähnlichen Schicksal wie +das+ seines Vaters bewahren
-- wer die Jugend +zu+ einem Berufe wie +der ärztliche+ vorbereiten
will -- +solche+ kleinere Sammlungen wurden +in+ Werken wie +die
Weingartner Handschrift+ vereinigt.


Gustav Fischer, Buchbinderei

Eine Geschmacklosigkeit, die sich in der Sprache unsrer Geschäftsleute
mit großer Schnelligkeit verbreitet hat, besteht darin, zu einem
Personennamen eine Sache als Apposition zu setzen, z. B.: +Gustav
Fischer, Buchbinderei+ -- +Th. Böhme, Schuhmacherartikel und
Schäftefabrik+ -- +B. Fricke, Kartoffelmehl ~en gros~+ -- +Leopold
Wallfisch, Leder+. Früher sagte man vernünftigerweise: +Gustav Fischer,
Buchbinder+, und wer zu verstehen geben wollte, daß er sein Geschäft
nicht allein, sondern mit einer Anzahl von Gesellen betreibe (jetzt
heißt es vornehmer: Gehilfen, obwohl ein Geselle von damals viel mehr
zu bedeuten hatte als so ein moderner „Gehilfe“!), sagte: +Gustav
Fischers Buchbinderei+ oder +Buchbinderei von Gustav Fischer+. Der
Unsinn, einen Menschen eine Buchbinderei zu nennen, ist unsrer Zeit
vorbehalten geblieben.

Man könnte nun einwenden, in solchen Verbindungen solle der
Personenname gar nicht den Mann bedeuten, sondern die Firma, das
Geschäft; in dem Zusatz solle also gar keine Apposition liegen,
sondern mehr eine „Juxtaposition“. In den altmodischen Firmen sei nur
der eine Satz ausgedrückt gewesen: (hier wohnt) +Gustav Fischer+; in
den neumodischen Firmen seien zwei Sätze ausgedrückt: (hier wohnt)
+Karl Bellach+, (der hat eine) +photographische Anstalt+, oder: (hier
hat sein Geschäft) +Siegfried Goldmann+, (der verkauft) +Wolle+. Wie
steht es denn aber dann, wenn man in einem Ausstellerverzeichnis
lesen muß: Herr +F. A. Barthel, Abteilung+ für Metallklammern, oder
in einer Verlobungsanzeige: Herr +Max Schnetger, Rosenzüchterei+, mit
Fräulein Luise Langbein, oder in einem Fremdenbuche: +Rudolf Dahme,
Kognakbrennerei+, mit Gattin und Tochter, oder in einer Zeitung: Herr
+Gustav Böhme jun., Bureau+ für Orientreisen, telegraphiert uns? Ist da
auch noch die Firma gemeint?

Zum Teil ist dieser Unsinn eine Folge der Prahlsucht[107]
unsrer Geschäftsleute; es will niemand mehr +Gärtner+ oder
+Brauer+, +Tischler+ oder +Buchbinder+ sein, sondern nur noch
+Gärtnereibesitzer+, +Brauereibesitzer+, +Tischlereibesitzer+,
+Buchbindereibesitzer+ -- immer großartig! Da darf natürlich die
Buchbind+erei+ auch in der Firma nicht fehlen. Zum andern Teil ist er
aber doch auch eine Folge der Verwilderung unsers Sprachgefühls. +W.
Spindlers Waschanstalt+ und +Gotthelf Kühnes Weinkellereien+ -- das
wäre Sprache; +W. Spindler Färberei und Waschanstalt+ und +Gotthelf
Kühne Weinkellereien+ -- das ist Gestammel. Man will aber gar nicht
mehr sprechen, man will eben stammeln.


Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere

Recht vorsichtig sollte man immer in dem Gebrauche der persönlichen
Fürwörter sein. Wer schreibt, der weiß ja, wen er mit einem
+er+ oder +ihn+ meint; der Leser aber versteht oft falsch, weil
mehrere Hauptwörter vorhergegangen sind, auf die sich das Fürwort
zurückbeziehen kann, sucht dann nach dem richtigen Wort und wird so in
ärgerlicher Weise aufgehalten. Wo daher ein Mißverständnis möglich ist,
ist es immer besser, statt des Fürworts wieder das Hauptwort zu setzen,
besonders dann, wenn im vorhergehenden zwei Hauptwörter einander
gegenübergestellt worden sind. Leider macht sich auch hier wieder der
törichte Aberglaube breit, daß es unschön sei, kurz hintereinander
mehreremal dasselbe Wort zu gebrauchen.

Man nehme folgende Sätze: Schon in Goethe, ja schon in dem
musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer
solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten
Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen,
und die Haupttat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich
künstlerische Tat.

Das sind gewiß ein paar gute, tadellose Sätze, so klar, übersichtlich
und wohlklingend, wie man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der
Papiermensch drüber und sagt: Entsetzlich! Da steht ja zweimal
hintereinander Goethe und zweimal hintereinander Luther! Jedes zweite
mal ist vom Übel, also weg damit! Es muß heißen: +der eine+ und +der
andre+, oder +jener+ und +dieser+, oder -- und das ist nun das schönste
von allem --: +ersterer+ und +letzterer+. Also: schon in Goethe,
ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte
Vorgefühl einer solchen Entwicklung: +ersterer+ hatte bekanntlich bis
zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden
Kunst zu widmen; und die Haupttat des +letztern+, die Bibelübersetzung,
war eine wesentlich künstlerische Tat.

Über die häßliche Komparativbildung +ersterer+ und +letzterer+
ist schon bei den Relativsätzen gesprochen worden (vgl. S. 123).
Wie häßlich ist aber erst -- dort wie hier -- die Anwendung! Das
angeführte Beispiel ist ja verhältnismäßig einfach, und da es vorher
mit Wiederholung der Namen gebildet worden ist, so sieht man leicht,
worauf sich +ersterer+ und +letzterer+ beziehen soll. Aber welche
Qualen kann dem Leser in tausend andern Fällen ein solches +ersterer+
und +letzterer+, +dieser+ und +jener+ bereiten! Man hat ja, wenn man
arglos vor sich hinliest, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende
gewisse Wörter gleichsam heimlich numeriert, um hinterher plötzlich
von dem Leser zu verlangen, daß der sie sich auch numeriert und --
mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun so ein verteufeltes
+ersterer+. Ja wer war denn der +erstere+? Hastig fliegt das Auge
zurück und irrt in den letzten zwei, drei Zeilen umher, um darnach zu
suchen. +Ersterer+ -- halt, da steht +er+: Luther! Also: Luther hatte
bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht,
sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! der andre muß es gewesen
sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe! Also:
Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht -- Gott sei Dank, jetzt
sind wir wieder im Fahrwasser. Zum Glück verläuft ja in Wirklichkeit
dieses Hinundhergeworfenwerden etwas schneller; aber angenehm ist es
nicht, und doch, wie oft muß mans über sich ergehen lassen!

Noch ein paar weitere Beispiele: Diskretion ist eine Tugend der
Gesellschaft: +diese+ kann nicht ohne +jene+ bestehen -- unerfahrne
Kinder und geübte Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen
von Menschen und Charakteren miteinander gemein, aber freilich aus
verschiednen Gründen: +jene+ besitzen noch den Blick für das Ganze,
+diese+ schon den für die Einzelheiten des menschlichen Seelenlebens
-- wie Raffael in der Form, ist Rembrandt in der Farbe nichts weniger
als naturwahr; +dieser+ hat seinen selbständigen und in gewissem
Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut wie +jener+; und insofern
Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere persönliche
Handschrift zeigt als Raffael, hat der +erstere+ noch mehr Stil als
der +letztere+ -- der Gelehrte ist seinem Wesen nach international,
der Künstler national; darauf gründet sich die Überlegenheit des
+letztern+ über den +erstern+ -- dieser Umschwung ist wieder durch
den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers,
sondern der des Nehmers war; +jener+ hat in +diesem+ seinen Meister
gefunden; +letzterer+ das Werk würdig fortgesetzt. Alle solche Sätze
sind eine Qual für den Leser. Wer ist +dieser+, wer ist +jener+, wer
ist +letzterer+? In dem letzten Beispiele sollen +dieser+ und +jener+
der Geber und der Nehmer sein, aber in welcher Reihenfolge? +Dieser+
soll sich auf den näherstehenden, +jener+ auf den fernerstehenden
beziehen, +letzterer+ bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister,
es ist aber wieder der Nehmer gemeint. Ist es denn da nicht gescheiter,
zu schreiben: dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt
worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des
Nehmers war; der Geber hat im Nehmer seinen Meister gefunden, der
Nehmer hat das Werk würdig fortgesetzt? Das ist sofort verständlich,
und alles ängstliche Umkehren und Suchen fällt weg.

Ein ganz besondrer Mißbrauch wird noch mit +letzterer+ allein
getrieben. Viele sind so verliebt in dieses schöne Wort, daß sie es
ganz gedankenlos (für +dieser+!) auch da gebrauchen, wo gar keine
Gegenüberstellung von zwei Dingen vorhergegangen ist; sie weisen
damit einfach auf das zuletzt genannte Hauptwort zurück; z. B.: das
Preisgericht hat seinen Spruch getan, +letzterer+ greift jedoch
der Entscheidung nicht vor -- das Pepton wird aus bestem Fleisch
dargestellt, sodaß +letzteres+ bereits in löslicher Form dem Magen
zugeführt wird -- Krüge, Teller und Schüsseln bilden das Material,
dem die dichterischen Ergüsse anvertraut werden; sind +letztere+ aber
elegischer Natur, so finden wir sie auf Grabsteinen und Votivtafeln
-- in der offiziösen Sprache schreibt man erst dann von gestörten
Beziehungen, wenn der Krieg vor der Tür steht, und daß +letzteres+
nicht der Fall sei, glauben wir gern -- je weiter entwickelt die Kultur
eines Volkes ist, desto empfindlicher ist +letzteres+ gegen gewaltsame
Eingriffe -- die Stellungnahme (!) des Pietismus zu den Kantoreien
mußte auf +letztere+ lähmend wirken -- die Genossen, die ohne Kündigung
die Arbeit eingestellt hatten und +letztere+ nicht sofort wieder
aufnahmen -- F. schlug den Wachtmeister über den Kopf, als +letzterer+
(der Kopf?) seine Zelle betrat -- diese Aufsätze sind verhaltne
lyrische Gedichte, von +letztern+ (+solchen+!) nur durch die Form
verschieden usw. Wenn solche Gedankenlosigkeit weitere Fortschritte
macht, so kommen wir noch dahin, daß es in lateinisch-deutschen
Wörterbüchern heißen muß: ~hic~, ~haec~, ~hoc~: +letzterer+,
+letztere+, +letzteres+ (ebenso wie ~qui~, ~quae~, ~quod~: +welch
letzterer+, +welch letztere+, +welch letzteres+).


Derselbe, dieselbe, dasselbe

Zu den entsetzlichsten Erscheinungen unsrer Schriftsprache gehört
der alles Maß übersteigende Mißbrauch, der mit dem Fürwort
+derselbe+, +dieselbe+, +dasselbe+ getrieben wird. An der Unnatur und
Steifbeinigkeit unsers ganzen schriftlichen Ausdrucks trägt dieses
Wort die Hälfte aller Schuld. Könnte man unsrer Schriftsprache diesen
Bleiklumpen abnehmen, schon dadurch allein würde sie Flügel zu bekommen
scheinen. Der Mißbrauch dieses Fürworts gehört zu den Hauptkennzeichen
jener Sprache, von der nun schon so viele Beispiele in diesem Buche
angeführt worden sind, und die man so treffend als papiernen Stil
bezeichnet hat.[108]

Unter hundert Fällen, wo heute +derselbe+ geschrieben wird, sind keine
fünf, wo das Wort in seiner wirklichen Bedeutung (~idem~, ~le même~,
~the same~) stünde. In der lebendigen Sprache wird es zwar in seiner
wirklichen Bedeutung täglich tausendmal gebraucht, auf dem Papier aber
fast gar nicht mehr; da wird es immer ersetzt durch +ebenderselbe+
oder +einundderselbe+ oder +der nämliche+ oder +der gleiche+ (von dem
+gleichen+ Verfasser erschien in der +gleichen+ Verlagsbuchhandlung
usw.). Daß zur Gleichheit mindestens zwei gehören, daran denkt man
gar nicht. Zwar so wunderbaren Sätzen wie: Wagner hat +dieselben+
Quellen benutzt wie Goethe, aber in engerm Anschluß an +dieselben+
(wo erst ~eosdem~, dann ~eos~ gemeint ist) -- fast gleichzeitig wurde
der Roman Werthers Leiden fertig; über +denselben+ schreibt Goethe in
+demselben+ Briefe usw., begegnet man selten. Aber in fünfundneunzig
unter hundert Fällen ist +derselbe+, +dieselbe+, +dasselbe+ nichts
weiter als +er+, +sie+, +es+ oder +dieser+, +diese+, +dieses+. Und das
ist das ärgerlichste an dem dummen Mißbrauch, daß dabei auch noch der
Unterschied zwischen +er+ und +dieser+ verwischt wird.

Für das persönliche Fürwort +er+ steht +derselbe+ z. B. in folgenden
Sätzen (man kann in wenig Minuten in jedem Buch und jeder Zeitung die
Beispiele schockweise sammeln): wir brauchten das nur dann zu wissen,
wenn die Welt erst noch geschaffen werden sollte; +dieselbe+ ist aber
bereits fertig -- der Hauptsitz der Rosenkultur ist der Südfuß des
Hämus, doch zieht sich +dieselbe+ auch in das Mittelgebirge hinein
-- durch Höhe der Gebäude suchte man zu ersetzen, was +denselben+ an
Breite und Tiefe abging -- was Erich Schmidt gegen die Glaubwürdigkeit
Bretschneiders in Feld führt, reicht nicht aus, +dieselbe+ zu
erschüttern -- der Fall muß allgemeines Aufsehen erregt haben, da
+derselbe+ eine Bürgerstochter aus guter Familie betraf -- neuerdings
hat man versucht, den Reim durch die Alliteration zu verdrängen; Jordan
hat +dieselbe+ eingeführt, und R. Wagner hat +dieselbe+ in freier Weise
verwandt -- ich hatte mir gleich anfangs ein Brunnenglas gekauft, aber
+dasselbe+ blieb jungfräulich -- die Gemeinde war allerdings Besitzer
des Bodens, +derselbe+ wurde aber nicht gemeinschaftlich bearbeitet
-- das Manuskript lag halbvergessen in einem Schubfache, bis mir die
Anregung wurde, +dasselbe+ einer Zeitung zu überlassen -- Versuche,
den Verein zu verfolgen, werden +demselben+ nur neues Wachstum
verleihen -- der Inhaber hat die Karte stets bei sich zu führen und
darf +dieselbe+ an andre Personen nicht weitergeben -- der Nebensatz
steht gewöhnlich hinter dem Hauptsatz, +derselbe+ kann jedoch auch
dem Hauptsatz vorangehen, und endlich kann +derselbe+ auch in den
Hauptsatz eingeschaltet sein usw. Kein vernünftiger Mensch spricht so;
jeder braucht, um ein eben dagewesenes Hauptwort zu ersetzen, in der
lebendigen Sprache das persönliche Fürwort.

In folgenden Sätzen wäre +dieser+ (oder das demonstrative +der+) das
richtige: der Wildbach trat aus und wälzte große Schuttmassen in
die Limmat; dadurch wurde +dieselbe+ in ihrem Laufe gehemmt -- in
Königsberg ließ Lenz seine Ode auf Kant drucken, als +derselbe+ die
Professorwürde erlangte -- in jeder Küche stand früher ein viereckiges
Kästchen aus Blech; +dasselbe+ enthielt vier Gegenstände, unter
anderm eine Masse, die man Zunder hieß; +dieselbe+ war hergestellt
aus usw. -- es finden sich in der Schrift bisweilen originelle
Kombinationen; +dieselben+ sind aber doch völlig wertlos -- freilich
gehört Anlagekapital dazu, +dasselbe+ verzinst sich aber gut --
für die lokale Feier sind entsprechende Festlichkeiten in Aussicht
genommen; +denselben+ werden geistliche Festlichkeiten vorausgehen --
das Ergebnis der Revolution wäre sicher nicht der sozialdemokratische
Staat; +derselbe+ (+dieser+!) verlangt eine solche Umwälzung aller
Anschauungen, daß +sich dieselbe+ (+sie sich+!) nicht von heute auf
morgen vollziehen kann.

Ein Zeitungschreiber kann heutzutage nicht eine Mitteilung von
zwei Zeilen machen ohne dieses unsinnige +derselbe+; erst wenn das
darinsteht, hat die Sache die nötige Wichtigkeit. Der Adjutant des
Sultans ist hier eingetroffen; +derselbe+ überbrachte dem Großfürsten
vier Pferde. Daß man nur ja nicht etwa denke, es habe sie ein andrer
überbracht! nein nein, es war derselbe! Ach, und wenn nun erst noch
die schöne Inversion dazukommt (der Verdacht lenkte sich sofort auf
den wegen Nachlässigkeit bekannten Hausmann, +und wurde derselbe+ in
einem Bodenraum erhängt aufgefunden), und wenn gar die Inversion nur
zu dem Zweck angewandt wird, auch das herrliche +derselbe+ anbringen
zu können (die Zigarren erheben sich weit über das gewöhnliche
Niveau, +und gehören dieselben+ zu den besten usw.), oder wenn sich
zu +derselbe+ noch ein +daselbst+, +dortselbst+, +hierselbst+ oder
+woselbst+ gesellt (denn +da+, +dort+, +hier+ und +wo+ kennt der
Zeitungschreiber auch nicht, das ist ihm viel zu simpel), dann
schwillt die stolze Reporterbrust, er weiß, daß er seinen „bedeutsamen“
Mitteilungen die würdigste Form verliehen hat. Zur Resolution sprach
bei Beginn der Sitzung der Abgeordnete T.; +derselbe+ erklärte sich
gegen +dieselbe+ -- der Ulan M. erhielt drei Tage Mittelarrest, weil
+derselbe+ beim Appell sein Pferd schlecht vorführte, sodaß +dasselbe+
einen Kameraden auf den Fuß trat und +denselben+ verletzte -- gestern
abend ist der Herr Justizminister +hierselbst+ eingetroffen und im
Hotel S. abgestiegen. +Derselbe+ begab sich heute morgen nach dem
Amtsgerichtsgebäude, nahm +dasselbe+ eingehend in Augenschein und
wohnte verschiedenen Verhandlungen +daselbst+ bei -- heute wurde hier
eine Windhose beobachtet; +dieselbe+ erfaßte einen Teil des auf der
Wiese liegenden Heues und drehte +dasselbe+ turmhoch in die Luft,
+woselbst+ es dann weiter geführt wurde -- die Färbung der Kreuzotter
ist nicht bestimmt anzugeben, da +dieselbe+ bei +einunddemselben+ (!)
Individuum (!) wechselt und nach der Häutung meist heller erscheint
als vor +derselben+. Das sind Muster von Zeitungssätzen. Aber auch
in wissenschaftlichen Werken und in Erzählungen, in Bekanntmachungen
von Behörden und in Geschäftsanzeigen -- überall verfolgt einen das
entsetzliche Wort. Selbst in den kleinen Scherzgesprächen unter
den Bildern der Fliegenden Blätter und in dem Dialog der neuesten
Lustspiele ist man nicht mehr sicher davor. Man schnellt im Theater von
seinem Sitz in die Höhe, wenn auf der Bühne so ein dummes +derselbe+
(für +er+) gesprochen wird; aber weder der Schauspieler noch der
Regisseur hat es bemerkt und beseitigt! Wie kommt es nur, liebe B.
-- heißt es auf einem Reklamebildchen --, daß deine Kinderchen stets
so blühend und gesund sind, während die meinigen immer bleich und
kränklich aussehen? -- Wir genießen alle als tägliches Getränk Kakao
von Hartwig und Vogel; +derselbe+ ist von anerkannt vorzüglicher
Qualität, ergiebig und daher billig. Nein, so spricht die liebe B.
nicht. Ein bekanntes Geschichtchen erzählt, daß der Lehrer in der
Stunde gefragt habe: wieviel Elemente gibt es, und wie heißen sie?
und der Schüler geantwortet habe: es gibt vier Elemente, und ich heiße
Müller. Das war die Folge davon, daß sich der Lehrer so gewöhnlich
ausgedrückt hatte! Warum hatte er nicht vornehm gefragt, wie unsre
statistischen Formulare: und wie heißen +dieselben+!

Ein Hochgenuß für den Leser ist es, wenn, wie es tausendfach geschieht,
beide in einem Satz unmittelbar nebeneinander stehen, die herrlichen
Papierpronomina: +derselbe+ (statt +er+) und +welcher+ (statt +der+)!
Zum Verständnis des Parzival ist es nötig, die beiden Sagenkreise,
+welche demselben+ (+die ihm+!) zugrunde liegen, kennen zu lernen --
in Hyrtls Hause befindet sich der fragliche Schädel (Mozarts), und der
Besitzer, +welcher denselben+ (+der ihn+!) der Stadt Salzburg vermacht
hat, zweifelt nicht an der Echtheit +desselben+ -- Reiskes Briefe kamen
in die Universitätsbibliothek zu Leiden; es sind aufrichtige Verehrer
gewesen, +welche dieselben+ (+die sie+!) jener Bibliothek schenkten,
und sie werden +in derselben+ als ein Schatz geachtet -- das erwähnte
Statut und die Bulle, +welche dasselbe+ (+die es+!) sanktioniert hatte
-- bezeichnend für den Geschmack der Direktion und die Zumutungen,
+welche dieselbe+ (+die sie+!) an das Publikum zu stellen wagt -- was
für Forderungen an die Gebildeten gestellt werden, wird je nach dem
Zeitalter, +welchem dieselben+ (+dem sie+!) angehören, verschieden
sein -- die farbige Aufnahme des Fensters verdanken wir Herrn E.,
+welcher dasselbe+ (+der es+!) restauriert hat -- wer spricht so? Kein
Mensch. Aber sowie der Deutsche die Feder in die Tinte taucht, fährt
ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder. Im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert sind Tausende der wichtigsten Urkunden
angefangen worden: Wir tun kund mit diesem Brief allen +denen, die
ihn+ sehen oder hören lesen. Heute in einem Ehrenbürgerbriefe zu
schreiben: Wir ernennen Herrn X. +wegen+ der großen Verdienste, +die
er sich+ um unsre Stadt erworben hat usw. -- das wäre ja im höchsten
Grade würdelos, so spricht man wohl, aber so schreibt man doch nicht!
Wir ernennen Herrn +in Anbetracht+ der großen Verdienste, +welche
derselbe+ um unsre Stadt +sich+ erworben hat usw. -- so klingt es
großartig, feierlich, erhaben! Kaiser Friedrich soll als Kronprinz
1859 zu einer Deputation gesagt haben: Wenn Gott meinen Sohn am Leben
erhält, so wird es unsre schönste Aufgabe sein, +denselben+ in den
Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, +welche+ mich an das Vaterland
ketten. Man kann darauf schwören, daß er nicht so gesagt hat, sondern:
+ihn+ in den Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, +die+ mich an das
Vaterland ketten. Aber der Zeitungschreiber hat das natürlich erst
aus dem Menschlichen ins Papierne übersetzen müssen. In der Poesie
ist +derselbe+ noch viel unmöglicher als +welcher+. Nur in dem alten
Studentenliede ~Ça ça~ geschmauset! heißt es:

    Knaster den gelben
    Hat uns Apolda präpariert
    Und uns +denselben+
    Rekommandiert.


Darin, daraus, daran, darauf usw.

Es sind ja aber nicht bloß die Fürwörter +er+ und +dieser+ (oder
+der+), die durch den unsinnigen Mißbrauch verdrängt und vermengt
werden; er -- wollte sagen „derselbe“ frißt noch weiter, viel weiter.
In der lebendigen Sprache haben wir die leichten, zierlichen Adverbia:
+darin+, +daraus+, +daran+, +darauf+, +dabei+, +davor+, +dahinter+,
+damit+, +darum+, +dafür+, +dazwischen+ usw.; jeder braucht sie
hundertmal des Tags. Aber sowie einer die Feder ergreift -- wehe den
armen! Dann heißt es: +in demselben+, +aus demselben+, +an demselben+,
+auf demselben+, +mit demselben+, +bei demselben+, +zwischen denselben+
usw. -- auch in dieser Gestalt storcht das langbeinige Ungetüm
überall durch unsre Schriftsprache. Das Denkmal will alles Prunkvolle
vermeiden, nur das allgemein Menschliche soll +in demselben+ (+darin+!)
betont werden -- die Geistlichen hatten ihren eignen Predigtstuhl, und
+in demselben+ (+darin+!) jeder seinen bestimmten Platz -- so sehr ich
in diesem Punkte mit dem Verfasser einverstanden bin, so entschieden
muß ich die Forderungen bekämpfen, die er +aus demselben+ (+daraus+!)
ableitet -- sie betrachteten sich als die alleinigen Eigentümer des
Landes und gestanden andern keinen Anteil +an demselben+ (+daran+!)
zu -- obgleich durch den Regen der Abmarsch des Festzuges verspätet
und die Beteiligung +an demselben+ (+daran+!) beeinträchtigt wurde --
die Entstellungen sind wirkungslos, ein unbefangner Beurteiler wird
sich an +dieselben+ (+daran+!) nicht kehren -- im Jahre 1560 wurde
der Turm erhöht und eine Wohnung +auf demselben+ (+darauf+!) erbaut
-- die Wiesen waren wieder getrocknet, und bald entwickelte sich +auf
denselben+ (+darauf+!) ein üppiger Graswuchs -- 1890 reichte die
Zahl an den Durchschnitt hinan, 1900 blieb sie +hinter demselben+
(+dahinter+!) zurück -- der Boden war überall von so wunderbarer
Beschaffenheit, daß sich kaum die fruchtbarsten Gegenden Deutschlands
+mit demselben+ (+damit+!) vergleichen ließen -- der Holzbau ist ein
viel zu überwundner Standpunkt, als daß es der Mühe lohnte, sich in
der Praxis +mit demselben+ (+damit+!) zu befassen -- die Erziehung
des Knaben ruhte ausschließlich in den Händen der Mutter, da sich der
Vater, der sich viel auf Reisen befand, nicht +um dieselbe+ (+darum+!)
kümmern konnte -- hier bedarf es des Glaubens an die gute Sache und der
Begeisterung +für dieselbe+ (+dafür+!) -- keinem kann dieses Studium
erlassen werden, wohl aber bereitet sich +für dasselbe+ (+dafür+!)
ein neuer Maßstab vor -- dieser Gedanke wurde am Mainzer Hofe lebhaft
erwogen, der Kurfürst war ganz +von demselben+ (+davon+!) erfüllt --
die Fürstin wünschte lebhaft, das Bild zu besitzen, aber Angelika
konnte sich +von demselben+ (+davon+!) nicht trennen -- in der Mitte
des Schrankes hängt ein mächtiges, reich verziertes Schwert, +neben
demselben+ (+daneben+!) rechts und links zwei kleinere Schwerter --
in diesem Graben fließt eine bedeutende Wassermenge, deshalb ist auch
ein Steg +über denselben+ (+darüber+!) gelegt -- die Presse ist noch
nicht einig, ob sie den Vorfall bedauern oder sich +über denselben+
(+darüber+!) freuen soll -- das Partizip steht hier absolut, ein Komma
+hinter demselben+ (+dahinter+!) würde nur irreführen usw. Anders wird
gar nicht geschrieben.

Nach einem weit verbreiteten Aberglauben sollen sich die Adverbia
+darin+, +darauf+, +dafür+ usw. immer nur auf eine Handlung, ein
Zeitwort, einen ganzen Satz, aber nie auf ein Hauptwort beziehen
können. Es sei also zwar richtig, zu antworten: ich kann mich nicht
+darauf+ besinnen -- wenn gefragt worden sei: besinnst du dich,
+was du+ mir damals +versprochen hast+? aber nicht, wenn die Frage
gelautet habe: besinnst du dich auf den +Ausdruck+, den du damals
gebraucht hast? Die angeführten Beispiele zeigen, wie lächerlich dieser
Aberglaube ist. Die lebendige Sprache setzt die Adverbia überall statt
der Präposition in Verbindung mit einem persönlichen Fürwort. Nur
auf Personen können sie sich nicht beziehen, da muß das persönliche
Fürwort stehen. Es gibt zwar Fälle, wo das Adverb auch bei Sachen etwas
ungewöhnlich klingt, z. B.: wer die hiesigen Universitätsverhältnisse
und mein Verhalten +dazu+ nicht kennt; aber das liegt nur daran, daß
uns das dumme +derselbe+ so oft vor die Augen gebracht wird, daß uns
schließlich das Einfache und Natürliche befremdet. Und was hindert
denn, auch hier das persönliche Fürwort zu gebrauchen? Warum sagt man
nicht: die hiesigen Universitätsverhältnisse und mein Verhalten +zu
ihnen+? Bei +ohne+ scheint sowieso nichts andres übrig zu bleiben,
denn ein Adverb +darohne+ gibt es nicht, obwohl man es zu bilden
versucht hat. Auch bei dem Neutrum es entsteht eine Schwierigkeit. Sie
wollte sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie +ohne
dasselbe+ nicht rechnen konnte -- hier ist doch wohl +dasselbe+ ganz
unentbehrlich? Soll man schreiben: +ohne es+? Jakob Grimm hätte es
getan, er schrieb so, er wollte, daß es nicht anders behandelt würde
als +ihn+ und +sie+, und einige sind ihm darin gefolgt. Es klingt aber
doch seltsam, denn +es+ ist gewöhnlich tonlos, und hier müßte es betont
werden. Gibt es denn aber wirklich keinen Ersatz für das fehlende
+darohne+? Gewiß gibt es einen, und er heißt -- +sonst+! Sie wollte
sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie +sonst+ nicht
rechnen konnte. Das ist gutes Deutsch.

Bisweilen erscheinen in einem Satze zwei gleichklingende persönliche
Fürwörter unmittelbar hintereinander, z. B. +sie+ als Femininum
und als Plural: Handlungen dieser Art suchte die Gewerbeordnung zu
unterdrücken, indem +sie sie+ verbot. Etwas schrecklicheres ist ja
nun für die Augen des Papiermenschen nicht denkbar. Da muß es doch
unbedingt heißen: indem +sie dieselben+ verbot? Nein, auch da nicht,
denn man spricht nicht so, man spricht frischweg +sie sie+, und was
gesprochen und gehört nicht mißfällt, ja nicht einmal auffällt, kann
doch auch geschrieben oder gedruckt keinen Anstoß erregen! Wenn sich
in einer Schulklasse die Mädchen gezankt haben, zwei einer dritten ein
Buch weggenommen haben, der Lehrer Frieden stiftet und dann fragt:
habt +ihr ihr ihr+ Buch wiedergegeben? so ist das doch noch viel
„schlimmer“. Aber wird der Lehrer deshalb fragen: habt +ihr derselben
ihr+ Buch wiedergegeben?

Der abhängige Genitiv endlich (+desselben+ und +derselben+) kann
überall durch +sein+ und +ihr+ ersetzt werden, denn daß diese Fürwörter
nur im reflexiven Sinne gebraucht werden könnten, ist doch auch
nur Aberglaube.[109] Als die Kaiserin das +Schloß+ besichtigt und
die Schönheit +desselben+ bewundert hatte -- warum nicht: +seine+
Schönheit? Die Sammlung ist so zeitgemäß, daß zur Rechtfertigung
+derselben+ kein Wort zu verlieren ist -- warum nicht: zu +ihrer+
Rechtfertigung? Freilich würden einige Geschäfte dann eingehen, da die
ganze Bedeutung +derselben+ darin beruht usw. -- warum nicht: +ihre+
ganze Bedeutung? Auch wer sich tief in die Eigentümlichkeiten der
spanischen Dichtung versenkt hat und von der lebhaften Bewunderung für
die Vorzüge +derselben+ durchdrungen ist -- warum nicht: für +ihre+
Vorzüge? Wo eine Verwechslung, ein Mißverständnis entstehen könnte,
da schreibe man +dessen+ und +deren+, z. B.: es muß dem Biographen
nachgerühmt werden, daß er bei aller Liebe zu +seinem+ Helden doch
nicht blind für +dessen+ Schwächen ist. Aber nur nicht +desselben+!
In den allermeisten Fällen aber -- man achte nur darauf und versuche
es! -- kann man den Genitiv einfach streichen, ohne daß der Gedanke
im geringsten an Deutlichkeit verlöre. Nicht auf den Stoff kommt es
an, sondern auf die Behandlung +desselben+ -- über die Aufgaben waren
alle einig, nur schlugen sie zur Lösung +derselben+ verschiedne Wege
ein -- die Erklärung des Parteitags fand so viel Beifall, daß sich die
Führer +desselben+ ermutigt sahen -- Gregor klagte, daß sie die Kirche
zerstört und das Material +derselben+ zum Bau ihrer Häuser verwendet
hätten -- zu den Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer
kommt noch die Unregelmäßigkeit im innern Aufbau +derselben+ -- die
steilere Partie des Berges gehört dem weißen, die mäßig geneigten
Ausläufer +desselben+ dem braunen Jura an -- ich habe die Fachausdrücke
des Deutschen und des Französischen miteinander verglichen und habe
gefunden, daß die Mehrzahl +derselben+ übereinstimmt -- nachdem die
Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin +desselben+ die Tür
verschlossen hatte -- man streiche überall +desselben+ und +derselben+:
ist irgendwo ein Mißverständnis möglich? Der Kaiser unternahm
heute einen längern Spazierritt und erledigte nach der Rückkehr
+von demselben+ Regierungsgeschäfte. Ja, wovon soll er denn sonst
zurückgekehrt sein als von -- demselben?


Derjenige, diejenige, dasjenige

Noch in anderm Sinne als +derselbe+ ist das schöne Kanzleiwort
+derjenige+ ein Papierpronomen: es ist eigens für die Papiersprache
erfunden worden. +Derjenige+ ist im sechzehnten Jahrhundert aus einem
vorhergegangnen +der jene+ entstanden, wie +derselbige+, das zum Glück
wieder verschwunden ist, aus +der selbe+. Es hat keinen andern Zweck
und keine andre Aufgabe, als das betonte, lange +der+ der lebendigen
Sprache, das determinative Fürwort, das vor Relativsätzen und vor
abhängigen Genitiven steht, auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die
Länge kann man ja weder schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht
üblich, +dēr+ oder +dér+ zu schreiben[110]; also hilft man sich, so
gut man kann. Der eine läßt das der sperren (wie auch +ein+, wenn es so
viel heißen soll wie +ein einziger+), ein andrer greift zu +jener+, wie
es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber schreibt und druckt man
+derjenige+. Wenn man spricht, sagt man zwar: als er endlich +den+ Weg
einschlug, +der+ zum Ziele führen mußte; aber drucken läßt man: als er
endlich +denjenigen Weg+ einschlug, +welcher+ zum Ziele führen mußte.

Wenn aber nun +derjenige+ allein steht, ohne Hauptwort hinter sich,
z. B.: selbst +diejenigen, welche die+ Schaffung eines allgemeinen
Bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten -- kein Scharfsinn
hätte eine bessere Lösung finden können als +diejenige, welche
die+ Verhältnisse zuletzt aufzwangen -- die größten Menschen sind
+diejenigen, welche die+ Kultur einer eben dahinsinkenden Epoche
noch einmal zusammenfassend verkörpern -- da ist es doch wohl ganz
unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost: selbst
+die, die die+ Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz ablehnten --
eine bessere Lösung als +die, die die+ Verhältnisse zuletzt aufzwangen.
Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des Papiermenschen: nicht
zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe Wort! -- Wirklich? dasselbe
Wort? Dreimal hintereinander dieselben drei Buchstaben: d--i--e; aber
wer seine Ohren aufmacht, der hört doch drei verschiedne Wörter:
+dieh+, +die di+ -- drei Wörter von ganz verschiedner Länge, und hinter
dem ersten eine Pause. Das ist ja wie Musik, es hüpft und springt ja
förmlich. Nun höre man dagegen dieses Schleppen und Schleichen und
Schlurfen: +diejenigen, welche die+![111]

Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tausend und aber
tausend Fällen statt +derjenige, welcher+ einfach +wer+ gesagt wird
-- also drei Laute statt sechs Silben! --, das ist dem Papiermenschen
völlig unbekannt. Er schreibt: +diejenigen, welche+ die Absicht haben,
Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter einschreiben. Ja er wäre
imstande, das Sprichwort: +wer+ Pech angreift, besudelt sich -- oder
den Kinderspruch: +wer+ meine Gans gestohlen hat, der ist ein Dieb
-- oder den Goethischen Vers: nur +wer+ die Sehnsucht kennt, weiß,
was ich leide -- zu verwandeln in: +derjenige, welcher+ Pech angreift
-- +derjenige, welcher+ meine Gans gestohlen hat -- nur +derjenige,
welcher+ die Sehnsucht kennt usw.

Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Erscheinung der
Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist,
was gewiß selten geschieht. Aktenmenschen und Gewohnheitsredner
bringen es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde
dreißigmal +derjenige, welcher zu+ sagen. Selbst in der Unterhaltung
der „Gebildeten“ kann man es hören; sie haben es eben gar zu oft in
ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es
nicht; wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es
höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam
mit Gänsefüßchen. Also du bist +derjenige, welcher+? fragt er höhnisch
-- na warte, Bursche! Oder er sagt: fällt mir gar nicht ein; wenn
ein Unglück passiert, dann bin ich +derjenige, welcher+ (nämlich:
blechen muß), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder die
Polizeiverordnung, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite
gelesen hat.


Jener, jene, jenes

Der Österreicher gebraucht statt +derjenige+ vor Relativsätzen,
namentlich aber vor einem abhängigen Genitiv +jener+; er schreibt:
diese Vorlesungen haben nur einen bedingten Wert für +jenen+, der
selber Einsicht genug hat, Dichterwerke ohne Beihilfe zu verstehen. Das
halten manche deutsche Schriftsteller jetzt offenbar für eine besondre
Schönheit und machen es nach. In gutem Schriftdeutsch wird aber +jener+
nur in die Ferne weisend gebraucht, mit einem bald stärkern, bald
schwächern rhetorischen Beigeschmack: wenn ich an +jene schöne Zeit+
zurückdenke usw.

Ganz unausstehlich für norddeutsche Ohren ist das österreichische
+jener+ vor einem abhängigen Genitiv, z. B.: der Orden der Dominikaner
und +jener+ der Franziskaner -- wir hoffen, daß sich die Ausstellung
ebenso erfolgreich erweisen werde wie +jene+ von 1897 -- obgleich die
Gesamtzahl ihrer Kräfte +jener+ des Feindes bedeutend nachstand -- ein
~Ecce homo~ trägt das Monogramm Ludwig Krugs, eine Madonna +jenes+ des
Marcantonio Raimondi -- so auffallend erschien dem Tacitus die Art des
deutschen Anbaues gegenüber +jener+ der romanischen Völker -- größere
Gebäude wie Kirchen und Seminare dürfen für die Gesellschaft Jesu
nur mit Erlaubnis des Generals, kleinere mit +jener+ des Provinzials
errichtet werden -- unter den Dienstkrankheiten der Bahnbeamten nehmen
+jene+ der Verdauungsorgane den breitesten Raum ein -- man sucht die
Farbe der Umhüllung meist +jener+ der Blumen anzupassen usw. In allen
diesen Fällen würde die deutsche Amts- und Zeitungssprache +derjenige+
gebrauchen. Die gute Schriftsprache aber kennt vor solchen Genitiven
nur das determinative Fürwort +der+, +die+, +das+: die Leistungen der
Fabriken stehen gegen +die+ des Handwerks zurück.


Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?

Verhältnismäßig wenig Verstöße werden gegen die Regeln der Kasuslehre
begangen; im allgemeinen herrscht eine erfreuliche Sicherheit darüber,
welchen Kasus ein Zeitwort oder ein Eigenschaftswort zu sich zu nehmen
hat. Bei einer kleinen Anzahl von Zeitwörtern schwankt aber doch der
Sprachgebrauch: der eine verbindet sie mit dem Dativ, der andre mit dem
Akkusativ. Es sind das namentlich die Zeitwörter +heißen+, +lassen+,
+lehren+, +angehen+, +dünken+, +kosten+ und +nachahmen+.

Mit der berüchtigten Berliner Verwechslung von +mir+ und +mich+ hat
dieses Schwanken nichts zu tun, sondern es hängt meist damit zusammen,
daß in den Begriff dieser Verba sinnverwandte Zeitwörter hineinspielen,
die teils mit dem Dativ, teils mit dem Akkusativ verbunden werden. Aber
nur in den seltensten Fällen hat das Schwanken eine Berechtigung. Bei
+nachahmen+ handelt sichs eigentlich nicht um ein Schwanken, sondern um
zwei verschiedne Bedeutungen des Wortes: es ist ein großer Unterschied,
ob man sagt: ich ahme +dich+ nach, oder ich ahme +dir+ nach. Mit
dem Akkusativ bedeutet es +nachmachen+ (+dich+), mit dem Dativ
+nachstreben+ (+dir+). Wenn Schüler +dem+ Lehrer nachahmen, so kann das
sehr lobenswert sein; wenn sie +den+ Lehrer nachahmen, so kann ihnen
das unter Umständen eine Stunde Karzer eintragen.[112] Schwer ist es,
bei +kosten+ eine Entscheidung zu treffen; +kosten+ ist ein Lehnwort,
entstanden aus dem lateinischen ~constare~. Die Verbindung ~constat
mihi~ ist aber gar nicht maßgebend, denn +kosten+ ist ursprünglich im
Sinne von +aufwenden machen+ gebraucht worden. Der Akkusativ überwiegt
denn auch in der guten Schriftsprache. Bei allen übrigen der genannten
Verba hat der Dativ überhaupt keine Berechtigung. Sätze wie: laß +mir+
das einmal sehen -- das geht +dir+ nichts an u. ähnl. gehören nur der
niedrigsten Volkssprache an. +Heißen+ verträgt den Dativ der Person
nur ausnahmsweise: wer hat +dir das+ geheißen? (wie: wer hat dir das
+geboten+, +befohlen+, +aufgetragen+?). Im allgemeinen verlangt es,
wie +lehren+, den Akkusativ der Person. Aber gerade für +lehren+ und
+heißen+ verliert die ganze Frage mehr und mehr an Bedeutung, denn
in der lebendigen Sprache werden diese Wörter überhaupt kaum noch
in solcher Verbindung gebraucht. In Mitteldeutschland gebraucht das
Volk +lehren+ mit einem Akkusativ der Person fast gar nicht mehr,
sondern nur +lernen+; man sagt nicht bloß: wo hast du +das gelernt+?
sondern auch: wer hat +dir das gelernt+? Und auch wo man wirklich
noch +lehren+ sagt, setzt man doch den Dativ der Person dazu. Bei
Uhland heißt es noch richtig und sauber: Wer hat +dich solche Streich’+
gelehrt? Das Volk aber sagt: Ich werde +dir Mores+ lehren. Und in einem
Bibelspruche wie: Herr, +lehre uns bedenken+, daß wir sterben müssen --
wo +uns+ natürlich der Akkusativ ist --, wird es sicherlich jetzt von
den meisten als Dativ gefühlt.

Ganz lächerlich ist die Unsicherheit und der Streit darüber, ob es
heißen müsse: ich +versichre dir+ oder: ich +versichre dich+, der Hut
+kleidet dich+, oder: er +kleidet dir+, es +lohnt der Mühe+ oder:
es +lohnt die Mühe+. +Versichern+ ist unzweifelhaft ein transitives
Zeitwort; man versichert sein Leben, seinen Hausrat, seine Ernte. Man
kann auch sagen: ich +versichre dich+ meiner Freundschaft (Goethe:
ich fahre fort, +dich+ meiner Liebe zu +versichern+), wiewohl das
schon etwas gesucht klingt. Aber zu sagen: ich +versichre dich, daß+
ich nichts davon gewußt habe -- und das für richtig zu halten oder
gar zu verteidigen, kann doch nur einem Sophisten einfallen oder
einem Menschen, der wirklich -- +mir+ und +mich+ nicht unterscheiden
kann. Daß es schon im achtzehnten Jahrhundert so vorkommt, hat gar
nichts zu sagen; der Akkusativ ist eben vernünftigerweise mehr und
mehr gewichen. Wenn auf +versichern+ ein Objektsatz folgt, so ist
doch der Inhalt dieses Satzes das Objekt der Versicherung; diese
Versicherung aber gebe ich nicht +dich+, sondern gebe sie +dir+.
+Versichern+ tritt dann vollständig in eine Reihe mit +beteuern+,
+erklären+, +sagen+, +melden+, +mitteilen+, +berichten+,[113] lauter
Zeitwörtern, die mit dem Dativ der Person und einem Objekt der Sache
verbunden werden. Im Passivum fällt es gar niemand ein zu sagen: +ich
bin versichert worden, daß+, sondern jeder sagt: +mir ist versichert
worden, daß+. Also kann auch im Aktivum das richtige nur sein: +ich
versichre dir, daß+ ich nichts davon gewußt habe. Wenn neuerdings
namentlich in Kreisen, die für vornehm gelten möchten, mit einer
gewissen Absichtlichkeit wieder der Akkusativ gebraucht wird (ich
versichre +Sie+), so ist das eine Modedummheit, durch die sich der
gesunde Menschenverstand und ein natürliches Sprachgefühl nicht werden
irremachen lassen.

+Kleiden+ mit dem Dativ zu verbinden wäre keinem Menschen eingefallen,
wenn nicht die sinnverwandten intransitiven Zeitwörter +passen+,
+sitzen+ und +stehen+ dazu verführt hätten. Weil man sagt: der Hut
+paßt dir+, +sitzt dir+, +steht dir+, so sagte man auch: er +kleidet
dir+. Richtig ist natürlich nur: er +kleidet dich+.

In der Redensart: es +lohnt der Mühe+ (oder: es lohnt nicht der Mühe)
ist +der Mühe+ gar nicht der Dativ, sondern der Genitiv (statt: +für+
die Mühe, +wegen+ der Mühe). Die Redensart hat etwa denselben Sinn wie:
es ist +der Mühe wert+ (oder: es ist nicht der Mühe wert). Zu sagen: es
+lohnt+ nicht +die Mühe+ -- ist also nichts als eine Ausweichung aus
Unwissenheit.

Ganz unsinnig wird jetzt die Redensart +sich Rats erholen+ gebraucht,
z. B. dort kannst du +dir+ am besten +Rats erholen+! Das +sich+ in
dieser Redensart ist ebenfalls nicht der Dativ, sondern der Akkusativ,
+Rats+ ein frei angeschlossener Genitiv; es heißt: ich +erhole mich
Rates+. Noch Benedix schreibt 1866 in den Zärtlichen Verwandten
richtig: bei mir allein mußt du +dich Rats erholen+. Der Fehler wird
auch nicht besser, wenn man statt +Rats+ sagt +Rat+: in Einzelheiten
+erholte ich mir Rat+ bei besonders sachkundigen Personen, denn dann
hat das +er+holen gar keinen Sinn mehr; es genügt dann, zu sagen: +hole
dir+ bei mir +Rat+, so gut wie: hole dir bei mir Geld. Wenn man die
Redensart nicht mehr versteht und nicht mehr richtig anzuwenden weiß,
warum gebraucht man sie dann noch? (Vgl. auch +dünken+ S. 53.)

Ein süddeutscher Provinzialismus ist es, +verdenken+ so wie +beneiden+
zu verbinden: wer kann +ihn darum verdenken+? In gutem Deutsch wird
es verbunden wie +verargen+, +verübeln+: ich kann +dir das+ nicht
+verdenken+.


Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?

Nicht ganz so lächerlich ist der Streit, ob es heißen müsse: er hat
+mir+ oder er hat +mich+ auf den Fuß getreten. Jeder verbindet ohne
Besinnen mit dem Akkusativ der Person: +in den Finger schneiden+, +ins
Bein beißen+, +aufs Maul schlagen+, +auf die Stirn küssen+ (Luther: du
wirst +ihn in die Ferse stechen+). Jeder verbindet eben so sicher mit
dem Dativ der Person: +unter die Arme greifen+, +auf die Finger sehen+,
+auf den Zahn fühlen+, +auf die Schleppe treten.+ Warum dort der
Akkusativ und hier der Dativ? Was ist der Unterschied zwischen diesen
beiden Gruppen von Redensarten? Worauf kommt es an?

Zunächst ist klar, daß, wenn die Person im Akkusativ steht, zuerst
die Person im ganzen als von einer Tätigkeit betroffen hingestellt
wird, und dann noch nachträglich der einzelne betroffne Körperteil
hinzugefügt wird. Steht die Person im Dativ, so wird der betroffne
Körperteil in den Vordergrund gerückt und die Person mehr als
beteiligt, in Mitleidenschaft gezogen, nicht als unmittelbar betroffen
hingestellt. Das paßt nun zu den mitgeteilten Beispielen vortrefflich.
Wird jemand nur auf ein Kleidungsstück getreten, so wird sein Körper
gar nicht davon berührt; alle andern Redensarten der zweiten Gruppe
aber sind bildliche Wendungen, bei denen ebenfalls kein wirkliches,
leibliches Angreifen, Ansehen, Anfühlen gemeint ist. So wird es nun
auch leicht verständlich, warum man wohl sagt: er hat +mich ins
Gesicht geschlagen+, aber: das +schlägt der Wahrheit ins Gesicht+ --
der Mörder hatte +ihn mitten ins Herz gestochen+, aber: deine Klagen
+schneiden mir ins Herz+ -- der Schmied hat +das Pferd auf den Schenkel
gebrannt+, aber: solange nicht +dem deutschen Michel+ die +Not auf die
Nägel brennt+ -- du hast +mich+ mit deinem Stock ins +Auge gestochen+,
aber: am Schaufenster +stach mir+ ein schöner Brillantschmuck +ins
Auge+. Erschöpft wird die Sache mit dieser Unterscheidung zwar nicht,
aber man kann sich, wenn man sie sich vor Augen hält, auch in andern
Fällen leicht klarmachen, weshalb die Sprache hier den Dativ, dort
den Akkusativ vorzieht oder vorziehen -- sollte, weshalb man also
z. B. sagt: +seinem Freund auf die Schulter klopfen+ (obwohl das
doch wirklich und nicht bildlich geschieht). Bisweilen bedeutet der
Akkusativ der Person mehr das Absichtliche: weshalb +trittst du mich+
denn +auf den Fuß+? der Dativ mehr das Unabsichtliche: +mir+ hat vorhin
einer +auf den Fuß getreten+, das tut mir jetzt noch weh.


Zur Steuerung des Notstandes

Ein persönliches Passivum kann natürlich nur von solchen Zeitwörtern
gebildet werden, die ein direktes Objekt (im Akkusativ) zu sich
nehmen: ich +bestreite die Nachricht+ -- +die Nachricht wird+ von
mir +bestritten+. Von Zeitwörtern, die ein indirektes Objekt (im
Dativ) haben, läßt sich nur ein unpersönliches Passivum bilden:
ich +widerspreche der Behauptung+ -- +der Behauptung+ (nicht: +die
Behauptung+!) wird +von mir widersprochen+. Daher ist es falsch, so,
wie es unsre Zeitungen jetzt täglich tun, von +unwidersprochnen+
Nachrichten zu reden, oder zu sagen wie unsre Reichstagsabgeordneten:
dieser Artikel darf nicht +unwidersprochen+ bleiben, diese Äußerung
möchte ich nicht +unwidersprochen+ ins Land gehen lassen. +Unwiderlegt+
-- das wäre richtig, und aufs Widerlegen kommts doch wohl auch viel
mehr an als aufs Widersprechen. Ebenso falsch sind +bedankt+ und
+unbedankt+ (nun sei +bedankt+, mein lieber Schwan! -- der Vorstand
kann Sie an diesem Tage nicht +unbedankt+ hinweggehen lassen); denn
es heißt nicht: +ich danke dich+, sondern ich +danke dir+, oder: ich
+bedanke mich bei dir+.[114]

Ebenso kann natürlich ein Objektsgenitiv nur an solche
Verbalsubstantiva gehängt werden, die aus Zeitwörtern mit direktem
Objekt gebildet sind. Falsch und liederlich ist es, zu schreiben:
die +Kündigung der Arbeiter+ (wenn nicht gemeint ist, daß die
Arbeiter kündigen, sondern daß +den Arbeitern gekündigt wird+), ebenso
falsch: zur +Steuerung+ oder zur +Abhilfe des Notstandes+ -- sie war
zur +Hilfeleistung ihrer+ Mutter anwesend -- denn +gesteuert+ oder
+abgeholfen+ wird +dem+ Notstande, nicht +der+ Notstand.


Voller Menschen

Das Adjektivum +voll+ verbindet wohl jeder richtig mit dem Genitiv
oder, je nachdem, mit der Präposition +von+, z. B.: die Straßen waren
+voll geputzter Menschen+ -- er war +deines Lobes voll+ -- das ganze
Haus war +voll von Altertümern+ und +Merkwürdigkeiten+. Daneben ist
noch üblich, das Substantiv gänzlich unflektiert zu +voll+ zu setzen:
+voll Blut, voll Rauch, voll Zorn, voll Haß, voll Verlangen+ usw. Das
ist eigentlich ein Fehler, aber einer, der nicht mehr gefühlt wird.
Wenn man +voll Liebe+ sagte, so meinte man natürlich ursprünglich
auch den Genitiv. Da dieser aber beim Femininum nicht erkennbar war,
verdunkelte sich allmählich das Gefühl dafür, und so ging er auch bei
männlichen und sächlichen Substantiven verloren. Auf dieselbe Weise
sind ja auch Verbindungen entstanden wie: +ein Stück Brot, ein Glas
Wein+.

Nun aber +voller+ -- wie stehts damit? Im Volksmund ist es ganz gang
und gäbe, auch unsre besten Schriftsteller haben es oft geschrieben,
aber heute getraut man sichs doch nicht mehr so recht, weil man so
gelehrt geworden ist, daß man immer grübelt, ob man wohl so sagen dürfe
oder nicht, aber nicht gelehrt genug, die Zweifel wieder zu bannen.
Die Kirche war +voller Menschen+ -- der Kerl ist +voller Neid+ -- der
Garten ist +voller Unkraut+ -- der Himmel hängt ihm +voller Geigen+ --
der Junge steckt +voller Schnurren+ -- darf man so schreiben? Ei, gewiß
darf mans; jedermann, Hoch und Niedrig, spricht so, warum soll mans
nicht schreiben dürfen?

+Voller+ ist der erstarrte männliche Singular, der im Prädikat auf
alle drei Geschlechter und auch auf den Plural übergegriffen hat
(ganz ebenso wie +selber+ und ebenso wie +selbst+, das nichts andres
als das erstarrte Neutrum +selbs+ ist). Schon Luther scheint über
diese merkwürdige Spracherscheinung nachgedacht zu haben, aber zu der
Annahme gekommen zu sein, daß +voller+ aus +voll der+ entstanden sei;
er gebraucht es gern, aber immer nur -- vor dem Femininum und vor dem
Plural. Auf keinen Fall hat die Bildung etwas niedriges an sich, im
Gegenteil etwas trauliches, anheimelndes, und der guten Schriftsprache
ist sie durchaus nicht unwürdig.[115]


Zahlwörter. Erste Künstler

In dem Wesen und der Bedeutung des Superlativs liegt es begründet, daß
er eigentlich nur den bestimmten Artikel haben kann: unter hundert
Männern von verschiedner Größe ist einer +der+ größte. Sind drei von
dieser Größe darunter, so sind diese drei +die+ größten. Dann ist aber
einer von diesen dreien nicht +ein größter+ -- das ist undeutsch!
--, sondern +einer der größten+. Darum ist es eine Abgeschmacktheit,
zu schreiben: Lessings Andenken wird gepflegt wie +eine seltenste+
Blume im Treibhause -- ein 45jähriger, der +einer reifsten+ Zukunft
entgegenschreitet. Nur in der Mehrzahl kann man allenfalls, wie der
Kaufmann, von +billigsten Preisen+ oder, wie der Philosoph, von
+kleinsten Teilen+ reden.

Ebenso abgeschmackt ist es, zu sagen: dieses Denkmal wird stets +einen
ersten+ Rang behaupten -- die Politik spielte in seinem ganzen Leben
+eine erste Rolle+ -- und von +ersten Künstlern+, +ersten Opernsängern+
zu reden oder von +ersten Firmen+, +ersten Häusern+, wie es jetzt in
den Anpreisungen der Geschäftsleute täglich geschieht. Gemeint ist
weiter nichts als +bedeutend+, +hervorragend+, +ausgezeichnet+ --
warum sagt man das nicht?[116] So ist es auch unlogisch, zu sagen:
+ein letzter+ Wunsch des Verstorbnen, +eine Hauptursache+ des Erfolgs;
sorgfältig ausgedrückt muß es heißen: +einer der letzten+ Wünsche,
+eine der Hauptursachen+ des Erfolgs, denn auch die +Hauptursache+
ist ein superlativischer Begriff von derselben Bedeutung wie: die
+höchste+, die +wichtigste+ Ursache.

Statt vom +fünfzigsten+ oder +sechzigsten+ Geburtstag redet man
jetzt öfter vom +fünfzigjährigen+: das Buch ist als Festschrift zum
+fünfzigjährigen Geburtstage+ Max Klingers erschienen. Das ist völliger
Unsinn. Von einem +fünfzigjährigen+ oder +hundertjährigen Jubiläum+
kann man reden, denn da feiert man den ganzen Zeitraum, mit dem
Geburtstag aber nur den einzelnen Tag.

Recht unfein klingt es, wie es in militärischen Kreisen üblich ist,
hinter Personennamen die Kardinalzahl zu gebrauchen und von +Fischer
eins+, +Meyer sieben+ zu reden. Vielleicht -- soll es unfein klingen.
Oder wollen wir in Zukunft auch von +Otto drei+ und +Heinrich acht+
reden? Wie mag +Wilhelm zwei+ darüber denken?


Die Präpositionen

Eine grauenvolle Liederlichkeit hat in der niedrigen Geschäftssprache
in der Behandlung der Präpositionen um sich gegriffen. Vor allem
erscheint immer häufiger der Akkusativ hinter Präpositionen, die den
Dativ verlangen. Schweinsknochen +mit Klöße+, Spinat +mit Eier+,
Kotelette +mit Steinpilze+, Sülze +aus Kalbskopf+ und +Füße+ -- anders
wird auf Leipziger Speisekarten kaum noch geschrieben. Das ist freilich
Kellnerdeutsch, aber wen trifft die Schande für solche Sprachsudelei?
Und ist es nicht eine Beleidigung der Gäste, wenn ihnen Wirte solches
Schanddeutsch vorsetzen? Aber auch an Schaufenstern kann man lesen:
Sohlen +mit Absätze+ -- Neuvergoldung +von Spiegel+ -- Verkauf
+von Zauberapparate+ -- Stühle werden +mit Roßhaare+ gepolstert --
Regentropfen +auf Hüte+ werden sofort beseitigt -- großes Lager +in
Regenmäntel+ -- Ausstellung +in Damenstiefel+; Zeitungen schreiben:
er wurde +zu zwei Monate+ Gefängnis verurteilt -- und sogar Behörden
machen bekannt: die Lieferung +von+ hundert Stück +gebrauchte+
Schwellen -- das Abladen +von+ dreißig Kubikmeter +Bruchsteine+ -- das
Befahren dieses Weges +mit Lastfuhrwerke+ usw.[117]

In andern Fällen drängt sich auf ganz lächerliche Weise der Genitiv
an die Stelle des Dativs. In Leipzig kann man von Halbgebildeten
hören: +unter meines Beiseins+ -- +nach meines Erachtens+; aber auch
Gebildete schreiben: +dank dieses Umstands+ -- +dank des+ mir von allen
Seiten entgegengebrachten ehrenvollen +Vertrauens+ -- +dank dieser
Eindrücke+ meiner Jugendzeit -- +dank seines+ ins einzelste gehenden
+Verständnisses+ -- +dank des+ reichen und neuartigen +Programms+ --
+dank der Geschenke+ der Offiziere und +andrer+ Zuwendungen. Wie in
aller Welt ist eine solche Verirrung möglich? Man könnte glauben, den
Leuten schwebe bei ihrem +dank+ mit dem Genitiv etwas ähnliches vor
wie: +kraft meines Amts+, +laut deines Briefs+, +statt eines Auftrags+;
+kraft+, +laut+ und +statt+ werden mit Recht mit dem Genitiv verbunden,
denn ursprünglich hieß es: +in Kraft+ (oder: +durch Kraft+), +nach
Laut+, +an Statt+. Aber +dank+ ist doch einfach +Dank+, es hat nie eine
Präposition vor sich gehabt, es verlangt also auch unbedingt den Dativ:
+dank deinem Fleiße+, +dank deinen Bemühungen+ ist es gelungen usw.
Die wunderlichen Beispiele: +unter meines Beiseins+ und +nach meines
Erachtens+ zeigen, wie der falsche Genitiv zustande kommt: er entsteht
durch Verwechslung des Dativs mit dem Genitiv im Femininum. +Nach
meiner Meinung+, +unter meiner Mitwirkung+, +dank deiner Bemühung+
-- das klingt den Leuten wie ein Genitiv, und so sagen sie nun auch
fröhlich: +dank dieses Umstands+. Man kann hier einmal die Entstehung
einer Sprachdummheit an ihrer Quelle beobachten. Genau so ist es mit
+trotz+ gegangen: da sind wir jetzt glücklich so weit, daß der richtige
Dativ für einen Fehler und der falsche Genitiv für das Richtige erklärt
wird. Vielleicht kommt es auch noch mit +dank+ dahin, und wenn wir uns
rechte Mühe geben, auch mit +nach+, +unter+ und -- +gemäß+; denn schon
schreibt man auch: die Arbeiter sind +gemäß ihres+ Beschlusses heute
früh wieder in der Fabrik erschienen.

Die Redensart +sich an etwas halten+ -- verlangt sie nach +an+ den
Dativ oder den Akkusativ? In äußerlicher, sinnlicher Bedeutung
unzweifelhaft den Dativ: man +hält sich an einer Stange, an einem
Seile+ (an). In übertragner Bedeutung hat man früher geschwankt
(Goethe: wer klug ist, wird sich +am Zugänglichen+ halten). Heute ist
-- unter dem Einflusse sinnverwandter Wendungen wie: +sich wenden an,
sich stützen auf+, +sich verlassen auf+ -- nur noch der Akkusativ
üblich: wenn er mich nicht bezahlt, so halte ich mich +an dich+ -- ich
halte mich lieber +ans Gewisse+ als +ans Ungewisse+.

Die allerneuesten Präpositionen sind +ungerechnet+ und +unerwartet+.
Sie werden beide mit dem Genitiv verbunden: +unerwartet des Beitritts+
andrer Eisenbahnverwaltungen -- es hatten vierhundert Händler feil,
+ungerechnet derer+, die in den Höfen standen. Beide sind natürlich
dem eben so schönen +ungeachtet+ nachgebildet, das schon älter
ist: +ungeachtet seines Widerspruchs+. Auch hier sieht man eine
Sprachdummheit an der Quelle. Ursprünglich hieß es: +ungeachtet seinen
Widerspruch+; das war aber ein absolutes Partizip im Akkusativ.


Nördlich, südlich, rechts, links, unweit

Alle Präpositionen sind ursprünglich einmal Adverbia gewesen.
Auch die häßlichen, langatmigen Modepräpositionen unsrer Amts-
und Zeitungssprache: +anläßlich+, +gelegentlich+, +inhaltlich+,
+antwortlich+, was sind sie zunächst anders als Adverbia? Neuerdings
soll nun aber noch eine Anzahl weiterer Adverbia mit aller Gewalt zu
Präpositionen gepreßt werden, nämlich: +rechts+, +links+, +nördlich+,
+südlich+, +östlich+, +westlich+ und +seitlich+ (das letzte ein recht
überflüssiges Wort). Niemand wird bestreiten, daß auch diese Wörter
Adverbia sind. Um anzugeben, im Vergleich womit etwas rechts oder
links, nördlich oder südlich sei, haben wir denn auch bis vor kurzem
immer die Präposition +von+ zu Hilfe genommen und gesagt: +rechts von+
der Straße, +nördlich von+ den Alpen. Da haben nun offenbar manche
Leute geglaubt, +von+ sei hier, wie so oft, eine bloße Umschreibung
des Genitivs, und da sei es doch gescheiter, lieber gleich den Genitiv
zu setzen. Und so hat sich denn immer mehr der Fehler verbreitet, zu
schreiben: +rechts+ und +links der Szene+, +nördlich des Viktoriasees+,
+südlich der Kirche+, +seitlich des Altars+, ja neuerdings sogar
+abseits aller Parteien+ und +ringsum des Marktes+. Namentlich
Architekten, Techniker oder Geographen schreiben gar nicht mehr anders,
aber auch der gebildete Philister am Biertisch sagt schon: Meißen liegt
doch +links der Elbe+. Ein Fehler ist es aber doch, wenigstens solange
es noch Menschen gibt, die so altväterisch sind, zu glauben, +rechts+
und +links+, +nördlich+ und +südlich+ seien Adverbia, und solange --
die Schule ihre Schuldigkeit tut.

Ebenso verhält sichs mit den verneinten Adverbien +unfern+ und
+unweit+. Auch sie können von Rechts wegen nur als Adverbia gebraucht
werden: +unweit von+ dem Dorfe; aber auch sie hat man zu Präpositionen
zu pressen gesucht, und weiß nun nicht, ob man sie mit dem Genitiv
oder, wie das gleichbedeutende +nahe+, mit dem Dativ verbinden soll;
die einen schreiben: +unfern des Bodensees+, +unweit des Flusses+,
andre: +unfern dem Schlosse+, +unweit dem Tore+. Und das hat wieder
zur Folge gehabt, daß man sogar bei +nahe+ irre geworden ist und zu
schreiben anfängt: +nahe Leipzigs+! Auch +nahe+ ist keine Präposition,
sondern ein Adverbium (+nahe bei+, +nahe an+), und als Adjektiv kann es
unzweifelhaft nur den Dativ haben; +unfern+ aber und +unweit+ könnte
man sich doch ganz ersparen; sie sind gesucht (wie +unschwer+; vgl. S.
273) und der lebendigen Sprache fremd.


Im oder in dem? zum oder zu dem?

Große Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der bestimmte
Artikel mit der Präposition verschmolzen werden darf, und in welchen
Fällen nicht, wann es also heißen darf: +im+, +vom+, +zur+, +aufs+,
+ins+ (oder, wenn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, +auf’s+,
+in’s+, vielleicht auch +i’m+, +zu’r+?), und wann: +in dem+, +von
dem+, +auf das+ usw. Dennoch ist die Sache sehr einfach und eigentlich
selbstverständlich.

Der bestimmte Artikel +der+, +die+, +das+ hat ursprünglich
demonstrativen oder determinativen Sinn, er bedeutet dasselbe
wie +dieser+, +diese+, +dieses+, oder wie das schöne Kanzleiwort
+derjenige+, +diejenige+, +dasjenige+. In dieser Bedeutung wird er
ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann gedehnt gesprochen und
betont: +deer+, +deem+, +deen+ (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe,
nicht immer bloß die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont
bleibt und kurz gesprochen wird. Nun ist es doch klar, daß die
Verschmelzung mit der Präposition nur da eintreten kann, wo wirklich
der bloße Artikel vorliegt. Verschlungen oder verschluckt werden kann
immer nur ein Wort, das keinen Ton hat. Es ist also richtig, zu sagen:
du wirst schon noch +zur Einsicht+ kommen, wenn gemeint ist: zur
Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin, oder: ich habe +im guten
Glauben+ gehandelt. Sowie aber durch einen nachfolgenden Nebensatz eine
bestimmte Einsicht, ein bestimmter guter Glaube bezeichnet wird, so ist
eben so klar, daß dann der Artikel einen Rest seiner ursprünglichen
demonstrativen oder determinativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von
einer Verschlingung mit der Präposition keine Rede sein. Es kann also
nur heißen: als er nach Jahren +zu der Einsicht+ kam, +daß+ er nicht
zum Künstler geboren sei -- ich habe +in dem guten Glauben+ gehandelt,
+daß+ ich in meinem Rechte wäre. Dennoch muß man fort und fort so
fehlerhafte Sätze lesen wie: die Bauern kamen +zum Bewußtsein, daß+
sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht rechnen dürften
-- im +Bewußtsein, daß+ es der Reichshauptstadt an einem Mittelpunkte
künstlerischer Bestrebungen +fehle+ -- er kam +zur Überzeugung, daß+
alles Suchen vergeblich sei -- die Vergleichung seiner Landsleute mit
den Deutschen von ehemals führte Melanchthon +zur Erklärung, daß+ die
Deutschen leider ihren Vorfahren unähnlich geworden seien -- folgende
Erwägung führt +zur Vermutung, daß+ die Ohnmacht Gretchens einem
geschichtlichen Fall nachgebildet sei -- vielleicht wird die praktische
Beschäftigung +zur Erkenntnis+ gelangen, daß die Rückkehr zum
historischen Ausgangspunkte geboten sei -- er sah sich +zum Geständnis+
genötigt, +daß+ er sich getäuscht habe -- das Komitee empfahl seinen
Kandidaten im festen +Vertrauen, daß+ ein paar Schlagwörter genügen
würden. In allen diesen Sätzen ist die Verschmelzung der Präposition
mit dem Artikel ein grober Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand
dafür das Gefühl verlieren kann.

Die nähere Bestimmung kann aber auch durch einen Infinitiv mit +zu+,
durch einen Relativsatz, durch ein Attribut ausgedrückt werden --
auch dann darf der Artikel nicht verschlungen werden. Also auch
folgende Sätze sind falsch: er stand +im Rufe+, es mit der klerikalen
Partei +zu halten+ -- er starb +im Bewußtsein+, die teuersten Güter
des Vaterlandes verteidigt +zu haben+ -- unter Eigentum verstehen
wir die volle Herrschaft über eine Sache bis +zur Befugnis+, sie
+zu vernichten+ -- er hielt +am Gedanken+ fest, +sich+ sobald als
möglich von dieser Last +zu befreien+ -- er stand +im Verdacht+,
einem verbotnen Verein +anzugehören+ -- er wurde +vom Verdacht+, ein
preußischer Spion +zu sein+, freigesprochen -- er war +vom reinsten
Willen+ erfüllt, Versöhnung mit Gott +zu finden+ -- +im Augenblick,
wo+ er mich sah -- Goethe schlug den Hans Sachsischen Ton auch +zur
Zeit+ an, +wo+ er sich sonst meist der neueren Formen bediente -- er
ist nicht sparsam +im Lobe, das+ den polnischen Pferden gebührt --
+im Deutschen, das+ heute geschrieben wird (+in dem Deutsch, das+!)
-- sie tranken fleißig +vom Weine, der+ auf der reichbesetzten Tafel
stand -- diese Arie gehört +zum Besten, was+ Verdi geschrieben hat
-- Vischer hat es nie +zur Volkstümlichkeit Scheffels+ gebracht --
ein unbewachter Augenblick stürzte +ihn vom Thron seiner Tugendgröße+
-- +im Alter von+ 60 Jahren -- +zum+ ermäßigten +Preise von+ 15 Mark
-- +vom Streit um+ Kleinigkeiten -- +im Bande über+ Leibniz -- +im
Essay über+ Auerbach -- +im Hause+ Berliner Straße Nr. 70 usw. +Im
Augenblicke+ und +zurzeit+ können nur allein stehen, beides bedeutet
dann soviel wie +jetzt+; ebenso auch: +im Alter+, +im Hause+. Auch +im
Essay+ kann nur allein stehen, der Essay wäre dann als Gattung etwa
dem Roman gegenübergestellt: dergleichen kann man sich wohl +im Roman+
erlauben, aber nicht +im Essay+; von einem bestimmten Essay aber kann
es nur heißen: +in dem Essay+ über Auerbach. Ja es gibt sogar Fälle,
wo gar kein Zusatz hinter dem Hauptwort zu stehen braucht und doch die
Verschmelzung des Artikels mit der Präposition ein Fehler wäre: wenn
nämlich nach dem ganzen Zusammenhange nicht das Ding an sich, sondern
ein bestimmtes Ding gemeint ist. So ist z. B. falsch: die Beziehungen,
in denen Otto Ludwig +zur Stadt+ und ihren Bewohnern stand -- wenn
Leipzig unter der Stadt gemeint ist; es muß heißen: +zu der Stadt+ und
ihren Bewohnern. +Zur Stadt+ könnte nur im Gegensatz zum Lande gesagt
sein.[118]

Eine Unsitte ist es daher auch, zu schreiben, wie es immer mehr Mode
wird: +im selben+ Augenblick -- die +vom selben+ Verlag ausgegebnen
Kupferstiche -- die Erfüllung dieser Aufgaben kann +beim selben+
Objekt verschieden erreicht werden. Wer sorgfältig schreiben will, kann
nur schreiben: +in demselben+ Augenblick, +von demselben+ Verlag, +bei
demselben+ Objekt.

Wo wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte aber auch nun überall
die Verschmelzung vorgenommen werden; nicht bloß in der lebendigen
Sprache -- da fehlts ja nicht daran --, sondern auch auf dem Papier.
Welche Ziererei, zu schreiben: Alle diese schönen Pläne sind +in das+
Wasser gefallen! Kein Mensch sagt: +an das Land+ steigen, der Kampf
+um das Dasein+, eine Anstalt +in das Leben+ rufen, einen Vorgang
+an das Licht+ ziehen, einen +hinter das Licht+ führen, eine Sache
+über das Knie+ brechen, +in das Auge+ fallen, einem +in das Gesicht+
sehen, etwas +in das Werk+ setzen, eine Sache +in das Reine+ bringen,
sich +auf das hohe Pferd+ setzen, sich +auf das beste+, +auf das
bequemste+ einrichten, sondern: +ans Land+, +ums Dasein+, +ins Leben+,
+ans Licht+, +aufs beste+, +aufs bequemste+ (wie: +aufs neue+). Also
schreibe und drucke man auch so. Dagegen ist wieder falsch: sich +aufs
hohe Pferd des Sittenrichters+ setzen -- denn hier ist ein bestimmtes
hohes Pferd gemeint. Ebenso ist zu unterscheiden: +im öffentlichen
Leben+ eine Rolle spielen und: +in dem öffentlichen Leben Deutschlands+
eine Rolle spielen.

Wenn von einer Präposition mehrere Substantiva abhängen und beim
ersten die Präposition mit dem Artikel verschmolzen worden ist, so
ist es sehr anstößig, bei den folgenden Substantiven den Artikel
aus der Verschmelzung wieder herauszureißen und mit Weglassung der
Präposition zu schreiben: in gewisser Entfernung +vom+ Brandplatz
oder +dem+ Platze des sonstigen Unglücksfalles -- von Platos realen
Begriffen bis +zur+ Goldmacherkunst und +der+ Telepathie -- Geschichte
+vom+ braven Kasperl und +dem+ schönen Annerl (Brentano). Die
Verschmelzung +vom+ wirkt im Sprachgefühl fort auf das folgende Wort:
man hört also unwillkürlich: +vom dem+ Platze. In solchen Fällen ist
es unbedingt nötig, entweder auch die Präposition zu wiederholen,
also: in gewisser Entfernung +vom+ Brandplatz oder +vom+ Platze
des sonstigen Unglücksfalles, oder von vornherein die Verschmelzung
zu unterlassen und zu schreiben: +von dem+ Brandplatze oder +dem+
Platze des sonstigen Unglücksfalles. Ebenso verhält sichs bei der
Apposition. Es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: +im+ Süden, +dem+
taurischen Gouvernement -- +am+ 12. Januar 1888, +dem+ dreihundertsten
Geburtstage Riberas; auch bei der Apposition muß es wieder +im+ und
+am+ heißen. Doppelt anstößig wird der Fehler, wenn die Substantiva
im Geschlecht oder in der Zahl verschieden sind, z. B. +im+ Berliner
Tageblatt und +der+ geistesverwandten Presse -- das +am+ Ananias und
+der+ Saphira vollzogne Strafwunder -- die +vom+ Anarchismus und +der+
Sozialdemokratie drohenden Gefahren -- von der Universität herab bis
+zur+ Volksschule und +dem+ Kindergarten -- das hängt +vom+ guten
Willen und +der+ Zahlungsfähigkeit der Untertanen ab -- Eingang +zum+
Garten und +der+ Kegelbahn. Auch hier muß überall die Präposition
wiederholt werden. Der Gipfel der Nachlässigkeit ist es, die
Wiederholung der Präposition dann zu unterlassen, wenn der bestimmte
Artikel mit der artikellosen Form wechselt: z. B. +zur+ Annahme von
Bestellungen und direkt+er+ Erledigung derselben; es muß heißen: +zur+
Annahme und +zu+ direkt+er+ Erledigung.


Aus: „Die Grenzboten“

Zu den größten irdischen Freuden des Papiermenschen gehören die
sogenannten Gänsefüßchen. Der Schulmeister, der auf Verständnis
rechnen kann, wenn er dem Achtjährigen zum erstenmal in die Feder
diktiert: der Vater fragte -- Doppelpunkt -- Gänsefüßchen unten --
wo bist du gewesen, Max -- Fragezeichen -- Gänsefüßchen oben --, hat
das stolze Gefühl, daß er seinen Zögling zu einer der wichtigsten
Entwicklungsstufen seiner Geistesbildung emporgeführt habe. Aber
nicht bloß Schulmeister und Schulknaben, auch andre Leute, z. B.
Romanschriftsteller, haben an diesen Strichelchen eine kindische
Freude; es gibt Romane, in denen man vor lauter Gänsefüßchen fast
nichts vom Dialog sieht. Ein Hochgenuß beim Lesen ist es, wenn Er
immer mit zweien („--“), Sie immer mit vieren („„--““) erscheint; dann
flimmert es einem förmlich vor den Augen.

Die Gänsefüßchen sind, wie der Apostroph (vgl. S. 8), eine jener
nichtsnutzigen Spielereien, die -- es steht nicht fest, ob durch den
Schulmeister oder durch den Druckereikorrektor -- eigens für die
Papiersprache erfunden worden sind. Wenn jemand einen Roman vorliest,
so kann er doch die Gänsefüßchen nicht mitlesen, und doch versteht ihn
der Zuhörer. Wozu schreibt und druckt man sie also? Einen Zweck haben
sie nur da, wo man Wörter oder Redensarten ironisch gebraucht (um sie
lächerlich zu machen), oder wo man mitten in seine eigne Darstellung
eine Stelle aus der Darstellung eines andern einflicht.[119] Aber auch
da sind sie überflüssig, wenn diese Stelle in fremder Sprache oder in
Versen ist, sich also schon durch die Schriftgattung (Antiqua, Kursiv,
Petit) von dem übrigen Text genügend abhebt. Ebenso überflüssig aber
und nichts als eine Spielerei sind sie bei Namen und bei Überschriften
und Titeln von Büchern, Schauspielen, Opern, Gedichten usw. Wenn man
sagt: der Kaiser hatte eine Reise +auf der Hohenzollern+ gemacht -- so
versteht das doch jedermann, und ebenso wenn man sagt: der Vers ist
+aus Goethes Iphigenie+. Manche Lehrer behaupten zwar, die Iphigenie
ohne Gänsefüßchen sei die Person des Schauspiels, die Iphigenie mit
Gänsefüßchen sei das Schauspiel selbst; kann man aber in der lebendigen
Sprache diese Unterscheidung machen?

Das ärgste aber ist es und eine der abgeschmacktesten Erscheinungen
der Papiersprache, wenn Titel und Überschriften wie Versteinerungen
behandelt werden, und geschrieben wird: die Redaktion +des+ „Wiener
Fremden+blatt+“, +des+ „Berliner Tage+blatt+“ und ebenso nach
Präpositionen: Vorspiel +zu+ „+Die+ Meistersinger“ -- Ouverture +zu+:
„+Die+ Fledermaus“ -- einzelne Bilder +aus+ „+Der+ neue Pausias“
-- Bemerkungen zu Goethes „+Der+ getreue Eckardt“ -- erweiterter
Separatabdruck +aus+ „+Der+ praktische Schulmann“ -- diese Aufsätze
haben zuerst +in+ „+Die+ Grenzboten“ gestanden usw. Jedermann sagt: ich
bin gestern abend +in der+ Fledermaus gewesen, der Vers ist +aus dem+
Neuen Pausias, ich habe das +im+ Praktischen Schulmann gelesen, die
Aufsätze haben +in den+ Grenzboten gestanden. Versteht man das nicht?
Wenn mans aber mit den Ohren versteht, warum denn nicht mit den Augen?

Einige Verlegenheit bereiten ja die jetzt so beliebten Zeitungs- und
Büchertitel, die, anstatt aus einem Hauptwort, aus einer adverbiellen
Bestimmung bestehen, wie: +Aus unsern vier Wänden+, +Vom Fels zum
Meer+, +Zur guten Stunde+ u. ähnl. Jedes natürliche Sprachgefühl
sträubt sich doch dagegen zu sagen: ich habe das +in Vom+ Fels zum Meer
gelesen. Aber immer dazuzusetzen: in dem Buche, in der Zeitschrift --
was schließlich das einzige Rettungsmittel ist -- ist doch langweilig.


Nach dort

Statt +hin+ und +her+ schreiben unsre Kaufleute jetzt in ihren
Geschäftsbriefen +nach dort+ und +nach hier+: kommen Sie nicht in
den nächsten Wochen einmal +nach hier+? Wenn nicht, so komme ich
vielleicht einmal +nach dort+. Auch die Zeitungen berichten: Herr M.
ist als Bauinspektor +nach hier+ versetzt worden. Und wenn ein paar
Handlungsreisende bei kühlem Wetter in einem Biergarten sitzen, fragen
sie sich sogar: Wollen wir uns nicht lieber +nach drin+ setzen? Diese
neumodische schöne Ortsbestimmung ist freilich nicht ohne Beispiel:
schon längst hat man zur Bezeichnung einer Richtung, statt die auf die
Frage wohin? antwortenden Ortsadverbien zu gebrauchen, die Präposition
+nach+ mit Ortsadverbien verbunden, die auf die Frage wo? antworten,
z. B. +nach vorn+, +nach hinten+, +nach oben+, +nach unten+, statt:
+vor+, +hinter+, +hinauf+, +herunter+. Auch Schiller sagt im Taucher:
Doch es war mir zum Heil, er riß mich +nach oben+. Und ebenso hat man
auf die Frage woher? geantwortet: +von vorn+, +von hinten+, +von oben+,
+von unten+, sogar +von hier+, +von dort+. Nur +nach hier+, +nach
dort+ und +nach drin+ hatte noch niemand zu sagen gewagt. Aber warum
eigentlich nicht? Offenbar aus reiner Feigheit. Wir können also dem
kaufmännischen Geschäftsstil für seinen sprachschöpferischen Mut nur
dankbar sein. Schade, daß Goethe das Lied der Mignon nicht mehr ändern
kann; das müßte doch nun auch am Schlusse heißen: +nach dort, nach
dort+ möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn![120]


Bis

Viel Nachlässigkeiten und Dummheiten werden in den Zeitangaben
begangen. Ein Ausdruck wie: +vom 16. bis 18. Oktober+ soll dabei
noch nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig
schreiben will, hinter +bis+ die Präposition nie weglassen, sondern
schreiben wird: +bis zum 18. Oktober+. Denn +bis+ ist zwar selbst
eine Präposition, es ist aber auch eine Konjunktion, es ist ein
Mittelding zwischen beiden, und bei Ortsbestimmungen verlangt es noch
ein +an+, +auf+, +in+, +zu+, +nach+, nur vor Städte- und Ländernamen
kann es allein stehen, aber doch auch nur dann, wenn eine Strecke,
eine Ausdehnung, aber nicht, wenn ein Ziel angegeben wird. Man kann
also wohl sagen: +bis morgen+, +bis Montag+, +bis Ostern+, sogar:
+bis nächste Woche+, auch +bis Berlin+, aber nicht: +bis Haus+,
+bis Tür+. Nur wer in den Straßenbahnwagen gestiegen ist, antwortet
maulfaul auf die Frage des Schaffners: wie weit? +Bis Kirche+. Eine
ganz unzweifelhafte Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: von
Nikolaus I. +bis Gregor VII+. Denn wie soll man das lesen? +Bis+
Gregor +den Siebenten+? +bis den+? Wenn das richtig wäre, dann könnte
man auch sagen: wenn wir vom Großvater noch weiter zurückgehen +bis
den Urgroßvater+. Ebenso nachlässig ist es, zu schreiben: Ausgewählte
Texte +des 4. bis 15. Jahrhunderts+, deutsche Liederdichter +des
12. bis 14. Jahrhunderts+ oder mit einem Strich, den man bis lesen
soll: +des 12.-14. Jahrhunderts+,[121] Flugschriften +des 16. bis 18.
Jahrhunderts+, Kulturbilder aus +dem 15. bis 18. Jahrhundert+. Da
hört man erst den Singular +des+, +dem+, und dann kommen drei oder
vier Jahrhunderte hinterher. Wie kann denn +ein+ Jahrhundert das 4.
bis 15. sein! Und doch muß man den Fehler täglich lesen, oft gleich
auf Titelblättern neuer Bücher. Wer sorgfältig schreiben will, wird
schreiben: Flugschriften +des 16., des 17. und des 18. Jahrhunderts+ --
oder wenigstens: +des 16., 17. und 18. Jahrhunderts+ -- oder: +aus der
Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert+. Das ist zwar etwas umständlich,
aber es geht nicht anders. Wir schrecken ja sonst vor umständlicher
Ausdrucksweise nicht zurück, können uns oft gar nicht breit und
umständlich genug ausdrücken. Warum denn gerade da, wo sie einmal
angebracht ist?


In 1870

Wie mit +nach hier+ und +nach dort+, verhält sichs auch mit +in+ 1870,
das man neuerdings öfter lesen kann. Jede andre Präposition kann man
so vor die Jahreszahl setzen, man kann sagen: +vor+ 1870, +nach+
1870, +bis+ 1870 -- aber nicht: +in+ 1870. Warum nicht? Weils nicht
deutsch ist. Es ist eine willkürliche Nachäfferei des Französischen
und des Englischen. Deutsch ist auf die Frage wann? entweder die bloße
Jahreszahl ohne jede Präposition, oder: +im Jahre+ 1870.

Bei den Angaben der Monate und der Jahreszeiten scheinen es manche
jetzt für geistreich zu halten, +in+ ganz wegzulassen und zu
schreiben: das geschah +Dezember+ 1774 -- ich wurde +Herbst+ 1874
immatrikuliert. Auch das ist undeutsch; die Monatsnamen wie die Namen
der Jahreszeiten verlangen unbedingt die Präposition, denn bei ihnen
ebenso wie bei dem ganzen Jahre hat man deutlich die Vorstellung eines
Zeitraums, in dessen Innerm sich ein Ereignis zuträgt.


Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?

Bei periodisch wiederkehrenden Handlungen antwortet auf die Frage:
wie oft? der Genitiv von +alle+ mit einem Zahlwort, z. B.: +aller
vierzehn Tage+, +aller vier Wochen+, +aller zwei Stunden+, +aller
halben Jahre+, +aller Vierteljahre+, +aller hundert Jahre+, ja sogar
ohne Zahlwort: +aller Augenblicke+. Wenigstens in Mitteldeutschland,
namentlich in Sachsen und Thüringen, ist dieser Genitiv allgemein, bei
Hoch und Niedrig, im Gebrauch. Nicht bloß die Leipziger Straßenjugend
spottete von der Leipziger Pferdebahn: und +aller fünf Minuten+, da
bleibt de Karre stehn -- auch die gebildete Mutter sagt zu ihrem Kinde:
bleib doch nicht +aller zehn Schritte+ stehen, oder: du bleibst +ja
aller drei Zeilen hängen+, oder: so was kommt nur +aller Jubeljahre+
einmal vor (wobei der Zahlbegriff in +Jubel+ steckt: 25, 50, 100), ja
sogar: komm doch nicht +aller Nasen lang+ gelaufen, oder: du störst
mich +aller Augenblicke+, und der Arzt schreibt auf das Rezept: +aller
zwei Stunden+ einen Eßlöffel voll zu nehmen. Mit dem Akkusativ, wie
er in Nord- und Süddeutschland üblich ist, erscheint uns nicht das
Periodische, die Wiederkehr der Handlung in gleichen Zeitabständen,
ausgedrückt. Wenn ich sage: das kann ich +alle Augenblicke+ tun, oder
von einem geladnen Geschoß: geh zurück! es kann +alle Augenblicke+
losgehen, so heißt das nichts andres als: +jeden Augenblick+,
+jederzeit+, +sogleich+, +sofort+. Sage ich dagegen: es blitzt +aller
Augenblicke+, so heißt das (natürlich mit einer starken Übertreibung):
es blitzt in regelmäßigen Abständen von je einem Augenblick. Wenn sich
jemand beklagt, er habe vierzehn Tage an einem langweiligen Badeorte
sitzen müssen, so kann ich ihn fragen: bist du denn +alle vierzehn
Tage+ dort gewesen? Das ist eine Zeitdauer, keine Wiederholung. Wenn
sich aber die Landpfarrer in regelmäßigen Zwischenräumen von je
vierzehn Tagen zu einer Konferenz in der Stadt zusammenfinden, so
kommen sie nicht +alle+, sonder +aller vierzehn Tage+. Eine Berliner
Zeitschrift verspricht ihren Lesern auf dem Umschlag +alle sieben Tage+
ein Heft. Sie hält aber ihr Versprechen nicht, denn sie bringt nur
+aller sieben Tage+ eins. Wenn ich sage: ich reise +alle Jahre+ nach
Italien, so kann ich das einemal im März, das andremal im Mai, das
drittemal im Oktober reisen. Will ich dagegen sagen, daß ich die Reise
in genauen Abständen von je einem Jahre mache, so würde ich zwar nicht
sagen: +aller Jahre+ (das ist nicht gebräuchlich), wohl aber, wo es
auf eine genaue Bestimmung einer periodisch wiederkehrenden Handlung
ankommt: +aller zwölf Monate+.[122]

Da es sich bei diesem eigentümlich gefärbten „distributiven“ Genitiv,
wie man ihn treffend genannt hat, keineswegs um einen niedrigen
Provinzialismus handelt, sondern um eine mundartliche Feinheit, deren
das Norddeutsche wie das Süddeutsche entbehrt, so kann es uns niemand
verdenken, wenn wir ihn nicht dem unklaren, doppelsinnigen Akkusativ
zuliebe fallen lassen. Wir bleiben fest bei unserm +aller vier Wochen+!


Donnerstag und Donnerstags -- nachmittag und nachmittags

Auch auf die Frage: wann? muß bei periodisch wiederkehrenden Handlungen
stets der Genitiv stehen. Auf die Frage: wann ist der Eintritt ins
Museum frei? kann nur geantwortet werden: +Montags und Donnerstags+,
wenn damit gesagt sein soll, daß es jeden Montag und jeden Donnerstag
so sei. Ebenso bezeichnet +morgens+, +mittags+, +vormittags+,
+nachmittags+, +abends+ Handlungen, die jeden Morgen, jeden Mittag usw.
geschehen. Die einmalige Handlung dagegen wird durch den Akkusativ
ausgedrückt. Aber auch hier herrscht jetzt Verwirrung. Genitive wie
+Sonntags+, +Montags+ gelten jetzt lächerlicherweise manchen beim
Schreiben für unfein, und umgekehrt drängt sich wieder der Genitiv
dahin, wo er nicht hingehört. In der Umgangssprache wird er schon
ganz anstandslos auch von einmaligen Handlungen gebraucht: kommst du
+mittags+ zurück? Nein, ich komme erst +abends+ zurück. Es muß heißen:
+zu Mittag+ und +am Abend+ oder mit dem bloßen Akkusativ: +Mittag+,
+Abend+. Also: ich bin heute +mittag+ in Berlin, aber heute abend schon
wieder in Leipzig; dagegen: ich bin +mittags+ stets in Berlin, +abends+
stets in Leipzig.[123] Ganz abscheulich ist es, zu schreiben: +anfangs
April+, +anfangs Dezember+, +anfangs der+ fünfziger Jahre, +anfangs der
Spielzeit+, es muß unbedingt heißen: +Anfang April+, +Anfang Dezember+,
wie +Mitte Dezember+, +Ende Dezember+. Auch +Anfang+, +Mitte+, +Ende+
sind hier Akkusative, +Dezember+ ein (natürlich schlechter!) Genitiv
(vgl. S. 8). +Anfangs+ kann immer nur allein als Adverbium stehen, im
Gegensatze zu +dann+, +später+, +endlich+ (+anfangs+ wollt ich fast
verzagen).


Drei Monate -- durch drei Monate -- während dreier Monate

Ein widerwärtiger Mißbrauch, der aber auch neuerdings für vornehm gilt
-- natürlich! es klingt ja französisch --, ist der Gebrauch, auf die
Frage: +wie lange+? mit +während+ zu antworten: wir waren +während
dreier Monate+ in der Schweiz -- dieses Geräusch blieb +während
einiger Minuten+ hörbar -- man sprach +während einiger Wochen+ von
nichts als von dieser Unternehmung -- die Prüfungskommission, der
Gottfried Kinkel +während einer Reihe+ von Jahren angehört hat --
die Lehren, die +während achtzehn Jahrhunderten+ als die Grundlage
rechtgläubigen Christentums angesehen worden sind -- der Clavigo wurde
+während weniger Tage+ in einem Gusse geschaffen -- die Naturaldienste
wurden nur +während weniger Tage+ im Jahre geleistet.

Während kann nie auf die Frage: wielange? antworten, sondern immer
nur auf die Frage: wann? Vielleicht ist es nicht allen Lesern in der
Erinnerung, wie die Präposition +während+ entstanden ist. Noch im
achtzehnten Jahrhundert schrieb man +währendes Frühlings+, +währendes
Krieges+. Allmählich wurde dieser absolute Genitiv mißverstanden, eine
Zeit lang wußte man nicht recht, ob man +währendes+ oder +während des+
hörte, und schließlich sprang der Partizipialstamm von der Endung
ab und wurde -- tatsächlich also durch ein Mißverständnis, durch
eine Sprachdummheit -- zu einer Präposition. Trotzdem erhielt sich
bei richtiger Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang
zusammengestellt mit einem andern Vorgange, mit dem er entweder ganz
oder teilweise zeitlich zusammenfällt; er lag +während des Kriegs+
im Lazarett -- +während des Vortrags+ darf nicht geraucht werden --
+während des Gewitters+ waren wir unter Dach und Fach. Der Krieg,
der Vortrag, das Gewitter sind Vorgänge, Ereignisse. Aber ein Tag,
ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind bloße Zeitabschnitte oder
Zeitmaße. Er lag +während dreier Monate+ im Lazarett -- ist völliger
Unsinn, denn drei Monate sind kein Ereignis, womit der Aufenthalt im
Lazarett zeitlich verglichen würde, sondern sie bedeuten einfach die
Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden durch den Akkusativ
+drei Monate+ oder +drei Monate lang+. Der Clavigo wurde nicht +während
weniger Tage+, sondern +in wenigen Tagen+ geschaffen. Aber kann man
denn nicht sagen: +während des Tags+? Gewiß kann man das; aber dann
ist +Tag+ nicht als Zeitmaß gebraucht, sondern als Erscheinung der
Nacht gegenübergestellt: +während des Tags+ scheint die Sonne. Die
Sonne hat nur +während eines Tags+ geschienen -- das ist Unsinn; die
Sonne hat +während meiner Ferien nur einen Tag+ geschienen -- das hat
Sinn. Aber alle Romanschreiber und besonders alle Romanschreiberinnen
spreizen sich jetzt mit diesem albernen, dem französischen ~pendant~
nachgeäfften Mißbrauch.

+Durch fünfzehn Monate+ endlich, +durch lange Zeit+, +durch fünf
Minuten+, wie die Zeitungen jetzt auch gern auf die Frage: wielange?
schreiben (die heldenmütigen Frauen, die +durch fünfzehn Monate+ mit
ihren Kindern im Buschwalde umherirrten -- dieses Gefühl war +durch
lange Zeit+ künstlich genährt worden -- das Publikum lärmte und
applaudierte +durch+ wenigstens +fünf Minuten+), ist ganz undeutsch. Es
ist ein gedankenlos dem Lateinischen nachgebildeter Austriazismus, der
aus österreichischen Zeitungen in unsre Sprache geschleppt worden ist.


Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar

Ein abscheulicher Fehler, der wieder recht ein Zeichen der immer
mehr zunehmenden Verrohung unsers Sprachgefühls ist, ist die gemeine
Zusammenkoppelung des Dativs und des Akkusativs, die neuerdings bei
Datenangaben aufgekommen ist und mit unbegreiflicher Schnelligkeit um
sich gegriffen hat. Fast alle Behörden, alle Berichterstatter, alle
Programme, alle Einladungen schreiben: +am+ Donnerstag, +den+ 13.
Februar. Sogar die amtlichen stenographischen Berichte des Reichstags
sind so überschrieben!

Jede von beiden Konstruktionen für sich allein wäre richtig. Auf die
Frage: wann ist das Konzert? kann ebensogut mit dem bloßen Akkusativ
geantwortet werden: +den+ Donnerstag, wie mit an und dem Dativ: +am+
Donnerstag.[124] Aber beide Konstruktionen zusammenzukoppeln, einen
Akkusativ als Apposition zu einem Dativ zu setzen, ist greulich.
Fühlt man das gar nicht? Was glaubt man denn, daß es für ein Kasus
sei, wenn auf die Frage: wann wird er zurückkehren? geantwortet wird:
+Donnerstag+. Ist man so stumpfsinnig geworden, daß man hier den
Akkusativ nicht mehr fühlt, auch wenn der Artikel nicht dabeisteht?
wenn bloß geschrieben wird: +Donnerstag+, den 13. Februar? Nun meinen
ja manche den Fehler zu vermeiden und ihre Sache sehr gut zu machen,
wenn sie schreiben: +am+ Donnerstag, +dem+ 13. Februar. Aber da kommen
sie aus dem Regen in die Traufe! (vgl. S. 253). Nein nein, es gibt nur
+ein+ Heilmittel: man lasse das dumme am wieder weg, und alles ist in
Ordnung.

Man schreibt aber auch schon: +vom Ende+ Februar, +vom+ Dienstag, +den+
6. dieses Monats ab. Das ist fast noch abscheulicher. Die Akkusative
+Ende+ Februar, +Dienstag, den+ 6. gelten für den Satzbau genau so viel
wie jedes Adverbium der Zeit, das auf die Frage wann? antwortet, wie
+gestern+, +heute+, +morgen+ usw. Ebenso nun wie auf die Fragen: von
wann? und bis wann? geantwortet wird: +von heute bis morgen+, ebenso
muß auch geantwortet werden: +von Ende Februar+, +von Dienstag, den
6. bis Donnerstag, den 8. April+. Denn nicht +Ende+ oder der Artikel
+den+ hängt von der Präposition +von+ ab, sondern die ganze, wie ein
Adverbium der Zeit aufzufassende Formel: +Dienstag, den 6+.

Derselbe Fall kommt auch bei Ortsbestimmungen vor. +Zuhause+, das
auf die Frage wo? antwortet, wird für die Konstruktion ganz zum
Ortsadverbium, wie +hier+, +dort+, +oben+, +unten+ u. a. Auf die Frage:
wo kommst du her? ist es also durchaus nicht falsch, zu antworten:
+von zuhause+. Wir in Mitteldeutschland sagen immer so (nicht wie der
Norddeutsche sagt: +von Hause+, das uns fremdartig und geziert klingt),
ebenso wie wir auch sagen: er spricht viel +von zuhause+, er denkt den
ganzen Tag +an zuhause+. (Goethe: ich freue mich recht +auf nachhause+!)


Bindewörter. Und

Auch der Gebrauch der Bindewörter hält sich jetzt nicht frei von
Fehlern und namentlich nicht frei von Geschmacklosigkeiten, die sich
aber natürlich gerade deshalb, weil sie so geschmacklos sind, besondrer
Beliebtheit erfreuen. Richtig angewandt werden ja im allgemeinen die
geläufigen Verbindungen: +nicht nur -- sondern auch+, +sowohl -- als
auch+, +entweder -- oder+, +weder -- noch+; doch kann man bisweilen
auch Sätze lesen, wo falsch +nicht nur -- aber auch+ gegenübergestellt
sind. Feiner und weniger geläufig ist die Verbindung +nicht sowohl --
als vielmehr+. Bei den vorhergehenden Verbindungen sind entweder beide
Glieder bejahend oder beide verneinend; hier ist das erste verneinend
und das zweite bejahend. Mit dieser Verbindung wissen manche nicht
recht umzugehn; sie möchten sich aber doch auch gern damit zieren und
schreiben dann: +nicht sowohl+ was die Anzahl, +sondern mehr+ was die
Bedeutung der Stücke betrifft.

Aber selbst bei dem einfachen +und+ werden Fehler gemacht. Ein sehr
gewöhnlicher Fehler entsteht dadurch, daß sich der Schreibende nicht
genügend klar darüber ist, wieviel Glieder er vor sich hat. Da schreibt
z. B. einer -- gleich auf dem Titelblatt eines Buches! --: Geschichte
+der Seuchen, Hungers- und Kriegsnot+ im Dreißigjährigen Kriege.
Wieviel Glieder sind das, zwei oder drei? Der Schreibende hat es für
drei gehalten, es sind aber nur zwei. Das erste Glied ist +Seuchen+,
das zweite ist +Hungers- und Kriegsnot+, und dieses besteht selber
wieder aus zwei Gliedern. Folglich fehlt die Verbindung zwischen dem
ersten und dem zweiten Gliede. Vielleicht fürchtet man sich vor einem
doppelten +und+ -- es spielt da wieder der Aberglaube herein, daß man
nicht kurz hintereinander zweimal dasselbe Wort gebrauchen dürfe! --,
aber die Logik verlangt es hier unbedingt. Beseitigen wir noch den
zweiten groben Fehler, daß der Plural +der+ vor +Seuchen+ zugleich als
Singular auf +Hungersnot+ bezogen ist, so lautet das Ganze richtig:
Geschichte +der Seuchen und der Hungers- und Kriegsnot+ usw. Ähnliche
Beispiele, wo überall ein +und+ fehlt -- wo? deuten die Klammern an
--, sind folgende: ~Ex-Libris~, Zeitschrift für Bücherzeichen- []
Bibliothekskunde +und+ Gelehrtengeschichte -- die Beziehungen zum Hofe
von Alexandrien [] zur alexandrinischen Kunst +und+ Wissenschaft -- das
Material entnimmt er seinen eignen Erinnerungen [] Aufzeichnungen +und+
Briefen aus dem schleswig-holsteinischen Archiv -- ein gemeinsames
Münz-, Maß- [] Gewichtssystem [] Patent- +und+ Markenschutzrecht --
Hundegeschirre, Hand- [] Kinderwagen +und+ Rollstühle -- ein Gärtchen,
in dem er Gemüse baute [] Blumen +und+ Bienen pflegte -- das schlechte
Essen [] Trinken +und+ die lästigen Fliegen -- wer lesen, schreiben []
rechnen kann +und+ täglich seine Zeitung liest. In allen diesen Fällen
liegen nur zwei (oder drei) Glieder vor, von denen aber das eine selbst
wieder aus zwei oder mehr Gliedern besteht, und in den meisten Fällen
fehlt das +und+ gerade da, wo die beiden Hauptglieder miteinander
verbunden werden müssen. Es ist genau so, wie wenn jemand schreiben
wollte: die Räuber, Kabale und Liebe anstatt: die Räuber +und+ Kabale
und Liebe. Derselbe Fehler findet sich auch bei +oder+: z. B. die
Beeinträchtigung eines künstlerisch bedeutungsvollen Platzes [],
Straßen- +oder+ Stadtbildes. Hier muß auch hinter +Platzes+ unbedingt
noch ein +oder+ stehen.

Eine rechte Dummheit ist es, wenn auf Buchtiteln, in
Buchhändleranzeigen, auf Konzertprogrammen usw. von zwei Männern, die,
entweder gleichzeitig oder nacheinander, der eine vielleicht nach dem
Tode des andern, an einem Werke gearbeitet haben, die Namen durch
Bindestriche miteinander verbunden werden, z. B.: kritische Ausgabe
+von Lachmann-Muncker+, Quellenkunde von +Dahlmann-Waitz+, Phantasie
+von Schubert-Liszt+, der Denkmalsentwurf von +Schmitz-Geiger+. Zwei
Namen so zu verbinden hat allenfalls Sinn, wenn der Mann zu seinem
Namen den der Frau oder (wie in der Theaterwelt) die Frau zu dem
ihrigen den des Mannes fügt. Aber zwei (!) Personen durch einen solchen
Doppel- und Koppelnamen zu bezeichnen ist doch sinnwidrig. Warum denn
nicht: kritische Ausgabe von +Lachmann und Muncker+? Wozu solches
Telegrammgestammel, wo es gar nicht nötig ist? Aber die Franzosen
reden doch auch von +Erckmann-Chatrian+. Das wars! das muß doch wieder
nachgemacht werden. Aber es ist wieder nur gedankenlose Nachäfferei,
denn diese beiden +wollten+ doch den Schein erwecken, daß sie nur
+eine+ Person wären![125]

Dieselbe Dummheit -- einen Bindestrich statt +und+ zu schreiben --
ist aber auch sonst noch verbreitet, namentlich in den beliebten
Verbindungen: +kritisch-historisch+, +historisch-kritisch+,
+religiös-sittlich+, +religiös-sozial+, +sozial-wirtschaftlich+,
+sozial-ethisch+, +technisch-konstruktiv+, +wirtschaftlich-technisch+,
+hygienisch-therapeutisch+ usw. Welche Unklarheit und Verwirrung haben
diese törichten Koppelwörter schon in den Köpfen angerichtet! Kann
es einen größern Unsinn geben als +religiös-sittlich+? Religion und
Sittlichkeit sind doch zwei ganz verschiedne Gebiete. Kann es einen
größern Unsinn geben als +historisch-kritische+ Anmerkungen? Eine
historische Anmerkung ist doch keine kritische, und eine kritische
keine historische.

Sehr beliebt ist jetzt auch die Abgeschmacktheit -- sie stammt aus
Österreich --, statt +und zwar so+ zu schreiben: +so zwar+, z. B.:
entscheidend sind die Leistungen im Deutschen, +so zwar+, daß ein
Schüler, der im Deutschen nicht genügt, für nicht bestanden (!) erklärt
wird. Wer logisch denkt, wird hinter +so zwar+ stets noch ein zweites
Glied erwarten: +aber doch auch so+, daß usw.

Eine ganz neue Dummheit ist es, auf Quittungen, Wechseln u. dgl. in der
Angabe der Geldsumme statt +und+ zu schreiben auch: 75 Mark +auch+ 20
Pfennige. Das ist schwedisch, aber nicht deutsch: ~utan svafvel +och+
fosfor~.

Falsch ist es, einen Satz mit +denn+ an einen untergeordneten Nebensatz
anzuknüpfen, z. B.: leider ist der Brief +nicht so bekannt geworden+,
wie er es verdiente, +denn+ er ist für den Entwicklungsgang des
Künstlers von großer Wichtigkeit. Man erwartet: +denn+ er ist an einer
sehr versteckten Stelle abgedruckt. An einen untergeordneten Nebensatz
kann sich nie ein bei- oder nebengeordneter anschließen.


Als, wie, denn beim Vergleich

Ob es richtiger sei, zu sagen: +größer als+ oder +größer wie+,
läßt sich am besten mit Hilfe der Sprachgeschichte beantworten. In
der Anwendung der drei vergleichenden Bindewörter +als+, +wie+ und
+denn+ ist im Laufe der Zeit eine Verschiebung vor sich gegangen. Im
Althochdeutschen und noch im Mittelhochdeutschen stand (wie noch heute
im Englischen) hinter dem Komparativ stets ~danne~, ~dan~, ~denne~,
z. B.: ~wîzer dan ein snê~ (weißer +denn+ Schnee). +Denn+ bezeichnete
also die Ungleichheit. Hinter dem Positiv stand damals stets ~alsô~
(d. h. ganz so), ~alse~, ~als~, z. B.: ~wîz als ein swan~ (weiß +als+
ein Schwan). +Als+ bezeichnete also die Gleichheit, und zwar nicht nur
hinter dem Positiv, sondern auch bei andern Vergleichungen, wie bei
Luther: wer nicht das Reich Gottes empfängt +als+ ein Kind -- du sollst
deinen Nächsten lieben +als+ dich selbst -- und auch in vergleichenden
Zwischensätzen: +als+ sich gebührt. Wie endlich, althochdeutsch
~hwêo~ oder ~hwio~, war ursprünglich überhaupt keine vergleichende
Konjunktion, sondern nur Fragewort.

Allmählich erweiterte sich aber das Gebiet von +als+ so, daß es nicht
bloß bei der Gleichheit, sondern auch bei der Ungleichheit, hinter dem
Komparativ verwendet wurde und dort das alte +denn+ verdrängte. Dafür
wurde aber +wie+ zur Vergleichungspartikel und fing nun seinerseits
an, das alte +als+ da zu verdrängen, wo dieses früher die Gleichheit
bezeichnet hatte, ja es drang sogar noch weiter vor, bis an die
Stelle von +denn+ und bezeichnete nun ebenfalls auch die Ungleichheit
(+größer wie+). Diese Verschiebung, die schon im sechzehnten
Jahrhundert beginnt, ist im siebzehnten und achtzehnten in vollem Gange
und ist eigentlich auch jetzt noch nicht ganz, aber doch ziemlich
abgeschlossen. Daß sie noch nicht ganz abgeschlossen ist, daher stammt
eben das Schwanken.

Wenn man also auch nicht behaupten kann, es sei falsch, zu sagen:
+so weiß als+ Schnee, es dürfe nur heißen: so +weiß wie+ Schnee, so
trifft man doch ungefähr das richtige, wenn man sagt: +denn+ als
Vergleichungspartikel ist veraltet (nur in gewissen Verbindungen wie:
mehr +denn je+ ist es noch üblich), +als+ bezeichnet die Ungleichheit
(+anders als+) und gehört hinter den Komparativ (wie lat. ~quam~,
franz. ~que~, engl. ~than~), +wie+ bezeichnet die Gleichheit und
gehört hinter den Positiv (wie lat. ~ut~, franz. ~comme~, engl.
~as~). Es könnte nichts schaden, wenn der Unterricht in diesem Sinne
etwas nachhülfe und dadurch dem Schwanken ein Ende machte. +Wie+ auch
hinter dem Komparativ zu gebrauchen (er sieht ganz +anders+ aus +wie+
die üblichen Sterblichen), müßte dann natürlich der Gassensprache
überlassen bleiben. Leider verbreitet es sich neuerdings wieder mehr
und mehr auch in der Schriftsprache (+besser wie+, +mehr wie je+), wo
es dann unsäglich gemein wirkt.

Erhalten hat sich noch die ursprüngliche Bedeutung von +als+ im Sinne
der Übereinstimmung bei den Appositionen hinter +als+: +als Knabe+,
+als Mann+, +als König+, +als Gast+, +als Fremder+. Da kommt es nun
nicht selten vor, daß dieses +als+ unmittelbar hinter ein +als+ beim
Komparativ tritt, z. B.: er betrachtete und behandelte den jungen
Mann mehr als Freund, +als als+ Untergebnen. In diesem Falle pflegt
-- nach dem alten, nun schon oft bekämpften Aberglauben -- gelehrt
zu werden, es müsse heißen: +denn als+ Untergebnen; das Wort +als+
dürfe nicht zweimal hintereinander stehen. Und so schreibt man denn
auch meist ängstlich: die Trennung der Christenheit hat sich eher
als Gewinn +denn als+ Schädigung erwiesen -- Bismarck fühlte sich
weniger als deutscher Staatsmann +denn als+ der ergebne Diener des
Hauses Hohenzollern -- manche Gymnasiallehrer stellen sich lieber als
Reserveoffiziere +denn als+ Bildner der Jugend vor. Es fragt sich aber
doch sehr, was anstößiger sei: das doppelte +als+ oder das auffällige,
gesuchte, veraltete +denn+, das sonst niemand mehr in diesem Sinne
gebraucht. Die Umgangssprache, auch die der Gebildeten, setzt
unbefangen ein doppeltes +als+: mir hat Lewinsky besser als Shylock
+als als+ Mohr gefallen. Ein feiner Satz ist: Friedrich Wilhelm der
Vierte haßte die Revolution nicht bloß +wie+, sondern +als+ die Sünde.
Hier sieht man deutlich hinter +wie+ die Vergleichung, hinter +als+ die
Übereinstimmung.


Die Verneinungen

In dem Gebrauche der Verneinungen ist es zunächst eine häßliche
Gewohnheit der Amts- und Zeitungssprache, statt +keiner+ und +nichts+
immer zu sagen: +einer nicht+, +etwas nicht+, z. B. dieser Orden wird
auch an solche Personen verliehen, die +einen+ Hofrang +nicht+ besitzen
-- diesem Unterschied ist +eine+ größere Tragweite +nicht+ beizumessen
-- wenn nachgewiesen wird, daß dieser Versuch +einen+ günstigen Erfolg
+nicht+ gehabt hat -- von der Opposition hatte sich +ein+ Redner, um
diese scharfen Angriffe zurückzuweisen, +nicht+ gemeldet -- das Patent
schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorgelegten Maschinenteil
+eine+ wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung beitragende neue
Erfindung +nicht+ gemacht sei -- den auf die Tagesordnung zu stellenden
Vorträgen wird +eine+ Erörterung +nicht+ folgen -- die Deputation fand
gegen alles dieses +etwas nicht+ einzuwenden -- durch die neuerlichen
(!) Bestimmungen wird im übrigen an den bestehenden Einrichtungen
+etwas nicht+ geändert (was mag dieses Etwas sein?). Eine solche
Trennung -- eine Nachahmung des Lateinischen -- ist nur dann am Platze,
wenn das Hauptwort betont und einem andern Hauptworte gegenübergestellt
wird, z. B.: +ein Erfolg+ ist bis jetzt +nicht+ zu beobachten gewesen
-- wo +Erfolg+ vorangestellt und vielleicht den vorher besprochnen
Bemühungen gegenübergestellt ist.[126]

Eine doppelte Verneinung gilt jetzt fast allgemein in der guten
Schriftsprache als Bejahung. Es ist das aber -- dessen wollen wir uns
bewußt bleiben -- eine ziemlich junge „Errungenschaft“ des Unterrichts.
In der älteren Sprache bestand, wenn auch nicht geradezu die Regel,
so doch weit und breit die Gewohnheit, daß man den Begriff der
Verneinung, um ihn zu verstärken, verdoppelte, ja verdreifachte. Diese
Gewohnheit hat sich, auch bei den besten Schriftstellern, bis weit in
das achtzehnte Jahrhundert erhalten, und der Volksmund übt sie zum
Teil noch heute. Nicht bloß Luther schreibt: ich habe +keinem nie
kein+ Leid getan,[127] auch Lessing schreibt noch: +keinen+ wirklichen
Nebel sahe Achilleus +nicht+, auch Goethe noch: man sieht, daß er an
+nichts keinen+ Anteil nimmt, auch Schiller noch: +nirgends kein+ Dank
für diese unendliche Arbeit, und der Volksmund fragt noch heute: hat
+keener kee+ Streichhelzchen +nich+? Wir mögen es bedauern, daß unter
dem Einflusse der lateinischen Grammatik diese -- falsche darf man
nicht sagen, sondern nur andre Art, zu denken, ganz verdrängt worden
ist, auch in der Volksschule, die hier ebenfalls unter dem Banne der
lateinischen Grammatik steht; aber nachdem das einmal geschehen ist,
und die doppelte Verneinung fast allgemein wie im Lateinischen (~nemo
non~) als Bejahung empfunden wird, ist es auch unmöglich, sie noch
in der alten Weise zu verwenden. Das gilt besonders auch bei den
Nebensätzen, die mit +ehe+, +bevor+, +bis+ und +ohne daß+ anfangen,
und bei Infinitivsätzen nach einem verneinten Hauptsatze. Es ist
also entschieden anstößig, zu schreiben, wie es so oft geschieht:
die Hauptfrage kann +nicht+ erledigt werden, ehe +nicht+ (oder:
bis +nicht+) die Vorfrage erledigt ist (+wenn nicht+ oder +solange
nicht+ wäre richtig) -- es gehört +keine+ große Menschenkenntnis
dazu, das +nicht+ auf den ersten Blick zu sehen. Namentlich hinter
+warnen+ erscheint ein verneinter Infinitiv, wie in den bekannten
Zeitungsanzeigen: ich +warne+ hiermit jedermann, meiner Frau +nichts+
zu borgen u. dgl., unsinnig, denn +warnen+, d. h. abraten, abmahnen,
enthält ja schon den Begriff der Verneinung.

Daß eine Verneinung eines mit +un+ zusammengesetzten Hauptworts oder
Eigenschaftsworts (+kein Un+mensch, +nicht un+gewöhnlich, +nicht
un+möglich, +nicht un+wahrscheinlich) nur eine Bejahung, und zwar eine
eigentümlich gefärbte vorsichtige Bejahung ausdrücken kann, darüber
ist sich wohl jedermann klar. Man sollte aber mit dieser doppelten
Verneinung, der sogenannten Litotes (Einfachheit), wie man sie mit
einem Ausdrucke der griechischen Grammatik bezeichnet, recht sparsam
sein. Es gibt Gelehrte -- es sind dieselben, die auf jeder Seite zwei-,
dreimal +meines Erachtens+ lispeln, als ob nicht alles, was sie sagen,
bloß ihr „Erachten“ wäre! --, die nicht den Mut haben, auch nur eine
einzige Behauptung, ein einziges Urteil fest und bestimmt hinzustellen,
sondern sich um alles mit dem ängstlichen +nicht un+-- herumdrücken. Es
gibt aber auch Leute, die so in diese Litotes verliebt sind, daß sie
sie gedankenlos sogar da brauchen, wo sie die Verneinung meinen, z. B.:
das wirkt +nicht unübel+ -- dieser Effekt war ein von dem Juden +nicht
un+erwarteter -- endlich fand sich ein Tag, an welchem (wo!) +keiner+
der drei Herren +un+behindert war -- es ist das +kein unverächtlicher+
Zug -- die Leistungen zeigen eine +nicht ungewöhnliche+ Begabung --
ein gewisser +Mangel an Nichtachtung+ des Lehrerstandes und ähnl. Ist
es doch sogar einem so scharfen Denker wie Lessing begegnet, daß er
in der Emilia Galotti geschrieben hat: +nicht ohne Miß+fallen (wo
er schreiben wollte: +nicht ohne+ Wohlgefallen, oder: +nicht+ mit
Mißfallen). Sehr häufig, viel häufiger, als es bei unserm heutigen
hastigen und gedankenlosen Lesen bemerkt wird, findet sich namentlich
die törichte Verbindung +nicht unschwer+: der Leser wird +nicht
unschwer+ erkennen -- es wird das +nicht unschwer+ zu beweisen sein
-- man wird sich +nicht unschwer+ vorstellen können. Schon +unschwer+
allein ist ein dummes Wort, wie alle solche unnötig gekünstelten
Verneinungen.[128] Nun vollends +nicht unschwer+! Und das soll heißen:
+leicht+! Erscheint nicht ein solches Hineinfallen in einen logischen
Fehler wie eine gerechte Strafe für törichte Sprachziererei? Auch wenn
jemand schreibt: der Besitzer sieht in dieser Bronze +nichts weniger+
als ein Werk des Lysipp, es ist aber nur eine römische Nachahmung --
so schreibt er gerade das Gegenteil von dem, was er sagen will; er
will sagen: der Besitzer sieht in der Bronze +nichts geringeres+ als
ein Werk des Lysipp, es ist aber +nichts weniger+ als das, es ist nur
eine römische Nachahmung. Auch wenn man gespreizt sagt: das ist +nicht
zum geringsten Teile+ der Tätigkeit unsers Vereins zu danken (anstatt
einfach: +zum größten Teile+), kann man sich nicht beschweren, wenn ein
Schalk das Gegenteil von dem heraushört, was man sagen will.

Wenn von zwei Verneinungen die zweite gesteigert werden soll, so
geschieht das durch +geschweige denn+, z. B. der Bau kann in vier
Jahren nicht ausgeführt werden, +geschweige denn+ in zweien. Ist
das erste Glied positiv, so kann +geschweige denn+ nicht angewendet
werden. Falsch ist also folgender Satz: diese Bestrebungen können
+nur+ mit universalgeschichtlichen Kenntnissen gepflegt, +geschweige
denn+ gefördert werden. Hier muß es entweder statt +geschweige denn+
heißen: und +vollends+ (vgl. S. 132), oder das erste Glied muß
ebenfalls negativ eingekleidet werden: diese Bestrebungen können ohne
universalgeschichtliche Kenntnisse +nicht+ gepflegt, +geschweige denn+
gefördert werden.


Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels

Im Niederdeutschen ist es gebräuchlich, bei
Verwandtschaftsbezeichnungen den Artikel wegzulassen wie bei
Personennamen und zu sagen: +Vater+ hats erlaubt, +Mutter+ ist
verreist, +Tante+ ist dagewesen. Wenn das neuerdings auch in
Mitteldeutschland viele nachmachen, weil es aus Berlin kommt, so ist
das Geschmacksache; schön ist es nicht, nicht einmal traulich. Eine
widerwärtige Unsitte aber ist es, diese niederdeutsche Gewohnheit
auszudehnen auf Wörter wie: der +Verfasser+, der +Berichterstatter+,
der +Referent+, der +Rezensent+, der +Angeklagte+, der +Kläger+,
der +Redner+, der +Vorredner+ (!), der +Vorsitzende+ usw. Es wird
aber jetzt fast allgemein geschrieben: in dieser Schrift bietet
+Verfasser+ eine Anthologie aus den Hauptwerken der Klassiker der
Staatswissenschaft -- die Veröffentlichung dieses Buchs hat für
+Referenten+ ein besondres Interesse gehabt (für alle Referenten?)
-- +Berichterstatter+ bekennt gern, daß er eine solche Bemerkung nie
zu hören bekommen hat -- +Schreiber+ dieser Zeilen hat das selbst
beobachtet.

Einen zweiten Fall, wo der Artikel jetzt unberechtigterweise
weggelassen wird, vergegenwärtigen Ausdrücke wie: Denkmale +deutscher
Tonkunst+, die erste Blütezeit +französischer Plastik+, eine ältere
Epoche +deutscher Geschichte+, Fragen +auswärtiger Politik+, die Freude
an +heimischer Vergangenheit+, eine Tat +evangelischen Bekenntnisses+.
Sind denn die deutsche Tonkunst und die französische Plastik früherer
Zeiten Dinge wie französischer Rotwein und deutscher Käse, die
unaufhörlich vertilgt und neu fabriziert werden? Es sind doch ganz
bestimmt umgrenzte Mengen dauernder Erzeugnisse der menschlichen
Geistestätigkeit. Welcher Unsinn, denen den bestimmten Artikel zu
rauben! Man denke sich, daß Overbeck seine Geschichte der griechischen
Plastik Geschichte +griechischer Plastik+ genannt hätte!

Ein dritter Fall endlich -- ungefähr von derselben Art -- ist die
Geschmacklosigkeit, den bestimmten Artikel in Überschriften von
Aufsätzen und in Buchtiteln wegzulassen. Aber auch das ist jetzt
sehr beliebt. Man nimmt eine Monatsschrift zur Hand und findet im
Inhaltsverzeichnis: +Ballade+. Von X. Ei der tausend! denkt man, ist
dein guter Freund X unter die Balladendichter gegangen? und schlägt
begierig auf. Was findet man? Einen Aufsatz über die Geschichte der
Ballade! Der kann aber doch vernünftigerweise nur überschrieben werden:
+Die Ballade+. Ein bekannter Kunstsammler hat über seine Schätze ein
Prachtwerk veröffentlicht unter dem Titel: +Sammlung Schubart+. Ja, so
konnte er ins Treppenhaus über die Tür seines Museums schreiben, aber
der Buchtitel kann nur lauten: +Die Sammlung Schubart+ (wenn durchaus
französelt sein muß!). Namentlich Romane, Schauspiele und Zeitschriften
werden jetzt gern mit solchen artikellosen Titeln versehen (+Heimat+,
+Jugend+, +Sonntagskind+ u. ähnl.), aber auch andre Werke, wie:
+Stammbaum Becker-Glauch+ (das soll heißen: der Stammbaum der Familien
Becker und Glauch!). Ein bekanntes Werk von Guhl und Koner hat fünf
Auflagen lang +das Leben der Griechen und Römer+ geheißen; der neue
Herausgeber der sechsten hat es wahrhaftig verschönert zu: +Leben der
Griechen und Römer+. Zu einer wahren Seuche ist dieses Weglassen des
Artikels in den sogenannten „Spitzmarken“ der Zeitungen ausgeartet:
+Frecher Diebstahl+, +Aufgefundener Leichnam+, +Fahrrad gestohlen+,
+Mädchen vermißt+.[129]

In formelhaften Verbindungen wie: +Haus und Hof+, +Land und Leute+,
+Frau und Kinder+ bleibt der Artikel stets weg, aber nur dann, wenn die
beiden so verbundnen Hauptwörter gar keinen Zusatz haben. Falsch ist
es, zu sagen, wie es jetzt oft geschieht: der Verunglückte hinterläßt
+Frau und drei unmündige Kinder+. Er hinterläßt +Frau+ -- das ist kein
Deutsch, denn niemand sagt: +ich habe Frau, hast du Frau+?

Es gibt aber auch Fälle, wo der Artikel gesetzt wird, obwohl er nicht
hingehört. Gleich unausstehlich sind zwei Anwendungen des Artikels
-- das einemal des unbestimmten, das andremal des bestimmten -- bei
Personennamen. Für Leute von Geschmack bedarf es wohl nur folgender
Beispiele, um ihren ganzen Abscheu zu erregen: Heyse hat nie die ruhige
Größe +eines Goethe+ erreicht -- welcher unsrer großen Schriftsteller,
selbst +ein Lessing+ und +ein Goethe+, wäre von Fehlern freizusprechen!
-- und: von den Franzosen kamen +die Dumas Sohn+ und Genossen herüber
-- die Neigung und Schätzung +der Haupt, Jahn und Mommsen+ -- die
tiefeindringende Ästhetik +der Hebbel und Ludwig+. Der zweite Fall
ist ja ein gemeiner Latinismus; den ersten aber sollte man dem
Untersekundaner überlassen, der seinen ersten deutschen Aufsatz über
ein literargeschichtliches Thema schreibt, ja nicht einmal dem, denn
wie soll er sonst seinen Ungeschmack loswerden?


Natürliches und grammatisches Geschlecht

Viel Kopfzerbrechen hat schon manchem die Frage gemacht, ob man auf
Wörter wie +Weib+, +Mädchen+, +Fräulein+, +Mütterchen+ mit +es+,
+das+ und +sein+ zurückweisen müsse, oder auch mit +sie, die+ und
+ihr+ zurückweisen dürfe, mit andern Worten: ob bei solchen Wörtern
das grammatische oder das natürliche Geschlecht vorgehe. Auch bei
+Backfisch+ kann die Frage entstehen. Nun, um das Ob braucht man
sich nicht zu sorgen, es ist eins so richtig wie das andre; die
Schwierigkeit liegt nur in dem Wo und Wie, und hierüber läßt sich
keine allgemeine Regel geben, es muß das dem natürlichen Gefühl des
Schreibenden überlassen bleiben. Klar ist, daß das grammatische Subjekt
solcher Wörter um so eher festgehalten werden darf, je dichter das
Fürwort auf das Hauptwort folgt, also besonders bei dem relativen
Fürwort, das sich unmittelbar an das Hauptwort anschließt, ebenso,
wenn beide sonst nahe beieinander in demselben Satze stehen, z. B.:
+das Mädchen+ hatte frühzeitig +seine+ Eltern verloren. Es ist aber
auch nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn jemand schreibt: die
Dekoration stand +dem Mütterchen+ Moskau gut zu +ihrem+ alten Gesicht.
Auch bei Goethe heißt es: dienen lerne beizeiten +das Weib+ nach
+seiner+ Bestimmung, denn durch Dienen allein gelangt +sie+ endlich
zum Herrschen. Je später das Fürwort auf das Hauptwort folgt, desto
mehr schwächt sich die Kraft des grammatischen Geschlechts ab, und die
Vorstellung des natürlichen Geschlechts verstärkt sich. Deshalb ist es
auch abgeschmackt zu schreiben: die jüngere Tochter ist +ein Ausbund+
von Anmut und Gescheitheit, um +den+ sich die tanzenden Herren förmlich
reißen, wenn +er+ in der Gesellschaft erscheint. Namentlich in einer
längeren Reihe von Sätzen hintereinander das grammatische Geschlecht
solcher Wörter pedantisch festzuhalten, kann unerträglich werden.

Die Frage, ob es heißen müsse: +Ihr Fräulein Tochter+ (+Schwester+,
+Braut+) oder +Ihre Fräulein Tochter+, ist sehr leicht zu beantworten.
Das besitzanzeigende Adjektivum gehört in diesen Verbindungen nicht zu
+Fräulein+, sondern natürlich zu +Tochter+, +Schwester+, +Braut+, wozu
+Fräulein+, gleichsam in Klammern, als bloßer Höflichkeitszusatz tritt
(vgl. S. 15 die Herren Mitglieder). Es darf also nur heißen: +Ihre
[Fräulein] Braut+ -- empfehlen Sie mich +Ihrer [Fräulein] Tochter+!

Seitdem die Universitäten den Titel „Doktor“ (als ob er eine
Versteinerung wäre, von der kein Femininum gebildet werden könnte!) an
Damen verleihen, liest man auf Büchertiteln: ~Dr.~ +Hedwig Michaelson+.
Setzt man davor noch +Fräulein+, so hat man glücklich drei Geschlechter
nebeneinander: +Fräulein+ (sächlich) +Doktor+ (männlich) +Hedwig+
(weiblich). Freilich ist dabei eigentlich nichts verwunderliches.
Die Verschrobenheit der Sprache ist ja nur das Abbild von der
Verschrobenheit der Sache. Vielleicht druckt man auch noch: Fräulein
~Studiosus medicinae~ Klara Schulze.


Mißhandelte Redensarten

Für eine große Anzahl von Tätigkeitsbegriffen fehlt es im Deutschen
an einem geeigneten Zeitwort; wir können sie nur durch Redensarten
ausdrücken, die aus einem Zeitwort und einem Hauptwort bestehen.
Oft ist aber auch ein geeignetes Zeitwort vorhanden, und doch
geben viele, weil sie die Neigung haben, sich breit auszudrücken,
einer umschreibenden Redensart den Vorzug. Solche Redensarten --
unentbehrliche und entbehrliche -- sind z. B.: +Fühlung haben+,
+Gebrauch machen+, +Klage führen+, +Rechenschaft ablegen+, +Kenntnis
nehmen+, +Platz greifen+, +Wandel schaffen+, +Lärm schlagen+, +Dank
wissen+, +in Kenntnis setzen+, +zur Verfügung stellen+ und hundert
andre.

Diese Redensarten haben nun meist etwas formelhaftes. Da sie einfache
Verbalbegriffe ersetzen, so werden sie auch wie einfache Verba gefühlt.
Daraus folgt aber mit Notwendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in
passivischen Sätzen und in Nebensätzen, wo das Zeitwort am Ende steht,
nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß sie, ebenso wie wirkliche
Verba, nur mit Adverbien bekleidet werden können. Gegen beide Gesetze
wird fort und fort verstoßen.

Da schreibt man z. B.: er wurde +in Kenntnis+ von dem Geschehenen
+gesetzt+. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen +in
Kenntnis gesetzt+, denn die Redensart +in Kenntnis setzen+ vertritt
ein einfaches Verbum und darf nicht zerrissen werden. Andre Beispiele
solches gefühllosen Zerreißens sind: wenn eine der brennenden Fragen
+in Beziehung+ zur technischen Hochschule +gesetzt wurde+ -- es ist
nicht mehr als billig, daß wir +einen Begriff+ von Talenten wie
Kjelland +erhalten+ -- weil die Regierung nicht +die Hand+ zu einer
dauernden Spaltung in den Münchner Künstlerkreisen +bieten+ wollte
-- wenn auch dieser Realismus +die Brücke+ zwischen der Dichterin
und der großen Menge +schlug+ -- wer sich +eine Vorstellung+ von der
eigentümlichen Persönlichkeit Stiers +machen+ will. Der Fehler ist um
so störender, als durch das Zerreißen der Redensart der Ton von dem
Hauptwort auf das Zeitwort verlegt wird (die Hand bieten, anstatt: die
Hand bieten -- die Brücke schlug, anstatt: die Brücke schlug), auf das
Zeitwort, das meist ziemlich bedeutungslos und nur ein äußerliches
Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart
zusammen, so bleibt auch der Ton an der richtigen Stelle.

Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht darin, daß man
das Hauptwort herausreißt und mit einem Attribut bekleidet, anstatt
die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes mit einem Adverb
oder einem adverbiellen Ausdruck zu bekleiden. Der häufigste Fall
ist der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektiv setzt, z. B. es ist
sehr zu befürchten, daß er dabei +ernstlichen Schaden nehmen werde+.
+Schaden nehmen+ ist eine Redensart, die einen einfachen passiven
Verbalbegriff vertritt (geschädigt werden, beschädigt werden). Man kann
nicht +ernstlichen+, man kann nur +ernstlich+ Schaden nehmen, wie man
nur +ernstlich+ geschädigt werden kann. Mit andern Worten: nicht der
Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen, der ganze Begriff. Der
Minister +nahm+ von den Einrichtungen der Schule +eingehende Kenntnis+
-- derselbe Fehler! +Kenntnis nehmen+ ist eine Redensart, die einen
einfachen aktiven oder passiven Verbalbegriff vertritt (kennen lernen,
belehrt werden, unterrichtet werden). Man kann von einer Sache weder
eingehende, noch gründliche, noch flüchtige, noch oberflächliche
Kenntnis nehmen, man kann nur +eingehend+, +gründlich+, +flüchtig+,
+oberflächlich+ Kenntnis nehmen. In folgenden Beispielen soll das
Richtige immer gleich in Klammern hinzugesetzt werden: +bittere
Klagen führen+ (+bitter+ Klage führen) -- +gebührende Notiz nehmen+
(+gebührend+ Notiz nehmen) -- seiner Abneigung +unverhohlenen Ausdruck
geben+ (+unverhohlen+ Ausdruck geben) -- wir werden sein Andenken
stets +in hohen Ehren halten+ (+hoch+ in Ehren halten) -- sie +nahm+
immer noch +einen merkwürdigen Anteil+ an dem Herrn (+merkwürdig+
Anteil) -- der Rat wolle zu diesem Plane +wohlwollende Stellung nehmen+
(+wohlwollend+ Stellung nehmen) -- es ist nicht leicht, zu dieser
Frage +richtige Stellung+ zu nehmen (+richtig+ Stellung zu nehmen)
-- gegen das Rabattwesen wurde +scharfe Stellung genommen+ (+scharf+
Stellung genommen) -- der König besuchte das Geschäft, um die Geschenke
in +kritischen Augenschein zu nehmen+ (+kritisch+ in Augenschein
zu nehmen) -- von seinen literarischen Arbeiten +legen+ die Briefe
+ausgiebige+ Rechenschaft ab (+ausgiebig+) -- sie denken nicht daran,
mit diesen Hirngespinsten +ernsthafte Politik zu treiben+ (+ernsthaft+
Politik zu treiben) -- über meine Tätigkeit war +ein entstellender
Bericht erstattet+ worden (+entstellend+ Bericht erstattet worden)
-- die ausgestellten Gegenstände +kommen+ nicht +zu rechter Geltung+
(+recht+ zur Geltung) -- die Stimme des Unmuts im Lande soll nicht +zu
weiterm Ausdruck+ (+weiter+ zum Ausdruck) kommen -- wir können diesen
Gerüchten +keinen rechten Glauben schenken+ (+nicht recht+ Glauben
schenken) -- allen gröbern Ausschreitungen muß +ein energisches Halt
geboten werden+ (+energisch+ Halt geboten) -- die gegnerische Presse
hat +gewaltigen Lärm geschlagen+ (+gewaltig+ Lärm geschlagen) -- das
Gottesgnadentum hatte unter seinem Vater +trostlosen Schiffbruch
gelitten+ (+trostlos+ Schiffbruch gelitten) -- hier wäre Grund
vorhanden, +bessernde Hand anzulegen+ (+bessernd+ Hand anzulegen)
-- die Zeit +schafft+ oft unerwartet +schnellen Wandel+ (+schnell+
Wandel) -- er +brachte+ die Angelegenheit +zum ausführlichen Vortrag+
(+ausführlich+ zum Vortrag) -- ich erlaube mir, meinen schönen Garten
mit Kolonnaden +in empfehlende Erinnerung zu bringen+ (+empfehlend+ in
Erinnerung zu bringen).

Ebensowenig wie Eigenschaftswörter dürfen natürlich Zahlwörter oder
besitzanzeigende Adjektiva in solche Redensarten eingefügt werden. Da
schreibt einer über die Tagespresse: man muß +zwischen ihren Zeilen
lesen+. Unsinn! Man muß +bei ihr zwischen den Zeilen lesen+! Denn
+zwischen den Zeilen lesen+ ist eine formelhafte, unveränderliche
Redensart, die nur durch einen adverbiellen Zusatz (+bei ihr+) näher
bestimmt werden kann. Ein andrer schreibt: der +erste Sturm+ sollte
gegen das Großkapital +gelaufen+ werden. Doppelter Unsinn! Erstens weil
der Sturm gezählt, zweitens weil die Redensart zerrissen ist. Es muß
heißen: +zuerst+ sollte gegen das Großkapital +Sturm gelaufen werden+.
Ebenso ist doppelt fehlerhaft: wir müssen +fleißigern Gebrauch+ von der
Rute +machen+ (richtig: wir müssen +fleißiger+ von der Rute +Gebrauch
machen+) -- die Zeit, wo der Fürst noch +unmittelbare Fühlung+ mit
dem Volke +hatte+ (richtig: +unmittelbar+ mit dem Volke +Fühlung
hatte+) -- +besonderen Dank+ wird der Leser dem Herausgeber für die
kurzen Einleitungen +wissen+ (richtig: +besonders+ wird der Leser dem
Herausgeber für die kurzen Einleitungen +Dank wissen+) -- +besondre
Obacht+ mußte darauf +gegeben werden+, daß sich keiner der Buße
entzog (richtig: +besonders+ mußte darauf +Obacht gegeben werden+) --
von konservativer Seite wird +laute Klage+ über die antisemitischen
Demagogen +geführt+ (richtig: wird +laut+ über die antisemitischen
Demagogen +Klage geführt+).[130]

Ein Attribut kann ja aber auch in der Form eines abhängigen Genitivs
erscheinen; auch in dieser Form kommt der Fehler sehr oft vor. Da
schreibt man: die Ärzte müssen die ganze Nacht +zur Verfügung der
Wache stehen+ -- sämtliche Verhafteten wurden +zur Verfügung des+
französischen +Botschafters+ gestellt -- wenn +sich+ die Kammer +zur
Verfügung der+ größten +Schwindelei+ des Jahrhunderts stellt (muß
heißen: der Wache +zur Verfügung stehen+ usw.) -- die Streitfragen,
+die auf der Tagesordnung ihrer Wissenschaft stehen+ (muß heißen: +in
ihrer Wissenschaft auf der Tagesordnung stehen+) -- es sollen ganz
bestimmte Gegenstände +zur Beratung der Konferenz gestellt werden+
-- (muß heißen: +der Konferenz zur Beratung gestellt werden+) --
die Dame, +in deren Mund+ die Erzählung +gelegt ist+ (muß heißen:
der die Erzählung +in den Mund gelegt ist+). Auch in diesen Fällen
wird überdies die Redensart zerrissen, in den meisten entsteht ein
Gallizismus (~mettre à la disposition de quelqu’un~).

Sowenig aber das Hauptwort einer solchen formelhaften Redensart mit
einem Attribut bekleidet werden kann, so wenig kann es endlich mit
einem Relativsatz behängt werden. Auch ein Relativsatz kann sich immer
nur an den Gesamtbegriff der Redensart, aber nicht an den Bestandteil
anschließen, den das Hauptwort bildet. Aber auch dieser Fehler, der
große Unbeholfenheit verrät, ist etwas sehr gewöhnliches, wie folgende
Beispiele zeigen: die Versuche +blieben nicht ohne Eindruck, der+ (!)
aber durch die nachfolgenden Ereignisse bald wieder verwischt wurde --
namentlich +waren+ die Schöpfungen der Pariser Architektur auf ihn +von
Einfluß, der+ (!) bis zu seinen letzten Werken nachhaltend geblieben
ist -- ein solches Unternehmen muß in Einzelheiten +Widerspruch
hervorrufen+, +der+ (!) dann auch auf die Beratung des Ganzen Einfluß
übt -- da +stand er+ nun in +Verlegenheit, an die+ (!) er gar nicht
gedacht hatte -- auf seine Bitten erhielt er in dieser Sprache
+Unterricht, den+ (!) er selbst so anziehend geschildert hat -- die
Scheune +geriet in Brand, der+ (!) erst nach einer Stunde gelöscht
wurde -- Vischer +redet sich+ alle Galle +vom Herzen, das+ (!) im
deutschen Bruderkriege 1866 blutete.

Etwas erträglicher wird der Fehler, wenn man das Hauptwort der
Redensart mit einer Art von Anaphora wiederholt, z. B.: man hat den
Eindruck, daß beide in dem Augenblick der Entscheidung +Friede gemacht
haben, einen Frieden+, der auch dem unterliegenden Teile zugute kommt.
Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich sehen, worauf es
ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort ohne Artikel, in der
Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der Unterschied, den der
Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern und der jüngern Form
+Friede+ und +Frieden+ gemacht hat. Oft berühren sich nämlich solche
unveränderliche formelhafte Redensarten nahe mit andern Wendungen, die
nichts formelhaftes haben, sondern im Augenblick gebildet sind und
jeden Augenblick anders gebildet werden können. Die sind aber dann von
formelhaften Wendungen leicht zu unterscheiden, äußerlich gewöhnlich
schon dadurch, daß in der Formel das Hauptwort keinen Artikel hat. Eine
zweifellos formelhafte Redensart ist: +zu Ohren kommen+. Daher wird
niemand sagen: es ist +zu meinen Ohren gekommen+, oder es ist +zu Ohren
des Ministers+ gekommen, sondern: es ist +mir zu Ohren gekommen+, es
ist +dem Minister zu Ohren gekommen+. Zweifeln kann man dagegen, ob
auch +zur Kenntnis kommen+ formelhaft sei. Der Vorgang kam +zu meiner
Kenntnis+ oder +zur Kenntnis des großen Publikums+ dürfte ebensogut
sein wie: er kam +mir zur Kenntnis+ oder +dem Publikum zur Kenntnis+.
Die Grenze ist hier manchmal schwer zu ziehen; wer Sprachgefühl hat,
wird meist ohne weiteres das Richtige treffen, wer keins hat, wird auch
bei aller Belehrung danebentappen.

Das Tollste ist es, das Hauptwort aus einer solchen Redensart
herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das
geschieht. Da schreibt z. B. einer: rührend war der +Abschied+, der
+genommen wurde+, ein andrer: wichtig war für meine spätern Neigungen
+die Bekanntschaft+ mit den Zeitungen, die +ich+ schon in meinen
Kinderjahren +machte+. Das soll heißen: rührend war es, als +Abschied
genommen wurde+, wichtig war, +daß ich+ schon in meinen Kinderjahren
mit den Zeitungen +Bekanntschaft machte+. Solche Sätze liegen schon
dicht an dem Wege, der zu den bekannten Späßen Wippchens führt, wie:
gebt mir +einen Haufen+, damit ich den Feind +darüberwerfen+ kann.


Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts -- ein schwieriger Fall

Einen eigentümlichen Fehler, dem man sehr oft begegnet, zeigen in zwei
verschiednen Spielarten folgende Beispiele (das Richtige soll wieder
gleich in Klammern danebengesetzt werden): die Lage +Deutschlands+
inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner mache es +ihm+ zur Pflicht
(+seine+ Lage macht es +Deutschland+ zur Pflicht) -- das Zartgefühl
+des Fürsten+ erlaubte +ihm+ nicht die Annahme des Opfers (+sein+
Zartgefühl erlaubte +dem Fürsten+ nicht) -- leider hat die enge
Begabung +des Dichters ihm+ nicht ermöglicht (leider hat +seine+ enge
Begabung +dem Dichter+) -- der Haß +des Berichterstatters+ gegen
Textor hat +ihn+ zu Übertreibungen geführt (+sein+ Haß hat +den
Berichterstatter+) -- die Krankheit des +Papstes+ hat +ihn+ zu einer
andern Lebensweise veranlaßt (+seine+ Krankheit hat +den Papst+) --
man hatte gleich nach dem ersten Auftreten +Raimunds ihn+ verdächtigt
(man hatte gleich nach +seinem+ ersten Auftreten +Raimund+ verdächtigt)
-- es stellt sich dabei heraus, daß die eignen Kenntnisse +des
Kritikers ihn+ zu diesen Angriffen nicht berechtigen (daß seine eignen
Kenntnisse +den Kritiker+) -- die Romanschreiber, die im Vertrauen
auf die Dummheit +der Gesellschaft dieser+ den Spiegel vorhalten
(die +der Gesellschaft+ im Vertrauen auf +deren+ Dummheit) -- nach
ältern Beschreibungen +des Kodex+ war +er+ früher in roten Sammet
gebunden (nach ältern Beschreibungen war +der Kodex+) -- die Begleiter
+des Kranken+ vermochten +ihn+ nicht zu überwältigen (die Begleiter
vermochten +den Kranken+) -- zur Zeit der Ausweisung +des Ordens
aus+ dem Deutschen +Reiche+ zählte er innerhalb +desselben+ sechzehn
Niederlassungen (zweimal der Fehler in +einem+ Satze! es muß heißen:
zur Zeit +seiner+ Ausweisung zählte der +Orden+ innerhalb des Deutschen
+Reichs+ usw.) -- angesichts der Macht +dieser Gesetze dieselben+ (!)
auf ihre Annehmbarkeit zu prüfen ist dem Gesetzgeber nicht eingefallen
(angesichts +ihrer+ Macht +diese Gesetze+ zu prüfen) -- wie war es
möglich, daß der Besitzer +dieses Schatzes denselben+ so geheim hielt
(der Besitzer +diesen Schatz+) -- man wollte trotz der von den Gehilfen
beschlossenen Kündigung +des Tarifs+ an +letzterm+ (!) festhalten
(trotz der beschlossenen Kündigung an +dem Tarif+ festhalten) -- wir
betrauern den Heimgang des liebenswürdigen Kollegen, der seit Gründung
+der Ärztekammer derselben+ angehört (der +der Ärztekammer+ seit
+ihrer Gründung+ angehört) -- wegen Reinigung +der großen Ratsstube+
bleibt +dieselbe+ (!) nächsten Montag geschlossen (wegen Reinigung
bleibt die +große Ratsstube+) -- wegen Neubaues der Schleuse +in der
Zentralstraße+ bleibt +letztere+ (!) für den Fahrverkehr gesperrt
(wegen Neubaus der Schleuse bleibt +die Zentralstraße+) -- sie heiratet
darauf den Grafen Tr., +dessen+ Frau +ihm+ kurz vorher durchgegangen
ist (+dem seine Frau+) -- der Bedauernswerte, +dessen+ Eltern +ihm+
gestern einen Besuch zugedacht hatten (+dem seine+ Eltern) -- der
Vorwurf trifft nur den, +dessen+ Männerstolz +ihm+ nicht gestattet
(+dem sein+ Männerstolz) -- der Verfasser, +dessen+ Bescheidenheit
+ihn+ bis in sein Greisenalter zögern ließ, seine Arbeit zu
veröffentlichen (+den seine+ Bescheidenheit) -- Scharnhorst ist einer
jener schicksalvollen Männer, +deren+ Genius +sie+ zu Dolmetschern
eines ganzen Volkes gemacht hat (+die ihr+ Genius) -- es wird das auch
von solchen bestätigt, +deren+ Auftrag +sie+ zu möglichst gründlicher
Prüfung verpflichtet (+die ihr+ Auftrag) -- Menschen, +deren+
Halbbildung +sie+ unempfänglich macht (+die ihre+ Halbbildung) -- die
Italiener, +deren+ Freude an der farbigen Oberfläche der Dinge +sie+
abhält, in den Chor der Naturalisten einzustimmen (+die ihre+ Freude).

In allen diesen Sätzen ist ein Begriff doppelt da: das einemal in Form
eines Hauptworts (in den zuletzt angeführten Relativsätzen in Form
eines relativen Fürworts), das andremal in Form eines persönlichen
Fürworts (wozu hier auch +derselbe+ und +letzterer+ gerechnet werden
müssen). Der Fehler liegt nun darin, daß beide am falschen Platze
stehen: sie müssen ihre Plätze wechseln, wenn der Satz richtig werden
soll. Warum? Weil das Hauptwort in allen diesen Sätzen nur in einem
Attribut (meist in einem abhängigen Genitiv) und damit gleichsam im
Hintergrunde, im Schatten, das persönliche Fürwort dagegen als Subjekt
oder Objekt im Vordergrunde, im vollen Lichte des Satzes steht. Gerade
umgekehrt muß es sein: das Hauptwort gehört in den Vordergrund, der
bloße Ersatz dafür, das Fürwort, in den Hintergrund. Nicht selten
kann nach dem Platzwechsel das Fürwort ganz wegfallen. Wer lebendiges
Sprachgefühl hat, bildet solche Sätze von selber richtig, ohne zu
wissen, warum. Andern wird die Sache vielleicht auch durch diese
Erklärung nicht deutlich geworden sein. Es ist wirklich ein etwas
schwieriger Fall.


Die fehlerhafte Zusammenziehung

Ein Fehler, der die mannigfachsten Spielarten zeigt, obwohl er im
Grunde immer derselbe ist, entsteht durch jene äußerliche Auffassung
der Sprache, die nicht nach Sinn und Bedeutung, sondern nur nach dem
Lautbilde der Wörter fragt. Kehrt dasselbe Lautbild wieder, so glaubt
es der Papiermensch das zweitemal ohne weiteres unterdrücken zu dürfen,
obwohl es dieses zweitemal vielleicht einen ganz andern Sinn hat als
das erstemal. Eine Abart dieses Fehlers ist schon früher besprochen
worden: die Vernachlässigung des Kasuswechsels beim Relativpronomen
(S. 130). Hierher gehört es aber auch, wenn man einen Fügewortsatz
oder Fragesatz zugleich als Objekt und als Subjekt verwendet, z. B.:
daß der Verfasser ein Jurist ist, +kann man+ mit Händen greifen, +hält
ihn+ jedoch nicht ab -- ob das Wort schon früher in Gebrauch war,
+können wir+ nicht feststellen, +ist+ auch ohne Belang. Oder wenn man
ein Zeitwort gleichzeitig als selbständiges Zeitwort (oder Kopula) und
als Hilfszeitwort verwendet und schreibt: er +hatte sich+ aus kleinen
Verhältnissen +emporgearbeitet+ und wirklich +das Zeug+ zu einem
tüchtigen Künstler -- er +war+ vor kurzem erst ins Dorf +gezogen+ und
ein +kleiner+, kugelrunder +Mann+ -- er +wurde+ später sächsischer
+Minister+ und in den Freiherrnstand +erhoben+ -- jeden Morgen, wenn
der Kaiser +rasiert+ und der +Kopf+ Habys am Fenster +sichtbar wird+ --
oder gar: wenn ein Grenzstein +verrückt+ oder +unkenntlich geworden+
ist (anstatt: +verrückt worden+ oder +unkenntlich geworden+) -- glauben
Sie nicht, daß eine Errungenschaft darin liegen würde, wenn Frauen
medizinisch +gebildet+ und +praktizieren würden+? (anstatt: +gebildet
würden+ und +praktizierten+)[131]. Ferner wenn man ein persönliches
Fürwort zugleich als Dativ und als Akkusativ verwendet, z. B.: +sich+
stets betastend und die Hände reichend -- die Gelegenheit, +sich+
kennen zu lernen, bzw. (!) näher zu treten -- kurz alle Fälle, wo ein
Wort gleichzeitig in zwei verschiednen Auffassungen gebraucht wird,
also auch z. B.: in Halle +ist+ er +gestorben+ und +begraben+ (wo
das Perfektum das einemal einen Vorgang, das andremal einen Zustand
bezeichnet) -- die Pferde stürzten so unglücklich, daß +die Deichsel
brach+, das eine Pferd aber +den Oberschenkel+ -- er war darauf
angewiesen, sein +Leben+, an das er große +Ansprüche machte+, durch
erbitterten Kampf gegen die Konkurrenz zu +gewinnen+ (wo +Leben+ das
einemal als +Lebensweise+, das andremal als +Lebensunterhalt+ gemeint
ist).

Eine der häufigsten, aber auch widerwärtigsten Spielarten dieses
groben logischen Fehlers ist es, ein Femininum und einen Plural unter
demselben Artikel, Fürwort oder Adjektivum zusammenzukoppeln (vgl.
englisch: ~the life and times~) und zu schreiben: +die Höhe und Formen+
des Gitters -- +die Umrahmung und Seitenflügel+ des Altarbildes -- +die
Metalle und Spektralanalyse+ -- +die Verbreitung und Ursachen+ der
Lungenschwindsucht -- +die Stellung und Ansprüche+ des Zentrums -- die
Sicherung +der Post und Transporte+ -- die Analyse +der Gestalten und
Kunst+ Shakespeares -- Handbuch +der Staatswissenschaften und Politik+
-- das Gebiet +der Mathematik und Naturwissenschaften+ -- die Angaben
+der Bevölkerungsdichtigkeit und Temperaturverhältnisse+ -- +seine
Reue und Gewissensbisse+ -- im Kreise +seiner Frau und drei Kinder+ --
durch +ihre Taten und Hingebung+ -- eine Darstellung ihrer +Schicksale
und Bauart+ -- die Bühne, die +keine Dekoration und Kulissen+ kannte
-- die Gegner +der deutschen Landwirtschaft und Getreidezölle+ -- zur
Erforschung +vaterländischer Sprache und Altertümer+ -- trotz +der
papistischen Gesinnung und Bestrebungen+ des Herzogs usw.[132]

Aber auch da, wo Geschlecht und Numerus zweier Begriffe dieselben
sind, ist es eine grobe Nachlässigkeit, sie unter einem Artikel
unterzubringen und zu schreiben: die Zustimmung +des Bundesrats und
Reichskanzlers+ -- der Direktor +der Bürger- oder Bezirksschule+
-- eine Sitzung +des Bau-, Ökonomie- und Finanzausschusses+ -- ein
Ausflug +nach dem Süßen und Salzigen See+ -- +der Rote und Schwarze
Kocher+ -- +das alte und neue Buchhändlerhaus+ -- +die katholische
und evangelische Kirche+ -- +der Renaissance- und Barockstil+ -- +das
sächsische und schlesische Gebirge+ -- +die religiöse und weltliche
Poesie+ der Juden -- +die weiße und rote Rose+ -- +das Sol- und
Seebad+ -- der Wert +der klassischen und modernen Sprachen+ -- die
Knochen waren nicht die Überreste +eines Frauen- und Kinderskeletts+,
sondern +eines Ferkel- und Kaninchengerippes+! Auch in diesen Fällen
muß der Artikel unbedingt wiederholt werden; wird er nur +ein+mal
gesetzt, so erweckt das die Vorstellung, als ob sichs nur um +einen+
Begriff handelte. Niemand kann erraten, daß der +Bau-, Ökonomie- und
Finanzausschuß+ drei verschiedne Ausschüsse sind. +Der König von
Preußen und Kaiser von Deutschland+ -- das ist richtig, denn beides ist
dieselbe Person; +das belgische und deutsche Herrscherpaar+ -- das ist
falsch, denn das sind zwei verschiedene Paare.

Die Nachlässigkeit wird um so störender, wenn durch das im Plural
stehende Prädikat oder auf irgendeine andre Weise noch besonders
deutlich fühlbar gemacht wird, daß es sich um mehrere Begriffe handelt,
z. B.: der deutsche Handel war bedeutender als +der englische und
amerikanische zusammen+ -- +der Nominativ und Vokativ sind+ eigentlich
keine Kasus -- +die erste und letzte Strophe zerfallen+ in zwei Hälften
-- +der lyrische und epische Dichter bedürfen+ dieses Mittels nicht
-- 1830 +starben der Bruder und Vater+ -- westlich davon +stehen
die Thomas- und Matthäikirche+ -- an der Nordseite +befinden sich
der Dresdner, Magdeburger und Thüringer Bahnhof+ -- die Anlage,
die +die Mit- und Nachwelt+ an Bismarck zu bewundern alle Ursache
+haben+ -- +zwischen (!) dem+ 13. +und+ 15. Grade südlicher Breite
-- der Unterschied +zwischen (!) den staatlichen und kirchlichen+
Einrichtungen -- wo ist die Grenze +zwischen (!) der Wahrheit+, die
man mitteilen, und [+der+!], die man nicht mitteilen darf -- die
deutsche Umgangssprache schwankt +zwischen dem Extrem barscher Kürze
und bedientenhafter Redseligkeit+ -- das Zentrum möchte einen Keil
treiben +zwischen den rechten und linken Flügel+ des Blocks. Wie kann
etwas „zwischen“ einem Grade liegen, „zwischen“ einem Extrem schwanken,
„zwischen“ einen Flügel getrieben werden?

Bei mehr als zwei Gliedern kann die sorgfältige Wiederholung des
Artikels freilich etwas schleppendes bekommen, und wo mehr aufgereiht
als gegenübergestellt wird, da schreibe man getrost: mit +den Geruchs-,
Geschmacks- und Gefühlsnerven+, die Gewohnheiten +des Fastens,
Beichtens und Betens+, ein Schatz +des Wahren, Guten und Schönen+.
Wo aber unterschieden und gegenübergestellt wird, da muß auch der
Artikel wiederholt werden. Darum steht auch auf dem Titelblatte dieses
Buches: Grammatik +des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen+,
denn jeder dieser drei Begriffe bezeichnet eine andre Art von Fällen.
Manche glauben genug zu tun, wenn sie den Artikel bei einem Wechsel
des Geschlechts wiederholen, und schreiben: die Gelübde +der Armut,
Keuschheit+ und +des Gehorsams+. Ganz irrig! Die Gleichmäßigkeit
verlangt den Artikel bei jedem Gliede der Reihe.

Kein grammatischer, aber ein grober Denkfehler liegt vor in
Verbindungen wie: Lager von +Schneider- und Schuhartikeln+ -- Fabrik
von +Bambus-, Luxus- und Rohrmöbeln+. Der Schneider kann nicht den
Schuhen, Bambus oder Rohr nicht dem Luxus gegenübergestellt werden,
denn Bambus und Rohr geben den Stoff an, Luxus den Zweck (oder die
Zwecklosigkeit). Man könnte ebensogut +Kaffee-, Porzellan- und
Teetassen+ verbinden.


Tautologie und Pleonasmus

Während die fehlerhafte Zusammenziehung aus einem irregeleiteten
Streben nach Kürze entsteht, beruht ein andrer Fehler auf dem Streben
nach Breite und Wortreichtum: der Fehler, einen Begriff doppelt oder
gar dreifach auszudrücken. Man bezeichnet ihn mit Ausdrücken der
griechischen Grammatik als Tautologie (Dasselbesagung) oder Pleonasmus
(Überfluß).

In den seltensten Fällen will man durch die Verdopplung etwa
den Ausdruck verstärken,[133] gewöhnlich fällt man aus bloßer
Gedankenlosigkeit hinein. Zu den üblichsten Tautologien gehören:
+bereits schon+, ich +pflege gewöhnlich+, +einander gegenseitig+
oder gar +sich einander gegenseitig+.[134] Aber es gibt ihrer von
den verschiedensten Arten. Auch in Verbindungen wie: +schon gleich+
(die Bedenken fangen schon gleich beim Lesen der ersten Seite an),
+auch selbst+, +nach abwärts+, +nach dieser Richtung+ (statt: +nach+
dieser +Seite+ oder +in+ dieser +Richtung+), +nach+ verschiednen
+Richtungen+ (!), +unsre Gegenwart+ (statt: unsre +Zeit+ oder +die+
Gegenwart), +unsre deutsche+ Jugend, +unser deutsches+ Vaterland,
+mein mir übertragnes+ Amt, +rückvergüten+, +gemeinschaftliches
Zusammenwirken+, etwas +näher bei Lichte+ besehen, nicht +ganz+ ohne
+jede+ gute Regung, Personen beider+lei Geschlechts+ (statt +beider
Geschlechter+), Hilfeleistungen +weiblicher Schwestern+, es +kann
möglich sein+, +ich darf mit Recht+ beanspruchen, das Lob, das ihm +mit
Recht gebührt+, man +muß+ von einem Geschichtschreiber +verlangen+,
die +Forderung+ ist +unerläßlich+, er hat +Anspruch+ auf +gebührende+
Beachtung, ehe das Einschreiten zur +zwingenden Notwendigkeit+ wird,
die Innung +geht+ mehr und mehr dem +Rückgange entgegen+, die Übung der
Denkkraft, die +angeblich+ durch die Mathematik erzielt werden +soll+
-- überall ist hier ein Begriff ganz unnötigerweise doppelt da. Es
genügt, zu sagen entweder: +mein+ Amt oder: das +mir übertragne+ Amt,
entweder: man kann von einem Geschichtschreiber +verlangen+, oder:
ein Geschichtschreiber +muß+, entweder: die Übung, die +angeblich+
erzielt +wird+, oder: die erzielt werden +soll+. In Leipzig werden
immer noch Dinge +meistbietend versteigert+ -- das soll heißen: an den,
der das Meiste bietet, was doch schon in dem Begriffe des Versteigerns
liegt --, und dann natürlich gegen +sofortige Barzahlung+! Auch
Zusammensetzungen wie +Rückerinnerung+, +vollfüllen+ und +loslösen+
sind nichts als Pleonasmen; ebenso die beliebten Partizipzusätze,
die zum Teil aus schlechtem lateinischem Unterricht stammen: auf
+erhaltnen+ mündlichen Befehl -- nach +gehaltner+ Frühpredigt -- die
+erfahrne+ unwürdige Behandlung -- ohne +vorhergehende+ Beschaffung
geeigneter Verkehrsmittel -- nach einer +vorhergehenden+ Fermate --
bis zur +getroffnen+ Entscheidung -- die +angestellte+ Untersuchung
ergab -- meine Erörterung gründet sich auf +schon gemachte+ Erfahrungen
-- die Aussteller sind in der Reihe ihrer +erfolgten+ Anmeldung
aufgeführt. Man streiche die Partizipia, und der Sinn bleibt derselbe,
der Ausdruck aber wird knapper und sauberer (vgl. auch, was S. 167 über
+stattgefunden+ und +stattgehabt+ gesagt ist).

Der häufigste Pleonasmus aber und der, der nachgerade zu einer
dauernden Geschwulst am Leibe unsrer Sprache zu werden droht und
trotzdem allgemein als Schönheit, ja als eine Art von Bedürfnis
empfunden zu werden scheint, ist der, nach den Begriffen der
Möglichkeit und der Erlaubnis, der Notwendigkeit und der Absicht
beim Infinitiv diese Begriffe durch die Hilfszeitwörter +können+,
+dürfen+, +wollen+, +sollen+, +müssen+ zu wiederholen, also zu
schreiben: niemand schien +geeigneter+ als Ranke, dieses Werk zur
Vollendung bringen zu +können+ -- die +Leichtigkeit+, die gepriesensten
Punkte Süditaliens erreichen zu +können+ -- die +Möglichkeit+, die
Sozialdemokratie mit gleichen Waffen bekämpfen zu +können+ -- auf
diese Weise ist es +möglich+, während des Umbaus den Verkehr aufrecht
erhalten zu +können+ -- die +Fähigkeit+, über sich selbst lachen zu
+können+ -- die +Mittel+, an Ort und Stelle mit Nachdruck auftreten
zu +können+ -- es ist +Gelegenheit+ gegeben, auch am Polytechnikum
Vorlesungen hören zu +können+ -- er hatte +genügendes+ Kapital, etwas
ausführen zu +können+ -- die Finanzwirtschaft ist gar nicht +imstande+,
das Kreditwesen des Staates entbehren zu +können+ -- ich +getraute+
mir nicht, das Gespräch mit ihm aufrecht erhalten zu +können+ --
wenn es mir +gelingen+ sollte, hierdurch meine Verehrung an den Tag
legen zu +können+ -- es ist zu beklagen, daß so aufrichtige Naturen
sich nicht anders zur Kirche stellen zu +können vermögen+ (!) --
der Thronfolger kann von Glück sagen, wenn es ihm +erspart+ bleibt,
seine Herrscherautorität +nicht+ erst durch die Schärfe des Schwerts
erkämpfen zu +brauchen+[135] -- es sei mir +gestattet+, einen Irrtum
berichtigen zu +dürfen+ -- der Biograph hat das schöne +Recht+,
Enthusiast sein zu +dürfen+ -- eine Stellung, die ihm +erlaubte+,
ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolg produzieren zu +dürfen+
-- einer Deputation war es +vergönnt+, Glückwünsche darbringen zu
+dürfen+ -- die +Freiheit+, seiner innern Eingebung folgen zu +dürfen+
-- der +Anspruch+, Universalgeschichte sein zu +wollen+ -- er sprach
seine +Bereitwilligkeit+ aus, auf diesem Wege vorgehen zu +wollen+ --
die +Absicht+, blenden oder über ihre Verhältnisse leben zu +wollen+
-- er hat +versprochen+, in den ruhmreichen Bahnen seines Großvaters
fortwandeln zu +wollen+ -- die +Aufgabe+, die Akademie reformieren zu
+sollen+ -- es gehört zu den schönsten +Aufgaben+, das Leben eines
Zeitgenossen beschreiben zu +wollen+ (!) -- die +Zumutung+, Gott ohne
Bilder anbeten zu +sollen+ -- ein Volk, das sich dazu +erwählt+ glaubt,
große Dinge erfüllen zu +müssen+ -- die Verhältnisse +zwangen+ den
König, auf die Führung seines Heeres verzichten zu +müssen+.

Statt in Nebensätzen die Hilfszeitwörter +sein+ und +haben+
wegzulassen, wo sie oft ganz unentbehrlich sind (vgl. S. 137), bekämpfe
man lieber diese abscheuliche Gewohnheit; die unnützen +können+,
+dürfen+, +wollen+, +sollen+ und +müssen+ sind wirklich wie garstige
Rattenschwänze.[136]


Die Bildervermengung

Bei dem Worte Bildervermengung denkt wohl jeder an Wendungen wie:
das ist wie ein +Tropfen+ auf einen +hohlen Stein+, oder: er wurde
an den +Rand des Bettelstabes+ gebracht, oder: der +Zahn der Zeit+,
der schon so manche +Träne getrocknet+ hat, wird auch über dieser
+Wunde Gras wachsen+ lassen -- und meint, dergleichen werde wohl
beim Unterricht als abschreckendes Beispiel vorgeführt, komme aber
in Wirklichkeit nicht vor. Zeitungen und Bücher leisten aber fast
täglich ähnliches; gilt es doch für geistreich, möglichst viel in
Bildern zu schreiben! Oder wäre es nicht ebenso lächerlich, wenn
von einer Nachricht gesagt wird, daß sie wie ein +Donnerschlag+ ins
+Pulverfaß+ gewirkt habe, wenn in einem Aufsatz über das Theater von
+gaumenkitzelnden Trikotanzügen+ gesprochen wird, oder wenn es in einem
Börsenberichte heißt: der +Verkehr wickelte sich+ in +ruhigem Tone+
ab, in dem Bericht über eine Kunstausstellung: was bei den Russen zum
+Zerrbilde+ des Fanatismus geworden ist, leuchtet bei den Spaniern als
+Flamme+ der Begeisterung, oder wenn gar geschrieben wird: wo finden
wir einen +roten Faden+, der uns aus diesem +Labyrinth+ hinausführt?
-- das politische +Knochengerüst+, über dessen +Nacktheit+ durch eine
schöne +Verbrämung+ hinweggetäuscht werden soll -- der Zauber seiner
Persönlichkeit teilt sich dem Leser in einem +bestrickenden Fluidum+
mit -- unsre Universitäten sind wie +rohe Eier+: sobald man sie
antastet, +stellen sie sich auf die Hinterbeine+ -- der bureaukratische
Staat +schert+ (!) alles +über einen Leisten+ -- +pilzartig+ schossen
die Lust-, Schau- und Trauerspiele seiner Feder +ins Kraut+ -- alle
diese Mitteilungen +schweben in der Luft+, aus der sie +geschnappt+
sind (in der Luft schweben, aus der Luft greifen, nach Luft schnappen
-- drei Bilder vermengt!) -- das ist eins jener +Kolumbuseier+, deren
der Genius Shakespeares verschiedne +ausgebrütet+ hat -- das sind
vom nationalökonomischen +Gesichtswinkel+ aus in +kargem Gerippe+
die geistreich variierten +Grundzüge+ seiner Lehre -- die Millionen
+fliegen zum Fenster hinaus+ und leeren das +Reichsfaß+ bis zum
Boden -- natürlich muß das +Pflaster+ auf die verschiednen +kalten
Wasserstrahlen+ gegen ihre Eitelkeit ein wenig +gekitzelt+ werden --
dieses +Schreckgespenst+ ist schon +so abgedroschen+, daß nur noch
ein politisches +Wickelkind+ darauf +herumreiten+ kann -- um ihrem
geschwächten Parteimagen +neue Nahrung+ zuzuführen, +angeln+ sie in dem
Wasser des Bauernbundes nach +faulen Fischen+ -- die lauteste +Trommel+
bei dieser Hetze +blasen+ natürlich die Geistlichen -- wenn man den
Herren einen +Floh+ ins Ohr setzt, wird sofort ein +Elefant+ daraus
gemacht und dann auch noch öffentlich +breitgetreten+.[137]

Dergleichen erregt ja nun die Heiterkeit auch des gedankenlosesten
Lesers. Ein Berliner Schriftsteller hat sich sogar (unter dem Namen
Wippchen) jahrelang planmäßig dem Anbau dieses Sprachunkrauts gewidmet
und großen Erfolg damit gehabt. Es gibt aber auch zahlreiche
Bildervermengungen, die genau so schlimm sind, und die doch von
Tausenden von Lesern, auch von denkenden, gar nicht bemerkt werden,
weil sie nicht so zutage liegen, sondern etwas verschleiert sind.
Unsre Sprache ist überreich an bildlichen Ausdrücken, über deren
ursprüngliche Bedeutung man sich oft gar keine Rechenschaft mehr gibt.
Schon wenn jemand schreibt: die Sache machte keinen +durchschlagenden
Eindruck+ -- so lesen sicher unzählige darüber weg, denn +Eindruck
machen+ und ein +durchschlagender Erfolg+ sind so abgebrauchte
Bilder, daß man sich ihres ursprünglichen Sinnes kaum noch bewußt
ist. Und doch liegt hier eine lächerliche Bildervermengung vor, denn
einen +Eindruck machen+ und +durchschlagen+ schließen einander aus;
wenn man das Kalbfell einer Pauke durchschlägt, so ist es mit dem
Eindruckmachen vorbei. Ebenso ist es, wenn ein Kritiker von Leistungen
eines Schriftstellers redet, die nicht den vollen +Umfang+ seiner
Fähigkeiten +erschöpfen+, denn beim Umfang denkt man an ein Längenmaß,
schöpfen kann man aber nur mit einem Hohlmaß. In solchen mehr oder
weniger verschleierten Bildervermengungen wird sehr viel gesündigt. Man
schreibt: die kleinen Staaten werden von der +Wucht+ ganz Deutschlands
+getragen+ -- er hatte sich in eine solche Schulden+last gestürzt+ --
diese Maßregel ist von sehr ungünstigem +Einfluß begleitet+ gewesen
-- als die auf die Hebung der Hundezucht abzielende +Bewegung+
feste +Wurzeln geschlagen+ hatte -- bis sie ihm die +Unterlage+ für
Börsenspekulationen +eröffnet+ hatten -- wer nicht +mit der Herde
läuft+, muß sich hüten, daß er nicht +scheitere+ usw.[138]


Vermengung zweier Konstruktionen

Wie zwei verschiedne Bilder, so werden oft auch zwei verschiedne
Konstruktionen miteinander vermengt. Da wird z. B. die erste Person
mit der dritten vermengt und geschrieben: die Verlobung +unsrer+
Tochter (statt: +ihrer+ Tochter!) beehren sich anzuzeigen -- um
Rückgabe der von +mir+ (statt: von +ihm+!) entliehenen Biergläser
bittet -- +meiner+ Mutter (statt: +ihrer+ Mutter!) gewidmet von der
Verfasserin. Oder es wird an +hoffen+ ein Nebensatz angeschlossen,
als ob +wünschen+ vorherginge: ich +hoffe+ sehr, daß ich das nie
wieder erleben +möge+ (+erlebe+!) -- wir +hoffen+, daß dergleichen
nicht wieder vorkommen +möge+ (+werde+!) -- ich übergebe diese Arbeit
der Öffentlichkeit in der +Hoffnung+, daß sie dazu beitragen +möge+
(beitragen +werde+!) -- er +hoffe+, daß andre Forscher glücklicher
operieren +möchten+ (+würden+!). Es wird +weil+ geschrieben, wo
es +daß+ heißen muß: er hat seinen Namen +davon, weil+ er -- die
fürstliche Ehe war dem Volke besonders +dadurch+ teuer, +weil+ ihr
eine reiche Zahl von Prinzen entsprossen war; dagegen +daß+, wo es
+als+ heißen muß: Thomsen ist nur +insofern+ original, +daß+ er
die Grundrente als unrechtmäßige Abzahlung betrachtet -- meinem
Arbeitsfelde liegen diese Untersuchungen nur +insofern+ nahe, +daß+
ich daraus belehrt worden bin usw. Oder es wird geschrieben: da
manche Erörterung die Untersuchung +eher+ erschwert, +statt+ sie zu
vereinfachen -- wo entweder das +eher+ wegfallen, oder fortgefahren
werden muß: +als daß+ sie sie vereinfachte.

Sehr häufig ist der Fehler, daß man auf das Adverbium +so+ einen
Infinitiv mit +um zu+ folgen läßt statt eines Folgesatzes mit +daß+,
z. B.: Aristoteles sagt, daß eine Stadt +so+ gebaut sein müsse, +um+
die Menschen zugleich sicher und glücklich +zu+ machen -- behauptet
jemand, daß der Zucker +so+ belastet sei, +um+ weitere Lasten nicht
+zu+ ertragen -- er hatte gerade noch +so+ viel Zeit, +um+ sich in
das Dickicht +zu+ schleichen -- die Verhältnisse haben sich +so+ weit
geordnet, +um+ der Nation eine andre Haltung +zu+ ermöglichen -- dieses
Licht läßt uns gerade +so+ viel sehen, +um+ dem Ewigen und Rätselhaften
seine Launen ab+zu+lauschen -- wenn man nur +so+ viel Freiheit des
Geistes hat, +um+ sich über die Macht der Gewohnheit empor+zu+schwingen
-- die Realien waren noch nicht +so+ weit in sich gefestigt, +um+
als Bildungsmittel Verwendung +zu+ finden -- wir müssen das
Reinlichkeitsbedürfnis in uns +so+ entwickeln, +um+ schmutzige
Literatur fern+zu+halten -- +so+ einfach sind denn doch diese Fragen
nicht, +um+ sie spielend mit einem Worte +zu+ erledigen -- die Herren
sind nicht +so+ dumm, +um+ auf diesen Leim +zu+ gehen. In einigen der
angeführten Beispiele mag wohl das Bestreben, nicht zwei Nebensätze
hintereinander -- einen Objektsatz und einen Folgesatz -- mit +daß+
anzufangen (für manche Leute ein entsetzlicher Gedanke!), zu dem Fehler
verleitet haben. Dem läßt sich aber doch leicht dadurch aus dem Wege
gehen, daß man den Objektsatz ohne +daß+ bildet: behauptet jemand, der
Zucker sei +so+ belastet, +daß+ er usw.


Falsche Wortstellung

Ein völlig vernachlässigtes Kapitel der deutschen Grammatik ist die
Lehre von der Wortstellung. Die meisten haben kaum eine Ahnung davon,
daß es Gesetze für die Wortstellung in unsrer Sprache gibt. Gewöhnlich
besteht die gesamte Weisheit, die dem Schüler oder dem Ausländer,
der Deutsch lernen möchte, eingeflößt wird, in der Regel, daß in
Nebensätzen das Zeitwort am Ende, in Hauptsätzen in der Mitte zu stehen
pflege; im übrigen, meint man, herrsche in unsrer Wortstellung die
„größte Freiheit“.

Ein Glück, daß das natürliche Sprachgefühl noch immer so lebendig ist,
daß die Gesetze der Wortstellung, wie sie sich teils aus dem Sinne,
teils aus rhythmischem Bedürfnis, teils aus der Art der Darstellung
(schlichte Prosa, Dichtersprache oder Rednersprache) ergeben, trotz
der angeblichen „Freiheit“ im allgemeinen richtig beobachtet werden.
Dennoch gibt es auch eine Reihe von argen Verstößen dagegen, die sehr
verbreitet und beliebt sind. Auf Abgeschmacktheiten, wie die des
niedrigen Geschäftsstils, bei Preisangaben von +Mark 50+ zu reden,
statt, wie jeder vernünftige Mensch sagt, von +50 Mark+, oder auf
Briefadressen zu schreiben, wie man es neuerdings, natürlich wieder
die Engländer nachäffend, tut: +20 Königsstraße Leipzig+, statt,
wie jeder vernünftige Mensch sagt: +Leipzig, Königsstraße 20+, soll
dabei gar nicht geachtet werden; ebensowenig auf die Ziererei
mancher Schriftsteller, in schlichter Prosa einen Genitiv immer vor
das Hauptwort zu stellen, von dem er abhängt.[139] Auch der häßliche
Latinismus, den manche so lieben: +Goethe, nachdem er+ (vgl. ~Caesar,
cum~), soll nur beiläufig erwähnt werden. Ein Nebensatz, der mit einem
Fügewort anfängt, und ein Infinitivsatz können in einen Hauptsatz nur
dann eingeschoben werden, wenn das Zeitwort des Hauptsatzes bereits
ausgesprochen ist. Eine Wortstellung wie in dem Fibelverse: +die Gans,
wenn sie+ gebraten ist, wird mit der Gabel angespießt, oder: +dem
Hunde, wenn+ er gut gezogen, ist auch ein weiser Mann gewogen -- ist
wohl dem Dichter erlaubt, aber in Prosa sind Satzgefüge wie folgende
undeutsch: +die Pflanzen, um zu gedeihen+, bedürfen des wärmenden
Sonnenlichts -- die +katholische Kirche, wie sie+ sich gern der
Siebenzahl freut, zählt auch sieben Werke der Barmherzigkeit -- alle
+andern Parteien, wenn sie+ im übrigen noch so bedenkliche Grundsätze
haben, erkennen doch den Staat als notwendig an -- der +Verband der
Sattler, obwohl+ er erst ein Jahr besteht, umfaßt bereits 37 Vereine.
Entweder muß es heißen: der Verband der Sattler +umfaßt, obwohl er+ --
oder der Nebensatz muß mit dem Hauptworte vorangestellt werden: +obwohl
der Verband+ der Sattler usw., +so umfaßt er doch+. Auch der Fehler,
der in Satzgefügen wie folgenden liegt: um die Reisekosten, die er
auf andre Weise nicht beschaffen konnte, +aufzutreiben+ -- auf einem
der schönsten Plätze der Welt, der zugleich ein Hauptkreuzungspunkt
städtischen und vorstädtischen Verkehrs ist, +gelegen+ -- M. ist nun
auch unter die Novellisten, wohl mehr der Mode folgend als dem innern
Drange, +gegangen+ -- mir liegt das Stammbuch eines Holsteiners, der
um 1750 in Helmstedt studierte, +vor+ -- sieht man von der kurzen
Würdigung, die Waldberg 1889 in der Allgemeinen Deutschen Biographie
gegeben hat, +ab+ -- am Neumarkte rissen gestern zwei vor einen
Korbwagen gespannte Pferde eine Frau, die auf der Straße stand und sich
mit einer andern Frau unterhielt, +um+ -- der Redner brach, da die Zeit
inzwischen längst die zulässige Frist von zehn Minuten überschritten
hatte und noch ein andrer Redner zu Worte kommen wollte, auf die
Aufforderung des Vorsitzenden, mit der Bemerkung, daß er noch viel zu
sagen habe, +ab+ -- auch dieser Fehler soll hier nur gestreift werden.
Die Fälle brauchen nicht immer so lächerlich zu sein wie der letzte;
ein eingeschobnes Satzglied muß zusammen mit dem Gliede, in das es
eingeschoben wird, immer folgende Gestalt ergeben, wenn die Verbindung
angenehm wirken soll:

  [--------[--------]--------]

Sehen sie zusammen so aus:

  [--------------[--------]--]

so ist der Bau verfehlt, und es ist dann besser, die Einschiebung
lieber ganz zu unterlassen, die Glieder so zu ordnen:

  [------------] [------------]

und zu schreiben: M. ist nun auch unter die Novellisten gegangen, wohl
mehr der Mode folgend als dem innern Drange.


Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?

Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft
vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß
zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in
verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z. B.: ein
+sächsischer junger+ Leutnant -- die +ausländische gesamte+ Medizin
-- +westfälische mittelalterliche+ Volkslieder -- man schöpfte mit
+hölzernen großen+ Kannen -- wenn die Sonne schien, wurden die
+seidnen verblaßten+ Vorhänge zugezogen -- da wollte auf dem Boden
des Handwerks nicht einmal mehr das +tägliche kärgliche+ Brot wachsen
-- die Turnübungen finden in der +städtischen geräumigen+ Turnhalle
statt -- die Bestrebungen, den Arbeiterfamilien +eigne behagliche+
Wohnungen zu schaffen -- die Bildung +künftiger maßgebender+
Staatsbeamten -- in Zeiten +wirtschaftlicher+ schroff aufeinander
+stoßender+ Gegensätze -- eine +chronische+ mit Geduld +ertragne+
Krankheit -- ein +sittlicher angeborner+ Defekt usw. In allen diesen
Fällen ist das Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte
stehen müßte, weil es mit diesem zusammen +einen+ Begriff bildet, durch
ein zweites Eigenschaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch
eingefallen ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung
logisch richtig werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall
ihre Plätze wechseln. Das ärgste dieser Art ist die +alte gute Zeit+,
der +alte gute Taler+, wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. Die
+alte Zeit+ ist +ein+ Begriff (die Vergangenheit); tritt zu diesem
Begriff das Eigenschaftswort +gut+, so darf er nicht zerrissen werden,
sondern es muß heißen: die +gute alte Zeit+. Man muß sich also immer
klarmachen, welches von den beiden Adjektiven das wesentliche ist;
dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort. Bezeichnet eins der
beiden Adjektiva einen Stoff (+hölzern+, +seiden+) oder die Herkunft
(+sächsisch+, +ausländisch+, +westfälisch+), so gehört dieses in der
Regel unmittelbar vor das Hauptwort: +mit großen hölzernen+ Kannen,
ein +junger sächsischer Leutnant+. Natürlich ist es auch möglich, daß
das andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff bildet
oder wenigstens -- bilden soll; dann muß die Ortsbezeichnung von dem
Hauptwort entfernt werden, z. B.: +Leipziger elektrische+ Straßenbahn
-- +Münchner neueste+ Nachrichten -- +englische historische+ Romane
-- die +sächsische zweite+ Kammer -- die +Straßburger katholische+
Fakultät -- seine +Nürnberger gelehrten+ Freunde usw. Sage ich: der
+höchste Leipziger+ Turm, so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor
und greife dann den höchsten heraus; bei den +Leipziger neuesten+
Nachrichten dagegen soll ich mir alle Zeitungen vorstellen, die Neueste
Nachrichten heißen, und soll dann die Leipziger herausgreifen. So ist
auch der +letzte schwere+ Tag der letzte einer Reihe von schweren
Tagen, z. B. einer Examenwoche, dagegen der +schwere letzte+ Tag der
Todestag.

Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen
Bücherverzeichnissen lesen muß: +erste seltne+ Ausgabe. Es klingt das,
als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die jetzt
verkäufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber sagen,
es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die ~editio
princeps~, und diese sei selten. Das kann nur heißen: +seltne erste
Ausgabe+. Anders verhält sichs mit der +zweiten, verbesserten+ Ausgabe.
Hier ist +verbessert+ ein nachträglicher Zusatz, wie schon das Komma
zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf Büchertiteln leider sehr
oft fehlt; der Sinn ist: +zweite+, (und zwar) +verbesserte+ Auflage.
Läßt man das Komma weg, so erweckt das die Vorstellung, als ob schon
eine +erste verbesserte+ Auflage vorhergegangen, die vorliegende also
im ganzen die dritte wäre. Manchem wird das als unnötige Diftelei
erscheinen, es handelt sich aber um einen ganz groben, handgreiflichen
Unterschied.


Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges

Mit großer Schnelligkeit, bazillusartig, wie immer, hat sich seit
einiger Zeit ein Fehler in der Wortstellung verbreitet, der noch
vor fünfzig Jahren ganz undenkbar gewesen wäre, der Fehler, der in
Verbindungen liegt, wie den folgenden: +der Direktor Hittenkofer des
Technikums zu Strelitz+ -- +das Töchterchen Alice des Herrn Hofhotelier
Baumann+ -- +die Sektion Sterzing des österreichischen Touristenklubs+.
Hier sind zwei Konstruktionen in- und durcheinandergeschoben. Richtig
ist es, zu sagen: +der Direktor Hittenkofer+; hier ist der Name
+Hittenkofer+ das Hauptwort, und +der Direktor+ eine Apposition dazu.
Richtig ist es auch, zu sagen: +der Direktor des Technikums+; hier
ist +der Direktor+ das Hauptwort, und +des Technikums+ ein Attribut
dazu. Aber falsch ist es, beide Konstruktionen so miteinander zu
verbinden, wie es in den angeführten Beispielen geschehen ist; denn
dann ist +Hittenkofer+ das Hauptwort zu der Apposition +der Direktor+,
und gleichzeitig der +Direktor+ das Hauptwort zu dem Attribut +des
Technikums+. Will man beide Konstruktionen verbinden, so kann es
nur heißen: +der Direktor des Technikums zu Strelitz Hittenkofer+.
Dann ist +Hittenkofer+ das Hauptwort, +der Direktor+ die Apposition
dazu, und +des Technikums+ das Attribut zur Apposition. Wer ein wenig
Sprachgefühl hat, für den wird es dieser langen Auseinandersetzung
gar nicht bedurft haben. Man denke sich, daß jemand sagen wollte:
+die Ballade Erlkönig Goethes+ -- +der Doktor Meurer der Medizin+
-- +der Minister von Dallwitz des Innern+ -- +der Begründer Ritter
der wissenschaftlichen Erdkunde+ -- +das Mitglied Eugen Richter des
Reichstags+ -- jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich
halten, und doch wären das ganz ähnliche Verbindungen.[140]

Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Ineinanderschiebungen
liegt, nicht klarmachen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden,
wenn er den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das
Wort folgt, von dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes
Wort davon getrennt sieht! Es wird aber niemand stutzig; man schreibt
ruhig: +der Redakteur+ Küchling des Leipziger +Tageblatts+, +der
Direktorialassistent+ Prof. Vogel des städtischen +Museums+, der
+Sekondeleutnant+ von Guttenberg +des Infanterieleibregiments+,
+der Prokurist+ Hermann Becker +der Firma+ Schimmel und Ko., +der
Insasse+ Körner +des+ hiesigen +Arbeitshauses+, +der Mönch+ Bernardus
+des Klosters+ St. Stephan, +der Roman+anfang „Waldrauschen“ der
+Gartenlaube+, +das Segelboot+ Undine +des Prinzen+ Demidoff, +der
Passagierdampfer+ Großer Kurfürst +des Norddeutschen Lloyd+, +das
Pferd+ Lippspringe +des Freiherrn+ von Reitzenstein, +die Komödie+
Hans Pfriem +des Martin Hayneccius+, +die Marmorbüste+ Die Verdammnis
+des+ kurfürstl. sächs. +Hofbildhauers+ Permoser, +der Bezirksverband+
Sachsen +des deutschen Schmiedeverbandes+, +die Ortsgruppe+ Zeitz
+des+ Allgemeinen deutschen +Schulvereins+, +der Zweigverein+
Berlin-Charlottenburg +des+ Allgemeinen deutschen +Sprachvereins+
(!), +die Haltestelle+ Zwischenbrücken +der+ Plagwitzer +Eisenbahn+,
+die Strecke+ Faido-Lavorgo +der Gotthardbahn+ und (das Neueste!):
+die Königin+ Wilhelmine +der Niederlande+, +der Prinz+ Heinrich +der
Niederlande+ und +die Königin-Mutter+ Emma +der Niederlande+. Und
die angeführten Beispiele zeigen, daß der Fehler keineswegs bloß in
Zeitungen grassiert, sondern auch in wissenschaftlichen Werken spukt.

Unleugbar hat der Fehler etwas bequemes, und das Bestreben, ihn
zu vermeiden, manchmal etwas unbequemes. Aber wird er dadurch
erträglicher? Wem es nicht gefällt, zu sagen: +die Ortsgruppe des
Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz+ (natürlich ist das häßlich,
aber doch nicht wegen der Wortstellung, sondern weil einer „Ortsgruppe“
frischweg ein Städtename beigelegt wird), der sage doch: +die Zeitzer
Ortsgruppe+ des Allgemeinen deutschen Schulvereins. Das ist deutsch.

Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: +der
Wetterbericht+ Nr. 200 +des Meteorologischen Instituts+. Hier drängt
sich +Nr. 200+ eben so störend zwischen die beiden untrennbaren Glieder
wie in den vorher angeführten Beispielen die Eigennamen; deutsch wäre:
+der 200. Wetterbericht des Meteorologischen Instituts+. Ganz falsch
ist: eine +Stiftung+ von 7000 Mark +des Landgerichtsrat+ N. -- eine
+Handschrift+ von 240 Blatt +der Münchner Hof- und Staatsbibliothek+
-- +die Abteilung+ für Kriegsgeschichte +des Großen Generalstabs+ --
+die Adreßbücher+ für 1906 +der Städte Berlin, Bremen und Breslau+ --
+der Oberarzt+ für Hautkrankheiten +des städtischen Krankenhauses+ --
+Höhenkurort+ für Nervenschwache +ersten Ranges+ -- +Friseurgeschäft+
für Herren und Damen +ersten Ranges+ -- +der Entwurf+ zu einem Brunnen
+des Herrn Werner Stein+ -- +das Promemoria+ an die kurfürstliche
Bücherkommission +des Professors Ernesti+ -- +der Mangel+ an
Selbstbewußtsein und Selbständigkeit +der deutschen Mädchen+ -- eine
öffentliche +Vorlesung+ gegen Entree +der+ am beifälligsten begrüßten
+Produktionen+ -- ein großes +Konzert+ mit darauffolgendem Ball +der+
ganzen +Kapelle+ des Füsilierregiments Nr. 36 usw. Auch hier sind
überall zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit
Attribut (z. B. +der Oberarzt des städtischen Krankenhauses+ und der
+Oberarzt für Hautkrankheiten+), in unerträglicher Weise ineinander
geschoben, unerträglich deshalb, weil dadurch der Genitiv von dem
Worte weggerissen ist, zu dem er gehört. Freilich läßt sich auch in
solchen Fällen nicht immer durch bloße Umstellung helfen. Schreibt man:
+der Oberarzt des städtischen Krankenhauses für Hautkrankheiten+, so
ist zwar die unsinnige Verbindung: +Hautkrankheiten des städtischen
Krankenhauses+ beseitigt; aber dafür wird nun das Mißverständnis
möglich, daß es ein besondres Krankenhaus für Hautkrankheiten gebe. In
solchen Fällen bleibt nichts übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen
und zu schreiben: der an dem städtischen Krankenhaus +angestellte+
Oberarzt für Hautkrankheiten. Solche Partizipia werden so oft ganz
überflüssigerweise hinzugesetzt (vgl. S. 291), daß man auch einmal eins
hinzusetzen kann, wo es notwendig ist.

Besonders schlimm sind aber nun drei Verstöße gegen die Gesetze der
Wortstellung, die zum Teil schon seit alter Zeit, zum Teil auch erst in
neuerer Zeit für besondre Feinheiten und Schönheiten gehalten werden
und deshalb nicht eindringlich genug bekämpft werden können. Der erste
ist:


Die sogenannte Inversion nach und

Als Inversion (Umkehrung, Umstellung) bezeichnet man es in der
deutschen Grammatik, wenn in Hauptsätzen das Prädikat vor das Subjekt
gestellt wird. Mit Inversion werden alle direkten Fragesätze gebildet,
aber auch Bedingungssätze, wenn sie kein Fügewort haben (+hätte
ich dich+ gesehen), und Wunsch- und Aufforderungssätze. Aber auch
Aussagesätze müssen die Inversion haben, sobald sie mit dem Objekt,
mit einem Adverbium oder einer adverbialen Bestimmung anfangen; es
heißt: +den Vater haben wir+ -- +dem Himmel haben wir+ -- +gestern
haben wir+ -- +dort haben wir+ -- +schon oft haben wir+ -- +aus
diesem Grunde haben wir+ -- +trotzdem haben wir+ -- +zwar haben wir+
-- +freilich haben wir+ -- +auch haben wir+ usw., nicht (wie im
Französischen und im Englischen) +gestern wir haben+. Ebenso ist die
Inversion in Aussagesätzen am Platze bei dem begründenden +doch+:
+habe ich es doch+ selber mit angesehen! Dagegen ist die Inversion
völlig ausgeschlossen hinter Bindewörtern; es heißt: +oder wir haben+,
+aber wir haben+, +sondern wir haben+, +denn wir haben+. Nur hinter
+und+, das doch unzweifelhaft ein Bindewort ist, halten es viele
nicht bloß für möglich, sondern sogar für eine besondre Schönheit,
die Inversion anzubringen und zu schreiben: +und haben wir+. Der
Amtsstil, der Zeitungsstil, der Geschäftsstil, sie wimmeln von solchen
Inversionen nach +und+, viele halten sie für einen solchen Schmuck
der Rede, daß sie selbst da, wo zwei Aussagesätze dasselbe Subjekt
haben, es also genügte, zu sagen: die erste +Lieferung+ ist soeben
+erschienen und liegt+ in allen Buchhandlungen zur Ansicht aus -- nur
um die Inversion anbringen zu können (!), das Subjekt wiederholen,
und zwar in der Gestalt des schönen +derselbe+, und schreiben: die
erste Lieferung ist soeben erschienen, +und liegt dieselbe+ in
allen Buchhandlungen zur Ansicht aus -- die +Fluchtlinie+ und das
+Straßenniveau werden+ vom Rate +vorgeschrieben, und sind dieselben+
dieser Vorschrift entsprechend auszuführen. Bedarf es noch weiterer
Beispiele? Wohl nicht. Sie stehen dutzendweise in jeder Zeitung. Der
Beginn der Vorstellung ist auf sechs Uhr festgesetzt, +und wollen wir+
nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen -- der Verein hat sich
in diesem Jahre außerordentlich günstig entwickelt, +und finden die
Bestrebungen+ desselben allgemeine Anerkennung -- die alte Orgel war
sehr baufällig geworden, +und wurde die Reparatur+ dem Orgelbaumeister
Herrn G. übertragen -- der Austernfang ist in letzter Zeit sehr
ergiebig gewesen, +und wurden+ am Dienstag wieder 10000 Stück in die
Stadt gebracht -- sämtliche Stoffe sind von mir für Leipzig engagiert,
+und können+ daher +dieselben Muster+ nicht von andrer Seite geboten
werden -- die Ruine ist in zehn Minuten zu erreichen, +und bietet
sich+ unterhalb derselben +ein herrliches Panorama+ -- heute findet
ein nochmaliges Ochsenbraten statt, +und können wir+ den Besuch des
Restaurants nur empfehlen -- anders wird gar nicht geschrieben. Prof.
X ist hier eingetroffen, +und fand+ -- na, was fand er denn? eine
begeisterte Aufnahme? Gott bewahre! -- +und fand+ ihm zu Ehren +ein
Festmahl+ statt. Es gibt aber auch Frauen und Mädchen, die imstande
sind, auf einer Postkarte zwei Inversionen anzubringen und damit Wunder
was für ein feines Briefchen gedrechselt zu haben glauben: Nun sind die
schönen Tage in Dresden bald vorüber, +und sende ich Ihnen+ herzliche
Grüße; mein Auftreten ist gut gelungen, +und freue ich mich+ nun wieder
auf unsre gemütlichen Abende usw.

Einigermaßen erträglich wird die Inversion nach +und+, wenn an der
Spitze des ersten Satzes eine adverbielle Bestimmung steht, die sich
zugleich auf den zweiten Satz bezieht, z. B.: +hier+ hört das Rostocker
Stadtrecht auf +und fängt+ die gesunde Vernunft an -- +so+ werden unsre
Reichen mit Wintergemüse versorgt +und wird+ die Zahl der Genußmittel
um einige überflüssige vermehrt -- +zum Glück+ gibt es noch anständige
Meister +und nehmen+ die Fabriken einen großen Teil der jungen Leute
auf -- +selbstverständlich+ gehört Freigebigkeit gegen die Priester zu
den Hauptbestandteilen der Frömmigkeit +und ist Geiz+ gegen sie die
größte aller Sünden -- +zur Pflege der Geselligkeit+ fand im Januar
eine Christbescherung statt +und wurden+ im Laufe des Sommers mehrere
Ausflüge unternommen -- +wo Hindernisse im Wege stehen+ (Adverbsatz),
pflegt sich die Menge innerhalb des ersten Kreises zu halten +und
kommt+ die Überschreitung des zweiten nur selten vor. Man hat diesen
Fall besonders die „Inversion nach Spitzenbestimmung“ genannt.

Auf keinem Kunstgebiete kann es ein so schlagendes Beispiel für
die Verschiedenheit des Geschmacks geben wie auf dem Gebiete der
Sprache die Inversion nach +und+. Der Beamte, der Zeitungschreiber,
der Kaufmann hält sie für die größte Zierde der Rede; für den
sprachfühlenden Menschen ist sie der größte Greuel, der unsre
Sprache verunstaltet, sie geht ihm noch über +seitens+, über bzw.,
über +selbstredend+, über +diesbezüglich+, sie erregt ihm geradezu
Brechreiz. Sie ist ihm so zuwider, daß er sie auch nach der
„Spitzenbestimmung“ nicht schreibt; selbst da gibt er lieber, um jeden
Anklang an die widerwärtige Verbindung zu vermeiden, die Inversion, die
der erste Satz mit Recht hat, im zweiten auf und schreibt: +übrigens+
hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, +und das Joch+ der
Sittenzucht +war+ nicht übermäßig schwer (statt: +und war das Joch+).

Das Widerwärtige der Inversion liegt nicht nur in dem grammatischen
Verstoß, sondern vor allem in der logischen Lüge: die Inversion sucht
den Schein engerer, ja engster Gedankenverbindung zu erwecken, und
doch haben die beiden Sätze, die so verbunden werden, inhaltlich
gewöhnlich gar nichts miteinander zu tun. Darum ist auch die Inversion
nur selten dadurch zu verbessern, daß man die beiden Hauptsätze in
Haupt- und Nebensatz verwandelt, noch seltner dadurch, daß man Subjekt
und Prädikat hinter +und+ in die richtige Stellung bringt, sondern
meist dadurch, daß man den Rat befolgt, den schon der junge Leipziger
Student Goethe (offenbar nach einer Vorschrift aus Gellerts Kolleg
über deutschen Stil) seiner Schwester Cornelia gab, wenn sie in ihren
Briefen Inversionen geschrieben hatte: einen Punkt zu setzen, das +und+
zu streichen und mit einem großen Anfangsbuchstaben fortzufahren.

Die Inversion ist aber auch eins der merkwürdigsten Beispiele des
wunderlichen Standpunkts, den manche Sprachgelehrten zu der Frage über
Richtigkeit und Schönheit der Sprache einnehmen. Es gibt Germanisten,
die sagen: mir persönlich (!) ist die Inversion auch unsympathisch
(!), aber „eigentlich falsch“ kann man sie nicht nennen, denn sie
ist doch sehr alt, sie findet sich schon im Althochdeutschen,
im Mittelhochdeutschen, bei Luther, sehr oft im siebzehnten und
achtzehnten Jahrhundert, und ihre große Beliebtheit gibt ihr doch ein
gewisses Recht. Als ob eine häßliche Spracherscheinung dadurch schöner
würde, daß sie jahrhundertealt ist![141] Wer hat denn zu entscheiden,
was richtig und schön sei in der Sprache: der sprachkundige,
sprachgebildete, mit feinem und lebendigem Sprachgefühl begabte
Schriftsteller, oder der Kanzlist, der Reporter und der „Konfektionär“?
Ein Schriftsteller, der die Inversion nach +und+ aufs strengste
vermieden hat, ist Lessing. Ich denke, der wird genügen.[142]


Die Stellung der persönlichen Fürwörter

Der zweite Verstoß betrifft die Stellung der persönlichen Fürwörter. Es
handelt sich da wieder um eine Spracherscheinung, die äußerst häßlich
ist und doch allgemein für eine Schönheit gehalten wird (vgl. S. 116
Anm.). Um die Sache deutlich zu machen, soll zunächst der häufigste und
auffälligste Fall besprochen werden.

Wenn das Zeitwort eines Satzes ein Reflexivum ist, gleichviel ob
das reflexive Verhältnis den Dativ oder den Akkusativ hat (+sich+
entschließen, +sich+ einbilden), so erscheint in der lebendigen
Sprache das reflexive Fürwort +sich+ stets so zeitig wie möglich im
Satze. In Nebensätzen wird es stets unmittelbar hinter das erste Wort
gestellt, hinter das Relativ, hinter das Fügewort usw. (+der sich+,
+wo sich+, +wobei sich+, +da sich+, +obgleich sich+, +als sich+,
+daß sich+, +wenn sich+, +als ob sich+, +je mehr sich+ usw.); erst
dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selbst ein
persönliches Fürwort ist, geht dieses dem +sich+ voran (+da es sich+,
+wenn sie sich+, +die er sich+). In Hauptsätzen steht das +sich+ stets
unmittelbar hinter dem Verbum (+hat sich+, +zeigt sich+, +wird sich
finden+); in Infinitivsätzen steht es ganz an der Spitze, mag das
Verbum noch so reich mit Objekten, adverbiellen Bestimmungen u. dgl.
bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie
sie reden, man wird höchst selten einer Abweichung von diesem Gesetze
begegnen.

Nun vergleiche man damit, wie geschrieben wird, ganz allgemein
geschrieben wird, und sehe, wo da das +sich+ hingesetzt wird; die
Stelle, wo es hingehört, soll jedesmal durch Klammern bezeichnet
werden. Da heißt es in Hauptsätzen: selten +hat+ [] eine Darstellung
so rasch in der Literatur +sich eingebürgert+ -- durch die neue
Ordnung +glaubte+ [] namentlich die Universität +sich verletzt+ --
diese +hielten+ [] ohne Erlaubnis der Regierung in diesen Gegenden
+sich auf+ -- der heftige Seelenschmerz +löste+ [] in ein krampfhaftes
Schluchzen +sich auf+ -- eventuell (!) +behält+ [] der Verkäufer das
Rückkaufsrecht +sich vor+ -- als Porträtmaler +schließt+ [] Hausmann
unmittelbar an Hoyer +sich an+. Beim Infinitiv: nur einmal +scheinen+
[] die beiden +sich gesprochen+ zu haben -- die Photographie +scheint+
[] in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst +sich zu erheben+
-- bald +begannen+ [] Menschen in dem Walde +sich anzusammeln+ -- der
Name +dürfte+ [] auf den ganzen Gebirgszug +sich beziehen+ -- man
+mußte+ [] in entsetzlichen Postkarren, von Ungeziefer halb verzehrt,
unter Hunger und Durst, in jene schönen Gegenden +sich durcharbeiten+
-- es ist leicht, [] diese Kenntnis +sich anzueignen+ -- das Recht,
[] an der friedlichen Kulturarbeit frei +sich zu beteiligen+. In
Nebensätzen endlich: die Verdienste, +welche+ (!) [] Eure Durchlaucht
um das deutsche Vaterland +sich erworben haben+ -- es ist das eine der
schwierigsten Aufgaben, +die+ [] der menschliche Geist +sich stellen
kann+ -- bei dieser Lage der Dinge, +die+ [] binnen wenigen Monaten zu
einer ganz unerträglichen +sich ausbildete+ -- der geistige Zustand,
+in dem+ [] die deutsche Jugend in der Zeit der französischen Invasion
+sich befand+ -- der Modegeschmack, +der+ [] namentlich auf dem Gebiete
des Romans so rasch +sich ändert+ -- die Philosophie, +die+ [] doch nur
dem an das Denken gewöhnten Höhergebildeten +sich erschließt+ -- ein
Mann, +der+ [] bei allem Eifer für die katholische Sache doch einen
warmen Patriotismus +sich bewahrt hatte+ -- im Militärwaisenhaus,
+das+ [] nach dem Willen des Königs zu einer möglichst großartigen
Anlage +sich gestalten soll+ -- die Schlagwörter, +mit denen+ [] die
sozialdemokratischen Lehren +sich zu schmücken lieben+ -- in Fällen,
+wo+ [] das Bedürfnis dazu +sich herausstellt+ -- der erste Akt
versetzt uns in die Welt des Waldes, wo [] Roseggers Phantasie am
meisten +sich heimisch fühlt+ -- in Bonn, wo [] die ganze Rheinstraße
mit ihren Denkmälern zu Exkursionen +sich anbietet+ -- die Verbrecher
treiben allerlei Ulk, +wobei+ [] ihre wahre Natur +sich äußert+ --
die Schicksale, aus +deren+ Zusammenwirken [] erst die eigenartige
Entwicklung von Hoffmanns Persönlichkeit +sich erklären läßt+ --
unter der Bedingung, +daß er+ [] auf eine bestimmte Probezeit des
Wilderns +sich enthalte+ -- die Gegenwart beweist, +daß+ [] der kleine
Betrieb dem Großkapital gegenüber +sich+ nicht +halten kann+ -- der
einzelne darf nicht verkennen, +daß er+ [] unter solchen Umständen
zu Nutz und Frommen seiner Mitmenschen eine Selbstbeschränkung +sich
auferlegen muß+ -- +als+ [] fast sämtliche Klöster wieder mit den
geistlichen Orden +sich gefüllt hatten+ -- es wird noch geraume Zeit
vergehen, +ehe+ [] ihr Ideal vollständig +sich verwirklichen kann+ --
+seitdem+ [] das große, für die Kultur so folgenreiche Weltereignis
der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus +sich ergab+ -- die
Aufhebung des Gesetzes können wir nicht beklagen, +da es+ [] im Laufe
der Jahre immer mehr als unbrauchbar +sich erwiesen hat+ -- +da er+ []
gerade jetzt in der Lage +sich befindet+, Zahlung leisten zu können --
+weil er+ [] diese Eigenschaften bis in sein hohes Alter +sich bewahrt
hat+ -- +nachdem+ [] die ursprüngliche Bedeutung im Sprachbewußtsein
+sich verdunkelt hatte+ -- +nachdem+ [] die Wogen freundlicher und
feindlicher Erregung, die das Buch hervorrief, +sich gelegt haben+ --
+wenn er+ [] zuweilen zu religiösem Pathos +sich erhob+ -- +wenn+ der
Kurfürst abreist und [] auf einen seiner Landsitze +sich begibt+ --
ich würde untröstlich sein, +wenn+ Sie [] durch mich in Ihrer alten
Ordnung +sich stören ließen+ -- +wenn+ [] neuerdings die Unternehmer
und Arbeitgeber zur Wahrung ihrer gerechten Interessen +sich
zusammenschließen+ -- die Namen der Künstler sind so bezeichnet, +wie+
sie [] auf den Blättern +sich finden+ -- +als ob er+ [] die größten
Verdienste um das deutsche Vaterland +sich erworben hätte+ -- +je mehr+
[] Frankreichs Stellung am Mittelmeere +sich behauptet+ usw.

Wir stehen da wieder vor einer Erscheinung, die recht eigentlich in
das Kapitel vom papiernen Stil gehört. Der lebendigen Sprache gänzlich
fremd, stellt sie sich immer nur da ein, wo jemand die Feder in
die Hand nimmt, aber auch da nicht sofort, sondern erst dann, wenn
er zu künsteln anfängt.[143] Man könnte ja nun meinen, es sei doch
unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und
so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung
ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das wesentliche ist
ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen
werden kann: die Verbindung mit dem voranstehenden andern Pronomen
oder mit dem Fügewort (+der sich+, +wenn sich+). Diese Verbindung
ist der lebendigen Sprache wichtiger als die mit dem Verbum, denn
durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen. Wenn
ich das +sich+ unmittelbar nach +da+, +wo+, +wenn+, +seitdem+ bringe,
so erfährt der Hörer schon, daß am Ende des Satzes ein reflexives
Zeitwort folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs klingt ihm
gleichsam schon im Ohre. Daß sich auf diese Weise der Satz fester
zusammenschließt als auf die andre, liegt auf der Hand. Wenn einer mit
+wenn+ oder +daß+ anfängt, und erst nachdem er zwanzig oder dreißig
Worte dazwischengeschoben hat, endlich mit +sich begab+ oder +sich
befindet+ schließt, so möchte man immer fragen: So viel Zeit hast du
gebraucht, dich auf das Zeitwort zu besinnen? dich zu besinnen, daß du
ein reflexives Verbum gebrauchen willst?

Es ist ja aber keineswegs bloß das +sich+, das jetzt in dieser Weise
verstellt wird, es geschieht das mit dem rückbezüglichen Fürwort
überhaupt. Man schreibt auch: darüber gedenke ich [] später einmal
in diesen Blättern +mich auszulassen+ -- wenn wir [] auch mit voller
Seele an der Jubelfeier +uns beteiligen+ -- daß wir [] in unsern
nationalen Lebensformen ungehindert +uns entwickeln+ können -- wenn
wir [] überhaupt von Gott eine Vorstellung +uns machen+ wollen usw. Ja
die Krankheit hat sich noch viel weiter verbreitet, sie hat auch das
ganze persönliche Fürwort ergriffen. In der lebendigen Sprache wird
das persönliche Fürwort genau so gestellt wie das reflexive. Wie aber
wird geschrieben? Das war es bloß, wozu [] mein väterlicher Freund
+mich bewegen+ wollte -- wie willst du den Widerspruch lösen, den []
eine verehrte Autorität +dir aufdrängt+? -- als Goethe seine Reise
antrat, +war+ [] Rom +ihm+ nicht +fremd+ -- man kann den Fortgang
voraussehen, soweit [] nicht unberechenbare äußere Störungen +ihn
hemmen+ -- die Mängel des Gedächtnisses kommen weniger zur Geltung,
wenn [] das Nachdenken +ihm Zeit läßt+ -- der Bischof verzichtete auf
den Segen, den [] sein Konfrater in Trier +ihm anpries+ -- können wir
einen Dichter nennen, der [] an Mannigfaltigkeit, an beherrschender
Sicherheit +ihm gleichkäme+? -- er würde [] gewiß auch diesmal nicht
ohne Not +sie warten lassen+ -- die Menge geht dahin, wohin [] der
Zar und die Kirche +sie treibt+ -- sie wissen viel zu gut, was [] das
erreichte Ziel +sie gekostet hat+ -- die Arbeiter stehen schon so
tief, daß [] ein weiterer Druck +sie arbeitsunfähig machen würde+ --
wenn [] die Zeit +es erlaubt+ -- wer [] in unsern Tagen noch +es wagt+
-- wie [] der Drang seines Herzens +es gebot+ -- eine unzulängliche
Einrichtung, wie [] das Duell +es ist+ -- abgesehen davon hatten []
die Bewohner des Hauses +es nicht schlecht+ -- wenn [] die Gegner des
Sozialistengesetzes +es+ als einen Vorteil +preisen+ -- unter diesem
Feldgeschrei hatte man [] in den katholisch-deutschen Ländern +es
dahin gebracht+ -- es genügt uns nicht, [] bei dieser allgemeinen
Schilderung seines Wesens +es bewenden zu lassen+ -- wir müssen tragen,
was [] unser Geschick +uns auferlegt+ -- die praktische Aufgabe, die []
unsre religiöse Gefahr +uns stellt+ -- wir halten das für die einzig
mögliche Erklärung, weil [] keine andre +uns begreiflich ist+ -- wenn
[] sein Auge so ernst und mild +uns anblickt+ -- wäre er nicht das
große Genie gewesen, so würde [] der Name Rembrandt +uns+ unbekannt
+geblieben+ sein -- am 19. Mai +hat+ [] der Tod wieder einen der
hervorragendsten Künstler +uns entrissen+ -- nun galt es, [] mit Rat
und Tat +ihnen beizustehen+ -- sie warfen mit lateinischen Brocken
um sich, sodaß [] kein andrer in der Gesellschaft +ihnen zu folgen
vermochte+ -- er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie [] [] sein
alter Schulkamerad +sie ihm erzählt hatte+ -- es ist das ein großes
Stück Wehrkraft, worin [] [] die Nachbarn im Osten und Westen +es uns+
nicht +gleichtun können+. Überall ein ängstliches, schulknabenhaftes
Voranstellen der Subjekte vor die Objekte, überall das gequälte
Aufsparen der Fürwörter bis unmittelbar vor das Zeitwort![144] In
einem Roman heißt es: während die Stämme ihre kahlen Äste +uns
entgegenstreckten+, als wollten sie mit ihren Armen +unserer (!) sich
erwehren+. Das soll heißen: +während uns+ die Stämme ihre kahlen
Äste entgegenstreckten, als wollten +sie sich unser+ mit ihren Armen
erwehren! Am fürchterlichsten ist es, wenn das unbetonte +es+, vollends
das proleptische, das nur einen Inhalts- oder einen Infinitivsatz
vorbereitet, und das nur dann erträglich ist, wenn es sich so viel wie
möglich versteckt und möglichst flüchtig durch den Satz huscht -- wenn
das mit solchem Elefantentritt an möglichst unpassender Stelle in den
Satz hineintappt: trotz des Widerwillens des Vaters setzte [] der Knabe
unter dem Beistande der guten Mutter +es durch+, daß er usw.

Möglich ist ja eine solche Stellung der Fürwörter auch, falsch ist sie
nicht, es fragt sich nur, ob sie schön sei. Wie müssen sich oft die
Fürwörter und die Wörter überhaupt in Versen herumwerfen lassen! Wie
die Kegel, wenn die Kugel dazwischenfährt. Da +senkte sich+ aus der
Höhe ein lichter Engel -- nicht wahr, ganz gewöhnliche Prosa?

    Da +senkte+ aus der Höhe
    Ein lichter Engel +sich+ --

auf einmal „Poesie“! Das hat aber doch auch seine Grenzen. Poetischer
als ein Vers wie der:

    Wie +soll+ aus diesem Zwiespalt +ich+ retten +mich+?

klingt doch unzweifelhaft die schlichte „Prosa“: Wie +soll ich mich
aus+ diesem Zwiespalt retten?

Von Gellerts Fabeln hat man geringschätzig gesagt, sie wären die reine
Prosa. Von dem Ausdruck trifft das gar nicht zu, der ist dazu viel zu
fein und gewählt. Wenn es sich aber darauf beziehen soll, daß ihre
Wortstellung ganz so ist, wie sie in guter Prosa sein würde, so wäre
das ja das höchste Lob! Es ist das, was Friedrich der Große mit den
Worten sagte: Er hat so etwas Coulantes in seinen Versen.


In fast allen oder fast in allen?

Der dritte Verstoß betrifft die Stellung der Präpositionen. Durch
alle gebildeten Sprachen geht das Gesetz, daß die Präpositionen
(+an+, +bei+, +nach+, +für+, +in+, +vor+, +mit+ usw.) unmittelbar vor
dem Worte stehen müssen, das sie regieren. Das ist so natürlich und
selbstverständlich wie irgend etwas, es kann gar nicht anders sein. In
der griechischen Grammatik spricht man von ~Procliticae~ (d. h. vorn
angelehnten).[145] Man versteht darunter gewisse einsilbige Wörtchen,
die, weil sie eben einsilbig sind und für sich allein noch nichts
bedeuten, keinen eignen Ton haben, sondern -- wie durch magnetische
Kraft -- an das Wort gezogen werden, das ihnen folgt. Dazu gehören
auch einige einsilbige Präpositionen. Das ist aber durchaus keine
Eigentümlichkeit der griechischen Sprache, sondern solche Wörter gibt
es in allen Sprachen, auch im Deutschen, und zu ihnen gehören auch
im Deutschen die Präpositionen. Weil diese aber solche ~Procliticae~
sind, die mit dem Worte, das von ihnen abhängt, innig verwachsen, so
ist es unnatürlich, zwischen die Präposition und das abhängige Wort
(Eigenschaftswort, Fürwort, Zahlwort) ein Adverb zu stopfen.[146] Auch
dieses Gesetz geht durch alle Sprachen, denn es ist in der Natur der
Präpositionen begründet.

Da ist aber nun der große Logiker drüber gekommen und hat sich
überlegt: +fast in allen Fällen+ -- das kann doch nicht richtig sein!
das +fast+ gehört doch nicht zu +in+, es gehört ja zu +allen+! Also
muß es heißen: +in fast allen+ Fällen. Und so wird denn wirklich
seit einiger Zeit immer häufiger geschrieben: die +von fast+ allen
Grammatikern gerügte Gewohnheit -- es geht eine Bewegung +durch fast+
sämtliche Kulturstaaten -- +mit fast+ gar keinen Vorkenntnissen --
+mit nur+ echten Spitzen -- das Stück besteht +aus nur+ drei Szenen --
wir haben es +mit nur+ wenigen Lehrstunden zu tun -- wir fuhren +durch
meist+ anmutige Gegend -- die Kritik, die +in meist+ schlechten Händen
ist -- es waren +gegen etwa+ vierzig Mann -- mit einer Besatzung +von
oft+ sechs bis acht Mann -- +in bald+ einfacherer, +bald+ prächtigerer
Ausstattung -- das Buch ist +in wohl+ sämtliche europäische Sprachen
übersetzt -- andre Kritiker +von freilich+ geringerer Autorität --
+nach genau+ einem Jahrhundert -- +in genau+ derselben Form -- +mit
genau+ derselben Geschwindigkeit -- +nach längstens+ zwei Jahren --
+für wenigstens+ ein paar Wochen -- Unterricht +in wenigstens+ einer
zweiten lebenden Sprache -- die ordnungsliebendern Elemente sehen sich
+zu wenigstens+ tatsächlicher Achtung vor dem Gesetze gezwungen -- die
Kosten belaufen sich +auf mindestens+ tausend Pfund -- die Schulden
müssen +mit mindestens+ einem Prozent jährlich abgetragen werden --
fünf Präpositionen +mit jedesmal+ verschiedner Funktion -- eine Anfrage
würde das +in vielleicht+ überraschendem Maße bestätigen -- überall ist
die Technik +auf annähernd+ gleicher Höhe -- er wurde +auf zunächst+
sechs Jahre zum Stadtrat gewählt -- +mit sozusagen+ absolutem Maßstabe
-- +mit allerdings nur+ geringer Hoffnung auf Erfolg -- Japan war mit
+alles in allem+ vier Artikeln vertreten -- er stand mit ihm +in so gut
wie+ keiner Verbindung -- sie sind +um zusammen etwa+ vier Millionen
Mark betrogen worden; sogar: ein besondrer Anstrich +von erst+ Farbe
+und dann+ Lack wird vermieden.

Es ist eine Barbarei, so zu schreiben. Man hat das Gefühl, als wollte
einem jemand in den Ellbogen oder zwischen zwei Fingerglieder einen
Holzkeil treiben, wenn man so etwas liest, ja es ist, als müßte es der
Präposition selber wehtun, wenn sie auf solche Weise von dem Worte,
mit dem sie doch zusammenwachsen möchte, abgerissen wird. Was ist eine
Logik wert, die zu solcher Unnatur führt! Man versuche es einmal, man
setze in all den angeführten Beispielen das Adverb an die richtige
Stelle, nämlich vor die Präposition: +meist durch+ anmutige Gegend
-- +wohl in+ sämtliche Sprachen -- +wenigstens für+ ein paar Wochen
-- +annähernd auf+ gleicher Höhe -- +zunächst auf+ sechs Jahre usw.,
empfindet wohl jemand die geringste logische Störung?[147]

Nur die kurzen Adverbia, die zur Steigerung der Adjektiva dienen: +so+,
+sehr+, +viel+, +weit+, stehen hinter der Präposition: +mit so+ großem
Erfolg -- +in sehr+ vielen Fällen -- +mit viel+ geringern Mitteln --
+nach weit+ gründlichern Vorbereitungen. Bei allen Adverbien aber, die
den Adjektivbegriff einschränken, herabsetzen oder sonstwie bestimmen,
ist die Stellung hinter der Präposition unnatürlich.


Zwei Präpositionen nebeneinander

Doppelt häßlich wird das Wegreißen der Präposition von dem abhängigen
Worte dann, wenn das Einschiebsel nicht ein einfaches Adverb, sondern
ein Satzglied ist, das selbst wieder aus einer Präposition und einem
davon abhängigen Worte besteht; dann entsteht der Fall, daß zwei
Präpositionen unmittelbar hintereinander geraten -- für jeden Menschen
von feinerm Gefühl eine der beleidigendsten Spracherscheinungen. Und
doch wird auch so jetzt fortwährend geschrieben! Da heißt es: +in
im+ Ratsdepositorium befindlichen Dokumenten -- +in zur+ Zeit nicht
zu verwirklichenden Gedanken -- +durch vom+ Kriege unberührtes Land
-- +durch von+ beiden Teilen erwählte Schiedsrichter -- +durch für+
ein weiches Gemüt empfindlichen Tadel -- +mit in+ Tränen erstickender
Stimme -- +mit vor+ Freude strahlendem Gesicht -- +mit vor+ keinem
Hindernis zurückschreckender Energie -- +mit auf+ die Wand aufgelegtem
Papier -- +mit für+ die Umgebung störendem Geräusch -- +mit nach+ außen
kräftigen Institutionen -- +mit über+ die ganze Provinz verteilten
Zweigvereinen -- +mit mit+ (!) schwarzem Krepp umwundnen Fahnen --
+bei nach+ fürstlichen Personen benannten Gegenständen -- das Sammeln
+von an+ sich wertlosen Dingen -- die Frucht +von durch+ Jahrtausende
fortgesetzten Erfahrungen -- eine große Anzahl +von in+ einzelnen
Fächern weiter ausgebildeten jungen Männern -- die Schülerzahl stieg
+von über+ zwei- gleich +auf über+ sechshundert -- die Falter werden
+mittelst auf mit+ (!) Öl begossene Teller gestellter Gläser gefangen
usw. Man kann also solche Zusammenstöße sehr leicht vermeiden, und
zwar auf die verschiedenste Weise; entweder durch einen Nebensatz:
+durch Land, das+ vom Kriege noch unberührt geblieben war -- oder
durch einen wirklichen Genitiv statt +von+: das Sammeln an sich
+wertloser+ Dinge -- oder durch einen Ausdruck, der dasselbe sagt wie
die Präposition: +von mehr als+ zweihundert (statt +von über+) oder
durch ein zusammengesetztes Wort: +mit freudestrahlendem+ Gesicht usw.
Aber alle diese Mittel werden verschmäht, lieber versetzt man dem Leser
den stilistischen Rippenstoß, unmittelbar hinter einer Präposition noch
eine zweite zu bringen![148]


Zur Interpunktion

Eine feine und schwierige Kunst ist es, gut zu interpungieren. Hier
können nur einige Winke darüber gegeben werden.

Die Interpunktion verfolgt zwei verschiedne Zwecke: erstens die
Satzgliederung zu unterstützen und die Übersicht über den Satzbau
zu erleichtern, zweitens die Pausen und die Betonung der lebendigen
Sprache in der Schrift auszudrücken. Oft fallen beide Zwecke zusammen,
aber nicht immer. Wenn z. B. geschrieben wird: die Berliner Künstler
haben den französischen Bildern stets die besten Plätze eingeräumt
+und, wenn+ diese nicht reichten, andre Räume gemietet -- oder: wer
die Tagespresse kritiklos liest +und, ohne+ es zu wissen und zu
wollen, die dargebotnen Anschauungen in sich aufnimmt -- so schließt
sich zwar die Interpunktion genau dem Satzbau an, steht aber in
auffälligem Widerspruch zur lebendigen Sprache: niemand wird bis zu
+und+ (oder +oder+) sprechen und hinter +und+ eine Pause machen,
jeder wird vor +und+ abbrechen. Daher empfiehlt es sich, das Komma
hier lieber vor +und+ zu setzen -- gegen den Satzbau -- und zu
schreiben: da die Frauen mit Vorliebe männliche Verhüllungen wählen,
+und+ wenn sie ihren Vornamen nicht ausschreiben, auch die Handschrift
sie nicht immer verrät -- sie glaubte, +oder+ wie es von ihrem
Standpunkt aus wohl richtiger heißen muß, sie hoffte -- daß Dichter
wie Keller und Storm, +oder+ um einige weniger berühmte zu nennen,
Vischer und Riehl gesund blieben -- die Elemente des Anschauungs- und
Gestaltungsvermögens, +oder+ anders ausgedrückt, des Einbildungs- und
des Ausbildungsvermögens.[149]

Dem ersten Zwecke dienen nun vor allem die drei üblichen Zeichen:
Punkt, Semikolon (;) und Komma. Über die Bedeutung von Punkt und
Komma besteht kein Zweifel; sie werden im allgemeinen auch richtig
angewandt. Der Punkt schließt ab, das Komma gliedert; der Punkt
trennt größere oder kleinere selbständige Gedankengruppen, das Komma
scheidet die einzelnen Bestandteile dieser Gruppen, es tritt vor jeden
Nebensatz, auch vor Partizipial- und Infinitivsätze. Jeder Satz hat
nur einen Punkt; die Zahl der Kommata im Satze ist unbeschränkt. Das
Semikolon endlich ist stärker als das Komma, aber schwächer als der
Punkt. Es ist überall da am Platze, wo zwei Hauptsätze -- mögen sie
nun allein stehen oder jeder wieder von einem Nebensatze begleitet
sein -- einander gegenübergestellt werden, wo also der eine der beiden
Hauptsätze nur die Hälfte des Gedankens enthält und den andern zu
seiner Ergänzung verlangt, z. B.: hättest du dich an den Buchstaben
des Gesetzes gehalten, so träfe dich kein Vorwurf; da du aber
eigenmächtig vorgegangen bist, so hast du nun auch die Verantwortung
zu tragen. Das Semikolon trennt also und vereinigt zugleich, es
scheidet und verbindet. Sehr fein hat es daher David Strauß die Taille
des Satzes genannt[150] und auf Lessing hingewiesen als den, der den
richtigen Gebrauch davon gemacht habe. In der Tat ist das Semikolon
für den, der damit umzugehen weiß, eins der ausdrucksfähigsten
Interpunktionszeichen, es wird nur noch vom Kolon übertroffen. Aber wie
ungeschickt wird es oft behandelt! Besonders beliebt ist es jetzt, wenn
vor einen Hauptsatz eine größere Anzahl gleichartiger Nebensätze tritt,
z. B. drei, vier, fünf Bedingungssätze, diese alle durch Semikolon
voneinander zu trennen -- eine sehr geschmacklose Anwendung. Zwischen
Haupt- und Nebensatz ist einzig und allein das Komma am Platze; folgen
mehrere gleichartige Nebensätze aufeinander, so kann hinter jedem
immer wieder nur ein Komma stehen. Wie der Punkt, so kann auch das
Semikolon in einem gut gegliederten Satze nur +einmal+ vorkommen; ein
Satz, der mehr als +ein+ Semikolon enthält, ist immer entweder schlecht
interpungiert oder schlecht gegliedert.

Aber auch in dem Gebrauche des Kommas werden mancherlei Fehler gemacht.
Wenn vor ein Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so gilt
im allgemeinen die Regel, diese Eigenschaftswörter durch Kommata
voneinander zu trennen. Manche wollen zwar neuerdings davon nichts
wissen, sie schreiben: ein +guter treuer anhänglicher zuverlässiger
Mensch+; aber das verstößt gegen die Betonung der lebendigen Sprache,
die bei solchen längern Attributreihen hinter jedem Attribut eine
fühlbare kleine Pause macht, und vor allem: man beraubt sich damit
sehr notwendiger Unterscheidungen. Es ist ein großer Unterschied, ob
ich schreibe: er hatte eine +tiefe, staatsmännische Einsicht+ oder:
eine +tiefe staatsmännische Einsicht+ -- hier schließt der +erste,
historische Abschnitt+ oder: der +erste historische Abschnitt+
des Buches. Im ersten Falle stehen die beiden Attribute parallel
zueinander, das zweite erläutert das erste: er hatte eine tiefe,
(wahrhaft oder echt) staatsmännische Einsicht -- hier schließt
der erste, (nämlich) historische Abschnitt des Buches. Im zweiten
Falle bildet das zweite Attribut mit dem Hauptwort einen einzigen
Begriff, sodaß tatsächlich nur +ein+ Attribut übrig bleibt: er
hatte staatsmännische Einsicht, und diese war tief -- das Buch hat
mehrere historische Abschnitte, und hier schließt der erste davon
(vgl. S. 301). Auf solche Weise kann sogar ein drittes Attribut
wieder dem zweiten übergeordnet werden. Es darf also kein Komma
stehen in folgenden Verbindungen: ein +starker demokratischer Zug+,
eine +liebenswürdige alte Jungfer+, die +nackteste persönliche
Herrschsucht+, das +jahrelange geistliche Eifern+, der +unvermeidliche
tragische Ausgang+, nach +überstandnem sturmvollem Leben+, von
+gewissen hohen österreichischen Offizieren+, die +ganze vielgepriesene
englische Kirchlichkeit+. Ebenso muß ohne Komma geschrieben werden:
das +andre der klassischen Richtung angehörige Drama+ -- wenn der
betreffende Dichter mehrere der klassischen Richtung angehörige Dramen
geschrieben hat, wogegen das Komma nicht fehlen dürfte, wenn er nur
zwei Dramen geschrieben hätte, eins, das der modernen, und eins, das
der klassischen Richtung angehört.

Wenn zwei Hauptsätze oder auch zwei Nebensätze durch +und+ verbunden
werden, so gilt im allgemeinen die verständige Regel, daß vor +und+ ein
Komma stehen müsse, wenn hinter +und+ ein neues Subjekt folgt, dagegen
das Komma wegbleiben müsse, wenn das Subjekt dasselbe bleibt. Natürlich
ist dabei unter Subjekt das grammatische Subjekt zu verstehen, nicht
das logische. Seinem Begriffe nach mag das zweite Subjekt dasselbe sein
wie das erste: sowie es grammatisch durch ein Fürwort (+er+, +dieser+)
erneuert wird, darf auch das Komma nicht fehlen. Dagegen wird niemand
vor +und+ ein Komma setzen, wo +und+ nur zwei Wörter verbindet. Doch
sind Ausnahmefälle denkbar, z. B.: er welkt, +und+ blüht nicht mehr
-- in Leipzig, wo man so viel, +und+ so viel gute Musik hören kann --
er war unfähig als Heerführer, +und+ als Mensch unbedeutend und wenig
sympathisch. Er blüht +und+ duftet nicht mehr -- da wäre das Komma
überflüssig. In solchen Fällen tritt der zweite Zweck der Interpunktion
in seine Rechte: die Pausen und die Betonung der lebendigen Sprache
auszudrücken, selbst abweichend von dem ersten, die Gliederung des
Satzbaus zu unterstützen.

Auch vor einem Infinitiv mit +zu+ ist es wohl allgemein üblich, ein
Komma zu setzen. Manche lassen es zwar hier jetzt weg, namentlich wenn
der Infinitiv ganz unbekleidet ist; sie halten es für überflüssig, ein
so kurzes, nur aus zwei Wörtern bestehendes Glied durch ein besondres
Zeichen abzutrennen. Es empfiehlt sich aber doch, es zu setzen, da
sonst leicht Zweifel oder Mißverständnisse entstehen können. Wenn
jemand schreibt: es ist +schwer zu verstehen+ -- so kann der Sinn nur
sein: es ist zu verstehen, aber schwer. Wenn man aber ausdrücken will:
es bereitet Schwierigkeiten, es zu verstehen? Das kann nur durch ein
Komma deutlich gemacht werden. Man muß also unterscheiden zwischen: +es
ist nicht gut, zu verlangen+ und: +es ist nicht gut zu verlangen+ --
es war +ein Fest, zu sehen+ und: es war +ein Fest zu sehen+. Aber auch
in Sätzen wie: er befahl +ihm Gläser zu bringen+ -- die ultramontane
Presse +verstand es bald+ allerlei Mißverständnisse +aufzufinden+
-- entsteht der Zweifel: wozu gehört +ihm+? wozu gehört +bald+? zu
+verstehen+ oder zu +auffinden+? Ein Komma hebt sofort den Zweifel.

Nur in einem Falle ist es nicht nur überflüssig, sondern geradezu
störend, vor den Infinitiv mit +zu+ ein Komma zu setzen, nämlich dann,
wenn der Infinitiv ein Objekt oder ein Adverb bei sich hat, und dieses
vor dem regierenden Verbum steht, von dem der Infinitiv abhängt, z. B.:
+diesen Gedanken+ könnte man +versucht sein+, mit Wallenstein herzlich
dumm +zu nennen+. Diesen Gedanken könnte man versucht sein -- das ist
nur ein Satzbruchstück ohne allen Sinn, was soll da das Komma? Es
ist aber auch durch die lebendige Sprache hier nicht gerechtfertigt,
denn niemand wird hinter +versucht sein+ im Sprechen anhalten, alles
drängt zu dem Infinitiv, der erst das Objekt verständlich macht,
das vorläufig noch in der Luft schwebt. Es ist also richtiger, ohne
Komma zu schreiben: bares Geld gelang es ihm nicht sich anzueignen
-- tatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein in dem bändereichen
Werke aufzustöbern -- was bemüht man sich mit dem Worte Sozialismus
zu benennen? -- alle Abfälle hatte sie sich ausgebeten ihm bringen
zu dürfen -- auf die Erhaltung des Waldes war die Behörde geneigt das
entscheidende Gewicht zu legen -- gegen diese Szene liegt es uns fern
uns hier zu ereifern -- ich gebe dir keinen Rat, den ich nicht bereit
wäre selber zu befolgen -- die Anforderungen, die wir uns gewöhnt haben
an eine solche Ausgabe zu stellen -- der Wust von Aberglauben, den der
Vorgänger sich rühmte ausgefegt zu haben -- der Unterschied, den der
Offizier gewohnt ist zwischen seiner Stellung als solcher und der als
Gentleman zu machen -- die Oberamtsrichter, denen manche geneigt sind
die Rektoren gleichzustellen -- seine Verwandten, für die es vor allem
seine Pflicht wäre zu sorgen.

Unbegreiflich ist es, daß man die beiden verschiednen +ja+, die es
gibt, das beteuernde und das steigernde, nie richtig unterschieden
findet, und doch sind sie durch die Interpunktion so leicht zu
unterscheiden. Ein Komma gehört nur hinter das beteuernde +ja+, denn
nur hinter diesem wird beim Sprechen eine Pause gemacht: +ja+, es waren
herrliche Tage! Das steigernde +ja+ dagegen wird mit dem folgenden
Worte fast in eins verschmolzen: sie duldete diese Mißhandlungen, +ja
sie+ schien sie zu verlangen -- es ist wünschenswert, +ja+ geradezu
unerläßlich -- hinter Frankreich liegt der Atlantische Ozean, +ja
man+ kann sagen die ganze andre Welt. Was soll da ein Komma? Ebenso
töricht ist es, ein doppeltes +ja+ (+ja ja+), ein doppeltes +nein+
(+nein nein+), +ei ei!+ +na na+ oder gar das +ha ha!+, das das Lachen
ausdrücken soll, durch Kommata zu trennen, wie man es in Erzählungen
und Schauspielen überall gedruckt lesen muß. Man spricht doch nicht
+ja+ (Pause), +ja+, sondern +jajjah+, +neinnein+, als ob es nur +ein+
Wort wäre. Und vollends +ha+ (Komma) +ha+! Wer lacht so?

Ganz verkehrt wird von vielen das Kolon (:) angewandt: sie setzen
es statt des Semikolons (;) und stören damit den, der die Bedeutung
der Satzzeichen kennt, auf ärgerliche Weise. Das Semikolon schließt
ab wie der Punkt; das Kolon schließt -- auf, es hat vorbereitenden,
spannungerweckenden, aussichteröffnenden Sinn, ein gut gesetztes Kolon
wirkt, wie wenn eine Tür geöffnet, ein Vorhang weggezogen wird. Daher
steht es vor allem vor jeder direkten Rede (vor die indirekte gehört
das Komma!); es ist aber auch überall da am Platze, wo es so viel
bedeutet wie +nämlich+, z. B.: der Verfasser hat mehr getan als diesen
Wunsch erfüllt: er hat die Aufsätze vielfach erweitert und ergänzt --
oder wo es dazu dient, die Folgen, das Ergebnis, das erwartete oder
unerwartete Ergebnis des vorhergeschilderten einzuleiten, z. B.: wir
baten, flehten, schmollten: er blieb ungerührt und sprach von etwas
anderm.

Geschmacklos ist es, die der Betonung dienenden Zeichen, das
Fragezeichen und das Ausrufezeichen, zu verdoppeln, zu verdreifachen
oder miteinander zu verbinden: ??, !!!, ?! Dergleichen schreit
den Leser förmlich an, und das darf man sich doch verbitten. Eine
Abgeschmacktheit ohnegleichen aber ist es, halbe oder ganze Zeilen mit
Punkten oder Gedankenstrichen zu füllen, wie es unsre Romanschreiber
und Feuilletonisten jetzt lieben. Das soll geistreich aussehen, den
Schein erwecken, als ob der Verfasser vor Gedanken und Bildern beinahe
platzte, sie gar nicht alle aussprechen oder ausführen könnte, sondern
dem Leser sich auszumalen überlassen müßte. Es ist aber meistens
nur Wind; wer etwas zu sagen hat, der sagt es schon. Nur +eine+
Abgeschmacktheit kommt dieser noch gleich, die neueste Zierde des
Feuilletonstils: eine Menge kleiner Nebensätze jeden mit einem Punkt
abzuschließen, sodaß die aus Hauptsatz und Nebensätzen bestehende
Periode dem Leser in lauter Brocken vorgesetzt wird. Auch das soll
geistreich aussehen, den Schein höchster dramatischer Lebendigkeit der
Gedankenerzeugung und -einkleidung erregen. In Wahrheit ist es eine
krasse Stillosigkeit, eine abgeschmackte Manier.


Fließender Stil

Man spricht so viel von fließendem Stil, beneidet wohl auch den und
jenen um seinen fließenden Stil. Ist das Sache der Begabung, oder ist
es etwas erlernbares?

Zum Teil beruht das, was man fließenden Stil nennt, unzweifelhaft
auf der Klarheit des Denkens und der Folgerichtigkeit der
Gedankenentwicklung -- nur wer sich selbst über eine Sache völlig
klar geworden ist, kann sie auch andern klarmachen --, zum Teil
auch auf Rhythmus und Wohllaut -- es wird viel zu viel stumm
geschrieben, während man doch nichts drucken lassen sollte, was man
sich nicht selber laut vorgelesen hat![151] --, zum größten Teil
aber beruht es auf gewissen technischen Handgriffen beim Satzbau --
Handwerksvorteilchen möchte ich sagen --, die man eben kennen muß, um
sie anwenden zu können. Unbewußt und unwillkürlich wendet sie niemand
an. Es gibt zwar auch einen Naturburschenstil, der den Leser durch eine
gewisse Gewandtheit ein paar Seiten lang täuschen kann; dann kommt
aber plötzlich ein Satz, der deutlich verrät, daß der Verfasser nur
zufällig, nicht mit Bewußtsein fließend geschrieben hat.

Den angenehmen Eindruck, daß jemand fließend schreibe, hat man
dann, wenn beim Lesen das Verständnis, die geistige Auffassung des
Geschriebnen immer gleichen Schritt hält mit der sinnlichen Auffassung,
die durch das Auge vor sich geht. Ist das nicht der Fall, ist man öfter
genötigt, stehen zu bleiben, mit den Augen wieder zurückzukehren, einen
ganzen Satz, einen halben Satz oder auch nur ein paar Worte noch einmal
zu lesen, weil man sieht, daß man das Gelesene falsch verstanden hat,
so spricht man von holprigem oder höckrigem Stil. Solch ärgerliches
Mißverständnis kann aber die verschiedensten Ursachen haben. Wer diese
Ursachen zu vermeiden weiß, wer den Leser jederzeit +zwingt+, gleich
beim ersten Lesen richtig zu verstehen, der schreibt einen fließenden
Stil. Das ist das ganze Geheimnis. Im folgenden sollen einige
Haupthindernisse eines fließenden Stils zusammengestellt werden.

Vor allem gehört zu ihnen die leider in unsrer Sprache weitverbreitete,
ungemein beliebte und doch das Verständnis, namentlich dem Ausländer,
aber auch dem Deutschen selbst überaus erschwerende Unsitte (so, wie es
hier soeben geschehen ist!), zwischen den Artikel und das zugehörige
Hauptwort langatmige Attribute einzuschieben, statt diese Attribute
in Nebensätzen nachzubringen. Dergleichen Verbindungen sind eine Qual
für den Leser. Man sieht einen Artikel: +die+. Dann folgt eine ganze
Reihe von Bestimmungen, von denen man zunächst gar nicht weiß, worauf
sie sich beziehen: +verbreitete+, +beliebte+, +erschwerende+. Endlich
kommt das erlösende Hauptwort: +Unsitte+! Während also das Auge weiter
gleitet, weiter irrt, wird unmittelbar hinter dem Artikel der Strom
der geistigen Auffassung unterbrochen, es entsteht eine Lücke, und der
Strom schließt sich erst wieder, wenn endlich das Hauptwort kommt.
Dann ist es aber zu spät, man hat die Übersicht über das Eingeschobne
längst verloren, muß wieder umkehren und das Ganze noch einmal lesen.
Eine solche Unterbrechung tritt zwar bei jedem eingeschobnen Attribut
ein, aber bei kurzen Attributen doch in so geringem Maße, daß man
sie gar nicht fühlt. Je länger das Attribut ist, desto empfindlicher
und störender wirkt die Lücke. Nur ein guter Schriftsteller hat ein
richtiges und feines Gefühl dafür, was er dem Leser in dieser Beziehung
zumuten darf. Unsre Kanzlisten und Zeitungschreiber haben meist keine
Ahnung davon; sie schreiben seelenvergnügt, indem sie immer ein
Attribut ins andre schachteln: das Gericht wolle erkennen, der Geklagte
(!) sei schuldig, mir für +die+ von mir an +die+ in +dem+ von ihm
zur Bearbeitung übernommenen +Steinbruch+ beschäftigten +Arbeiter+
vorgeschossenen +Arbeitslöhne+ Ersatz zu leisten -- oder: von +einer+
durch +einen+ in +einer Umwälzung+ in den wichtigsten Einrichtungen
aller Kulturstaaten bestehenden +Vorteil+ ausgezeichneten +Erfindung+
sind einige Gewinnanteile zu verkaufen -- oder: mit +einem+ von +dem+
auf +der+ nach +dem Wasser+ zu gelegnen +Veranda+ aufgestellten
+Musikkorps+ des ersten Gardedragonerregiments geblasenen +Choral+
wurde die Feierlichkeit eröffnet.

Ein zweites Haupthindernis eines fließenden Stils ist schon früher
besprochen worden und soll hier nur noch einmal kurz erwähnt werden:
es ist der unvorsichtige Gebrauch der Fürwörter (vgl. S. 224). Wie
ärgerlich wird man beim Lesen aufgehalten durch ein +er+, +sie+, +ihm+,
+ihn+, +sein+, +ihr+, +diesem+, wenn man nicht sofort sieht, auf wen
oder was es sich bezieht! Wo irgendein Mißverständnis möglich ist,
sollte immer statt des Fürworts wieder das Hauptwort gesetzt werden.

Eine dritte Unsitte, die das Verständnis alles Deutschgeschriebnen
in neuerer Zeit in der peinlichsten Weise erschwert, besteht darin,
daß man das eigentliche und wirkliche Hauptwort des Satzes, nämlich
das Verbum, immer in ein Substantiv verwandelt, entweder in ein
wirkliches Substantiv oder in einen substantivierten Infinitiv. Da
wird z. B. geschrieben: der +Zuhilfenahme+ eines besondern Rechts der
Persönlichkeit bedarf es nicht (statt: ein besondres Recht zu Hilfe
zu nehmen ist nicht nötig) -- beim +Unterbleiben+ einer baldigen
+Inangriffnahme+ des Projekts (statt: wenn das Projekt nicht bald in
Angriff genommen wird) -- nach +Umarbeitung+ eines Teils der Lieder zum
Zwecke der +Herstellung+ ihrer +Sangbarkeit+ für Männerchöre an höhern
Schulen (statt: nachdem ein Teil der Lieder umgearbeitet worden ist, um
sie sangbar zu machen) -- aus Gründen der +Zugänglichmachung+ dieses
Vorteils für das große Publikum -- (statt: um diesen Vorteil zugänglich
zu machen) -- im Interesse der +Vermeidung+ von Wiederholungen (statt:
um Wiederholungen zu vermeiden) -- trotz der seitens des Vorsitzenden
erfolgten +Ablehnung+ des Antrags des Angeklagten auf +Vorladung+ des
Kellners (statt: obgleich der Vorsitzende den Antrag des Angeklagten
ablehnte, den Kellner vorzuladen) -- das +Mißlingen+ des Versuchs
muß natürlich sein +Aufgeben+ zur +Folge+ haben (statt: wenn der
Versuch mißlingt, muß er natürlich aufgegeben werden) -- für die
+Mehrzahl+ der Reisenden hat die +Erweiterung+ des Gesichtskreises
aufgehört der +Reisezweck+ zu sein (statt: die meisten reisen nicht
mehr, um ihren Gesichtskreis zu erweitern) -- die +Voraussetzung+
für die +Patentierung+ eines Advokaten bildet eine mehrjährige
+Hilfsarbeiterschaft+ in einem Bureau (statt: wer als Advokat
patentiert sein will, muß mehrere Jahre Hilfsarbeiter gewesen sein)
-- es gibt eine Grenze, bei deren +Überschreitung+ die +Vermehrung+
der +Bevölkerung+ nicht zur +Erhöhung+, sondern zur +Verminderung+
des Wohlstandes führt (statt: das Wachstum der Bevölkerung hat eine
Grenze; wird diese überschritten, so wird der Volkswohlstand nicht
vermehrt, sondern vermindert). Es gibt Schriftsteller, bei denen diese
Art, sich auszudrücken, vollständig zur Manier geworden ist; sie haben
sich so hinein verrannt, daß sie nicht wieder davon loskommen. Jeder
Gedanke, der vor ihrer Seele auftaucht, nimmt sofort die Gestalt eines
Substantivs an, jeder Hauptsatz, jeder Nebensatz gerinnt ihnen zu einem
Substantiv. +Erweitern+ -- das können sie gar nicht mehr denken, sie
denken nur noch +Erweiterung+.[152] Statt +um zu+, +weil+, +so daß+,
+wenn+ schwebt ihnen sofort +Zweck+, +Grund+, +Interesse+, +Folge+,
+Voraussetzung+ vor. Wenn ein gewissenhafter Redakteur mit solchen
Mitarbeitern zu tun hat, so bleibt ihm gar nichts weiter übrig, als
Satz für Satz die harten Substantivschalen entzweizuschlagen und
überall den weichen Verbalkern herauszuholen, mit andern Worten: Satz
für Satz umzuschreiben, aus der Substantivsprache in die Verbalsprache
zu übersetzen. Verba erhalten den Satzbau geschmeidig und flüssig,
sie lassen sich in der mannigfaltigsten Weise bekleiden, ohne daß die
Sätze beschwert werden und dadurch schleppend werden. Sowie man aber
den Verbalbegriff substantiviert, entstehen nicht nur so häßliche
Bildungen wie: +Zuhilfenahme+, +Inangriffnahme+, +Inanspruchnahme+,
+Beiseiteschiebung+, +Zugänglichmachung+, +Zurannahmebringung+,
+Inanklagestandversetzung+, sondern diese zähen Verbalextrakte müssen
nun auch erst wieder durch irgendeinen wässerigen, gehaltlosen Zusatz
wie +stattfinden+, +erfolgen+, +bewirken+ in den flüssigen Zustand
zurückversetzt werden, der für den Satzbau notwendig ist. Außerdem
verbaut man sich durch solche Substantivierung selbst den Weg, verfitzt
sich den Satz, und adverbielle Bestimmungen geraten in die Gefahr,
falsch bezogen zu werden, wie in folgenden Sätzen: Seine Majestät
+gab das Zeichen+ zum Beginn der Feier +durch Absingung+ eines
Chorals (statt: durch Absingung +zu beginnen+) -- man +verzichtete+
auf die Beantwortung einer Thronrede +durch eine Adresse+ (statt:
durch eine Adresse +zu beantworten+) -- K. wurde der Körperverletzung
+mittels eines schweren Werkzeuges angeklagt+ (statt: mittels eines
schweren Werkzeuges +verletzt zu haben+) -- ein Expedient wurde wegen
Unterschlagung von 750 Mark +zum Nachteil seines Prinzipals verhaftet+
(statt: weil er zum Nachteil seines Prinzipals oder einfach: seinem
Prinzipal +unterschlagen hatte+) -- die Fischerinnung hat das Befahren
der Flüsse innerhalb der Stadtflur +mit Booten und Kähnen verboten+
(statt: mit Booten und Kähnen +zu befahren+). Eine adverbielle
Bestimmung gehört, wie ihr Name sagt, zunächst zum Verbum; wird
dieses Verbum substantiviert, so flüchtet sie eben zu einem andern
Verbum, und der Unsinn ist fertig. Namentlich in unsrer Gesetz- und
Verordnungssprache spielt dieser Fehler eine große Rolle; Tausende von
Bekanntmachungen, Verordnungen, Warnungen und Verboten, aber auch die
einzelnen Punkte von Tagesordnungen und Protokollen fangen gewöhnlich
gleich mit einem Verbalsubstantiv oder einem substantivierten Infinitiv
an und quälen dann sich und die Leser mit allem, was darauf folgt.

Ein vierter, sehr häufiger Fehler, aus dem das gerade Gegenteil eines
fließenden Stils entspringt, besteht darin, daß ein ~casus obliquus~
eines Hauptworts so im Satze gestellt wird, daß er beim ersten Lesen
entweder nicht erkannt wird oder falsch bezogen werden muß. Sehr
gewöhnlich ist es z. B., daß ein Satz mit einem Akkusativ angefangen
wird, der, weil er ein Femininum, ein Neutrum oder ein Plural ist oder
keinen Artikel hat, nicht eher als Akkusativ erkannt wird, als bis
-- oft ziemlich spät -- das Subjekt folgt[153]; bis dahin hält ihn
jeder Leser für den Nominativ, also für das Subjekt des Satzes, z. B.:
+die Pflege+ und die Wartung des jüngsten Kindes besorgt die Hausfrau
selbst -- +die Frage+, ob es richtig war, auch die schon seit längerer
Zeit ansässigen Einwandrer auszuweisen, untersuche ich hier nicht --
+seine Erziehung+ hatte bisher nach der allgemeinen Gewohnheit in
hochadligen Familien ein Priester geleitet -- die beste +Schilderung+
Corneliens, zugleich ein herrliches Denkmal dankbarer Liebe, haben
wir in Wahrheit und Dichtung -- die +harmlose Geselligkeit+ der
anständigen Restaurationen will der Ankläger nicht gemeint haben --
+die Einreihung+ der nicht teuern Bände in jede Familienbibliothek
befürworte ich aufs wärmste -- +das Orchester+ führte schneidig
und mit Umsicht Herr Kapellmeister P. -- +das große Pferd+, dessen
mythologische Bedeutung schon durch die Statue auf der Säule nahegelegt
wird, hat Thausing als Herkules gedeutet -- +das geistige Leben+
beherrscht auf der einen Seite die bald in scholastischer Erstarrung
erstickende lutherische Theologie, auf der andern der Jesuitismus --
+anerkannte Namen+ von bestem Klange wie aufstrebende neue Talente hat
unsre Mitarbeiterliste aufzuweisen -- des Kaisers +Sieg+ bei Mühlberg,
nach dem die Tage des Evangeliums gezählt schienen, feierte Agricola
durch einen Dankgottesdienst -- +die Herren+, die sich an unserm
Fortbildungskursus beteiligen wollen, ersuchen wir usw. Aber auch andre
Fälle solcher falscher Beziehungen kommen vor, wie folgende Beispiele
zeigen (das Mißverständnis, in das jeder Leser zunächst verfällt, soll
durch den Druck hervorgehoben werden): +diese volle Unabhängigkeit+
fordernde Stelle -- +in einem Ende+ November 1862 an das Ministerium
gerichteten Schreiben -- die Sozialdemokratie besteht noch +in dem
Staate+ gefahrdrohender Weise -- der Staatsbetrug der Armeelieferanten
ist mir lieber als +der der Staatsteile+ verschachernden Fürsten -- es
handelt sich um +eine sehr weite+ Kreise interessierende Angelegenheit
-- um sie +zu allen Anforderungen+ entsprechenden Soldaten zu machen --
die Absicht, den Platz +mit dem Festzweck+ entsprechenden Dauerbauten
zu versehen -- sie hat ihm +zu seinem Aufsehen+ erregenden Mädchenbilde
gesessen -- mit Rücksicht +auf die Befähigten+ zu erteilende Ausbildung
-- das nationale Gefühl ist +durch Jahrhunderte+ lange Trennung
geschwächt -- die beiden Täler werden +von Steinforellen+ enthaltenden
Bächen durchflossen -- diese Konglomerate von +kleinlichen,
detaillierten Spezialforderungen+ anzupassenden Verwaltungsräumen --
+es traten sich mühsam+ mit der Gitarre begleitende Sängerinnen auf usw.
In allen diesen Sätzen verbindet man im ersten Augenblicke falsch; im
nächsten Augenblicke sieht man natürlich die richtige Verbindung, aber
seinen Rippenstoß hat man weg.

Viele Druckseiten könnten hier mit Beispielen der verschiedensten
Art gefüllt werden, die alle darauf hinauslaufen, daß der Leser beim
ersten Lesen falsch versteht, an einer gewissen Stelle merkt, daß er
falsch verstanden hat, und deshalb umkehren und das Gelesene gleichsam
umdenken muß. Sehr häufig ist der Fall, daß dem Schreibenden bei
einem Fürwort, einem Partizip, einem Adverb ein erst später folgendes
Hauptwort oder Zeitwort vorschwebt, während es der Leser, der das nicht
wissen kann, auf ein schon dagewesenes bezieht. Welche Störung dann!
Da wird z. B. geschrieben: in Berlin gelang es +Bandel+ nicht, festen
Fuß zu fassen; mit der brutalen Deutlichkeit, die +ihm+ eigen war,
erklärte ihm +Schadow+ usw. (hier wird jeder Leser +ihm+ zunächst auf
Bandel beziehen, während es auf Schadow gehen soll) -- die Gedichte
wurden meine Einführungsbriefe bei den Dichtern Münchens, die ich fast
alle in diesen Jahren im Hause meines Vaters kennen lernte; als +Glied
des Leseausschusses+, als Regisseur, als Träger der Heldenrollen und
wahrlich nicht am wenigsten als einsichtsvoller und wohlwollender
Berater, als ein in allen Stücken prächtiger Mann war +er+ von den
Herren gar eifrig gesucht (hier bezieht der Leser alle die schönen
Prädikate des zweiten Satzes auf +ich+, bis er zuletzt merkt, daß sie
sich auf +er+ beziehen) -- wie sehr unsre Landsleute am Vaterlande
hängen, bewies die reiche +Spende+, die sie zum Bismarckdenkmal
herübersandten. In herrlichem Gartengrün +verborgen, umgeben+ von
tropischer Blumenpracht, hat der deutsche Verein in Honolulu sein
+eignes Heim+ (hier versucht man, die Partizipia +verborgen+ und
+umgeben+ zunächst auf +Spende+ zu beziehen, bis man endlich merkt,
daß sie zu +Heim+ gehören sollen) -- diese Idee +kam+ von außen, +aus+
der römisch gebildeten +Umgebung+ des Königs und aus den Bedürfnissen
des römischen Papsttums +erwuchs sie+ (hier merkt man erst, daß man
das zweite +aus+, und was darauf folgt, fälschlich mit +kam+ verbunden
hat) -- obgleich ich nicht wußte, ob ich sitzen bleiben dürfte oder
mich zurückziehen müßte, blieb ich doch +sitzen+. +So sehr+ hatte
mich die bewundernswerte Persönlichkeit des Grafen gefangen genommen,
daß ich selbst die gewöhnlichsten Gesellschaftsregeln +außer acht
ließ+ (hier bezieht man +so sehr+ zunächst auf das vorhergehende
+sitzen bleiben+, es soll aber den kommenden Folgesatz vorbereiten)
-- das ist zum erstenmal der volle, unvergleichliche +Beethoven+; und
angesichts dieser Stelle kann man es nur mit der Eile, mit der +er+
schrieb, entschuldigen, daß +Berlioz+ in dieser Sinfonie nur Haydnsche
Musik gesehen hat (hier bezieht jeder Leser das +er+, womit Berlioz
gemeint ist, zunächst auf Beethoven). Auch wenn geschrieben wird:
diese Urkunden +ändern+ das Bild, das man sich von jenen Sekten und
von der zu ihrer Vertilgung eingesetzten Inquisition gemacht hatte,
+nicht wesentlich+ -- die jetzige ritterschaftliche Vertretung besitzt
in ihrer Mehrheit das nötige Verständnis für die Aufgaben ihrer Zeit
+nicht+ -- Wien +hat den Ruhm+, unter allen deutschen Hauptstädten
zuerst eine Pflegstätte für das musikalische Lustspiel, die idyllische,
bürgerliche und lyrisch-romantische Oper zu besitzen, +nicht lange
genossen+ -- so liegt derselbe Fehler vor. Daß Wien den Ruhm nicht
lange genossen hat, erfährt der Leser zu spät; bis dahin hat er glauben
müssen, es hätte ihn überhaupt.

Abzuhelfen ist solchen Anstößen, wie man sieht, auf die verschiedenste
Weise, aber immer sehr leicht: ein denkender Schriftsteller wird
sich überall schnell zu helfen wissen, sobald er nur -- den Anstoß
bemerkt. Aber das ist eben das schlimme, daß der Schriftsteller selber
gewöhnlich solche Anstöße +nicht+ bemerkt, nur der Leser bemerkt
sie. Wie dem abzuhelfen sei? Vor allem dadurch, daß man sich beim
Lesen dessen, was andre geschrieben haben, überall da, wo man hängen
bleibt, darüber Rechenschaft gibt, warum man hängen bleibt, und dann
dergleichen vermeidet. Man kann es darin bei einigem guten Willen sehr
bald zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Ein andres, sehr einfaches
Mittel ist, daß man nichts naß in die Druckerei gibt, sondern alles,
was man geschrieben hat, wenn auch nicht ~nonum in annum~, so doch
einige Tage lang beiseite legt und dann wieder vornimmt. In dieser
Zwischenzeit ist es einem gewöhnlich so fremd geworden, daß man von all
den Anstößen, die jeden andern Leser verletzen würden, selber verletzt
wird, sie also noch rechtzeitig beseitigen kann.

Auf jeden Fall sollten folgende stilistische Haus- und Lebensregeln
beobachtet werden: 1. schreibe Zeitwörter, nicht Hauptwörter! 2.
schreibe Hauptwörter, nicht Fürwörter! 3. schachtle nicht, sondern
schreibe Nebensätze! 4. schreibe laut! schreibe nicht immer bloß für
die Augen, sondern vor allem auch für die Ohren! Mit der Beobachtung
dieser Regeln und Ratschläge wird man freilich noch lange kein großer
Schriftsteller, aber ohne sie auch nicht. Die Schriftstellerei ist eine
Kunst, und jede Kunst hat ihre Technik, die gelehrt und gelernt werden
kann. Wie der Maler malen, so muß der Schriftsteller schreiben können,
und der geistvollste Schriftsteller kann sich um alle Wirkung bringen,
wenn er seine Leser aller Augenblicke durch Ungeschicklichkeiten und
lumpige technische Schnitzer stört und ärgert.



Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung

[Illustration]



[Illustration]


Die Stoffnamen

Zahllose Fehler und Geschmacklosigkeiten werden in der Wahl und der
Anwendung der Wörter begangen.

Alle Stoffnamen wie: +Wein+, +Bier+, +Blut+, +Eisen+, können von Rechts
wegen nur im Singular gebraucht werden, und so priesen denn auch früher
unsre Kaufleute nur ihren guten +Lack+ oder +Firnis+ an, auch wenn
sie noch so viel Sorten hatten. Von einigen solchen Wörtern hatte man
aber doch gewagt, den Plural zu bilden, um die Mehrzahl der Sorten
zu bezeichnen, und wir haben uns allmählich daran gewöhnt. Schon das
sechzehnte Jahrhundert kannte die Plurale: +die Bier+, +die Wein+, im
Faust heißt es: ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
doch ihre +Weine+ trinkt er gern, und die Chemie und die Technologie
reden schon lange von +Ölen+ und +Fetten+. Neuerdings wird aber doch
diese Pluralbildung in unerträglicher Weise ausgedehnt; man empfiehlt
nicht nur +Lacke+, +Firnisse+, +Öle+ und +Seifen+, sondern auch
+Mehle+, +Grieße+, +Essige+, +Salate+, +Honige+, +Tabake+, +Zwirne+,
+Garne+, +Wollen+ (Strick- und Häkelwollen!), +Tuche+, +Seiden+,
+Flanelle+, +Plüsche+, +Tülle+, +Battiste+, +Kattune+, +Damaste+,
+Barchente+ -- +Tees+, +Kaffees+, +Kakaos+, +Buckskins+ usw. Diese
Formen, die die immer rücksichtsloser werdende Reklamesprache unsrer
Kaufleute geschaffen hat, haben etwas stammelndes, sie klingen wirklich
wie Kindergelall. Wenn auf diesem Wege weitergegangen würde, müßte man
in Zukunft auch +Wachse+, +Leime+, +Kalke+, +Porzellane+, ja sogar
+Fleische+, +Wurste+, +Korne+, +Glase+, +Stahle+ anpreisen können.
Denn +Würste+, +Körner+, +Gläser+, +Stähle+ (Plättstähle sagt man in
Leipzig) sind doch etwas andres, sie bezeichnen die einzelnen Stücke,
aber nicht die Sorten; ähnlich die +Kälke+, von denen die Gerber früher
sprachen. Die Geologen reden bereits von +Sanden+ und +Tonen+, statt
von Sand- und Tonarten. Wo ist die Grenze? Und wie will man überhaupt
eine Mehrzahl bilden von +Schiefer+, +Zucker+, +Obst+, +Milch+,
+Butter+, +Käse+, +Leinwand+, +Flachs+, +Spiritus+, +Petroleum+? Das
Bedürfnis, die verschiednen Sorten auszudrücken, ist doch bei diesen
Dingen gewiß ebenso stark wie bei andern. An der Firma einer Leipziger
Handlung steht: +Stahl aller Art+. Wie vornehm klingt das! Man freut
sich jedesmal, wenn man vorbeigeht. Wie dumm dagegen ist die Mehrzahl
+Abfallseifen+! Wenn es irgend etwas gibt, was man nicht in den Plural
setzen kann, so ist es doch das Sammelsurium, daß man als „Abfallseife“
bezeichnet.

Ein wunderliches Gegenstück zu diesen anstößigen Pluralen ist es, daß
von manchen Wörtern die Mehrzahl jetzt auffällig vermieden wird. Von
den schönen +Haaren+ einer Frau zu sprechen, gilt nicht für fein; nur
daß sie schönes +Haar+ habe, hört sie gern. Und beim Schneider bestellt
man sich nicht mehr neue +Hosen+ -- das wäre ja ganz plebejisch! --,
nein, eine neue +Hose+. Was will man denn aber mit +einer+ Hose?
Man hat doch zwei Beine, also wird man auch immer ein Paar +Hosen+
brauchen. +Hose+ bedeutet doch nur die zylinderförmige Hülse für +ein+
Bein. Vornehme Leute haben allerdings auch keine Beine mehr, sondern
nur noch Füße. Ich habe mich an den Fuß gestoßen, sagt die feine
Dame; wenn man sie aber nach der Stelle fragt, zeigt sie -- auf den
Oberschenkel.


Verwechselte Wörter

Nicht bloß Kindern, auch Erwachsenen, oft sogar recht „gebildeten“
Erwachsenen begegnet es, daß sie ein Wort in falschem Sinne gebrauchen
oder zwei Wörter oder Redensarten miteinander verwechseln oder
vermengen. Es fehlt ihnen dann an der nötigen Spracherfahrung. Sie
haben die Wörter noch nicht oft genug gehört, oder sie haben nicht
scharf genug auf den Zusammenhang geachtet, worin ihnen die Wörter
vorgekommen sind, und so verbinden sie nun einen falschen Sinn damit.
Es gibt Bücher über Shakespeares, Goethes, Schillers +Frauengestalten+.
Darunter hat wohl noch niemand etwas andres verstanden als die
Frauen in den Werken der drei Dichter. Vor kurzem ist aber ein Buch
erschienen: +Lenaus Frauengestalten+. Das behandelt „diejenigen (!)
Frauen, welche (!) bedeutsam (!) in das Leben und Werden (!) Lenaus
eingegriffen haben“. Wenn eine solche Begriffsverwechslung einem
Schriftsteller begegnet, dann kann man den Schenkwirten keinen Vorwurf
machen, wenn sie neuerdings mit Vorliebe auf die +kleinen Preise+
ihrer Speisekarte aufmerksam machen. Zwischen +Preis+ (~praemium~) und
+Preis+ (~pretium~) ist ein Unterschied. Große und +kleine Preise+
gibt es bei Preisausschreiben und Preisverteilungen; im Handel aber
gibt es nur hohe und +niedrige+ oder +billige+ oder +mäßige Preise+.
Man scheint zu glauben, daß man durch +niedrige+ Preise das Publikum
beleidige; Sängerinnen veranstalten schon Konzerte zu +volkstümlichen+,
sogar +populären+ Preisen.[154] In den Zeitungen kann man jeden Tag
lesen, daß ein Erkrankter oder ein Verunglückter in das oder jenes
Krankenhaus +eingeliefert+ worden sei. Welche Roheit! Ein Verbrecher
wird ins Gefängnis +eingeliefert+, nachdem er verhaftet worden ist,
aber doch nicht ein armer Kranker!

Oft verwechselt werden jetzt von Hauptwörtern: +Neuheit+ und
+Neuigkeit+, +Wirkung+ und +Wirksamkeit+, +Folge+ und +Erfolg+, von
Zeitwörtern: +zeigen+, +zeichnen+, +bezeichnen+ und +kennzeichnen+,
+verlauten+ und +verlautbaren+ u. a., von Adverbien: +regelmäßig+ und
+in der Regel+, +anscheinend+, +scheinbar+ und +augenscheinlich+,
+voran+ und +vorwärts+, +zumal+ und +besonders+.

+Neuheiten+ liegen in dem Schaufenster des Modewarenhändlers; in dem
des Buchhändlers liegen +Neuigkeiten+. Bis vor kurzem wenigstens ist
dieser Unterschied stets beobachtet und von literarischen Erzeugnissen
dasselbe Wort gebraucht worden wie von neuen Nachrichten: +Neuigkeit+.
Es hat einen geistigern Inhalt als +Neuheit+, und die Schriftsteller
sollten es sich verbitten, daß man ihre Erzeugnisse mit demselben Worte
bezeichnet wie die des Schneiders.

Von der +Wirksamkeit+ des Saxlehnerschen Bitterwassers zu reden ist
ebenso verkehrt, wie zu sagen: diese Maßregel verliert auf die Dauer
ihre +Wirksamkeit+. Der Pfarrer wirkt in seinem Amte, eine Maßregel
wirkt vielleicht im Verkehr, und das Bitterwasser wirkt in den
Gedärmen; aber nur der Pfarrer hat eine +Wirksamkeit+, die beiden
andern haben eine +Wirkung+.

Ebenso sinnwidrig ist es von dem +Erfolg+ zu knapper Mittel zu reden,
statt von den +Folgen+, denn ein +Erfolg+ ist etwas positives,
erfreuliches, zu knappe Mittel sind etwas negatives, unerfreuliches.

+Kennzeichnen+ ist sehr beliebt geworden, seitdem man es als Ersatz
für das Fremdwort +charakterisieren+ gebraucht. Es wird aber oft ganz
gedankenlos verwendet. Wenn geschrieben wird: welche Stellung er zur
Revolution einnahm, ist schon oben kurz +gekennzeichnet+ worden --
durch ihre Aussprüche +kennzeichnen+ sie ihre Zugehörigkeit zur stillen
Gemeinde -- wir haben das Buch als das +gekennzeichnet+, was es ist:
als eine Tendenzschrift -- der ungeheure Verbrauch von Offizieren muß
als ein Luxus +gekennzeichnet+ werden -- der Hauptraum, der als Halle
oder Kapelle +gekennzeichnet+ werden kann -- die ganze Kläglichkeit der
heutigen Handwerkspolitik hat Stieda trefflich +gekennzeichnet+ -- so
liegt auf der Hand, daß in den ersten drei Sätzen +zeigen+ (andeuten,
verraten, nachweisen), in den zwei nächsten +bezeichnen+, in dem
letzten einfach +zeichnen+ (schildern) gemeint ist.

+Verlauten+ ist ein intransitives Zeitwort und bedeutet: +laut werden+.
Es +verlautet+ etwas -- heißt: man erzählt es, man spricht davon.
+Verlautbaren+ dagegen (ein entsetzliches Kanzleiwort!) ist transitiv
und bedeutet: +laut aussprechen+, bekanntmachen. Ganz verkehrt ist es
also, zu sagen: es +verlautbart+ etwas.[155]

Sehr gern verwechselt werden auch +erhalten+ und +empfangen+: er
+empfing+ die Nachricht, daß sein Freund bankrott sei -- wenige Stunden
später +empfing+ Delbrück abermals ein Telegramm Bismarcks. Wenn man
Besuch +erhält+, so kann man ihn natürlich auch +empfangen+, entweder
freundlich oder höflich oder feierlich; aber Nachrichten, Briefe,
Telegramme, Geld usw. +erhält+ man, wenn es auch üblich ist, hinterher
den richtigen +Empfang+ anzuzeigen.

Falsch ist es auch, aber trotzdem sehr beliebt, reflexive Zeitwörter,
wie: +sich erheben+, +sich anschließen+, ihres rückbezüglichen Fürworts
zu berauben, sie als Intransitiva zu behandeln und zu schreiben: ein
Festaktus in der Aula mit +anschließendem+ Rundgange durch das Gebäude
-- die Versammlung bezeugte ihre Teilnahme durch +Erheben+ von den
Plätzen. Man erhebt +sich+, oder einfach: man -- +steht auf+!

+Regelmäßig+ ist dasselbe wie +immer+; +in der Regel+ aber ist nicht
dasselbe wie +immer+. Wer regelmäßig früh um fünf Uhr aufsteht, leistet
mehr, als wer es bloß in der Regel tut. Die Regel leidet eine Ausnahme,
die Regelmäßigkeit leidet keine.

Wenn eine Zeitung schreibt: die Herren verlebten einen +scheinbar+
ganz köstlichen Abend -- so ist das etwas ganz andres, als was der
Zeitungschreiber sagen will. Mit +scheinbar+ wird ein Anschein gleich
für falsch erklärt, mit +augenscheinlich+ wird er gleich für richtig
erklärt, mit +anscheinend+ wird gar kein Urteil ausgesprochen. Er
verzichtet +scheinbar+ auf einen Gewinn -- heißt: in Wahrheit ist
er ganz gierig darnach; er verzichtet +anscheinend+ -- heißt: es
kann sein, daß er verzichtet, es kann auch nicht sein; er verzichtet
+augenscheinlich+ -- heißt: er verzichtet offenbar.

+Voran+ bezeichnet einen Platz, und zwar den ersten Platz, die Spitze,
+vorwärts+ dagegen eine Richtung. Es ist also Gedankenlosigkeit oder
Ziererei, wenn jemand schreibt: Max Müller hat die Forschung in der
Sprachwissenschaft in keinem Punkte +voran+ gebracht. Gemeint ist:
+vorwärts+gebracht oder +gefördert+.

Durch +zumal+ erfährt eine Behauptung eine in der Sache selbst
liegende, also selbstverständliche Steigerung z. B.: die Urkunden
sind schwer lesbar, +zumal+ im siebzehnten Jahrhundert (wo man
überhaupt schlecht schrieb -- ist der Sinn) -- du solltest dich doch
sehr in acht nehmen, +zumal+ im Winter. Ganz unangebracht ist es
dagegen in folgendem Satze: als ich die Quellen zur Geschichte des
Bistums durcharbeitete, stieß ich, +zumal+ in zwei Handschriften des
fünfzehnten Jahrhunderts, auf zahlreiche Aktenstücke. Hier kann es nur
+besonders+ oder +namentlich+ heißen.

Keine Verwechslung, sondern bloße Ziererei ist es, für +erstens+ zu
schreiben +einmal+: ich muß das aus verschiednen Gründen ablehnen,
+einmal+ weil, +sodann+ weil usw. Wer darauf aufmerksam gemacht worden
ist, unterläßt das; es ist wirklich eine Abgeschmacktheit.

Nicht verwechselt, aber vermengt werden neuerdings fortwährend die
beiden Redensarten +einig sein+ und +sich klar sein+. +Einig sein+
über etwas können immer nur mehrere; +sich klar sein+ kann auch ein
einzelner. Ganz sinnlos aber ist das aus beiden zusammengeknetete
+sich einig sein+, das man jetzt täglich lesen muß: Protestanten und
Katholiken sind +sich+ in diesem Punkte +einig+ -- darin waren +sich+
zwei Männer von so verschiedner Art wie Freytag und Treitschke +einig+
-- die Völker andrer Zonen sind +sich+ darüber +einig+ -- die Ärzte
sind +sich+ schon lange darüber +einig+ -- in dieser Wahlparole sind
+sich+ heute alle völlig +einig+ -- die Reichsregierung ist +sich+
über die Höhe der Forderungen noch nicht +einig+ -- es handelt sich um
Maßnahmen, über die wohl die überwiegende Mehrheit +sich einig+ ist --
vor kurzem noch war man +sich+ in Kunstgelehrtenkreisen darüber +einig+
-- offenbar ist man +sich+ über gewisse Personenfragen noch nicht
+einig+ -- in der Forderung einer amtlichen, unanfechtbaren Darstellung
des Falles wird man +sich+ wohl überall +einig+ sein. Wenige
Sprachdummheiten haben sich in den letzten Jahren so seuchenartig
verbreitet wie dieses +sich einig sein+. Fort wieder mit dem törichten
+sich+![156]


Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit

Von manchen wird ein lebhafter Kampf gegen die Wörter auf +ung+
geführt. Sie klängen häßlich, heißt es, ja sie seien geradezu eine
Verunstaltung unsrer Sprache. Im Unterricht wird gelehrt, man solle
sie möglichst vermeiden. Irgend jemand hat sogar die witzige Bemerkung
gemacht, unsre Sprache mit ihren vielen +ung-ung-ung+ klinge wie lauter
Unkenrufe.

Das ist zunächst eine Übertreibung. Die Endung +ung+ ist tonlos
und fällt nicht so ins Gehör, daß sie, in kurzen Zwischenräumen
wiederholt, stören könnte. Wenn in dem heutigen Deutsch das Ohr
durch nicht schlimmeres verletzt würde als durch die Endung +ung+,
so wäre es gut. Ein Satz wie folgender: über die +Voraussetzungen+
zu einer +Schließung+ des Reichstags enthält die +Verfassung+ keine
ausdrückliche +Bestimmung+ -- hat gar nichts anstößiges. In lebendiger
Rede hört man es kaum, daß hier kurz hintereinander vier Wörter auf
+ung+ stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann es
wohl lächerlich klingen; aber auf diese Weise könnte man auch hundert
andre Spracherscheinungen lächerlich machen.

Nicht die Wörter auf +ung+ muß man bekämpfen, sondern eine immer mehr
um sich greifende garstige Gewohnheit, die dazu verleitet, eine Menge
wirklich häßlicher Wörter auf +ung+ zu bilden, darunter Ungetüme
wie: +Inbetriebsetzung+, +Außerachtlassung+, +Inwegfallbringung+,
+Zurdispositionstellung+, +Außerdienststellung+ u. a., die Gewohnheit,
eine Handlung oder einen Vorgang nicht durch ein Zeitwort auszudrücken,
sondern durch ein Substantiv in Verbindung mit irgendeinem farblosen
Zeitwort des Geschehens (mit Vorliebe +stattfinden+ oder +erfolgen+).
Da ist es aber nicht die Endung +ung+, die stört, sondern das
schleppende Wortungetüm, das damit gebildet ist, und der ganze
unlebendige Gedankenausdruck (vgl. S. 328). Wir haben vielmehr allen
Anlaß, die Endung +ung+ zu schützen, ja zu verteidigen gegen törichte
Neubildungen, die sich ihr an die Seite drängen wollen.

Die Wörter auf +ung+ bezeichnen zunächst eine Handlung, einen
Vorgang; +Bildung+, +Erziehung+, +Aufklärung+, +Einrichtung+ bedeuten
zunächst die Handlung, die Tätigkeit des Bildens, des Erziehens, des
Aufklärens, des Einrichtens. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich
aber eine weitere, nämlich die des Ergebnisses, das die Handlung hat,
des Zustandes, der durch sie herbeigeführt worden ist; +Bildung+,
+Erziehung+, +Aufklärung+ bedeuten auch den Zustand des Gebildetseins,
des Erzogenseins, des Aufgeklärtseins, +Einrichtung+ auch das
Eingerichtete selbst. Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied
zwischen der Handlung und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort
auf +ung+ noch ein kürzeres, meist mit Ablaut, unmittelbar aus dem
Stamme geschaffen, also eine starke Bildung neben der schwachen. So
haben wir +Anlage+ neben +Anlegung+, +Vorlage+ neben +Vorlegung+ und
können geradezu reden von der +Anlegung+ von Gas- und Wasser+anlagen+,
der +Vorlegung+ von Zeichen+vorlagen+. Da besteht nun schon seit
alter Zeit die Neigung, die Bildung auf +ung+ ganz zu beseitigen und
ihre Aufgabe der kürzern Form mit zu übertragen. So sind die Wörter
+Kaufung+ und +Verkaufung+ ganz verschwunden; heute bedeutet +Kauf+
und +Verkauf+ auch die Handlung des Kaufens und Verkaufens. Noch um
1800 sprach man von +Einführung+ und +Ausführung+ von Waren, und wenn
man mit etwas nicht einverstanden war, machte man eine +Einwendung+;
heute heißt es: +Einfuhr+, +Ausfuhr+, +Einwand+. Und diese Neigung
ist gegenwärtig sehr stark verbreitet: obwohl die Sprache eine
Unterscheidung an die Hand gibt, es ermöglicht, einen Unterschied zu
machen (wieder ein Beispiel: +Unterscheidung+ und +Unterschied+!),
verschmäht man ihn und redet von +Hingabe+, +Freigabe+, +Erwerb+
(in jedem Bande stand auf dem Titelblatte das Datum des +Erwerbs+!),
+Gewinn+, +Bezug+, +Vollzug+, +Entscheid+, +Entsatz+, +Ersatz+,
+Vergleich+, +Ausgleich+, +Aufgebot+, +Freispruch+ (des Angeklagten),
+Zusammenschluß+, wo +Hingebung+, +Freigebung+ (der Sonntagsarbeit),
+Erwerbung+ (eines Grundstücks oder der Staatsangehörigkeit),
+Gewinnung+ (Schlesiens), +Beziehung+, +Vollziehung+, +Entscheidung+,
+Entsetzung+ (Emin Paschas), +Ersetzung+, +Vergleichung+, +Aufbietung+
(aller Kräfte), +Zusammenschließung+ das Richtige wäre, weil eine
Handlung gemeint ist. Vor dem letzten Einzug des Königs in Leipzig
schilderte ein Zeitungschreiber, wieviel fleißige Hände mit dem
+Ausschmuck+ der Straßen beschäftigt wären. In den nächsten Tagen
plapperten das dumme Wort alle Leipziger Zeitungen nach![157]
Andrerseits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand,
mit demselben Worte, und zwar auf +ung+, ausgedrückt hat, schafft man
künstlich einen Unterschied durch häßliche Neubildungen auf +heit+
(sie schießen wie Pilze aus der Erde!) und läßt die Menschen aus
+Geneigtheit+ oder +Abgeneigtheit+, in der +Zerstreutheit+, in der
+Verzücktheit+, in der +Verstimmtheit+, in der +Aufgeregtheit+, in
der ersten +Überraschtheit+, mit +Gefaßtheit+, unter Merkmalen von
+Geistesgestörtheit+ oder gar +geistiger Gestörtheit+ tun, was sie
früher aus +Neigung+ oder +Abneigung+, in der +Zerstreuung+, in der
+Verzückung+, in der +Verstimmung+, in der +Aufregung+, in der ersten
+Überraschung+, mit +Fassung+, in einem Anfalle von +Geistesstörung+
taten. Ja man redet sogar von künstlerischer +Abgeklärtheit+, von
religiöser +Aufgeklärtheit+, von der +Isoliertheit+ eines Gebäudes, von
der +Vertiertheit+ des Proletariats und sieht mit +Gespanntheit+ den
kommenden Ereignissen entgegen. Hier überall gilt es, die Bildung auf
+ung+ vor der häßlichen Nebenbildung auf +heit+ zu schützen und das
einschlummernde Sprachgefühl wieder zu wecken. Der Straf+vollzug+,
von dem die Juristen immer reden, ist ein Greuel, der doch aus
unsrer Sprache wieder hinauszubringen sein müßte; ebenso die innige
+Hingabe+.[158] Wird jemand +Anziehung+ und +Anzug+ oder +Abtretung+
und +Abtritt+ oder +Eingebung+ und +Eingabe+ verwechseln und sagen:
er tat das aus göttlicher +Eingabe+? Das fürchterlichste ist wohl der
+Bezug+. Früher kannte man +Bezüge+ nur an Bettkissen, Stuhlpolstern
und Regenschirmen. Jetzt steht +Bezug+ überall für +Beziehung+, und
da nun die, die das Wort so gebrauchen, die Bedeutung der Handlung
dabei doch nicht recht fühlen, was haben sie gemacht? Sie haben das
herrliche Wort +Bezugnahme+ erfunden. Das kann man doch bequemer haben:
was mühselig durch das zusammengesetzte Wort +Bezugnahme+ ausgedrückt
werden soll, das liegt ja in dem einfachen Worte +Beziehung+!


Vertauschung der Hilfszeitwörter

Eine vollständige Verschiebung scheinen manche jetzt unter den
Hilfszeitwörtern (+können+, +mögen+, +wollen+, +dürfen+, +sollen+,
+müssen+) durchsetzen zu wollen. Und +warum+? Aus bloßer Ziererei, nur,
um es einmal anders zu machen, als es bisher gemacht worden ist. Da
schreibt einer: es +mag+ für ältere Mitglieder von Interesse sein die
Mitgliederliste kennen zu lernen. Nun denkt man, er werde fortfahren:
aber für die jüngern hat es kein Interesse, und darum teile ich sie
nicht mit. Nein, er teilt sie mit! Er hat also sagen wollen: die Liste
+kann+ oder +wird vielleicht+ von Interesse sein, darum will ich sie
mitteilen. Eine Zeitschrift macht bekannt: Abonnenten +wollen+ die
Fortsetzung bei der Expedition bestellen -- ein Realschuldirektor
schreibt: Neuphilologisch geschulte Bewerber +wollen+ ihre Gesuche
bis zum 1. Dezember einreichen. Das ist doch nichts als Nachäfferei
des Französischen (~veuillez~); deutsch kann es nur heißen: +mögen+
sie einreichen, oder wenn das nicht höflich genug scheint, +werden
gebeten+, +werden ersucht+, sie einzureichen. Noch alberner ist es, ein
solches +wollen+ mit dem Passivum zu verbinden: die Redaktion +wolle+
angewiesen werden (statt: es wird gebeten, die Redaktion anzuweisen)
-- das Testament +wolle+ in Verwahrung genommen werden -- das Öffnen
der Fenster +wolle+ den Schaffnern aufgetragen werden -- es +wolle+
sich gefälligst des Tabakrauchens enthalten werden. Sehr beliebt ist
es auch jetzt, zu schreiben: ich +darf+ endlich noch hinzufügen --
hier +darf+ zum Schluß noch angeführt werden usw. Darf? Wer erlaubt es
denn? Der Schreibende erlaubt es sich doch selber, er nimmt es sich
heraus. Er kann also doch nur sagen: hier +darf wohl+ zum Schluß noch
angeführt werden; mit dem +wohl+ sucht man sich höflich der Zustimmung
des Lesers zu versichern. Ganz abgeschmackt ist der Mißbrauch, der
jetzt mit +sollen+ getrieben wird. Da wird geschrieben: eines nähern
Eingehens auf diese Punkte glaube ich mich enthalten zu +sollen+ --
wir glauben, diesen Satz auf das ganze Werk ausdehnen zu +sollen+ --
der Heilige Vater glaubt dich ermuntern zu +sollen+, in der begonnenen
Arbeit fortzufahren -- wir glaubten die Eröffnung +nicht+ vornehmen zu
+sollen+, ohne die maßgebenden Persönlichkeiten dazu einzuladen -- im
Interesse des Publikums hat die Behörde geglaubt, den Betrieb +nicht+
in städtische Regie nehmen zu +sollen+. +Sollen+ bezeichnet einen
Befehl, einen Auftrag. In den angeführten Beispielen aber handelt sichs
entweder um eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit. Weshalb also
nicht +können+, +müssen+, +dürfen+? Es ist nichts als dumme Ziererei.


Der Dritte und der Andre

Viele Menschen können jetzt tatsächlich nicht mehr „bis drei zählen“,
sondern lassen auf den Ersten gleich den Dritten folgen. Sie schreiben:
bei allem, was ich unternommen habe, hat mich nichts verleiten können,
das Recht eines +Dritten+ zu verletzen -- an einer neuen Entdeckung
ging er gleichgiltig vorbei; sobald sie aber durch einen +Dritten+
verballhornt war, erhob er den Kopf -- mein Bauplan würde ganz umsonst
gemacht sein, wenn dann ein +Dritter+ den Bauplatz bekäme -- bei
einer solchen Verpachtung würde die Stadtgemeinde das Eigentumsrecht
behalten und nur auf eine Reihe von Jahren einem +Dritten+ ein
Benutzungsrecht einräumen -- auch der Künstler, der aus innerm Drange
schafft, wird früher oder später erlahmen, wenn er fortwährend zusehen
muß, wie +Dritte+ den ihm zukommenden Ruhm genießen -- die juristische
Wissenschaft zeigt dem Verwaltungsbeamten die Schranken, die seinem
Handeln durch entgegenstehende Rechte +Dritter+ gesetzt sind -- ich
hätte die Aufgabe ohne die freundliche Hilfe +Dritter+ nicht bewältigen
können -- das Mißtrauen in (!) seine Begabung, unter dem er durch
+Dritte+ zu leiden hatte -- die Anerkennung, die sich als Ausbeutung
seines geistigen Eigentums seitens (!) +Dritter+ darstellt -- die
sekundäre Art der Komposition, über Themen +Dritter+ zu phantasieren
-- Akten über innere Verwaltungssachen und Verträge mit +Dritten+
werden nicht mitgeteilt -- da die Mitglieder entfernt wohnen, so
lag es nahe, ihre Befugnisse auf +dritte+ Personen zu übertragen
-- wegen des Zeitverlustes, den mir die Arbeit an +dritter+ Stelle
machen würde, bitte ich mir die Bücher in meine Wohnung zu senden. Ein
Lokalrichter macht bekannt, er habe Waren im Auftrage eines +Dritten+
zu versteigern -- eine Zeitung berichtet, daß ein Klempner von einem
Baugerüst gefallen, ein Verschulden +Dritter+ an dem Unglücksfall aber
ausgeschlossen sei -- eine andre erzählt: der junge Mann besuchte
darauf ein Restaurant, wo möglicherweise +dritte+ Personen von seinem
Gelde Kenntnis erlangten.

Der Unsinn stammt natürlich aus Juristenkreisen. Die Herren Juristen
sind so daran gewöhnt, mit zwei Parteien zu tun zu haben, zu denen
dann irgend ein „Dritter“ kommt, daß ihnen schließlich der Dritte auch
da in die Feder läuft, wo gar nicht von zweien die Rede gewesen ist;
er vertritt schon vollständig die Stelle des Andern. Und andre Leute
machen es gedankenlos nach.


Verwechslung von Präpositionen

Mancherlei Verwirrung herrscht auch auf dem Gebiete der Präpositionen.
So werden z. B. sehr oft +durch+ und +wegen+ verwechselt, obwohl
sie doch so leicht auseinanderzuhalten wären, denn +durch+ gibt das
Mittel, +wegen+ den Grund an. Da wird z. B. geschrieben: das Buch ist
+durch+ seine prachtvolle Ausstattung ein wertvolles Geschenk -- die
Marienkirche enthält viele +durch+ Kunst und Geschichte bemerkenswerte
Sehenswürdigkeiten -- der Streit ist +durch+ seine lange Dauer von
mehr als bloß örtlicher Bedeutung gewesen -- +durch+ die verkehrte
Methode seines Lehrers machte er lange Zeit keine Fortschritte --
Falb, der +durch+ seine kritischen Tage vielgenannte Wetterprophet
-- die Mißernten bleiben dann nur noch +durch+ Regen zu fürchten --
+durch+ körperliches Leiden ist als sicher anzunehmen, daß sie sich
ein Leid angetan hat -- +durch+ sein liebenswürdiges und aufrichtiges
Wesen werden wir stets seiner in Ehren gedenken. In allen diesen
Sätzen muß es +wegen+ heißen, denn man fragt hier nicht: wodurch?
sondern weshalb oder warum? Ebenso werden +für+ und +vor+, +für+ und
+zu+, +für+ und +über+ oft vertauscht. Früher hatte man Liebe +zu+
jemand, faßte Neigung +zu+ jemand, hegte Achtung +vor+ etwas, hatte
Sinn, Gefühl, Interesse +für+ etwas; jetzt gilt es +für+ fein, das
alles durch +für+ zu erledigen: daher seine merkwürdige +Neigung für+
alle Verkommnen und Gescheiterten -- wir haben +Achtung für+ den
realistischen Geist -- der Sozialismus hat wenig +Achtung für+ rein
geistige Arbeit. Eine Stadtgemeinde gibt Verwaltungsberichte heraus
+für+ das abgelaufene Jahr. Nein, Kalender und Adreßbücher druckt man
+für+ ein Jahr, Berichte schreibt man +über+ ein Jahr. Früher sagte
man: +von+ heute +an+. Jetzt liest man nur noch: +von+ heute +ab+,
+von+ Montag +ab+, +vom+ 1. Januar +ab+. Warum denn +ab+? Man bildet
sich doch nicht etwa ein, +ab+ könne hier in dem Sinne stehen wie auf
den Eisenbahnfahrplänen, wo es den Ausgangspunkt bezeichnet? Nein, es
bedeutet die Richtung. +Von+ Kindesbeinen +an+ -- das will sagen, daß
der Weg von der Kindheit in die Höhe führe (vgl. +hinan+, +bergan+);
noch deutlicher sagt es: +von+ Jugend +auf+. Bei dem neumodischen
+von+ -- +ab+ hat man immer die Vorstellung, als ob alles, was jetzt
unternommen wird, von Anfang an dazu verurteilt wäre, bergab zu gehen.

Besonders anstößig ist es, wie oft sich -- offenbar unter dem Einflusse
des Lateinischen -- die Präposition +in+ an Stellen drängt, wo sie
nicht hingehört. In gutem Deutsch hat man Vertrauen +zu+ jemand,
Hoffnung +auf+ jemand und Mißtrauen +gegen+ jemand. Das wird jetzt
alles durch +in+ besorgt: man hat Vertrauen +in+ die Kriegsleitung
(scheußlich!), verliert die Zuversicht +in+ sich selbst, ist ohne jedes
persönliche Mißtrauen +in+ die Behörden und setzt seine Hoffnung +in+
die Zukunft. Ja die Juristen reden sogar von einer Vollstreckung +in+
verschuldeten Besitz, einer Zwangsvollstreckung +in+ Liegenschaften
und verurteilen einen Angeklagten +in+ die Kosten. Das alles ist
schlechterdings kein Deutsch, es ist das offenbarste Latein. Früher
ging man auch +auf+ einem Wege vorwärts, und nur wenn einen auf
diesem Wege jemand hinderte, sagte man: er tritt mir +in+ den Weg,
er steht mir +im+ Wege, er mag mir +aus+ dem Wege gehen. Unsre
Juristen aber möchten nur noch +im Wege+ vorwärtsgehen oder vielmehr
„vorschreiten“, sei es nun +im Wege+ der Gesetzgebung oder +im Wege+
der Polizeiverordnung oder +im Wege+ der einstweiligen Verfügung oder
+im Wege+ des Vergleichs oder +im Wege+ der Güte oder +im Wege+ der
Anregung. Man denkt sich die Herren unwillkürlich in einer Schlucht
oder einem Hohlwege stehen, „rings von Felsen eingeschlossen“, wenn
sie so „im Wege vorschreiten“. In der Juristensprache bedeutet aber
doch wenigstens das Wort den eingeschlagnen Weg, das Verfahren; der
Jurist beschreitet ja auch den +Klageweg+ oder verweist einen Klienten
auf den +Beschwerdeweg+. Wenn aber gar eine Bibliothek berichtet, daß
ihr Bücher zugegangen seien +im Wege+ der Schenkung, des Tauschs oder
des Kaufs, so ist das doch völlig abgeschmackt, denn da ist doch nur
von der Art und Weise die Rede: die Bücher sind ihr +durch+ Schenkung,
Tausch oder Kauf zugegangen.

Im Buchdruck und Buchhandel, wo man sich gegenwärtig durch
Absonderlichkeiten aller Art zu überbieten sucht -- in der Wahl
der Schriften, in der Einrichtung der Kolumnen, in der Fassung und
Anordnung der Titel, in der Angabe des Verlags --, müssen auch die
Präpositionen mit herhalten: ein Buch wird nicht mehr +von+ jemand
herausgegeben und verlegt, sondern herausgegeben wird es +durch+ jemand
(herausgegeben +durch+ Hans Helmolt) und verlegt wird es +bei+ jemand
(verlegt +bei+ Eugen Diederichs). Gedruckt +bei+ -- das hat Sinn. Aber
verlegt +bei+ -- da fragt man doch: verlegt es denn der Herr nicht
selbst? wer sind denn die Hintermänner, die es +bei+ ihm verlegen?

Zu den neuesten Dummheiten gehört es auch, daß man die Präposition
+nach+ gebraucht in einem Falle, wo sie nicht hingehört, und sie nicht
gebraucht in einem Falle, wo sie hingehört. Man schreibt nicht mehr:
+nach+ der und der Zeitung oder dem und dem Telegramm ist das und das
geschehen, sondern: +zufolge+ (!) der Zeitung oder des Telegramms, als
ob die Zeitung oder das Telegramm die Ursache, die Veranlassung des
Ereignisses wäre. Da ist hier eine Ministerkrisis ausgebrochen, dort
ein Luftschiffer verunglückt, hier beim Rennen ein Pferd gestürzt, dort
ein Leprafall vorgekommen, alles +zufolge+ von Zeitungen! Es ist zu
dumm. Man kann es aber alle Tage lesen. Andrerseits geht man aber nicht
mehr +zu+ Schulze, sondern +nach Schulze+, ja man schreibt sogar +nach
Schulze+ und schickt einen Brief +nach Schulze+ (statt: +an Schulze+).
In meiner Kindheit ging man noch +zu Hause+, so gut wie man +zu Tische+
und +zu Bette+ ging, und wie der Krug so lange +zu Wasser+ geht, bis er
bricht. Dann hieß es auf einmal: +zu Hause+ auf die Frage wohin? sei
nicht fein, man müsse sagen: +nach Hause+. Vielleicht wird auch +nach
Schulze+ noch fein. Feine Leute schicken aber auch ihre Kinder nicht
mehr +in+ die Schule, sondern +zur+ Schule. Geht Ihre Kleine schon
+zur+ Schule? heißt es. Da wird sie nicht viel lernen, wenn sie bloß
+zur+ Schule geht; sie muß hineingehen!


Hin und her

Auch für den Unterschied von +hin+ und +her+ scheinen nur wenig
Menschen noch ein Gefühl zu haben; daß +hin+ die Richtung, die Bewegung
von mir weg nach einem andern Orte, +her+ die Richtung, die Bewegung
von einem andern Orte auf mich zu bedeutet -- man vergleiche +geh hin!+
mit +komm her!+ --, wie wenige wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch
wenigstens, dem mündlichen wie dem schriftlichen, wird +hinein+ und
+herein+, +hinaus+ und +heraus+, +hinan+ und +heran+, +hinauf+ und
+herauf+ fortwährend zusammengeworfen. Ein klassisches Beispiel dieser
Verwirrung ist die gemeine Redensart: er ist +reingefallen+. Daß jemand
in eine Grube +hereingefallen+ sei, kann man doch nur sagen, wenn man
selber schon drinliegt. Die aber, die mit Vorliebe diese Redensart im
Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend, sie stehen
oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh auf das Opfer, das
unten liegt. Das Opfer ist also +hinein+gefallen oder +nein+gefallen.
Wer auf der Straße bleibt, kann nur sagen: +Geh hinauf+ und wirf mir
den Schlüssel +herunter+! Wer oben am Fenster steht, kann nur fragen:
Willst du +heraufkommen+, oder soll ich dir den Schlüssel +hinunter
werfen+? Aber der Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt
beides durch +rauf+ und +runter+ aus, es gilt das jetzt offenbar für
feiner als +nauf+ und +nunter+. Wenn auch niemand drin ist, ich will
doch mal +rein+sehen -- so sagen auch gebildete Leute. Wenn zwei
an einem Graben stehen, der eine hüben, der andre drüben, so kann
jeder von beiden fragen: Willst du +herüber+springen, oder soll ich
+hinüber+springen? Heute springen beide nur noch +rüber+: Willst +du+
rüberspringen, oder soll +ich+ rüberspringen? Die Herren von der Feder
aber machens nicht besser, auch sie verwechseln +hin+ und +her+. Nicht
bloß der Zeitungschreiber schreibt: bis in die jüngste Zeit +hinein+,
auch der Historiker: auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische
Periode, die in unser Jahrhundert +hinein+ragt. Jeder ist aber doch
drin in seinem Jahrhundert! In einem Raum oder Zeitraum, worin wir
uns befinden, kann doch etwas nur +hereinragen+. Etwas andres ist es,
wenn von einer Erscheinung des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird,
sie lasse sich bis ins siebzehnte Jahrhundert +hinein+ verfolgen; das
ist richtig, denn wir sind nicht drin im siebzehnten Jahrhundert.
Umgekehrt aber wird geschrieben: wir fragen nicht, was in das Bild
alles +herein+geheimnist ist (+hinein+!) -- über das Zellensystem kommt
der Architekt nun einmal nicht +heraus+ (+hinaus+!) usw.

Nun ist es freilich eine merkwürdige Erscheinung, daß bei allen
Zeitwörtern mit übertragner Bedeutung, bei denen man die Vorstellung
einer äußern Richtung nur noch undeutlich oder gar nicht mehr
hat, +hin+ vollständig durch +her+ verdrängt worden ist; man sagt
z. B.: sich +herab+lassen, mit Verachtung +herab+blicken, den Preis
+herab+setzen, ein Buch +heraus+geben, in seinen Vermögensverhältnissen
+herunter+kommen u. a. Die Neigung, +her+ dem +hin+ vorzuziehen,
ist also augenscheinlich in der Sprache vorhanden. Man sollte aber
doch meinen, daß überall da, wo noch deutlich eine äußere Richtung
ausgedrückt wird, eine Verwechslung unmöglich sei. Wie kann man also
sagen, daß die Steuern +herauf+geschraubt werden? Wir stehen doch
unten und möchten auch gern unten bleiben; also werden die Steuern
+hinauf+geschraubt. Wir erhielten Befehl, an den Feind +heran+zureiten
-- wer kann so schreiben? Der Feind kann wohl an uns +heran+reiten,
wir aber an den Feind doch nur +hinan+. Eine bittre Pille oder einen
Vorwurf -- schluckt man sie +herunter+ oder +hinunter+? Da man sein
Ich lieber im Kopfe denkt als im Magen, so kann man sie doch nur
+hinunter+schlucken. Er sah zu mir +hinauf+ -- Unsinn! Ich und mein
Kopf, wir sind doch oben.

Auch sonst, nicht bloß bei +hin+ und +her+, wird der örtliche Gegensatz
jetzt oft verwischt. +Hüben+ und +drüben+ wird allenfalls noch
unterschieden, aber +haußen+ und +hinnen+ getraut sich kaum noch jemand
zu schreiben; jetzt heißt es: sie holen von +draußen+, was +drinnen+
fehlt. Aber wo bin ich denn, der Schreibende? Irgendwo muß ich mich
doch denken!


Ge, be, ver, ent, er

Wenn auf solche Weise Wörter mißverstanden und miteinander verwechselt
werden können, deren Sinn und Bedeutung man sich mit ein wenig
Nachdenken noch klarmachen kann, um wieviel mehr sind Wörter dem
Mißverständnis und dem Mißbrauch ausgesetzt, wie die kleinen Präfixe
+ge+, +be+, +ver+, +ent+, +er+, deren Bedeutung nicht mehr klar zutage
liegt, sondern nur noch mehr oder weniger dunkel gefühlt wird! Wie
oft wird +brauchen+ und +gebrauchen+ verwechselt! Und doch heißt das
eine +nötig haben+, das andre +anwenden+. Wie oft liest man das dumme
+belegen+ sein (ein Haus ist in der oder der Straße +belegen+), wie
oft das gespreizte +beheben+ (die Hindernisse werden sich hoffentlich
+beheben+ lassen), wie oft das widersinnige +beeidigen+ (die Zeugen
wurden +beeidigt+)! Man kann eine Aussage +beeidigen+, aber nicht
einen +Zeugen+. Im gewöhnlichen Leben sagt man: hier wird Trottoir
+gelegt+; sowie es aber eine Tiefbauverwaltung besorgt, dann wird es
+verlegt+. Warum denn +ver+? Was man +verlegt+ hat, das findet man
doch nicht wieder. Wie oft muß man das lächerliche +entnüchtern+ lesen
(statt +ernüchtern+), auch schon +entwehren+ (statt +erwehren+)! Wird
jemand +entledigen+ und +erledigen+ verwechseln? Wie abgeschmackt
ist der Gebrauch von +entfallen+ und +entlohnen+, mit dem sich jetzt
täglich die Zeitungen spreizen! Fabrikarbeiter werden ja nicht mehr
bezahlt, sie werden nur noch +entlohnt+, der deutsche Lehrerstand
hat stets die Ideale treu gepflegt trotz kärglicher +Entlohnung+,
und von der Fernsprechstelle Berlin-Wien, die 660 Kilometer beträgt,
+entfallen+ 430 auf österreichisches und 230 auf deutsches Gebiet.
Warum denn +ent+? Wem +entfallen+ sie denn? Es wird aber auch nichts
mehr +gehofft+, sondern alles nur +erhofft+ (der +erhoffte+ Erfolg
blieb aus.) Das allerschönste aber ist +erbringen+, das in keiner
Zeitungsnummer fehlt. Beweise und Nachweise, die früher +gebracht+ oder
+geliefert+ wurden und im Volksmunde noch jetzt +gebracht+ werden, in
der Zeitung werden sie nur noch +erbracht+. Ja selbst Tatsachen werden
schon +erbracht+ (die neue Verhandlung hat eine ganze Reihe neuer
Tatsachen +erbracht+), Beispiele (Koschat +erbringt+ dafür ein lebendes
Beispiel -- schreibt der Musikschwätzer), Erträge (die Staatsforsten
+erbringen+ einen Ertrag von einer Million Mark) und sogar Spuren
(von einem Sinken des Richterstandes ist bis jetzt noch keine Spur
+erbracht+). Warum denn +er+? was heißt denn +er+?

Er ist verwandt mit +ur+, wie +erlauben+ neben +Urlaub+ zeigt, und
beide bedeuteten +aus+. Diese ursprüngliche Bedeutung von +er+ ist
in vielen zusammengesetzten Zeitwörtern noch sehr gut zu fühlen:
gewöhnlich bedeuten sie den Anfang oder das Ende einer Handlung,
wie auch das Wort +ausgehen+ beides bedeutet (vgl. wir sind davon
+ausgegangen+, und: die Sache ist übel +ausgegangen+). Den Anfang einer
Handlung bezeichnet +er+ z. B. in +erblühen+, den Endpunkt dagegen
in +erlangen+, +erreichen+, +erfinden+, +erfüllen+, +ertrinken+,
+ersticken+. Weislingen im Götz sagt mit bewußter Unterscheidung:
ich +sterbe+ und kann nicht +ersterben+. Was da +erhoffen+ bedeuten
soll, ist unverständlich; es könnte doch nur heißen: so lange auf
etwas hoffen, bis es eintritt. Jedenfalls ist es ein Widerspruch, zu
sagen: der +erhoffte+ Erfolg blieb aus, es genügt der +gehoffte+.
Auch ein Brief kann nicht +eröffnet+ werden, wie die Post sagt
(amtlich +eröffnet+!), sondern einfach +geöffnet+; eine Aussicht wird
mir +eröffnet+, ein Beschluß der Behörde, auch ein neues Geschäft;
dann wird es aber jeden Morgen nur +geöffnet+. Auch weshalb die
Eisenbahndirektion Sonntags einen Sonderzug +erstellt+, ist nicht
einzusehen; man ist doch schon zufrieden, wenn sie ihn +stellt+. Das
törichtste aber sind die +erbrachten+ Beweise, Nachweise, Belege,
Beispiele, Erträge und Spuren. Einen Beweis oder Nachweis +erbringen+
könnte zur Not einen Sinn haben, wenn man damit den durchgeführten,
bis aufs letzte Tüpfelchen gelungnen Beweis im Gegensatz zu dem
bloß versuchten bezeichnen wollte. Aber daran ist in den seltensten
Fällen zu denken, +erbringen+ wird mit ganz gedankenlosem Gespreiz
für +bringen+ gesagt. In +bringen+ liegt ja schon der Begriff des
Vollendens, des Beendigens; +bringen+ verhält sich zu +tragen+ wie
+treffen+ zu +werfen+. Man könnte schließlich auch sagen: Kellner,
+erbringen+ Sie mir ein Glas Bier!

+Ent+ (urverwandt mit dem lateinischen ~ante~ und dem griechischen
ἀντί, vgl. Antlitz, Antwort) bedeutet eigentlich +vor+, +gegen+,
+gegenüber+. Mit Zeitwörtern zusammengesetzt, drückt es daher zunächst
aus, daß sich von einem Ganzen ein Teil ablöst und ihm als ein
selbständiges Ganze gegenübertritt, so in +entstehen+, +entspringen+.
Daraus entwickelt sich dann überhaupt der Begriff der Trennung, Lösung,
Befreiung und auch Beraubung, wie in +entkommen+, +entfliehen+,
+entwenden+, +entlehnen+, +entkleiden+, +enthüllen+, +entblättern+,
+entkräften+, +entthronen+, +entfesseln+, +entlarven+, und endlich,
bei gänzlicher Verblassung der eigentlichen Bedeutung, eine bloße
Verstärkung des Verbalbegriffs, wie in +entlassen+, +enttäuschen+,
+entfremden+. Wenn man neuerdings +entrechten+ und +enthaften+ gebildet
hat, so ist dagegen nichts weiter einzuwenden, als daß das zweite Wort
recht überflüssig ist. +Entlohnen+ aber kann doch nur heißen: einem
seinen Lohn wegnehmen (wahrscheinlich hat der Schöpfer des Wortes
zugleich an +lohnen+ und +entlassen+ gedacht) und +entnüchtern+ nur:
einen betrunken machen, und was das +ent+ in einem Satze wie: auf den
Quadratkilometer +entfallen+ 200 Seelen -- bedeuten soll, ist gänzlich
unverständlich. Man könnte ebensogut sagen: auf den Quadratkilometer
+entkommen+ 200 Seelen.[159] Auch wenn Bibliotheken um gütige
+Entleihung+ oder +Entlehnung+ eines Buches gebeten werden, so ist
das sinnwidrig; die Bibliothek +verleiht+ ihre Bücher, der Leser aber
+leiht+ oder +entleiht+ sie.

Lebhafter Streit ist darüber geführt worden, ob es richtig sei,
zu sagen: er +entblödete sich nicht+. Das Grimmische Wörterbuch
erklärt die Verneinung bei +sich entblöden+ für falsch. In der Tat
liegt es auch am nächsten, +sich entblöden+ mit Zeitwörtern wie
+entbehren+, +enthüllen+, +entschuldigen+, +entführen+, +entwischen+
zu vergleichen, sodaß es bedeuten würde: +die Blödigkeit+ (d. h.
Schüchternheit) +ablegen+, +sich erdreisten+, +sich erfrechen+. Dann
wäre natürlich die Verneinung falsch, denn +sich erdreisten+ -- das
will man ja gerade mit +sich nicht entblöden+ sagen. Neuerdings
ist aber darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Vorsilbe +ent+
hier gar nicht verneinenden (privativen) Sinn habe, sondern wie in
+entschlafen+, +entbrennen+, +entzünden+, +entblößen+ das Eintreten in
einen Zustand bezeichne, sodaß sich +entblöden+ bedeuten würde: +sich
schämen+, +sich scheuen+, und die Verneinung davon: +sich erdreisten+.
Die Unsicherheit über die eigentliche Bedeutung des Wortes bestand
schon im achtzehnten Jahrhundert. Wieland schreibt bald: Verwegner,
darfst du +dich entblöden+ (d. h. dich erfrechen), bald: du solltest
+dich entblöden+ (d. h. dich schämen). Das Klügste wäre, man gebrauchte
eine Redensart überhaupt nicht mehr, die so veraltet und in ihrer
Bedeutung so verblichen ist, daß ihr niemand mehr unmittelbar anfühlt,
ob sie mit oder ohne Verneinung das ausdrückt, was man ausdrücken will.

+Ver+ gibt dem Zeitwort meist einen schlimmen Sinn, es bezeichnet,
daß gleichsam ein Riegel vor eine Sache geschoben ist, daß sie nicht
wieder rückgängig gemacht werden kann, und schließlich auch, da
man doch manche eben gern wieder rückgängig machen möchte, daß sie
falsch gemacht worden ist. Man denke an: +versichern+, +versprechen+,
+verbinden+, +verpflichten+, +verkaufen+, +verpfänden+, sich
+verlieben+, sich +verloben+, sich +verheiraten+, +verstellen+,
+verdrehen+, +verrücken+, +verlieren+, +verderben+, +vergiften+,
+verschwinden+, +verschlimmern+, +versauern+ (allerdings auch:
+verbessern+, +vergrößern+, +verfeinern+, +verschönern+, +veredeln+,
+versüßen+). Für +meinen+ also zu sagen +vermeinen+, wie es der
Amtsstil liebt, wäre eigentlich nur dann am Platze, wenn die Meinung
als irrig bezeichnet werden sollte (vgl. +vermeintlich+), und von
jemand, der einfach seine Wohnung oder seinen Aufenthalt gewechselt
hat, zu sagen: er ist nach Dresden +verzogen+, ist geradezu lächerlich,
denn es klingt das, als ob er damit verschwunden und gänzlich
unauffindbar geworden wäre. Ebenso unverständlich aber ist es, warum,
wie in Leipzig, Trottoirplatten, Straßenbahngleise und elektrische
Kabel immer +verlegt+ werden, oder, wie in Hamburg, Kaffee +verlesen+
wird, oder, wie in Magdeburg, Rüben +verzogen+ werden. Es genügt doch,
wenn sie +gelegt+, +gelesen+ und +gezogen+ werden.

Am meisten verblaßt ist die Bedeutung von +be+ und +ge+. +Be+ ist aus
+bei+ abgeschwächt; +ge+, in der ältern Sprache ~ga~ (wie noch in
+Gastein+), ist urverwandt mit dem lateinischen ~con~ und bedeutet
einen Zusammenhang, eine Vereinigung. Am deutlichsten ist sein Sinn
noch in Bildungen wie +gerinnen+, +gefrieren+, +Gedicht+, +Gebüsch+,
+Gehölz+, +Gewölk+, +Gebirge+, +Gerippe+, +Gefühl+, +Gehör+,
+Gewissen+ (vgl. ~scientia~ und ~conscientia~). Aber wenn sich auch
die ursprüngliche Bedeutung noch so sehr abgeschwächt hat, so kann
man doch immer noch durch umsichtige Vergleichung dahinterkommen,
weshalb es unnötig ist, zu sagen: einem die Möglichkeit +benehmen+,
Geld zu +beschaffen+, oder: ein Haus +beheizen+, wie unsre Techniker
jetzt sagen (sie meinen wohl: +beöfnen+, mit Öfen versehen), oder: die
bei Goslar +belegnen+ geistlichen Stiftungen, weshalb es lächerlich
ist, wenn Schmerzen, Krankheiten, Hindernisse immer +behoben+ werden
(statt +gehoben+). Auch für +gründen+ wird jetzt oft unnötigerweise
+begründen+ gesagt: die +Begründung+ des Deutschen Reiches. Nein,
+begründet+ werden nur Meinungen, Behauptungen, Urteile; aber Reiche,
Staaten, Städte, Anstalten, Schulen, Geschäfte, Zeitungen werden
+gegründet+. Befremdlich klingt es auch, wenn Juristen davon reden,
daß ein Zeuge +beeidigt+ werden müsse, oder wenn Berichterstatter über
Gerichtsverhandlungen einen +Beklagten+ auftreten lassen. Ein Zeuge
kann seine Aussage +beeidigen+ (vgl. +beschwören+), aber er selbst kann
nur +vereidigt+ werden (vgl. +verpflichten+). +Beklagen+ kann man aber
nur den, dem ein Unglück zugestoßen ist; vor Gericht kann einer nur
+verklagt+ oder +angeklagt+ werden. Wer +angeklagt+ wird, kommt vor den
Strafrichter, wer +verklagt+ wird, vor den Richter in bürgerlichen
Streitigkeiten. Und ebenso läßt sich endlich recht gut fühlen, weshalb
es unnötig ist, zu sagen, die 1883 gebornen haben sich heuer zu
+gestellen+.[160]

Groß in solchen Verschiebungen und Vertauschungen sind namentlich
die Kanzleimenschen und die Techniker. Sie suchen etwas darin, und
sie verblüffen auch wirklich die große Masse mit diesem wohlfeilen
Mittelchen.[161]

Der Unterricht kann sehr viel tun, das abgestorbne Sprachgefühl in
solchen Fällen wieder zu beleben. Wem die Bedeutung von +ent+ und +er+
einmal auseinandergesetzt worden ist, der wird nie wieder +entnüchtern+
statt +ernüchtern+ schreiben, er wird aber auch bald alle die Leute
auslachen, die sich immer mit +entfallen+ und +erbringen+ spreizen.


Neue Wörter

Kein Tag vergeht, ohne daß einem in Büchern oder Zeitungen neue Wörter
entgegenträten. Nun wird niemand so töricht sein, ein neues Wort
deshalb anzufechten, weil es neu ist. Jedes Wort ist zu irgendeiner
Zeit einmal neu gewesen; von vielen Wörtern, die uns jetzt so geläufig
sind, daß wir sie uns gar nicht mehr aus der Sprache wegdenken können,
läßt sich nachweisen, wann und wie sie ältern Wörtern an die Seite
getreten sind, bis sie diese allmählich ganz verdrängten. Wohl aber
darf man neuen Wörtern gegenüber fragen: sind sie nötig? und sind sie
richtig gebildet?

Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen unbedingt
auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Gerät, ein neu ersonnener
Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu
beobachtete Krankheit, eine neu entstandne politische Partei -- wie
sollte man sie mit den bisher üblichen Wörtern bezeichnen können?
Sie alle verlangen und erhalten auch alsbald ihre neuen Namen. Aber
auch alte Dinge fordern bisweilen neue Bezeichnungen. Wörter sind wie
Münzen im Verkehr: sie greifen sich mit der Zeit ab und verlieren
ihr scharfes Gepräge. Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten,
daß das Gepräge beinahe unkenntlich geworden ist, so entsteht von
selbst das Bedürfnis, die abgenutzten Wörter gegen neue umzutauschen.
Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen entstehen, so
auch bei vielbenutzten Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich
ihre ursprüngliche Bedeutung. Hat sich aber eine solche Verschiebung
vollzogen, dann ist für den alten Begriff, der durch das alte Wort
nun nicht mehr völlig gedeckt wird, gleichfalls ein neues Wort nötig.
In vielen Fällen büßen die Wörter, ebenso wie die Münzen, durch den
fortwährenden Gebrauch geradezu an Wert ein, sie erhalten einen
niedrigen, gemeinen Nebensinn. Dieser „pessimistische“ Zug, wie man ihn
genannt hat, ist gerade im Deutschen weit verbreitet und hat mit der
Zeit eine große Masse von Wörtern ergriffen; man denke an +Pfaffe+,
+Schulmeister+, +Komödiant+, +Literat+, +Magd+, +Dirne+, +Mensch+
(+das+ Mensch, Küchenmensch, Kammermensch), +Elend+, +Schimpf+,
+Hoffart+, +Gift+, +List+, +gemein+, +schlecht+, +frech+, +erbärmlich+.
Ihnen allen ist ursprünglich der verächtliche Nebensinn fremd, der im
Laufe der Zeit hineingelegt worden ist. Sobald sie aber einmal damit
behaftet waren, mußten sie, wenn der frühere Sinn ohne Beigeschmack
wieder ausgedrückt werden sollte, durch andre Wörter ersetzt werden.
So wurden sie verdrängt durch +Geistlicher+, +Lehrer+, +Schauspieler+,
+Schriftsteller+, +Mädchen+, +Fremde+, +Scherz+, +Hochherzigkeit+,
+Gabe+, +Klugheit+, +allgemein+, +schlicht+, +kühn+, +barmherzig+.

Die andre Forderung, die man an ein neu aufkommendes Wort stellen darf,
ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig gebildet sei, und daß es mit
einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es auszudrücken
vorgibt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß man, wo sie erfüllt
ist, selbst davon absieht, die Bedürfnisfrage zu betonen. Verrät
sich in einem neu gebildeten Wort ein besonders geschickter Griff,
zeigt es etwas besonders schlagendes, überzeugendes, eine besondre
Anschaulichkeit, und das alles noch verbunden mit gefälligem Klang, so
heißt man es auch dann willkommen, wenn es überflüssig ist; man läßt es
sich als eine glückliche Bereicherung des Wortschatzes gefallen.

Aber wie wenige von den neuen Wörtern, mit denen unsre Sprache jetzt
überschwemmt wird, erfüllen diese Forderungen! Die meisten werden aus
Eitelkeit oder aus -- Langerweile gebildet. Schopenhauer hat einmal mit
schlagender Kürze ausgesprochen, was er von einem guten Schriftsteller
verlange: er gebrauche gewöhnliche Wörter und sage ungewöhnliche Dinge!
Heute machen es die meisten umgekehrt und hoffen, der Leser werde
so dumm sein, zu glauben, sie hätten etwas neues gesagt. Wie quälen
sich unsre ästhetischen Schwätzer, ihren Trivialitäten den Schein des
Geistreichen zu geben, indem sie sich neue Wörter aussinnen! Eine Art
von „Jugendstil“ möchten sie auch in die Sprache einführen. Wie quälen
sich unsre Musik- und Theaterschreiber, den tausendmal gesagten Quark
einmal mit andern Worten zu sagen! Wie quälen sich die Geschäftsleute
in ihren Anzeigen, dem „Konkurrenten“ durch neue Wörter und Wendungen
den Rang abzulaufen!

Jahrzehntelang hat man von +Zeitungsnachrichten+ gesprochen; jetzt
heißt es: +Blättermeldungen+! Das eine verhält sich zum andern ungefähr
wie der +Essenkehrer+ zum +Schornsteinfeger+ oder der +Korkzieher+
zum +Pfropfenheber+. Verfallen sein kann auf +Blättermeldung+ nur
einer, dem +Zeitungsnachricht+ zu langweilig geworden war. Was soll
+Jetztzeit+? Es ist schlecht gebildet, denn unsre Sprache kennt keine
Zusammensetzungen aus einem Umstandswort und einem Hauptwort,[162]
es klingt auch schlecht mit seinem tztz und ist ganz überflüssig,
denn +Gegenwart+ hat weder etwas von seiner alten Kraft eingebüßt
noch seine Bedeutung verschoben. +Gepflogenheit+ hat man gebildet,
um eine Schattierung von +Gewohnheit+ zu haben; ist aber nicht
+Brauch+ so ziemlich dasselbe? Ein abscheuliches Wort ist +Einakter+
(für einaktiges Schauspiel). Freilich haben wir auch +Einhufer+,
+Dreimaster+ und +Vierpfünder+; würde aber wohl jemand ein Distichon
einen +Zweizeiler+ nennen? Um für +Lehrer+ und +Lehrerin+ ein
gemeinschaftliches Wort zu haben, hat man +Lehrperson+ gebildet --
eine gräßliche Geschmacklosigkeit. Den +Arbeiter+ nennt man jetzt
+Arbeitnehmer+ in plumpem Gegensatz zum +Arbeitgeber+! Statt +voriges
Jahr+ sagt man jetzt +Vorjahr+; alle Jahresberichte spreizen sich
damit. Man hat das aus dem Adjektivum +vorjährig+ gebildet, wie man
auch aus +alltäglich+ und +vormärzlich+ gedankenloserweise +Alltag+ und
+Vormärz+ (!) gemacht hat, aus +freisinnig+ eine Partei, die man +den
Freisinn+ nennt, und neuerdings gar aus +überseeisch+ +Übersee+: aus
Europa und +Übersee+ (+die+ Übersee oder +das+ Übersee?) -- die Briefe
gehen +nach Übersee+ (warum denn nicht einfach und vernünftig: +über
See+?). Vorjahr ist aber auch dem Sinne nach anstößig. Die mit +Vor+
zusammengesetzten Hauptwörter bedeuten (wenn es nicht Verbalsubstantiva
sind, wie +Vorsteher+, +Vorreiter+, +Vorsänger+, +Vorbeter+) ein Ding,
das einem andern Dinge als Vorbereitung vorhergeht, wie +Vorspiel+,
+Vorrede+, +Vorgeschichte+, +Vorfrühling+, +Voressen+, +Vorgeschmack+.
Die Leipziger Messe hatte sonst eine +Vorwoche+, die der Hauptwoche
vorausging. Wie kann man also jedes beliebige Jahr das +Vorjahr+ des
folgenden Jahres nennen! Dann könnte auch der Lehrer im Unterricht
fragen: Was haben wir in der +Vorstunde+ behandelt? Mit dem +Vortag+
fängt man aber auch schon an: trotz des schlechten Wetters am +Vortage+
-- das Befinden des Monarchen war diese Woche besser als am +Vortage+.
Ebenso verfehlt wie das +Vorjahr+ ist natürlich der +Vorredner+
-- man vergleiche ihn nur mit dem +Vorsänger+ und dem +Vorbeter+.
Wenn ein Schiff eine Reise antritt, so nennt man das jetzt nicht
mehr +abreisen+, sondern +ausreisen+: der Tag der +Ausreise+ rückte
heran. War das Wort wirklich nötig, das so lächerlich an +ausreißen+
anklingt? Für die zeichnenden Künste hat neuerdings jemand das schöne
Wort +Griffelkunst+ erfunden, das die Kunstschreiber schon fleißig
nachgebrauchen. Nun verstand man ja unter den zeichnenden Künsten auch
den Kupferstich und die Radierung, die mit dem Griffel arbeiten. Unter
der +Griffelkunst+ aber soll man nun auch die Bleistift-, die Feder-
und die Tuschzeichnung verstehen, die nicht mit dem Griffel arbeiten.
Was ist also gewonnen? Und wollen wir die Malerei vielleicht nun
+Pinselkunst+ nennen?

Zu recht verunglückten Bildungen hat neuerdings öfter das Streben
geführt, einen Ersatz für Fremdwörter zu schaffen. Dazu gehören z. B.
der +Fehlbetrag+ (Defizit), die +Begleiterscheinung+ (Symptom), der
+Werdegang+ (Genesis) und die +Straftat+ (Delikt). Auch das +Lebewesen+
kann mit angereiht werden. Ein Verbalstamm als Bestimmungswort einer
Zusammensetzung bedeutet meist den Zweck des Dinges (vgl. +Leitfaden+,
+Trinkglas+, +Schießpulver+ und S. 73).[163] Ein +Fehlbetrag+ ist aber
doch nicht ein Betrag, der den Zweck hat, zu fehlen, sondern es soll
ein +fehlender+ Betrag sein (ganz anders gebildet sind +Fehlbitte+,
+Fehltritt+, +Fehlschuß+, +Fehlschluß+; hier ist fehl nicht der
Verbalstamm, sondern das Adverbium), ebenso soll +Lebewesen+ ein
+lebendes+ Wesen, +Begleiterscheinung+ eine +begleitende+ Erscheinung
bedeuten. In +Werdegang+ vollends soll der Verbalstamm den Genitiv
ersetzen (Gang +des Werdens+); es scheint nach +Lehrgang+ gebildet
zu sein, aber es scheint nur so, denn +Lehrgang+ ist mit +Lehre+
zusammengesetzt. Überdies wird es lächerlicherweise auch schon für
+Geschichte+ gebraucht; man redet nicht bloß von dem +Werdegang+ einer
Kellnerin, sondern auch von dem +Werdegang+ der mittelalterlichen
Pergamenthandschriften! Die verunglückteste Bildung ist wohl +Straftat+
-- wer mag die auf dem Gewissen haben! Das Wort ist gebildet, um
eine gemeinschaftliche Bezeichnung für +Vergehen+ und +Verbrechen+
zu haben. Was soll man sich aber dabei unter +Straf+- denken? das
Hauptwort oder den Verbalstamm? Eins ist so unmöglich wie das andre.
Im ersten Falle würde das Wort auf einer Stufe stehen mit +Freveltat+,
+Gewalttat+, +Greueltat+, +Schandtat+, +Wundertat+. Alle diese
Zusammensetzungen bezeichnen eine Eigenschaft der Tat und zugleich des
Täters; in +Straftat+ aber würde -- die Folge der Tat bezeichnet sein!
Im zweiten Falle würde es auf einer Stufe stehen mit +Trinkwasser+,
und das wäre der helle Unsinn, denn dann wäre es eine Tat, die den
Zweck hätte, bestraft zu werden! Freilich sind solche ungeschickte
Wörter auch früher schon als Übersetzung von Fremdwörtern „von plumpen
Puristenfäusten geknetet“ worden, man denke nur an +Beweggrund+ (für
Motiv), +Fahrgast+ (für Passagier) und ähnliche.

Unter den Eigenschaftswörtern sind ebenso geschmacklose wie
überflüssige Neubildungen: +erhältlich+ (in allen Apotheken
erhältlich), +erstklassig+ (ein erstklassiges Etablissement,
ein erstklassiges Restaurant, ein erstklassiges Pensionat, eine
erstklassige Firma, erstklassiges Personal, erstklassige Spezialitäten
usw.), +erststellig+ und +zweitstellig+ (eine erststellige Beleihung,
eine zweitstellige Hypothek), +innerpolitisch+ (die innerpolitische
Lage), +treffsicher+ (eine treffsichere Charakteristik), +parteilos+
(für unparteiisch), +lateinlos+ (die lateinlose Realschule!);
unter den Adverbien: +fraglos+, +debattelos+ (es wurde +debattelos+
genehmigt), +verdachtlos+ (ein Fahrrad wurde +verdachtlos+ gestohlen --
abgesehen davon, daß hier weder das grammatische Subjekt, das Fahrrad,
noch das logische Subjekt, der Dieb, einen Verdacht haben kann). Nach
+jahrein jahraus+ hat man +tagein tagaus+ gebildet -- ganz töricht! Das
Jahr ist ein großer Ring oder Kreis, in den tritt man ein und wieder
aus; die kurzen Tage aber gleichen einzelnen Schritten, darum sagt man
richtiger: +Tag für Tag+, wie +Schritt für Schritt+.

Besonders gern werfen die Techniker unnötige neue Wörter in die
Sprache. Wenn man auf einen Gegenstand Licht fallen läßt, so nannte
man das früher +beleuchten+. Das hat aber den Photographen nicht
genügt, sie haben sich das schöne Wort +belichten+ ausgedacht. Ein
Ding, womit man ein Zimmer heizt, nannte man früher einen +Ofen+,
und ein Ding, womit man ein Zimmer beleuchtet, einen +Leuchter+
(Armleuchter, Kronleuchter) oder eine +Lampe+. Jetzt nennt man das
eine +Heizkörper+, das andre +Beleuchtungskörper+. +Lehrperson+ und
+Heizkörper+ -- eins immer schöner als das andre! Denen, die sich
für Krematorien begeistern, will doch das Wort +Leichenverbrennung+
nicht gefallen, obwohl es die Sache schlicht und ehrlich bezeichnet.
Daher haben sie zur +Einäscherung+ ihre Zuflucht genommen, oder
gar zur +Feuerbestattung+, ja sie reden sogar davon, daß jemand
+feuerbestattet+ worden sei. Nur schade, daß bei der Leichenverbrennung
der Verstorbne eben nicht +bestattet+, d. h. mit einer +Grabstätte+
versehen wird, und daß man wohl von +Gasbeleuchtung+ und
+Wasserheizung+ sprechen, aber nicht sagen kann: ich +gasbeleuchte+, du
+wasserheizest+.


Modewörter

Verbreitet werden neue Wörter namentlich durch die Jugend und durch die
Ungebildeten, die keine Spracherfahrung haben, die nicht wissen, ob ein
Wort alt oder neu, gebräuchlich oder ungebräuchlich ist; dann werden
sie oft in kurzer Zeit zu Modewörtern. Daß es Sprachmoden gibt so gut
wie Kleidermoden, und Modewörter so gut wie Modekleider, Modefarben,
Modefrisuren und Modesitten, darüber kann gar kein Zweifel sein. In
meiner Kinderzeit fragte man, wenn man jemand nicht verstanden hatte:
+Was?+ Dazu war natürlich zu ergänzen: hast du gesagt? Dann hieß es
plötzlich: +Was+ sei grob, man müsse fragen: +Wie?+ Dazu sollte man
ergänzen: meinen Sie? In neuerer Zeit kamen dann dafür die schönen
Fragen auf: +Wie meinen?+ (vgl. S. 92) und +Wie beliebt?+ (was immer
wie +Bibeli+ klingt), und das Allerneueste ist, daß man den andern
zärtlich von der Seite anblickt, das Ohr hinhält und fragt: +Bötte?+

Nun kommt ja unleugbar auch bisweilen eine hübsche Kleidermode auf,
aber im allgemeinen wird doch die Mode gemacht von Leuten, die
nicht den besten Geschmack haben. Oft ist sie so dumm, daß man sich
ihre Entstehung kaum anders erklären kann, als daß man annimmt,
der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes unter die Leute
geworfen, um zu sehen, ob sie darauf hineinfallen würden. Aber immer
fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie
Verstand, „stets bei wenigen nur gewesen“. Ähnlich ist es mit den
Modesitten. Kann es etwas dümmeres, lächerlicheres geben, als den
Stock in die Rocktasche zu stecken oder ans Knopfloch zu hängen?
etwas unritterlicheres, ja roheres, als daß der Mann auf der Straße
die Frau nicht mehr führt, sondern sich bei ihr einhakt und sich von
ihr schleppen läßt oder sie vor sich herschiebt? Aber mindestens
neunzig von hundert Frauen sind darauf hineingefallen. Zuletzt, wenn
eine Mode so gemein (d. h. allgemein) geworden ist, daß sie auch dem
Beschränktesten als das erscheint, was sie für den Einsichtigen von
Anfang an gewesen ist, als gemein (d. h. niedrig), verschwindet sie
wieder, um einer andern Platz zu machen, die dann denselben Lauf nimmt.
Vornehme Menschen halten sich stets von der Mode fern. Es gibt Frauen
und Mädchen, die in ihrer Kleidung alles verschmähen, was an die
jeweilig herrschende Mode streift; und doch ist nichts in ihrem Äußern,
was man absonderlich oder gar altmodisch nennen könnte, sie erscheinen
so modern wie möglich und dabei so vornehm, daß alle Modegänschen sie
darum beneiden könnten.

Genau so geht es mit gewissen Wörtern und Redensarten. Man hört oder
liest ein Wort -- entweder ein neugebildetes oder, was noch öfter
geschieht, ein bereits vorhandnes in neuer Bedeutung! -- irgendwo zum
erstenmal, bald darauf zum zweiten, dann kommt es öfter und öfter,
und endlich führt es alle Welt im Munde, es wird so gemein, daß es
selbst denen, die es eine Zeit lang mit Vergnügen mitgebraucht haben,
widerwärtig wird, sie anfangen, sich darüber lustig zu machen, es
gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen gebrauchen, bis sie es endlich
wieder fallen lassen. Aber es gibt immer auch eine kleine Anzahl von
Leuten, die, sowie ein solches Wort auftaucht, von einem unbesiegbaren
Widerwillen dagegen ergriffen werden, es nicht über die Lippen, nicht
aus der Feder bringen. Und da ist auch gar kein Zweifel möglich; wer
überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie
sofort und erkennt sie alle. Er sagt sich sofort: das Wort nimmst
du nie in den Mund, denn das wird Mode. Und wenn zwei oder drei
zusammenkommen, die den Modewörterabscheu teilen, und sie vergleichen
ihre Liste, so zeigt sich, daß sie genau dieselben Wörter darauf
haben -- ein Beweis, daß es an den Wörtern liegt und nicht an den
Menschen, wenn manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden.
Ihrer Ausdrucksweise merkt aber trotzdem niemand an, daß sie die Wörter
vermeiden, die klingt so modern wie möglich, niemand vermißt die
Modewörter darin. Gewiß gibt es auch unter den Modewörtern einzelne,
die an sich nicht übel sind. Aber das Widerwärtige daran ist, daß es
eben Modewörter sind, daß sie eine Menge andrer guter Wörter, die
bisher im Gebrauch waren, verdrängen, schließlich sogar in völlig
unpassendem Sinn angewandt werden und doch das bißchen Reiz, daß sie im
Anfange hatten, sehr schnell verlieren.

Im folgenden sollen einige Wörter zusammengestellt werden, die
entweder überhaupt oder doch in der Bedeutung, in der sie jetzt fast
ausschließlich angewandt werden, unzweifelhaft Modewörter sind. Die
meisten davon stehen jetzt in vollster Blüte; einige haben zwar ihre
Blütezeit schon hinter sich, sollen aber doch nicht übergegangen
werden, weil sie am besten zeigen können, wie schnell dergleichen
veraltet.

+Darbietung.+ Als solche wird jetzt alles bezeichnet, was in einem
Konzert oder an einem Vereinsabend geredet, gespielt oder gesungen
wird: die gelungenste +Darbietung+ des Abends -- die +Darbietungen+ des
diesjährigen Pensionsfondskonzerts -- das Programm enthielt auch einige
solistische +Darbietungen+ -- die literarischen +Darbietungen+ im Stil
der freien Bühne usw.

+Ehrung.+ Für +Ehrenbezeigung+ oder +Auszeichnung+. In +Ehrungen+ wird
jetzt ungemein viel geleistet.

+Note.+ Wofür? Ja, wer das sagen könnte! man schwatzt von einer
eignen, einer besondern, einer persönlichen, einer intimen +Note+:
das Leipziger Barock besitzt eine eigne +Note+ -- was dem Buche noch
eine besondre +Note+ gibt, ist, daß es ein späterer Papst geschrieben
hat -- ein Haus gibt seine intime +Note+ an ein andres Haus weiter --
wenn auch die Sammlung meist Kunstwerke enthält, so fehlt doch auch
die +Note+ des Absonderlichen nicht -- mit dem fußfreien Rock hat die
Modedame ihre Erscheinung auf die +Note+ des Mädchenhaften gestimmt.
Das letzte Beispiel ist völliger Unsinn, denn hier ist außerdem noch
+Note+ mit +Ton+ verwechselt.

+Prozent+ oder +Prozentsatz+. Für +Teil+. Aus der Sprache der
Statistik. Man sagt nicht mehr: über die +Hälfte+ aller Arbeiter,
sondern: über +fünfzig Prozent+ aller Arbeiter, nicht mehr: ein ganz
geringer +Teil+ der Künstler, sondern: ein ganz geringer +Prozentsatz+
der Künstler darf hoffen, als Bildhauer oder Maler vorwärts zu kommen.
Man sagt nicht: ein großer +Teil+ der Studenten ist faul, sondern
man klagt über den Unfleiß (!) eines großen +Prozentsatzes+ der
„Studierenden“.

+Rückschluß+, +Rückschlag+ und +Rückwirkung+. Für +Schluß+, +Einfluß+
und +Wirkung+. +Schlüsse+ und +Wirkungen+ gibt es nicht mehr, nur noch
+Rückschlüsse+ und +Rückwirkungen+. Von +Rück+- ist aber meist gar
nicht die Rede.

+Unstimmigkeit.+ Törichte Neubildung für +Widerspruch+,
+Meinungsverschiedenheit+, +Mißhelligkeit+. Es gibt +einstimmige+ und
+vierstimmige+ Lieder, es gibt auch +Einstimmigkeit+ bei Abstimmungen,
aber es gibt weder +Stimmigkeit+ noch +Unstimmigkeit+.

+Verfehlung.+ Mattherzig bemäntelndes Wort für +Verbrechen+,
+Vergehen+. Für Betrügereien, Unterschlagungen, Fälschungen,
Bilanzverschleierungen, betrügerische Bankerotte, Ehebrüche u. dgl.
sehr beliebt.

+Bedeutsam.+ Aufs unsinnigste mißbrauchtes Wort. Goethe sagt in
seiner Beschreibung von dem Selbstbildnis des jungen Dürer, der Maler
halte das Blümlein Mannstreu +bedeutsam+ in der Hand. Das heißt so
viel wie +bedeutungsvoll+: der Maler habe damit sinnbildlich oder
symbolisch etwas andeuten wollen. Von dieser schönen ursprünglichen
Bedeutung des Wortes ist heute nicht der leiseste Hauch mehr zu spüren.
Kein zweites Wort ist binnen wenigen Jahren so heruntergebracht,
so scheußlich entwertet worden wie dieses schöne Wort. Für alles
mögliche muß es herhalten, für +groß+, +wichtig+, +bedeutend+,
+hervorragend+, +wertvoll+, +brauchbar+ usw. Wenn man über eine Sache
nichts, gar nichts zu sagen weiß, so nennt man sie +bedeutsam+.
Man schreibt: der Verfasser hat auch über Luther, Kant, Fichte und
Hegel +bedeutsame+ Bücher geschrieben -- diese Zusammenstellung ist
nicht bloß sprachgeschichtlich, sondern auch kulturgeschichtlich
+bedeutsam+ -- das Buch wird der Erkenntnis Bahn brechen, daß die
Bildhauerei des damaligen Deutschlands eine (!) +bedeutsame+ war --
für den Buchstaben G lagen schon aus Hildebrands Nachlaß +bedeutsame+
Ergänzungen vor -- auch in dem Holzschnittwerk des Meisters findet
sich eine +bedeutsame+ Nummer -- in Amerika sind für die deutsche
Sprache +bedeutsame+ Ereignisse zu verzeichnen -- die Thronrede mußte
um so +bedeutsamer+ wirken, als Österreich jetzt im Brennpunkt des
Interesses steht -- daß diese Gedanken von einer Frau ausgesprochen
wurden, schien dem Herausgeber +bedeutsam+ genug, um (!) sie hier
mitzuteilen. Man schwatzt von +bedeutsamen+ Bekanntschaften, Erfolgen,
Aufgaben, Funden, Kunstwerken, von einer für die Kulturgeschichte
+bedeutsamen+ Veröffentlichung, von einer +bedeutsamen+ Umgestaltung
des Schulwesens, von dem +bedeutsamsten+ Teil der Wettinischen Lande,
von einem +bedeutsamen+ Hinweis auf Pflanzenstudien, von +bedeutsamen+
Probeleistungen einer Kunstgewerbeschule, von +bedeutsamen+ politischen
Momenten (was mag das sein?), ja sogar von einem +bedeutsamen+
Mozartinterpreten (!), von kunstvollen, bzw. (!) durch (!) die
Namen ihrer einstigen Besitzer +bedeutsamen+ Armbrüsten und von
der +bedeutsamen+ Stellung, die in der Kundschaft der Fleischer
die Schänkwirte einnehmen. Jammerschade um das einst so sinnvolle,
gehaltvolle Wort!

+Belangreich+ und +belanglos+. Zwei herrliche Wörter, obgleich kein
Mensch sagen kann, was +Belang+ ist, und ob es +der+ Belang oder +das+
Belang heißt.

+Besser.+ Wird jetzt mit Vorliebe nicht mehr als positive Steigerung
von +gut+, sondern als negative Steigerung von +schlecht+ gebraucht,
also in dem Sinne von +weniger schlecht+. Herrschaften suchen
täglich in den Zeitungen +bessere+ Mädchen, und Mädchen natürlich
nun auch +bessere+ Herrschaften oder auch, wenn sie sich verheiraten
wollen, +bessere+ Herren. Ein Zeitungsverleger versichert, daß
seine Zeitung in allen +bessern+ Hotels und Cafés ausliege, und ein
Geheimmittelfabrikant, daß sein Fabrikat in allen +bessern+ Apotheken
und Drogengeschäften „erhältlich“ sei. Folglich ist +gut+ jetzt besser
als +besser+.

+Eigenartig.+ Äußerst beliebt als Ersatz für das Fremdwort +originell+
und zugleich für +eigentümlich+, worunter man jetzt nur noch so viel
wie +wunderlich+ oder +seltsam+ zu verstehen scheint. Oft auch bloßer
Schwulst für +eigen+ (vgl. S. 400): ein +eigenartiger+ Reiz, ein
+eigenartiger+ Zauber, eine +eigenartige+ Weihe usw.

+Einwandfrei.+ Schöner neuer Ersatz für +tadellos+ und zugleich für
+unanfechtbar+: gesunde, frische, +einwandfreie+ Milch -- ein sittlich
+einwandfreier+ Priester -- eine absolut +einwandfreie+ Berliner
Familie. Daß man nur von Dingen +frei+ sein kann, die einem auch
anhaften können (vgl. +fehlerfrei+, +fieberfrei+), daran wird gar nicht
gedacht.

+Erheblich.+ Altes Kanzleiwort, das man schon für tot und begraben
gehalten hatte, das aber seit einiger Zeit wieder hervorgesucht und
nun, als Adjektiv wie als Adverb, zum Lieblingswort aller Juristen,
Beamten und Zeitungschreiber geworden ist (für +groß+, +wichtig+,
+bedeutend+, +wesentlich+). Es gibt nichts in der Welt, was nicht
entweder +erheblich+ oder +unerheblich+ oder -- +nicht unerheblich+
wäre: eine Wunde, ein Schadenfeuer, eine Gehaltsverbesserung,
eine Verkehrsstörung, alles ist +erheblich+. So heißt es auch vor
Komparativen nicht mehr +viel+, sondern nur noch +erheblich+:
+erheblich+ besser, +erheblich+ größer usw.

+Froh+ und viele Zusammensetzungen damit: +arbeitsfroh+,
+bildungsfroh+, +genußfroh+, +sangesfroh+, +kunstfroh+, +farbenfroh+,
+fleischfroh+ (der +fleischfrohe+ Rubens!), +wirklichkeitsfroh+,
namentlich in der Kunstschreiberei jetzt äußerst beliebt. Wir leben in
einer +kunstfrohen+ Zeit, in der es viele +novitätenfrohe+ Kunstfreunde
gibt.

+Glatt.+ Modewort von der mannigfachsten Bedeutung: +leicht+,
+schnell+, +sicher+, +offenbar+ usw.: der Verkehr wickelte sich +glatt+
ab -- er fiel mit seinem Antrage +glatt+ ab -- es steht zu hoffen,
daß die Heilung der Wunde +glatt+ erfolgen wird -- es liegt ein ganz
+glatter+ Betrug vor -- sogar: das liegt auf +glatter+ Hand (statt: auf
+flacher+)!

+Großzügig.+ Neues Glanzwort, das alle Welt berauscht oder wenigstens
berauschen soll. Wenn man sich früher bei einer Darstellung auf +große
Züge+ beschränkte, so wurde sie gewöhnlich oberflächlich. Nun kann
man ja in anderm Sinne auch von den +großen Zügen+ (Linien) einer
Gebirgslandschaft, also allenfalls auch von einer +großzügigen+
Gebirgslandschaft reden. Was soll man sich aber darunter denken, wenn
es heißt: ein +großzügiges+ Regierungsprogramm wird aufgerollt (!)
-- es fehlt dem Wahlkampf an einer +großzügigen+ Bewegung -- einen
Zufall gibt es für diesen Standpunkt (!) +großzügiger+ Auffassung
nicht -- die protestantischen Völker verfolgen +großzügig+ ihre Ziele
-- seiner +großzügigen+ Persönlichkeit entsprechend hat Begas sein
Lehramt ohne Pedanterie verwaltet -- das Denkmal ist eine +großzügige+
deutsche Tat, auf die Leipzig stolz sein kann -- G. verrät in seinen
Porträtköpfen eine +großzügige+ Eigenart -- zeichnerische Genialität
und malerische Kraft paaren sich mit +großzügigem+ Realismus? Was soll
man sich unter einer +großzügigen+ Stadtverwaltung, unter +großzügigen+
Straßennetzen, Bebauungsplänen und Bauschöpfungen, einem +großzügig+
redigierten Familienblatt, unter der +großzügigen+ Formensprache des
Barock und der imposanten +Großzügigkeit+ seiner Fassaden vorstellen?
Was sind das für „Züge“, an die man dabei denken soll? Gemeint ist
bald einfach +groß+ oder +großartig+, bald +reich+, +kräftig+ oder
+schwungvoll+, bald +geistreich+ oder +geistvoll+, bald +weitherzig+
oder +weitblickend+. Das alles soll jetzt das alberne +großzügig+
ausdrücken! Es ist ein ganz infames Klingklangwort, ohne allen Sinn und
Inhalt, so recht für die gedankenlose, groß--mäulige Schwätzerei unsrer
Tage ersonnen, namentlich für die Kunstschwätzerei, aus deren Kreisen
es höchstwahrscheinlich auch stammt.

+Hochgradig.+ Für +hoch+ oder +groß+; aus der Sprache der Ärzte:
+hochgradiges+ Fieber. Dann auch +hochgradige+ Erregung, +hochgradige+
Erbitterung usw.

+Jugendlich.+ Modeersatz für +jung+, das vollständig in Verruf gekommen
ist. Hat namentlich seit der Thronbesteigung des jetzigen Kaisers um
sich gegriffen. Den wagte man nicht +jung+ zu nennen -- wahrscheinlich
hielt man das für eine Majestätsbeleidigung --, man sagte immer:
unser +jugendlicher+ Kaiser, und genau so ging es dann wieder mit
dem +jugendlichen+ Kronprinzen. Welch großer Unterschied zwischen
+jung+ und +jugendlich+ ist, welch erfreuliche Erscheinung z. B. ein
+jugendlicher Greis+, welch klägliche ein +junger Greis+ ist, dafür hat
man gar kein Gefühl mehr, fort und fort redet man von +jugendlichen+
Arbeitern, +jugendlichen+ Übeltätern, Verbrechern, Dieben,
Brandstiftern, einer +jugendlichen+ Sängerschar, sogar +jugendlichen+,
unter sechzehn Jahren alten Mädchen; den siebenjährigen Knaben Mozart
nennt man den +jugendlichen+ Mozart und den sechzehnjährigen Studenten
Goethe den +jugendlichen+ Goethe und betont das +jugendliche Alter+,
in dem er die Universität bezog! Überall ist +jung+ gemeint, und
+jugendlich+ wird gesagt und geschrieben.

+Minderwertig.+ Verhüllender Ausdruck für +schlecht+, +wertlos+,
+unbrauchbar+. Irgendeinen Menschen oder eine Sache +schlecht+
zu nennen, hat man nicht mehr den Mut; man spricht nur noch von
+minderwertigem+ Fleisch, +minderwertigen+ Kartoffeln, +minderwertigen+
Existenzen, sogar von +minderwertigen+ Referendaren.

+Offensichtlich.+ Lieblingswort der Zeitungschreiber, zusammengebraut
aus +sichtlich+ und +offenbar+: die +offensichtliche+ Gefahr,
+offensichtliche+ Mängel, mit +offensichtlichem+ Stolz usw.

+Schneidig.+ Blühendes Modewort zur Bezeichnung der eigentümlichen
Verbindung von äußerlicher Schniepelei und innerlicher Roheit,
Fatzkentum und Landsknechtswesen, in der sich ein Teil unsrer jungen
Männerwelt jetzt gefällt. Zum Glück im Rückgange begriffen.

+Selbstlos.+ Kühne Bildung. Eine Zeit lang sehr beliebt zur Bezeichnung
des höchsten Grades von Uneigennützigkeit und Opferwilligkeit. Hat aber
auch schon ziemlich abgewirtschaftet.

+Tiefgründig.+ Neues Modewort. Man spricht von +tiefgründiger+, das
soll heißen: in die Tiefe gehender Arbeit und Forschung, aber auch von
+tiefgründigen+, das soll heißen geheimnisvollen Kunstwerken: Klingers
Werke sind viel zu +tiefgründig+ (!), um dem unvorbereiteten Betrachter
schnell ihren Gehalt zu offenbaren -- endlich aber auch schon von
+tiefgründiger+ (statt +tiefer+!) Vaterlandsliebe.

+Tunlich+ und +angängig+. Lieblingswörter der Kanzleisprache für
+möglich+: mit +tunlichster+ Bälde.

+Uferlos+, für endlos: +uferlose+ Debatten, die Darstellung verliert
sich in +uferlose+ Breite. Ja ja, wir sind ein seefahrendes Volk
geworden.

+Unerfindlich.+ Für +unbegreiflich+ oder +unverständlich+. Verfehlt
gebildet, da +erfinden+ in dem Sinne, wie es in +unerfindlich+
verstanden werden soll, ungebräuchlich ist. Trotzdem eine Zeit lang
sehr beliebt, jetzt im Rückgange.

+Ungezählt.+ Sehr beliebte neue Modedummheit für +unzählig+,
+zahllos+, ja sogar für +zahlreich+. Napoleon stand einer Streitmacht
+ungezählter+ Kosaken gegenüber -- die Stadtchronik berichtet von
+ungezählten+ Festen -- dieser Schrank birgt +ungezählte+ Zinnkannen
-- die Atmosphäre ist mit +ungezählten+ Kohlenteilchen erfüllt --
Messel hat im Wertheimpalast Normen geschaffen, die bestimmend für
+ungezählte+ Warenhäuser wurden -- eine +ungezählte+ Menge drängte
sich nach dem Unglücksplatz -- +ungezählte+ Deutsche feiern heute
den Geburtstag des großen Kanzlers -- der Roman erlebte +ungezählte+
Auflagen. Ob eine Menge gezählt worden ist, darauf kommt es doch gar
nicht an, sondern darauf, ob sie gezählt werden konnte! Die Auflagen
eines Buches aber werden wirklich gezählt.

+Verläßlich.+ Modewort für +zuverlässig+. Wunderliche Verirrung!
+Zuverlässig+ ist ein schönes, kräftiges Wort; wer +zuverlässig+ ist,
auf den kann man sich wirklich verlassen. Einem +Verläßlichen+ würde
ich nicht über den Weg trauen; das Wort hat gleich so etwas widerwärtig
weichliches.

+Vornehm.+ Im Superlativ ausschließlicher Ersatz für alle
Zusammensetzungen, die früher mit +Haupt+- gebildet wurden. Für
+Haupt+ursache, +Haupt+bedingung, +Haupt+zweck, +Haupt+aufgabe heißt
es nur noch: die +vornehmste+ Ursache, die +vornehmste+ Bedingung, der
+vornehmste+ Zweck, die +vornehmste+ Aufgabe. Je öfter man +vornehm+
schreibt, desto vornehmer kommt man sich selber vor.

+Zielbewußt.+ Von der sozialdemokratischen Presse in Umlauf gesetzt und
eine Zeit lang von ihr mit blutigem Ernst gebraucht. Heute nur noch mit
Gänsefüßchen möglich: ein „zielbewußter“ Autographensammler u. ähnl.

+Abstürzen.+ Für +herabstürzen+ oder +hinabstürzen+; namentlich von
den Alpenfexen verbreitet. In den Zeitungen +stürzen+ aber schon nicht
mehr bloß Bergkletterer +ab+, sondern auch Steinblöcke in Steinbrüchen,
Turner vom Reck, Kinder vom Straßenbahnwagen usw. Man setze +fallen+
für +stürzen+, und man wird die Lächerlichkeit fühlen! Ab mit
Zeitwörtern zusammengesetzt bedeutet ja die Trennung, die Entfernung;
vgl. +abfallen+, +abgehen+, +abfahren+, +absenden+, +abspringen+,
+abnehmen+, +abreißen+, +abhauen+, +abschneiden+ usw.

+Anschneiden+ und +aufrollen+. Eine Frage, ein Thema wird nicht
mehr +berührt+, +angeregt+ -- das ist viel zu fein --, sondern
entweder werden sie +angeschnitten+, wie eine Blutwurst, oder sie
werden +aufgerollt+, wie ein Treppenläufer oder eine Linoleumrolle.
Das ist die Bildersprache der Gegenwart! Und wenn eine Frage dann
+aufgerollt+ oder +angeschnitten+ ist, dann kommt es darauf an, sich
ein tüchtiges Stück +abzuschneiden+. Gelingt einem das, dann hat man
+gut abgeschnitten+, das soll heißen: man ist gut dabei weggekommen.
Wie wird Deutschland dabei +abschneiden+?

+Auslösen.+ Für +erregen+, +wecken+, +hervorrufen+, +veranlassen+.
Aus der Mechanik, wo es so viel bedeutet, wie durch Beseitigung einer
Hemmung irgend etwas in Bewegung oder Tätigkeit setzen: der Dichter
will uns nicht seine Gedanken aufnötigen, sondern unsre eignen
Gedanken +auslösen+ -- ein Wort, das gerade in diesem Zusammenhange
eigentümliche Empfindungen +auslösen+ mußte -- ob ein Unlustgefühl
eine Handlung +auszulösen+ imstande ist -- Eindrücke, die leicht
pathologische Reize +auslösen+ -- durch frische Luft wird körperliches
Wohlbefinden +ausgelöst+ -- allgemeine Heiterkeit +löste+ folgender
Vorfall +aus+. Aber auch: manche lyrische Gedichte Goethes lassen sich
in der Musik nicht voll (!) +auslösen+ -- in den ersten Monaten seiner
Universitätszeit +löste sich+ (!) bei ihm eine kräftige Fuchsenstimmung
+aus+. Schön gesagt!

+Ausschalten.+ Für +beseitigen+, +fernhalten+, +vermeiden+, +unnötig
machen+, +aufgeben+ usw.: der Einfluß des Charakters kann natürlich
nicht +ausgeschaltet+ werden -- nachdem alle andern Projekte
+ausgeschaltet+ sind -- um sprachliche Erklärungen des Textes von
vornherein +auszuschalten+. Man muß doch zeigen, daß man mit dem
Telephon und dem elektrischen Licht Bescheid weiß.

+Bedeuten.+ Gespreizter Ersatz für +sein+, für die ganz einfache
„Kopula“: sein Tod +bedeutet+ für die gesamte Kunst einen schweren
Verlust -- eine dreiköpfige Leitung würde eine äußerst bedenkliche
Einrichtung +bedeuten+ -- die Schülerfahrt nach Weimar soll für
jeden Teilnehmer ein unvergeßliches Erlebnis +bedeuten+ -- welche
Ermäßigung das gegenüber dem jetzigen Tarif +bedeuten+ würde, mag
folgendes Beispiel zeigen -- diese Art der Einordnung +bedeutet+
einen willkürlichen Anachronismus -- Gobineaus letzte Lebensjahre
+bedeuten+ den Schlußakt eines erschütternden Trauerspiels -- der Tod
der Königin +bedeutete+ für Southampton das Ende der Kerkerhaft. (Vgl.
+darstellen+.)

+Begrüßen.+ Neuerdings sehr beliebt statt: +willkommen heißen+.
+Begrüßen+ ist aber ein neutraler Begriff; man kann etwas mit Freuden,
mit Jubel, dankbar, aber auch kühl, gleichgiltig, mit sauersüßer Miene
begrüßen. Es ist also nichtssagend, wenn geschrieben wird: es wäre zu
+begrüßen+, wenn solche Untersuchungen weiter angestellt würden --
daß Bach mit Chorälen vertreten ist, kann man nur +begrüßen+ -- wir
müssen es immer +begrüßen+, wenn ein Mann der Wissenschaft die Gabe
volkstümlicher Darstellung besitzt (!).

+Bekannt geben.+ Für +bekannt machen+, weil +machen+ nicht mehr für
fein gilt. Freilich wird ein bißchen viel +gemacht+: ein Mädchen
+macht+ sich erst die Haare, dann +macht+ sie die Betten, dann +macht+
sie Feuer usw. Sonntags +macht+ der Leipziger sogar nach Dresden.
Trotzdem ist +bekannt geben+ eine Abgeschmacktheit.

+Sich beziffern.+ Statt +betragen+, +sich belaufen+. Aus der
Statistik, die ja keine +Zahlen+ kennt, sondern nur +Ziffern+ (obwohl
sich Ziffer zu Zahl verhält wie Buchstabe zu Laut und Note zu Ton):
Bevölkerungs+ziffer+, Durchschnitts+ziffer+ -- ich kann Ihnen noch
einige +Ziffern+ vorlegen -- das Personal +beziffert sich+ auf hundert
Köpfe -- der Verlust +beziffert sich+ auf 30000 Mann usw.

+Darstellen.+ Schauderhaft gespreizter Ersatz für +bilden+ in dem
Sinne von +sein+ (vgl. +bedeuten+). Schon +bilden+ war überflüssige
Ziererei, wenn man an seine eigentliche Bedeutung denkt. Nun
vollends +darstellen+! Und doch wird jetzt nur noch geschrieben:
ein Staatspapier, wie es unsre Konsols bisher +darstellten+ -- der
Jahresbericht, den die zweite Lieferung des Buches +darstellt+ --
das Geschwader +stellt+ eine bedeutende Streitmacht +dar+ -- die
Zusammenkünfte sollen ein kollegiales Bindemittel +darstellen+ -- diese
Bahn +stellt+ den nächsten Landweg von Mitteleuropa nach Indien +dar+
-- diese Beschäftigung +stellt+ keine ausreichende Tätigkeit +dar+
-- die Menschheit, die trotz aller Mängel doch nicht bloß eine Schar
von armen Sündern +darstellt+ -- Bücherschätze, die ein herrliches
Zeugnis für die Freigebigkeit früherer Jahrhunderte +darstellen+ --
die Akademie +stellt+ einen zusammenhängenden Organismus +dar+ --
ein Gebiet, das an dem großen Baume des Kunstgewerbes nur einen Ast
+darstellt+ -- ein Unternehmen, bei dem die hochtönenden Namen offenbar
die Hauptsache +darstellen+ -- das Fleisch der Seefische +stellt+ auch
für den Arbeiter ein vollwertiges Nahrungsmittel +dar+ -- unterliegt
ein Volk seinem Gegner, so bleibt nur der Schluß, daß es einen weniger
lebensfähigen Typ (!) repräsentiert (!), als ihn der Sieger +darstellt+
(d. h. nicht so lebensfähig ist wie der Sieger!). Kann es einen
alberneren Sprachschwulst geben?

+Einschätzen.+ Es wird nichts mehr +geschätzt+, +beurteilt+, für etwas
+gehalten+, sondern alles wird +eingeschätzt+: ein Buch, das der
Kritiker dieses Blattes +hoch einschätzt+ -- ein Parteifreund, der die
ultramontane Gefahr minder hoch +einschätzt+ -- man muß sich selbst
beobachten und studieren, um seine Fähigkeiten richtig +einzuschätzen+
-- sie nahm zu einem Manne ihre Zuflucht, dessen Charakter sie falsch
+einschätzte+ -- auch die +Einschätzung+ der künstlerischen Tätigkeit
ist dem Wechsel der Zeiten unterworfen -- 1849 gab es nicht einen
Menschen, der Goethes Wert richtig +einschätzte+ -- das Buch ermöglicht
uns eine richtige +Einschätzung+ der Verhältnisse unsers Grenznachbars
-- ein Diplomat, der die Gewähr bietet, daß er Stimmungen und
Personen aus eigner Anschauung +einzuschätzen+ weiß -- sein Idealismus
+schätzte+ den Opfermut seiner Landsleute zu hoch, die Schwierigkeiten
zu niedrig +ein+ -- Zöllners Musik zur Versunknen Glocke ist höher
+einzuschätzen+ als seine Faustmusik. Warum denn +ein+-? +Eingeschätzt+
wird man bei der Steuer, sonst nirgends. Dort hat das +ein+- seinen
guten Sinn, denn man wird durch die Schätzung in eine bestimmte
Steuerklasse gesetzt, und daran hängt die Verpflichtung, eine bestimmte
Steuer zu bezahlen. Irgendein dummer Kerl hat das Wort für +schätzen+,
+beurteilen+ gebraucht, und die gescheitesten Leute sind darauf
hineingefallen. Hat man gar kein Gefühl mehr für die Bedeutung eines
Wortes, daß man solchen Unsinn sagt, wie hohe +Einschätzung+ der Kunst?
Muß man denn auf Schritt und Tritt an den Steuerzettel erinnert werden?

+Einsetzen.+ Seit einigen Jahren großartiges Modewort für +anfangen+
und +beginnen+, und gleichfalls eins der schlagendsten Beispiele von
der Gedankenlosigkeit, mit der solche Wörter nachgeplärrt werden.
Das Wort ist von den Musikschreibern in die Mode gebracht worden. In
einer Fuge +setzen+ die einzelnen Stimmen hintereinander +ein+, jede
Stimme nämlich in das, was die vorhergehende schon singt. Das hat
guten Sinn. Aber die erste Stimme -- +setzt+ die auch +ein+? Nein,
die +beginnt+ oder +fängt an+, denn sie ist eben die erste. Und das
ist nun der Blödsinn, und diesen Blödsinn haben die Musikschreiber
selbst aufgebracht, daß +einsetzen+ als Modewort ausschließlich für
das wirkliche +anfangen+ oder +beginnen+ gebraucht wird, außerdem aber
noch für viele andre Wörter, auf die man zu faul ist sich zu besinnen.
Bücher und Zeitungen wimmeln von Beispielen: die Untersuchungen über
die Grenzen der Instrumentalmusik +setzen+ erst nach Beethoven +ein+
-- die Festspiele haben Mittwoch mit Don Juan unter sehr günstigem
Stern +eingesetzt+ -- ihre greifbarste Gestalt haben diese Bestrebungen
in dem +Einsetzen+ (Entstehung, Gründung) der deutschen Liedertafeln
-- die Verhandlungen +setzten+ sehr ruhig +ein+ -- überaus heftig
+setzte+ alsbald die Kritik +ein+ -- groß und vielversprechend
+setzt+ Klingers Schaffen +ein+ -- die Kampftage waren vorüber, das
Strafgericht +setzte+ mit alter Herzlosigkeit +ein+ -- die Romantik
+setzt+ in Dresden früh und mit Entschiedenheit +ein+ -- damit hat
Uhlfeldt sein Schicksal besiegelt, und die fallende Handlung +setzt
ein+ -- die Kunst kann erst +einsetzen+, wenn dem Schauspieler die
Seele der dargestellten Person in Fleisch und Blut übergegangen ist --
die Mode, bei Abendgesellschaften farbige Schuhe zu tragen, hat schon
+eingesetzt+ -- hier hört der Historiker auf, und der Theolog +setzt
ein+ -- Paul Krügers Memoiren +setzen+ mit seiner Jugend +ein+ -- die
aufbewahrten Schreiben von Freytags Hand +setzen+ mit dem Jahre 1854
+ein+ -- die heutige Verhandlung +setzte+ mit einem Briefe Schmidts
+ein+ -- dogmatische Spekulation +setzte+ schon zur Zeit der Entstehung
der Evangelien +ein+ -- in dieser Zeit scheinen seine Bemühungen
um eine Professur +einzusetzen+ -- die Scheidung der Mundarten hat
bereits im sechzehnten Jahrhundert +eingesetzt+ -- der wirtschaftliche
Niedergang +setzte+ im Jahre 1901 +ein+ -- im Frühjahr +setzt+
regelmäßig eine stärkere Bautätigkeit +ein+ -- das Erdbeben +setzte+
5 Uhr 30 Minuten +ein+ -- die schon früh +einsetzende+ Dunkelheit
erhöht die Gefahr -- als ob die Brauchbarkeit der Halle bewiesen
werden sollte, +setzte+ am Nachmittag ein gelinder Regen +ein+ -- ja
sogar: für die diesjährige Saison haben die Fabrikanten mit billigen
Preisen +eingesetzt+ (!) -- die Diskussion in der Presse +beginnt+
(!) bereits +einzusetzen+ -- es +beginnt+ (!) hier eine Entwicklung
+einzusetzen+, die möglicherweise zu irrigen Schlüssen führen könnte.
Wem diese Beispiele den Appetit noch nicht verdorben haben, der
sammle in den nächsten drei Tagen selber weiter, bis ihm der Appetit
vergeht. Vernünftigen Sinn hat es, wenn man schreibt: Hier muß die
Wissenschaft +einsetzen+, wenn sie zu einer befriedigenden Lösung der
Frage kommen will; denn hier schwebt ein ganz andres Bild vor, nämlich
das vom Einsetzen oder Ansetzen des Hebels. Aber Unsinn ist es wieder,
zu schreiben: Hier will mein Buch +einsetzen+ (für +eingreifen+,
+einspringen+, +in die Lücke treten+).

+Einstellen.+ Aus der Sprache des Photographen, der die Camera
einstellt: der Blick, die Aufmerksamkeit muß auf diesen Punkt
+eingestellt+ werden. Warum denn nicht: +gelenkt+, +gerichtet+,
+geleitet+?

+Entgegennehmen.+ Spreizwort für +annehmen+. Anfangs nahm bloß der
Kaiser das Beglaubigungsschreiben des Botschafters eines auswärtigen
Souveräns +entgegen+. Das +entgegen+ malte das Zeremoniell der
feierlichen Handlung. Jetzt werden auch Geldbeiträge für öffentliche
Sammlungen, Blumenspenden für Begräbnisse, Anmeldungen neuer Schüler,
Inserate für die nächste Nummer, Bestellungen auf das nächste Quartal
nur noch +entgegengenommen+ -- immer feierlich, herablassend. Sogar
die Kürschnergesellen nehmen ihren Jahresbericht +entgegen+, und der
Angeklagte +nimmt+ das Todesurteil gefaßt, das Publikum aber +nimmt+ es
mit tiefem Schweigen +entgegen+.

+Erübrigen+ und +sich erübrigen+. Ein schlagendes Beispiel dafür,
welche Verwirrung durch überflüssige und halbverstandne Neubildungen
angerichtet werden kann. +Erübrigen+ war bisher ein transitives
Zeitwort und bedeutete so viel wie +sparen+, +zurücklegen+: ich habe
mir schon ein hübsches Sümmchen +erübrigt+. Das hat man neuerdings
angefangen intransitiv zu gebrauchen in dem Sinne von +übrig
bleiben+: es +erübrigt+ noch, allen denen meinen Dank auszusprechen
-- es +erübrigt+ nur noch, besonders darauf hinzuweisen usw. Andre
aber, die das Wort wohl hatten klingen hören, aber nicht auf den
Zusammenhang geachtet hatten, fingen gleichzeitig an, es in dem Sinne
von +überflüssig sein+ zu gebrauchen: auf die ganze Tagesordnung
+erübrigt+ es heute einzugehen -- hier +erübrigt+ jedes weitere Wort
-- es +erübrigt+ für mich jede weitere Bemerkung -- ein ausdrücklicher
Verzicht +erübrigt+ von selbst. Noch andre endlich machten das Wort in
der zweiten Anwendung zum Reflexiv und schrieben: die Ratschläge, deren
Wiedergabe +sich erübrigt+ -- alle weitern Schritte +erübrigen sich+
hierdurch -- es +erübrigt sich+ wohl, noch besonders darauf hinzuweisen
-- es +erübrigt sich+, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. In
solchen Quatsch gerät man, wenn man vor lauter Modenarrheit zwei
guten, deutlichen Ausdrücken wie +übrig bleiben+ und +überflüssig sein+
aus dem Wege geht.

+Erzielen.+ Ausschließlicher Ersatz für +erreichen+. +Erreicht+ wird
nichts mehr; Nutzen, Gewinn, Vorteil, Ergebnisse, Erfolge, alles wird
+erzielt+.

+Führen.+ Statt +hervorragen+, +Bahn brechen+, +den Ton angeben+. Man
spricht nur noch von +führenden+ Geistern, Denkern, Persönlichkeiten,
Kunstschriftstellern, Chirurgen, von der +führenden+ Presse, von
Leuten, die eine +führende+ Stelle oder Stellung einnehmen, eine
+führende+ Rolle spielen, und Henckell Trocken ist die +führende+
Marke! Bei +hervorragen+ sah man gleichsam eine stillstehende
Reihe oder Gruppe vor sich; bei +führen+ sieht man die ganze Bande
marschieren, und zwar im Gänsemarsch.

+Im Gefolge haben.+ Modephrase für: +zur Folge haben+. Bisher hatte nur
ein Fürst ein Gefolge; jetzt heißt es: die Not +hat+ Unzufriedenheit
+im Gefolge+ -- Reformen, die die Schmälerung des Profits +im Gefolge
haben+ könnten -- anarchistische Bestrebungen, die reaktionäre
Maßregeln +im Gefolge haben+ -- der Fall +hatte+ eine fünfjährige
Freiheitsstrafe +im Gefolge+ -- es ist nicht zu verkennen, daß die
Preßfreiheit auch schwere Schäden +im Gefolge hatte+. Man überlege sich
nur, was für Unsinn man da hinschreibt!

+Gestatten.+ Feiner Ersatz für +erlauben+, das ganz ins alte Eisen
geworfen ist. Hat aber seine Laufbahn ziemlich rasch zurückgelegt.
Auch der Handlanger sagt schon, ehe er einem auf die Füße tritt:
+Gestatten!+ so gut wie er schon die Zigarette nachlässig zwischen den
Lippen hängen hat. Wo bleibt nun die Feinheit?

+Landen für ankommen.+ Anfangs als Scherz, jetzt aber in vollem Ernst
geschrieben: als Schiffbrüchiger +landete+ er in Rom -- 1842 war Wagner
nach langer Wanderung in Dresden +gelandet+ (wahrscheinlich kam er mit
dem Schandauer Dampfschiff).

+Rechnung tragen.+ Beliebte Phrase des Kanzleistils und bequemer Ersatz
für alle möglichen Zeitwörter und Redensarten: wir sind bemüht,
diesen Beschwerden +Rechnung zu tragen+ (+abzuhelfen+!) -- Ihrem
Wunsche, den Gebrauch der Fremdwörter einzuschränken, werden wir gern
+Rechnung tragen+ (+erfüllen+!) -- es finden sich Bearbeitungen von den
einfachsten bis zu den schwierigsten, sodaß allen Vereinen +Rechnung
getragen+ ist (+Rücksicht genommen+!) -- es war zu erwarten, daß das
Volk durch eine Landestrauer seinen Gefühlen +Rechnung tragen+ würde
(+Ausdruck geben+!) -- dieser Auffassung haben wir auch +Rechnung
getragen+ (+bestätigt+!) -- wie wenig die Verwaltung diesem Grundsatz
+Rechnung getragen+ hat (+gefolgt ist+!).

+Schreiten+, +beschreiten+, +verschreiten+. Für +gehen+ oder +sich
wenden+. Man +schreitet+, oder noch lieber: man +verschreitet+ zur
Wahl, zur Abstimmung, zur Veröffentlichung, zur Operation, ja sogar
zum Aufgießen des Tees. Fürsten +gehen+ nie, sie +schreiten+ immer:
der Kaiser +schritt+ zunächst durch die Sammlung der Musikinstrumente.
Aber auch: die Maori +schreiten+ unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen
-- immer mit gehobnen und gestreckten Beinen, wie die Rekruten auf dem
Drillplatze.

+Tragen.+ Feierlicher Ersatz für +bringen+: wir +tragen+ dem Kaiser
Liebe und Vertrauen +entgegen+. Nur schade, daß man einem nur etwas
in den Händen oder auf einem Präsentierteller +entgegentragen+ kann,
in seinem Innern aber doch nur +entgegenbringen+. Ganz besonders
aber ist +getragen sein+ jetzt beliebtes Spreizwort für +erfüllt
sein+: von künstlerischer Überzeugung +getragen+ -- von patriotischer
Wärme +getragen+ -- von religiöser Gläubigkeit +getragen+ -- von
wissenschaftlichem Ernst +getragen+ -- von düsterm Pessimismus
+getragen+ -- eine von hoher Begeisterung +getragene+ Rede -- eine
fesselnde, von staunenswerter Belesenheit +getragene+ Darstellung
-- eine von froher Geselligkeit +getragene+ Veranstaltung -- die
geräuschlose, von warmer Fürsorge für die Jugend +getragene+ Arbeit
-- der Kommers nahm einen von echt studentischem Geiste +getragenen+
Verlauf -- der Empfang des Kaisers war von herzlicher Begeisterung
+getragen+ usw. Man muß immer an einen Luftballon denken.

+Treten.+ Ebenso beliebt wie +schreiten+. Einer Frage wird näher
+getreten+, das Ministerium ist zu einer Beratung zusammen+getreten+,
und besonders gern wird in etwas +eingetreten+: Arbeiter +treten+
in einen Streik, sogar in einen Ausstand +ein+, eine Versammlung
+tritt+ in eine Verhandlung +ein+, der Reichskanzler ist in ernstliche
Erwägungen +eingetreten+, und der Gelehrte schreibt: ich will auf
dieses Gebiet hier nicht näher +eintreten+ -- ich mag hier nicht in
den Streit über die Bedeutung Hamerlings +eintreten+. Das schönste
aber ist: +in die Erscheinung treten+ (statt +erscheinen+ oder +zur
Erscheinung kommen+): es ist bei dieser Gelegenheit scharf (!) +in
die Erscheinung getreten+ (es hat sich deutlich gezeigt) -- dabei
+tritt+ das Gesetz +in die Erscheinung+ (dabei kann man beobachten)
-- es zeigten sich Krankheitssymptome, die immer intensiver +in die
Erscheinung traten+ -- der Zustand der Herzschwäche +trat+ vermindert
+in die Erscheinung+ -- es handelt sich um eine Krankheit des modernen
Lebens, die hier in besonders krasser Weise +in die Erscheinung tritt+
-- Unregelmäßigkeiten +treten+ um so mehr +in die Erscheinung+, je
kleiner das Beobachtungsfeld ist -- hier +tritt+ nie eine so starke
territoriale Zersplitterung +in die Erscheinung+ -- das Gesamtleben des
Reichs +tritt+ in der Hauptstadt konzentriert +in die Erscheinung+ --
das Nachtleben +tritt+ in Berlin weit auffälliger +in die Erscheinung+
-- ja sogar der neue Spielplan wird zu Neujahr +in die Erscheinung
treten+. Wie vornehm glauben sich die Leute mit diesem ewigen Getrete
auszudrücken, und -- wie albern ist es!

+Vertrauen.+ Mit nachfolgendem Objektsatz (!), statt +hoffen+,
+glauben+, +überzeugt sein+: das Ministerium +vertraut, daß+ der
eingerissene Mißbrauch bald wieder abgestellt sein werde -- die Leser
können +vertrauen, daß+ wir bei der Feststellung des Textes die größte
Vorsicht haben walten lassen.

+Vorbestrafen.+ Lieblingswort aller Polizeireporter und aller
Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen: ein schon zehnmal
+vorbestrafter+ Kellner -- ein schon fünfzehnmal +vorbestrafter+
Riemergeselle -- ein schon vielfach, sogar mit Zuchthaus,
+vorbestraftes+ Subjekt. Als ob nicht +bestraft+ genügte! Müssen denn
nicht, wenn einer „schon oft“ bestraft worden ist, diese Strafen
+vor+ der liegen, die ihn jetzt erwartet! Der Unsinn ist aber nicht
auszurotten. Vielleicht schreibt man nächstens auch noch: eine bisher
noch +unvorbestrafte+ Verkäuferin.

+Vorsehen+, nicht als reflexives, sondern als transitives Zeitwort:
+etwas vorsehen.+ Binnen wenigen Jahren mit ungeheurer Schnelligkeit
in der Kanzlei- und Zeitungssprache verbreitet, für denkfaule Leute
wieder ein willkommner Ersatz für alle möglichen Zeitwörter. Auf dem
Gymnasium wird man im lateinischen Unterricht ermahnt, ~providere~
ja nicht mit +vorsehen+ zu übersetzen, es sei das ein gemeiner
Latinismus; gut übersetzt heiße es: für etwas +sorgen+, +Fürsorge+ oder
+Vorsorge treffen+, etwas +vorbereiten+. Dieser „gemeine Latinismus“
ist der neueste Stolz der Kanzlei- und Zeitungssprache: Sache der
Übungsbücher ist es, eine geordnete Folge von Übungen +vorzusehen+ --
zur Erhöhung der Beamtengehalte sind für das Jahr 1904 keine Mittel
+vorgesehen+ -- die Erstaufführung (!) ist für die Saison 1903 am
Leipziger Stadttheater +vorgesehen+ -- als Verbindung zwischen beiden
Straßen ist eine Allee +vorgesehen+ -- für die Rasenrabatten ist die
übliche niedrige Einfassung +vorgesehen+ -- für den Speisesaal ist
Rokoko +vorgesehen+ -- die Selbstregierung, die das Friedensinstrument
+vorsieht+ -- die zu einer Ferienreise +vorgesehenen+ Ersparnisse der
Schulkinder -- das Richtfest der hiesigen Kirche ist auf Sonnabend
den 5. November +vorgesehen+ -- für den Besuch Sr. Majestät in der
Handelsschule ist folgendes Programm +vorgesehen+ -- für den Abend
ist ein Fackelzug +vorgesehen+ usw. Also +sorgen+, +beabsichtigen+,
+planen+, +bestimmen+, +festsetzen+ -- alles wird mit diesem aus reiner
Dummheit dem Lateinischen nachgeäfften +vorsehen+ ausgedrückt!

+In die Wege leiten.+ Herrliche neue Modephrase der Amts- und
Zeitungssprache für -- ja, wofür? Eigentlich für gar nichts. Anstatt
einfach zu sagen: es wurde eine starke Seemacht +geschaffen+ -- er
hat mancherlei Technisches +unternommen+ -- die Veranstaltung wird
schon jetzt +vorbereitet+ -- es wäre zu wünschen, daß ein solches
Amt +eingerichtet+ würde -- heißt es: die Schaffung einer starken
Seemacht wurde +in die Wege geleitet+ -- er hat mancherlei technische
Unternehmungen +in die Wege geleitet+ -- die Vorbereitungen zu der
Anstalt werden bereits +in die Wege geleitet+ -- es wäre zu wünschen,
daß die Organisation eines solchen Amtes +in die Wege geleitet+ würde.
Und ein Unterbeamter schreibt an den andern: ich bitte, das Weitere
baldgefälligst (!) +in die Wege leiten+ zu wollen.

+Werten+ und +bewerten+. Neben +einschätzen+ (vgl. S. 377) seit
kurzem äußerst beliebte Spreizwörter für +schätzen+, +beurteilen+,
+für etwas ansehen+ oder +halten+. Bisher kannte man nur +verwerten+
und +entwerten+. Jetzt wird aber alles +gewertet+ oder +bewertet+:
in Schlesien weiß man die Kraft, die aus der Muttererde strömt, wohl
zu +werten+ -- diese Luxusausgaben werden im Handel bereits hoch
+bewertet+ -- seine Schriften verraten eine selten (!) hohe +Wertung+
der Ehe -- es drängt sich die Frage auf, wie ein sächsischer Offizier
einem preußischen gegenüber zu +bewerten+ sei -- wir können diese
Urteile nicht als Urteile eines ernsthaften Journalisten +bewerten+
-- diese Abweichung von der Regel dürfte als nicht ganz sachgemäß
+bewertet+ werden -- man muß die Ausdrucksweise einer Zeit kennen,
wenn man ihre Freundschaften und Liebschaften +bewerten+ will -- die
Monarchenzusammenkunft wird in der N. A. Z. mit folgenden Worten
+gewertet+ -- beide, er wie sie, wollen selbständig +gewertet+
werden -- bei der wissenschaftlichen +Wertung+ des Problems tut vor
allem Nüchternheit not -- man muß die juristische +Bewertung+ des
Falles abwarten -- ja sogar: die +Bewertung+ und +Beurteilung+ (!)
dieser Bilder wird neu festzustellen und zu modifizieren sein -- was
eine Südländerin von Temperament als Lebensforderung +einschätzt+
und +wertet+ (!) -- und das Neueste und Schönste von allem:
baugeschichtliche Feststellungen geben uns die Möglichkeit, die
Entstehungsbedingungen dieser Baukunst sicher +einzuwerten+ (also aus
+werten+ und +einschätzen+ ein drittes Wort zusammengeknetet!). Woher
stammen die herrlichen Wörter? Aus der Börsensprache, die von der
+Bewertung+ des umlaufenden Edelmetalls spricht? Oder von Nietzsche?

+Zeitigen.+ Für +hervorbringen+, +schaffen+: es ist eine armselige
Literatur, wie sie noch keine Periode der Musikgeschichte +gezeitigt+
hat.

+Zubilligen.+ Für +bewilligen+ oder +zugestehen+: den Arbeitern
wurde eine Unterredung +zugebilligt+ -- jeder höhern Lehranstalt
sind für Bibliothekzwecke jährlich tausend Mark +zugebilligt+ -- die
Hinterbliebenen haben mir das Recht der Veröffentlichung +zugebilligt+.

+Zukommen+, auf etwas. Beliebtes neues Ersatzwort des sächsischen
Kanzleistils für alles mögliche, für: an etwas +denken+, etwas +ins
Auge fassen+, etwas +beschließen+, +sich+ zu etwas +entschließen+,
+sich+ auf etwas +einlassen+: wenn man auf die Ausführung dieses
Gedankens +zukommen+ wollte, so wäre jetzt der geeignete Augenblick
-- es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß auf einen Aufbau der
Türme +zuzukommen+ sei -- wann wird man an den höhern Schulen auf eine
Verminderung der Unterrichtszeiten +zukommen+.

+Bislang.+ Für +bisher+. Provinzialismus aus Hannover, nach 1866 stark
verbreitet, heute ziemlich vergessen.

+Da und dort.+ Modeverbindung für +hie und da+: unter den
technischen Schwierigkeiten klingt doch +da und dort+ ein tieferer
musikalischer Sinn heraus.

+Erstmals.+ Neues Spreizwort für +zuerst+ oder +zum erstenmal+: eine
Fülle von Material ist in diesem Buche +erstmals+ erschlossen. (Vgl.
+erstmalig+ S. 407)

+Hoch.+ Einzig gebräuchliches Adverb zur Begriffssteigerung folgender
Adjektiva: +fein+, +elegant+, +modern+, +herrschaftlich+, +gebildet+,
+gelehrt+, +verdient+, +bedeutend+, +bedeutsam+, +wichtig+, +ernst+,
+feierlich+, +tragisch+, +komisch+, +romantisch+, +poetisch+,
+interessant+, +erfreulich+, +befriedigend+, +willkommen+, +achtbar+,
+adlich+, +konservativ+, +kirchlich+, +offiziell+. Das wird genügen.

+Indes+ oder +indessen+. Sehr beliebtes Spreizwort für +aber+, +doch+,
+jedoch+: heute wurden hier starke Erdstöße verspürt, die +indessen+
keinen Schaden anrichteten -- es kam zu Zwistigkeiten, die +indes+
einen günstigen Verlauf nahmen -- er hatte das Stück schon vor
Jahren verfaßt, +indessen+ unterblieb damals die Aufführung -- der
Graf wanderte in den Tower; lange dauerte +indes+ seine Haft nicht
-- bei näherer Prüfung +indessen+ stellt sich R. als interessante
Persönlichkeit dar.

+Nahezu.+ Modewort für +fast+ oder +beinahe+.

+Naturgemäß.+ Aus Berlin (+naturjemäß+). Hat sich mit
lächerlicher Schnelligkeit an die Stelle von +natürlich+ (d. h.
+selbstverständlich+) gedrängt, sodaß man sich, wo es einmal in seiner
wirklichen Bedeutung erscheint (die soziale Bewegung ist +naturgemäß+
erwachsen), erst förmlich besinnen muß, daß es ja diese Bedeutung auch
noch haben kann. Sonst heißt es nur noch: wir beginnen +naturgemäß+ mit
den preisgekrönten Entwürfen -- +naturgemäß+ ist die Studentenzeit zum
Lernen bestimmt -- die Wiedergabe durch Lichtdruck läßt +naturgemäß+
manches unklar -- die Sorge beginnt +naturgemäß+ gleich bei der
Aufnahme der Lehrlinge -- +naturgemäß+ konnte die Stadtbahn nicht durch
den glänzendsten Teil der Hauptstadt gelegt werden -- +naturgemäß+
ist der Grund der Unsicherheit nicht in allen Fällen der gleiche --
die Unbilligkeit verstärkt sich +naturgemäß+ mit jedem Jahre usw. Man
redet aber auch schon von einer +vernunftgemäßen+ (!) Auswahl der
Schreibfeder, statt von einer +vernünftigen+ -- und da nun einmal
+gemäß+ Mode ist, so führt auch der Kaufmann +wunschgemäß+ seine
Bestellungen aus, und der Unterbeamte erledigt alles mit großem Eifer
+auftraggemäß+.

+Rund.+ Dem Englischen nachgeäfft. Wird jetzt vor alle Zahlen gesetzt,
die, wie der Zusammenhang zeigt, selbstverständlich nur runde Zahlen
sein können und sollen: der Kandidat der Ordnungsparteien erhielt
+rund+ 3200 Stimmen gegen +rund+ 360 Stimmen der Sozialdemokraten --
der Ertrag der Sammlung bezifferte sich (!) auf +rund+ 5000 Mark. Ohne
+rund+ bekommt man eine Zahl mit Nullen am Ende kaum mehr zu lesen.

+Reichlich.+ Seit kurzem äußerst beliebt für +sehr+, aber immer nur
da, wo es nicht hinpaßt, nämlich in tadelnden Bemerkungen: du kommst
+reichlich spät+, der Kerl ist +reichlich dumm+. Es fehlt nur noch, daß
gesagt würde: er hat +reichlich wenig+ gegeben.

+Selten.+ Beliebtes Adverb zur Steigerung von Eigenschaftswörtern (in
dem Sinne von +ungewöhnlich+, +außerordentlich+, +in seltnem Grade+),
z. B.: ein Mädchen von +selten gutem+ Charakter -- eine +selten
frische+ Witwe -- ein +selten schönes+ Familienleben -- eine +selten
günstige+ Kapitalanlage -- wir haben +selten schönes+ Wetter gehabt
-- dieser Weizen gedeiht auf leichtem Boden und liefert +selten hohe+
Erträge -- besonders hebe ich die +selten naturgetreuen+ farbigen
Abbildungen hervor -- die Inhaber dieser Bauernhöfe sind +selten
fleißige+ und +tüchtige+ Wirte usw. Nur schade, daß +selten+ eben vor
allen Dingen +selten+ bedeutet, und nicht +in seltnem Grade+, und daß
infolgedessen stets das Gegenteil von dem herauskommt, was die Leute
meinen. Darüber ist denn auch schon viel gespottet worden, so viel, daß
endlich doch auch dem Harmlosesten ein Licht aufgehen müßte.

+Unentwegt.+ Lächerlicher schweizerischer Provinzialismus für +fest+,
+beharrlich+. Hat seine Rolle ziemlich ausgespielt.

+Vielmehr.+ Ausschließlicher Ersatz für +sondern+: diese Preisbewegung
ist nicht bloß dem Getreide eigentümlich, sie stimmt +vielmehr+ mit
den übrigen Ackerbauerzeugnissen überein -- der Leser wird nicht mit
einem Ballast von Erläuterungen überschüttet, +vielmehr+ halten die
Anmerkungen das rechte Maß ein.

+Voll und ganz.+ Modephrase ersten Ranges, die aber ihren Weg wohl
bald „voll und ganz“ zurückgelegt haben wird.[164] Sehr beliebt ist es
jetzt, +voll+ allein zu gebrauchen (für +ganz+ oder +vollständig+):
dieser Auffassung kann ich +voll+ beipflichten -- überall deckt der
Ausdruck +voll+ den Gedanken -- um die Tiefe seiner Auffassung +voll+
zu würdigen -- Künstler, die diese Bedingung +voll+ erfüllen können
-- die deutschen Gemälde hielten den Vergleich mit den französischen
+voll+ aus usw. Auch Zusammensetzungen mit +Voll+- als Bestimmungswort
schießen wie Pilze aus der Erde: +Vollbild+, +Vollmilch+,
+Vollgymnasium+, sogar +vollinhaltlich+: ich kann das +vollinhaltlich+
bestätigen -- er mußte das Leben der Gefangnen +vollinhaltlich+
mitleben.

+Vorab+ und +vornehmlich+. Beide gleich beliebter Ersatz für
+besonders+, +namentlich+ und +hauptsächlich+. Das sechzehnte, +vorab+
das siebzehnte Jahrhundert -- die Künstler +vorab+ hatten sein
herzliches Wohlwollen erfahren -- Briefe Wielands, +vornehmlich+ an
Sophie La Roche -- +vornehmlich+ habe ich die Syntax von Grund aus
umgestaltet. (Vgl. +vornehm+ S. 374).

+Weitaus.+ Modezusatz zum Superlativ: +weitaus+ der beste -- in
+weitaus+ den meisten Fällen.

Außer solchen allgemein gebräuchlichen Modewörtern und Modephrasen gibt
es aber noch eine Masse andrer, die auf einzelne Kreise beschränkt
sind. In der Sprache der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber, wohin
man blickt: Mode, nichts als Mode. Kaufleute reden nicht mehr von
+Preisen+, sondern nur noch von +Preislagen+, an die Stelle der
frühern +Sorten+ sind die +Qualitäten+, die +Marken+ und die --
+Genres+ getreten (bitte, probieren Sie meine +Spezialmarke+!). Wer
einen kleinen Laden gemietet und ein Geschäftchen darin eröffnet
hat, nennt das jetzt ein +Haus+; der eine hat ein +Schokoladenhaus+,
der andre ein +Porzellanhaus+, ein dritter ein +Havannahaus+, ein
+Seidenhaus+, ein +Leinwandhaus+, ein +Lodenhaus+. Vor etlichen Jahren
fiel es einem Schneider in Leipzig ein, über seine Ladentür statt
+Schneidermeister+ zu schreiben: +Herrenmoden+. Das war natürlich
fürchterlicher Unsinn, denn ein Schneider ist keine Mode und fertigt
auch keine Moden, sondern Kleider. Als das aber die andern Schneider
gesehen hatten, da kam für die Firmenschreiber gute Zeit. Sämtliche
Schneider ließen ihre Schilder ändern, und heute gibt es in ganz
Leipzig keinen Schneidermeister mehr. Der kleinste Flickschneider im
Hinterhause vier Treppen hoch hat vorn an der Haustür sein Schildchen
prangen: Wilhelm Benedix, +Herrenmoden+! Vor etlichen Jahren fiel es
auch einmal einem Bierwirt in Leipzig ein, von einem Militärkonzert
anzukündigen, daß es +unter persönlicher Leitung+ des Herrn
Musikdirektors X stattfinden würde -- als ob in andre Wirtschaften
der Herr Musikdirektor seinen Stiefelputzer schickte. Große Aufregung
unter den Bierwirten! Binnen vier Wochen fanden alle Konzerte +unter
persönlicher Leitung+ statt. Aus nichts als Modewörtern und Modephrasen
ist die Sprache der Reporter zusammengesetzt. Da ist eine Gesellschaft
stets +illustre+ (wenigstens in Leipzig), ein Kapellmeister stets
+genial+, ein Geschenk stets +sinnig+, Orgelspiel stets +weihevoll+.
Wird irgendwo ein Vortrag gehalten, so wird er von musikalischen und
gesanglichen +Darbietungen umrahmt+; von einer Festlichkeit wird
stets versichert, sie habe +einen würdigen (!) Verlauf+ genommen. Ein
Revolverschuß wird stets +abgegeben+, und flieht der Täter, so wird
sofort +die Verfolgung aufgenommen+; sich selbst aber schießt man eine
Kugel niemals zum Vergnügen sondern immer +in selbstmörderischer
Absicht+ in den Kopf. Wenn es in einer Familie oder zwischen einem
Liebespaar zu Zank und Streit, Mord und Totschlag gekommen ist, so
heißt das ein +Familiendrama+ oder eine +Liebestragödie+. Wer ein
Jubiläum feiert, +kann+ stets +auf eine+ 25jährige oder 50jährige
+Tätigkeit zurückblicken+, und ist es ein Verein, so +blickt+ er +auf
ein+ 25jähriges +Bestehen zurück+; wer pensioniert wird, tritt in den
+wohlverdienten Ruhestand+, und stirbt er, so werden an seinem Sarge
Lorbeerkränze +niedergelegt+. Wenn einer von einem Dache herabstürzt,
so +bleibt+ er +tot+ (als ob er es schon vorher gewesen wäre!).
Leichen von Verunglückten werden nicht +gefunden+, sondern stets
+geborgen+ (hätte man die Lebenden besser „geborgen“, so wären sie
nicht verunglückt!), und wenn sie im Wasser gelegen haben, so werden
sie +geländet+; wird aber einer glücklich noch lebend aus dem Wasser
gezogen, so wird er +dem nassen Element entrissen+. Kommt ein Fürst zu
Besuch, so steigt er nicht aus dem Wagen, sondern er +ent(!)steigt+ dem
+Waggon+ und +schreitet+ dann, und zwar stets +elastischen Schrittes+,
die Front der Ehrenkompagnie +ab+. Man begreift nicht, warum nicht die
Zeitungen für gewisse besonders oft wiederkehrende wichtige Ereignisse,
wie die Ankunft eines Fürsten, die Eröffnung einer Ausstellung, die
Enthüllung eines Denkmals, das Jubiläum eines Geschäfts, das Begräbnis
eines Kommerzienrats und dergleichen, für ihre Berichterstatter
Formulare drucken lassen, worin sie dann bloß Tag, Stunde und Namen
auszufüllen hätten.

Aber auch die niedrige Umgangssprache ist voll von Modewörtern, die
immer wechseln. Man könnte sie die Gassenhauer der Sprache nennen.
Zu ihnen gehört das schöne +selbstredend+, das eine Reihe von Jahren
für +selbstverständlich+ gesagt wurde (übrigens stets falsch betont:
+selbstrédend+, wie auch +tats=ä=chlich+, +wunderbár+, +ekelháft+,
+tadellós+). Neuerdings ist wieder +selbstverständlich+ durchgedrungen
(aber auch das wieder falsch betont: +selbstverst=ä=ndlich+).
Augenblicklich ist der beliebteste Gassenhauer: +ausgeschlossen+,
+ganz ausgeschlossen+, +völlig ausgeschlossen+. +Unwahrscheinlich+,
+unmöglich+, +undenkbar+, sogar +unnötig+ -- das alles gibt es nicht
mehr. +Ausgeschlossen+ -- bums! fertig! In der Unterhaltung am
Biertisch hört man nichts weiter als: +selbstverständlich+ (für +ja+)
und: +ausgeschlossen+ (für +nein+). Andre neue Gassenhauer sind:
+totsicher+, +totschick+, +Ton+ (für +Wort+): er hat mir nicht einen
+Ton+ davon gesagt --, auf Wieder+schaun+, und +ausgerechnet+ (für
+gerade+, +genau+ oder dgl.): das muß +ausgerechnet+ Bebel begegnen!

Eine feine Nase für Modewörter hat gewöhnlich der Student. Die
Studentensprache wimmelt von Modewörtern; sowie ein neues aufkommt,
wird es ihr sofort „einverleibt“. Aber der Student spricht sie fast
alle mit Gänsefüßchen, er macht sich lustig über sie, während er sie
gebraucht. Die Sache hat nur nicht bloß eine lustige, sie hat auch
eine sehr ernste Seite. Jedes neu aufkommende Modewort verdrängt eine
Anzahl sinnverwandter Wörter mit ihren fein abgetönten Unterschieden,
und schließlich wird es gedankenlos auch für Wörter gebraucht, die
einen ganz andern Sinn haben. So ist mit jedem neuen Modewort eine
zunehmende Verarmung der Sprache und eine zunehmende Oberflächlichkeit
und Unklarheit des Denkens verbunden.

Wie alle Modedummheiten haben aber auch die Sprachmoden ihre Zeit.
Sie verschwinden alle wieder, die einen früher, die andern später.
Darum ist ein Kampf gegen sie eigentlich überflüssig.[165] Verteidigt
werden sie immer nur von solchen, die darauf hineingefallen sind, ohne
es zu merken; die ärgern sich dann über den, der es gemerkt hat, und
bestreiten die Berechtigung seiner Angriffe. Jeder gute Schriftsteller
aber wird sich vor ihnen hüten. Denn jeder gute Schriftsteller hat doch
den Wunsch, nicht gar zu schnell zu veralten. Dazu gehört aber, daß
das, was er schreibt, nicht bloß einen dauerhaften Inhalt, sondern auch
eine dauerhafte Form habe.


Der Gesichtspunkt und der Standpunkt

Ein Modewort, mit dem ein ganz törichter Mißbrauch getrieben wird, der
zu einer Unmasse von Bildervermengungen führt, ist +Gesichtspunkt+.
Das Wort bedeutet den Punkt, von dem aus man etwas ansieht, wie
+Standpunkt+ den Punkt, auf den man sich gestellt hat, um etwas
anzusehen. Beides ist so ziemlich dasselbe. Man sollte doch nun
meinen, das Bild, das in diesen Ausdrücken liegt, wäre so klar und
deutlich, daß es gar nicht vergessen werden könnte: +Standpunkt+ und
+Gesichtspunkt+ bedeuten durchaus etwas räumliches, einen Punkt im
Raume. Da ist es nun schon verkehrt, wie es manche sehr lieben, von
+großen+ oder +allgemeinen Gesichtspunkten+ zu reden. Man kann sich
weder unter einem großen noch unter einem allgemeinen Punkt etwas
denken. Offenbar wird hier der Gesichts+punkt+ mit dem Gesichts+kreise+
verwechselt. Wenn ich mich hoch aufstelle und die Dinge von oben
betrachte, so überblicke ich mehr, als wenn ich unten mitten unter den
Dingen stehe. Es ändert sich dann auch der Maßstab der Betrachtung:
was mir unten groß, im übertragnen Sinne wichtig, bedeutend erschien,
schrumpft zusammen, ja verschwindet vielleicht ganz, wenn ich es
von oben betrachte. Man kann also wohl von +hohen+ und +niedrigen+
Gesichtspunkten reden, aber nicht von +großen+ und +kleinen+. Der Geist
ist klein, der sich nicht zu höhern Gesichtspunkten aufschwingen kann,
auch der Gesichtskreis eines solchen Geistes ist klein, aber ein Punkt
ist und bleibt -- ein Punkt, er kann weder klein noch groß sein.

Was muß sich aber der Gesichtspunkt sonst noch alles gefallen lassen!
Er wird nicht nur +berührt+, +dargelegt+, +ausgeführt+, er wird auch
+beachtet+, +ins Auge gefaßt+, +betont+, +hervorgehoben+, +geltend
gemacht+, +aufgestellt+, +herausgestellt+, +in den Vordergrund
gestellt+, +zur Diskussion gestellt+, +verworfen+, er +wird eröffnet+,
+zugrunde gelegt+, +gewonnen+, er wird +in die Wagschale geworfen+,
und zwar so, daß er +ins Gewicht fällt+, er ist +maßgebend+, er
+berührt sich+ mit etwas, man tut etwas +unter+ ihm, es wird etwas von
ihm +abgeleitet+, es +entspringt+ ihm etwas usw. Der Leser schüttelt
den Kopf? Hier sind die Beispiele: zum Schluß möchte ich noch zwei
+Gesichtspunkte berühren+ -- er +legte die Gesichtspunkte dar+, die
den Ausschuß veranlaßt hätten, die Versammlung zu berufen -- es würde
mich zu weit führen, wenn ich den angedeuteten +Gesichtspunkt+ näher
+ausführen+ wollte -- die Prügelstrafe ist nicht nur brutal, sie ist
auch ehrenrührig, und diesen wichtigen +Gesichtspunkt+ muß man vor
allen Dingen +beachten+ -- diesen +Gesichtspunkt faßte+ Kurfürst
August jetzt +ins Auge+ -- als der Redner diesen +Gesichtspunkt+
scharf +betonte+ -- erfreulich ist es, daß der Herzog für das Gefühl
vaterländischer Ehre empfänglich ist und bei der Berücksichtigung
der Muttersprache diesen +Gesichtspunkt+ besonders +hervorhebt+ --
neue +Gesichtspunkte+ wurden in der Debatte nicht +geltend gemacht+
-- es sind hier +Gesichtspunkte aufgestellt+, die in der Tat +zur
Diskussion gestellt+ werden müssen -- er wußte immer sofort die höhern
+Gesichtspunkte herauszustellen+ -- man kann den Mittelstand sehr
verschieden abgrenzen, +je+ nach den +Gesichtspunkten+, die man +in
den Vordergrund stellt+ -- auch der +Gesichtspunkt+, daß (!) man mit
einer stattlichen Schrift dem Auslande imponieren müsse, ist nicht
+zu verwerfen+ -- diese Bestimmung +eröffnet+ für die Geschichte der
Innung einen neuen +Gesichtspunkt+ -- überhaupt möchten wir auf den
+Gesichtspunkt+ hinweisen, den alle Gerichte ihren Rechtsprechungen
auf diesem Gebiete +zugrunde zu legen+ haben -- ich hoffe, daß sich
aus meiner Darlegung gesunde (!) +Gesichtspunkte+ werden +gewinnen
lassen+ -- hier +fallen+ finanzielle (!) +Gesichtspunkte+ schwer
+ins Gewicht+ -- diese Frage bildet den +maßgebenden Gesichtspunkt+,
von dem aus wir dem Problem näher treten -- dieser +Gesichtspunkt+
der Theaterdirektion +berührt sich+ in mannigfacher Beziehung mit
dem Interesse des Publikums -- der Theologie wandte er nur +unter
dem Gesichtspunkte+, jederzeit brauchbare Kirchendiener zu haben,
seine Fürsorge zu -- die allgemeinen +Gesichtspunkte+, aus denen
sich der kritische Vorrang der Originaldrucke lutherischer Schriften
+ableiten läßt+, sind folgende -- eine innere Kolonisation, die den
oben gekennzeichneten +Gesichtspunkten entspringt+ usw. In allen
diesen Sätzen ist von dem Bilde, das in dem Worte +Gesichtspunkt+
liegt, keine Spur mehr zu finden. Es bedeutet etwas ganz andres, es
steht für +Umstand+, +Tatsache+, +Grund+, +Ansicht+, +Gedanke+, ja
bisweilen steht es für -- gar nichts, es wird als bloßes Klingklangwort
gebraucht. Oder bedeutet der Satz: neue +Gesichtspunkte+ wurden
nicht geltend gemacht -- irgend etwas andres als: neue +Gedanken+
wurden nicht vorgebracht? der Satz: zum Schluß möchte ich noch +zwei
Gesichtspunkte+ berühren -- irgend etwas andres als: zum Schluß möchte
ich noch +zweierlei+ berühren? Das völkerpsychologische +Moment+ (!)
ist für ihn der +maßgebende Gesichtspunkt+ -- kann man einen einfachen
und einfach auszudrückenden Gedanken in einen unsinnigern Wortschwall
einhüllen? Von solchen Sätzen wimmelt es aber jetzt in Büchern,
Broschüren und Aufsätzen; Tausende lesen darüber weg, haben das dumpfe
Gefühl, irgend etwas gelesen zu haben, aber denken können sie sich gar
nichts dabei.

Infolge des fortwährenden Mißbrauchs ist es geradezu dahin gekommen,
daß dieses gute Wort, das ein so klares und deutliches Bild enthält,
und das bisweilen gar nicht zu entbehren ist, einen lächerlichen
Beigeschmack angenommen hat, sodaß man es in der Unterhaltung kaum
noch anders als spöttisch gebrauchen kann. Eine weitere Folge ist, daß
nun gewisse Leute, um das Wort zu vermeiden, es durch +Gesichtswinkel+
ersetzt haben, das freilich gleich von vornherein mit Recht dem Spott
verfallen ist.

Derselbe Unfug wie mit dem +Gesichtspunkt+ hat aber neuerdings nun
auch mit dem +Standpunkt+ begonnen. Niemand hat mehr eine +Ansicht+
oder eine +Meinung+, alle Welt hat nur noch einen +Standpunkt+.
Eine Meinung kann man ändern, eine Ansicht berichtigen -- das
ist nichts. Aber ein Standpunkt -- alle Hochachtung! -- das ist
etwas. Ein Standpunkt ist unverrückbar, der kommt gleich nach der
Weltanschauung. Man +steht+ auf einem +Standpunkt+, +stellt sich+
auf einen +Standpunkt+, +vertritt+ einen +Standpunkt+ usw., und das
schönste dabei ist, daß man von dem Worte +Standpunkt+ (ganz so wie
früher von +Meinung+) einen Objektsatz abhängig macht, ja sogar einen
Infinitiv, als ob es soviel bedeutete wie +Regel+ oder +Grundsatz+,
und schreibt: ich stehe auf dem +Standpunkte, daß+ man dieses Verbot
wieder aufheben sollte -- ich stehe auf dem +Standpunkte, daß+ man
zwischen Leipzig und Berlin ohne umzusteigen fahren können müßte --
die Gesellschaft steht auf dem +Standpunkte, daß+ die Stadtgemeinde
berechtigt sei, unentgeltliche Abtretung der Straßenfläche zu
verlangen -- der +Standpunkt, daß+ ein Reisender, der auf derselben
Linie zurückfährt, durch eine Preisermäßigung belohnt werden müsse,
ist ein (!) völlig antiquierter -- wir haben stets den +Standpunkt+
vertreten, +daß+ zwischen Deutschland und England kein vernünftiger
Grund zur Feindschaft vorliege -- man findet heute oft den +Standpunkt+
vertreten, +daß+ das Kleinbürgerhaus eine überwundne Form bedeute
(sei!) -- wir stellen uns auf den gewiß empfehlenswerten +Standpunkt+,
in schwankenden Fällen das überflüssige Binde-s zu vermeiden. Man
sieht: auch der +Standpunkt+ ist nahe daran, zum Gassenhauer zu
werden; in Vereinssitzungen wie in öffentlichen Versammlungen ergreift
niemand das Wort, der nicht sofort erklärte, daß er auf irgendeinem
+Standpunkt+ stehe.


Das Können und das Fühlen

Eine richtige Modenarrheit ist es, gewisse Hauptwörter immer durch
einen substantivierten Infinitiv zu umschreiben -- wenns nicht manchmal
bloßes Ungeschick ist! Und bloßes Ungeschick ist wohl anzunehmen, wenn
jemand statt +Ende+ schreibt: +das Aufhören+, oder statt +Mangel+:
+das Fehlen+. Eine Modenarrheit aber liegt ohne Zweifel in der Art,
wie jetzt +das Wissen+, +das Können+, +das Wollen+, +das Fühlen+ und
+das Empfinden+ gebraucht wird -- Wörter wie +Kenntnis+, +Fähigkeit+,
+Fertigkeit+, +Geschick+, +Absicht+, +Gefühl+, +Empfindung+ scheinen
ganz vergessen zu sein. Den Anfang hatte wohl +das Streben+
gemacht,[166] dann kam +das Wissen+: er hat ein ganz +hervorragendes
Wissen+. Jetzt spricht man aber auch von dichterischem +Wollen+:
anfangs ein Dorfgeschichtenerzähler, wurde Rosegger allmählich ein
Poet von +großem Wollen+ -- auch diese Kompositionen zeigen die
künstlerische Zielbewußtheit (!) seines +Wollens+. Und in höchster
Blüte steht +das Können+ und +das Fühlen+: folgendes Gedicht mag das
+Können+ des Dichters veranschaulichen -- das Konzert lieferte einen
glänzenden Beweis für das +künstlerische (!) Können+ des Vereins --
Beethoven widmete ihr die ~Cis-moll~-Sonate, kein geringes Zeugnis
für das +musikalische Können+ der Angebeteten -- die Dame hat sich
unter dieser vortrefflichen Leitung bereits ein +achtunggebietendes
Können+ angeeignet -- die Schüler sollen mit einem +solchen Können+
des Deutschen aus der Schule gehen -- Herr W. hat damit eine neue
Probe seines bedeutenden +gärtnerischen (!) Könnens+ gegeben (es
handelt sich um ein Teppichbeet) -- die Gedichte zeigen ein gesundes,
+ursprüngliches Fühlen+ -- in allen Briefen gibt er nur dem +einen
Fühlen+ Ausdruck -- Tilgner hat den Geist (!) des +österreichischen
Empfindens+ am besten zum Ausdruck gebracht -- zu der Verehrung für
das große +Wollen+ und +Können+ des Meisters gesellt sich das Mitleid
mit dem leidenden Menschen -- die Pyramiden der Ägypter erzählen uns
von dem +Fühlen+ und +Wollen+ ihrer Erbauer und deren Zeitepoche
(!). Das Neueste aber ist das +Erinnern+, das +Erleben+ und das
+Verstehen+: er bewahrte ihm ein +dankbares Erinnern+ -- für uns
moderne Menschen pflegt Italien das +größte Erleben+ unsers Daseins zu
sein -- ein Mann, in dessen +Erleben+ sich ein ganzes Stück deutscher
Geschichte spiegelt -- Böcklin konnte von dem +künstlerischen Erleben+
abstrahieren, bei Klinger erschließt erst die Persönlichkeit das
Geheimnis (!) seiner Werke -- das Buch ist von +tiefem Verstehen+ für
den geheimnisvollen (!) künstlerischen Trieb des Meisters durchtränkt
-- sie erfreute ihn durch +warmes+ geistiges +Verstehen+ -- nimm dieses
Buch in dein +treues und zartes Verstehen+ auf! Es kann einem ganz
schlimm und übel dabei werden.


Bedingen

Wie unter den Hauptwörtern das Wort +Gesichtspunkt+, so ist unter
den Zeitwörtern das am unsinnigsten mißbrauchte Modewort jetzt
+bedingen+.[167] Der erste Band von Grimms Wörterbuch (1854) erklärt
+bedingen+ durch +aushalten+, +bestimmen+, +ausnehmen+. Im Sandersschen
Wörterbuche (1860) sind folgende Bedeutungen aufgezählt und belegt:
+verpflichten+, +festsetzen+, +ausmachen+, +beschränken+, von etwas
+abhängig machen+, außerdem eine Anwendung, die bei Grimm noch fehlt:
eine Sache +bedingt+ die andre, oder passiv: eine Sache +ist+ oder
+wird+ durch die andre +bedingt+; das Aktivum erklärt Sanders hier
durch +notwendig machen+, +erheischen+, +erfordern+, das Passivum durch
+abhängig sein+ von etwas.

Nun vergleiche man damit den heutigen Sprachgebrauch (der Sinn,
in dem das Wort gebraucht ist, soll stets in Klammern hinzugefügt
werden). Da schreiben die einen: eine Laufbahn, die akademische
Vorbildung +bedingt+ (voraussetzt, verlangt, erfordert, erheischt,
notwendig macht) -- der große Aufwand, den die Aufführung dieser Oper
+bedingt+ (ebenso) -- die angegebnen Preise +bedingen+ die Abnahme
des ganzen Werkes (machen zur Pflicht) -- die Ausgaben für Saalmiete,
Beleuchtung und Annoncen +bedingen+ einen Berg von Kosten (verursachen)
-- unsre ganzen Zeitverhältnisse +bedingen+ den zurückgegangnen
Theaterbesuch (sind die Ursache, bringen mit sich, sind schuld an)
-- die Lage der Bergarbeiter zu studieren, ist es nötig, auch die
Verhältnisse zu berühren, die diese Lage +bedingen+ (schaffen,
hervorbringen, hervorrufen, erzeugen) -- der Sand- und Lehmboden
+bedingt+ eine besondre Flora (ebenso) -- dieses Korsett +bedingt+
eleganten Sitz (!) des Kleides (schafft, bewirkt) -- der humanistische
Charakter des akademischen Studiums +bedingt+ das ganze Wesen unsrer
Universitäten (ist von Einfluß auf) -- bei Lessing +bedingte+ stets
die kritische Einsicht das dichterische Schaffen (ebenso) -- Tatsache
ist, daß gewisse Affekte den Eintritt des Stotteranfalls +bedingen+
(herbeiführen) -- die Stellung der Türen in den Wänden +bedingt+
wesentlich die Nutzbarkeit der Räume (von ihr hängt ab) -- nur
körperliches Leiden (Laokoongruppe!) +bedingt+ eine so gewaltsame
Anspannung aller Muskeln (macht erklärlich, macht begreiflich) --
dieser Zweck +bedingt+ sowohl die Mängel als die Vorzüge des Werkes
(aus ihm erklären sich) usw.

Nun der passive Gebrauch. Da wird geschrieben: die hohen Ränder
des Sees und der dadurch +bedingte+ Reichtum malerischer Wirkungen
(geschaffne) -- diese durch die Lage Englands +bedingte+ Gunst
des Glückes (ebenso) -- durch die Verkehrserleichterungen ist ein
Rückgang des Kommissionsgeschäfts +bedingt+ worden (bewirkt worden,
herbeigeführt worden) -- die durch die Großstadt +bedingte+ Vermehrung
der Arbeitsgelegenheit (bewirkte, verursachte) -- rascher Fortschritt
wird durch zahlreiche Mitarbeiter +bedingt+ (entsteht) -- der Ausfall
der Wahlen ist durch unzählige nicht in der Macht der Regierung
liegende Verhältnisse +bedingt+ (hängt ab von) -- die Zulassung zur
Fakultät war durch den Nachweis des philosophischen Magistergrades
+bedingt+ (hing ab von) -- der Erfolg des Mittels war durch die
Zuverlässigkeit der Leute +bedingt+ (ebenso) -- die Überholung Leipzigs
durch Berlin ist durch die Macht der äußern Verhältnisse +bedingt+
(ist die Folge) -- diese Aussichtslosigkeit war durch die seit drei
Jahren gemachte Erfahrung +bedingt+ (war entstanden, war die Folge) --
Glück wird durch Leistungsfähigkeit +bedingt+ (entsteht) -- die Gefahr
für den innern Frieden ist durch den Gegensatz zwischen Besitz und
Besitzlosigkeit +bedingt+ (liegt in, beruht auf, entsteht aus) -- die
durch den Reichtum +bedingten+ Lebensgenüsse (ermöglichten) usw.

Überblicken wir die angeführten Beispiele, so ergibt sich folgendes.
Die einen gebrauchen +bedingen+ in dem Sinne von: +zur Voraussetzung
haben+. +A bedingt B+ -- das heißt: +A hat B zur Voraussetzung+, A
hängt von B ab, A ist undenkbar, wenn nicht B ist, A +verlangt+ also,
+erheischt+, +erfordert+ B. Das ist die vernünftige und berechtigte
Anwendung des Wortes: aus ihr erklärt sich das Wort +Bedingung+. Die
Aufführung der Oper +bedingt+ großen Aufwand -- das versteht jedermann;
es heißt: die Oper ist ohne großen Aufwand nicht aufführbar, der
Aufwand ist die Voraussetzung, die Bedingung einer guten Aufführung.

Nun gebrauchen aber andre das Wort in dem Sinne von +bewirken+ und
den zahlreichen sinnverwandten Wörtern (+schaffen+, +erzeugen+,
+hervorbringen+, +hervorrufen+, +verursachen+, +zur Folge haben+).
A +bedingt+ B -- das heißt dann: A +ist die Ursache+ von B. B
+wird+ durch A +bedingt+ heißt: B +ist die Folge+ von A. Wie dieser
Bedeutungswandel möglich sein soll, ist unverständlich, es ist
schlechterdings nicht einzusehen, wie der Begriff der Voraussetzung zu
dem der Hervorbringung soll werden können.

Es wird aber noch ein weiterer Schritt getan, namentlich in der
passivischen Anwendung des Wortes. B +wird+ durch A +bedingt+ -- das
heißt nicht bloß: B +wird+ durch A +bewirkt+, sondern B wird +nur+ (!)
durch A +bewirkt+, es kann durch nichts andres entstehen als durch A,
also mit andern Worten: B +hat+ A +zur Voraussetzung+. Und da wären
wir denn glücklich bei der vollständigen Verrücktheit angelangt.
Denn wenn es ganz gleichgiltig ist, ob jemand sagt: A hat B zur
Voraussetzung, oder B hat A zur Voraussetzung, B ist die Voraussetzung
von A, oder A ist die Voraussetzung von B, wenn das beides (!) mit
dem Satze ausgedrückt werden kann: A bedingt B (oder passiv: B wird
durch A bedingt), mit andern Worten: wenn es ganz gleichgiltig ist,
ob jemand sagt +bedingen+ oder +bedingt werden+, so ist das doch die
vollständige Verrücktheit. Auf diesem Punkte stehen wir aber jetzt.
Geschrieben wird: Glück +wird+ durch Leistungsfähigkeit +bedingt+ --
die Zulassung zur Fakultät +wurde+ durch den Magistergrad +bedingt+,
also aktiv ausgedrückt: Leistungsfähigkeit +bedingt+ Glück -- der
Magistergrad +bedingte+ die Zulassung zur Fakultät. Gemeint ist aber:
Glück +bedingt+ (d. h. ist nicht denkbar ohne) Leistungsfähigkeit --
die Zulassung zur Fakultät +bedingte+ (d. h. war nicht zu erlangen
ohne) den Magistergrad.

Man übertreibt nicht, wenn man den gegenwärtigen Gebrauch von
+bedingen+ etwa so bezeichnet: wenn der Deutsche eine dunkle Ahnung
davon hat, daß zwei Dinge in irgendeinem ursächlichen Zusammenhange
stehen, aber weder Neigung noch Fähigkeit, sich und andern diesen
Zusammenhang klarzumachen, so sagt er: das eine Ding +bedingt+
das andre. In welcher Reihenfolge er dabei die Dinge nennt, ober
sagt: Kraft +bedingt+ Wärme oder: Wärme +bedingt+ Kraft, ist ganz
gleichgiltig; der Leser wird sich schon irgend etwas dabei denken.

Soll man sich denn aber nicht darüber freuen, daß dieses Wort eine
so bewundernswürdige Verwandlungsfähigkeit erlangt hat? Wenn es
vor fünfzig Jahren, wie die Wörterbücher zeigen, nur einen kleinen
Bruchteil der zahlreichen Bedeutungen hatte, die es heute hat, so ist
das doch ein Beweis für die wunderbare Triebkraft, die noch in unsrer
Sprache lebt. Aus einem einzigen Wort entfaltet sie noch jetzt einen
solchen Reichtum! -- Die Sache ist doch wohl anders anzusehen. Wenn
zwanzig sinn- und lebensvolle Wörter und Wendungen, die zur Verfügung
stehen, und die die feinste Schattierung des Gedankens ermöglichen,
verschmäht werden einem hohlen, ausgeblasnen Wortbalg wie diesem
+bedingen+ zuliebe, so ist das weder Reichtum noch Triebkraft, sondern
nur eine alberne Mode und zugleich ein trauriges Zeichen von der
zunehmenden Verschwommenheit unsers Denkens.


Richtigstellen und klarlegen

Höchst merkwürdig ist es, daß man gleichzeitig mit +bedingen+,
diesem abstraktesten aller Zeitwörter, jetzt Ausdrücke mit möglichst
sinnlicher, handgreiflicher Bedeutung liebt. Die Fähigkeit, sich etwas
vorzustellen (die Phantasie), ist zurückgegangen; alles will man
sehen, alles betasten, alles mit Händen greifen. Nur so erklärt sich
die außerordentliche Vorliebe für die Zusammensetzungen mit +stellen+
und +legen+, die jetzt statt früherer Abstrakta Mode geworden sind.
Stellen und legen -- dazu braucht man keine geistige Anstrengung, das
macht man mit den Händen. So wird denn jetzt niemand mehr +befriedigt+,
sondern +zufriedengestellt+, nichts mehr +vollendet+, +berichtigt+,
+gesichert+, +geklärt+, sondern alles wird +fertiggestellt+,
+richtiggestellt+, +sichergestellt+, +klargestellt+, +klargelegt+,
+festgelegt+ usw. Der Nervenarzt spricht sogar von +Ruhigstellung+ des
Gehirns, statt von +Beruhigung+. Oder soll das Gehirn in dem Sinne
+ruhig gestellt+ werden, wie die Suppe +warm+ und der Wein +kalt
gestellt+ wird?

Auf den ersten Blick scheint es ja, als ob sich die Wörter durch eine
gewisse Anschaulichkeit empföhlen. Bei +richtigstellen+ soll man wohl
nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern eher an ein Bild, das
falsch beleuchtet gewesen ist und nun in die richtige Beleuchtung
gestellt wird, oder an Gerätschaften im Zimmer, die durcheinander
geraten sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich,
kann man sagen, werden Tatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt
oder ins rechte Licht gestellt. Das läßt sich hören. Aber was soll
+fertigstellen+ sein? Das Wort kann doch vernünftigerweise nichts
andres bedeuten, als eine Sache so lange hin und her rücken, so
lange an ihr gleichsam herumstellen, bis sie -- steht. Das will man
aber doch gar nicht sagen, das Wort wird einfach für +fertigmachen+,
+beendigen+ oder +vollenden+ gebraucht; von einem Romanmanuskript,
einem Gemälde oder einem Antikenmuseum so gut wie von einem Denkmal
oder einem Straßenpflaster heißt es: es ist +fertiggestellt+.[168]
Ganz törichte Wörter sind +klarlegen+ und +klarstellen+. Klar kann in
sinnlicher Bedeutung nur von der Luft und von Flüssigkeiten gebraucht
werden.[169] Wie soll man die auf eine feste Unterlage +legen+ oder
+stellen+? Beide Wörter sind gedankenlos gebildet nach +freistellen+
und +bloßstellen+, +freilegen+, +bloßlegen+ und +lahmlegen+. Gerade
diese aber können den Unterschied zeigen: wie richtig sind +sie+
gebildet! Wie anschaulich wird gesagt: den Dom +freilegen+ (nämlich
durch Wegreißen der Nachbarhäuser), oder: einen Schaden +bloßlegen+ --
unwillkürlich denkt man an den Arzt, der Haut und Muskeln auf die Seite
legt, bis der verletzte Knochen +bloßliegt+, oder: einen in seiner
Tätigkeit +lahmlegen+ -- denn wer gelähmt ist, der ist ja zum +Liegen+
verurteilt! Besser ist +festlegen+ gebildet; man redet z. B. davon,
daß die Ostertage +festgelegt+ werden sollen. Bisher hatten wir nur
+feststellen+ und +festsetzen+, aber beides drückt doch das nicht recht
aus, was man sagen will: etwas bewegliches gleichsam aufschrauben, daß
es sich nicht mehr rühren kann, etwa wie die Pfote eines Hündchens
bei der Vivisektion. Gräßliches Bild! Aber man geht vielleicht
nicht fehl damit, wenn man nach der Herkunft von +festlegen+ sucht.
Das Neueste ist -- +leerstellen+ und +offenstellen+. Ein Leipziger
Baubeamter schreibt: den Bewohnern ist schon gekündigt; sowie die
Gebäude +leergestellt+ sein werden, sollen sie +zum Abbruch gebracht+
(!) werden. Und ein Zeitungschreiber berichtet: Fabrikbesitzer haben
Gärten für ihre Arbeiter geschaffen, aber auch für die übrigen Bewohner
+offen gestellt+. Natürlich, die guten Wörter +räumen+ und +öffnen+
sind den Leuten nicht eingefallen; aber sie haben einmal davon gehört,
daß ein Haus +leer steht+ und ein Garten +offen steht+, da muß man sie
doch auch +leer stellen+ und +offen stellen+ können. Und so wird die
Stellerei wohl fröhlich weitergehen.


Fort oder weg?

Nichts weiter als eine Modeziererei ist es auch, daß man das Adverbium
+weg+ zu verdrängen und überall +fort+ an seine Stelle zu setzen sucht.
Die Mode stammt aus dem Niederdeutschen, hat sich zunächst in das
Berliner Deutsch eingedrängt und dann von da aus weitergefressen.

Unleugbar gibt es eine Anzahl von Zeitwörtern, bei denen es keinen
fühlbaren Unterschied macht, ob sie mit +weg+ oder mit +fort+
zusammengesetzt werden. Aber ebenso sicher gibt es eine Anzahl andrer,
bei denen bisher in der Anwendung von +weg+ und +fort+ nicht bloß ein
feiner, sondern ein ziemlich grober Unterschied gemacht worden ist,
den alle guten Schriftsteller beobachtet haben und noch beobachten.
+Fort+ nämlich (verwandt mit +vor+ und +vorn+) steht in dem Sinne von
+vorwärts+, wobei stets ein bestimmtes Ziel vorschwebt, wenn es auch
nicht genannt ist; es wird überdies nicht bloß vom Raume, sondern auch
von der Zeit gebraucht. +Weg+ dagegen (dasselbe wie +Weg+) wird nur
räumlich gebraucht und bedeutet: +aus dem Wege+, +auf die Seite+, wobei
man nicht an ein Ziel, sondern an ein Verschwinden denkt. Wer verreisen
will, kann sagen: mein Koffer ist glücklich +fort+, in einer Stunde
fahre ich; es kann aber auch vorkommen, daß er sagen muß: ich kann
nicht fahren, mein Koffer ist +weg+. In einer Volksmasse wird jemand
mit +fortgerissen+, d. h. in die Strömung hinein, auch von Begeisterung
wird jemand +fortgerissen+, z. B. dem hohen Ziele zu, zu dem uns
der Künstler führen will; aber eine Mauer, ein Haus, ein Damm wird
+weggerissen+. Wer aus der großen Stadt auf ein einsames Dorf zieht,
kommt sich anfangs wie +weggesetzt+ vor, aber nicht wie +fortgesetzt+.
Der Bruder sagt zur Schwester: +setze+ deine Malerei (das Malgerät)
jetzt +weg+, wir wollen Klavier spielen: nach einer Stunde aber: es
ist genug, +setze+ deine Malerei (das Malen) nun +fort+. Wenn ich ein
Bild abzeichne, auf dem auch ein Sperling dargestellt ist, so kann ich
den Sperling +weglassen+; wenn ich aber einen lebendigen Sperling in
der Hand habe, so kann ich ihn +fortlassen+. Auf sumpfiger Landstraße
kann man schlecht +fortkommen+, aber bei einem gewagten Geschäft kann
man schlecht +wegkommen+. Von zwei Hunden, die aus +einem+ Napfe
saufen sollten, kann ich sagen: der große hat dem kleinen alles
+weggesoffen+; ein bekannter § 11 aber lautet: es wird +fortgesoffen+.
Wie jemand das Bedürfnis nach diesen Unterscheidungen verlieren kann,
ist unbegreiflich. Aber die Zahl derer, die sich einbilden, +weg+ sei
gemein, +fort+ sei fein, wird immer größer; man sagt nur noch: die
beiden letzten Sätze der Symphonie wurden +fortgelassen+ -- wo wurden
sie denn hingelassen? die Mauern auf der Akropolis sind +fortgebrochen+
worden -- wo sind sie denn hingebrochen worden? Sie hatte das Bild
+fortgeschlossen+ -- der Damm wurde durch Überschwemmung +fortgerissen+
-- es ist eine nicht +fortzuleugnende+ (!) Tatsache -- ich habe darüber
+fortgelesen+ (!) -- meine Bleistifte +kommen+ mir immer +fort+ (!)
-- er hat mir meine Mütze +fortgenommen+ (!) -- so ist es richtig
Berlinisch, und wer ein feiner Mann sein will, der schwatzt es nach.
Vielleicht +setzt+ man +sich+ auch noch über einen schweren Verlust
+fort+ oder spricht sich +fortwerfend+ über jemand aus, und in den
Berliner Gymnasien singt man vielleicht nächstens in Uhlands Gutem
Kameraden: ihn hat es +fortjerissen+, er liegt mir vor den Füßen.


Schwulst

Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch den Schwulst liebt, ist
kein Wunder. Schon die bisherigen Beispiele haben es zum Teil gezeigt,
aber es gibt noch viele andre. Auch die Sprache hat ihre Reifröcke,
ihre Schinkenärmel, ihre Schleppen; die Sucht, sich möglichst breit
auszudrücken, geht durch unsre ganze Schriftsprache. Wo für einen
Begriff zwei Wörter zur Verfügung stehen, ein kurzes und ein langes, da
wird gewiß das lange vorgezogen. Man schreibt nicht +sein+, +haben+,
+können+, +kommen+, +geben+, +sehen+, sondern +sich befinden+ (z. B.
in großer Verlegenheit), +besitzen+, +vermögen+ (die Hälfte der
Bevölkerung +vermag+ weder zu lesen noch zu schreiben), +gelangen+,
+verleihen+ (Ausdruck wird immer +verliehen+, nicht +gegeben+),
+erblicken+. Und doch, wie unpassend ist das oft! +Erblicken+ z. B.
bezeichnet ja den Augenblick, wo ich etwas zu sehen anfange (vgl. S.
355), wo mir etwas ins Auge fällt, mag ich es nun vorher gesucht haben
oder nicht: eine Stunde lang hatte ich mich in dem Menschengewühl
nach ihm umgesehen, endlich +erblickte+ ich ihn. Aber: ich +erblicke+
darin einen großen Fehler, oder: darin ist ein großer Fortschritt zu
+erblicken+ -- wie jetzt immer geschrieben wird --, oder: die meisten
haben sich verleiten lassen, in dem Märchen eine Verherrlichung des
Freimaurertums zu +erblicken+ -- ist doch sinnwidrig; denn hier
handelt sichs ja um eine dauernde Ansicht, und die kann nur durch das
schlichte, einfache +sehen+ ausgedrückt werden.

Zahllos sind die Fälle, wo ein einfaches Verbum ganz unnötigerweise
durch eine Redensart umschrieben wird, wie +Folge leisten+, +Verzicht
leisten+, +Abbitte leisten+ u. ähnl., oder durch eine schleppende
Weiterbildung verdrängt wird. Geld wird nicht mehr +eingenommen+ und
+ausgegeben+, sondern nur noch +vereinnahmt+ und +verausgabt+. Die
Kosten einer Sache werden nicht mehr so und so hoch +angeschlagen+,
sondern +veranschlagt+. Prozente werden nicht +abgezogen+, sondern
+verabzugt+, Porto wird nicht +ausgelegt+, sondern +verauslagt+, und
ein kluger, aufgeweckter Junge heißt nicht mehr glücklich +angelegt+,
sondern +beanlagt+ oder +veranlagt+. Lauter fürchterliche Wörter --
aus dem Zeitwort ist ein Hauptwort gebildet, und aus dem Hauptwort
dann wieder ein Zeitwort! Freilich sind sie nicht schlimmer als
+beauftragt+, +beaufsichtigt+ (vgl. +Aufseher+), +beansprucht+ (statt
+angesprochen+), +bevorzugt+ (statt +vorgezogen+), +beeinflußt+,
+bewerkstelligt+ (man überlege sich einmal, was +Werkstelle+ heißt!),
Wörter, an die wir uns längst gewöhnt haben, und die bei ihrem
ersten Auftauchen für feinfühligere Ohren gewiß ebenso fürchterlich
gewesen sind wie für uns heute +vereinnahmt+ und +verauslagt+; aber
es ist doch gut, sich des Schwulstes bewußt zu werden. Auch in der
Häufung der Präfixe und Präpositionen vor den Zeitwörtern können sich
manche nicht genug tun. Da wird ein Stipendium nicht +ausgezahlt+,
sondern +ausbezahlt+, da werden +anlangen+ und +betreffen+ beide
zu +anbelangen+ und +anbetreffen+ verlängert, man +lebt sich+ in
einen Gedanken +hinein+ (statt +ein+), man führt ein Musikwerk +mit
Hinweglassung+ des Chors auf (statt: +ohne+ Chor), vor allen Dingen
aber +bildet sich+ nichts mehr +aus+, sondern alles bildet sich
+heraus+: schon lange vor Einführung der Buchdruckerkunst hatte sich
bei der Kirche die Sitte +herausgebildet+ usw. Woherrraus denn?
Der Ausdruck hat etwas so gewaltsames, daß man die Sitte wie aus
einem Krater hervorbrodeln sieht. Am Ende werden noch Trinksprüche
+hinausgebracht+ und einem ein paar Hiebe +hinaufgezählt+. Und welcher
Schwulst, wenn jedes +auch+ durch +ebenfalls+ oder +gleichfalls+, jedes
+viel+ durch +zahlreich+, jedes +oft+ durch +häufig+, jedes +nur+ durch
+lediglich+, jedes +viel+ vor dem Komparativ (+viel+ weniger) durch
+bedeutend+, +unvergleichlich+, +unverhältnismäßig+ oder womöglich gar
+unendlich+ ersetzt, jedes +sehr+ und +mehr+ umschrieben wird durch:
+in hohem Grade+, +in ausgedehntem Maße+, +in höherm Grade+, +in
erhöhtem Maße+, jedes +so+ durch: +auf diese Art und Weise+, wenn für
+näher+, +weiter+, +länger+, +breiter+, +öfter+ immer geschrieben wird:
+des nähern+ (oder gar +näheren+), +des weitern+, +des längern+, +des
breitern+, +des öftern+, oder wenn jemand Bericht erstattet nicht +als+
Rektor oder Vorsitzender, sondern +in seiner Eigenschaft als+ Rektor,
+in seiner Eigenschaft als+ Vorsitzender, wenn +schwere+ Bedenken oder
Vorwürfe zu +schwerwiegenden+ Bedenken und Vorwürfen, eine +schwere+
Aufgabe zu einer +mit Schwierigkeiten verbundnen+, eine +erste+
Aufführung und eine +erste+ Einrichtung zu +erstmaligen+ gemacht werden
(die +erstmalige+ Zusammenkunft der deutschen Architekten fand 1842 in
Leipzig statt),[170] oder wenn immer von +Vorahnung+, +Voranschlag+,
+Vorbedingung+, +Rückerinnerung+, +Beihilfe+, +Herabminderung+ geredet
wird, als ob man Bedingungen auch hinterher stellen, sich an ein
Erlebnis auch voraus erinnern oder einen Aufwand hinaufmindern könnte!
Wie der Schwulst immer mehr zunimmt, mag folgendes Beispiel zeigen:
der Fall +ist+ sehr verwickelt -- der Fall +liegt+ sehr verwickelt
-- der Fall +ist+ sehr verwickelt +gelagert+ -- die +Lagerung+ des
Falls +ist+ sehr verwickelt -- die +Lagerung+ des Falls +ist eine+
sehr verwickelte. Weiter gehts nicht! In solchem Deutsch spricht man
aber jetzt mit Vorliebe in Vereinsversammlungen, schreibt man in
Jahresberichten, ja man unterhält sich darin schon am Biertisch, denn
so schreiben die Leitartikelschreiber und die Reporter des Lokalblatts,
und das sind ja die Lehrmeister des Volks auch in Sprachdingen.


Rücksichtnahme und Verzichtleistung

Erzeugnisse des Sprachschwulstes sind unter den Substantiven besonders
die Zusammensetzungen mit +nahme+, die in neuerer Zeit so beliebt
geworden sind: +Parteinahme+, +Stellungnahme+, +Rücksichtnahme+,
+Einsichtnahme+, +Anteilnahme+, +Abschriftnahme+, sogar +Einflußnahme+
und +Rachenahme+! Einige dieser Bildungen sind ganz überflüssig.
Oder könnte es wirklich mißverstanden werden, wenn jemand sagt: er
handelte ohne +Rücksicht+ auf seine Freunde -- lege mir die Papiere zur
+Einsicht+ vor -- ich erhielt von ihm die Tafeln zur +Abschrift+? Wozu
das -+nahme+? Offenbar soll es die Handlung ausdrücken. Aber die liegt
doch schon in +Rücksicht+, +Einsicht+ und +Abschrift+, fühlt man das
gar nicht mehr? Recht töricht ist +Einflußnahme+, denn Einfluß hat man
entweder, oder man gewinnt ihn, man kann ihn auch zu gewinnen suchen,
sich ihn sogar anmaßen, aber man „nimmt“ ihn nicht. +Anteilnahme+ (in
Leipzig +Ahnteilnahme+ ausgesprochen) ist nichts als eine häßliche
Verbreiterung von +Teilnahme+. Man scheint sich jetzt einzubilden,
+Teilnahme+ sei auf traurige Ereignisse, Unglücksfälle, Todesfälle
u. dgl. zu beschränken, in allen andern Fällen müsse es +Anteilnahme+
heißen. Ein vernünftiger Grund zu einer solchen Unterscheidung liegt
nicht vor. Es wäre doch lächerlich, wenn nicht auch bei einem freudigen
Ereignis meine +Teilnahme+ genügte; +Parteinahme+ und +Stellungnahme+
scheinen auf den ersten Blick unentbehrlich zu sein, aber doch nur
deshalb, weil man immer in ein Substantiv zusammenquetschen zu müssen
glaubt, was man mit dem Verbum sagen sollte.

Wie mit +Rücksichtnahme+ aber verhält sichs auch mit +Hilfeleistung+
und +Verzichtleistung+; +Hilfe+ und +Verzicht+ sagen genau dasselbe.


Anders, andersartig und anders geartet

Ein entsetzlicher Schwulst greift neuerdings unter gewissen
Eigenschaftswörtern um sich: man fühlt nicht mehr oder tut so, als
ob man nicht mehr fühlte, daß diese Eigenschaftswörter eben die Art,
die Eigenschaft eines Dinges bezeichnen, sondern glaubt, das noch
besonders ausdrücken zu müssen, indem man das Wort +Art+ zu Hilfe
nimmt. Bildungen wie +gutartig+, +bösartig+ und +großartig+ sind ja
schon alt und haben mit der Zeit einen Sinn angenommen, der sich
von dem einfachen +gut+, +böse+ und +groß+ unterscheidet, wiewohl
zwischen einem +bösen+ Hund und einem +bösartigen+ Hund, einer +großen+
Auffassung und einer +großartigen+ Auffassung ein recht geringer
Unterschied ist. Aber schon +fremdartig+ und +verschiedenartig+ ist
doch oft nichts als eine überflüssige Verbreiterung von +fremd+ und
+verschieden+. Oder wäre es wirklich nicht mehr deutlich, wenn man
sagt: es ist dem innersten Wesen des Deutschen +fremd+ -- oder wenn man
Gaslicht und elektrisches Licht +verschiednes+ Licht nennt? Vollends
unnötiger Schwulst aber ist in den meisten Fällen das neumodische
+andersartig+ für +anders+. Oder ist es etwa nicht mehr zu verstehen,
wenn jemand sagt: die Befriedigung, die wir aus der Kunst schöpfen, ist
eine ganz +andre+ als die, die uns die Natur gewährt? (Vgl., was S. 370
über +eigen+ und +eigenartig+ gesagt ist.)

Man begnügt sich aber schon nicht mehr mit den Zusammensetzungen von
+artig+ -- es scheint das noch nicht schwülstig genug zu sein --,
sondern hat das herrliche Partizip +geartet+ erfunden und schreibt nun
nicht bloß von einer +anders gearteten+ Zeit und +anders gearteten+
Verhältnissen, sondern auch von einer +so gearteten+ Begabung (statt
von einer +solchen+), von +ähnlich gearteten+ Unternehmungen (statt von
+ähnlichen+) usw. Ist der heutige Sextaner +anders geartet+ als der
frühere? -- man sah der Ausführung zwar mit +anders gearteter+, aber
nicht geringerer Spannung entgegen -- wären alle Deutschen Österreichs
+so geartet+ wie die Siebenbürger Sachsen -- das Schöffengericht hat in
einem ganz +ähnlich gearteten+ Falle auf Freisprechung erkannt (vgl. S.
408 den +gelagerten+ Fall!) -- mit der besondern Veranlassung war auch
eine +besonders geartete+ Zuhörerschaft gegeben -- so spreizt man sich,
und dabei ist man womöglich noch stolz auf seinen Scharfsinn, der den
Unterschied zwischen +ähnlich+ und +ähnlich geartet+ ausgediftelt hat.

Vielleicht erleben wirs noch, daß auch +anders geartet+ nicht mehr
genügt, daß man sagt: die Befriedigung, welche (!) wir aus der Kunst
schöpfen, ist eine ganz +andersartig geartete+ als diejenige, welche
(!) uns die Natur gewährt. Breiter könnte dann der Ausdruck beim besten
Willen nicht genudelt werden.


Haben und besitzen

Wohin es führt, wenn man ein kurzes Zeitwort immer gedankenlos und
aus bloßer Neigung zur Breite durch ein längeres ersetzt, zeigt am
besten der heutige Mißbrauch von +besitzen+ für +haben+. Auch er ist,
wie der Mißbrauch des Zeitworts +bedingen+ (vgl. S. 398), zu völliger
Verrücktheit ausgeartet.

Die Grundbedeutung von +haben+ ist +halten+, +in der Hand haben+.
Aus ihr hat sich dann leicht die des Eigentums, des Besitzes
entwickelt, wie sie deutlich in +Habe+ vorliegt. Aber damit ist die
Anwendung des Wortes nicht erschöpft: mit +haben+ läßt sich fast
jeder denkbare Zusammenhang, jedes denkbare Verhältnis zwischen zwei
Dingen ausdrücken. +Besitzen+ dagegen bedeutet ursprünglich +auf
etwas sitzen+. Das erste, was der Mensch „besaß“, war unzweifelhaft
der Grund und Boden, auf dem er saß. Noch im siebzehnten Jahrhundert
„besaß“ der Richter die Bank, der Reiter das Pferd, die brütende
Henne die Eier. Vom Grund und Boden ist das Wort dann auf andre Dinge
übertragen worden, die unser Eigentum sind, vor allem auf das Haus,
das auf dem Grund und Boden errichtet ist -- auch dieses „besitzt“ man
noch im eigentlichen Sinne des Wortes, man sitzt darin, man ist Insasse
des Hauses --, dann auch auf alle fahrende Habe, auf allen Hausrat und
endlich auf das liebe Geld. Damit ist aber die sinngemäße Anwendung des
Wortes erschöpft.

Bedenklich ist es schon, Kinder als Besitztum der Eltern zu bezeichnen:
er +besaß+ vier +Kinder+, zwei Söhne und zwei Töchter. Eltern
+haben+ Kinder, aber sie +besitzen+ sie nicht. Dasselbe gilt von dem
Verhältnis des Herrn zum Diener, des Herrschers zu den Untertanen,
des Freundes zum Freunde. Es ist abgeschmackt, zu schreiben: er hatte
viele sympathische Züge, und doch +besaß+ er keinen +Freund+. Wer die
Abgeschmacktheit nicht fühlen sollte, der kehre sich die Verhältnisse
um; wenn Eltern Kinder, ein Herrscher Untertanen „besitzt“, dann
„besitzen“ auch Kinder Eltern und Untertanen einen Herrscher. In der
Tat schrickt man auch vor solchem Unsinn schon nicht mehr zurück; man
schreibt: er +besaß Eltern+, die töricht genug gewesen waren, in seinen
Kinderjahren die Keime der Genußsucht in seinem Herzen zu pflegen --
Tycho Brahe +besaß+ auch entfernte +Verwandte+ in Schweden -- wir
+besitzen+ in unsrer Verwandtschaft einen berühmten +Astronomen+ --
Preußen +besitzt+ in den Hohenzollern ein +Herrschergeschlecht+, um
das es jedes andre Land beneiden kann. Ist das richtig, dann kann man
schließlich auch einen Onkel, einen Großvater, einen Gönner, einen
Widersacher „besitzen“, eine Stadt kann einen Bürgermeister, eine
Kompagnie einen Hauptmann „besitzen“.[171]

Ebenso bedenklich ist es, einen Teil unsers eignen Selbst, also
entweder den Körper oder den Geist oder einen Teil des Körpers als
unser Besitztum zu bezeichnen und zu schreiben: er +besaß+ einen
kräftigen, wohlgebauten +Körper+ -- sie +besaß+ eine feine, schmale,
wohlgepflegte +Hand+ (in Romanen sehr beliebt!) -- ein Kind, das
ganz normal entwickelt ist, aber leider keine +Augen besitzt+ -- ich
habe dir treu gedient, ohne daß du ein +Auge+ dafür +besaßest+ -- er
+besaß+ ein +Ohr+ für den Pulsschlag der Zeit -- die Soldaten möchten
bedenken, daß die Schwarzen auch ein +Herz besäßen+. Derselbe Fall ist
es, wenn Bestandteile einer Sache als Besitztum der Sache bezeichnet
werden, z. B.: die Peterskirche +besitzt+ eine Menge kleiner +Türmchen+
-- der Turm +besitzt+ auf jeder Seite eine +Uhr+ -- das Stück
+besitzt+ fünf +Akte+ -- das Werk +besitzt+ über 100 +Abbildungen+
-- die spanisch-maurischen Fayencen +besaßen+ eine +Zinnglasur+ --
das Buschweidenröschen +besitzt+ einen unterirdischen wurzelartigen
+Stengel+ -- diese Schaftstiefel +besitzen+ +Doppelsohlen+, oben von
Leder, unten von Blech -- wir reden von Fensterscheiben, die doch meist
vier +Ecken besitzen+.

Unzählig aber sind nun die Fälle, wo gar äußere oder innere
Eigenschaften einer Person oder Sache, Zustände, Empfindungen,
Geistestätigkeiten und ähnliches unsinnigerweise als Besitztum der
Person oder Sache hingestellt werden. Da schreibt man z. B: dieser
Orden wird auch an solche Leute verliehen, die keinen +Hofrang
besitzen+ -- er +besaß+ eine auskömmliche +Stellung+ -- Herr R. +besaß+
damals ein +Engagement+ in Leipzig -- so wenig wird man begriffen,
wenn man die +Eigenschaften+ des Künstlers +besitzt+ -- K. +besitzt+
dazu weder das reife, ruhige +Urteil+, noch die nötige +Sachlichkeit+,
ja auch die nötige +Wahrheitsliebe+ -- unsre Juden +besitzen+ nicht
die +Feinheit+ der Empfindung, vor dieser deutlichen Ablehnung
zurückzutreten -- einige Tanzweisen der nordischen Völker +besitzen+
mit denen der alten Deutschen große +Ähnlichkeit+ -- der hochgeehrte
Rat wolle die +Güte besitzen+, unser Gesuch wohlwollend in Erwägung
zu ziehen -- das moderne Theater +besitzt+ einen ganz bestimmten
+Charakter+ -- entscheidend ist die Frage, ob die bedeutendern
Künstler diese +Kennzeichen+ des Klassizismus +besitzen+ oder nicht
-- die +Bedeutung+, die in der Entwicklung Englands die normannische
Eroberung +besitzt+ -- die Reise des Kaisers nach London scheint eine
politische +Bedeutung+ zu +besitzen+ -- fast alle englischen Offiziere
+besitzen Spitznamen+ -- beide Bauten +besitzen+ einen langgestreckten,
rechteckigen +Grundriß+ -- diese epochemachende Camera +besitzt+
folgende +Einrichtung+ -- der Mann +besitzt+ die stattliche +Größe+ von
2,26 Metern -- die Passage +besitzt+ eine +Länge+ von dreiundvierzig
Metern -- die Zigarre +besitzt+ einen schönen, angenehmen +Brand+
-- dieser Fleischextrakt +besitzt+ den +Wohlgeschmack+ des frischen
Fleisches -- diese Sprachen +besaßen+ nur die +Stellung+ von Mundarten
-- man muß sich bewußt bleiben, daß diese Unterscheidung keinen
theoretischen, sondern nur einen praktischen +Wert besitzt+ -- der
Name dieses Künstlers +besitzt+ für uns alle einen vertrauten +Klang+
-- das Genie +besitzt+ eine +Verwandtschaft+ mit dem Wahnsinn --
priesterlicher Gesang kann nicht die +Töne besitzen+, aus denen
das leise Erzittern des frommen Herzens spricht -- für die moderne
Revolution +besitzen+ Dichter und Denker kaum eine geringere
+Bedeutung+ als die Männer der Tat -- man +besitzt+ in Preußen volles
+Verständnis+ für den sächsischen Standpunkt -- wir +besitzen+ an
einer Vermehrung der Streitkräfte unsrer Nachbarn nicht das geringste
+Interesse+ -- die Landstreicher zerfallen (!) in solche, deren Streben
darauf gerichtet ist, bald wieder Arbeit zu finden, und solche, die
dieses +Streben+ nicht +besitzen+ -- die meisten Menschen +besitzen+
den sehnlichen +Wunsch+, möglichst lange zu leben -- die Behörden
+besaßen+ keine +Ahnung+ von den ihnen obliegenden Pflichten -- wer mit
dem Volksleben nicht die geringste persönliche +Fühlung besitzt+ -- er
+besaß+ die moralische +Überzeugung+ von ihrer Unschuld -- er hatte
die Kühnheit, eine eigne +Meinung+ zu +besitzen+ (warum nicht auch:
er +besaß+ die +Kühnheit+?) -- zu dem praktischen Blick seiner Mutter
+besaß+ er unbedingtes +Vertrauen+ -- die Neuberin +besaß+ jedenfalls
mehr +Begeisterung+ für die Kunst als Pollini -- jeder Preuße, der
die +Befähigung+ zu den Gemeindewahlen +besitzt+ -- die Erde +besitzt
Raum+ genug für den Wettkampf der zwei germanischen Völker (Schiller:
+Raum+ für alle +hat+ die Erde!) -- Leute, die gern Konjekturen machen,
+besitzen+ hier ein ergiebiges +Arbeitsfeld+ -- wir +besitzen+ hier
einen zuverlässigen +Ausgangspunkt+ -- nun erst +besaßen+ die Künstler
den +Malgrund+, auf dem sie bequem arbeiten konnten -- da er keine
Beweise vorgebracht hat, muß man annehmen, daß er keine +Beweise besaß+
-- gegen die Diphtheritis +besitzen+ die Naturärzte eine +Behandlung+
von ausgezeichnetem Heilerfolg -- der Entschlafne +besitzt+ ein volles
+Anrecht+ darauf, daß wir ihn durch Worte dankbarer Erinnerung ehren --
die Fortbildungsschüler müssen noch eine Menge Dinge lernen, in denen
sie schon +Übung besitzen+ sollten -- das Konsistorium wird hoffentlich
die +Konsequenz besitzen+ (so konsequent sein!), ebenfalls aus dem Amte
zu scheiden -- es traten Persönlichkeiten auf, die zum Klagen nicht den
geringsten +Grund besaßen+. In Leipzig kann man sogar schon auf der
Straße hören: Nee, so ’ne +Frechheet+ zu +besitzen+!

Ein Recht auf eine Sache kann gewiß unter Umständen als eine Art
wertvollen Besitztums aufgefaßt werden. Dasselbe gilt von Kenntnissen
und Fertigkeiten. Aber das meinen doch die gar nicht, die gedankenlos
so etwas hinschreiben, wie daß der Entschlafne (!) ein Anrecht auf
dankbare Erinnerung „besitze“. +Haben+ kann auch ein Entschlafner noch
alles mögliche, +besitzen+ kann er schlechterdings nichts mehr. Aber
auch der Lebende kann alle die andern schönen Dinge, wie Begeisterung,
Streben, Interesse, Verständnis, Vertrauen, Kühnheit, „Frechheet“, wohl
haben, aber nicht besitzen. +Güte haben+ ist ja nur eine verbreiternde
Umschreibung von +gut sein+, +Ähnlichkeit haben+ eine Umschreibung von
+ähnlich sein+. Das sind aber Eigenschaften, keine Besitztümer.

Vollends lächerlich ist es, wenn Eigenschaften oder Zustände, die
einen Schaden oder Mangel bilden, als Besitztümer bezeichnet werden.
Und doch wird auch geschrieben: das +Leiden+, das +er besaß+, war eine
Blasenfistel -- beim Verhör stellte sich heraus, daß er eine tiefe
+Wunde+ am Jochbein sowie eine +Schußwunde+ oberhalb der Herzgegend
+besaß+. Ja sogar Schulden werden als Besitztum hingestellt: das Reich
und die Einzelstaaten +besitzen+ gegenwärtig etwas über zehn Milliarden
+Staatsschulden+. Nettes Besitztum!

Aber auch das bloße Dasein, Vorhandensein, Bestehen einer Sache
an irgendeinem Orte, in einem bestimmten örtlichen Umkreis oder
sonstigen Bereich läßt sich wohl mit +haben+ ausdrücken, aber nicht
mit +besitzen+. In Leipzig +sind+ sechs Bahnhöfe, oder: in Leipzig
+gibt es+ sechs Bahnhöfe -- dafür kann man auch sagen: Leipzig +hat+
sechs Bahnhöfe. Aber zu schreiben: Leipzig +besitzt+ sechs +Bahnhöfe+
-- ist Unsinn. Leipzig besitzt eine Anzahl Waldungen, Rittergüter,
auch öffentliche Gebäude, aber seine sechs Bahnhöfe +hat+ es nur.
Auf die Spitze getrieben erscheint der Unsinn, wenn die Angabe des
Ortes wegfällt und nur gesagt werden soll, daß eine Sache überhaupt
da sei. Anstatt: es ist das die älteste +Nachricht+, die es hierüber
+gibt+ -- kann man auch sagen: es ist das die älteste +Nachricht+,
die wir hierüber +haben+, wir, nämlich alle, die sich mit der Sache
beschäftigen. Welch törichtes Gespreiz aber, dafür zu schreiben: es ist
das die älteste +Nachricht+, die wir darüber +besitzen+ -- Weltrichs
Buch ist die beste wissenschaftliche +Biographie+ Schillers, die wir
+besitzen+ -- Minors Kommentar bedeutet (!) das Beste, was wir bis
jetzt über den Faust +besitzen+.

Die Neigung, +besitzen+ zu schreiben, wo +haben+ gemeint ist, ist
freilich nicht von heute und gestern, sie findet sich schon im
achtzehnten Jahrhundert. Man denke nur an die Worte des Schülers im
Faust:

    Denn was man schwarz auf weiß +besitzt+,
    Kann man getrost nach Hause tragen,

oder an den Goethischen Spruch:

    Wer Wissenschaft und Kunst +besitzt+,
    +Hat+ auch Religion;
    Wer jene beiden nicht +besitzt+,
    Der +habe+ Religion.

Sieht man sich aber die Stellen, wo so geschrieben ist, näher an,
so sieht man, daß es meist mit Absicht geschehen ist, weil eben die
Sache, um die sichs handelt, als eine Art von Besitztum hingestellt
werden soll, oder es ist der Abwechslung, des Reims, des Rhythmus
wegen geschehen.[172] Zur gedankenlosen Mode ist es erst in unsrer
Zeit ausgeartet. Nun hat es aber auch so um sich gegriffen, daß man
auf alles gefaßt sein muß. Es ist gar nicht undenkbar, daß wir noch
dahin kommen, daß einer auch Recht oder Unrecht, Glück oder Unglück
+besitzt+, eine Pflicht oder Verpflichtung +besitzt+, Zeit zu einer
Arbeit, Lust zu einer Reise +besitzt+, Hunger oder Durst +besitzt+,
schlechte Laune +besitzt+, das Scharlachfieber +besitzt+, einen Floh
+besitzt+ usw.


Verbalsurrogate

Zum Sprachschwulst gehört auch die immer weiter fressende, kaum noch
irgendeinen Tätigkeitsbegriff verschonende Umschreibung einfacher
Zeitwörter durch +ziehen+ und +bringen+ im Aktiv, +gezogen+ oder
+gebracht werden+, +kommen+, +gelangen+ und +finden+ im Passiv.
Nichts wird mehr +erwogen+, +überlegt+, +erörtert+, +betrachtet+,
+berücksichtigt+, sondern alles wird +in Erwägung+, +in Überlegung+,
+in Erörterung+, +in Betracht+, +in Berücksichtigung gezogen+. Nichts
wird mehr +vorgelegt+, +vorgetragen+, +aufgeführt+, +dargestellt+,
+wiederhergestellt+, +ausgeführt+, +durchgeführt+, +angeregt+,
+angerechnet+, +vorgeschlagen+, +angezeigt+, +verkauft+, +verteilt+,
+versandt+, +ausgegeben+, +angewandt+, +erledigt+, +entschieden+,
+erfüllt+, sondern alles wird +zur Vorlage gebracht+, +zum Vortrag
gebracht+, +zur Aufführung+ oder +zur Darstellung gebracht+, +zur
Ausführung+ oder +zur Durchführung gebracht+, +in Anregung+, +in
Anrechnung+, +in Vorschlag gebracht+, +zur Anzeige+, +zum Verkauf+,
+zur Verteilung+, +zur Versendung gebracht+, +zur Ausgabe+,
+zur Anwendung+, +zur Erledigung+, +zur Entscheidung+, +zur
Erfüllung gebracht+, oder es +kommt+ oder +gelangt zum Vortrag+,
+zur Aufführung+, +zur Wiederherstellung+, +in Vorschlag+, +zur
Anzeige+, es +findet Anwendung+, +Erledigung+. Ein Personenzug
+kommt zur Ablassung+, ein Buch +gelangt zum Druck+, und dann
+gelangt es zur Ausgabe+, das Kommißbrot +gelangt zum Verzehr+ (!).
Eine Bürgermeisterstelle wird nicht +ausgeschrieben+, sondern zur
+Ausschreibung gebracht+; selbst von Häusern, die infolge einer
Überschwemmung +eingestürzt+ sind, heißt es, sie seien +zum Einsturz
gebracht+ worden. Die Train-Depot-Offiziere +fallen+ nicht +weg+,
sondern sie +gelangen zum Fortfall+ (!). Grund und Boden +gelangt zur
Aufforstung+, alte Schiffe +gelangen zur Außerdienststellung+, Rinder
und Schweine +gelangen zur Schlachtung+, eine Stadtkassenrechnung
+gelangt+ bei den Stadtverordneten zur +Richtigsprechung+, ja sogar
eine Ratsvorlage zur +Ablehnung+ (als ob es Ziel und Bestimmung
der Ratsvorlagen wäre, abgelehnt zu werden), und wenn die
Straßenbahndirektion ihren Fahrpreis herabsetzt, so macht sie bekannt:
Wir +bringen+ hiermit +zur Kenntnis+, daß der seither giltige Fahrpreis
von 15 Pfennigen +in Wegfall kommt+ und der neue Tarifsatz von 10
Pfennigen +zur Erhebung gelangt+.

Zum Schwulst gesellt sich aber hier noch etwas andres: die höchst
bedenkliche Neigung, den Verbalreichtum der Sprache gleichsam auf ein
paar Formeln abzuziehen, die alles Flektieren überflüssig machen.
Wer von diesen sechs oder sieben Verbalsurrogaten glücklich noch
ein Tempus und einen Modus bilden kann, der braucht sich nicht mehr
mit Ablautreihen und schwankenden Konjunktivformen zu plagen. Wie
sich das Französische für das Futurum ein Surrogat geschaffen hat in
seinem ~avoir~ mit dem Infinitiv, wie das Deutsche auf dem besten
Wege ist, sich für den Konjunktiv des Imperfekts ein Surrogat zu
schaffen in +würde+ mit dem Infinitiv, so ersetzen wir vielleicht in
hundert Jahren das Verbum überhaupt durch +bringen+ und +gelangen+ mit
einem Substantiv und sagen: ~propono~, ich +bringe+ in Vorschlag --
~proponor~, ich +komme+ in Vorschlag.


Vermittelst, mit Zuhilfenahme von

Unrettbar dem Schwulst verfallen sind unsre Präpositionen. Als
Präpositionen gebrauchte man früher eine Menge kleiner Wörtchen, die
aus zwei, drei, vier Buchstaben bestanden. In unsern Grammatiken findet
man sie auch jetzt noch verzeichnet, dieses lustige kleine Gesindel:
+in+, +an+, +zu+, +aus+, +von+, +auf+, +mit+, +bei+, +vor+, +nach+,
+durch+ usw.; in unserm Amts- und Zeitungsdeutsch aber fristen sie
nur noch ein kümmerliches Dasein, da sind sie verdrängt und werden
immer mehr verdrängt durch schwerfällige, schleppende Ungetüme wie:
+betreffs+, +behufs+, +zwecks+, +seitens+, +angesichts+, +mittelst+,
+vermittelst+, +vermöge+, +bezüglich+, +hinsichtlich+, +rücksichtlich+,
+einschließlich+, +ausschließlich+, +anläßlich+, +gelegentlich+,
+inhaltlich+, +ausweislich+, +antwortlich+, +abzüglich+, +zuzüglich+,
+zusätzlich+, +vorbehältlich+ usw. Wie lange wird es dauern, so wird
in unsern Grammatiken auch der Abschnitt über die Präpositionen
vollständig umgestaltet werden müssen; alle diese Ungetüme werden als
unsre eigentlichen Präpositionen verzeichnet, die alten, wirklichen
Präpositionen in die Sprachgeschichte verwiesen werden müssen.

Früher wurde einer, der +mit+ einem Messer gestochen worden war, +mit+
einer Droschke ins Krankenhaus gebracht; so wird auch heute noch
-- gesagt. In der Zeitung geschieht es aber nur noch +vermittelst+
eines Messers und +vermittelst+ einer Droschke. Ein herrliches Wort,
dieses +vermittelst+! Dem Anschein nach eine Superlativbildung, aber
wovon? Ein Adjektivum +vermittel+ gibt es nicht, nur ein Zeitwort
+vermitteln+. Daran ist aber doch bei +vermittelst+ nicht zu
denken. Offenbar ist das Wort in schauderhafter Weise verdorben aus
+mittels+,[173] dem Genitiv von +Mittel+, der in ähnlicher Weise zur
Präposition gepreßt worden ist wie +behufs+ und +betreffs+, zu denen
sich neuerdings noch +zwecks+, +mangels+ und +namens+ gesellt haben
-- lauter herrliche Erfindungen.[174] Das Zwischenglied wäre dann
+mittelst+, das es ja auch gibt; fürstliche Personen reisen stets
+mittelst+ Sonderzugs, und ein „Etablissement“, das früher +mit+
oder +durch+ Gas erleuchtet wurde, wird jetzt natürlich +mittelst+
Elektrizität erleuchtet, Handelsartikel, die früher +mit+ der Hand
hergestellt wurden, werden jetzt +mittelst+ Maschinen gewonnen; ja es
kommt sogar vor, daß ausgediente Mannschaften +mittelst Musik+ auf den
Bahnhof gebracht werden!

Daß +zu+ unter anderm auch den Zweck bezeichnet, ist dem Beamten
und dem Zeitungschreiber gänzlich unbekannt. Früher verstand man
es sehr gut, wenn einer sagte: er ist der Polizeibehörde +zur+
Einsperrung überwiesen worden -- die Nummern sind +zur+ Registrierung
beigefügt; jetzt heißt es nur noch: +behufs+ oder noch lieber +zwecks+
Einsperrung, +zwecks+ (oder +zum Zwecke+) der Registrierung, +zwecks+
Feststellung der Krankenkassenbeiträge, +zwecks+ Stellungnahme usw.
+Behufs+ Bildung einer Berufsgenossenschaft -- +behufs+ Wahrung
des Prestiges der italienischen Flagge -- ein Bündnis Englands mit
Rußland +zwecks+ Niederhaltung Deutschlands -- die Leiche wurde
+zwecks+ Verbrennung nach Gotha überführt (!) -- die Bank hat +zwecks+
Erweiterung ihrer Räume das Nachbarhaus angekauft -- die Schülerinnen
sollen +zwecks+ Schonung ihrer Augen acht Tage vom Unterricht
dispensiert werden und dann +zwecks+ erneuter Untersuchung sich wieder
in der Schule einfinden -- so hufst und zweckeckeckst es durch die
Spalten unsrer Zeitungen.

Einen Brief fing man früher an: +auf+ dein Schreiben vom 17. teile
ich dir mit --; jetzt heißt es nur noch: +antwortlich+ (oder in
+Beantwortung+ oder +Erwiderung+) deines Schreibens (vgl. S.
173). Früher verstand es jedermann, wenn man sagte: +nach+ der
Betriebsordnung oder +nach+ den Bestimmungen der Bauordnung, +nach+
dem Standesamtsregister, +nach+ Paragraph 5; das Volk spricht auch
heute noch so. In den Bekanntmachungen der Behörden aber heißt es
nur: +auf Grund+ der Betriebsordnung, +inhaltlich+ der Bestimmungen
der Bauordnung, +ausweislich+ des Standesamtsregisters, und was das
Allerschönste ist: +in Gemäßheit von+ Paragraph 5, +in Gemäßheit+
des Beschlusses der Stadtverordneten. Also statt einer einsilbigen
Präposition ein so fürchterliches Wort wie +Gemäßheit+, flankiert von
zwei Präpositionen, +in+ und +von+! Früher sagte man: +nach+ seinen
Kräften, +bei+ der herrschenden Verwirrung, +durch+ den billigen
Zinsfuß -- jetzt heißt es: +nach Maßgabe+ seiner Kräfte, +angesichts+
der herrschenden Verwirrung, +vermöge+ des billigen Zinsfußes. Eine
Festschrift erschien früher +zum+ Geburtstag eines Gelehrten, +beim+
Jubiläum eines Rektors, +zur+ Enthüllung eines Denkmals, jetzt nur
noch +aus Anlaß+ oder +anläßlich+ des Geburtstags, +gelegentlich+ des
Jubiläums, +bei Gelegenheit+ der Enthüllung. +Bei+ dem Auftreten der
Influenza hat sich gezeigt -- +in+ den Verhandlungen +über+ den Entwurf
wurde bemerkt -- +auf+ der Weltausstellung in Sydney traten diese
Bestrebungen zuerst hervor -- versteht das niemand mehr? Es scheint
so, denn jetzt heißt es: +gelegentlich+ des Auftretens der Influenza
-- +gelegentlich+ der über den Entwurf gepflognen (!) Verhandlungen
-- +bei Gelegenheit+ der Weltausstellung in Sydney. Für +wegen+ wird
+aus Anlaß+ gesagt: der Botschafter X hat sich +aus Anlaß+ einer
ernsten Erkrankung seiner Gemahlin nach B. begeben. Für +über+ heißt es
+betreffs+ oder +bezüglich+: das letzte Wort +betreffs+ der Expedition
ist noch nicht gesprochen -- die Mitteilung der Theaterdirektion
+bezüglich+ der Neueinstudierung des Don Juan war verfrüht. Früher
verstand es jeder, wenn gesagt wurde: +mit+ der heutigen Versammlung
sind dieses Jahr zehn Versammlungen gewesen, +ohne+ die heutige
neun; jetzt heißt es: +einschließlich+ der heutigen Versammlung,
+ausschließlich+ der heutigen Versammlung. Unsre Kaufleute reden sogar
davon, was eine Ware zu stehen komme, +zuzüglich+ der Transportkosten,
+abzüglich+ der Fracht oder +zusätzlich+ der Differenz, statt: +mit+
den Transportkosten, +ohne+ die Fracht, +samt+ der Differenz, was
man doch auch verstehen würde, und ein Verein macht bekannt, daß er
den Jahresbeitrag +zuzüglich+ der dadurch entstehenden Kosten durch
Postauftrag erheben werde, statt +samt+ oder +nebst+ den Kosten. Ein
Betrüger ist +mit+ 10000 Mark entflohen -- ist das nicht deutlich? Der
Zeitungschreiber sagt: +unter Mitnahme von+ 10000 Mark! Endlich: +mit
Zuhilfenahme von+, +unter Zugrundelegung von+, +in der Richtung nach+,
+in Höhe von+, +an der Hand von+ (jetzt sehr beliebt: +an der Hand+
der Statistik), was sind alle diese Wendungen anders als breitspurige
Umschreibungen einfacher Präpositionen, zu denen man greift, weil
man die Kraft und Wirkung der Präpositionen nicht mehr fühlt oder
nicht mehr fühlen will. +Ohne Zuhilfenahme von+ fremdem Material --
was heißt das anders als: +ohne+ fremdes Material? Der Staatsanwalt
machte +an der Hand+ einer Reihe von Straftaten (!) die Schuld des
Angeklagten wahrscheinlich -- was heißt das anders als: +mit+ oder
+an+ einer Reihe? Ist es nötig, daß in Bekanntmachungen einer Behörde
geschrieben wird, daß ein gewisser Unternehmer eine Kaution +in Höhe
von+ 1000 Mark zu erlegen habe, daß eine Straße neu gepflastert werden
solle +in ihrer Ausdehnung von+ der Straße A +bis zur+ Straße B? Sind
wir so schwachsinnig geworden, daß wir eine Kaution +von+ 1000 Mark
nicht mehr verstehen, uns bei dem einfachen +von -- bis+ keine Strecke
mehr vorstellen können? Muß das alles besonders ausgequetscht werden?
Rührend ist es, wenn der „Portier“ auf dem Bahnhof ausruft: Abfahrt
+in der Richtung nach+ Altenburg, Plauen, Hof, Bamberg, Nürnberg usw.
Der Bureaumensch, der +das+ ausgeheckt hat, verdiente zum Geheimen
Regierungsrat ernannt zu werden! Er wird es längst sein. Bei einem
bloßen +nach+ könnte sich ja ein Reisender beschweren und sagen: Ich
wollte nach Gaschwitz, das ist aber nicht mit ausgerufen worden, nun
bin ich sitzen geblieben. Aber +in der Richtung nach+ -- da kann sich
niemand beschweren.


Seitens

Der größte Greuel aber auf dem Gebiete unsers ganzen heutigen
Präpositionenschwulstes ist wohl das Wort +seitens+; es ist zu einer
wahren Krankheit am Leibe unsrer Sprache geworden.

Zunächst ist es schon eine garstige Bildung. In den vierziger und
fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieben die Beamten und
Zeitungschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe +von Seiten+
statt des einfachen +von+ (ebenso +auf Seiten+ statt +bei+). Das
war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch wenigstens
richtig, ja man konnte sich sogar über den schwachen Dativ +Seiten+
freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden getrauen würde. Mit
der Zeit wurde aber doch selbst den Kanzlei- und Zeitungsmenschen
dieses ewige +von Seiten+ zu viel. Statt nun das einzig vernünftige
zu tun und wieder zu dem einfachen +von+ zurückzukehren, ließ man
das +von+ weg und sagte nur noch +seiten+. Aber das dauerte auch
nicht lange. Kaum war die Neubildung fertig, so wurde sie einer
abermaligen Umbildung unterzogen, man hängte gedankenlos, verführt
durch Genitive wie +behufs+, +betreffs+, ein unorganisches s an den
schwachen Dativ,[175] und so entstand nun dieses Jammerbild einer
Präposition, das heute das Leib- und Lieblingswort unsrer Amts- und
Zeitungssprache ist. Sowie man eine Zeitung in die Hand nimmt, das
erste Wort, das einem in die Augen fällt, ist: +seitens+. Die kleinen
Pfennignotizen der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an;
wenn nicht, dann stehts gewiß auf der zweiten oder dritten Zeile. Da
es die Zeitungssprache immer mehr verlernt, ein Ereignis im Aktivum
mitzuteilen, da sie mit Vorliebe im Passivum erzählt, sodaß das Objekt
zum grammatischen Subjekt und das logische Subjekt zum äußerlichen
Agens wird, +von+ beim Passiv ihr aber gänzlich unbekannt geworden ist,
so kann sie tatsächlich nicht die kleinste Mitteilung mehr machen ohne
+seitens+. Die Regierung, der Bundesrat, das Ministerium, das Gericht,
der Magistrat, die Polizeidirektion, das Stadtverordnetenkollegium
-- sie alle +tun+ nichts mehr, sondern alles +wird+ getan, alles
geschieht, erfolgt, findet statt +seitens+ der Regierung, +seitens+
des Bundesrats, +seitens+ des Ministeriums, +seitens+ des Gerichts,
+seitens+ des Magistrats, +seitens+ der Polizeidirektion usw. Dem
fortschrittlichen Kandidaten konnte +seitens+ der Gegner nichts
nachgesagt werden -- die Maschinen können +seitens+ der Interessenten
jederzeit besichtigt werden -- gegen solche Unart muß endlich einmal
mit Ernst vorgegangen werden, +seitens+ der Schule, +seitens+ der
Polizei, aber auch +seitens+ des Publikums -- es liegt darin etwas
verletzendes, auch wenn dies weder +seitens+ des Dichters, noch
+seitens+ der Darsteller beabsichtigt sein sollte; das Stück wurde
+seitens+ des Publikums einstimmig abgelehnt -- anders wird nicht
geschrieben. Aber auch bei aktiven Verben heißt es: zahlreiche Klagen
sind +seitens+ (!) einflußreicher Personen eingelaufen -- +seitens+ des
Herrn Polizeipräsidenten ist uns nachstehende Bekanntmachung zugegangen
-- +seitens+ der Kurie hat man (!) sich noch nicht schlüssig gemacht
-- +seitens+ der Regierung gibt man (!) sich der bestimmten Hoffnung
hin. Und hier wird +seitens+ auch für +bei+ gebraucht: dabei stieß er
+seitens+ des Gouverneurs auf große Schwierigkeiten (statt: +bei+ dem
Gouverneur!) -- wie er denn auch vielfache Anerkennung +seitens+ der
wissenschaftlichen Welt (+bei+ der wissenschaftlichen Welt!) gefunden
hat -- er erfreute sich des größten Vertrauens +seitens+ seines Chefs
(+bei+ seinem Chef!) -- das Werk wird dadurch an Teilnahme und Gunst
+seitens+ der Berliner (+bei+ den Berlinern!) nichts einbüßen. Für
den garstigen Gleichklang, der entsteht, wenn hinter +seitens+ nun
immer wieder Genitive auf s kommen, für dieses unaufhörliche Gezisch
hat der Papiermensch kein Ohr. Will er ja einmal abwechseln, auf das
einfache, vernünftige +von+ oder gar auf das Aktivum verfällt er gewiß
nicht; dann schreibt er lieber: +englischerseits+, +staatlicherseits+,
+kirchlicherseits+, +päpstlicherseits+, +ministeriellerseits+,
+landwirtschaftlicherseits+, ja sogar +unterrichteterseits+
oder: +regierungsseitig+, +eisenbahnseitig+, +gerichtsseitig+,
+prinzipalseitig+: die Gehilfenschaft hatte die Frage in ein Gleis
gebracht, an dem sich +prinzipalseitig+ nichts aussetzen ließ! Ein
Tierarzt macht darauf aufmerksam -- die Judenfeinde behaupten -- wie
simpel! Der Zeitungschreiber sagt: +tierärztlicherseits+ wird darauf
aufmerksam gemacht -- +antisemitischerseits+ (–ᴗᴗ–ᴗᴗ–) wird behauptet.
So klingts vornehm!

Damit ist aber die Anwendung des garstigen Wortes noch nicht
erschöpft. +Seitens+ wird nicht nur mit Verben, es wird auch mit
Verbalsubstantiven verbunden. Da schreibt man: die Beiträge zur
Unfallversicherung +seitens+ der Arbeitsherren -- die Vorführung
eines Spritzenzugs +seitens+ des Branddirektors -- die Behandlung der
Frauen +seitens+ der Männer -- die Aufnahme des Gesandten +seitens+
des Königs -- die Abneigung gegen die Angestellten +seitens+ der
Einwohnerschaft -- der Übergang über die Parthe +seitens+ der Nordarmee
-- die allgemeine Benutzung der Lebensversicherung +seitens+ der
ärmern Klassen -- ein Opfer von 3000 Mark +seitens+ der Stadt --
die Besitznahme dieses Küstengebiets +seitens+ der Franzosen -- die
Unsitte des Trampelns im Theater +seitens+ der Studenten -- der
schädigende Einfluß der Verletzung der Glaubenspflichten +seitens+
eines Kirchenmitgliedes -- das Dementi der Nachricht von der Audienz
des Herrn H. beim Kaiser +seitens+ der Konservativen Korrespondenz --
Zeitungen wie Bücher sind voll von solchen Verbindungen! Wie soll man
sie aber vermeiden? in allen diesen Beispielen ist doch ohne +seitens+
gar nicht auszukommen. Nun, wie ist man denn früher ohne das Wort
ausgekommen? Entweder durch vernünftige Wortstellung: die Beiträge
+der+ Arbeitsherren zur Unfallversicherung -- der Übergang +der+
Nordarmee über die Parthe -- ein Opfer +der+ Stadt von 3000 Mark; oder
dadurch, daß man Sätze bildete, anstatt, wie es jetzt geschieht, ganze
Sätze immer in Substantiva zusammenzuquetschen. Zu einem Zeitwort kann
man ein halbes Dutzend näherer Bestimmungen setzen, da hat man immer
freie Bahn und kommt leicht vorwärts; sowie man aber das flüssige
Zeitwort in das starre Hauptwort verwandelt, verbaut man sich selbst
den Weg, und dann werden solche Angstverbindungen fertig wie: mit der
Beherrschung von Raum und Kraft +seitens+ der Menschen wäre es zu Ende
(statt: die Menschen würden Raum und Kraft nicht mehr beherrschen) --
der redliche Erwerb (!) der Kleidungsstücke +seitens+ des Angeklagten
ließ sich zum Glück nachweisen (statt: daß er sie redlich erworben
hatte).

Nun aber das Tollste: diese Angstverbindungen von Substantiven mit
+seitens+ sind den Leuten schon so geläufig geworden, und man ist
so vernarrt in das schöne Wort, daß man es auch da anwendet, wo
gar keine Nötigung dazu vorliegt, daß man geradezu -- den Genitiv
damit umschreibt! Man sagt nicht mehr: der Besuch des Publikums, die
Anregung des Vorstandes, eine Erklärung des Wirts, die freiwillige
Pflichterfüllung eines Einzelnen, sondern: der Besuch +seitens+ des
Publikums, die Anregung +seitens+ des Vorstandes, eine Erklärung
+seitens+ des Wirts, die freiwillige Pflichterfüllung +seitens+
eines Einzelnen. Überall laufen einem jetzt solche Genitive über den
Weg, man braucht nur zuzugreifen: ich wollte damit etwaigen Einreden
+seitens+ der Gegner vorbeugen -- der glänzende Erfolg, den der
Verfasser dem ausgezeichneten Vortrage +seitens+ des Rezitators zu
danken hat -- ein ähnliches Beispiel einer starken Willkür +seitens+
eines Herausgebers -- er wurde die Zielscheibe vieler Angriffe
+seitens+ der Klerikalen -- ein höherer Gehilfe kann nicht ohne
Vertrauen +seitens+ des Handelsherrn angestellt werden -- die Frau war
wegen fortgesetzter Roheiten +seitens+ ihres Mannes ins Elternhaus
zurückgekehrt -- der Gesandte hatte die Stirn, zu fragen, ob man denn
auch des Friedensbruchs +seitens+ Frankreichs gewiß sei -- es fehlt
ihm die Anerkennung +seitens+ der Großmächte -- das Urteil klingt hart,
beruht aber auf sorgfältiger Prüfung +seitens+ eines Unbefangnen --
es bedarf nur der Aufforderung +seitens+ eines geeigneten Mannes --
sie wählten diese Wohnungen, um sich gegen Überraschungen +seitens+
ihrer Feinde zu sichern -- ohne die freundliche Unterstützung +seitens+
zahlreicher Bibliotheksverwaltungen würde es nicht gelungen sein
-- es trifft ihn die Verachtung +seitens+ seiner Mitmenschen -- es
kostete große Anstrengungen +seitens+ der bekümmerten Verwandten
-- an der Tafel fehlte es nicht an herzlichen Reden und Gegenreden
+seitens+ der Arbeiter und Prinzipale -- der Straßenhandel hat zu
Beschwerden +seitens+ der Einwohnerschaft geführt -- eine Trauung,
bei der es an aufrichtig frommer Gesinnung +seitens+ der Brautleute
fehlte. Für einzelne dieser Beispiele scheint es ja einen Schimmer
von Entschuldigung zu geben. Das Hauptwort, von dem der Genitiv
abhängen würde, ist meist ein Verbalsubstantiv, und da kann der Zweifel
entstehen, ob man die Handlung, die es ausdrückt, als aktiv oder als
passiv auffassen soll. Der Besuch des Publikums -- das könnte ja
auch heißen, das Publikum sei besucht +worden+; der Besuch +seitens+
des Publikums -- das ist nicht mißzuverstehen, da +hat+ das Publikum
besucht. Angriffe der Klerikalen -- da könnte man auch denken,
die Klerikalen wären angegriffen +worden+; Angriffe +seitens+ der
Klerikalen -- da +haben+ sie natürlich angegriffen. Die Untersuchung
des Arztes -- da könnte man ja denken, der Arzt wäre untersucht
+worden+; die Untersuchung +seitens+ des Arztes -- nun +hat+ der Arzt
untersucht. Sollte es aber wirklich Leser geben, die so beschränkt
wären, dergleichen mißzuverstehen?


Bez. beziehungsweise bezw.

Ein Juwel unsrer Papiersprache endlich, der Stolz aller Kanzlisten
und Reporter, der höchste Triumph der Bildungsphilisterlogik ist das
Bindewort +bez.+ oder +bezw.+

Vor fünfzig Jahren gab es noch im Deutschen das schöne Wort
+respektive+, geschrieben: +resp.+; man sagte z. B.: der +Vater resp.
Vormund+ -- der +Rektor+ der Schule, +resp.+ dessen +Stellvertreter+
-- +nachlässige, resp. rohe+ Eltern. Was wollte man mit dem Worte?
Warum sagte man nicht: der +Vater oder Vormund+? Hätte man das nicht
verstanden? I nun, der gesunde Menschenverstand des Volks hätte es
schon verstanden; aber der große Logiker, der Kanzleimensch, sagte
sich: ein Kind kann doch nicht zugleich einen Vater und einen Vormund
haben, es kann doch nur entweder einen Vater oder (oder aber! sagte der
Kanzleimensch) einen Vormund haben. Dieses Verhältnis kann man nicht
mit dem bloßen +oder+ ausdrücken, für dieses feine, bedingte +oder+:
der +Vater oder+ (+wenn+ nämlich das Kind keinen Vater mehr haben
sollte!) +Vormund+ gibt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das läßt
sich nur durch -- +respektive+ sagen, dadurch aber auch „voll und ganz“.

Als man nun auch im Kanzleistil den Fremdwörterzopf abzuschneiden
anfing, erfand man als Übersetzung von +respektive+ das herrliche Wort
+beziehentlich+ oder +beziehungsweise+: +be-zieh-ungs-wei-se+! Das war
natürlich etwas zu lang, es immer zu schreiben und zu drucken, und so
wurde es denn zu +bez.+ „beziehungsweise“ +bezw.+ abgekürzt. Daß das
Wörtchen +oder+ auch nur vier Buchstaben hat und dabei ein wirkliches
Wort ist, kein bloßer Wortstummel wie +bezw.+, auf diesen naheliegenden
Gedanken verfiel merkwürdigerweise niemand. Und doch, was bedeutet in
folgenden Beispielen das +bezw.+ anders als +oder+: in einer Zeit,
wo man alles den einzelnen +Kreisen bezw. Staaten+ überließ -- alles
weitere ist +Spezialsache bezw. Aufgabe+ der spätern Jahre -- über den
+Mord bezw. Raubmord+ in R. ist noch immer nichts genaues festgestellt
-- Windschirme mit japanischer +Malerei bezw. Stickerei+ -- der
Zusammenschluß zu einem +genossenschaftlichen bezw. landschaftlichen+
Kreisverbande -- die +wieder bezw. neu+ gewählten Stadtverordneten --
ein +angebornes bezw.+ durch Überlieferung +geschultes+ Geschick --
die Bänder haben Wert als +geschichtliche bezw. kulturgeschichtliche+
Erinnerungsstücke -- +nicht benutzte bezw. nicht abgeholte+ Bücher
werden wieder eingestellt -- es wird mit dem +Kellergeschoß bezw.
Erdgeschoß+ angefangen -- zwei Dachstuben von je drei Meter Breite
und +drei bezw. vier+ Meter Länge -- jede Serie umfaßt +15 bezw. 12+
Hefte -- die Bemerkung befindet sich in dem +Vor- bezw. Nachwort+ der
Ausgabe -- W. A. Lippert, welcher +flüchtig ist bezw. sich verborgen
hält+ -- da die Anstalt nur solche Kinder +aufnimmt bezw. behält+,
die eine Besserung erwarten lassen -- wo Jahnsdorf +liegt bezw.
gelegen hat+, ist ungewiß -- viele Personen sind außerstande, selbst
bei langsamem Gange des Wagens +auf- bezw. abzuspringen+ -- jeder
Fachmann wird die Schrift +beiseite bezw. in den Papierkorb+ werfen
-- es ist anziehend, zu sehen, wie sich dieser Kreis im Laufe der
Sprachentwicklung +verengert bezw. erweitert+ -- die Weigerung der
Prinzessin ist +hauptsächlich bezw. ausschließlich+ auf diesen Umstand
zurückzuführen. Und in folgenden Beispielen, was bedeutet da +bezw.+
anders als +und+: ein Haus an der +Beethoven- bezw. Rhodestraße+ --
französische +Bonnen bezw. Gouvernanten+ haben seit Jahrhunderten in
Deutschland eine Rolle gespielt -- zwei Kinder im Alter von +fünf bezw.
drei+ Jahren -- K. und T. wurden zu +viermonatiger bezw. zweimonatiger+
Gefängnisstrafe verurteilt -- später verfaßte er +pädagogische bezw.
Schulbücher+ -- alle +Bestellzettel bezw. Quittungsformulare+ sind
mit Tinte auszufüllen -- +Anfragen bezw. Anmeldungen+ sind an den
Vorstand des Kunstvereins zu richten -- zur +Rechten bezw. Linken+ des
Kaisers saßen der Reichskanzler und der Staatssekretär -- die Zinsen
werden zu +Ostern bezw. zu Michaeli+ bezahlt -- großen Einfluß auf
die Zahl der +Dissertationen bezw. Promotionen+ über den pekuniären
Anforderungen, die die einzelnen +Universitäten bezw. Fakultäten+
stellen -- wann die noch übrigen Befestigungsreste der +Burg bezw.
Stadt+ entstanden sind, läßt sich nicht mit Sicherheit angeben -- der
König tritt eine mehrwöchige Reise nach +München bezw. Stuttgart+ an
-- die Zehnpfennigmarken und die Fünfpfennigmarken sind von +roter
bezw. grüner+ Farbe -- in A. sind letzte Nacht zwei Personen, ein
Maler und ein Strumpfwirker, die in einem +Schuppen bezw. einem Stalle+
nächtigten, erfroren.

Der große Logiker, der so schreibt, denkt natürlich wenn er +und+
gebrauche, so könnte ihn jemand auch so verstehen, als ob „sowohl“ die
Zehnpfennigmarken „als auch“ die Fünfpfennigmarken zweifarbig wären,
nämlich beide Arten rot und grün, als ob „sowohl“ der Maler „als
auch“ der Strumpfwirker in zwei Räumlichkeiten, nämlich gleichzeitig
in einem Schuppen und in einem Stalle genächtigt hätte. Solchen
Gefahren wird natürlich durch +bezw.+ vorgebeugt; nun weiß man genau,
daß die Zehnpfennigmarken rot und die Fünfpfennigmarken grün sind,
daß der Maler in einem Schuppen, der Strumpfwirker in einem Stalle
genächtigt hat. Maler: Schuppen = Strumpfwirker: Stall -- darin liegt
die tiefe Bedeutung von +bezw.+! Ein unübertreffliches Beispiel ist
folgender Zeitungssatz: alle +Musik- bezw. Trompeterkorps+ und alle
Spielmannszüge +bliesen bezw. schlugen+ den Präsentiermarsch +bezw.+
die Paradepost.

Aber damit ist der große Logiker noch nicht auf dem Gipfel seines
Scharfsinns angelangt. Sein schlauestes Gesicht steckt er auf, wenn
er schreibt: +und (!) bezw.+ +Die Besitzer und bezw. Pächter+ der
Grundstücke werden darauf aufmerksam gemacht -- die +Eltern und bezw.
Erzieher+ der schulpflichtigen Kinder werden hiermit aufgefordert --
ich bitte mir angeben zu wollen, ob diese Ausgabe +und beziehungsweise
oder+ (!) andre Ausgaben auf der Bibliothek vorhanden sind usw. Sogar
solche Dummheiten werden jetzt geschrieben „und bezw.“ gedruckt, und
die, die sie leisten, bilden sich dabei noch ein, sie hätten sich
wunder wie fein und scharf ausgedrückt! Leider ist das widerwärtige
Wort, das übrigens neuerdings oft mit +bezüglich+ vermengt wird,[176]
aus der Papiersprache bereits in die lebendige Sprache eingedrungen.
Nicht nur in Sitzungen und Verhandlungen muß man es hören, es ertönt
auch immer häufiger auf Kathedern, und da es der Professor gebraucht,
gebrauchts natürlich der Student mit, und selbst der Kaufmannsdiener
sagt schon am Biertische: Sie erhalten Sonnabend abend +beziehentlich+
(oder +bezüglich+!) Sonntag früh Nachricht. Schließlich wird noch der
Herr Assessor, der für seine Kinder zu Weihnachten Spielzeug eingekauft
hat, zur Frau Assessorin sagen: ich habe für Fritz und Mariechen +eine
Schachtel Soldaten beziehungsweise eine Puppe+ mitgebracht!


Provinzialismen

Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum,
mögen sie stammen, woher sie wollen. Man spricht jetzt viel davon,
daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgefrischt, verjüngt,
bereichert, befruchtet werden könnte. O ja, wenn es mit Maß und Takt
geschähe, warum nicht? Überzeugende Proben davon hat man aber noch
nicht viel gesehen. Ein böses Mißverständnis wäre es, wenn man jeden
beliebigen Provinzialismus für geeignet hielte, unsern Sprachvorrat
zu „bereichern“. Meist liegt kein Bedürfnis darnach vor, man legt
sich dergleichen aus Eitelkeit zu, um Aufmerksamkeit zu erregen, etwa
wie irgend ein Hansnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler
Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt.

Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wendungen
(Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus
österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt,
dann aber auch nachgebraucht werden.

Für +brauchen+ z. B. sagt der Österreicher +benötigen+, für
+benachrichtigen+ +verständigen+ (+jemand verständigen+, während sich
in gutem Deutsch nur zwei oder mehr +untereinander verständigen+
können); beides kann man jetzt auch in deutschen Zeitungen lesen.
In der Studentensprache ist das schöne Wort +unterfertigen+ Mode
(statt +unterzeichnen+); das ist nichts als eine lächerliche,
halb(!)-österreichische Bastardbildung. Der Österreicher sagt: der
+Gefertigte+. Das ist dem deutschen Studenten, der sich zuerst
damit spreizen wollte, mit dem +Unterzeichneten+ in eine Mischform
zusammengeronnen, und seitdem erfüllt fast in allen akademischen
Vereinigungen beim „Ableben“ eines Mitgliedes der +unterfertigte+
Schriftführer „die traurige Pflicht, die geehrten a. H. a. H. und a.
o. M. a. o. M. geziemend (!) in Kenntnis zu setzen“.

Unerträglich in gutem Schriftdeutsch ist das süddeutsche +gestanden
sein+ und +gesessen sein+: die Personen, mit denen er in näherm
Verkehr +gestanden war+ -- es lebten noch Männer, die in der
Paulskirche +gesessen waren+ (vgl. S. 59); ganz unerträglich ferner
die österreichischen Verbindungen: +an etwas vergessen+, +auf etwas
vergessen+ und +auf etwas erinnern+: heute schien die Schar ihrer
Verehrer +auf sie vergessen+ zu haben -- +auf die Einzelheiten+ des
Stückes konnte ich nicht mehr +erinnern+ u. ähnl.

Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Österreicher im Gebrauche der
Adverbia. Er sagt: +im vorhinein+ statt +von vornherein+, +rückwärts+
statt +hinten+, +beiläufig+ (bailaifig) statt +ungefähr+ (bis zur
höchsten Spitze ist es +beiläufig+ 6000 Fuß -- dies ist +beiläufig+
der Inhalt des hübschen Buches -- der zweite Band erscheint in
+beiläufig+ gleicher Stärke), während in gutem Deutsch +beiläufig+ nur
bedeutet: +nebenbei+, im +Vorbeigehen+ (+beiläufig+ will ich bemerken).
Für +nur noch+ heißt es in München wie in Wien: +nur mehr+: z. B.
leidenschaftliche Gedichte von +nur mehr+ geschichtlichem Wert -- ein
Ausspruch, der uns heute +nur mehr+ grotesk anmutet -- alle Bemühungen
sind jetzt +nur mehr+ darauf gerichtet -- auf die Christlich-Sozialen
fielen heute +nur mehr+ acht Stimmen usw. +Neuerdings+, das gut deutsch
nichts andres heißt als: +in neuerer Zeit+ (+neuerdings+ ist der
Apparat noch wesentlich vervollkommnet worden), wird in Österreich in
dem Sinne von +wiederum+, +nochmals+, +abermals+, +aufs neue+, +von
neuem+ gebraucht, z. B.: es kommt mir nicht darauf an, oft gesagtes
+neuerdings+ zu wiederholen -- er hat mich hierdurch +neuerdings+
zu Dank verpflichtet -- eine Reise führte ihn +neuerdings+ mit der
Künstlerin zusammen -- in diesem Vertrage wird +neuerdings+ die Frage
untersucht -- es kam eine Schrift zur Verlesung, worin B. +neuerdings+
für seine Überzeugung eintrat -- die Geneigtheit der Kurie muß bei
jedem Wahlgange +neuerdings+ erkauft werden.[177] Man möchte wirklich
annehmen, daß mancher deutsche Zeitungsredakteur von all diesen
Gebrauchsunterschieden gar keine Ahnung habe, denn sonst könnte er doch
solche Sätze nicht unverändert in seiner Zeitung nachdrucken, er müßte
doch jedesmal den Austriazismus erst ins Deutsche übersetzen, damit der
deutsche Leser nicht falsch verstehe!

Nichts als ein Provinzialismus, den man aber in neuern Erzählungen
oft lesen kann, ist es auch, bei dem reflexiven +sich finden+ mit
Angabe einer Richtung (sich nach Hause finden, sich hinfinden, sich
zurückfinden, sich zurechtfinden) das +sich+ wegzulassen und zu
schreiben: den sichern Boden, zu dem er +zurückfand+ -- er konnte nicht
+nach Hause finden+ u. dgl.

Eine Schrulle des niedrigen Geschäftsstils ist es, wenn jetzt angezeigt
wird, daß Kohlen +ab Zwickau+ oder +ab Werke+ (!) oder +ab Bahnhof+
oder +ab Lager+ zu haben seien, Heu +ab Wiese+ verkauft, Flaschenbier
+ab Brauerei+ oder +ab Kellerei+, Mineralwasser +ab Quelle+ geliefert
werde, daß eine Konzertgesellschaft +ab Sonntag+ den 7. Juni auftrete,
oder daß eine Wohnung +ab 1. Oktober+ zu vermieten sei. Ab als
selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. +abhanden+, d. i. +ab
Handen+) ist schon seit dem siebzehnten Jahrhundert vollständig durch
+von+ verdrängt. Nur in Süddeutschland und namentlich in der Schweiz
wird es noch gebraucht, dort sagt man noch +ab dem Hause+, +ab dem
Lande+. Aber was soll uns dieser Provinzialismus? und noch dazu in
solcher Stammelform: +ab Werke+, von der man nicht weiß, ob es der
Dativ der Einzahl oder vielleicht gar der Akkusativ der Mehrzahl sein
soll? Es ist übrigens doch zweifelhaft, ob die Geschäftsleute, die sich
neuerdings damit spreizen, wirklich das alte deutsche +ab+ meinen,
und nicht vielmehr das lateinische +~ab~+. Zuzutrauen wäre es ihnen,
wenigstens wenn man +~pro~ Jahr+, +~pro~ Kopf+, +~per~ sofort+, +~per~
bald+, +~per~ Weihnachten+ und ähnlichen Unsinn damit vergleicht.[178]

Ein gemeiner Berolinismus, der aber immer mehr um sich greift und schon
in Lustspielen von der Bühne herab zu hören ist, ist die Anwendung von
+bloß+ für +nur+ in ungeduldigen Fragen und Aufforderungen: Was hat er
+bloß+? Was will er +bloß+? Komm doch +bloß+ mal her!


Fremdwörter

Auch unsre Fremdwörter sind zum großen Teil Modewörter. Bei dem Kampfe
gegen die Fremdwörter, der seit einiger Zeit wieder in Deutschland
entbrannt ist, handelt sichs natürlich nicht um die große Zahl zum
Teil internationaler technischer Ausdrücke, sondern vor allem um
die verhältnismäßig kleine Zahl ganz entbehrlicher Fremdwörter, die
namentlich unsre Umgangssprache und die Sprache der Gelehrten, der
Beamten, der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber entstellen.

Zwar haben sich die Bemühungen der Sprachreiniger auch auf die
technischen Ausdrücke einzelner Berufe und Tätigkeitsgebiete
erstreckt, wie des Militärs, des Post- und Eisenbahnwesens, des
Handels, der Küche, des Spiels, auch einzelner Wissenschaften und
Künste, wie der Grammatik, der Mathematik, der Baukunst, der Musik,
des Tanzes. Was aber vorgeschlagen worden ist, hat selten Beifall
gefunden. Schlimm und verdächtig ist es immer schon, wenn einfache
Fremdwörter durch Wortzusammensetzungen verdeutscht werden sollen:
einige Beispiele solcher Art sind schon früher angeführt worden
(S. 363). Gewöhnlich sind das gar keine Übersetzungen, sondern
Umschreibungen oder Begriffserklärungen. So hat man +Redakteur+ und
+Redaktion+ durch +Schriftleiter+ und +Schriftleitung+ „übersetzt“,
und einzelne Zeitungen und Zeitschriften haben das angenommen (dann
auch +Geschäftsstelle+ für +Expedition+). Diese Verdeutschungen geben
nicht entfernt den Begriff des Fremdworts wieder. Unter +Schrift+
kann dreierlei verstanden werden: die Handschrift, ein Schriftstück
und die Lettern der Druckerei. An die erste und die dritte Bedeutung
ist hier natürlich nicht zu denken, nur die zweite kann gemeint sein.
Aufgabe eines Redakteurs ist es, die eingegangnen Schriftstücke auf
ihren Inhalt zu prüfen, sie in anständiges Deutsch zu bringen, eine
sorgfältige Druckkorrektur zu lesen und den Inhalt der einzelnen
Zeitungsnummern zu bestimmen und anzuordnen. Das alles stellen wir
uns wohl bei dem Worte +Redakteur+ vor, aber nicht bei dem mühselig
ausgeklügelten Worte +Schriftleiter+. Die Zeitung selbst wird
+geleitet+, aber nicht ihre Schriftstücke. Wenn es damals, als es im
Deutschen noch keine Fremdwörter gab, schon Zeitungen gegeben hätte,
ich weiß, wie man den Redakteur genannt hätte: +Zeitungmeister+! Im
Eisenbahnverkehr hat man uns die +Fahrkarte+ und das fürchterliche
+Abteil+ aufgenötigt (statt +Billett+ und +Coupé+). Das kurze, leichte
+Billett+ war -- man spreche es nur deutsch aus! -- fast schon zum
Lehnwort geworden. In Leipzig hieß schon im sechzehnten Jahrhundert
die Kupfermarke, die sich der Brauerbe auf dem Rathause holen mußte,
wenn er Bier brauen wollte, +Bollet+. Was für ein langstieliger Ersatz
dafür sind unsre +Fahrkarten+, +Eintrittskarten+, +Teilnehmerkarten+
usw.! Und ist etwa +Karte+ ein deutsches Wort? Eine wirkliche
Übersetzung von +Coupé+ wäre +Fach+ gewesen, das in dem ältern Deutsch
jede Abteilung eines Raums bedeutete, nicht bloß in einem Schrank
oder Kasten, sondern auch im Hause (vgl. +Dach und Fach+). Sogar eine
Straße, die in einen Fahrweg, einen Fußweg und einen Reitweg geteilt
war, hieß im achtzehnten Jahrhundert eine Straße in +drei Fachen+.
Das +Abteil+ und die +Fahrkarte+ werden sich schwerlich einbürgern.
Die Schaffner sind ja dazu verurteilt, die Wörter zu gebrauchen, aber
das Publikum gebraucht lachend die Fremdwörter weiter. Etwas ganz
komisches -- wenigstens nach meinem Gefühl -- ist bei der Übersetzung
der militärischen Fachausdrücke mit untergelaufen: die Wiedergabe von
+Terrain+ durch +Gelände+. +Gelände+ war früher ein poetisches Wort,
und zwar ein Wort der höchsten Poesie. Man denke nur an Schillers
Berglied: da tut sich ein +lachend Gelände+ hervor -- und vor allem
an Goethes herrlichen Spruch: Gottes ist der Orient, Gottes ist
der Occident, Nord- und +südliches Gelände+ ruht im Frieden seiner
Hände. Einem solchen Wort jetzt in den Manöverberichten der Zeitungen
zu begegnen ist doch gar zu komisch. In der Musik möchte man jetzt
die Wörter +komponieren+ und +Komposition+ abschaffen, und durch
+vertonen+ und +Vertonung+ ersetzen. Gräßliche Geschmacklosigkeit!
Von einem +vertonten+ (+ver+!) Liede kann man doch nur mit Bedauern
sprechen, denn das könnte doch nur eins sein, das ungeschickt, falsch,
fehlerhaft komponiert, durch die musikalische Zutat verdorben worden
wäre (vgl. S. 357). Die Architekten vermeiden jetzt erfreulicherweise
das überflüssige Fremdwort +Dimension+, nur sollten sie es nicht
immer durch +Abmessung+ übersetzen, was meist gar keinen Sinn gibt
(denn Abmessung bedeutet eine Handlung, keine Eigenschaft!), sondern
einfach durch +Maß+ oder -- es ganz weglassen. Denn ist ein Gebäude
von +riesigen Abmessungen+ etwas andres als ein +riesiges+ Gebäude?
Und welcher Schwulst, zu schreiben: der Baumeister ist verpflichtet,
Irrtümer im Voranschlag in bescheidnen +Abmessungen+ auftreten zu
lassen! Wenn vollends allgemein angenommene und geläufige alte
Kunstausdrücke einzelner Wissenschaften „übersetzt“ werden, wie man
es den Kindern der Volksschule zuliebe in der Grammatik, auch in der
Arithmetik versucht hat, so ist das Ergebnis meist ganz unerfreulich.
Wenn man ein Buch oder einen Aufsatz mit solchen Verdeutschungen liest,
so hat man immer das unbehagliche Gefühl, als ginge man auf einem
Wege, wo aller zwanzig Schritt ein Loch gegraben und ein paar wacklige
Bretter darüber gelegt wären.

Am ehesten darf man vielleicht hoffen, daß die Fremdwörter aus der
Umgangssprache verschwinden werden, denn hier wirkt fast nur die Mode.
Die Fremdwörter unsrer Umgangssprache stammen zum Teil noch aus dem
siebzehnten Jahrhundert, andre sind im achtzehnten, noch andre erst in
der Franzosenzeit zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts eingedrungen.
Aber sie kommen eins nach dem andern wieder aus der Mode. Viele, die
vor fünfzig Jahren noch für fein galten, fristen heute nur noch in
den untersten Volksschichten ein kümmerliches Dasein! man denke an
+Madame+, +Logis+, +~vis-à-vis~+, +~peu-à-peu~+ (in Leipzig +beeabeeh+
gesprochen), +retour+, +charmant+, +mechant+, +inkommodieren+, +sich
revanchieren+ und viele andre. In den Befreiungskriegen gab es nur
+Blessierte+; wer hat 1870 noch von +Blessierten+ gesprochen? Wer
+amüsiert+ sich noch? anständige Leute nicht mehr; die haben längst
wieder angefangen, sich zu +vergnügen+. Auch +existieren+, +passieren+
(für +geschehen+ oder +begegnen+: es ist ein Unglück +passiert+,
mir ist etwas Unangenehmes +passiert+), +sich genieren+ sind so
heruntergekommen, daß man sie anständigerweise kaum noch gebrauchen
kann. Vor dreißig Jahren gab es noch vereinzelt Schneider+mamsellen+;
jetzt wird jedes Dienstmädchen in der Markthalle mit +Fräulein+
angeredet, wofür die Bürgerstochter freilich zum +gnädigen Fräulein+
aufgerückt ist. Und wo ist das +Parapluie+ geblieben, das doch auch
einmal fein war, und wie fein!

Leider tauchen nur an Stelle veraltender Fremdwörter immer auch wieder
neue auf. Wer hat vor dreißig Jahren etwas von +Milieu+ gewußt? Als
es aufkam, mußten auch gebildete Leute das Wörterbuch aufschlagen,
um sich zu belehren, was eigentlich damit gemeint sei. Und was war
es schließlich? Weiter nichts, als was man bis dahin als Hintergrund
(einer Handlung, einer Erzählung) bezeichnet hatte. Neue Schiffe werden
jetzt nicht mehr nach einem Muster gebaut, sondern nur noch nach
einem +Typ+, ebenso auch schon Automobile und Orgeln. Unsre Frauen
und Mädchen tragen keine Kleider oder Anzüge mehr, sondern nur noch
+Kostüme+, die es früher nur auf dem Theater oder auf Maskenbällen
gab. Wagen wurden bisher in eine +Remise+ gestellt; die Automobile
müssen natürlich etwas besondres haben, sie werden in die +Garage+
gebracht; aber auch das ist nichts weiter als ein Schuppen. Ein neues
Eigenschaftswort, das man seit kurzem täglich hört und liest, ist
+markant+: eine +markante+ Erscheinung, ein +markanter+ Unterschied,
eine +markante+ Persönlichkeit, die +markanteste+ Linie des Gesichts.
Eine feine, leicht auf der Zunge zergehende Schokolade heißt im
Französischen ~chocolat fondant~; ~fondre~ heißt +schmelzen+. Was
haben die deutschen Fabrikanten daraus gemacht? +Fondantschokolade+!
Warum denn nicht +Schmelzschokolade+? Wer hat vor dreißig Jahren etwas
von +chic+ gewußt? Es ist nichts andres als unser +geschickt+, das
nach Frankreich gegangen und in der Form +chic+ zurückgekehrt ist und
nun für +fein+, +hübsch+, +nett+ gebraucht wird. Der Plural davon
wird von unsern Geschäftsleuten +chice+ geschrieben: +chice+ Hüte,
+chice+ Kleider, +chice+ Schuhe, was man wohl +schicke+ aussprechen
soll, aber doch nur +schitze+ aussprechen kann (vgl. +Vice+). Zum
Glück ist es neuerdings schon wieder aus der Mode gekommen. Zu einem
greulichen Modewort dagegen ist +eventuell+ geworden. Es bedeutet ja:
+vorkommendenfalls+, ferner +nötigenfalls+ oder +möglichenfalls+, je
nachdem, dann immer mehr verblassend: +möglicherweise+, +vielleicht+,
+etwa+, +wohl+ und endlich: gar nichts. Es gibt aber eine Menge
Leute, die heute kaum noch einen Satz sagen können, worin nicht
+eventuell+ vorkäme: wir könnens ja +eventuell+ auch so machen --
ich kann +eventuell+ schon um sieben kommen. Wenn man auf der Straße
aus der Unterhaltung Vorübergehender zehn Worte aufschnappt, das
Wort +eventuell+ ist sicher darunter. Aber auch der Musikschreiber
sagt: etwas mehr Fülle des Tons hätte +eventuell+ den Vortrag noch
mehr unterstützt; ein Buchhändler schreibt: umstehenden Bestellzettel
bitten wir +eventuell+ direkt an die Verlagsbuchhandlung gelangen zu
lassen, und Zeitungen schreiben: ein Mensch, der eine Volksschule und
+eventuell+ eine höhere Schule besucht hat -- der Kreuzer X erhielt
Befehl, sich +eventuell+ zur Ausreise (!) bereit zu halten -- die
Regierung hat alle Maßregeln getroffen, um für einen +eventuellen+
(!) Streik gerüstet zu sein -- es war Schutzmannschaft aufgestellt,
um einen +eventuellen+ Tumult zu verhüten -- der Platz soll zur
+eventuellen+ (!) Bebauung liegen bleiben. Fast überall kann man
+eventuell+ streichen, und der Sinn bleibt genau derselbe. Eine ganz
neue Aufgabe erfüllt das Zeitwort +interpretieren+. Aus der Sprache
der Philologie, wo es immer mehr zurückgegangen ist, ist es in die der
Musik- und Theaterschreiber eingedrungen. Eine Rolle auf der Bühne
wird nicht mehr gespielt, ein Musikstück nicht vorgetragen, ein Lied
nicht gesungen -- es wird alles +interpretiert+: Strauß wird die Lieder
selbst dirigieren, Frau B. wird +Interpretin+ sein -- der Künstler
hat durch die +Interpretation+ dieses Liedes einen Beweis seines
hervorragenden Könnens (!) erbracht(!) usw. An Stelle der +Sensationen+
sind neuerdings die +Attraktionen+ getreten, das Konzertprogramm
hat man zwar in +Vortragsordnung+ „übersetzt“, aber in dieser
„Vortragsordnung“ erscheint nun statt des ehemaligen +Potpourris+
die +Selektion+, und dafür hat man den guten Theater+zettel+ in
Theater+programm+ verwandelt, wenigstens in Leipzig, wo die Jungen
jetzt abends am Theater ausrufen: +Deeaderbroogramm+ gefällig? Kunst-
und Kunstgewerbemuseen veranstalten jetzt mit Vorliebe +retrospektive+
Ausstellungen. Wieviele Leute, die in solche Ausstellungen laufen,
mögen wissen, was +retrospektiv+ heißt? Ein Friedhof hat in
Sachsen seit einiger Zeit keine Leichenhalle mehr, sondern eine
+Parentationshalle+! Wieviel Leute, auch gelehrte Leute, mögen wissen,
was ~parentare~ und ~parentatio~ heißt, wissen, daß das heidnische
Begriffe sind, die auf unsre Friedhöfe gar nicht passen?

Ganz widerwärtig ist es, wie unsre Sprache neuerdings mit englischen
Sprachbrocken überschüttet wird. Da wird das kleine Kind +Baby+
genannt, und die Bedürfnisse für kleine Kinder kauft man im
+Babybasar+, ja im zoologischen Garten ist sogar ein Elefanten+baby+
zu sehen! Ein Frauenkleid, das der Schneider gemacht hat, wird als
~tailor-made~ bezeichnet, eine Schauspielerin oder Sängerin, die
Aufsehen erregt, wird als +Star+ gefeiert, Buchhändler reden von
+Standard+-Werken, unsre Schuhe werden aus +Boxcalf+ gemacht (wenn
nicht noch lieber aus +Chevreau+), an allen Mauern, Wänden und
Schaufenstern schreit uns das Wort +Sunlight-Seife+ entgegen, das die
Fabrikanten den deutschen Dienstmädchen zuliebe neuerdings sogar in
+Sunlicht-Seife+ (!) geändert haben, ein andrer Fabrikant preist seine
+Safety+-Füllfedern an, und an den Anschlagsäulen heißt es, daß in dem
oder jenem Tingeltangel ~fife sisters~ oder ~fife brothers~ auftreten
werden. Und dabei rühmt eine bekannte Fabrik von Teegebäck in Hannover,
daß ihr Fabrikat +der (!) beste Buttercakes+ sei! Eine deutsche Mutter
sollte sich schämen, ihr Kind +Baby+ zu nennen. Was würden unsre guten
Freunde, die Engländer, sagen, wenn ein englischer Fabrikant wagen
wollte, ~Sonnenlicht Soap~ anzupreisen!

Unsre Kanzleisprache hat sich im Laufe eines Jahrhunderts gewaltig
gereinigt. Noch 1810 konnte ein deutsches Stadtgericht an das andre
schreiben: „Ew. Wohlgeboren werden ~in subsidium juris et sub oblatione
ad reciproca~ ergebenst ersucht, die anliegende ~Edictalcitation~ in
Sachen des Kaufmanns R. daselbst ~loco consueto affigiren~ zu lassen
und selbige ~effluxo termino cum documentis aff- et refixionis~
gegen die Gebühr zu ~remittiren~.“ Heute hat sich, wenigstens unter
den höhergebildeten Beamten, doch fast allgemein die Einsicht Bahn
gebrochen, daß das beste und vornehmste Amtsdeutsch das sei, das die
wenigsten Fremdwörter enthält. Nur der kleine Unterbeamte, der +Folium+
und +Volumen+, +Repositorium+ und +Repertorium+ nicht unterscheiden
kann, der eine Empfangsbescheinigung eine +Rezepisse+ nennt und vom
+Makulatieren+ der Akten redet, weil er einmal von +Makulatur+ gehört
hat, tut sich noch etwas zugute auf ein ~sub~ oder ~ad~ (das gehört
+unter+ ~sub A~, sagt er), auf ein ~a. c.~ (~anni currentis~), ein
~eodem die~, ein ~s. p. r.~ (~sub petito remissonis~), ein ~cf. pg.~
(~confer paginam~) u. dgl.; er fühlt sich gehoben, wenn er solche
geheimnisvolle Zeichen in die Akten hineinmalen kann.

Wundern muß man sich, daß die Männer der Wissenschaft, bei denen man
doch die größte Einsicht voraussetzen sollte, fast alle noch in dem
Wahne befangen sind, daß sie durch Fremdwörter ihrer Sache Glanz und
Bedeutung geben könnten. Auf den Universitätskathedern und in der
fachwissenschaftlichen Literatur, da steht die Fremdwörterei noch in
voller Blüte. Der deutsche Professor glaubt immer noch, daß er sich
mit +~editio princeps~+, +~terra incognita~+, +~eo ipso~+, +~bona
fide~+, +Publikation+, +Argumentation+, +Modifikation+, +Akquisition+,
+Kontroverse+, +Resultat+, +Analogie+, +intellektuell+, +individuell+,
+identisch+, +irrelevant+, +adäquat+, +edieren+, +dokumentieren+,
+polemisieren+, +modifizieren+, +identifizieren+, +verifizieren+
vornehmer ausdrücke als mit den entsprechenden deutschen Wörtern.
Er fühlt sich wunderlicherweise auch gehoben (wie der kleine Rats-
und Gerichtsbeamte), wenn er +lexikalisches Material+ sagt statt
+Wortschatz+, wenn er von +heterogenen Elementen+, +intensiven
Impulsen+, +prägnanten Kontrasten+, +approximativen Fixierungen+ oder
einer +aggressiven Tendenz+, einem +intellektuellen+ oder +moralischen
Defekt+, einem +Produkt destruktiver Tendenzen+ redet, wenn er eine
+Idee ventiliert+, statt einen +Gedanken+ zu +erörtern+, wenn er von
einem +Produkt+ der +Textilkunst+ die +Provenienz konstatiert+, statt
von einem +Erzeugnis+ der +Weberei+ die +Herkunft nachzuweisen+,
wenn er schreibt: es kommt fast nie vor, daß gutartige Polypen
+recidivieren+ (statt: wiederkehren) -- die +Autopsie konstatierte+
die +Existenz+ eines +sanguinolent tingierten Serums+ im +Perikardium+
(statt: bei der Öffnung der Leiche zeigte sich, daß der Herzbeutel
blutig gefärbte Flüssigkeit enthielt).[179] Und der Student macht
es ihm leider meist gedankenlos nach; die wenigsten haben die
geistige Überlegenheit, sich darüber zu erheben. In der Sprache aller
Wissenschaften gibt es ja gewisse Freimaurerhändedrücke, an denen
sich die Leute von der Zunft erkennen. Wie stolz ist der Student der
Kunstgeschichte, wenn er zum erstenmale +Cinquecento+ sagen kann! Zwei
Semester lang tut er, als ob er +sechzehntes Jahrhundert+ gar nicht
mehr verstünde. Wie stolz ist er, wenn er das Wort +konventionell+
begriffen hat! Mit der größten Verachtung blickt er auf die gesamte
Kunst aller Zeiten und Völker herab, denn mit Ausnahme der Kunst der
letzten drei Jahre ist ja alles -- +konventionell+. Und wenn er dann
sein Dissertatiönchen baut, wie freut es ihn, wenn er alle die schönen
vom Katheder aufgeschnappten Wörter und Redensarten darin anbringen
kann! Man kennt den Rummel, man ist ja selber einmal so kindisch
gewesen. Dabei begegnet es aber auch sehr gelehrten Herren, daß sie die
Verneinung von +normal+ frischweg +anormal+ bilden, also das sogenannte
~Alpha privativum~ des Griechischen vor ein lateinisches Wort leimen,
statt +anomal+ (griechisch!) oder +abnorm+ (lateinisch!) zu sagen. Was
ist in der letzten Zeit von +anormalem+ Denken, +anormalem+ Empfinden,
+anormalen+ Trieben geschwafelt worden! Es begegnet auch sehr gelehrten
Herren, daß sie von +Prozent+ ein Eigenschaftswort +prozentuell+ bilden
(als ob ~centum~ „nach der vierten“ ginge, einen ~u~-Stamm hätte wie
~accentus~!), statt +prozentisch+ zu sagen, daß sie +indifferent+
schreiben, wo sie +undifferenziert+ meinen u. dgl.

Besonders stolz auf ihre Fremdwörterkenntnis sind gewöhnlich die Herren
„Pädagogen“, d. h. die Volksschullehrer, die sich nicht mit dem Seminar
begnügt, sondern nachträglich noch ein paar Semester an den Brüsten
der ~Alma mater~ gesogen haben. Schon daß sie sich immer +Pädagogen+
nennen, ist bezeichnend. +Lehrer+ klingt ihnen nicht wichtig genug.
Daß ein Pädagog etwas ganz andres ist als ein Lehrer, daran denken
sie gar nicht. Wenn so ein Pädagog einen Vortrag hält oder einen
Aufsatz schreibt über die Aufgaben oder vielmehr die +Probleme+ (!)
des Unterrichts in der Klippschule, dann regnet es nur so von +exakt+,
+theoretisch+, +empirisch+, +empiristisch+, +didaktisch+, +psychisch+,
+psychologisch+, +ethisch+, +Lustrum+, +Dezennium+, +Koedukation+ usw.
Aus diesen Kreisen ist dann auch in andre Kreise der Unsinn verpflanzt
worden, von +Klavier-+ und +Gesangpädagogen+ zu reden. Wieck, der Vater
der Klara Schumann, der bekanntlich in Leipzig Klavierstunden gab, wird
stets „der hervorragende Klavierpädagog“ genannt. Vielleicht erleben
wir auch noch +Geigen-+, +Posaunen-+ und +Fagottpädagogen+.

Weniger zu verwundern ist der Massenverbrauch von Fremdwörtern bei den
Geschäftsleuten. Sie stecken infolge ihrer Halbbildung am tiefsten in
dem Wahne, daß ein Fremdwort stets vornehmer sei als das entsprechende
deutsche Wort. Weil auf sie selbst ein Fremdwort einen so gewaltigen
Eindruck macht, so meinen sie, es müsse diesen Eindruck auf alle
Menschen machen. Ein Kapitel, das von Jahr zu Jahr beschämender für
unser Volk wird, bilden die Warennamen, die, wohl meist von den
Fabrikanten der Waren oder von ebenso unfähigen Helfern ersonnen, uns
täglich in Zeitungen und Wochenblättern anschreien. Namentlich auf
dem Gebiete der Arznei- und Toilettenmittel, aber auch auf andern
Gebieten, wie dem der Beleuchtungsmittel, der Kraftfahrzeuge, der
Musikmaschinen, der photographischen Artikel, der „alkoholfreien“
Getränke usw., wimmelt es davon. Von vernünftigen Sprachgesetzen,
nach denen sich doch auch solche Namen bilden ließen, ist gar keine
Rede mehr. Die Zeiten, wo ein Chemiker oder ein Techniker, der einen
neuen Namen brauchte, einen Philologen zu Rate zog, sind längst
vorüber. Jeder Fabrikant hält sich heute für berechtigt und befähigt,
solche Namen zu bilden; er nimmt ein paar -- Stämme oder Wurzeln,
kann man gar nicht sagen, sondern Stammsplitter oder Wurzelfetzen --
von irgendwelchen griechischen oder lateinischen Wörtern und leimt
sie aneinander, klebt auch vielleicht noch eine der aus der Chemie
bekannten oder sonst beliebten Endungen daran (ol, il, it, in usw.),
und der Name ist fertig. Man denke nur an Wörter wie +Odol+, +Pektol+,
+Javol+, +Virisanol+, +Antirheumol+, +Pomeril+, +Frutil+, +Fortisin+,
+Antinervin+, +Bioferrin+, +Hämoglobin+, +Sanatogen+, +Kantophon+,
+Solvolith+, +Photonox+, +Humidophor+, +Pianola+, nicht zu reden von
solchen Albernheiten wie +Velotrab+, +Biomalz+, +Abrador+, +Waschifix+
u. a.[180] Die Verrücktheit geht so weit, daß man sogar die Namen der
Orte zu Hilfe nimmt, wo die Waren fabriziert werden, und Namen bildet
wie +Thürpil+ (Thüringer Pillen!), ja daß man die Anfangsbuchstaben
des in der Regel ja sehr breitspurigen Namens der Anstalt oder Fabrik,
aus der die Ware hervorgeht, oder anderer beliebiger Wörter zu einem
scheinbaren Wort aufreiht, das in Wahrheit nichts als ein bloßer
Lauthaufe ist, ja daß man sogar aus ganz beliebigen Lauten solche
Lauthaufen bildet! ~Tet roia aga simi dalli perco aok degea ohno
pilo agfi wuk afpi tita maggi oxo ciba pebeco densos~ -- klingt das
nicht wie Sprache der Herero oder der Wahehe? Das alles sind deutsche
Warennamen! Ein Glück, daß die meisten nur ein kurzes Dasein fristen.
Sie flackern zu irgendeiner Zeit plötzlich auf, verlöschen aber bald
wieder wie Lämpchen, denen das nötige Öl fehlt. Leider drängen sich
aber an die Stelle jedes verschwindenden sofort wieder zwei oder drei
neue. Man kann nur hoffen, daß der ganze Blödsinn schließlich einmal an
sich selber zugrunde gehen werde.

Eine Menge Fremdwörter schleppen sich in der Zeitungssprache fort. In
der Zeit der Befreiungskriege redete man viel von +Monarchen+; bei
Leipzig erinnert noch der +Monarchenhügel+ daran. Heute dient der
+Monarch+ nur noch dem Zeitungschreiber zur Abwechselung und als Ersatz
für das persönliche Fürwort +er+, das er sich von einem gekrönten
Haupte nicht zu gebrauchen getraut: heute vormittag empfing der
Kaiser den Prinzen X; bald darauf stattete der +Monarch+ dem Prinzen
einen Gegenbesuch ab -- der Katarrh des Kaisers ist noch im Zunehmen
begriffen, doch ist das Befinden des +Monarchen+ befriedigend -- es
steht jetzt fest, daß die angedeutete Besprechung des Königs nicht
stattgefunden hat, der +Monarch+ also gar nicht in der Lage gewesen
ist, sich zu äußern -- der König nahm heute an der Familientafel teil,
nach der Tafel besuchte der +Monarch+ die Gartenbauausstellung -- der
König wurde aufs Rathaus geleitet, wo der Bürgermeister den +Monarchen+
erwartete -- Frl. R. überreichte dem König ein Bukett, wofür der
+Monarch+ freundlich dankte. Lieblingswörter der Zeitungssprache
sind: +Individuum+, +Panik+, +Affäre+, +Katastrophe+. Wenn ein Kerl
einen Mordversuch gemacht hat, heißt er stets ein +Individuum+. Ein
großer Schrecken in einer Volksmasse oder im Theater wird stets
als +Panik+ bezeichnet; ob der Zeitungschreiber wohl eine Ahnung
davon hat, woher das Wort stammt? Einen großen Unglücksfall nennt
er stets eine +Katastrophe+: da gibt es +Eisenbahn-+, +Schiffs-+
und +Bootskatastrophen+, +Erdbeben-+ oder +Vulkankatastrophen+,
+Brandkatastrophen+, +Überschwemmungskatastrophen+,
+Grubenkatastrophen+, sogar +Unglückskatastrophen+! Er redet auch stets
von einer +Duellaffäre+, einer +Säbelaffäre+, einer +Messeraffäre+,
einer +Giftmordaffäre+. Einen gemeinen Betrüger bezeichnet er vornehm
als +Defraudanten+. Wenn sich einer in einem Hotel erschießt, so gibt
das stets eine +Detonation+, dann findet man das +Projektil+, das
+Motiv+ der Tat ist aber gewöhnlich unbekannt. Gerade gegenwärtig
schwelgen die Zeitungschreiber wieder -- im Leitartikel wie im
Feuilleton -- ärger denn je in Fremdwörtern. Es ist, als ob es ihnen
förmlich Spaß machte, die Puristen zu ärgern und ihnen zu zeigen:
wir scheren uns den Kuckuck um eure Bestrebungen! Der Kohlen+konsum+
+figuriert+ bei der +Rentabilität+ als +Bagatelle+ -- von solchen
Sätzen sind die Zeitungen wieder voll. Es war schon einmal besser
geworden.

Könnte man doch nur den Aberglauben loswerden, daß das Fremdwort
vornehmer sei als das deutsche Wort, das +momentan+ vornehmer klinge
als +augenblicklich+, +transpirieren+ vornehmer als +schwitzen+ (der
Hufschmied bei seiner Arbeit +schwitzt+ bekanntlich, aber der Herr im
Ballsaal +transpiriert+!), +professioneller Vagabund+ vornehmer als
+gewerbsmäßiger Landstreicher+, ein +elegant möbliertes Garçonlogis+
vornehmer als ein +fein ausgestattetes Herrenzimmer+, +konsequent
ignorieren+ vornehmer als +beharrlich unbeachtet lassen+, daß ein
+Eleve+ etwas vornehmeres sei als ein +Lehrling+ (Apotheker, Banken
usw. suchen stets Eleven!), ein +Collier+ etwas vornehmeres als ein
+Halsband+ oder eine +Halskette+![181] Schon der Umstand, daß wir für
niedrige, gemeine Dinge so oft zum Fremdwort greifen, sollte uns von
diesem Aberglauben befreien. Oder wäre +perfid+, +frivol+, +anonymer
Denunziant+ nicht zehnmal gemeiner als +treulos+, +leichtfertig+,
+ungenannter Ankläger+? Und stehen +noble Passionen+ nicht tief unter
+edeln Leidenschaften+? Um etwas niedriges zu bezeichnen, dazu sollte
uns das Fremdwort gerade gut genug sein.[182]

Aber auch unklar, verschwommen, vieldeutig sind oft die Fremdwörter.
Was wird nicht alles durch +konstatieren+ ausgedrückt! +Feststellen+,
+behaupten+, +erklären+, +wahrnehmen+, +beobachten+, +nachweisen+
-- alles legt man in dieses alberne Wort! Da ist wieder etwas
überraschendes zu +konstatieren+ -- was heißt das anders als: da macht
man wieder eine überraschende +Wahrnehmung+ oder +Beobachtung+?[183]
Was soll +intensiv+ nicht alles bedeuten: +groß+, +stark+, +lebhaft+,
+heftig+, +eifrig+, +kräftig+, +genau+, +scharf+, +straff+! Man nutzt
die Zeit +intensiv+ aus, lernt ein Volk +intensiv+ kennen, bespricht
eine Rechenaufgabe +intensiv+ usw. Was soll +direkt+ nicht alles
bedeuten! Bald +unmittelbar+ (die +direkte+ Umgebung von Leipzig,
eine Ware wird +direkt+ bezogen, einer ist der +direkte+ Schüler des
andern, ein Aufsatz wird unter +direkter+ Beteiligung des Kanzlers
geschrieben), bald +gleich+ (sie gingen +direkt+ von der Arbeit ins
Wirtshaus), bald +dicht+ oder +nahe+ (der Gasthof liegt +direkt+
am Bahnhof), bald +gerade+ (die Straße führt +direkt+ nach der
Ausstellung), bald +geradezu+ (die Verschiedenheit der Darstellung
wird als +direkt+ störend empfunden -- die Stelle wirkt in dieser
Fassung +direkt+ erschütternd -- die Dichtung ist in ihrer Art
+direkt+ klassisch -- die evangelische Kirche ist hier in +direkt+
falschem Licht dargestellt), bald +genau+ (soll ich denn +direkt+
um sieben kommen?), bald +wirklich+ (bist du in Berlin gewesen,
+direkt+ in Berlin?), bald +nur+ (Ihre Bibliothek hat also +direkt+
wissenschaftliche Werke?). Eine Berlinerin ist imstande, zu ihrem
ungezognen Bengel zu sagen: was hast du da gemacht? das ist +direkt+
ein Fettfleck! oder: wirst du +direkt+ folgen? wirst dus +direkt+
wieder aufheben? Was für ein unklares Wort ist +Konsequenz+! Bald
soll es +Folge+ heißen (die Konsequenzen tragen), bald +Folgerung+
(die Konsequenzen ziehen). Was für ein unklares Wort ist +Tendenz+!
Bald soll es +Bestrebung+ bedeuten, bald +Absicht+, bald +Richtung+,
bald +Neigung+. Was für ein unklares Wort ist +System+! Man spricht
von einem +philosophischen System+ und meint eine +Lehre+ oder ein
+Lehrgebäude+, von einem +Röhrensystem+ und meint ein +Röhrennetz+,
von einem +Festungssystem+ und meint einen +Festungsgürtel+, von einem
+Achsensystem+ und meint ein +Achsenkreuz+, von einem +Sternsystem+
und meint eine +Sterngruppe+, von einem +Verwaltungssystem+ und meint
die +Grundsätze+ der Verwaltung, von einem Sprengwagen +System Eckert+
und meint die +Bauweise+, ja man kann nicht ein Hemd auf den Leib
ziehen, ohne mit einem +System+ in Berührung zu kommen, entweder dem
+System Prof. ~Dr.~ Jäger+ (!) oder dem +System Lahmann+ oder dem
+System Kneipp+ -- was mag sich die Verkäuferin im Wolladen unter
all diesen Systemen denken? Man sagt: hier fehlt es an +System+,
und meint +Ordnung+ oder +Plan+, man spricht von +systematischem+
Vorgehen und meint +planmäßiges+. Dazu wird System fort und fort
verwechselt mit +Prinzip+ und mit +Methode+ (auf derselben Seite
spricht derselbe Schriftsteller bald von Germanisierungssystem, bald
von Germanisierungsmethode). Wie kann man den Reichtum des Deutschen
so gegen die Armut des Fremden vertauschen! Das Erstaunlichste von
Vieldeutigkeit und infolgedessen völliger Inhaltlosigkeit sind wohl
die Wörter +Interesse+, +interessant+ und +interessieren+. Vor kurzem
hat jemand in einer großen Tabelle alle möglichen Übersetzungen dieser
Wörter zusammengestellt. Da zeigte sich, daß es kaum ein deutsches
Adjektiv gibt, das nicht durch +interessant+ übersetzt werden könnte!
Ein so nichtssagendes „Bummelwort“ sollte doch anständigerweise in
keinem Buche und keinem Aufsatze mehr vorkommen.

Aus der Unklarheit, die durch die Fremdwörter großgezogen wird,
entspringen dann auch so alberne Verbindungen wie: +vorübergehende
Passanten+, +dekorativer Schmuck+, +neu renovierter Saal+,
+Grundprinzip+, +Einzelindividuum+, +Attentatsversuch+, +defensive
Abwehr+, +numerische Anzahl+, +gemeinsame Solidarität+,
+charakteristisches Gepräge+ (in der Kunst und Literaturschreiberei
äußerst beliebt!), +ausschlaggebendes Moment+ u. ähnl. Nicht einmal
richtig geschrieben werden manche Fremdwörter. Wir Deutschen lassen
uns keine Gelegenheit entgehen, über den Fremden zu spotten, der
ein deutsches Wort falsch schreibt. Aber machen wir es denn besser?
Nicht bloß der kleine Handwerker setzt uns eine +Vetterage+ oder eine
+Lamperie+ auf die Rechnung statt einer +Vitrage+ oder eines +Lambris+,
sondern auch der Zeitungschreiber schreibt beharrlich +Plebiscit+,
+Diaspora+, +Atmosphäre+ (sogar +Athmosphäre+), +Proſelyten+ statt
+Plebiſcit+, +Diaſpora+, +Atmoſphäre+, +Proselyten+. Wer Griechisch
versteht, dem kommt doch +Diaspora+ und +Proſelyten+ so vor, wie
wenn einer +Schnürstiefel+ und +Halſtuch+ schriebe! Auf Leipziger
Ladenschildern liest man in zehn Fällen kaum einmal richtig +Email+,
überall steht +Emaille+, ein Wort, das es gar nicht gibt! +Drogue+
und +Droguerie+ werden sogar amtlich in der „neuen Orthographie“
+Droge+ und +Drogerie+ geschrieben, als ob sie wie +Loge+ und +Eloge+
ausgesprochen werden sollten; man ließe sich noch +Drogerei+ gefallen,
aber -+erie+ ist doch eine französische Endung! Wie lange wird man noch
+posthum+ mit dem törichten h schreiben! Man kann darauf wetten, daß
die meisten dabei nicht an ~postumus~, sondern an ~humus~ denken. Ganz
glücklich sind die Leute, wenn sie in einem Fremdwort ein y anbringen
können; gewöhnlich tun sies aber gerade an der falschen Stelle, wie in
+Sphynx+, +Syphon+, +Logogryph+ usw.

Manche Fremdwörter berauschen die Menschen offenbar durch ihren
Klang, wie +glorreich+ (in Leipziger Festreden +chlorreich+
gesprochen), +historisch+, +Material+, +Element+, +Moment+, +Faktor+,
+Charakter+, +Epoche+ und die zahlreichen Wörter auf +ion+.
+Material+ wird in ganz abscheulicher Weise gebraucht: man redet
nicht bloß von +Pferdematerial+, sondern auch von +Menschenmaterial+,
+Kolonistenmaterial+, sogar +Referendarmaterial+! Streicht man das
+Material+, so bleibt der Sinn derselbe und der Ausdruck verliert zwar
seine klangvolle Breite, aber auch seinen ganz unnötig geringschätzigen
Nebensinn. Zu den nichtsnutzigsten Klingklangwörtern gehören +Element+,
+Moment+ (+das+ Moment!) und +Faktor+, sie werden ganz sinnlos
mißbraucht. Es sind ja eigentlich lateinische Wörter (~elementum~,
~momentum~, ~factor~); wenn man aber einen Satz, worin eins von ihnen
vorkommt, in wirkliches Latein übersetzen wollte, könnte man meist gar
nichts besseres tun, als die Wörter einfach -- weglassen. Liberale
+Elemente+, bedenkliche, unzuverlässige, gefährliche +Elemente+ -- das
ist doch nichts andres als Männer, Menschen, +Leute+. Glücklicherweise
bildeten die anständigen +Elemente+ die +Majorität+ -- das heißt doch
nichts weiter als: die anständigen +Leute+ bildeten die +Mehrheit+.
+Moment+ wie +Faktor+ aber bedeutet in den meisten Fällen weiter
nichts als ~res~, ~aliquid~, und auch mit +Element+ ist es oft nicht
anders. Da will einer sagen: trotz aller Erfahrungen im Seekrieg ist
der Torpedo noch immer +etwas neues+. Das drückt er so aus: trotz aller
Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch immer ein +neues Element+
oder ein +neues Moment+ oder ein +neuer Faktor+ -- nun klingt es!
Hier sind +drei Momente+ zu berücksichtigen, oder hier wirken +drei
Faktoren+ zusammen -- bei Lichte besehen ist es weiter nichts als:
+dreierlei+ (~tria~). Das wichtigste +Moment+ -- es ist schlechterdings
nichts andres als das +Wichtigste+. Der Stock hat von jeher Freud und
Leid mit den Menschen geteilt: dies +Moment+ findet in der Glocke
einen ergreifenden Ausdruck -- wenn diejenigen +Momente+ in den
Vordergrund gestellt werden, die für die Technik von Wert und Interesse
sind -- die Feinhörigkeit ist von osteologischen +Momenten+ abhängig
-- die Studentenauffahrt mit ihren bunten, malerischen +Momenten+
entrollte ein interessantes akademisches (!) Bild -- die gestrige
Stadtverordnetensitzung bot verschiedne interessante +Momente+ -- bei
jedem entstehenden Reichtum ist die Arbeit ein mitwirkender +Faktor+ --
sind nicht +Moment+ und +Faktor+ hier ganz taube, inhaltleere Wörter?
Bisweilen kann man wohl +Moment+ durch +Umstand+, +Tatsache+, +Zug+,
+Seite+ wiedergeben, ebenso +Faktor+ bisweilen durch +Macht+, +Kraft+,
+Mittel+, aber in den meisten Fällen ist es nichts als: +etwas+; ein
+beunruhigendes Moment+, ein +differenzierendes Moment+ -- es sind
doch nur gespreizte wichtigtuerische Umschreibungen von +Beunruhigung+
und +Unterschied+.[184] Nicht viel anders ist es mit +Charakter+.
Diese Festlichkeiten haben deshalb einen wertvollen und interessanten
+Charakter+ -- was bedeutet das anders als: sie sind deshalb wertvoll?
Die Raumbildung ist der wesentlichste +Faktor+, der dem Architekten
zur Verfügung steht. Daneben ist ein zweiter, sehr wichtiger
+Faktor+, um (!) einem Raum +individuellen Charakter+ zu geben, die
Art seiner Beleuchtung. Das dritte +Charakterisierungsmoment+, das
dem Architekten zur Verfügung steht, ist die Farbengebung. In solch
albernem Schwulst wird jetzt der einfache Gedanke ausgedrückt: der
Architekt wirkt durch drei Mittel: Raum, Licht und Farbe! +Historisch+
(d. h. +geschichtlich+ oder +geschichtswissenschaftlich+) wird
jetzt unsinnigerweise für +alt+ oder +altertümlich+ gebraucht.
Man gibt Konzerte mit +historischen+ Blasinstrumenten (zu dumm!),
schießt auf der Schützenwiese mit +historischen+ Armbrüsten, bildet
Fanfarenbläser in +historischer+ Tracht ab, schwärmt von der +alten,
historischen+ Markgrafenstadt Meißen und preist die +althistorischen+
Sehenswürdigkeiten von Augsburg an. Ganz arg ist auch der Mißbrauch,
der mit +Epoche+ getrieben wird, namentlich in den Schriften neuerer
Geschichtschreiber. +Epoche+ (ἐποχή) bedeutet Haltepunkt, in der
Geschichte ein Ereignis, das einen wichtigen Wendepunkt gebildet hat.
So brauchen noch unsre Klassiker bisweilen das Wort. Schiller nennt
noch ganz richtig die Geburt Christi eine +Epoche+, das Ereignis
selbst, nicht etwa die Zeit des Ereignisses! Die +Epoche+ der
Weltliteratur ist an der +Zeit+ -- sagte Goethe zu Eckermann. Daher
stammt ja auch die Verbindung +epochemachend+, d. h. einen Wendepunkt
bezeichnend. Das Wort ist dann auf die Zeit selbst übertragen worden
-- worin allerdings schon der alte Goethe erkleckliches geleistet hat
--, und heute bezeichnet man jeden beliebigen Zeitabschnitt, klein
oder groß, wichtig oder unwichtig, als +Epoche+. Für Zeit kennen
unsre Geschichtschreiber gar kein andres Wort mehr, sie verwechseln
es auch fortwährend mit +Periode+,[185] reden sogar von +Zeitepoche+,
unaufhörlich pochpochpocht es durch ihre Darstellungen! Aber auch die
Jahre, in denen ein tüchtiger Rektor eine Schule geleitet hat, werden
schon eine der inhaltreichsten +Epochen+ der Schule genannt! Auch
+Generation+ hats den Leuten angetan, obwohl es zu den zahlreichen
unklaren Fremdwörtern gehört, denn es bedeutet ja +Geschlecht+ und auch
+Menschenalter+; man kann zuweilen geradezu lesen von der +Generation+,
die vor drei +Generationen+ gelebt hat! Aber es klingt, und das ist
die Hauptsache. Wenn sich bei einer großen Festtafel nach dem zweiten
Gange, wo der Wein schon zu wirken anfängt, einer erhebt, und nachdem
er einigemal mit +glorreiche Epoche+, +Moment+, +Faktor+, +zielbewußt+,
+unentwegt+ um sich geworfen hat, schließlich, ehe er „in diesem
Sinne“ sein Glas leert, noch einmal donnert: von +Generatiooon+ zu
+Generatiooon+! so muß ja alles auf dem Kopfe stehen vor Entzücken.
+Von Geschlecht zu Geschlecht+ -- damit tut man keine Wirkung.

Im Grunde ist die Fremdwörterfrage eine Frage der Bildung und des
guten Geschmacks. Man könnte mit Rücksicht auf den Gebrauch unnötiger
Fremdwörter die Deutschen in drei Bildungsklassen einteilen: die
unterste Klasse gebraucht die Fremdwörter falsch, die mittlere
gebraucht sie richtig, die oberste gebraucht sie -- gar nicht. Daneben
gibts natürlich Misch- und Zwischenklassen, aber die Hauptklassen sind
doch diese drei.

Der gewöhnliche Mann aus dem Volke weiß in den meisten Fällen gar
nicht, daß er Fremdwörter gebraucht. Woher sollte ers auch wissen? In
eine fremde Sprache hat er nie hineingeblickt, über seinen Wortschatz
macht er sich keine Gedanken, entweder versteht er ein Wort, oder er
versteht es nicht -- die Fremdwörter versteht er meist nicht; ob die
Wörter, die er gebraucht, deutsch sind oder einer fremden Sprache
angehören, vermag er nicht zu beurteilen. In Leipzig ist z. B. dem
kleinen Handwerker und Krämer, dem untern Beamten, dem Kutscher, dem
Packträger, dem Kellner das Wort +zurück+ fast unbekannt. Wenns ers
gedruckt liest, versteht ers wohl, aber seinem Wortschatze gehört
es nicht an, er kennt nur das Wort +reduhr+ (+retour+), das ist für
ihn deutsch! Er sagt: ich kriege zehn Fennche +reduhr+ -- schiebe
mal de Karre +reduhr+ -- um zehne fahrmer +reduhr+ -- Müller is in
seinem Jeschäfte +redur+jekommen (denn auch in Leipzig wird jetzt
vielfach +jesehen+, +jekommen+ gesagt). So gibt es noch eine Menge von
Fremdwörtern aus dem täglichen Leben, die er ganz richtig gebraucht,
die aber eben für ihn so gut wie deutsche Wörter sind, wie +Gongerrenz+
(Konkurrenz), +degerieren+ (dekorieren), +mummendahn+, +orchinell+
u. a. Die meisten aber gebraucht er falsch oder halbfalsch: entweder
er verdirbt oder verstümmelt ihre Form, oder er wendet sie in
falscher Bedeutung an, oder er verwechselt zwei miteinander: er sagt
+absorbieren+, wo er +absolvieren+ meint (meine Tochter hat die höhere
Töchterschule +absorbiert+), er fordert +Reduzierung+ der Arbeitslöhne
(statt +Regulierung+) und erbietet sich, wenn er eine Stelle sucht,
+Primadifferenzen+ vorzulegen, spricht von +rabiater+ Geschwindigkeit
(statt von +rapider+) und von der Gefahr, die es hat, wenn ein
Schlaganfall +repartiert+ (statt +repetiert+), verwechselt +luxuriös+
und +lukrativ+ (wir können nicht so +lukrativ+ bauen wie die reichen
Leute), versteht +intakt+ als +in Takt+, gebraucht +irritieren+ in dem
Sinne von +irre machen+, +stören+, leitet +affektiert+ von +Affe+ ab,
bringt überall ein bißchen „französische“ Aussprache an: +Orschester+,
+Sanktimeter+, +Parangthese+, +Deelephong+, +Biweh+ (Büfett!), +Serwih+
(Service), +Dabbeldooh+ und prophezeit von einem neuen Konzertsaal:
wenn er ene gute +Renässangs+ (Resonanz) kriegt, kriegt er ooch ene
gute +Augustik+ (Akustik).

Nun die mittlere Klasse. Das sind die, die sich so viel Kenntnis
fremder Sprachen angeeignet haben, daß sie von einer großen Anzahl
von Fremdwörtern die Ableitung, die eigentliche Bedeutung kennen,
auf diese Wissenschaft (wenn sie sich mit den unter ihnen stehenden
vergleichen, die +Gratifikation+ und +Gravitation+ verwechseln) sehr
stolz sind und ihre hohe Bildung nun durch möglichst häufigen Gebrauch
von Fremdwörtern an den Tag zu legen suchen. Das ist die gefährliche
Klasse. Sie werfen sich in die Brust und meinen, sie hätten wunder
was gesagt, wenn sie von +lokalem Konsum+ reden, statt von +örtlichem
Verbrauch+.

Über dieser aber gibt es noch eine dritte Klasse. Es ist ein Zeichen
höchster und vornehmster Bildung, wenn man durch die Erlernung fremder
Sprachen zugleich seine Muttersprache so hat beherrschen lernen, daß
man die fremden Flicken und Lappen entbehren, daß man wirklich deutsch
reden kann.

[Illustration]



[Illustration]


Alphabetisches Wortregister


  ab statt von 432

  abdecken 359

  abend und abends 261

  Abmessung 435

  abpflastern 359

  abschlägig und abschläglich 83

  abstürzen 374

  Abteil 434

  abzüglich 421

  Achtung für oder vor 349

  adlig und adlich 81

  Affäre 444

  Afrikareisender 193

  Aktiengesellschaft 199

  alle 31

  alle oder aller vier Wochen 259

  allmählich 81

  Alltag 362

  alpine Flora 185

  als beim Komparativ 268

  als ob, als wenn 157

  altbacken 59

  Altheidelberg, Altweimar 191

  Altmeister 190

  Altmeißner Porzellan 191

  anbelangen, anbetreffen 407

  anders 47

  anderthalb 49

  andersartig 409

  andres, ein 48

  Anfang und Anfangs 261

  angängig 373

  angehen 239

  Angehöriger 34

  Angel 19

  Anhaltspunkt 73

  anklagen, beklagen, verklagen 358

  Anlage und Anlegung 344

  anläßlich 420

  anliefern 359

  anormal 441

  anscheinend 341

  anschneiden, eine Frage 375

  anschließen, sich 341

  Anteilnahme 408

  antideutsch 88

  antwortlich 419

  Anwaltstag 76

  Anzahl 96

  Apfelwein 74

  Apostel 19

  Arbeitgeber 80

  Arbeitnehmer 362

  Arm 16

  Armesünderglocke 206

  Aschenbecher 70

  Ärztetag 70

  Ärztin 68

  Attentäter 67

  auf Festung, auf Jagd 275

  aufliefern 359

  Aufregung und Aufgeregtheit 345

  aufrollen, eine Frage 375

  auftraggemäß 387

  augenscheinlich 341

  Aurikel 19

  ausbezahlen 407

  Ausfuhr u. Ausführung 344

  Ausgabe, erste seltene 301

  ausgehen 355

  ausgeschlossen 391

  Auskunftei Schimmelpfeng 203

  auslösen 375

  Ausreise 363

  ausschließlich 420

  Ausschmuck 345

  ausschalten 375

  Autograph 18


  Baby 438

  Bachkantate 195

  baden 56

  Bad-Kissingen 218

  baldgefälligst 43

  Bande, Bände, Bänder 20

  Beamter 33

  Beamtin 69

  bedanken 243

  bedeuten statt sein 376

  bedeutsam 369

  bedingen 398

  beföhle 63

  Begleiterscheinung 363

  begönne 63

  begründen und gründen 358

  begrüßen 376

  behufs 418

  bei statt von 351

  beide 37

  beiderlei Geschlechts 290

  beiläufig 431

  bekannt als, berühmt als 214

  bekannt geben 376

  beklagen, anklagen, verklagen 358

  Beklagtin 69

  belanglos, belangreich 370

  beheben 354

  belegen sein 354. 358

  Beleuchtungskörper 365

  belichten 365

  benötigen 430

  bereits schon 290

  Bergmann 4

  Bericht erstatten 280

  berichten 240

  besitzen statt haben 410

  besönne 63

  besser statt gut 370

  bewähren, sich, als 215

  bewerten 385

  beziffern sich 376

  Beziehung, Bezug, Bezugnahme 345

  beziehentlich, beziehungsweise 426

  Biere 337

  bilden statt sein 377

  billig 81

  bis 257

  bislang 386

  Bismarckbeleidigung 198

  Blatt und Blätter 24

  Blättermeldung 361

  Blau, das, und das Blaue 35

  blumistisch 88

  Blüthnerflügel 196

  Boden 16

  Bogen 16

  Boot 16

  brauchen oder gebraucht 61

  brauchen mit Infinitiv 292

  brauchen und gebrauchen 354

  bringen, zur Aufführung 416

  Brot 16

  Buckel 19


  Café Bauer 201

  Charakter 449

  chic 437

  Cypernwein 192


  da und dort 386

  dabei, dafür, darin 231

  dank 247

  Darbietung 368

  Darlehen 4

  darstellen statt sein oder bilden 377

  das und was 116

  denkbar beim Superlativ 43

  Denkmal 20

  denn beim Komparativ 268

  der der, die die, das das 115

  der, die, das als Relativpronomen 112

  deren 40

  deren und derer 45

  derem und dessem 45

  derjenige, welcher 235

  derselbe 226

  derselbige 235

  dessen 40

  Deutsch, das, und das Deutsche 35

  Deutsche, wir, und wir Deutschen 36

  Dichter-Komponist 220

  Ding 21

  direkt 445

  Doktor-Ingenieur 220

  ~Dr.~, weiblich 277

  drängen 53

  draußen, drinnen 353

  dreimonatig und dreimonatlich 82

  dringen 53

  Dritte, der, statt der Andre 347

  drittehalb 49

  Droguerie 447

  drüben und hüben 353

  dünken 53

  durch statt von 351

  durch von der Zeit 263

  durch und wegen 349

  durchwegs 422

  Dürerzeichnung 195

  dürfen 347

  dürfen mit Recht 290


  Edition Peters 201

  Effekt 18

  ehe nicht 272

  Ehrung 368

  eigenartig 370

  ein andres 48

  Einakter 362

  einander gegenseitig 290

  eindecken 359

  einer nicht statt keiner 270

  eines, einem, einen 46

  ein Goethe 276

  einige 31

  einig sein, sich 342

  einliefern 339

  ein Maler drei, ein Stücker drei 245

  einmal statt erstens 342

  Einnahmsquelle 78

  einschätzen 377

  einschließlich 420

  einsetzen 378

  Einsichtnahme 408

  einstellen 380

  einundderselbe 46. 226

  einwandfrei 370

  einwerten 386

  einzig 44

  Eisenbahner 67

  Element 448

  Eltern 29

  Email 447

  empfangen und erhalten 341

  empföhle 63

  empor 257

  entblöden, sich 356

  entfallen statt fallen 354. 356

  entgegennehmen 380

  entleihen 356

  entlohnen 354. 356

  entnüchtern, ernüchtern 359

  Entscheid 345

  Epoche 450

  erblicken 406

  erbringen 354

  Erfolg 340

  erfolgen 344

  erhalten und empfangen 341

  erhältlich 364

  erheben, sich 341

  erheblich 371

  erholen, sich, Rats 241

  erhoffen 354

  erinnern, auf etwas 431

  erlauben 355

  Erleben, das 397

  eröffnen 355

  Erscheinung, in die, treten 383

  erschrecken 51

  Erstaufführung 188

  Erstausgabe, Erstdruck 188

  erstbeste 43

  erste Künstler 245

  erstellen 355

  ersterer 223

  erstklassig 364

  erstmalig 407

  erstmals 386

  erübrigen statt übrig bleiben 380

  erübrigen, sich, statt überflüssig sein 380

  Erwerb und Erwerbung 345

  erzielen 381

  essen 62

  Essen-Ruhr 200

  ~et~, & 267

  Etikett, das 23

  etwas andres 48

  etwas nicht statt nichts 270

  euer und eurer 44

  Eure Majestät 45

  eventuell 437

  existieren 436

  Exlibris 203


  Fabriksmädchen 78

  Façon, das 23

  fahren und führen 56. 166

  Fahrkarte 434

  Fahrrichtung 74

  Faktor 449

  Falschstück 188

  falten 56

  Fehlbetrag 363

  Fels und Felsen 5

  fertigstellen 402

  Feste, die 34

  festlegen 403

  Feuerbestattung 365

  finden, sich 432

  Firma, das 23

  folgender 27

  forstlich 185

  fort 404

  fragen 54

  Frauenkirche 70

  Frau und Kinder 276

  Fräulein, das oder die 276

  Fräulein Braut, Tochter 277

  Freisinn 362

  Fremder 33

  Fremdsprache 188

  fremdsprachig und fremdsprachlich 81

  Friede 5

  Frischluft 189

  froh in Zusammensetzungen (arbeitsfroh) 371

  Fühlen, das 396

  führende Geister 381

  fünfzig und funfzig 49

  fünfzigjähriger Geburtstag 246

  Funke 5

  für und über 349

  für und zu 349

  Fürst 4

  fußfrei 210


  Ganzes oder Ganze 25. 33

  Garage 436

  Garne 337

  Gartenlaubekalender 70

  Gastwirtstag, Gastwirtsverein 76

  Gau 4

  geartet 409

  geboren werden, geboren sein 108

  gebrauchen und brauchen 354

  Geburtstag 16. 246

  Gedanke 5

  gedienter Soldat 166

  Gefalle 5

  gefeiert als 214

  Gefertigte, der 430

  Gefolge, im -- haben 381

  Gehalte und Gehälter 20. 22

  Geistlicher 33

  gelagerter Fall 408

  Gelände 435

  gelangen, zur Aufführung 416

  gelegentlich 420

  Gelehrter 33

  gelernter Kellner 166

  gemäß 248

  Gemäßheit, in 420

  General 17

  Generation 450

  Gepflogenheit 362

  Gesangpädagog 442

  geschaffen, geschafft 52

  Geschäft 21

  geschleift, geschliffen 52

  Geschmack 22

  geschweige denn 273

  gesessen sein, gesessen haben 59

  Gesichte und Gesichter 20

  Gesichtspunkt 393

  gesinnt, gesonnen 52

  gestanden sein, gestanden haben 59. 168

  gestatten 381

  getragen 382

  Gewand 20

  Gewerk und Gewerke 4

  Gewinn 21

  Gewölbe 21

  gewönne 63

  glasieren 88

  glatt 371

  Glaube 5

  gleiche, der 226

  Goethebiographie, Goethedenkmal 194

  gölte 63

  Griffelkunst 363

  Großfeuer 189

  großzügig 371

  größtmöglichst 43

  Grund und Boden 46

  gründen und begründen 358


  Haar, Haare 338

  Hader 19

  Halle-Saale 200

  hangen und hängen 51

  Hannoveraner 88

  Haufe 5

  Haus 390

  Hause, nach 351

  hausbacken 59

  haußen, hinnen 353

  Heiliger 33

  heißen 239

  heißen oder geheißen 60

  -heit, Wörter auf 345

  Heizkörper 365

  Held 4

  helfen oder geholfen 61

  her und hin 352

  herab, heran, herunter 353

  Herabminderung 408

  herauf und hinauf, herein und hinein 352

  herausbilden 407

  Herbstzeitlose 34

  Herr 14

  Herrenmoden 390

  Herzog 17

  Hilferuf, Hilfeleistung 80

  Hilfslehrer, Hilfsprediger 80

  hin und her 352

  hinab, hinan, hinunter 353

  hinauf 257

  Hingabe und Hingebung 343

  Hirt 4

  historisch 450

  historisch-kritisch 267

  hocherfreut und hoch erfreut 169

  hochfein, hochmodern 386

  hochgradig 372

  hoch kommen 257

  hochleben 170

  Höchstgehalt, Höchstmaß 188

  hochverehrtest 42

  hoffen und wünschen, verwechselt 296

  Holbeinbildnis 197

  Holländer Austern 178

  hören oder gehört 60

  Hose, Hosen 338

  hüben und drüben 353

  hülfe 63

  Hummer 19

  hundertunderste 49


  im Begriff 252

  im Wege 350

  in 1870 258

  in statt auf oder gegen 350

  indes, indessen 387

  in Ergänzung, Fortsetzung, Veranlassung 172

  inhaltlich 420

  Inneres oder Innere 33

  insofern als 133

  insofern, daß 296

  instandsetzen 252

  intensiv 445

  interessant 447

  interpretieren 438

  -ismus, Wörter auf 12


  ja, das beteuernde und das steigernde 323

  ja ja 323

  jagen 59

  Jaquet 19

  jeder 26

  jemand 47

  jemand anders 47

  jener 237

  Jetztzeit 362

  Jubiläum 246

  jugendlich statt jung 372

  Jungens 23

  Jünger 33

  Jungwilhelmdenkmal 191


  Kaiserhoch 197

  Kajütsbureau 78

  kännte und kennte 63

  Kapital, Kapitäl 17

  Kasten 16

  Katastrophe 444

  kein 31. 270

  kennen lernen oder gelernt 61

  Kenntnis, zur, kommen 283

  Kenntnis nehmen 279

  kennzeichnen 340

  Kiefer 19

  Klage führen 281

  klarlegen, klarstellen 402

  klar sein, sich 342

  kleiden 240

  Klein, das 35

  Kloß 21

  kneipen 52

  Kohlezeichnung 71

  Kolleggeld 76

  Kollegienhefte 76

  Kollegs 23

  kommen, zur Aufführung 416

  Königsbüste 198

  Können, das 396

  konstatieren 445

  Kork 19

  Korset 19

  kosten 239

  Kostüm 436

  Kragen 16

  kriegführend 80

  kulturell 185

  Kunde 69

  Künstler 68


  laden 53

  Lage 293

  Lageplan 71

  Lager 16

  Lande und Länder 20

  landen 381

  lang, drei Monate 262

  längeren, des 407

  lassen 238

  lassen oder gelassen 60

  lateinlos 365

  lauten 56

  leerstellen 403

  Lehen 4

  lehren 239

  Lehrperson 362

  Leipzig-Elbe-Kanal 192

  leisten, Folge, Verzicht 406

  letzterer 223

  Lichte und Lichter 20

  liebedienerisch 80

  Liebesdienst 77

  Liebfrauenmilch 72. 206

  Linke, die 34

  links 248

  Lohn 22

  lohnen, der Mühe 241

  Lokomotivführer 72

  löschen 51


  Mädels 23

  Magen 16

  Maler-Dichter 220

  man 46

  Mann 4

  manche 31

  mangels 418

  Mansardedach 71

  markant 437

  Maß 21

  maschinell 185

  Material 448

  mehrere 32

  mehrere und mehr 41

  mein, dein, sein 32

  Menge 96

  Mietshaus, Mietspreis, Mietsvertrag 74. 78

  Milieu 436

  minderwertig 373

  Mindestpreis 188

  mißbrauchen, mißfallen, mißhandeln 58

  Mittwoch 261

  Möbel 19

  mögen für können 346

  möglichst und womöglich 43

  Moment 448

  Monarch 443

  monatlich 82

  Motor 18

  Muff 19


  nachahmen 239

  nachdem 131

  nach dort, nach hier 256

  nach Hause, zu Hause 351

  nach meines Erachtens 247

  nach oben 256

  Nachrichten, Neueste Leipziger 300

  nahe 249

  näheren, des 407

  nahezu 387

  Name 5

  namens 418

  Namensverzeichnis 75

  naturgemäß 387

  Naturwissenschaftler 68

  Neigung und Geneigtheit 345

  nein nein 323

  Neuauflage, Neuerscheinung 188

  neubacken 59

  neuerdings 431

  Neuheit und Neuigkeit 340

  Neusprachler 68

  neusprachlich 81

  nicht ohne 273

  nichts 270

  nicht un -- 272

  Niederlagsraum 78

  Niederlande, Königin Wilhelmine der 303

  niemand 47

  nördlich 248

  notleiden 170

  Note, intime 368


  oben gehen 257

  obzwar 133

  oder 98

  offenstellen 403

  öffnen und eröffnen 355

  offensichtlich 373

  Offert, das 23

  Offizierskasino 75

  öfters 422

  Ohren, zu, kommen 283

  Orte und Örter 22

  Ortsverzeichnis 75


  Pädagog 441

  Pantoffel 19

  Papierverein 199

  Paragraph 18

  Parteinahme 408

  passieren 436

  Pate 69

  Perser Teppiche 178

  Pfennig, Pfennige 24

  Porto, Porti 24

  posthum 447

  Preise, kleine 339

  Preislage 390

  Presseball, Pressefest 72

  Prinz 4

  Prinzensöhne 220

  prinzlich 185

  Prinzregent 220

  prozentual 441

  Prozentsatz 368


  radebrechen 53

  Rassepferd 70

  Rechenstunde 77

  Rechnung tragen 381

  Rechte, die 34

  rechts 248

  Redakteur 433

  reichlich 388

  Reihe 96

  reisen 59

  religiös-sittlich 267

  Rest 21

  retour 451

  retrospektiv 438

  richtig stellen 402

  Richtung, in der 421

  Rindsleder 79

  Rittersmann 77

  Rohr 16

  rönne 63

  rückenfrei 210

  Rückerinnerung 291. 408

  Rücksichtnahme 408

  Rückwirkung, Rückschluß 368

  rund 387


  Saalezeitung 72

  Same 5

  sämtliche 31

  Sand 338

  Sauregurkenzeit 206

  Schade und schade 5

  schaffen 52

  scheinbar 341

  Scheit 22

  Schilde und Schilder 21

  Schillerfeind 198

  schleifen 52

  Schlüssel 19

  schmelzen 51

  schneidig 373

  schölte 63

  Schönen, die 34

  Schreibepapier 77

  schreiten 382

  Schriftleiter 433

  schrittweise 207

  Schule, zur 351

  schulisch 184

  schwerwiegend 41

  schwömme 63

  segensreich 77

  sehen oder gesehen 60

  Seiner Majestät Schiff 40

  sein lassen 215

  seitens 422

  -seitig, -seits 424

  selber, selbst 245

  selbstlos 373

  selbstredend, selbstverständlich 391

  selten 388

  Shakespearedramen 195

  Silberhochzeit 186

  singen hören oder gehört 60

  sinnen 52

  solcher 27

  Solebad 72

  sollen für müssen 346

  Solo, Soli 24

  sonst 233

  sowie 98

  sowohl als auch 98

  so zwar 267

  spalten 56

  Speisekarte 73

  speisen 62

  Spielmann 4

  spönne 63

  Standpunkt 395

  stände, stünde 62

  stattfinden 344

  stattgefunden und stattgehabt 167

  stecken 52

  Stellung nehmen 279

  Stellungnahme 408

  Steuer 19

  Stiefel 19

  Straftat 363

  Straßenbahner 67

  Strauß 21

  stückweise 207

  studierter Mann 166

  stürbe 63

  Stutz 19

  südlich 248

  Sunlightseife 439

  System 446


  Tabaksmonopol 79

  tagein, tagaus 365

  Tale und Täler 20

  Taler 24

  teils -- teils 98

  teilweise 207

  Tendenz 446

  tiefgefühltest 42

  tiefgehend 41

  tiefgründig 373

  Tintenfaß 70

  Titel 19

  todsicher 392

  Toiletteseife 70

  Ton 338

  Ton für Wort 392

  tragen 382

  treffsicher 364

  treten 383

  trotzdem und trotzdem daß 133

  Trümmer 19

  Tucher Bier 192

  tunlich 373

  Typ 436


  überfahren 57

  überführen 56

  überlegen 57

  Übersee 362

  übersetzen 57

  übersiedeln 58

  uferlos 373

  um zu 161. 296

  und, fehlendes 265

  unentwegt 388

  unerfindlich 373

  unerheblich 371

  unerwartet 248

  unförmig und unförmlich 83

  ungeachtet 248

  ungefähr 209

  ungezählt statt unzählig 374

  Universität Leipzig 201

  unschwer, nicht unschwer 273

  unser und unsrer 44

  unsre Gegenwart 290

  Unstimmigkeit 369

  untadlig 81

  unterbreiten 57

  Unterfertigte, der 431

  unterhalten 57

  unterrichtlich 184

  unterschlagen 57

  Untertan 33

  unverhohlen 54

  unweit 249

  unwidersprochen 243

  unzählig 81

  Urlaub 355


  vaterlandsliebend 80

  veranschlagen 406

  verausgaben 406

  verdenken 241

  verderben 51

  Verdienst 22

  verdürbe 63

  Verein Berliner Künstler 39

  vereinnahmen 406

  Verfehlung 369

  Verfügung, zur, stehen und stellen 281

  vergessen, auf etwas 431

  Verkauf und Verkaufung 344

  verkehren 60

  verläßlich statt zuverlässig 374

  verlautbaren u. verlauten 341

  verlegen statt legen 354

  vermeinen 357

  vermittelst 418

  vernunftgemäß 387

  verraten, sich, als 215

  verschreiten 382

  verschroben 54

  versichern 240

  verständigen 430

  Verstehen, das 397

  vertonen 435

  vertrauen 383

  Verwandter 33

  Verwandtin 69

  Verzichtleistung 408

  verziehen 357

  viele 32

  vielmehr 388

  vierwöchig und vierwöchentlich 82

  Villa-Daheim 218

  Visitekarte 70

  volklich, völkisch 184

  voll und ganz 388

  vollends 273

  voller 244

  Vollziehung und Vollzug 345

  von -- ab, von -- an 349

  von Ende oder vom Ende 264

  von Hause, von zuhause 264

  vorab 389

  voran und vorwärts 341

  vorbestrafen 383

  vorhanden 209

  vorhinein, im 431

  Vorjahr 362

  Vormärz 362

  vornehm statt Haupt- 374

  vornehmlich 389

  Vorredner 362

  vorsehen 384


  Wagen 163

  wägen 51

  Wagnerverehrer 198

  während 14. 261

  weder -- noch 98

  weg 404

  Wege, im 350

  Wege, in die -- leiten 384

  wegen und durch 349

  Weimaraner 88

  Wein 337

  weise 207

  Weiser 33

  Weiße, die 49

  weitaus 38

  weitgehend 413

  welcher 27. 112

  welch letzterer 123

  Werdegang 360

  werden lassen 215

  werten 385

  wie beim Komparativ 268

  Wie meinen? 366

  wiegen 51

  Wild, das 35

  Wille 5

  willfahren 53

  wir Deutschen 36

  Wirksamkeit und Wirkung 340

  wo, wobei, womit, worin 118

  wöchentlich 82

  Wolle 337

  Wollen, das 397

  worden 105

  Wort, Worte, Wörter 20

  wunschgemäß 387

  wünschen und hoffen verwechselt 296

  würbe 63

  würde statt des Konjunktivs 158

  würfe 63


  Zeichenbuch 76

  zeigen, sich, als 215

  Zeit, die gute alte 209

  zeitigen 386

  Zelt 21

  Zerstreuung und Zerstreutheit 345

  Zettel 18

  Ziegel 19

  zielbewußt 374

  zu und um zu 161

  zubilligen 386

  zufolge statt nach 351

  zufrieden 209

  zufriedenstellen 402

  zugängig und zugänglich 83

  Zugsverbindung 78

  zuhause 264

  Zuhilfenahme 421

  zukommen, auf etwas 386

  zumal 342

  zumal und zumal da 132

  zuzüglich 421

  zwangsweise 207

  zwar, so 267

  zwecks 418

  zween, zwo, zwei 49

  zwischen 258

[Illustration]



Druck von Carl Marquart in Leipzig



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


Walther von der Vogelweide

Von

Rudolf Wustmann

Kl. 8°. V, 103 S. 1912. Mit 3 Tafeln.

Geheftet ℳ 2.--, gebunden ℳ 2.40.

+~Vorwort des Verfassers~+:

„~Dies Büchlein zu schreiben hat mich schon lange gedrängt. Walther
von der Vogelweide verdient in unserer allgemeinen Bildung einen
besseren Platz, als ihm die meisten deutschen Hoch- und Mittelschulen
zuteil werden lassen. Sein Charakterbild steht im großen und ganzen
fest, so vieles auch an seinem Lebensbilde noch undeutlich ist. Daß
ich nun auch etwas von Walthers Musik mit vorlegen kann, macht mir
besondere Freude.~“


Shakspere

Fünf Vorlesungen aus dem Nachlaß

von

Bernhard ten Brink

Mit dem Medaillonbildnis des Verfassers in Lichtdruck

Dritte durchgesehene Auflage

Klein 8°. VII, 149 S. 1907. ℳ 2.--, gebunden ℳ 2.50.

  Inhalt: Erste Vorlesung: Der Dichter und der Mensch. -- Zweite
  Vorlesung: Die Zeitfolge von Shaksperes Werken. -- Dritte Vorlesung:
  Shakspere als Dramatiker. -- Vierte Vorlesung: Shakspere als
  komischer Dichter. -- Fünfte Vorlesung: Shakspere als Tragiker.



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


Deutsches

Fremdwörterbuch

Von

Hans Schulz

Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br.

Erste bis vierte Lieferung: A-Kampagne

Lex. 8°. je 5 Bogen. Subskriptionspreis für die Lieferung ℳ 1.50. Das
Werk wird etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8° umfassen.

~Das Buch versucht zum ersten Male eine lexikalische Behandlung der
in unsere Sprache aufgenommenen Fremdwörter nach den Grundsätzen der
modernen Wortforschung. Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht,
für jedes Wort die Quelle und die Zeit der Entlehnung zu ermitteln,
seinen ursprünglichen Geltungsbereich festzustellen und unter Darlegung
des historischen Belegmaterials seine Entwicklung im deutschen
Sprachgebrauch zu veranschaulichen. Besonderer Wert wurde darauf
gelegt, die lebende und allgemein gebräuchliche Sprache zu fassen und
eingehend zu behandeln.~

„~Das lang ersehnte geschichtliche Fremdwörterbuch tritt endlich in
Erscheinung, nicht im Zusammenarbeiten mehrerer, nicht als Ertrag
einer langen Lebensarbeit, sondern dank der Tatkraft, dem mutigen
Zugreifen eines jugendfrischen Mannes. Schulz will allerdings nicht
ein Seitenstück zum Deutschen Wörterbuch bieten, seine Arbeit ist
vielmehr auf ein einbändiges Werk berechnet. Es sollen nur die wirklich
lebendigen Fremdwörter behandelt werden und nur die, die der allgemein
gebräuchlichen Sprache angehören; Veraltetes, wie das große Heer der
technischen Ausdrücke, scheidet also aus. Was Schulz innerhalb dieser
Grenzen geleistet hat, ist ganz vortrefflich. Auswahl, Anordnung,
Darstellung sind durchaus zweckentsprechend und geschickt; musterhafte
Knappheit verbindet sich mit großem Reichtum ... Die Ausstattung des
Buches ist durchaus erfreulich. Hoffentlich liegt das Ganze recht bald
vollendet vor uns.~“

_Prof. Dr. O. Behaghel im Literaturblatt für germanische und romanische
Philologie XXII. Jahrgang 1911, Nr. 1._



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache

von

Friedrich Kluge

ord. Professor der deutschen Sprache an der Universität Freiburg i. Br.

Siebente verbesserte und vermehrte Auflage

Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geheftet ℳ 9.--, in Leinwand geb. ℳ 10.20,
in Halbfranz geb. ℳ 11.--.

=Kluges Wörterbuch= ist im Jahre 1883 erstmals erschienen; es hat
also im Jahre 1908 sein 25jähriges Jubiläum feiern können. Der Erfolg
der bis jetzt erschienenen sieben Auflagen und die Anerkennung,
welche dem Buche zu Teil geworden, haben gezeigt, wie richtig der
Gedanke war, die Ergebnisse des anziehendsten und wertvollsten Teiles
der wissenschaftlichen Wortforschung, den über die Entstehung und
Geschichte der einzelnen Wörter unseres Sprachschatzes, in knapper
lexikalischer Darstellung zusammenzufassen.

Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, Form und Bedeutung
jedes Wortes bis zu seiner Quelle zu verfolgen, die Beziehungen
zu den klassischen Sprachen in gleichem Maße betonend wie das
Verwandtschaftsverhältnis zu den übrigen germanischen und den
romanischen Sprachen; auch die entfernteren orientalischen,
sowie die keltischen und die slavischen Sprachen sind in allen
Fällen herangezogen, wo die Forschung eine sichere Verwandtschaft
festzustellen vermag.

Die vorliegende neue Auflage, die auf jeder Seite Besserungen und
Zusätze aufweist, hält an dem früheren Programm des Werkes fest,
strebt aber wiederum nach einer Vertiefung und Erweiterung der
wortgeschichtlichen Probleme und ist auch diesmal bemüht, den
neuesten Fortschritten der etymologischen Wortforschung gebührende
Rechnung zu tragen. Am besten aber veranschaulichen einige Zahlen die
Vervollständigung des Werkes seit seinem ersten Erscheinen: die Zahl
der Stichworte hat sich von der ersten zur siebenten Auflage vermehrt
im Buchstaben A: von 130 auf 346 (6. Aufl. 280); B: von 378 auf 608 (6.
Aufl. 520); D: von 137 auf 238 (6. Aufl. 200); E: von 100 auf 202 (6.
Aufl. 160); F: von 236 auf 454 (6. Aufl. 329). Diese Vermehrung ist in
gleicher Weise auch bei den übrigen Buchstaben angestrebt worden.



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.


Wörterbuch-Bibliothek.

  =Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.= Von +Friedrich
  Kluge+, Professor an der Universität Freiburg i. Br. Siebente
  verbesserte und vermehrte Auflage. Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geh. ℳ
  9.--, in Leinw. geb. ℳ 10.20, in Halbfranz geb. ℳ 11.--

  =Deutsches Fremdwörterbuch.= Von +Hans Schulz+, Privatdozent an
  der Universität Freiburg i. Br. 1.-4. Lieferung: A-Kampagne.
  Subskriptionspreis für die Lieferung ℳ 1.50. Das Werk wird etwa 10
  Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8°. umfassen.

  =Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache.= ~Auf geschichtlichen
  Grundlagen. Mit einer systematischen Einleitung. Von _Alfred
  Schirmer_. Lex. 8°. LI, 218 S. 1911.~

  Geh. ℳ 6.50, geb. ℳ 7.50

  =Die deutsche Druckersprache.= Von ~Dr.~ +Heinrich Klenz+. 8°. XV,
  128 S. 1900. Geh. ℳ 2.50, geb. ℳ 3.50

  =Schlagwörterbuch.= Von +Otto Ladendorf+. 8°. XXIV, 365 S. 1906. Geh.
  ℳ 6.--, in Leinwand geb. ℳ 7.--

  =Pennälersprache.= Entwicklung, Wortschatz und Wörterbuch. Von
  +Rudolf Eilenberger+. 8°. VIII, 68 S. 1910. Geh. ℳ 1.80, in Leinwand
  geb. ℳ 2.30

  =Schelten-Wörterbuch.= Die Berufs-, besonders Handwerkerschelten und
  Verwandtes. Von ~Dr.~ +Heinrich Klenz+. 8°. VIII, 159 S. 1910. Geh. ℳ
  4.--, geb. ℳ 5.--

  =Rotwelsch.= +Quellen und Wortschatz der Gaunersprache+ und der
  verwandten Geheimsprachen. Von +Friedrich Kluge+. I. Rotwelsches
  Quellenbuch. Gr. 8°. XVI, 495 S. 1901. ℳ 14.--



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


Allgemeine

Bücherkunde

zur neueren deutschen Literaturgeschichte

Von

Robert F. Arnold

a. o. Univ.-Prof., Kustos der k. k. Hofbibliothek in Wien.

8°. XIX, 354 S. 1910.

Geheftet ℳ 8.--, in Leinwand geb. ℳ 9.--.

„~Dieses Werk gehört zu den Büchern, die wirklich einmal eine
vorhandene Lücke ausfüllen und den Bestand unserer Hilfsmittel um
ein höchst nützliches Glied erweitern. Aus der Praxis erwachsen, ist
es auch in besonderem Sinne praktisch gestaltet worden, zumal der
Verfasser reiche bibliothekarische Erfahrung mit literarhistorischer
Kritik aufs glücklichste vereinigte ... Alles in allem erscheint der
Inhalt des Buches so wohlerwogen und so gewissenhaft überprüft, ist
die Anordnung und der Druck so klar und übersichtlich, daß es den
zu stellenden Anforderungen aufs beste entspricht ... Und wenn der
Verfasser die mühevolle Arbeit mit einem Seufzer der Erleichterung
beschließt, so mag in das Bewußtsein trösten, durch sein schönes Buch
den Nachstrebenden wie den Fachgenossen einen guten Dienst geleistet zu
haben.~“

  _Dr. Otto Ladendorf in Zeitschr. f. d. dt. Unterricht, 24. Jahrg.,
    Heft 11._

„~Für das Gebiet der deutschen Literatur, den bevorzugten Tummelplatz
unserer Bibliophilen, liefert der bekannte, als Bibliograph der neueren
Theatergeschichte bewährte Wiener Literaturhistoriker und Bibliothekar
Arnold eine überaus nützliche Einführung, indem er streng gegliedert
die gesamte eingeschlagene Literatur vorführt. Das System ist praktisch
und zumal durch das ausführliche Register auch für Laien leicht
benutzbar. Für jedes Gebiet wird eine Art historischer Entwicklung
an der Hand der älteren Bücher und Zeitschriften gegeben; knappe,
sichere Urteile, Anweisungen für den Gebrauch von Sammelwerken und
Nachschlagebüchern gewähren namentlich dem Anfänger die nützlichste
Unterstützung~ ...“

  _Prof. Dr. G. Witkowski in der Zeitschr. f. Bücherfreunde,
    Januar-Heft 1911._



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


Die Renaissance

Historische Szenen

vom

Grafen Gobineau

Deutsch von Ludwig Schemann

Ausgabe letzter Hand mit den aus der Handschrift erstmalig übertragenen

Originaleinleitungen Gobineaus.

8°. LXXXV, 387 S. 1912.

Preis: Geheftet ℳ 4.--, geb. in Leinwand ℳ 5.--, in Ganzlederband ℳ
6.--.

~Der Wert und die Bedeutung der neuen Auflage wird besonders
dadurch erhöht, daß in ihr =zum ersten Male= und =allein in ihr
die Einleitungen, die Gobineau selbst zur Renaissance= geschrieben
hat, veröffentlicht werden. „Diese Einleitungen, deren Charakter
und Bedeutung auf den ersten Blick erhellt, bringen einerseits
eine Art =Vorgeschichte der Renaissance=, eine knappe, lichtvolle
kulturgeschichtliche Übersicht über das Mittelalter, als die
eigentliche Grundlage und Voraussetzung jener großen Zeit; anderseits
aber Einzelcharakteristiken von Personen und Ereignissen, welche
die des Hauptwerkes zum Teil zusammenfassen, zum Teil ergänzen
und durch neue Züge bereichern; endlich noch einzelne besondere
geschichtsphilosophische Ausblicke und Erörterungen. =Das Ganze bildet
eine schwungvolle Parallele=, die der Kulturhistoriker dem Dichter
geliefert hat.“~



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


_DAS GESAMTE GEBIET DER NATURWISSENSCHAFTEN IN ZEHN BÄNDCHEN._

Chemie -- Physik -- Astronomie -- Physikalische Geographie -- Geologie
-- Tierkunde -- Botanik -- Mineralogie -- Physiologie -- Allgemeine
Einführung in die Naturwissenschaften

~vereinigt die bekannte von bedeutenden Gelehrten verfaßte
Sammlung~

Naturwissenschaftliche Elementarbücher.

~Ihren durchschlagenden Erfolg haben die Bändchen dieser Serie dem
Umstand zu danken, daß hier zum erstenmal die Wissenschaft durch ihre
allerersten Vertreter dem Elementar-Unterricht direkt dienstbar gemacht
ist; sie wollen „die Schuljugend zur Beobachtung, zum Nachdenken über
die alltäglichen Erscheinungen der Außenwelt anleiten und sie so mit
der Natur, in der wir wurzeln, vertraut machen. Nie zuvor sind unserer
Schule so gediegene Hilfsmittel dargeboten worden, in denen unter
der einfachsten und verständlichsten, zugleich das Gemüt erfreuenden
Einkleidung die Resultate der Wissenschaften durchblicken“. -- Die
schöne klare Sprache machen die Bändchen auch in hervorragendem Maße
zum Selbststudium und ersten Einführung gut geeignet.~

~+Gute Ausstattung+ (klarer Druck, weißes starkes Papier). --
+Zahlreiche gute Abbildungen.+~ --

  ~Preis pro Bändchen~:       ~in Schulband~ ℳ --.80,
                  ~in gediegenem Leinenband~ ℳ 1.--.
  _Die ganze Serie zusammen_: _in Schulband_ ℳ 8.--,
    _gebunden in Leinen in elegantem Karton_ ℳ 10.--.



~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~


~Kurzes Lehrbuch der~

~Physikalischen Geographie~

~von~

~A. Geikie~

~Professor an der Universität Edinburg.~

~Autorisierte Deutsche Ausgabe~

~von~

~Prof. Dr. Bruno Weigand.~

~Mit einer Einführung von Prof. Dr. Erich von Drygalski.~

~Zweite verbesserte und vermehrte Auflage.~

~Mit 77 Holzschnitten, 5 Vollbildern und 13 Karten.~

~8°. X, 386 S. 1908.~

~Geheftet ℳ 4.50, in Leinwand gebunden ℳ 5.20.~

~+Inhalt+: 1. Die Erde als Planet. -- 2. Die Luft. -- 3. Das
Meer. -- 4. Das Festland. -- 5. Das Leben.~

„... ~Wer die kleine „physikalische Geographie“ und „Geologie“
Geikies kennt, die als Nr. 4 und 5 der „Naturwissenschaftlichen
Elementarbücher“ (im selben Verlage) erschienen sind, der wird mit
großer Spannung an Geikies Lehrbuch herantreten. Und diese wächst mit
der Lektüre jeder Seite. Denn es spricht ein Meister und ein Künstler
der Sprache zu uns. Da ist alles knapp, einfach, klar und präzise
ausgedrückt ...~“

  _Blätter für die Fortbildung des Lehrers und der Lehrerin 1908,
  Heft 23._

„... ~In seiner Klarheit, Allseitigkeit, strengen Begründung und
doch leichten Faßlichkeit ist das Buch dem Lehrer das beste Werk zum
Selbststudium, dem Unterricht ein treffliches Hilfsmittel und der
reifen Jugend eine anregende Lektüre.~“

  _Bayerische Lehrerzeitung 1908, Heft 41._



Fußnoten:

[1] Die Bezeichnungen starke und schwache Deklination sind ebenso wie
das Wort Umlaut von Jakob Grimm gebildet.

[2] Einige Wörter, wie +Auge+, +Bett+ u. a., werden in der Einzahl
stark, in der Mehrzahl schwach dekliniert. Diese faßt man als gemischte
Deklination zusammen.

[3] Mit Ausnahme von +Friede+ und +Gedanke+, die im Mittelhochdeutschen
(~vride~, ~gedanc~) zur starken Deklination gehörten.

[4] Auch der Nominativ +Felsen+ neben +Fels+ ist auf diese Weise
entstanden; das Wort gehört ursprünglich der starken Deklination an,
daher ist gegen die Dativ- und Akkusativform +Fels+ (+Vom Fels+ zum
Meer) nichts einzuwenden.

[5] Etwas andres ist es in Fällen, wo die falsche Form die alte,
richtige aus dem Sprachbewußtsein schon ganz verdrängt hat, wie bei
+Braten+, +Hopfen+, +Kuchen+, +Rücken+, +Schinken+ u. a., die im
Mittelhochdeutschen noch ~brate~, ~hopfe~ usw. hießen.

[6] Der Apostroph sollte nur da angewandt werden, wo er eine
Verwechslung verhüten kann, z. B. zwischen dem Präsens +rauscht+ und
dem Imperfektum +rauscht’+ (Das Wasser +rauscht’+, das Wasser schwoll),
oder zwischen der Einzahl +Berg+ und der Mehrzahl +Berg’+ (über +Berg’+
und Täler). Hier bedeutet er wirklich etwas, und hier kann man ihn bei
gutem Vorlesen sogar -- hören!

[7] Diese schwache oder aus schwacher und starker gemischte Deklination
der Eigennamen war früher noch viel weiter verbreitet. Nicht bloß
+Schwarz+ und +Schütz+ wurden dekliniert +Schwarzens+, +Schwarzen+,
+Schützens+, +Schützen+, weshalb man aus den ~casus obliqui~ nie
entnehmen kann, ob sich der Mann +Schwarz+ oder +Schwarze+ nannte;
auch von +Christ+, +Weck+, +Frank+, +Fritsch+ bildete man +Christens+,
+Christen+, +Weckens+, +Wecken+, +Frankens+, +Franken+, +Fritschens+,
+Fritschen+ (Leipzig, bei Thomas Fritschen). Daher findet man in
antiquarischen Katalogen Christs Buch „Anzeige und Auslegung der
~Monogrammatum~“ meist unter dem falschen Namen +Christen+, Wecks
Beschreibung von Dresden meist unter dem falschen Namen +Wecken+
aufgeführt; auf den Titelblättern steht wirklich: +von Christen+, +von
Wecken+. Die berühmte Leipziger Gelehrtenfamilie der +Mencke+, aus der
Bismarcks Mutter abstammte, war durch ihre ~casus obliqui~ so irre
geworden, daß sie schließlich selber nicht mehr wußte, wie sie hieß;
deutsch schrieben sie sich +Mencke+, aber latinisiert ~Menckenius~.
Aber auch bei solchen Genitiven auf +ens+ richtet der Apostroph oft
Unheil an. An +Stieglitzens+ Hof am Markt in Leipzig steht über dem
Eingang in goldner Schrift: +Stieglitzen’s+ Hof -- als ob der Erbauer
+Stieglitzen+ geheißen hätte. Und welche Überraschung, wenn einem
der Buchbinder auf einen schönen Halbfranzband gedruckt hat: Hans
+Sachsen’s+ Dichtungen!

[8] Wie lange soll übrigens noch in der deutschen Schrift der Zopf
der römischen Ziffern weitergeschleppt werden? Warum druckt man
nicht +Heinrichs 8.+, +Ludwigs XIV.+? Auch in andern Fällen werden
die römischen Ziffern ganz unnötigerweise verwandt. Warum nicht
das +12. Armeekorps+, warum immer das +XII. Armeekorps+? Fast alle
unsre Historiker scheinen zu glauben, es klinge gelehrter, wenn sie
schreiben: im +XVIII. Jahrhundert+. Eigentlich sollte man im Druck
überhaupt Ziffern nur für das Datum und für rechnungsmäßige, z. B.
statistische, finanzielle, astronomische Angaben verwenden, also nicht
drucken: Unser Leben währet 70 Jahre. Vornehme Druckereien haben sich
auch früher so etwas nie erlaubt. Von den Zifferblättern unsrer Uhren
verschwinden erfreulicherweise die römischen Ziffern immer mehr.

[9] Daher schreibt man auch auf Büchertiteln: +Von Pfarrer+ Hansjakob,
+von Prof.+ A. Schneider (statt +von dem+ Professor), wo bloß der Titel
gemeint ist.

[10] Geschmacklos ist es, vor derartige Appositionen, wo sie wirklich
den Beruf, das Amt, die Tätigkeit bedeuten, noch das Wort +Herr+ zu
setzen: der +Herr Reichskanzler+, der +Herr Erste(!) Staatsanwalt+,
der +Herr Bürgermeister+, der +Herr Stadtverordnete+, der +Herr
Vorsitzende+, der +Herr Direktor+, der +Herr Lehrer+ (die +Herren
Lehrer+ sind während der Unterrichtsstunden nicht zu sprechen),
der +Herr Königliche Oberförster+, der +Herr Organist+, der +Herr
Hilfsgeistliche+, sogar der +Herr Aufseher+, der +Herr Expedient+,
die +Herren Beamten+ usw. Wenn das +Herr+ durchaus zur Erhöhung der
Würde dabeistehen soll, so gehört es unmittelbar vor den Namen:
der +Abgeordnete Herr Götz+, der +Organist Herr Schneider+, der
+Hilfsgeistliche Herr Richter+ usw. Fühlt man denn aber nicht, daß +der
Reichskanzler+, +der Bürgermeister+ und +der Direktor+ viel vornehmere
Leute sind als der +Herr Reichskanzler+, der +Herr Bürgermeister+
und der +Herr Direktor+? Wie vornehm klangen die Theaterzettel der
Meininger, wie lächerlich klingt eine Liste der Prediger des nächsten
Sonntags, wenn sie alle vom Superintendenten bis herab zum letzten
Kandidaten als +Herren+ aufgeführt sind! Das allerlächerlichste sind
wohl die +Herren Mitglieder+. Wie heißt denn davon die Einzahl? +der+
Herr Mitglied? oder +das+ Herr Mitglied?

[11] Obwohl sich schon im fünfzehnten Jahrhundert in Urkunden findet:
das Haus, das +Peter von Dubins+ (Peters von Düben) oder das +Nickel
von Pirnes+ (Nickels von Pirne) gewest, als das Gefühl für den
Ortsnamen noch viel lebendiger war als bei unsern heutigen Adelsnamen.

[12] In München und in Wien +fahrt+ man in +Wägen+! Die +Nägel+, die
+Gärten+ u. a. sind freilich schon längst durchgedrungen, während es im
sechzehnten Jahrhundert noch hieß: +die Nagel+, +die Garten+.

[13] Ausgenommen sind nur +Mutter+ und +Tochter+, die zur starken,
und +Bauer+, +Vetter+ und +Gevatter, die zur gemischten Deklination
gehören. In der Sprache der Technik aber, wo +Mutter+ mehrfach im
übertragnen Sinne gebraucht wird, bildet man unbedenklich die +Muttern+
(die +Schraubenmuttern+).

[14] Vereinzelt ist auch in Fachkreisen die alte Form lebendig
geblieben. Der Leipziger Zimmermann sagt noch heute: +die Bret+, +die
Fach+, nicht +die Bretter+, +die Fächer+.

[15] Als die +Schlösser+ aufkamen, müssen Menschen von feinerem
Sprachgefühl etwa dasselbe gefühlt haben, was man heute fühlen würde,
wenn jemand von +Rössern+ reden wollte.

[16] Faß e mal das Ding an den Dingern hier an, daß die Dinger drinne
nich gedrückt werden. D. h. fasse den Korb an den Henkeln hier an, daß
die Hüte drin nicht gedrückt werden.

[17] Auch bei +Lohn+ sind seit alter Zeit beide Geschlechter üblich:
aber auch hier hat das Neutrum jetzt einen niedrigen Beigeschmack.
Dienstmädchen verlangen +hohes Lohn+, Gesellen +höheres Macherlohn+
oder +Arbeitslohn+; aber jede gute Tat hat +ihren+ schönsten +Lohn+ in
sich selbst.

[18] Wenn ein Hauptwort in seinem Geschlecht schwankt, so hat das
Neutrum nicht selten etwas gemeines. Es hängt das damit zusammen, daß
nicht bloß der ungebildete Fremde, der des Deutschen nicht mächtig
ist, alle deutschen Hauptwörter im Zweifelfalle sächlich behandelt
(+das Bruder+, +das Offizier+, +das Kutscher+), sondern auch der
ungebildete Deutsche ebenso mit Fremdwörtern verfährt. Man denke nur an
die unausstehlichen Neutra unsrer Handlungsreisenden, Ladendiener, und
Ladenmädchen: +das Firma+, +das Fasson+, +das Etikett+, +das Offert+,
+das Makulatur+! Das neueste ist +das Meter+, das die Handlungsdiener
und Ladenmädchen doch wahrhaftig nicht dem griechischen μέτρον zuliebe
plötzlich als Neutrum behandeln!

[19] Vielleicht ist es dort über die Niederlande aus dem Französischen
eingedrungen; dann würde es schließlich auch auf die romanische Quelle
zurückgehen.

[20] Von Wörtern weiblichen Geschlechts wird immer der Plural gebildet:
+zwei Mandeln+ Eier, +drei Ellen+ Band, +sechs Flaschen+ Wein, +zehn
Klaftern+ Holz, +vier Wochen+ alt.

[21] Wenn aber ein Antiquar in einem Katalog von einem wertvollen alten
Druck sagt: +Sechs Blatt+ sind stockfleckig, so ist das natürlich
falsch.

[22] Genau genommen wird freilich auch nicht +vereiteln+, +verändern+
gesprochen, sondern +vereitln, verändrn+, l und r werden gleichsam
vokalisiert. Aber gemeint ist doch mit dieser Aussprache +eln+, +ern+,
nicht +len+, +ren+. Eigentlich gehören auch noch die Wortstämme auf
+en+ hierher, wie +rechen+, +zeichen+, +orden+, +offen+, +eben+,
+eigen+, +regen+ (vgl. +Rechenschaft+, +Eigentum+, +Offenbarung+).
Die Infinitive können da natürlich nur +rechnen+, +ordnen+, +eignen+
lauten; die flektierten Formen aber, die wir jetzt leider allgemein
+zeichnet+, +zeichnete+, +öffnete+, +gerechnet+, +geordnet+, +geeignet+
schreiben, lauteten im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert noch
überall schöner: +zeichent+, +gerechent+, +geordent+, +geeigent+.
Der Volksmund spricht auch heute noch so, selbst der Gebildete sagt
-- er mag sich nur richtig beobachten --: +es regent+, es +regente+,
es hat +geregent+ (genau genommen freilich auch hier wieder +regnt+,
+geregnt+, mit vokalisiertem n). Nur wer sich ziert, wer „wie
gedruckt“ redet, sagt: +ausgezeichnet+! +Net+, womöglich +nett+! Man
muß ja förmlich eine Pause machen und Kraft sammeln, um das +net+
herauszubringen! Unsre besten und hervorragendsten Zeitschriften
brauchten nur einmal die vernünftigen Formen +zeichent+, +öffent+,
+zeichente+, +öffente+, +gezeichent+, +geöffent+ eine Reihe von Jahren
beharrlich drucken zu lassen, so wären sie wieder durchgedrückt. In
+atmen+ (Stamm +atem+) hat natürlich das Stamm-e ausgeworfen werden
müssen, weil +atemn+ niemand sprechen kann; für +atmet+ hört man aber
im Volksmunde auch oft genug +atent+, wie denn auch schon in der ältern
Sprache +Aten+ neben +Atem+ erscheint, (und wie auch ~bodem~, ~gadem~,
~besem~, ~busem~ zu +Boden+, +Gaden+, +Besen+, +Busen+ geworden sind).

[23] Auch wenn ein Schriftsteller die schönen, kräftig klingenden
Formen geschrieben hat, werden ihm in den Druckereien stets die
garstigen weichlichen Formen oder gar die Formen mit zwei e daraus
gemacht, die gar niemand spricht (+anderen+, +unseren+). Die
Schriftsteller sollten sich das nur ernstlich verbitten, dann würde dem
Schlendrian schon ein Ende gemacht werden. Zu Schillers und Goethes
Zeit waren in allen Druckereien noch die Formen mit vollem Wortstamm
das selbstverständliche.

[24] Früher hat man freilich auch so gesagt. Im siebzehnten
Jahrhundert: nach +gepflogner reifen+ Beratschlagung; Lessing: aus
+eigner sorgfältigen+ Lesung.

[25] Das vernünftigste wäre natürlich, man setzte den Artikel und
sagte: +Verein der Berliner Künstler+. Es brauchten doch deshalb nicht
alle dabei zu sein. Wer nicht mittun will, läßts bleiben.

[26] Der Fehler ist, wie die ganze Phrase und wie so vieles andre heute
in unsrer Sprache, eine Nachäfferei des Englischen. Im Englischen wird
~on board~ mit dem Akkusativ verbunden (~to go on board a ship~ -- ~on
board Her Majesty’s ship Albert~). Aber was geht das uns an?

[27] Beim Dichter läßt man sich gefallen: drum komme, wem der Mai
gefällt, und freue sich der schönen Welt und +Gottes Vatergüte+ (statt
+der Vatergüte Gottes+).

[28] Völlig unsinnig ist natürlich: es gibt kein +leicht
verdaulicheres+ Mehl als Rademanns Kindermehl.

[29] Aus diesen Genitiven sind dann, indem man sie als Nominative
auffaßte (+mein+ wie +klein+) und nun aufs neue deklinierte, die
besitzanzeigenden Eigenschaftswörter +mein+, +dein+, +sein+, +unser+,
+euer+, +ihr+ entstanden. Früher nahm man an, daß auch in den
Anfangsworten des +Vaterunsers+ das +unser+ der nachgestellte Genitiv
von +wir+ sei (nach dem griechischen πάτερ ἡμῶν). Wahrscheinlicher
ist, daß es hier doch das besitzanzeigende Eigenschaftswort ist (nach
dem lateinischen ~Pater noster~), das in der ältern Sprache auch
nachgestellt werden konnte (in der gotischen Bibelübersetzung: ~atta
unsar~).

[30] Genitiv und Dativ von +Eure Majestät+, +Eure Exzellenz+ heißen
natürlich +Eurer Majestät+, +Eurer Exzellenz+. Völliger Unsinn aber
ist, was man darnach gebildet hat: +Eurer Hochwohlgeboren+!

[31] Das Dativ-m hat Ungebildeten immer großen Respekt eingeflößt.
Schrieb und druckte man doch sogar im achtzehnten Jahrhundert in
Leipzig: der Gasthof +zum drei Schwanen+, der Riß +zum Schlachthöfen+.
Man meinte natürlich +zun+ d. i. +zu den+, getraute sich das aber nicht
zu schreiben.

[32] Leute, die altertümlich schreiben möchten, z. B. Verfasser
historischer Romane oder Schauspiele, greifen gern zu +zween+ und
+zwo+, haben aber gewöhnlich keine Ahnung von dem Unterschied der
Geschlechter und machen sich deshalb lächerlich. Darum wohl gemerkt:
+zween+ war männlich, +zwo+ weiblich, +zwei+ sächlich.

[33] Auch diese Ausdrücke stammen von Jakob Grimm.

[34] Andre wollen es auf das Rädern, die Tätigkeit des Henkers,
zurückführen.

[35] Das Niederdeutsche hat auch +jug+ gebildet von +jagen+. Doch wird
ein Unterschied gemacht. Bismarcks Vater brauchte +jagte+ von der Jagd,
+jug+ von schneller Bewegung, z. B. schnellem Fahren. In Hannover sagt
der gemeine Mann: ehe der Polizist die Nummer merken konnte, +jug+ der
Bengel um die Ecke.

[36] Viel zu ihrer Verbreitung haben wohl Scheffel und Freytag
beigetragen, die sie beide sehr lieben.

[37] Die Grenzboten veröffentlichten 1882 ein hübsches Sonett aus
Süddeutschland, das sich über das Vordringen der falschen Formen lustig
machte. Es begann mit der Strophe:

    Ich +frug+ mich manchmal in den letzten Tagen:
    Woher stammt wohl die edle Form: er +frug+?
    Wer war der Kühne, der zuerst sie +wug+?
    So +frug+ ich mich, so hab ich mich +gefragen+.

Eine Anzahl von Zeitungen brachte dann elende Gegensonette, aus denen
nichts weiter hervorging, als daß die Verfasser keine Ahnung von den
Anfangsgründen der deutschen Grammatik hatten, und daß ihnen die
falschen Formen schon so in Fleisch und Blut übergegangen waren, daß
sie für das Richtige alles Gefühl verloren hatten.

[38] Wenn freilich Kindern, die im Elternhause noch richtig +fragt+ und
fragte gelernt haben, in der Schule das dumme +frug+ in die Arbeiten
hinein„korrigiert“ wird, dann ist nichts zu hoffen.

[39] Als eine Merkwürdigkeit mag erwähnt sein, daß die Leipziger
Buchbinder sagen: das Buch wird bloß +geheftet+, dagegen die Leipziger
Schneider: der Ärmel ist erst +gehoften+.

[40] Diese Unterscheidung sitzt im Sprachgefühl so fest, daß mir
sogar ein vierjähriges Kind auf meine bedauernde Frage: Du bist wohl
gefallen? seelenvergnügt erwiderte: Ich bin nich gefallen, ich +hab
gehuppt+.

[41] Bei +brauchen+ darf natürlich +zu+ beim Infinitiv nicht fehlen.
Das hättest du ja nicht +sagen brauchen+ -- ist Gassendeutsch.

[42] Ebenso bei +bleiben+ und +haben+: er ist +sitzen geblieben+
(eigentlich: +sitzend+) -- ich +habe+ tausend Mark auf dem Hause
+stehen+ (eigentlich: +stehend+) -- hat keiner einen Bleistift
+einstecken+? (eigentlich: +einsteckend+). In der ältern Zeit schrieb
man sogar: ein Büchlein, das man in Kirchen +gebrauchen ist+ (statt
+gebrauchend+) -- wir +sind+ euch dafür +danken+ (statt +dankend+).

[43] +Apotheker+ und, was man im Volke auch hören kann, +Bibliotheker+
ist anders entstanden, es ist verstümmelt aus ~apothecarius~ und
~biliothecarius~. +Attentäter+ wurde anfangs nur als schlechter Witz
gebildet (es hätte auch +Täter+ genügt); aber törichte Zeitungschreiber
haben es dann in vollem Ernst nachgebraucht.

[44] +Kreidezeichnung+, +Höhepunkt+ und +Blütezeit+ haben wir ja
schon längst, und doch wurden auch sie anfangs richtig gebildet:
+Kreidenstrich+, +Höhenpunkt+, +Blütenzeit+.

[45] Ein Jammer ist es, auf Weinkarten und Weinflaschen jetzt
+Liebfraumilch+ lesen zu müssen! Wahrscheinlich zur Entschädigung dafür
schmuggelt man dann das +en+ in den +Niersteiner+ ein und nennt ihn --
höchst verdächtig! -- +Nierensteiner+ (Nierstein ist nach dem Kaiser
Nero genannt). +Visitekarte+, +Manschetteknopf+, +Toiletteseife+ soll
vielleicht +Visittkarte+, +Manschettknopf+, +Toilettseife+ gesprochen
werden -- gehört habe ichs noch nicht, man siehts ja immer nur
gedruckt; aber wozu die französische Aussprache?

[46] Freilich finden sich auch solche Zusammenleimungen schon früh.
Schon im fünfzehnten Jahrhundert kommt in Leipziger Urkunden die
+Parthenmühle+ als ~Pardemöl~ vor. Im Harz spricht man allgemein und
wohl schon lange vom +Bodetal+ und vom +Ilsetal+.

[47] Ähnlich verhält sichs mit dem neuen Modewort +Anhaltspunkt+.
Früher sagte man: ich finde keinen +Anhaltepunkt+, d. h. keinen Punkt,
wo ich mich anhalten könnte (vgl. +Siedepunkt+, +Gefrierpunkt+).
Daneben hatte man in demselben Sinne das Substantiv +Anhalt+; man
sagte: dafür fehlt es mir an jedem +Anhalt+. Aus beiden aber nun einen
+Anhaltspunkt+ zu bilden, war doch wirklich überflüssig. Wahrscheinlich
hat man geglaubt, damit einen feinen Unterschied zu schaffen zu den
+Anhaltepunkten+ auf den Eisenbahnen. Als ob +Anhaltepunkt+ nicht
ebensogut die Stelle bedeuten könnte, wo man +sich anhält+, wie die, wo
man +anhält+!

[48] In Leipzig hält man sich ein +Kindermädchen+, auch wenn man nur
ein Kind hat, in Wien eine +Kinds+magd, auch wenn man +sechs+ Kinder
hat.

[49] Wofür man in Süddeutschland auch +Wartsaal+, +Singstunde+ sagt,
wie neben +Bindemittel+ auch +Bindfaden+ steht. +Schreibpapier+ und
+Schreibpult+ spricht sich schwer aus, weil b und p zusammentreffen;
man hört immer nur: +Schreipapier+. Darum ist wohl +Schreibepapier+
vorzuziehen.

[50] Jean Paul hat schon 1817 einmal den Versuch gemacht, diese
s-Krätze, wie er es nannte, zu bekämpfen, merzte auch aus einer
neuen Auflage seines Siebenkäs alle falschen s aus. Es ist aber
vergeblich gewesen. Und ebenso vergeblich wird es sein, daß es jetzt
der Herausgeber der in Berlin erscheinenden Wochenschrift Die Zukunft
wieder versucht. Die Mitarbeiter sollten sich das einfach verbitten.

[51] Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt die greulichen Zusammensetzungen
nicht.

[52] Unter den Hunderten mit Liebe gebildeten Zusammensetzungen haben
nur wenige das s nicht: +liebreich+, +liebevoll+, +liebeglühend+,
+liebetrunken+, +liebedienerisch+, +Liebedienerei+, einige wohl
deshalb, weil hier mehr ein dativisches Verhältnis gefühlt wird.

[53] Wie man auch das Haus eines Mannes, der +Plank+ hieß, das
+Plänkische Haus+ nannte, die Mühle in dem Dorfe +Wahren+ die
+Währische Mühle+.

[54] Daneben freilich auch schon vom +Manesse-Kodex+! Es wird immer
besser. Vielleicht wird nächstens auch noch der +Farnesische Herkules+
in einen +Farnese’schen+ verwandelt, und der +Borghesische+ Fechter in
einen +Borghese’schen+.

[55] Auch die guten Pfefferkuchen, die +Aachner Printen+, sollen
früher in Aachen selbst +Aacher Printen+ geheißen haben. In vielen
ursprünglich undeutschen (lateinischen, slawischen) Ortsnamen gehört
das n zum Stamm; die bilden dann natürlich richtig Bozner, Dresdner,
Meißner, Posner usw. Aber die guten +Gießer+ hätten sich keine
+Gießener Neuesten Nachrichten+ aufnötigen zu lassen brauchen.

[56] Woraus die Kunsthistoriker „Hans Baldung, genannt Grien“, gemacht
haben.

[57] Freilich sind Formen wie +Jenaer+ und +Geraer+ auch nicht
besonders schön, so wenig wie die in Sachsen in der Schriftsprache
beliebten Adjektivbildungen auf +aisch+: +Grimmaisch+, +Tauchaisch+,
+Bornaisch+, +Pirnaisch+. In diesen Bildungen ist eine deutsche Endung
an eine ganz unvolkstümliche, künstlich gemachte lateinische Endung
gehängt. Der Volksmund kennt noch heutigestags nur die Städte +Grimme+,
+Tauche+, +Borne+, +Pirne+ und so auch nur die Adjektivbildungen
+Grimmisch+, +Tauchisch+, +Bornisch+, +Pirnisch+, und es wäre zu
wünschen, daß sich die amtliche Schreibung dem wieder anschlösse. So
gut wie sich zu irgendeiner Zeit das Falsche amtlich hat einführen
lassen, ließe sich doch auch das Richtige amtlich wieder einführen.
Man pflegt jetzt eifrig die „Volkskunde“, sucht überall die Reste
volkstümlicher alter Sitten und Gebräuche zu retten und zu erhalten.
Gehört dazu nicht vor allem die Sprache des Volks?

[58] Der Unsinn geht so weit, daß man sogar feststehende formelhafte
Verbindungen, wie: eine +offne Frage+, ein +zweifelhaftes Lob+, ein
+frommer Wunsch+, +blinder Lärm+, auseinanderreißt, das Prädikat zum
Subjekt macht und schreibt: +die Frage+, ob das Werk fortgesetzt werden
sollte, war lange Zeit +eine offne+ -- +dieses Lob+ ist doch +ein sehr
zweifelhaftes+ -- +dieser Wunsch+ wird wohl ewig +ein frommer+ (!)
bleiben -- +der Lärm+ war zum Glück nur +ein blinder+ (!).

[59] Vgl. ein +Schock frische+ Eier -- ein +Dutzend neue+ Hemden --
eine +Flasche guter+ Wein -- mit +ein paar guten+ Freunden -- mit ein
+bißchen fremdländischem+ Sprachflitter.

[60] Den Inhalt eines Dramas kurz anzugeben, gehört zu den beliebtesten
Aufgaben für deutsche Aufsätze in den oberen Gymnasialklassen. Es ist
auch wirklich eine Aufgabe, bei der viel gelernt werden kann. Wie
viel ärgerliche Korrektur aber könnte sich der Lehrer ersparen, wenn
er bei der Vorbesprechung immer auch diese Tempusfrage mit den Jungen
gründlich erörterte!

[61] Nur in Süddeutschland und Österreich wird +welcher+ auch
gesprochen, aber immer nur von Leuten, die sich „gebildet“ ausdrücken
möchten. In deren falschem, halbgebildetem Hochdeutsch -- da grassiert
es. In Wien und München, dort sagen es nicht bloß die Professoren
in Gesellschaft, sondern auch schon die Droschkenkutscher, wenn sie
zusammengekommen sind, um zu einem neuen Tarif „Stellung zu nehmen“.
Ja sogar der norddeutsche Professor spricht, wenn er nach Wien berufen
worden ist, nach einigen Jahren „bloß mehr“ +welcher+. In Mittel- und
Norddeutschland aber spricht es niemand.

[62] Um +welcher+ zu verteidigen, hat man neuerdings ausgezählt, wie
oft es unsre klassischen Schriftsteller schreiben, und hat gefunden,
daß sie es -- sehr oft schreiben. Aber was wird damit bewiesen? Doch
weiter nichts, als daß auch unsre klassischen Schriftsteller von
Kindesbeinen an im Banne der Papiersprache gestanden haben. Das braucht
aber nicht erst bewiesen zu werden, das wissen wir längst.

[63] Wenn man nicht +der der+ oder +die die+ schreiben dürfte, dann
dürfte man auch nicht schreiben: +an an+drer Stelle, +ein ein+zigesmal,
+bei bei+den Gelegenheiten, +mit mit+leidiger Miene. Sehr oft entsteht
übrigens die so gefürchtete Doppelung nur durch falsche Wortstellung:
ein persönliches oder reflexives Fürwort, das zwischen die beiden +der+
oder +die+ oder +das+ gehört, wird verschoben und erst beim Verbum
nachgebracht: +alle+ Änderungen, +die die+ Schule +sich+ hat gefallen
lassen -- die Grundsätze, an +die die+ Revision +sich+ gebunden hat --
die Aufgaben, +die die+ wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zeit +uns+
stellen. Man bringe das persönliche Fürwort an die richtige Stelle, und
das Gespenst ist verschwunden: alle Änderungen, +die sich die+ Schule
hat gefallen lassen.

[64] Hier ist eine Apposition, die vor dem Relativpronomen stehen
müßte, in den Relativsatz versetzt. Das ist vollends undeutsch, es ist
ganz dem Lateinischen nachgeahmt.

[65] Nicht zu verwechseln hiermit ist natürlich ein Fall wie folgender:
+eine+ der größten +Schwierigkeiten+ für das Verständnis unsrer
Vorzeit, +die+ meist gar nicht gewürdigt +wird+. Hier muß es +wird+
heißen, denn hier bezieht sich der Relativsatz wirklich auf +eine+; der
Sinn ist: und zwar +eine+, +die+ meist gar nicht gewürdigt wird.

[66] +Habe+ wäre ja ein Eingeständnis, daß der Vorwurf berechtigt
sei, denn es kann eben nur als Indikativ gefühlt werden. Manchen
Süddeutschen will das nicht in den Kopf, weil sie (in Schwaben) den
dialektischen Konjunktiv des Präsens haben: +ich häbe+, +wir häben+,
+sie häben+ und daher den Konjunktiv +ich habe+, +wir haben+, +sie
haben+, wo sie ihn gedruckt sehen, unwillkürlich als +häbe+ verstehen
und vielleicht auch so -- aussprechen. Die mögen dann nichts davon
wissen, +habe+ durch +hätte+ zu ersetzen, und behaupten, sie könnten
+hätte+ nur als Konditional fühlen. Mag sein. Wir in Mittel- und
Norddeutschland fühlen eben anders.

[67] Im Konjunktiv Futuri von +werden+ zu +würden+ auszuweichen ist
freilich nicht möglich, wenn der Hauptsatz im Präsens steht, weil dann
+würden+ als Konditional gefühlt werden würde, z. B. ein geschlagnes
Ministerium kann dem Herrscher raten, das Parlament aufzulösen, in
der Hoffnung, daß die Wähler eine seinen Ansichten günstige Mehrheit
von Abgeordneten entsenden +werden+. In solchen Fällen kann man sich
aber leicht dadurch helfen, daß man zum Singular greift: daß die
Wählerschaft entsenden +werde+.

[68] Der Volksmund liebt es, eine irreale Bedingung in der
Vergangenheit durch den -- Indikativ des Imperfekts auszudrücken:
wenn ich Geld +hatte+, +kam+ ich. Das klingt aber der Angabe einer
wiederholten Handlung in der Wirklichkeit (+jedesmal+, +wenn+ ich Geld
+hatte+, +kam+ ich) so ähnlich, daß man es in der guten Schriftsprache
besser vermeidet.

[69] Auch oft verkürzt, ohne Hauptsatz: daß ich +nicht wüßte+ --
+nicht+ daß es dem Vater an trefflichen Eigenschaften +gefehlt hätte+.

[70] In einem der schönsten Brahmsschen Lieder, Feldeinsamkeit, das
H. Allmers gedichtet hat, heißt es: die schönen, weißen Wolken ziehn
dahin -- durchs tiefe Blau wie schöne stille Träume; -- mir ist,
+als ob+ ich längst gestorben +bin+ (!) -- und +ziehe+ (!) selig
mit durch ewge Räume. Das bringt man doch beim Singen kaum über die
Lippen. -- Natürlich kann ein Vergleich auch als wirklich hingestellt
werden, z. B. hörten wir ein Geräusch, +wie wenn+ in regelmäßigen
Zwischenräumen ein großer Wassertropfen auf ein Brett +fällt+, d. h.
wie man es hört, +wenn+ ein Wassertropfen +fällt+ (Schiller im Taucher:
+wie wenn+ Wasser mit Feuer +sich mengt+). Hier ist selbstverständlich
der Indikativ am Platze.

[71] In der älteren Zeit ist auch der Zweck, die Absicht durch das
bloße +zu+ ausgedrückt worden; die Ausdrucksweise mit +um zu+ ist die
jüngere.

[72] An ein Hauptwort kann ein Infinitivsatz mit +um zu+ niemals
angeschlossen werden, selbst nicht an einen substantivierten Infinitiv.
Wenn auf Konzertprogrammen steht: +Das Belegen+ der Plätze, +um+ solche
Späterkommenden +zu sichern+, ist streng untersagt -- so ist das ein
Schnitzer.

[73] Außerdem die partizipähnlichen passiven Formen: +zu hoffend+, +zu
fürchtend+, +anzuerkennend+, die durch Anhängen eines unorganischen d
aus dem Infinitiv mit +zu+ entstanden sind.

[74] Nur in einzelnen Fällen kann das passive Partizip die Gegenwart
bedeuten, z. B. das von mir +bewohnte+ Haus (d. i. das Haus, das von
mir +bewohnt wird+). Eine Anzeige also wie die folgende: die von dem
verstorbenen Rentier Sch. +bewohnte+ Wohnung ist zu Ostern anderweit zu
vermieten -- kann einem geradezu gruselig machen; hier muß es heißen:
die +bewohnt gewesene+.

[75] Zur Verzierung von Leipziger Wäschschränken wurde eine Zeit lang
mit Vorliebe der Spruch gestickt:

    +Geblüht+ im Sommerwinde,
    +Gebleicht+ auf grüner Au,
    Ruht still es nun im Spinde
    Zum Stolz der deutschen Frau.

+Gebleicht+ ist richtig; aber daß das +geblüht+ den Stolz der deutschen
Frau nicht verletzte, war zu verwundern.

[76] In Bibliotheksbekanntmachungen liest man gelegentlich
sogar von demnächst +stattzufindenden+ Revisionen, und in
Kunstausstellungsprogrammen von einer aus sechs Mitgliedern +zu
bestehenden+ Jury!

[77] Und auch in Mittel- und Norddeutschland spricht man von
+gestandnem Wasser+ (im Gegensatz zu frischem).

[78] Vor einiger Zeit hatte ich an mehrere hundert Personen eine
Zuschrift abzufassen, auf die ebenso viel hundert teils ablehnende,
teils zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte einen Schreiber
mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufenen Antworten. Als er
fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und auf der einen stand:
+abgelehnte Schreiben+, auf der andern: +angenommene Schreiben+. Ich
fragte ihn, was das heißen solle. Nun, das hier sagte er, sind die
Schreiben, die angenommen haben, und das hier die, die abgelehnt haben.

[79] Daher hat es ja seinen Namen. Partizipium kommt her von
~particeps~, d. h. Anteil habend; es ist davon genannt, daß es zugleich
am Verbum und am Nomen Anteil hat, zwischen beiden ein Mittelding ist.
Darum hat man es ja auch in der Volksschulgrammatik durch Mittelwort
übersetzt.

[80] +In Ermanglung+ ist mir immer so vorgekommen, als ob sichs einer
als schlechten Witz ausgedacht hätte, um den Aktenstil zu verhöhnen, um
zu probieren, ob es ihm wohl einer nachmachen würde.

[81] Übrigens fehlt es auch nicht an Beispielen, wo noch dazu das
Hauptwort auf +ung+ von einem Zeitwort gebildet ist, das den Dativ
regiert, also eigentlich gar keinen Objektsgenitiv zu sich nehmen
kann, wie: der Zinsfuß wird herabgesetzt +in Entsprechung+ eines
Gesuchs (vgl. S. 243). Eine Behörde schreibt: +In Begegnung von+
(!) an (!) andern Orten sich ereignet habenden (!) Vorgängen wird
hierdurch bekanntgemacht; das soll heißen: +um+ Vorgängen +zu begegnen+
(vorzubeugen), wie sie sich an andern Orten ereignet haben.

[82] In Leipzig empfiehlt man freilich auch +echt Madeirahandarbeiten+,
+echt Gose+ und +echt Bütten+ (nämlich +-papier+)!

[83] Manche Leute sind in diese Formen auf +er+ so vernarrt, daß sie
sie sogar von Wörtern bilden, die gar keine wirklichen Ortsnamen
sind. So redeten die Leipziger Förster früher vom +Rosentäler+, vom
+Kuhturmer+ und vom +Burgauer+ Revier, statt vom +Rosentalrevier+,
+Kuhturmrevier+, +Burgauenrevier+. Ob sies auch heute noch tun, weiß
ich nicht.

[84] Über die Bedeutung mancher von unsern Straßennamen herrscht
ohnehin in den Köpfen der Masse eine solche Unklarheit, daß man sie
nicht noch durch fehlerhafte Schreibung zu steigern braucht. Unter
den Straßen Leipzigs, die nach den Helden der Freiheitskriege genannt
sind, ist auch eine +Lützowstraße+, eine +Schenkendorfstraße+, eine
+Gneisenaustraße+. Was machen die Kinder daraus, die kleinen wie die
großen Kinder? Eine +Lützower Straße+, eine +Schenkendorfer Straße+,
eine +Gneisenauer Straße+! Wir haben ferner eine +Senefelderstraße+.
Auch die wird im Volksmunde als +Senefelder Straße+ verstanden.
Freilich gibt es bei Leipzig kein Senefeld, kein Schenkendorf, kein
Gneisenau, kein Lützow. Aber das Volk, namentlich das ewig zu- und
abfließende niedrige Volk, weiß doch von der Umgebung Leipzigs
ebensowenig etwas wie von dem Erfinder der Lithographie und den großen
Männern der Freiheitskriege. Wurde doch auch die +Fichtestraße+,
als sie neu war, sofort als +Fichtenstraße+ verstanden, und ein
unternehmender Schenkwirt eröffnete dort schleunigst ein „Restaurant
zur Fichte“!

[85] Als vor einigen Jahren die Firma August Scherl den Verlag des
Leipziger Adreßbuchs an sich gebracht hatte, beliebte es ihr, alle
Leipziger Straßennamen über einen Kamm zu scheren und sie alle
als zusammengesetzte Wörter drucken zu lassen: +Dresdnerstraße+,
+Grimmaischestraße+, +Hohestraße+ usw., obwohl in allen amtlichen
Veröffentlichungen und an allen Straßenecken zwischen zusammengesetzten
und nicht zusammensetzbaren Namen streng geschieden wird, auch das
frühere Adreßbuch dazwischen streng geschieden hatte. Zum Glück griff
sofort die Behörde ein und zwang den Verleger, vom nächsten Jahrgang an
die Namen wieder richtig zu drucken. Geschadet hat aber doch das böse
Beispiel ungeheuer. Der Verlag der bekannten Leipziger Illustrierten
Zeitung befindet sich noch heute auf +der Reudnitzerstraße+!

[86] Freilich findet sich auch schon in Leipziger Urkunden des
fünfzehnten Jahrhunderts: ~uf der nuwestrasse~ (auf der +Neuen Straße+).

[87] Auf der einen Seite schreiben sie: +Kaiser Park+, +Hôtel Eingang+,
hier werden +Kinder+ und +Damenschuhe+ gemacht, auf der andern Seite:
+Grüne-Waren+, +Täglich-frei-Konzert+ u. ähnl.

[88] Nachdem die +Sprachdummheiten+ erschienen waren, redeten auch
andre von +Sprachsünden+, +Sprachleben+, +Sprachgefühl+ usw. Wären
die +Sprachdummheiten+ nicht vorangegangen, so kann man sicher sein,
daß die andern von sprach+lichen+ Sünden, sprach+lichem+ Leben,
sprach+lichem+ Gefühl geredet hätten.

[89] Es handelt sich um Beobachtungen an dem noch ungebornen Kinde!

[90] Fühlt man denn gar nicht, daß bei der +silbernen+ und der +goldnen
Hochzeit+ das +silbern+ und +golden+ nur ein schönes Gleichnis ist,
wie beim +silbernen+ und +goldnen Zeitalter+? und daß dieses Gleichnis
durch +Silber+hochzeit sofort zerstört und die Vorstellung in plumper
Weise auf das Metall gelenkt wird, das dem Jubelpaar in Gestalt von
Bechern, Tafelaufsätzen u. dgl. winkt? Oder wollen wir in Zukunft
auch von der +Goldhochzeit+ und vom +Goldzeitalter+ reden? Wir reden
von einem +Bronzezeitalter+, aber in wie anderm Sinne! Daß schon
Goethe einmal das Wort +Silberhochzeit+ gebraucht -- in einem Brief
an Schiller nennt er Gedichte Wielands „Schoßkinder seines Alters,
Produkte einer Silberhochzeit“ --, auch Rückert einmal (in trochäischen
Versen, wo +silberne Hochzeit+ gar nicht unterzubringen gewesen wäre),
will gar nichts sagen.

[91] Darum gehört auch die Behandlung dieses Fehlers nicht, wie manche
wohl meinen könnten, in die Wortbildungslehre, sondern sie gehört in
die Satzlehre. Der Fehler liegt nicht in der Bildung der Adjektiva --
gebildet sind sie ja richtig --, sondern in ihrer falschen Anwendung.

[92] Zu welcher Geschmacklosigkeit sich manche Leute verirren vor
lauter Angst, mißverstanden zu werden, dafür noch ein Beispiel. Ein
Zeichenlehrer wollte einen Unterrichtskursus für Damen ankündigen. Aber
das Wort +Damen+ wollte er als Fremdwort nicht gebrauchen, +Frauen+
auch nicht, denn dann wären am Ende die Mädchen ausgeblieben, auf die
ers besonders abgesehen hatte, +Frauen und Mädchen+ aber auch nicht,
denn dann wären vielleicht Schulmädchen mitgekommen, die er nicht haben
wollte. Was kündigte er also an? Zeichenunterricht für +erwachsene
Personen weiblichen Geschlechts+!

[93] Auch sie hat es übrigens nicht immer gegeben. Noch im siebzehnten
Jahrhundert erteilte, wer mit seinem +halben Bruder+ im Streite lag,
einem Anwalt +volle Macht+, den Prozeß zu führen, noch 1820 wurde auf
der Leipziger Messe von +kurzen Waren+ gesprochen.

[94] Neuerdings hat man es durch +Uraufführung+ ersetzt, kein
glücklicher Ersatz.

[95] Daher Ortsnamen wie +Karlsruhe+, +Ludwigsburg+, +Wilhelmshaven+,
die ja nichts andres sind als +Karls Ruhe+ usw.

[96] Das Haarsträubendste, was auf diesem Gebiete geleistet worden
ist, sind wohl die Ausdrücke, die einem täglich in den Zeitungen
entgegenschreien: +Henckell Trocken+, +Kupferberg Gold+ u. ähnl. Als
vernünftiger Mensch möchte man sich doch hierbei gern etwas denken
und fragt: Was sind denn das für Waren: +Trocken+ und +Gold+? Es sind
gar keine Waren, die Bezeichnung der Ware fehlt hier ganz! Gemeint
ist +Henckellscher Schaumwein+, +Kupferbergscher Schaumwein+. Aber
keiner der beiden Fabrikanten sagt das, sondern der eine schreibt
statt der Ware eine Eigenschaft der Ware hin (~sec~, ~dry~), aber
mit großem Anfangsbuchstaben, sodaß sie jeder denkende Mensch für
die Bezeichnung der Ware selbst halten muß, der andre die Art der
Ausstattung, denn +Gold+ soll sich doch wohl auf die Farbe der Kapsel
beziehen? Die Sprache mancher afrikanischen Wilden ist gebildeter und
fortgeschrittner als solches Fabrikantendeutsch.

[97] Überhaupt kann man nicht, um eine nähere Bestimmung zu schaffen,
mechanisch alles mit allem zusammensetzen; es kommt doch sehr auf Sinn
und Bedeutung der beiden Glieder an. Bei +Gesellschaft+ und +Verein+
z. B. liegt der Gedanke an die Personen, die den Verein bilden, so
nahe, daß es mindestens etwas kühn erscheint, eine Anzahl Geldleute
eine +Aktiengesellschaft+ oder eine +Immobiliengesellschaft+, eine
Gesellschaft von Schlittschuhläufern einen +Eisverein+ und eine
Vereinigung von Förstern einen +Forstverein+ zu nennen. Noch gewagter
ist es, daß sich die deutschen Papierhändler zu einem +Papierverein+
zusammengetan haben. Mit demselben Recht und demselben guten Geschmack
könnte sich schließlich auch eine Fleischergesellschaft einen
+Fleischverein+ nennen.

[98] +Schokolade+ und +Tee+ -- deutsch geschrieben! Manche
verbinden die beiden Wörter gar noch durch einen Bindestrich, wie
+Atelier-Strauß+, +Tee-Meßmer+, was doch nur Männer bezeichnen kann
(der Atelier-Strauß, der Tee-Meßmer). In Sachsen gibt es wirklich
Geschäftsleute, die sich mit solchen Namen bezeichnen und sich dadurch
selber lächerlich machen, wie: +Butter-Bader+, +Gold-Richter+,
+Fahrrad-Klarner+, +Zigarren-Krause+, +Schokoladen-Hering+.

[99] Man könnte ebensogut eine Abfahrthalle auf dem Bahnhof
die +Abfahrtei+ nennen oder die Kopierstube im Amtsgericht die
+Abschriftei+.

[100] Unsre Schiffe werden bekanntlich, wenn sie einen Länder- oder
Städtenamen tragen, als Weiber betrachtet: +die+.

[101] Die englische in einzelnen Fällen, wie: ~the now king~, ~the
then ministry~, ~the above rule~, die aber nicht von allen englischen
Grammatikern gebilligt werden.

[102] Wenn geschrieben wird: das Bild zeigt den Kaiser +in fast
Lebensgröße+, so liegt wohl nur eine verkehrte Wortstellung vor (+in
fast+ statt +fast in+).

[103] Im Stephansdom in Wien ist etwas bei +sogleicher Wegweisung+
verboten.

[104] Heinrich von Treitschke, ein Meister in der Kunst, deutsch zu
schreiben, haßte sie aus tiefster Seele.

[105] Nicht besser, eher schlimmer wird die Sache, wenn man die
Apposition voranstellt: +von Privatdozent+ ~Dr.~ Albert Schmidt, +von
ordentl. Professor+ E. Max, was doch unzweifelhaft +von ordentlicher+
(!) Professor gelesen werden soll.

[106] In Leipzig fängt man jetzt gar an, zwischen Vornamen und
Familiennamen einen Bindestrich zu setzen: +Horst-Schulze+,
+Hermann-Könnecke+.

[107] Der Deutsche sagt dafür +Renommage+, ein Wort, das es im
Französischen gar nicht gibt!

[108] O. Schroeder, Vom papiernen Stil. 7. Aufl. Leipzig, 1908.

[109] Beim Übersetzen aus dem Lateinischen z. B. sollte streng darauf
gehalten werden, daß kein ~ejus~ und ~eorum~ mit +desselben+ und
+derselben+ übersetzt werde.

[110] Es ist auch nicht nötig; spricht und betont doch jeder richtig
+der+artig, +der+maßen, +der+gestalt usw.

[111] Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in Leipzig
sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der gehobensten
und feierlichsten Sprache: selbst +die, die die+ wissenschaftliche
Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten usw. Ich bin fest
überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei +die+ gehört hat, obwohl
Hunderte von Menschen in der Kirche saßen. Mir waren sie ein Labsal,
weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind, weiß ich nicht.

[112] In der Dichtersprache wird auch +rufen+ noch wie im alten Deutsch
bisweilen mit dem Dativ verbunden (Goethe im Faust: Wer ruft +mir+?
Gellert: +Er ruft der Sonn’+, er schafft den Mond). Auch hier ist
aber dann ein Bedeutungsunterschied; +rufen+ steht hier im Sinne von
+zurufen+, +gebieten+.

[113] In der ältern Sprache hatte auch +berichten+ den Akkusativ der
Person mit nachfolgendem Objektsatz bei sich, z. B. ob sie gleich den
+Kurfürsten+ mit Lügen +berichteten+, die hohe Schule zu Wittenberg
wäre die studentenreichste. Heute ist das einzige sinnverwandte
Zeitwort, das mit einem Akkusativ der Person und einem Objektsatze
verbunden werden kann, das verhältnismäßig junge +benachrichtigen+.

[114] Nur mit den Bildungen auf +bar+ nimmt man es nicht so genau, wie
+unentrinnbar+ zeigt.

[115] Eine ähnlich merkwürdige Bildung wie +voller+ ist +Maler+,
+Stücker+, +Tager+, +Jahrer+ in Verbindungen wie: +ein Maler drei+,
+ein Stücker drei+, +ein Jahrer fünf+, +ein Tager sechs+ u. ähnl. Hier
ist das +er+ der Rest eines rasch und nachlässig gesprochnen +oder+:
+ein Stück oder drei+. Diese Verbindungen würden sich aber doch in der
guten Schriftsprache recht seltsam ausnehmen, sie gehören nur noch der
Umgangssprache an.

[116] Nur in Verbindungen wie: ein Kaffee +erster Sorte+, ein Künstler
+zweiten Ranges+, ein Wagen +dritter Klasse+, ein Stern +vierter Größe+
bleibt der bestimmte Artikel vor den Ordinalzahlen weg.

[117] Hierher gehört auch der beliebte Fehler: +aus+ aller Herrn
+Länder+, der dem Wohllaut zuliebe entstanden ist: das doppelte +ern+
schien unerträglich. Aber noch unerträglicher ist doch der Akkusativ
hinter +aus+, man schreibe nur, wie sichs gehört: +aus+ aller Herr+en+
Länd+ern+.

[118] Nur bei vielgebrauchten Redensarten, an deren eigentliche
Bedeutung niemand mehr denkt, wie: +im Stande+, +im Begriff+, +im
Interesse+, +im Sinne+, +im Lichte+, +im Spiegel+, +zum Besten+, ist im
Dativ die Verschmelzung vollständig durchgedrungen. Niemand sagt: die
Heimat der Indogermanen +in dem Lichte+ der urgeschichtlichen Forschung
-- Napoleons Tod +in dem Spiegel+ zeitgenössischer Dichtung -- wir sind
+in dem Begriff+, abzureisen -- ich bin nicht +in dem Stande+, einen
Bissen zu essen. Dagegen läßt sich wohl unterscheiden: das Haus ist
wieder +in Stand+ gesetzt worden, und: der Verfasser will uns +in den
Stand+ setzen, selbst an der Forschung +teilzunehmen+. Bei dem bloßen
+in Stand+ (d. h. in’n Stand) ist der Artikel verschlungen (vgl. +in
Händen+ haben, +in Kauf+ nehmen).

[119] An den Leipziger Pferdebahnwagen war am Hintertritt folgender
Satz mit Gänsefüßchen (!) angeschrieben: „Dieser Platz des
Hinterperrons bleibt frei.“ Offenbar war der Satz ein Zitat. Aber
woher? Büchmann gibt keine Auskunft.

[120] Ein gemeiner Provinzialismus (aus Berlin?), der aber neuerdings
rasch Fortschritte macht, ist der Gebrauch von +hoch+ für +oben+ und
zugleich für +hinauf+, +herauf+, +empor+, +in die Höhe+, z. B. +hoch
kommen+, +hoch gehen+, +hoch holen+ (eine Flasche aus dem Keller); wenn
ich einmal +hoch bin+, dann geh ich nicht gleich wieder runter; ein
ebenso gemeiner (aus Wien?) der Gebrauch von +oben+ für +hinauf+, z. B.
+oben gehen+. In anständigem Deutsch geht man weder +hoch+ noch +oben+,
sondern +hinauf+.

[121] Dieser dumme Strich hat es mit sich gebracht, daß nun auch
geschrieben wird: +zwischen 1670 bis 1710+. Offenbar hatte einer
geschrieben: +zwischen+ 1670-1710, ein andrer schrieb das ab und wollte
ein Wort aus dem Striche machen. Hier hätte er aber den Strich als
+und+ lesen sollen! Besser, man macht keine Striche, sondern schreibt
Wörter.

[122] Wenn Wolfgang Müller von der Wunderblume singt: Sie blüht nur
+einmal alle hundert Jahr+, so heißt das nur, daß sie im Verlaufe von
hundert Jahren +einmal+ blühe. Soll aber ausgedrückt werden, daß sie
in regelmäßigen Zwischenräumen von hundert Jahren blühe, so ist das
+einmal+ ganz überflüssig; dann genügt es, sagen: sie blüht +aller
hundert Jahr+.

[123] Ich hatte einmal eine Zeit lang in regelmäßigen Zwischenräumen
in der Zeitung bekanntzumachen, daß +nächste Mittwoch Abend 8 Uhr+
eine gewisse Versammlung abgehalten werde (ich gehöre nämlich zu den
altmodischen Leuten, die +Mittwoch+ noch für ein Wort weiblichen
Geschlechts halten). Regelmäßig hatte mir der Zeitungsetzer, der es
natürlich besser wußte, +nächste Mittwoch Abends+ daraus gemacht, bis
ich mirs endlich verbat.

[124] Bei Handlungen, die noch bevorstehen, wird die erste Verbindung
vorgezogen, bei Handlungen, die vorüber sind, die zweite. Wann wird
er zurückkehren? (+Den+) Donnerstag. Wann ist er zurückgekehrt? +Am+
Donnerstag.

[125] Zu den nicht auszurottenden Scherzen der Geschäftssprache
gehört das sogenannte „Undzeichen“ &, das angeblich zur Abkürzung
des Wörtchens +und+ gebraucht wird. Es ist aber gar kein Undzeichen,
sondern es ist weiter nichts als das verschnörkelte lateinische
Wörtchen ~et~. Aber alle Geschäftsleute und Firmenschreiber sind
glückselig, wenn sie schreiben können: +Calw ~et~ Stuttgart+, +Max ~et~
Johann Schneider+, +Tricotagen ~et~ Strumpfwaren+, +Conditorei ~et~
Café+, Schnitzel mit +Schoten ~et~ Karotten+. Als ob nicht und eben so
kurz wäre!

[126] Durch falsche Stellung oder Beziehung der Negation kann der
Sinn eines Satzes vollständig verschoben werden. Es ist ein großer
Unterschied, ob ich sage: +Nicht alle+ Bücher dieses Verzeichnisses
sind eingebunden, oder: +Alle+ Bücher dieses Verzeichnisses sind +nicht
eingebunden+. Auf den Programmen der Leipziger Gewandhauskonzerte
steht: Für die Aufführung sämtlicher Nummern dieses Programms wird
keine Gewähr übernommen, d. h.: es ist möglich, daß das +ganze+
Programm +nicht aufgeführt+ wird -- eine schöne Aussicht! Die Direktion
will aber sagen: es ist möglich, daß +nicht das ganze+ Programm
+aufgeführt+ wird. Das hätte sie auf ihre Weise so ausdrücken müssen:
Dafür, daß sämtliche Nummern dieses Programms aufgeführt werden, wird
keine Gewähr übernommen.

[127] Freilich war +kein+ ursprünglich gar kein verneinendes, sondern
ein unbestimmtes Fürwort (+irgend ein+). Luther hat es sicherlich noch
so gefühlt.

[128] Es gibt jetzt Schriftsteller, die vor lauter Ziererei nicht mehr
+traurig+ sagen, sondern +unfroh+.

[129] In der Schiffersprache geht man +in See+, +an Land+, +an Bord+,
+auf Deck+, und der Soldat zieht +auf Wache+. Neuerdings ist es aber
auch fein geworden, nicht mehr +auf die Jagd+ zu gehen, sondern +auf
Jagd+ (oder vielmehr +auf Jacht+, natürlich nachdem man vorher ein
Stück „mitm +Zuch+ jefahren is“), und der junge Leutnant wird +auf
Festung+ kommandiert oder geht +auf Kriegsschule+. Schließlich geht
man vielleicht auch noch +auf Universität+, setzt sich +auf Stuhl+ und
klettert +auf Baum+.

[130] Falsch ist es natürlich auch, das Hauptwort solcher Redensarten
in die Mehrzahl zu setzen: hierüber +sind+ neuerdings +Klagen geführt+
worden. Man führt nur +Klage+, aber nicht +Klagen+.

[131] Solche Zusammenziehungen stehen ungefähr auf derselben Stufe wie
die bekannten scherzhaften Wortverbindungen: +geo- und arithmetisch+ --
teils +aus Frömmig-+, teils +zum Zeitvertreib+ -- der heutige Tag wird
mir ewig +denk-+ und +gegenwärtig+ bleiben.

[132] Vollends arg sind Zusammenziehungen wie: +unsre+ Arbeit und
+Streben+. Über solche Sudelei ist natürlich kein Wort zu verlieren;
für sie gibt es auch keinen Schein von Entschuldigung.

[133] Das geschieht z. B. bei der Verdopplung einer Präposition
wie: an diese Jugendarbeit schlossen sich mehrere Dramen +an+ --
sie traten +aus+ der Landeskirche +aus+ -- man warf ihn +aus+ dem
Zimmer +hinaus+ -- das Gymnasium geriet +in+ einen innern Widerspruch
+hinein+ -- dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden +durch+
das Gesetz +hindurch+ -- wir können uns schlechterdings nicht +darum
herumdrücken+. Gegen solche Verdopplungen ist nichts einzuwenden.

[134] Von einem Leipziger Bankier erzählt man, daß er auf die Frage,
ob er eine gewisse ausländische Geldsorte beschaffen könne, mit der
Gegenfrage geantwortet habe: muß es denn +jetzt alleweile gleich in
demselben Momente+ sein? Ein Schaubudenbesitzer macht bekannt: „Morgen
Eintritt +ausschließlich nur allein+ für Damen.“

[135] Dabei hier noch der gemeine Provinzialismus, daß +brauchen+ mit
dem bloßen Infinitiv verbunden ist! (Vgl. S. 61.)

[136] Ein neutraler Begriff ist +Lage+. Ich bin +in der Lage+ -- kann
ebensogut heißen: ich habe die Möglichkeit, wie: ich bin genötigt. Hier
muß die besondre Art der Lage durch ein +können+ oder +müssen+ näher
bezeichnet werden. Dagegen ist es natürlich überflüssig, zu schreiben:
er wird in die +Zwangslage+ gebracht, sich mit einer Stellung zweiten
Ranges begnügen zu +müssen+. Vereinzelt wird übrigens auch der
umgekehrte Fehler gemacht, nämlich das Hilfszeitwort weggelassen, wo es
ganz notwendig ist, z. B.: wir erklärten, +dazubleiben+ -- wo es heißen
muß: dableiben zu +wollen+, denn in +erklären+ liegt noch nicht der
Begriff der Absicht.

[137] Alle diese Beispiele sind, wie ausdrücklich bemerkt werden mag,
nicht erfunden!

[138] Übrigens kann ein Bild auch ohne Vermengung mit andern
geschmacklos wirken, nämlich dann, wenn es zu sehr ausgetitscht wird;
so, wenn es von den Arbeiten, die ein Schriftsteller seinem Verleger
einsandte, heißt: jede +jährliche Ernte+ seines Fleißes und Talentes
hat er +in den Hof+ des befreundeten Hauses +eingefahren+.

[139] Mit dem Voranstellen des abhängigen Genitivs muß man überdies
vorsichtig sein. Vor kurzem ist ein Buch erschienen: +Lichtenbergs
Mädchen+. Da fragt doch der Leser sofort: +das+ oder +die+?

[140] +Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags+ habe ich wirklich
gedruckt gelesen.

[141] Die Inversion findet sich in der ältern Zeit auch nach +denn+
und +nämlich+; wird das heute jemand nachmachen wollen? Vortrefflich
schließt O. Erdmann einen Aufsatz über die Geschichte der Inversion
mit den Worten: „Das historische Studium des ältern Sprachgebrauchs
soll einem vernünftigen und kräftigen Streben nach Regelrichtigkeit
des gegenwärtigen und künftigen nicht hinderlich, sondern förderlich
werden.“

[142] Ein Meister des deutschen Stils, Otto Gildemeister, schrieb
einem jungen Neffen, als dieser in einem Brief an ihn eine Inversion
gebraucht hatte: So schreiben Kommis und schlechte Journalisten, aber
kein edler deutscher Jüngling. Diese Inversion ist so schlimm wie mit
dem Messer essen. Tu es nicht wieder!

[143] Tausendmal habe ich bei der Durcharbeitung von Manuskripten das
+sich+ heraufgeholt an die richtige Stelle, und niemals haben die
Verfasser, wenn sie die Druckkorrektur bekamen, etwas davon gemerkt;
alle haben darüber weggelesen, als ob sie selber so geschrieben hätten.
Und hundertmal ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der
Verfasser bei der ersten Niederschrift das +sich+ an die richtige
Stelle gesetzt, aber beim Wiederdurchlesen dort ausgestrichen und dann
hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hineingeflickt hatte -- niemals das
umgekehrte! Damit ist schlagend bewiesen, daß die Voranstellung des
+sich+ das natürliche ist und das, was jedem, der unbefangen schreibt,
aus der lebendigen Sprache zunächst in die Feder läuft; erst wenn das
Drechseln und Feilen beginnt, entsteht die Unnatur.

[144] Nur wo ein Mißverständnis, eine Verwechslung von Subjekt
und Objekt möglich ist, hat es einen Sinn, das Subjekt in dieser
ängstlichen Weise vor das Fürwort zu stellen, z. B. Vater und Mutter
müssen sich darein finden, daß +die Kinder sie+ verlassen. Aber ist
etwa ein Mißverständnis möglich, wenn man sagt: Tatsachen machen sich
geltend, gleichviel ob +sie die Juristen+ definieren können oder nicht?
Wird hier jemand +die Juristen+ für das Objekt halten?

[145] Der Ausdruck ist von Gottfried Hermann gebildet.

[146] Der Volksmund vermeidet das sogar zuweilen bei dem unbestimmten
Artikel und dem unbestimmten Fürwort und sagt: das ist +gar ein+
merkwürdiger Mensch, das ist +ganz was+ feines.

[147] Tausendmal habe ich in Manuskripten auch diese häßliche
Wortstellung beseitigt, und niemals haben die Verfasser, wenn sie
ihre Druckkorrektur erhielten, von der Änderung etwas gemerkt, immer
haben sie ohne Anstoß darüber weggelesen, also offenbar geglaubt, sie
hätten selber so geschrieben! Wenn es wirklich ein so starkes logisches
Bedürfnis wäre, das Adverb einzuschieben, so hätte doch einmal einer
Anstoß nehmen und seine ursprüngliche Fassung wiederherstellen müssen!

[148] Ein harmloses Menschenkind, dem die zwei Präpositionen
hintereinander doch wider den Strich gingen, schrieb: +mit
Zumherunterlassen+ eingerichteten Fenstern!

[149] Ähnlich: der Dichter begnügt sich mit einer Skizze, +da wo+ wir
ein ausgeführtes Bild erwarten. Nach dem Satzbau: der Dichter begnügt
sich mit einer Skizze +da, wo+ wir usw.

[150] In dem hübschen Scherz: Der Papierreisende (Gesammelte Schriften,
Bd. 2).

[151] Bedingungssätze statt mit +wenn+ mit dem Verbum anzufangen ist
an sich nicht übel, nur darf das Verbum dann nicht unmittelbar hinter
dem des Hauptsatzes stehen, z. B. ich muß +eilen, will+ ich den Zug
nicht versäumen -- ein gewissenhafter Mann +darf, will+ er seinen Ruf
nicht gefährden -- es ist manches verschwiegen, was gesagt werden
+müßte, sollte+ die Veröffentlichung überhaupt Berechtigung haben. Wer
laut schreibt, wird so etwas nie schreiben. Die beiden Verba platzen
aufeinander wie ein paar Lokomotiven. Schreibt man +wenn+, so mündet
der Nebensatz leicht und natürlich ein wie ein Nebenflüßchen, das den
Fluß des Hauptsatzes beschleunigt. Hüten muß man sich vor der Häufung
einsilbiger Wörter. Doch kann auch eine lange Reihe einsilbiger
Wörter ganz fließend klingen, wenn sie durch den Akzent zu Gruppen
zusammengefaßt werden, z. B.: ein Umstand, wie es ihn | bis jetzt |
noch fast gar nicht | gegeben hat.

[152] Sehr komisch ist es, wenn unwillkürlich einmal die gesunde
Natur durch die Manier durchbricht, wo es zu spät ist. Dann entstehen
Sätze wie: es ist zu bedauern, was für ein +Aufwand+ von Zeit und
Mühe darauf +verwendet+ worden ist -- die Erfahrungen, die man in
Dresden mit dieser Einrichtung gemacht hat, dürften den +Beweis+
für die Notwendigkeit derselben genügend +bewiesen+ haben -- eine
telegraphische Nachricht, wonach die +Möglichkeit+ einer persönlichen
Begegnung für +möglich+ erachtet wurde.

[153] Schon als Knaben haben mich die Verse nachdenklich gemacht:
Ritter, +treue Schwesterliebe+ widmet euch dies Herz. Dann heißt es
weiter: +fordert+ keine andre Liebe -- wo mir wieder +fordert+ wie ein
zweites Prädikat zu +Schwesterliebe+ erschien.

[154] Wenn aber Sigismund Breslauer anzeigt, daß er für alte Kleider
+staunend hohe+ Preise bezahle, und Sigismund Cohn, daß er zu +staunend
niedrigen+ Preisen verkaufe, so ist das natürlich wieder eine
Verwechslung; sie meinen +erstaunlich hohe+ und +niedrige+ Preise.

[155] In Leipzig wird ein Hauskauf nicht ins Grundbuch geschrieben,
sondern +grundbücherlich+ (so!) +verlautbart+.

[156] Das niedrige Volk sagt jetzt auch: +da hört sich alles+
auf! offenbar, indem es die Redensart: +das gehört sich+ -- damit
zusammenwirft.

[157] Im Friseurladen redet man jetzt von amerikanischer Kopf+wäsche+.
Wenn jemand im Neuen Testament von Jesu Fuß+wäsche+ reden wollte!

[158] Im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von +Unterrichtung+.
Als dafür +Unterricht+ aufkam (anfangs gewiß auf der letzten Silbe
betont), muß sprachfühlenden Leuten ähnlich zumute gewesen sein wie uns
heute beim +Vollzug+ und beim +Entscheid+.

[159] Bei dem jetzt so beliebten +entfallen+ mag wohl das lateinische
~dis~ vorgeschwebt haben, das in ~distrahere~ die Trennung, in
~distribuere~ die Verteilung bedeutet.

[160] Ein Fehler ist es übrigens, diese Präfixe abzutrennen und zu
betonen, wie +An-+ und +Ver+kauf, +be+- und +ent+laden, +Be+- und
+Ent+wässerung. Getrennt und betont werden können immer nur echte
Präpositionen: +auf+- und +ab+steigen, +Ab+- und +Zu+gang; dagegen
+An+kauf und +Verkauf+.

[161] Auch mit den Präpositionen springen sie in derselben Weise um
wie mit den Präfixen. In der Sprache des gewöhnlichen Lebens wird
ein neues Haus +gedeckt+, eine neue Kirche +gewölbt+, eine Straße
+gepflastert+, Sandsteinfiguren werden an einem Hause +angebracht+,
Bilder werden +eingerahmt+, und wenn man eine Stube tapezieren läßt,
so werden die Möbel vorher +zugedeckt+; sowie aber der Architekt davon
spricht, wird das Haus +eingedeckt+, die Kirche +eingewölbt+, die
Straße +abgepflastert+, die Figuren werden +aufgebracht+, die Bilder
+gerahmt+, und die Möbel -- +abgedeckt+! Gewöhnlich werden Farben
+gemischt+, und zu einer Lotterie werden auch die Lose +gemischt+.
Der Farbenfabrikant aber empfiehlt seine +Ausmischungen+ sämtlicher
Farbentöne, und die Lotteriedirektion spricht von der +Einmischung+
der Lose. Gewöhnlich wird ein Vogel von der Stange +abgeschossen+, und
unnütze Sperlinge werden +weggeschossen+; sowie aber der Herr Landrat
davon spricht, werden die Sperlinge +abgeschossen+. Der gewöhnliche
Mensch begnügt sich damit, etwas zu +liefern+. Im Bauwesen aber werden
Steine, Kalk, Ziegel +angeliefert+, und bei der Post werden Briefe,
Postkarten, Pakete, Zeitungen sogar +aufgeliefert+! Der gewöhnliche
Mensch +beschneidet+ in seinem Garten einen Trieb, der Gärtner aber
+kürzt+ ihn +ein+ usw.

[162] Höchstens +Wollust+ und +Jawort+ ließen sich vergleichen.

[163] Auch Wörter wie +Pflegemutter+, +Betschwester+, +Schreihals+,
+Singvogel+, +Stechapfel+, +Stinktier+ machen nur scheinbar eine
Ausnahme, auch +Beißkorb+ und +Klapperdeckchen+, denn sie bezeichnen
Dinge, die den Zweck haben, Beißen und Klappern zu verhüten. Nur
+Bratheringe+, +Röstkartoffeln+ und +Schlagsahne+ haben ihren Zweck
schon erfüllt, sie sind schon gebraten, geröstet und geschlagen.

[164] Die früheste Anwendung von +voll und ganz+, freilich in
gehaltvollerem Sinne als in Parlaments- und Festreden, wiewohl auch
schon ein wenig als Lückenbüßer, steht in Tiecks Übersetzung von
Shakespeares Antonius und Kleopatra (I, 3):

    Der Zeiten strenger Zwang heischt unsern Dienst
    Für eine Weile; meines Herzens Summe
    Bleibt dein hier +voll und ganz+.
    (~The strong necessity of time commands
    Our services a while; but my full heart
    Remains in use with you.~)

Dingelstedt gebraucht es 1851 in seinem Gedicht „Christnacht“, worin er
den Heiland des Jahrhunderts herbeiwünscht, aber nicht als Kind,

    Nein, groß und fertig, +voll und ganz+
    Entsteig’ er unsern Dämmerungen --

schon ironisch. In einer Erinnerung an Gottfried Keller (Berliner
Tageblatt vom 13. April 1891) wird erzählt, Keller habe, als in der
Unterhaltung mit ihm jemand +voll und ganz+ gebraucht habe, ausgerufen:
„Voll und ganz! Hm, hm! Da sieht man, was ihr für Patrone seid! Phrase,
nichts als Phrase! Voll und ganz ist das charakterloseste Wort, das es
gibt, trotz seiner Fülle!“

[165] Als der junge Goethe 1773 seine kecke Schrift „Von deutscher
Baukunst“ hatte drucken lassen, schrieb der wackere kurf. sächsische
Hofbaumeister Krubsacius eine Kritik darüber. Darin spricht er auch von
der „neumodischen Schreibart“, die schon so vielfältig ausgespottet
worden sei und trotzdem immer weiter um sich gegriffen habe. Daran
knüpft er die wahrhaft klassischen Worte: „Ein Mißbrauch wird nicht
anders als durch sich selbst ausgerottet, wenn er nämlich zu einer
solchen Höhe anwächst, daß ein jeder, der nicht zu stumpfe Sinne hat,
das Ungeheure davon gewahr werden kann.“

[166] Abgesehen natürlich von Infinitiven, die ganz zu Substantiven
geworden sind, wie +Leben+, +Essen+, +Vergnügen+, +Vermögen+,
+Wohlwollen+ u. a.

[167] Seitdem dieses Kapitel veröffentlicht worden ist, ist der
Mißbrauch erfreulicherweise bedeutend zurückgegangen. Trotzdem mag es
unverändert hier wieder abgedruckt werden -- als sprachgeschichtliches
Zeugnis.

[168] Neuerdings wird das Wort sogar für +anfertigen+, +schaffen+
gebraucht: er hat sich ein Paar neue Stiefel +fertigstellen+ lassen --
eine Sonate ist mit weniger Zeit und Mühe +fertigzustellen+ als eine
Symphonie!

[169] Von festen Körpern nur in dem Sinne von +zerkleinert+; +klarer+
Zucker, +klares+ Holz.

[170] Soll vielleicht auch weiter gezählt werden: die +zweitmalige+,
+drittmalige+ usw.?

[171] Eine Leipziger Zeitung schrieb neulich: das Rathaus +besitzt+
denselben Baumeister wie die Pleißenburg!

[172] Anders in „Künstlers Erdewallen“, wo es von dem Kunstschatz des
Reichen heißt: „Und er +besitzt+ dich nicht, er +hat+ dich nur.“

[173] Das t ist dasselbe unorganische Anhängsel wie in +jetzt+,
+selbst+ und +Obst+. In Leipzig sagt das Volk auch +anderst+, +Rußt+,
+Harzt+.

[174] Früher hieß es +im Namen+ des Königs, +aus Mangel+ an genügendem
Angebot, jetzt nur noch +namens+ des Königs -- +mangels+ genügenden
Angebots. Schon der häßliche Gleichklang, der ganz unnötigerweise
durch die Häufung der Genitiv-s entsteht, hätte von solchen Bildungen
abhalten sollen. Aber die Leute sind ganz vernarrt in solche Genitive;
man denke auch an: +anfangs+ (!) Oktober (vgl. S. 8).

[175] Ein solches s drängt sich freilich gar zu gern ein, man
denke an +vollends+, +bereits+, +öfters+, +nirgends+, +zusehends+,
+durchgehends+, +allerdings+, +schlechterdings+ (um 1700 noch aller
+Dinge+, +schlechter Dinge+), „neuerdings“ auch +folgends+. Bei den
meisten dieser Wörter fühlen wir gar nicht mehr das Unorganische des s,
höchstens noch bei +öfters+. Wir fühlen es aber sofort wieder, wenn wir
das häßliche süddeutsche und österreichische +weiters+ und +durchwegs+
hören: ein selbständiges, +durchwegs+ auf Erfahrung begründetes Urteil
-- oder wenn wir +unversehens+ und +unbesehens+ lesen: der Zuhörer
steht +unversehens+ vor dem Dämonischen -- er hätte dieses Argument
nicht so +unbesehens+ hinnehmen sollen.

[176] +Bezüglich+ ist Präposition und bedeutet dasselbe wie
+hinsichtlich+, +rücksichtlich+.

[177] Auf einige häßliche Austriazismen ist schon in der Formenlehre
und in der Satzlehre hingewiesen worden. Vgl. S. 17 und 58.

[178] Manche Kaufleute behaupten, in dem +ab+ liege ein besondrer Sinn;
es solle ausdrücken, daß der Übergang einer Ware aus dem Besitz des
Kaufmanns in den des Käufers an der angegebnen Stelle (+ab Bahnhof+,
+ab Lager+) geschehe; der Bahnhof, das Lager sei der „Erfüllungsort“.
Davon hat aber doch der harmlose Käufer, der so etwas in der Zeitung
liest, keine Ahnung.

[179] Unsre Professoren lachen heute, wenn sie in einem Buche des
achtzehnten Jahrhunderts lesen: die ~iniquitaet~ ist ~manifest~ oder:
wir müssen diese ~difficultaeten superiren~. Mache sie es denn aber um
ein Haar besser?

[180] Freilich gehen Technik und Wissenschaft mit bösem Beispiel voran.
Vgl. +Taxameter+, +Automobil+, +homosexuell+ (dessen erste Hälfte auch
„gebildete“ Leute für das lateinische ~homo~ halten!), +Telefunken+
u. ähnl.

[181] Sehr bitter spottete einmal darüber ein junger französischer
Student in Leipzig. Die deutschen Mädchen, sagte er, glauben, sie
müßten +Colliers+ tragen, weil jeder Hund ein +Halsband+ trägt. In
Paris trägt aber doch jeder Hund ein +Collier+!

[182] Ein vortrefflicher deutscher Schriftsteller, August Apel, nennt
(1815) einen eingebildeten Kunstkenner einen +Connaisseur+ und fügt
hinzu: Ich liebe fremde Worte, um die affektierende Abart zu bezeichnen.

[183] Weiß der Leser, wie +konstatieren+ entstanden ist? Durch Anhängen
der Endung -+ieren+ an das lateinische Impersonale ~constat~. Fast
unglaublich, aber Tatsache. Und dabei ist in 999 von 1000 Fällen
+konstatieren+ nichts weiter als ein ganz überflüssiger Henkel für
einen Aussagesatz. Man sagt nicht: der Hund hat einen Schwanz, sondern
man +konstatiert+, daß der Hund einen Schwanz hat.

[184] In einem längern Aufsatze, worin +Moment+ und +Faktor+ jedes
etwa ein Dutzend mal vorkamen, machte ich mir den Spaß, sie regelmäßig
miteinander zu vertauschen. Als ich die Druckkorrektur des Verfassers
erhielt, sah ich, daß er nicht das Geringste davon gemerkt hatte. Was
müssen das für Wörter sein, mit denen man sich solche Scherze erlauben
kann! Ein rechtes Kreuz sind die +gesetzgebenden Faktoren+; könnte man
die doch irgendwie los werden!

[185] Schon Schiller schreibt 1797 an Goethe: Sie müssen eine +Epoche+
gehabt haben, die ich Ihre analytische +Periode+ nennen möchte.



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen" ***


Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home